Luther-Predigten, Zitate und Sprüche

Nur für Gläubige, die die fünf Punkte des Arminianismus ablehnen

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Jörg
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Die Sieben Bußpsalmen (1525)

Psalm 6


5. Wende dich, Herr, und errette meine Seele. Abwenden Gottes, das bedeutet: inwendig Lossagen, Verlassen. Davon kommt das greuliche Erschrecken, und es wird gleichsam als eine beginnende Verdammnis empfunden, wie in Psalm 30, 8: »Da du dein Antlitz verbargest, erschrak ich.« Zuwenden aber ist inwendiger Trost und Erhaltung in fröhlicher Hoffnung. Darum spricht er: »Erlöse meine Seele«, als sagte er: sie ist versunken und verdammt, zieh oder reiß sie wieder heraus.

Hilf mir. Denn dies ist die tiefste und größte Krankheit der Seele, darin sie ewiglich verderben müßte, wenn sie so bleiben sollte.

Um deiner Güte willen. Nicht um meiner Verdienste Würdigkeit, sondern deiner Güte willen: auf daß dieselbe gepriesen, geliebt und gelobt werde, weil du sie auch den Unwürdigen zu Hilfe kommen läßt. Denn welchem Gott nach seinem Verdienst hilft, der wird billiger geehret und gepriesen als Gottes Güte. Das wäre eine große Schmach. Darum, soll Gottes Güte gepriesen werden, so müssen alle Verdienste und Würden zunichte werden. Und das tut diese Versuchung.

6. Denn im Tode gedenkt man dein nicht. Das heißt: die Toten loben dich nicht und preisen deine Güte nicht, sondern allein die Lebendigen, wie in Ps. 115, 17 f.: »Die Toten werden dich, Herr, nicht loben, noch die hinunterfahren in die Hölle. Sondern wir loben den Herrn von nun an bis in Ewigkeit.« Darum redet er hier nicht allein vom leiblichen Tode, sondern auch von dem geistlichen Tode, wie die Seele tot ist. Denn Sünde ist der Seele Tod, Pein aber ist ihre Hölle. Alle beide, Sünde und Strafe der Sünde, empfindet, wer sich in diesem Elend befindet. Darum sagt er: laß mich in dem Tode und der Hölle nicht, sondern mache mich nach deiner Güte aus Gnade lebendig, und erlöse mich von der Hölle mit Trost. Darum gibt dieser Vers zu verstehen, daß dieses Leiden eine Pforte und Eingang in die ewige Sünde und Strafe sei, das ist in den Tod und Hölle, wie der König Hiskia Jes. 38, 10 sprach: »Ich hab gesagt mit großem Schrecken, ich muß in die höllische Pforte fahren, mitten in meinem Leben, das heißt, als ich meinte, am allerbesten zu leben.«

Wer will dir in der Hölle danken? Darum habe ich gesagt »um deiner Güte willen«. Denn die Hölle, wo deine Barmherzigkeit nicht ist, lobet dich nicht, ja schmähet und lästert vielmehr deine Gerechtigkeit und Wahrheit. Dies ist der alleredelste Gedanke, den die Heiligen in ihrem Leiden haben, durch den sie auch erhalten werden. Sonst sind sie auf alle Weise den Verdammten gleich, wie hernach im letzten Psalm (Ps. 143, 7) steht: »Verbirg dein Antlitz nicht vor mir, daß ich nicht werde gleich denen, die in die Grube fahren.« Aber der Unterschied ist der, daß die Heiligen die Liebe zu Gott behalten, und daß sie mehr Sorge haben, daß Liebe, Lob und Ehre Gottes von ihnen abfalle, als daß sie verdammet werden. Denn er sagt nicht: in der Hölle ist keine Freude oder Lust, sondern: kein Lob noch Ehre, darum spricht er hier davon, daß niemand in der Hölle Gott zugeneigt sei. Und sollte er dahin fahren, würde er auch denen in der Abwendung von Gott gleich. Das wäre ihm mehr als alle Pein zuwider und wehe. Darum stehet Hohel. 8, 6, daß die Liebe Gottes stark ist wie der Tod und fest wie die Hölle, deshalb, weil sie auch in tödlicher und höllischer Pein (bestehen) bleibt. So spricht auch Gott durch Jesaja (Jes. 48, 9); »Ich will dich leiten mit meinem Lobe, auf daß du nicht verderbest«, das heißt: eine herzliche Neigung zu mir will ich dir mitten in deinem Leiden geben, und dieselbe wird dich leiten und erhalten, ohne welche die andern alle im Leiden verderben. Ebenso auch Psalm 18, 4: »Ich will den Herrn anrufen mit Loben, so werde ich von meinen Feinden erlöset.« Denn Leiden, Tod, auch die Hölle, muß von uns überwunden werden. Mit Flucht davor aber und Ungeduld wird sie nicht überwunden, sondern mit Neigung, Willen und Liebe, die darin gegen Gott behalten werden. Dies sind für den alten Adam scharfe Reden, besonders für den, der noch grün und frisch ist, das hilft aber nichts.

7. Ich bin so müde vom Seufzen. Das heißt: ich seufze viel und sehr, daß auch Seufzen mir zur Mühe wird. Mein Leben wird mir sauer und mühsam, denn es ist nicht mehr als Seufzen. Auf die Weise sagt man auch: Ich habe mich gemüht oder ermüdet mit Laufen, mit Schlagen usw. So auch hier: ich mühe mich mit Seufzen, bin unruhig vor Seufzen.

Ich schwemme mein Bette die ganze Nacht. Das heißt: so sehr weine ich, daß die Tränen in meinem Bette schwimmen, wie auch hernach folget: Und netze mit meinen Tränen mein Lager.

8. Meine Gestalt ist verfallen vor Trauern. Das heißt: meine Gestalt und ganzer äußerer Wandel des Leibes ist verändert und ungestaltet geworden, und das alles vor dem Zorn, den ich von Gott her gefühlet habe. Die Welt aber pflegt ihrer Gestalt in Seide, Gold und prächtigem Essen, wie der reiche Mann im Evangelium. Ich bin aber der arme und ungestaltete Lazarus (Luk. 16, 19 ff.) geworden, durch Gottes Zorn. Und ist alt geworden. Denn ich werde allenthalben geängstigt. Das heißt: ich bin untüchtig wie ein alter Mensch. Denn ein solches Fühlen der Strafe Gottes macht, daß alle Kräfte verzehret werden. Und es dünkt ihn, daß Himmel und Erde auf ihm liege und alle seine Gegner seien, denn er findet nirgends Trost, sondern eitel Schrecken und Zorn Gottes.

9. Weichet von mir alle Übeltäter. Daß darunter nicht allerlei Ungerechte verstanden sind, sondern diejenigen, die große Heiligkeit und Weisheit haben, bestätigt sich aus Matth. 7, 23, wo der Herr Christus eben diesen halben Vers anführet gegen die, die am Jüngsten Tage sagen werden: »Ei, Herr, haben wir nicht in deinem Namen geprediget und viel Wunderzeichen getan« usw. Diesen Klugen und Heiligen wird es hier durch Christus gegeben, daß sie Übeltäter heißen, deshalb, weil sie das Gute nicht recht tun. Ebenso fähret er nun hiermit die hoffärtigen Heiligen an, die noch nie Gottes Zorn gefühlet noch zur Erkenntnis ihrer Sünden gekommen sind, weshalb sie auch Gottes Güte weder glauben, trauen, anrufen, noch kennen, noch lehren, dennoch aber sich und andere mit sich durch Werke und sichere Vermessenheit auf Verdienste vor Gott verführen. Diesen wünscht er, daß sie auch Gottes Zorn erfahren müßten, damit sie von ihrer Vermessenheit weg einmal zu sich selbst kommen.

Denn der Herr hat die Stimme meines Weinens gehört. Das heißt: Gott ist so gesinnet, daß er die Schreienden und Klagenden gerne höret und nicht die Sicheren und Freien. Darum bestehet ein gutes Leben nicht in äußeren Werken und Schein, sondern in einem seufzenden und betrübten Geiste, wie es hernach im 5. Psalm (Ps. 51, 19) heißt: »Die Opfer Gottes sind ein zerbrochener Geist. Ein zerbrochenes und zerschlagenes Herz wirst du, Gott, nicht verachten«. »Der Herr ist nahe bei denen, die zerbrochenen Herzens sind« (Ps. 34, 19). Darum: Weinen gehet vor Wirken, und Leiden übertrifft alles Tun.

10. Der Herr hört mein Flehen. Mein Gebet nimmt der Herr an. Nichts anderes drücken diese Worte aus als eine (geist)arme Seele, die nichts mehr hat als das Geschrei, Flehen und Bitten in festem Glauben, starker Hoffnung und steter Liebe. Und so soll eines jeglichen Christen Leben und Wesen beschaffen sein, daß er außer Gott nichts wisse noch habe, (und) diesen auch nicht anders als im Glauben. Darum werden die, welche anders sind, nicht von Gott erhört, denn sie rufen auch nicht mit dem Herzen, sie sind nicht arm, noch zu rufen oder zu bitten bedürftig; satt und voll sind sie.

11. Es müssen alle meine Feinde zuschanden werden und erschrecken. Das heißt: sie stehen in ihrem Selbstgefallen so schädlich und gefährlich und rühmen sich (doch) bei sich selbst, als wären sie gar wohl dran. Ach Gott, sie wissen aber nicht, wie unselig sie sind. Darum wäre ihnen gut, daß sie in sich selbst gingen und erkennten, wie sehr sie als die sich schämen müssen und elend vor Gott geachtet sind. Denn die großen Geistlichen und Weisen können nicht anders als sich selbst wohlgefallen, sicher sein, Großes von sich halten, keine Torheit fühlen, alles gut reden, recht tun, heilig meinen, etwas Besonderes sein im Vergleich zu anderen, nicht viel ihresgleichen wissen. Das ist die größte Blindheit auf Erden. Denn so viel sie von diesen (Vorzügen) dünken und meinen (daß sie sie besäßen) oder davon haben, ebenso sehr sind sie vor Gott verachtet und beschämet. Und das wollte er, daß sie es erkenneten, denn sie würden wohl anders, wenn sie in sich selbst gingen und vor sich selbst erschreckten.

Sich umkehren. Denn sie sind zu tief und zu fern von Gott weg, in das Ihre abgekehrt und gegangen.
Und zuschanden werden plötzlich: Inwendig vor ihren Augen, da sie sich ganz in Ehren halten. Auch auswendig vor den Leuten, wenn es zu der inwendigen hinzu notwendig ist. Sonst ist die auswendige (Schande), allein und ohne die inwendige, unfruchtbar (und) auch schädlich.

[Martin Luther: Die Sieben Bußpsalmen (1525). Zeno.org: Martin Luther: Werke, S. 3210-3217
Wer sich nur nach dem, was er fühlt, richtet, der verliert Christus. (Martin Luther)

Jörg
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Die Sieben Bußpsalmen (1525)

Der zweite Bußpsalm

Psalm 32

1. [Eine Unterweisung Davids.] Wohl dem, dem die Übertretungen vergeben sind, des Sünde bedeckt ist.
2. Wohl dem Menschen, dem der Herr die Missetat nicht zurechnet, in des Geist keine Falschheit ist.
3. Denn da ichs wollte verschweigen, verschmachteten meine Gebeine durch mein tägliches Heulen.
4. Denn deine Hand war Tag und Nacht schwer auf mir, mein Saft vertrocknete wie im Sommer. Sela.
5. Darum tue ich kund meine Sünde und verhehle meine Missetat nicht. Ich sprach: Ich will dem Herrn meine Übertretungen bekennen wider mich. Da vergabst du mir die Missetat meiner Sünde, Sela.
6. Dafür werden alle Heiligen bitten zu dir zur rechten Zeit. Darum wenn große Wasserfluten kommen, werden sie nicht an dieselben gelangen.
7. Du bist mein Schirm, du wollest mich vor Angst behüten, und mit dem Ruhm eines Erretteten mich
umgeben. Sela.
8. Ich will dir Verstand geben und dir den Weg weisen, den du wandeln sollst. Ich will dich mit meinen Augen leiten.
9. Seid nicht wie Rosse und Maultiere, die nicht verständig sind, welchen man Zaum und Gebiß muß ins Maul legen, wenn sie nicht zu dir wollen.
10. Der Gottlose muß viel leiden. Wer aber auf den Herrn hoffet, den wird die Güte umfangen.
11. Freuet euch des Herrn, ihr Gerechten, und seid fröhlich und rühmet alle, die aufrichtig sind von Herzen.

1. Wohl dem, dem die Übertretungen vergeben sind. (Das ist,) als wenn er sagte: Niemand ist ohne Ungerechtigkeit, sondern (sie sind) allzumal vor Gott ungerecht, auch die, die sich in den Werken der Gerechtigkeit üben, und so aus der Ungerechtigkeit (heraus) zu kommen vermeinen. Denn es kann niemand sich selbst heraushelfen. Darum sind sie selig – nicht die keine Sünde haben oder sich selbst herauszukommen bemühen, sondern allein die, denen sie Gott aus Gnade erlässet. Wer sind aber die? Das wird der 6. und 7. Vers lehren.

Des Sünde bedeckt ist. Niemand ist auch ohne Missetat, die Gott an uns allen ganz offenbar sieht. Selig aber, denen er sie zudeckt, (bei denen er sie) nicht sehen, nicht gedenken, nicht wissen, sondern vergeben will rein aus Gnade. Das sind die, welche sie nicht selbst zudecken, sie sich nicht selbst erlassen, vergeben, vergessen, sondern sie ansehen, wissen, gedenken und strafen.

2. Wohl dem Menschen, dem der Herr die Missetat nicht zurechnet. Das ist: nicht selig, sondern unselig ist der, der sich selbst nicht Sünde zurechnet, sich selbst wohlgefällt, sich fromm dünkt, sich kein Gewissen macht, sich unschuldig weiß und sich tröstet und darauf verläßt. Obwohl doch der Apostel 1. Kor. 4, 4 sagt: »ich bin mir nichts bewußt, aber daraus bin ich nicht gerechtfertiget«, als sage er: selig ist der, dem Gott nicht Sünde zurechnet, so daß Gott nichts um seine Sünde wisse. Das sind die, die sich selbst stetig mannigfaltig Sünde und Gebrechen zurechnen.

In des Geist keine Falschheit ist. Das ist, daß ihn sein Herz nicht betrüge, (auch) wenn er von außen her rechtschaffen erscheinet, und sich selber nicht anders als für fromm und Liebhaber Gottes hält, obwohl doch inwendig die Absicht falsch ist und er Gott nicht um Gottes willen, sondern um seiner selbst willen dienet und fromm ist. Diese böse, falsche, betrügerische Täuschung verführet am meisten die großen, glänzenden und geistlichen Menschen, die um ihres frommen Lebens und viel guter Werke willen furchtlos stehen und ihres Geistes und innerlicher Absicht nicht ernstlich wahrnehmen. Sie wollen auch nicht zur Kenntnis nehmen, daß diese betrügliche schändliche List keinen Menschen frei läßt, sondern in allen ganz im Grund des Geistes ist, und allein durch Gottes Gnade ausgetrieben wird, weshalb sie (der Psalmist) eine Falschheit im Geist nennt. Sie ist nicht eine List, die der Mensch tue und bewußt erdenke, wider sich oder einen andern, sondern die er leidet und die ihm angeboren ist. Sie läßt sich mit gutem Leben zudecken und beschönigen, so daß, wenn der Mensch meinen will, er sei rein und frei, der böse Unflat erst recht darunter liegt. Den nennen die Gelehrten »amor sui« – »Ichliebe, Selbstliebe«, wenn der Mensch um der Furcht vor der Hölle oder Hoffnung auf den Himmel und nicht um Gottes willen fromm ist. Das ist aber schwer zu erkennen, noch schwerer loszuwerden, und alles beides kann nicht geschehen, es sei denn durch Gnade des heiligen Geistes.

Nun ist hier darauf zu merken, daß der Prophet viererlei Untugend nennet: Ungerechtigkeit, Missetat, Sünde, Betrug. Will man unterscheiden, so ist »Ungerechtigkeit«, daß der Mensch vor Gott nicht fromm ist, beraubt dessen, das er haben soll (das ist Frömmigkeit und gute Werke). Das ist der erste Schaden. Der andere ist »Missetat«. Das sind die bösen Werke, die da als der zweite Schaden aus dem ersten folgen, gleichwie aus Armut Stehlen oder Ehebrechen, Verraten und dergleichen folgen kann. Und zu dieser Ungerechtigkeit gehören auch die guten Werke, die geschehen, wenn die wahre Frömmigkeit, die aus Gnade geboren wird, verkümmert ist oder ganz fehlt. Der dritte, »Sünde«, ist das Böse der Natur, das da geblieben ist und allezeit bleibt, wenn die Missetat und Ungerechtigkeit geschieht. Sie ist die böse Lust, Liebe, Furcht, uns angewachsen und angeboren, welche zu den ersten zweien reizet, und eine bleibende Sünde in dieser Zeit ist. Sie wäre an sich selbst tödlich, wenn Gott sie nicht aus Gnade denen nicht zurechnete, denen sie leid ist und die begehren, davon frei zu werden. Darum sagt er (der Psalmist), daß Gott dieselbe nicht zurechnet, als spräche er: sie ist da, aber Gott rechnet sie aus Gnade nicht. Darum ist sie alle Tage da und wird in dem Augenblick tödlich, wenn der Mensch hoffärtig wird und nicht darüber ohne Unterlaß Leid trägt. Und darum ist sie ein Betrug und eine raffinierte Täuschung für alle die, welche sich in guten Werken üben und sich rechtschaffen dünken, welche meinen, sie seien nun rein, und nicht glauben, daß Gottes Güte ihre Unreinigkeit (nur) aus Gnade nicht zurechne.

3. Denn da ichs wollte verschweigen. Das ist: ich wollte solche Sünde nicht wissen noch kennen und meinte, ich wäre fromm, sah solche Falschheit nicht.

Verschmachteten meine Gebeine durch mein täglich Heulen. Das ist: ich hatte keinen Frieden, und immer ein schweres, böses Gewissen, das mich schwach und elend machte und keine Ruhe ließ, weil ich die Sünde nicht bekannte noch Gnade suchte.

4. Denn deine Hand war Tag und Nacht schwer auf mir. Das machte mein böses Gewissen, welches mir eitel Zorn Gottes vor Augen stellte, als stehe er mit einer Keule über mir, daher kein Friede im Herzen sein kann.

Mein Saft vertrocknete wie im Sommer. Sela. Denn solche Last verdorret Herz, Mut und Sinn, daß der Mensch auch am Leibe abnimmt.

[Martin Luther: Die Sieben Bußpsalmen (1525). Zeno.org: Martin Luther: Werke, S. 3218-3223
Wer sich nur nach dem, was er fühlt, richtet, der verliert Christus. (Martin Luther)

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Die Sieben Bußpsalmen (1525)

Der zweite Bußpsalm

Psalm 32

5. Darum tue ich kund meine Sünde. Nun merke ich, daß es nichts Besseres gibt, als vor dir bekennen, daß eitel Sünde mit mir ist und nichts Gutes, auf daß allein deine Gnade gepriesen und begehrt werde, und aller Trotz und Zuversicht auf (eigenes) Verdienst und gute Werke aufhöre.

Und verhehle meine Missetat nicht: wie es die tun, denen die List im Geist eine betrügliche Zuversicht macht, daß sie auch sich selbst ohne Furcht rechtfertigen, entschuldigen dürften. Und darüber geraten sie in Streit mit anderen Leuten, fallen in Hoffart, Zorn, Haß, Ungeduld, Richten und (böse) Nachreden, werden um ihrer »Unschuld« willen erst recht schuldig und wollen in dem allen dennoch recht und gut getan und billig gehandelt haben. Die verbergen ihre Bosheit tief, denn sie sehen ihre Frömmigkeit an und bekennen Gott ihre Sünde nicht wahrhaftig und ohne inwendige Arglist ihres Geistes. Aber die rechten Menschen verbergen ihre Bosheit nicht, zürnen nicht, werden nicht ungeduldig, ob man ihnen (auch) unrecht tue. Denn sie meinen nicht, daß man ihnen unrecht tun könnte, da sie keine Gerechtigkeit bei sich finden. Und das sind die Seligen, denen Gott ihre Ungerechtigkeit erläßt und verneint, deshalb weil sie die bekennen. Und weil sie ihre Sünde nicht bedecken oder verbergen, so bedecket und verbirget sie Gott.

Ich sprach. Das ist: nun sehe ich, daß man so sagen und tun muß, es will und kann nicht anders sein. Als sollte er sagen: so gnädig bist du, so gerne hörst du wahres Bekenntnis und demütige Beichte, daß du auch alsbald tröstest und erhebest, sobald der Mensch sich vornimmt, sich zu demütigen. Sobald er sich als einen Sünder erkennet und dirs klaget, alsobald ist er gerecht und angenehm vor dir.

Ich will dem Herrn meine Übertretung bekennen wider mich. Das ist: ich will mich selbst schelten, so lobet mich Gott. Ich will mich schmähen, so ehret mich Gott. Ich will mich verklagen, so entschuldigt mich Gott. Ich will wider mich reden, so wird Gott für mich reden, ich will meine Schuld sagen, so wird er mein Verdienst sagen, wie er Maria Magdalena im Hause Simons des Aussätzigen tat (Luk. 7, 47-50).

Da vergabst du mir die Missetat meiner Sünde. Sela. Du vergabst, deshalb weil ich mir die Missetat meiner Sünde zugerechnet und bekannt habe.

6. Dafür werden alle Heiligen bitten zu dir. Das ist: darum werden sie heilig sein, daß sie ihre Bosheit dir klagen und um Gnade bitten, wohlgemerkt: vor dir. Denn ob sie auch vor den Menschen heilig scheinen, das achten sie nicht, sondern fürchten dein Gericht und wissen, daß ihre Heiligkeit vor dir nichts ist, sondern warten demütig deiner Gnade.

Zur rechten Zeit. Diese Zeit ist da, sooft der Mensch sich selbst erkennet, oder in der Zeit der Gnade. Denn dieselbe ist die gelegene Zeit zu bitten, wie der Prophet Jesaja 49, 8 sagt: »Ich habe dich erhöret in der angenehmen Zeit«, in welcher die Heiligen sind, wenn Gott sie anrühret und mit dem Licht der Gnade heimsucht.

Darum, wenn große Wasserfluten kommen. Das ist: der ist heilig, der so nicht auf seiner Heiligkeit steht, sondern auf dem Fels deiner Gerechtigkeit, die Christus ist. Auf diese ist ein jeglicher gegründet, der Ankläger, Strafer und Richter seiner selbst ist, wenn nun viele Anstöße und grausame Anfechtungen (über ihn) herfallen, gleich wie eine Sintflut mit Wasser, oder wenn man ihn um des demütigen Lebens willen verfolget.

Werden sie nicht an dieselben gelangen. Das ist: sie werden nicht an der Seele Schaden nehmen, wenn sie auch Leib und Leben lassen müßten.

7. Du bist mein Schirm. In allen diesen anstürmenden Wassern der Anfechtungen bist du mein Fels, darauf ich stehe, daß sie mich nicht ersäufen und verschlingen.

Du wollest mich vor Angst behüten. Das sind die Wasser, Anfechtungen allenthalben ringsherum.
Und mit Ruhm eines Erretteten mich umgeben. Sela. Das ist, daß ich von deiner Gnade rühme allenthalben und die Anfechtungen überwinde und fröhlich sei.

8. Ich will dir Verstand geben und dir den Weg weisen, den du wandeln sollst, auf den ich dich haben will. Du bittest, ich solle dich erlösen. Laß dirs nicht leid sein. Lehre du mich nicht, lehre dich auch nicht, überlaß dich mir. Ich will dir Meisters genug sein. Ich will dich den Weg führen, darauf du mir wohlgefällig wandelst. Dich dünkt, es sei verkehrt, wenn es nicht geht, wie du denkest. Dein Denken ist dir schädlich und hindert mich. Es muß nicht nach deinem Verstand gehen, sondern über deinen Verstand hinaus. Senke dich in Unverstand, so gebe ich dir meinen Verstand. Unverstand ist der rechte Verstand. Nicht wissen, wohin du gehest, das ist recht wissen, wohin du gehest. Mein Verstand macht dich ganz unverständig. So ging Abraham aus seinem Vaterland und wußte nicht, wohin (I. Mose 12). Er ergab sich in mein Wissen und ließ sein Wissen fahren und ist den rechten Weg an das rechte Ende gekommen. Siehe, das ist der Weg des Kreuzes. Den kannst du nicht finden, sondern ich muß dich führen wie einen Blinden. Darum sollst nicht du, nicht ein Mensch, nicht eine Kreatur (dich unterweisen), sondern ich, ich selbst will dir durch meinen Geist und Wort den Weg weisen, darauf du wandeln sollst. Nicht das Werk, das du dir erwählest, nicht das Leiden, das du dir erdenkest, sondern das, welches dir wider dein Erwählen, Denken, Begierden zukommt, da folge. Da rufe ich, da sei Schüler, da ist es Zeit. Dein Meister ist da gekommen. Da sei nicht ein Pferd oder unvernünftiges Tier. Folgst du mir und verläßt dich (auf mich), siehe alsdann:

Ich will dich mit meinen Augen leiten, will dich nicht lassen, du sollst nicht versinken, ich will dein nicht vergessen. Deine Augen sollen zu sein über dich, dieweil meine Augen offen sind über dich. Hast du nicht gelesen: »die Augen Gottes sind offen über die Frommen« (Ps. 34, 16). Und der Berg Moria heißt »der Herr siehet« (I. Mose 22, 14), ohne Zweifel, weil ich alleine es sehen soll, gleich wie ich allda Abraham versah, darinnen er sich gar nichts versah. Das ist in Kürze nicht anders als: einen rechten einfältigen Glauben und festes Vertrauen, Zuversicht, Hoffnung will Gott von uns haben. Darum wird mit diesen Worten »Glaube«, »Hoffnung«, »Demut«, »Geduld« nicht mit Namen, sondern mit dem, was dieser Tugenden Art und eigentliche Natur ist, ausgedrückt. Viele sind, die von Tugenden schreiben, (aber) mehr die Namen preisen, als ihre Natur aufzeigen.

9. Seid nicht wie Rosse und Maultiere, die nicht verständig sind. Das sind die, die mich nicht regieren lassen, sondern gleich wie die Tiere ihren Sinnen folgen, sofern sie etwas fühlen. Wo sie nichts fühlen oder spüren, folgen sie nicht, und verstehen den Geist nicht. Denn Pferde und Maultiere sind nicht geschaffen, daß sie die Dinge begreifen sollten, die nicht (mit den Sinnen) zu empfinden sind. Darum werden sie auch nicht davon zu Liebe oder zu Leid bewegt. Ebenso können die Menschen, die nichts weiter tun, lassen oder leiden wollen, als eben was sie ermessen und begreifen, fühlen, spüren können, nicht meines Verstandes Maß begreifen. Sie sind mit ihrer Vernunft den Pferden mit ihren Sinnen gleich, beide wandeln nicht weiter, als ihre Empfindung reicht. Welchen man Zaum und Gebiß muß ins Maul legen, wenn sie nicht zu dir wollen. Das heißt: ich mag nicht die, welche man mit Gesetzen wie die Tiere mit Zäumen zwingen muß, sondern die, welche mir frei und willig ohne Zwang des Gesetzes aus Geist und Liebe dienen.

10. Der Gottlose muß viel leiden. Das sind die, die sich selbst regieren, Gottes Regieren nicht leiden wollen, nicht anders wandeln als nach ihrem Gutdünken, und doch meinen, sie achten und ehren Gott aufs beste, sie seien die Gehorsamsten, die Frömmsten, die Richtigsten, deshalb weil sie eine gute Absicht hätten, und daß das recht sei, was ihre gute Absicht ergibt. Denen widerstrebt Gott allezeit, denn sie sind hoffärtigen Sinnes und Gottes Sinn sind sie nicht untertan. Darum müssen sie viel leiden und Plagen haben, und es ist ganz umsonst, ohne allen Verdienst und Trost. Denn die haben kein gutes Gewissen, sondern eitel Mühe und Arbeit in ihrem »guten« Leben, wozu sie das Gesetz und das schwere böse Gewissen treibt, wie die Rosse und Maultiere.

Wer aber auf den Herrn hoffet, den wird die Güte umfangen. Gleich wie jene das Gericht und der Zorn Gottes umbringet, wovon sie viel Unglück und nicht Glück haben, deshalb weil sie auf sich selbst stehen, ihre Hoffnung auf ihre eigene gute Meinung setzen, so umfängt die richtigen Menschen, die nicht auf sich selbst noch auf ihr Gutdünken hoffen, oder (sich darauf) sicher verlassen, die Güte, von der sie viel Gutes und Glück haben. Darum schließt (der Psalmist), indem er von denselben spricht:

11. Freuet euch des Herrn, ihr Gerechten, und seid fröhlich. Das heißt: die ihr auf Gott trauet, mögt euch auch in Gott freuen, die ihr nicht auf euch trauet noch euch (euer selbst) freuet, sondern an euch selbst verzweifelt und betrübt, euch selbst feind seid und keinen Gefallen an eurer Absicht habt.

Und rühmet alle, die aufrichtig sind von Herzen. Das ist: seid keck und mutig, erhebt euch, rühmet euch, habt ein Wohlgefallen, gleich wie ein Mensch, der rühmet. Denn das Herz, das richtig ist zu Gott und nicht auf sich selbst oder etwas anderes als Gott weggebogen, ist auf das ewige Gut gegründet und stehet (fest). Darum hat es im Überfluß, davon es rühmen, prahlen, prangen und trotzen kann, wie der Apostel 1. Kor. 1, 31 sagt: »Wer rühmen will, der rühme sich Gottes.« Aber die krummen Seelen, zu sich selbst hingebeuget mit falschem Gutdünken und betrüglicher guter Meinung (von sich), prahlen auf sich selbst und nicht in Gott.

[Martin Luther: Die Sieben Bußpsalmen (1525). Zeno.org: Martin Luther: Werke, S. 3223-3230
Wer sich nur nach dem, was er fühlt, richtet, der verliert Christus. (Martin Luther)

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Die Sieben Bußpsalmen (1525)

Der dritte Bußpsalm

Psalm 38

1. [Ein Psalm Davids, zum Gedächtnis.]
2. Herr, strafe mich nicht in deinem Zorn und züchtige mich nicht in deinem Grimm.
3. Denn deine Pfeile stecken in mir, und deine Hand drücket mich.
4. Es ist nichts Gesundes an meinem Leibe vor deinem Drohen und ist kein Friede in meinen Gebeinen vor meiner Sünde.
5. Denn meine Missetaten sind über mein Haupt gegangen, wie eine schwere Last sind sie mir zu schwer geworden.
6. Meine Wunden stinken und eitern vor meiner Torheit.
7. Ich gehe krumm und sehr gebückt, den ganzen Tag gehe ich traurig einher.
8. Denn meine Eingeweide verdorren ganz und ist nichts Gesundes an meinem Leibe.
9. Ich bin allzusehr zerstoßen und zerschlagen, ich heule vor Unruhe meines Herzens.
10. Herr, vor dir ist alle meine Begierde, und mein Seufzen ist dir nicht verborgen.
11. Mein Herz bebet, meine Kraft hat mich verlassen, und das Licht meiner Augen ist nicht bei mir.
12. Meine Liebsten und Freunde treten zurück und scheuen meine Plage, und meine Nächsten stehen ferne.
13. Und die mir nach dem Leben trachten, stellen mir nach, und die mir übel wollen, reden und dichten täglich Falschheit.
14. Ich aber muß sein wie ein Tauber, und höre nicht, und wie ein Stummer, der seinen Mund nicht auftut.
15. Und muß sein wie einer, der nicht höret, und der keine Widerrede in seinem Munde hat.
16. Denn ich harre, Herr, auf dich. Du, Herr, mein Gott, wirst erhören.
17. Denn ich denke: daß sie ja nicht sich über mich freuen! Wenn mein Fuß wankte, würden sie sich hoch rühmen wider mich.
18. Denn ich bin zu Leiden gemacht, und mein Schmerz ist immer vor mir.
19. Denn ich zeige meine Missetat an und sorge wegen meiner Sünde.
20. Aber meine Feinde leben und sind mächtig, und die mich ohne Schuld hassen, derer ist viel.
21. Und die mir Gutes mit Bösem vergelten, sind mir entgegen, darum daß ich dem Guten nachjage.
22. Verlaß mich nicht, Herr! Mein Gott, entferne
dich nicht von mir.
23. Eile, mir beizustehen, Herr meines Heils.

Dieser Psalm malet aufs allerklarste die Weise, Wort, Werke, Gedanken und Gebärden eines wahrhaft reuigen Herzens ab.

2. Herr, strafe mich nicht in deinem Zorn. Hier wird die Strafe mit Worten gemeint, wie man einen Übeltäter schilt.

Und züchtige mich nicht in deinem Grimm. Das geschieht mit Werken, wie in Ps. 2, 5 gesagt ist: »Dann wird er reden zu ihnen in seinem Zorn« (das heißt, strafen im Zorne) »und mit seinem Grimm wird er sie erschrecken«, das heißt, mit der Tat und den Werken strafen.

3. Denn deine Pfeile stecken in mir. Die Worte Gottes, in welchen er in der Schrift schilt und drohet, das sind die Pfeile. Wer die fühlet, der schreiet: Herr, strafe mich nicht in deinem Zorn. Es fühlet sie aber niemand, außer dem, welchem sie ins Herz gesteckt werden und das Gewissen erschrecken. Das sind die (Gott) fürchtenden Menschen, denen sie Gott ins Herz schießt. Von denen aber, die (ihn) nicht fürchten, die verhärtet sind, fallen sie ab, gleichwie von einem harten Fels, und das geschieht so lange, wie die Worte (bloß) durch der Menschen Predigen gesagt werden ohne Mitwirken Gottes, und ohne daß er sie den Menschen ins Herz schießt.

Und deine Hand drücket mich. Das heißt: nicht allein dein zorniges Wort und Drohen gehen mir tief zu Herzen, sondern auch deine zornigen Taten sind stets über mir und drücken mich.

4. Und ist kein Friede in meinen Gebeinen vor meiner Sünde. Das heißt, wie im ersten Bußpsalm (Ps. 6, 3): Erbarme dich mein, denn ich bin schwach, denn das Fleisch ist zum Leiden schwach und krank und kann die Hand und die Taten der Strafe Gottes nicht tragen.

Es ist nichts Gesundes an meinem Leibe. Denn Gottes Zorn erschreckt so sehr, daß auch die Gebeine zittern, und Fleisch und Mark verschwindet.

Vor meiner Sünde. Vor der Erkenntnis meiner Sünde. Denn die Pfeile Gottes und seine zornigen Worte machen die Sünde im Herzen gegenwärtig. Und daraus entsteht inwendig Unruhe und Erschrecken des Gewissens und aller Kräfte der Seelen, und das macht den Leib ganz krank. Und wo es so stehet, da stehet es recht mit dem Menschen, denn so ist es Christus ergangen.

5. Denn meine Missetaten sind über mein Haupt gegangen. Das heißt: sie haben mich ganz zu Boden gedrückt und sind mehr und stärker, als ich bin. Das kommt von den Pfeilen (Gottes), die machen die Sünde so viel, so groß, so stark, daß der Mensch sich selbst davon weder helfen noch raten kann, sondern unten am Boden liegt.

Wie eine schwere Last sind sie mir zu schwer geworden. Das heißt: schwerer, als ich ertragen kann. Wie auch Ps. 65, 4 sagt: »Herr Gott, die Tat unserer Sünde hat uns überwältigt, du wollest gnädig sein unserer Ungerechtigkeit«, so tritt uns die Sünde mit Füßen, bis daß die Gnade kommt und die Sünde mit Füßen tritt und unser Haupt über sie erhebt, auf daß wir über sie und nicht sie über uns mächtig sei und regiere. Die aber in Sünden liegen, tot oder allzu heilig sind, fühlen dieser Dinge keines. Darum ists ein Wunderding: wer da keine Sünde hat, der fühlet und hat sie, und wer da Sünde hat, der fühlet sie nicht und hat keine. Denn es wäre nicht möglich, daß er über und wider die Sünde klagte, wenn er nicht in der Gerechtigkeit und der Gnade Gottes lebte. Denn ein Teufel jagt den andern nicht heraus, auch die Sünde verklagt ihresgleichen nicht, und ein Wolf verbellt den andern nicht. Und doch ist es unmöglich, daß er ohne Sünde sein sollte, der wider sie schreit. Denn er kann ja nicht mit erdichteten Worten vor Gott reden. Es muß wahr sein, daß er Sünde hat, wie er sagt, und doch (zugleich) auch wahr, daß er ohne Sünde sei. So wie Christus zugleich wahrhaftig lebendig und tot war, so müssen die zugleich voll Sünde und ohne Sünde sein, die rechte Christen sind.

6. Meine Wunden stinken und eitern. Gleich wie Wunden und Geschwüre am Leib faulen, eitern und stinken, so verderben auch die bösen Gebrechen der (menschlichen) Natur und werden stinkend, wenn man ihrer nicht täglich wartet und sie mit der Salbe der Gnade und mit dem Wasser des Wortes Gottes heilet. Nun gehen (die Menschen) sicher hin und nehmen dieser Gebrechen nicht acht, gerade als wären sie gesund, darum folget:

Vor meiner Torheit, d.h. vor der Gegenwärtigkeit (meiner Torheit). Denn die Weisheit ist Salz und Wasser, das die Wunden reiniget. Diese Weisheit ist nichts anderes, als gründliche Erkenntnis seiner selbst, wie Spr. 11, 2 sagt: »Wo Demut ist, da ist Weisheit.« Denn die Erkenntnis läßt nicht zu, daß der Mensch sich so verderben lasse. Die Torheit aber ist, wenn der Mensch sich selbst nicht sieht, sondern meint, er sei ganz gesund. Die Pfeile (Gottes) aber offenbaren diese Torheit, so daß der Mensch erkennet, wie blind er in der Erkenntnis seiner selbst gewesen sei. Darum ist der Sinn (dieser Worte der): da ich meine Torheit und meine mangelnde Selbsterkenntnis erkannte, da habe ich auch erkannt, wie meine Wunden kläglich verdorben und stinkend sind, was ich vorher in meiner Torheit nicht sah. Darum:

7. Ich gehe krumm und sehr gebückt, gleich wie ein Mensch, dem weh und übel zumute ist. Dessen äußere Erscheinung ist elend, er läßt den Kopf hängen und es gelüstet ihn nicht, das Haupt zu erheben, zu sehen, zu hören oder zu reden, sondern er schlägt auch seine Augen nieder.

Den ganzen Tag gehe ich traurig einher: Das sind rechte Zeichen gründlicher Reue über die Sünde, wie der Zöllner im Evangelium (Luk. 18, 13) seine Augen nicht aufzuheben wagte. Dem war wehe zumute, und er beugte sich nieder zur Erde, mehr mit dem Herzen als mit dem Leibe.

[Martin Luther: Die Sieben Bußpsalmen (1525). Zeno.org: Martin Luther: Werke, S. 3231-3237
Wer sich nur nach dem, was er fühlt, richtet, der verliert Christus. (Martin Luther)

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Die Sieben Bußpsalmen (1525)

Der dritte Bußpsalm

Psalm 38

8. Denn meine Eingeweide verdorren ganz. Das heißt: ich bin inwendig so voll Angst, daß ich möchte vor Durst sterben, so ausgedorrt macht mich solch Leiden, wie denn allen geschieht, die da großen Schrecken und Angst haben; Spr. 31, 6: »Gebt Wein den Betrübten« usw.

Und ist nichts Gesundes an meinem Leibe. Wie droben, daß der Leib solche Angst des Gewissens auch nicht ertragen kann, die Gebeine ebenfalls nicht.

9. Ich bin allzu sehr zerstoßen und zerschlagen: wie ein betrübtes Herz, das ist von solchem Schrecken des Gewissens ganz zerschlagen.

Ich heule vor Unruhe meines Herzens, gleich wie ein Löwe schreiet und brüllet. Das heißt: wenn das Herz so voll Leidens und Seufzens ist, daß es nicht an sich halten kann, so bricht es mit einem kläglichen Heulen heraus.

10. Herr, vor dir ist alle meine Begierde, und mein Seufzen ist dir nicht verborgen. Das heißt: meine Begierde ist so groß, daß ichs mit Worten nicht sagen kann. Ich weiß nicht zu bitten. Mein Herz, das siehst du. Was soll ich mehr sagen? Größer ist mein Leid, als mein Klagen sein kann. Das steht auch im ersten Bußpsalm (Ps. 6, 7): »Ich habe mich abgemüht mit meinem Seufzen.«

11. Mein Herz bebet. Das sind alles Zeichen eines großen Schreckens, wenn das Herz vor dem großen Zorn Gottes pocht und zittert.

Meine Kraft hat mich verlassen. Das heißt: alle meine Kraft ist dahin, und ich bin in allen Dingen matt und verzaget. So spricht auch Christus in Ps. 22, 15 f.: »Mein Herz ist gleich wie ein fließendes Wachs, und meine Kraft verdorret.« Das machen alles die Pfeile (Gottes), die wirken diesen inwendigen Jammer.

Und das Licht meiner Augen ist nicht bei mir. Das ist: mein Angesicht ist nicht licht und fröhlich, sondern sieht sauer, betrübt und finster.

12. Meine Lieben und Freunde treten zurück und scheuen meine Plage. Das heißt: auch meine Freunde scheuen vor mir zurück, so daß sie meinen Jammer fliehen, wie er anderswo sagt. Meine Verwandten fliehen vor mir, denn sie erschrecken vor dem Zorn Gottes an mir, daß sie mich auch nicht zu trösten wagen.

Und meine Nächsten stehen ferne. Sie sehen zu, wo es hinaus will, und nehmen sich meiner nicht an, um der Furcht willen, daß sie durch die Tyrannen, die mich verfolgen, auch mit gestraft werden.

13. Und die mir nach dem Leben trachten, stellen mir nach. Da zeigt er, woher sein Leiden kommt: nämlich daß er äußerlich von den Tyrannen und Bösen um Gottes Worts und Rechts willen angetastet wird. Und davor erschrickt er inwendig und fürchtet sich vor Gottes Zorn. Da kommen alle alten Sünden hervor, die er sonst nie gefühlet noch gedacht hat, und die hinfällig geworden sind, denn kein Unglück (kommt) alleine.

Und die mir übel wollen, reden und dichten täglich Falschheit. Das heißt: sie greifen mich mit Lügen und falscher Klage an und erdichten Sachen gegen mich, um mich umzubringen.

14. Ich aber muß sein wie ein Tauber, und höre nicht, und wie ein Stummer, der seinen Mund nicht auftut. Das ist: ich muß sie recht haben lassen und stille schweigen wie ein Stock, denn meine Rede und Antwort gilt und hilft nicht.

15. Und muß sein wie einer, der nicht höret, und der keine Widerrede in seinem Munde hat. Darüber hinaus muß ich sie auch ungestraft lassen und den Mund halten und muß unrecht haben. Denn sie hören nicht, toben und lassen sich nichts sagen.

16. Denn ich harre, Herr, auf dich. Du Herr, mein Gott, wirst antworten. Das sind Worte eines feinen, festen Glaubens, der zur Zeit der Not alles fahrenläßt und sich an Gottes Wort und Gnade hält und nicht zweifelt, Gott erhöre ihn und werde ihm helfen. Dennoch bestimmt er ihm keine Zeit noch Weise, sondern sagt einfach: du wirst mir wohl antworten, ich will hoffen und nicht (damit) aufhören.

17. Denn ich denke: Daß sie ja nicht sich über mich freuen! Wenn mein Fuß wankte, würden sie sich hoch rühmen wider mich. Meine Sorge ist gewesen und ich habe bei mir gedacht: O wollte Gott, daß sie nicht an mir Freude erlebten, daß sie nicht schließlich recht behielten, sondern daß sie (wie im ersten Bußpsalm, Ps. 6, 2) zuschanden würden und sich schämen müßten.

Fußwanken, das ist unterliegen und nicht stehen bleiben, soll also bedeuten: Darum hoffe ich auf dich, denn die Not zwinget mich. Wenn sie gewännen, müßte ich ewiglich ihr Spott sein und würden sie recht haben. Davor sorge ich mich und davor ist mir bange. Denn dann würde auch dein Wort zum Spott werden müssen. Dieser Vers zeigt an, wie ein leidender Mensch sich sorgt und sich bekümmert, daß die Gottlosen so hochmütig einherfahren und meinet, sie würden so fortfahren, daß es ganz mit ihm aus sei. Aber Gott läßt es nicht geschehen, sondern wenn sie emporkommen, daß sie meinen, sie habens (erreicht), so stürzt er sie und macht damit die Gerechten wieder fröhlich.

18. Denn ich bin zu Leiden gemacht, und mein Schmerz ist immer vor mir. So spricht und denkt ein Herz, das viel leiden muß, immer eins über das andere: Ei, lieber Gott, ist doch kein Aufhören des Leidens, gehet eins weg, so fängt das andere an, ich sehe wohl, ich bin zum Leiden gemacht und muß immer Jammer vor mir haben, Ps. 34, 20: »Der Gerechte muß viel leiden, aber Gott hilft ihm aus dem allen.«

19. Denn ich zeige meine Missetat an. Das heißt: solch Leiden ist auch nicht ungerecht. Denn mein alter Adam muß dadurch von seinen Sünden gereinigt und getötet werden.

Und sorge wegen meiner Sünde. Das bedeutet, wie im vierten, dem nächstfolgenden Bußpsalm (Ps. 51, 5): meine Sünde ist mir allezeit vor meinen Augen und meine Sünde will ich bekennen. Das ist der gleiche Sinn wie in diesem Vers auch. Wie nun die Weisen, Gerechten, Heiligen, Hoffärtigen dazu gemacht sind, Friede und Ruhe, Bequemlichkeit und Ehre aufzunehmen und vor ihren Augen nichts haben, was sie betrübt oder ihnen schmerzlich ist, sondern (nur, was) ihnen selbst angenehm und wohlgefällig ist, denn sie verbergen ihre Sünde und verkünden sie nicht, denken auch nicht daran, sondern allein an ihre Frömmigkeit und anderer Leute Sünde, wie der nachfolgende Vers sagt. So ist ein auf rechtem Grund stehender Mensch ganz anders beschaffen, wie diese zwei Verse besagen. Denn so sagt auch der Apostel Paulus Röm. 7, 23, daß Sünde in ihm wohne, und daß er in Sünden gefangen liege, obwohl er doch nichts Übles, sondern ausgenommen viel Gutes tat. Auch Christus gebietet allen den Seinen, sie sollen ihre Seelen hassen. Nun ist doch nichts als allein die Sünde zu hassen. Wie kommen denn die Sünden in die Frommen, daß sie die hassen sollen? Denn er sagt nicht (vgl. Luk. 14, 26), daß sie allein die vergangenen Sünden hassen sollen, die nun vergeben und gebüßt sind, sondern »die Seele und das Leben«, die ohne Zweifel (doch) noch in ihnen sind. Diese Sünden achten die hoffärtigen Heiligen ganz für nichts und gehen sicher daher und sagen: es sind alltägliche Sünden, und nicht wider das Gebot Gottes. Wenn das wahr ist, warum fordert er sie denn auf, sie zu hassen, und klagt der Apostel Röm. 7, 23, er sei darinnen gefangen? Denn gegen die alltäglichen Sünden ist kein Gebot gegeben und sie nehmen auch niemand gefangen, wie sie behaupten.

20. Aber meine Feinde leben und sind mächtig, und die mich ohne Schuld hassen, derer ist viel. Das heißt: ich leide viel und es gehet mir schlecht. Aber meinen Feinden gehet es gut, wie es Jer. 12, 1 und Hab. 1, 2 ff. beschreiben. Denn »leben« bedeutet hier »gute Tage haben« und »wohl leben«. Sie sind mächtig und stark, ich werde ohne Unterlaß niedergedrückt. Sie sind in Ehren, ich in Schmach, sie in Frieden, ich in Unfrieden. Sie mehren sich und haben ihrer viele, die ihnen wohlgesinnt sind, die sie loben, die es mit ihnen halten. Ich bin allein verlassen und niemand hälts mit mir oder ist mir wohlgesinnt. So ganz ungleich und anders steht ein rechter wahrer Heiliger im Vergleich zu den glänzenden und falschen, sich selbst betrügenden Heiligen da.

21. Und die mir Gutes mit Bösem vergelten, sind mir entgegen, darum daß ich dem Guten nachjage. Die Selbstweisen und sich selbst Rechtfertigenden können nicht anders, als Böses für Gutes zurückgeben. Denn die rechte Lehre, die man ihnen gibt und die ihnen das Beste saget und ihnen zum Besten dienet (was doch eine gute Sache ist), verfolgen sie und geben Haß und Marter dafür. Dazu verdächtigen sie alle und reden denen Böses nach, die das Gute suchen und ihm folgen. Das macht, daß dieses Gute nicht offenbar, sondern unter dem Kreuz und im Zunichtewerden, in Gott verborgen ist. Sie aber wollen nicht in ihrem Leben und guten Ansehen zunichte werden. Sie wollen auch etwas sein oder wollen zürnen und Unglück anrichten, und vermeinen, doch dabei dem Guten zu folgen. Es ist aber wahrhaftig das Böse und Verderben ihrer selbst. Davon weicht der Fromme und wird darum von ihnen verdächtigt.

22. Verlaß mich nicht, Herr! Mein Gott, entferne dich nicht von mir. Ich bin ein Einsamer, von allen verlassen und verachtet, darum nimm du mich auf und verlaß mich nicht. Gottes Natur ist, daß er aus nichts etwas macht. Darum: wer noch nicht nichts ist, aus dem kann Gott auch nichts machen. Die Menschen aber machen aus etwas ein anderes. Das ist aber ein eitel unnützes Werk. Darum nimmt Gott nichts auf außer den Verlassenen, macht nichts gesund außer den Kranken, macht nichts sehend außer den Blinden, macht nichts lebendig außer den Toten, macht nichts fromm außer den Sündern, macht nichts weise außer den Unweisen, kurz, er erbarmt sich keines außer den Elenden, und gibt niemand Gnade außer denen, die in Ungnade sind. Deshalb kann kein hoffärtiger Heiliger, Weiser oder Gerechter an Gott Anteil erlangen, sondern er bleibt in seinem eigenen Werke und macht einen erdichteten, scheinbaren, falschen, gefärbten Heiligen aus sich selber, das heißt: einen Heuchler.

23. Eile, mir beizustehen, Herr meines Heils. Eile du, mir zu helfen, denn alle andern eilen, mich zu verderben. Denn Gottes Hilfe ist da nicht, wo Menschen Hilfe ist, sondern nur da, wo Menschen einander oder sich selbst verfolgen. Denn Gott ist nicht ein Vater der Reichen, sondern der Armen, Witwen und Waisen. Die Reichen hat er leer gelassen. »O Gott meines Heils«, das bedeutet: daß ich kein Heil noch Hilfe weder bei mir selbst noch bei jemand anders suche, als bei dir alleine. So auch Ps. 4, 2, der »Gott meiner Gerechtigkeit«, das heißt, der sie gibt, hat mich erhöret. Die Hoffärtigen aber haben Heil, Hilfe und Genüge von und an sich selbst. Ihre Hilfe ist nicht Gottes Hilfe. Sie haben sie für sich selbst bereit, deshalb weil sie nicht verdammt sind noch sein wollen.

[Martin Luther: Die Sieben Bußpsalmen (1525). Zeno.org: Martin Luther: Werke, S. 3237-3245
Wer sich nur nach dem, was er fühlt, richtet, der verliert Christus. (Martin Luther)

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Die Sieben Bußpsalmen (1525)

Der vierte Bußpsalm

Psalm 51

1. [Ein Psalm Davids, vorzusingen;
2. da der Prophet Nathan zu ihm kam, als er war zu Bath-Seba gegangen.]
3. Gott, sei mir gnädig nach deiner Güte, und tilge meine Sünden nach deiner großen Barmherzigkeit.
4. Wasche mich wohl von meiner Missetat, und reinige mich von meiner Sünde.
5. Denn ich erkenne meine Missetat, und meine Sünde ist immer vor mir.
6. An dir allein habe ich gesündigt und übel vor dir getan, auf daß du recht behaltest in deinen Worten und rein bleibest, wenn du gerichtet wirst.
7. Siehe, ich bin aus sündlichem Samen gezeuget, und meine Mutter hat mich in Sünden empfangen.
8. Siehe, du hast Lust zur Wahrheit, du lässest mich wissen die heimliche Weisheit.
9. Entsündige mich mit Ysop, daß ich rein werde; wasche mich, daß ich schneeweiß werde.
10. Laß mich hören Freude und Wonne, daß die Gebeine fröhlich werden, die du zerschlagen hast.
11. Verbirg dein Antlitz von meinen Sünden, und tilge alle meine Missetat.
12. Schaffe in mir, Gott, ein reines Herz, und gib mir einen neuen, gewissen Geist.
13. Verwirf mich nicht von deinem Angesicht, und nimm deinen heiligen Geist nicht von mir.
14. Tröste mich wieder mit deiner Hilfe, und mit einem freudigen Geist rüste mich aus.
15. Ich will die Übertreter deine Wege lehren, daß sich die Sünder zu dir bekehren.
16. Errette mich von den Blutschulden, Gott, der du mein Gott und Heiland bist, daß meine Zunge deine Gerechtigkeit rühme.
17. Herr, tue meine Lippen auf, daß mein Mund deinen Ruhm verkündige.
18. Denn du hast nicht Lust zum Opfer, ich wollte es dir sonst wohl geben, und Brandopfer gefallen dir nicht.
19. Die Opfer, die Gott gefallen, sind ein geängsteter Geist; ein geängstetes und zerschlagenes Herz wirst du, Gott, nicht verachten.
20. Tue wohl an Zion nach deiner Gnade, baue die Mauern zu Jerusalem.
21. Dann werden dir gefallen die Opfer der Gerechtigkeit, die Brandopfer und ganzen Opfer; dann wird man Farren auf deinem Altar opfern.

3. Gott, sei mir gnädig nach deiner Güte. Einem wahrhaft reuigen Herzen steht nichts vor Augen, als seine Sünde und (sein) Elend im Gewissen. Deshalb kann der diese Worte nicht mit wirklichem Ernst sprechen, der noch etwas an Rat oder Tat in sich findet, weshalb er noch nicht ganz elend ist, sondern außerhalb von Gottes Barmherzigkeit ein Tröstlein in sich selber fühlet. Der Sinn (des Verses) ist nun der: ach Gott, kein Mensch noch Kreatur kann mir helfen noch (mich) trösten, so groß ist mein Elend, denn nicht leiblich noch zeitlich ist mein Schade. Darum kannst du, der du Gott bist und ewig, mir allein helfen. Erbarme du dich meiner. Denn ohne dein Erbarmen sind mir alle Dinge schrecklich und bitter.

Und tilge meine Sünden nach deiner großen Barmherzigkeit. Das sind alles Worte einer gründlichen Reue, die da die Gnade Gottes groß und viel macht, indem sie ihre Sünde groß und viel macht, so wie der Apostel sagt: »Wo die Sünden groß sind, da ist die Gnade auch groß« (Röm. 5, 20). Darum schmeckt die Gnade den Hoffärtigen nicht gut, denn ihnen schmecken ihre Sünden noch nicht übel.

4. Wasche mich wohl von meiner Missetat, und reinige mich von meiner Sünde. Vorher hat er nach Menschen Weise zuerst um Gnade und Ablaß für die getanen Sünden gebeten und darum, ein anderes Leben anzufangen. Nun bittet er fast bis an des Psalmes Ende immer dringlicher, daß ihm immer mehr und mehr (die Sünde) abgewaschen und (er von ihr) gereinigt werde. Denn die erste Gnade ist ein Anfang des Waschens und Reinigens. In dieser Gnade (bleiben) die nicht bestehen, ja gehen wieder zurück, welche allein wirklich äußerliche Sünde ansehen und dabei unter Verlust der Gnade verharren und ärger werden als vorher, obwohl sie das nicht sehen und meinen. Nun ists mit uns so, daß Adam ausgehen und Christus eingehen muß, Adam muß zunichte werden, und Christus allein regieren und sein. Deshalb ist des Waschens und Reinigens in dieser Zeit kein Ende. Denn Adam, der uns angeboren ist, macht auch unsere guten Werke, die wir in dem (in uns) anfangenden und zunehmenden (neuen Leben) tun, zu Sünde und zunichte, wenn Gott nicht die angefangene Gnade und das Abwaschen (der Sünden) ansieht.

5. Denn ich erkenne meine Missetat, und meine Sünde ist immer vor mir. Das ist der Unterschied zwischen den wahren Heiligen und den scheinbaren Heiligen, daß sie ihre Gebrechen sehen: daß sie nicht sind, was sie sein sollen und wollen. Und darum verurteilen sie sich selbst, und kümmern sich nicht um die andern. Die andern aber erkennen ihre Gebrechen nicht und meinen, sie seien nun, was sie sein sollen, vergessen allzeit ihrer selbst, sind Richter über die Frevel anderer Menschen. Diese verkehren den Psalm folgendermaßen: Ich erkenne die Gebrechen der andern, und die Sünden der andern sind allezeit vor meinen Augen, deshalb, weil sie ihre Sünde auf dem Rücken haben und den Balken in ihren Augen (vgl. Matth. 7, 4 f.).

6. An dir allein hab ich gesündigt und übel vor dir getan. Das ist der Vers, der da lehrt, unsere äußerlich guten Werke gründlich für nichts zu achten, der Menschen Lob und Ehre dafür nicht zu glauben. Denn sie geschehen in Unreinigkeit und Gebrechlichkeit, und werden auch nicht vor Gott für gut gehalten, es sei denn, daß wir sie so (d.h. als unrein und gebrechlich) bekennen.

Auf daß du recht behaltest in deinen Worten, und rein bleibest, wenn du gerichtet wirst. Was ist das? Kann Gott nicht gerechtfertigt sein, wir seien denn Sünder? Oder wer richtet Gott? Daß Gott in sich selbst und in seiner Natur von niemand gerichtet oder gerechtfertigt werde, ist offenbar. Denn er ist die ewige, beständige, wesenhafte und nimmer wandelbare Gerechtigkeit selbst und in allen Dingen der oberste Richter. Aber in seinen Worten und Werken geschieht ihm von den sich selbst rechtfertigenden und von sich eingenommenen Menschen ein stetiges Widersprechen, Widerstreben, Richten, Verdammen. Und es ist zwischen ihm und denselben um seiner Worte und Werke willen ohne Unterlaß ein heftiger Gerichtshandel. Darum ists ebensoviel gesagt: daß du in deinen Worten gerechtfertigt werdest, wie: dass deine Worte als gerechtfertigt und wahrhaft erfunden und erkannt werden.

Nun ist uns jetzt nicht möglich, alle die Worte aufzuzählen, die der Hoffärtigen Widerspruch erfahren. Wir wollen sie alle auf einen Haufen nehmen, und zwar so: alle Schrift und Worte Gottes weisen auf Christi Leiden hin, wie er selbst Luk. 24, 46 f. bezeugt, daß die Schrift nichts anderes enthält als Verheißung von Gnade und Ablaß der Sünde durch das Leiden Christi, so daß wer an ihn glaubt, und niemand anders, selig werde. Dieser Wahrheit und Christi Leiden und (dem) Glauben widerstreben alle die, welche nicht Sünder sein wollen und insbesondere die, deren Leben angefangen hat. Die wollen nun nicht meinen, daß sie Sünder sind, und seufzen nicht sehr nach Christus, obwohl doch Gott in allen seinen Worten verheißen hat, daß Christus um der Sünde willen sterben werde.

Darum: wer da nimmer sich für einen Sünder halten und gehalten werden will, der will Gott zu einem Lügner machen und sich zur Wahrheit, was die schwerste Sünde und Abgötterei über alle Abgöttereien ist. Deswegen steht 1. Joh. 1, 8: »So wir sagen, daß wir nicht Sünde haben, so verführen wir uns selbst, und die Wahrheit ist nicht in uns«, ebenso 1. Joh. 1, 10: »So wir sagen, daß wir nicht sündigen, so machen wir Gott zu einem Lügner, und sein Wort ist nicht in uns.« Deshalb sagt hier der Prophet: auf daß mir diese grausame Sünde der Hoffart nicht komme, so bekenne ich, daß ich vor dir ein Sünder bin und nichts Gutes tue, auf daß du mit Wahrheit bestehest und Recht behaltest und auch alle überwindest, die mit dir zanken und sich (selbst) rechtfertigen, indem sie dich in deinen Worten richten. Denn Gott wird doch zuletzt recht behalten und überwinden, entweder hier im Guten oder dort im Ernst, und (es) wird (uns) nichts helfen, ob wir vor den Menschen oder vor uns selbst gerechtfertigt sind. Denn davon muß man die Augen abkehren und mit Furcht warten, was Gott davon hält.

[Martin Luther: Die Sieben Bußpsalmen (1525). Zeno.org: Martin Luther: Werke, S. 3246-3252
Wer sich nur nach dem, was er fühlt, richtet, der verliert Christus. (Martin Luther)

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Die Sieben Bußpsalmen (1525)

Der vierte Bußpsalm

Psalm 51

7. Siehe, ich bin aus sündlichem Samen gezeuget, und meine Mutter hat mich in Sünden empfangen. Siehe, so wahr ists, daß ich vor dir ein Sünder bin, daß sogar meine Natur, mein Wesen von Anfang an, meine Empfängnis Sünde ist, geschweige denn die Worte, Werke und Gedanken und das nachfolgende Leben. Wie sollt ich ohne Sünde sein, da ich in Sünden gezeugt bin, und Sünde meine Natur und Art ist. Ein böser Baum bin ich und von Natur ein Kind des Zorns und der Sünde. Darum: so lange wie diese Natur und (dieses) Wesen in und an uns bleibt, so lange sind wir Sünder und müssen sagen: Vergib uns unsere Schuld usw., bis daß der Leib sterbe und untergehe. Denn Adam, der muß sterben und verwesen, ehe denn Christus ganz erstehe. Und das fängt an mit dem bußfertigen Leben und wird zu Ende gebracht durch das Sterben. Darum ist der Tod allen denen ein heilsames Ding, die an Christus glauben. Denn er tut nichts anderes, als daß er alles verwesen und zu Staub werden läßt, was aus Adam geboren ist, auf daß Christus allein in uns sei.

8. Siehe, du hast Lust zur Wahrheit. Das bedeutet: die äußerliche Gerechtigkeit und in die Augen fallende Frömmigkeit ist lauter Betrügerei ohne Grund und Wahrheit, weil sie die innerliche Sünde (ver)deckt und nur ein (Zerr)bild der eigentlichen, wahren Gerechtigkeit ist. Derselben bist du, (Gott), feind, aber die Menschen lieben sie. Darum liebst du die innere Wahrheit, sie aber die äußere Falschheit, du das Eigentliche, sie den Schein. Darum sprechen sie nicht: vor dir bin ich ein Sünder.

Du lässest mich wissen die heimliche Weisheit. Die Weisheit Gottes wird den Hoffärtigen nur dem äußeren Schein nach offenbart, aber den Demütigen wird sie der inwendigen Wahrheit und dem verborgenen Wesen nach aufgezeigt. Das Äußere dieser Weisheit besteht nun darin, daß der Mensch meinet, mit viel Worten, Gedanken, Werken Gott zu dienen und nahezukommen, alles dem äußerlichen Schein nach, der einem jeglichen Menschen offenbar und zu tun möglich ist, wie denn der Gebärden und Weisen viele sind. In diesem allen suchet man Gott, aber ganz von der falschen Seite her und äußerlich. Inwendig kennen sie ihn weniger als alle anderen, deshalb weil sie sich selbst suchen und Gott mit denselben Maßstäben zu erkennen und nahezukommen suchen usw.

Das Innerliche aber und Verborgene dieser Weisheit ist nichts anderes, als sich (selbst) von Grund auf erkennen, und so sich selbst hassen und alle Gerechtigkeit nicht bei sich, sondern bei Gott suchen, allzeit an sich selbst Überdruß empfinden und sich nach Gott sehnen, das heißt Gott demütig lieben und sich selbst verlassen. Diese innere unbekannte Gerechtigkeit wird mit allen äußeren Zierden, Weisen, Worten, Werken, in welchen die Hoffärtigen verbleiben und verharren, nur angedeutet. Darum hasset sie Gott, der den Grund und die Wahrheit lieb hat, weil sie den Schein und die Heuchelei lieb haben.

9. Entsündige mich mit Ysop, daß ich rein werde; wasche mich, daß ich schneeweiß werde. Das heißt: das äußerliche Waschen der Hände und der Füße nach dem Gesetz macht mich nicht weiß, sondern verführt mit seinem (falschen) Scheine die, welche nicht wissen, was (eigentlich) damit gemeint ist, welches die rechte wahre Weisheit ist. Wie nun das Besprengen mit Ysop und das äußerliche Waschen mit Wasser zu der inneren Waschung und Besprengung nichts nütze ist, sondern allein ein Abbild und bloßes Zeichen, so auch alle anderen äußerlichen Weisen und Gebärden. Sie wollen nichts anderes (zum Ausdruck bringen), als daß Gott auf die gleiche Weise innerlich mit der Gnade des heiligen Geistes sprenge, wasche, wirke, rede, pflanze usw. So haben die alten, lieben Väter die Bildrede des Alten Testaments angesehen und darunter das Innerliche und Verborgene des wahren Verstandes und der Weisheit Gottes verstanden.

10. Laß mich hören Freude und Wonne. Das heißt: aller Wandel und Handel in äußerlicher Gerechtigkeit vermag mein Gewissen nicht zu trösten und (die) Sünde wegzunehmen. Neben und über allem (eigenen) Wirken und guten Werken bleibt das verzagte und erschrockene, furchtsame Gewissen, so lange, bis du mich mit Gnaden besprengst und abwäschst und mir so ein gutes Gewissen machst, daß ich dein geheimes Zuraunen höre: »dir sind deine Sünden vergeben« (Matth. 9, 2). Das wird niemand gewahr, außer dem, der es hört. Niemand sieht es, niemand begreift es. Es läßt sich hören, und das Hören macht ein getrostes, fröhlich Gewissen und Zuversicht gegen Gott.

Daß die Gebeine fröhlich werden, die du zerschlagen hast. Die Gebeine, die des sündigen Gewissens halber gleichsam müde und zerknirscht werden, die freuen sich und werden erquicket, wenn das Gewissen die Freude der Sündenvergebung höret. Denn die Sünde ist eine schwere, betrübende, angstmachende Bürde und kann doch durch die äußeren Werke des Menschen nicht weggenommen werden, sondern allein durch das innerliche Werk Gottes.

11. Verbirg dein Antlitz von meinen Sünden. Das heißt: habe nicht gestrenge Acht auf meine Werke, denn sie sind alle Sünde, wenn du sie vor dein Angesicht und Gericht stellst. Darum sagt er (der Psalmist) nicht: Wende meine Sünde von deinem Angesicht ab, gerade als wären etliche Werke, die Gottes Angesicht ertragen könnten, so daß er allein die Sünde wegnehmen und die guten (Werke) bleiben lassen solle. Sondern Gott muß sein Angesicht abkehren, damit die Werke und wir bestehen und bleiben können. Das bedeutet: er rechnet aus Gnade nicht an, was von Natur wohl Sünde wäre, wie es in Ps. 32, 1 heißt: »Wohl dem, dem die Übertretungen vergeben sind.«

Und tilge alle meine Missetat. Das heißt: was noch nicht da ist an Gerechtigkeit, vergib mir, wie ich dich gebeten habe, daß du von dem Bösen, das noch da ist, dein Angesicht abkehren möchtest. Denn vor Gott haben alle unsere Werke, wie gesagt, das an sich, was sie nicht haben sollen, d.h. sie geschehen in Sünden, darinnen wir geboren sind. Und sie haben nicht, was sie haben sollen, d.h. ganze Lauterkeit, deren wir durch Adams Sünde beraubt sind.

12. Schaffe in mir, Gott, ein reines Herz. Reine Hände und schöne Worte sind dem äußeren Scheine nach leicht zu erlangen und in des Menschen Vermögen. Aber ein reines Herz, von der Liebe zu allen Dingen befreit, das ist des Schöpfers und göttlicher Gewalt Werk, so wie die Schrift (vgl. 1. Mose 6, 5; 8, 21; Röm. 3, 10 ff. usw.) sagt, daß niemand ein reines Herz habe. Deshalb sind alle vor Gott Sünder, dem das Herz offen steht, so wie vor dem Menschen die Hand oder die Werke offenbar sind. Im Herzen ist die Wahrheit, die Gott lieb hat, die innerliche Gerechtigkeit aber wird in diesem Leben nimmer voll erlangt und ist doch stetig zu suchen.

Und gib mir einen neuen, gewissen Geist. Ein krummer Geist ist der Geist des Fleisches und Adams, der in allen Dingen sich selbst zugewandt ist und das Seine sucht. Der ist uns angeboren. Der aufrichtige Geist ist der gute Wille, direkt zu Gott hin gerichtet, allein Gott suchend. Der muß von neuem geschaffen und von Gott in das Innerste unseres Herzens eingegossen werden, damit in unserm Geiste nicht ein Betrug sei, sondern aus ganzem (Herzens)grund Gottes Wille (von uns) lieb gehabt werde.

[Martin Luther: Die Sieben Bußpsalmen (1525). Zeno.org: Martin Luther: Werke, S. 3252-3257
Wer sich nur nach dem, was er fühlt, richtet, der verliert Christus. (Martin Luther)

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Der vierte Bußpsalm

Psalm 51

13. Verwirf mich nicht von deinem Angesicht, welches allen denen geschieht, die sich nicht (selbst) vor ihrem Angesicht verwerfen und gleichwohl nicht besorgen, daß sie von Gottes Angesicht verworfen werden. Ja, sie stellen sich vor Gottes Angesicht und erheben sich selbst, darum werden sie erniedrigt und verworfen, denn sie meinen, sie seien rein und fromm und erleuchtet und also unverwerflich. Diese aber fühlen und wissen, daß sie mit Recht ihrer Sünde halber verwerflich sind. Darum kommen sie (dem) mit Furcht zuvor und bitten das mit Demut ab, was die andern mit Heiligkeit gewonnen zu haben meinen.

Und nimm deinen heiligen Geist nicht von mir. Denn aus mir heraus bin ich verdorben, dein Geist muß mich heilig machen und erhalten. Ohne den heiligen Geist selbst ist auch keine Gabe oder Gnade vor Gott genug.

14. Tröste mich wieder mit deiner Hilfe. Denn durch Adam und die Sünde ist sie uns allen verloren und muß ohne Verdienst aus Gnade wiedergegeben werden, das heißt: gib mir wieder ein fröhlich, sicher Gewissen in deinem Heil.

Und mit einem freudigen Geist rüste mich aus, das ist: mit dem heiligen Geist, der da freiwillige Menschen macht, die Gott nicht aus Furcht vor Strafe oder aus unordentlicher Liebe dienen. Denn alle, die aus Furcht dienen, sind nicht beständig und fest, außer solange die Furcht währet, ja sie sind gezwungen und dienen ihm mit Widerwillen, so daß sie, wenn keine Hölle oder Strafe wären, gar nicht dienten. Ebenso sind auch die nicht beständig, die Gott aus Liebe zum Lohn oder Vorteil dienen. Denn wenn sie keinen Lohn wüßten, oder wenn der Vorteil fehlte, hören sie auch auf. Diese alle haben nicht Freude im Heil Gottes, auch nicht ein reines Herz, nicht einen richtigen Geist, sondern sie lieben sich mehr als Gott. Die aber Gott aus gutem, richtigem Willen dienen, sind fest im Dienst Gottes, es gehe hierhin oder dorthin, (es sei) süß oder sauer, denn sie sind mit einem adeligen, freiwilligen, fürstlichen, ungezwungenen Willen von Gott fest und beständig gemacht.

15. Ich will die Übertreter deine Wege lehren, daß sich die Sünder bekehren. Das heißt: ich will nun nimmermehr der Menschen Gerechtigkeit und Wege lehren, wie die Hoffärtigen tun, sondern den Weg der Gnade und deiner Gerechtigkeit. So kommen die Sünder zu dir und werden wahrhaft bekehrt. Denn durch der Menschen Gerechtigkeit wird man ja mehr von Gott abgewandt, um der Hoffart willen, die da sein muß, wo nicht Gnade ist.

16. Errette mich von den Blutschulden, Gott, der du mein Gott und Heiland bist. Blutschuld ist das, wodurch man den Tod verdient hat. Und vor Gott sind nach dem Gesetz allerlei Sünden des Todes schuldig, vgl. Röm. 2; 5. Mose 27, 15 ff.38

Daß meine Zunge deine Gerechtigkeit rühme. Das heißt: ich will nimmermehr der Menschen Gerechtigkeit predigen, noch ihre Werke preisen, sondern allein deine Werke, und daß nichts größer sei als deine Gerechtigkeit, durch welche alle Gerechten gerecht sind, und ohne welche alle anderen Sünder sind. Denn wenn du nicht gerecht machst, wird niemand aus seinen Werken gerecht. Darum heißet es hier »deine Gerechtigkeit«, weil du sie uns aus Gnade gibst, und wir sie nicht mit Werken erlangen. Und darum:

17. Herr, tue meine Lippen auf. Das ist: gib mir Stärke und Mut, daß ich dasselbe frei und kühn wider die Gottlosen und Heuchler predige.

Daß mein Mund deinen Ruhm verkündige. Das heißt: durch deine Stärke laß mich kühn sein, alle Menschen zu tadeln und davon zu überzeugen, daß sie Sünder sind, und daß nichts in ihnen des Lobes oder der Ehre wert sei, (sondern daß sie) allein Schande und Strafe verdient haben, auf daß sie erkennen, daß Lob und Ehre allein dein sei, deshalb weil die Gerechtigkeit allein dein ist und die Weisheit usw. Denn niemand kann dich ehren und loben, er schelte denn und schmähe sich selbst. Niemand kann dir Weisheit und Gerechtigkeit zuschreiben, er nehme sie denn sich selbst und schreibe sich eitel Sünde und Torheit zu. Dieses Lob und Ehre soll dir meine Zunge überall verkündigen, wenn du sie öffnest. Denn wen Gott nicht sendet und in wem er nicht redet, der kann diese Lehre nicht voll predigen und Gottes Lob einbringen.

Und das ist das Größte, was wir Gott tun können, was er auch am höchsten begehret: daß man ihm das Lob und die Ehre gebe und alles Gute, was irgend existiert. Darum spricht er:

18. Denn du hast nicht Lust zum Opfer, ich wollte es dir sonst wohl geben, und Brandopfer gefallen dir nicht. Das heißt: du willst, daß niemand sich selbst, sondern dir allein Lob und Ehre um der Gerechtigkeit und Weisheit willen darbringe. Deshalb fragst du nicht nach dem Opfer, viel weniger (noch) nach den andern geringeren guten Werken – da das Opfer doch das größte ist: du willst dich erbarmen und nicht Richter sein, du willst nicht ansehen, wie fromm wir sein wollen, sondern wie fromm wir durch dich werden wollen, so daß also du und nicht wir gelobt und geehrt werden, so daß wir dir nichts geben, sondern allein von dir Gerechtigkeit, Weisheit, Wahrheit, Verdienst, gute Werke usw. nehmen. Und:

19. Die Opfer, die Gott gefallen, sind ein geängsteter Geist; ein geängstetes und zerschlagenes Herz wirst du, Gott, nicht verachten, das ist, als wenn er (der Psalmist) sagte: alles andere verachtet er, außer einem Herzen, das gedemütigt und zerbrochen ist. Denn das gibt Gott die Ehre und sich selbst die Sünde. Das Herz gibt Gott nichts, sondern nimmt nur von ihm. Das will Gott auch haben, auf daß er wahrhaftig Gott sei. Denn Gott gebührt es zu geben und nicht zu nehmen.

20. Tue wohl an Zion nach deiner Gnade, baue die Mauern zu Jerusalem. Wenn die hoffärtigen Heiligen diese Lehre nicht aufnehmen und dazu die andern ihre Gerechtigkeit lehren wollen, so erweise du doch den andern Auserwählten deine Gnade, nicht nach ihrem Verdienste, sondern nach deinem guten Willen, damit die Mauern erbauet werden. Das heißt: damit es erleuchtete Menschen in der Christenheit gebe, die da die andern bewahren und lehren, auf daß sie nicht von den falschen, sich selbst rechtfertigenden Lehren und Lehrern verführt werden. Denn die Mauern sind die Lehrer, die da vornehmlich auf dieser Lehre erbauet sein sollen.

21. Dann werden dir gefallen die Opfer der Gerechtigkeit. Das ist so, als wenn er (der Psalmist) sagte: nicht werden sie dir Böcke und Schafe und Kälber opfern, sondern Opfer der Gerechtigkeit, das heißt: sich selbst. Denn der opfert ein Opfer der Gerechtigkeit, der da Gott gibt, was er schuldig ist. Nun sind wir Gott mehr schuldig, als wir haben. Darum bezahlen wir ihn nicht anders, als daß wir ihm alles übergeben, was wir selbst sind, und das mit demütiger Erkenntnis unserer Sünde und Bekenntnis seiner Gerechtigkeit: daß er gerecht sei, (gleich) wie sein göttlicher Wille mit uns handelt. Diese Weise und Gelassenheit ist die höchste Gerechtigkeit, die wir haben können, und das rechte Opfer, das da Brandopfer heißt, wie hernach folget:

die Brandopfer und ganzen Opfer; dann wird man Farren auf deinem Altar opfern. In deutscher Sprache kann man die hebräischen Wörter nicht recht wiedergeben, weil wir nur das Wort »Opfer« haben, das bei uns alle Opfer insgemein bedeutet. In dem Hebräischen aber sind ihrer viele und voneinander unterschiedene Namen für die Opfer. Darunter waren etliche, die auf deutsch »Brandopfer« hießen, von welchen die Priester oder Opferer nichts behielten. Nun sagt er: Diese alle werden dann erst überhaupt recht geopfert werden, als ob er sagen wollte: daß sie jetzt geopfert werden, heißt nichts geopfert. Denn dein Wohlgefallen ist nicht bei dem Opfer, wie gesagt ist, und das alles deshalb, weil alle äußerlichen Opfer umsonst sind, wenn das Herz nicht angenehm und zuvor geopfert ist. Wenn aber das (Herz) zuvor angenehm und inwendig geopfert ist, so sind dann alle äußeren Werke Opfer der Gerechtigkeit.

Die Farren aber nennt er mit Namen, welche doch das Opfer waren, von denen eben geredet wurde. Und gerade, als wären sie zur Zeit nicht geopfert worden, sagt er: »dann werden sie Farren« usw., als wollte er sagen: es ist nur eine sinnbildliche Handlung, in dieser Zeit Kälber opfern. Dann werden sie die rechten Farren opfern, das heißt: den äußeren Adamsmenschen auf dem Kreuz opfern und ihn zunichte machen und mit Christus kreuzigen, des Kreuz aller Farren Altar ist.

[Martin Luther: Die Sieben Bußpsalmen (1525). Zeno.org: Martin Luther: Werke, S. 3257-3264
Wer sich nur nach dem, was er fühlt, richtet, der verliert Christus. (Martin Luther)

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Die Sieben Bußpsalmen (1525)

Der fünfte Bußpsalm

Psalm 102

1. [Ein Gebet des Elenden, so er betrübt ist und seine Klage vor dem Herrn ausschüttet.]
2. Herr, höre mein Gebet, und laß mein Schreien zu dir kommen!
3. Verbirg dein Antlitz nicht vor mir in der Not, neige deine Ohren zu mir. Wenn ich dich anrufe, so erhöre mich bald!
4. Denn meine Tage sind vergangen wie ein Rauch, und meine Gebeine sind verbrannt wie ein Brand.
5. Mein Herz ist geschlagen und verdorret wie Gras, daß ich auch vergesse, mein Brot zu essen.
6. Mein Gebein klebet an meinem Fleisch vor Heulen und Seufzen.
7. Ich bin gleich wie eine Rohrdommel in der Wüste; ich bin wie ein Käuzlein in den verstörten Stätten.
8. Ich wache und bin wie ein einsamer Vogel auf dem Dache.
9. Täglich schmähen mich meine Feinde, und die mich verspotten, schwören bei mir.
10. Denn ich esse Asche wie Brot, und mische meinen Trank mit Weinen
11. vor deinem Drohen und Zorn, daß du mich aufgehoben und zu Boden gestoßen hast.
12. Meine Tage sind dahin wie ein Schatten, und ich verdorre wie Gras.
13. Du aber, Herr, bleibst ewiglich, und dein Gedächtnis für und für.
14. Du wollest dich aufmachen und über Zion erbarmen; denn es ist Zeit, daß du ihr gnädig seist, und die Stunde ist gekommen.
15. Denn deine Knechte wollten gerne, daß sie gebauet würde, und sähen gerne, daß ihre Steine und Kalk zugerichtet würden,
16. daß die Heiden den Namen des Herrn fürchten, und alle Könige auf Erden deine Ehre,
17. daß der Herr Zion bauet, und erscheint in seiner Ehre.
18. Er wendet sich zu dem Gebet der Verlassenen und verschmähet ihr Gebet nicht.
19. Das werde geschrieben auf die Nachkommen; und das Volk, das geschaffen soll werden, wird den Herrn loben.
20. Denn er schaut von seiner heiligen Höhe, und der Herr sieht vom Himmel auf die Erde.
21. daß er das Seufzen des Gefangenen höre, und losmache die Kinder des Todes,
22. auf daß sie zu Zion predigen den Namen des Herrn und sein Lob zu Jerusalem,
23. wenn die Völker zusammenkommen und die Königreiche, dem Herrn zu dienen.
24. Er demütigt auf dem Wege meine Kraft; er verkürzet meine Tage.
25. Ich sage: mein Gott, nimm mich nicht weg in der Hälfte meiner Tage! Deine Jahre währen für und für.
26. Du hast vormals die Erde gegründet, und die Himmel sind deiner Hände Werk.
27. Sie werden vergehen, aber du bleibest. Sie werden alle veralten wie ein Gewand; sie werden verwandelt wie ein Kleid, wenn du sie verwandeln wirst.
28. Du aber bleibst, wie du bist, und deine Jahre nehmen kein Ende.
29. Die Kinder deiner Knechte werden bleiben, und ihr Same wird vor dir gedeihen.


2. Herr, höre mein Gebet, und laß mein Schreien zu dir kommen: Das Gebet ist, daß er Gnade begehret; das Geschrei ist, daß er sein Elend darlegt, wie hernach folget.

3. Verbirg dein Antlitz nicht vor mir: Sei nicht zornig über mich, wie ich es verdienet habe. Denn das Antlitz abwenden ist ein Zeichen des Zorns, es zuwenden aber ein Zeichen der Gnade.

In der Not, neige deine Ohren zu mir. Erhöre mich zu der Zeit, in welcher ich betrübt und leidend bin. Denn »die Ohren zuneigen«, ist nichts anders, als acht haben auf des betrübten Herzens Geschrei, obwohl diese Neigung auch das ausdrückt: wenn er nicht so stark rufen oder begehren könnte, daß es hinauf zu Gottes Ohren dringe, bittet er, daß Gott sich zu ihm herabneige, daß er ihn erhöre.

Wenn ich dich anrufe, so erhöre mich bald, nicht allein, wenn ich verfolget werde und von den andern leide, wie der vorhergehende Vers bittet, sondern auch in aller Notdurft. Denn dieser Psalm beschreibt gleich wie die andern auch: zum ersten das inwendige Leiden, das die Heiligen ihrer Sünden wegen in einem reuigen Geiste tragen, danach das Verfolgen der (Heiligen durch die) andern, um desselben gekreuzigten Lebens willen.

4. Denn meine Tage sind vergangen wie ein Rauch. Das heißt: meine Tage sind zunichte geworden und unnütz vollbracht, gleich wie der Rauch in der Luft verschwindet und zunichte wird. Selig sind die, die erkennen, daß das zeitliche Leben um Adams Sünde willen nichts als ein Tand ist, wie Ps. 78, 33 sagt: Und ihre Tage sind vergangen in Eitelkeit, das ist, wie ein Rauch, denn es bleibt nichts davon (übrig), was in jenem Leben nütze sei. Ja, es ist auch in dieser Zeit mehr ein Schein oder Zeichen, als ein (wirkliches) Leben, wie der Rauch nur ein Schein und Zeichen und nicht das Wesen des Feuers ist.

Und meine Gebeine sind verbrannt wie ein Brand. Gleich wie das Feuer alles Fette herauszieht und dürre macht, so macht auch das Leiden alle Kräfte der Seele dürre, kraftlos und überdrüssig.

5. Mein Herze ist geschlagen und verdorret wie Gras. Das Gras, abgeschlagen oder gebrochen, verliert seinen Ursprung, das ist, den einfließenden Saft und (die) Feuchtigkeit, und wird dürr und gibt gutes Feuer. So sind wir alle in Adam durch den Teufel geschlagen und unsers Ursprungs, das ist Gottes, beraubt, durch dessen Einwirken wir grünen und wachsen sollten. Darum sind wir gnadelos, dürr und dem ewigen Feuer zuteil geworden. Aber von den Lebendigen sagt Ps. 72, 16 umgekehrt: »Sie werden grünen wie das Gras auf der Erde.« Das dürre Herz ist nun, das nicht Lust hat zu dem ewigen Gut, dieweil das Fleisch aus dem (und für das) Zeitliche grünet.

Daß ich auch vergesse, mein Brot zu essen. Sollte ich nicht dürr werden, wenn meine Nahrung mir in Vergessenheit geraten ist? Des dürren Herzens Brot ist niemand als Gott selber, der alleine kann die Herzen speisen. Denn das Herz muß eine ewige Speise haben, soll es satt werden. Aber wohl dem, der das Vergessen noch sehen und beklagen kann, unselig aber die, die auch das Vergessen noch dazu vergessen, wie die sinnlichen Sünder und die hoffärtigen Heiligen, die da satt sind, jene von äußerlichen, diese von innerlichen Gütern.

6. Mein Gebein klebet an meinem Fleisch vor Heulen und Seufzen. So sehr mühe ich mich in einem seufzenden Leben ab und kämpfe gegen meine böse Natur, daß ich nicht mehr als Haut und Knochen bin, wie Hiob 19, 20 sagt: »Meine Gebeine sind angeklebt an meiner Haut.« Darum wird unter diesem Seufzen nicht allein das leibliche und kurzwährende Schluchzen verstanden, sondern das ganze büßende Leben und mühevolle Verlangen nach der Gnade und dem Trost. Denn diese erfahren, wie tief uns die Erbsünde verderbet hat. Die sich aber nicht abmühen, wissen auch nicht, was ihnen gebricht. Deren Gebein klebet nicht an ihrem Fleische, sondern sie sind voll frischen Geblütes und Safts und gefutterten Leibes. Vgl. auch im 1. Bußpsalm: »Ich bin so müde vom Seufzen« (Ps. 6, 7).

[Martin Luther: Die Sieben Bußpsalmen (1525). Zeno.org: Martin Luther: Werke, S. 3265-3270
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Die Sieben Bußpsalmen (1525)

Der fünfte Bußpsalm

Psalm 102

7. Ich bin gleich wie eine Rohrdommel in der Wüste. Hier hebt das andere Leiden an, wenn die Welt- und Selbstweisen diese sich abmühenden und reuigen Menschen verfolgen, verachten und verspotten. Denn ein gutes Leben muß auch ein närrisches Leben sein, deshalb weil er (der Gute) sich abkehret von allem, dem sich die andern zuwenden.

Ich bin wie ein Käuzlein in den verstörten Stätten. Er vergleicht sich den einsamen Vögeln und denen, die am Tage nicht hervorkommen, deshalb weil er verlassen und verachtet wird. Man hält sich nicht zu ihm, man leidet ihn auch nicht am Tage, das heißt: in der Ehre und dem Ruhme der Welt, deshalb ist sein Leben gleich wie eine Wüste und eine Nacht.

8. Ich wache und bin wie ein einsamer Vogel auf dem Dache. Ich bin nicht eingeschlafen und habe auf mich selbst acht gehabt. Denn die Welt schläft, wie der Apostel 1. Thess. 5, 6 sagt: »Laßt uns nicht schlafen wie die andern, sondern laßt uns wachen und nüchtern sein.« Denn die zeitlichen Lüste sind im Vergleich zu dem ewigen Gut, wie die Bilder im Traum im Vergleich zu den rechten Bildern, wie auch Jesaja 29, 8 sagt, daß den Sündern so geschieht, wie wenn einem Durstigen träumet, daß er trinke, und wenn er aufwacht, so ist seine Seele noch leer. Deshalb ist dieser Schlaf nichts anderes als die Liebe und Lust der Kreaturen. Wachen aber ist dem ewigen Gut anhangen und nach dem sehen und sich sehnen. Aber darin ist er allein und niemand bei ihm, denn sie schlafen alle. Und er saget »auf dem Dach«, als spräche er: die Welt ist ein Haus, darin sie alle schlafen und eingeschlossen liegen, ich aber bin allein außerhalb des Hauses, auf dem Dache, noch nicht im Himmel und doch auch nicht in der Welt. Die Welt habe ich unter mir und den Himmel über mir. So schwebe ich einsam im Glauben zwischen der Welt Leben und dem ewigen Leben.

9. Täglich schmähen mich meine Feinde: Die Gottes Wort und diesem Leben feind sind und denen ihr (auf sich) selbst (gerichtetes) Leben wohlgefällt, richten und verurteilen mich ohne Unterlaß, verwerfen und verachten meine Worte und Werke.

Und die mich verspotten. Das sind dieselben Feinde, die mich höhnisch und spöttisch lobten. Denn solches Loben ist mehr als doppeltes Spotten.

Schwören bei mir. Das heißt: sie nehmen mich zum Beispiel beim Schwur, Fluch und Wunsch, wie man z.B. sagt: Es soll Gott dir tun wie diesem und jenem.

10. Denn ich esse Asche wie Brot. Nicht daß er Asche gegessen habe, sondern die Schrift nennet das gute Essen »Brot« und das schlechte Essen »Asche«, deshalb weil der frommen Menschen Essen gering und nichts ist, eben wie Asche im Vergleich zu dem Essen derer, die in Saus und Braus und in Befriedigung des Fleisches leben. Der Sinn ist nun: meine Speise ist Asche im Vergleich zu ihrer Speise, das heißt: ich bin so betrübt und voll Jammers, daß mir nichts schmeckt. Und wenn es gleich gutes Essen wäre, so ist mirs doch, als äße ich Asche.

Und mische meinen Trank mit Weinen. Das heißt: vor Weinen schmeckt mir auch kein Trinken. Sie trinken und lachen, singen und sind fröhlich dabei, denn sie hören nicht, was Gott sagt: »Selig sind, die da weinen« und: »wehe euch, die ihr jetzt lachet« (Luk. 6, 21, 25). Denn nach dem Fleische soll im Kreuz und nicht in der Lust leben, wer recht leben will.

11. Vor deinem Drohen und Zorn. Das Ansehen des gestrengen Gerichts und Zorns Gottes vertreibt alle Lüste des Fleischs und macht Essen, Trinken und Liegen zum Übel, und so wird das Leiden schwer. Deshalb verspotten die, welche sich in ihrem Leben oder (ihrer) Gerechtigkeit sicher fühlen, diese reuigen und demütigen Menschen, wie im nachfolgenden Psalm (PS. 143) stehet.

Daß du mich aufgehoben und zu Boden gestoßen hast. So scheint es einer jeglichen Seele, wenn sie Gottes Zorn fühlet, als sei sie verworfen und ewiglich verdammt.

12. Meine Tage sind dahin wie ein Schatten. Meine Zeit ist unnütz vergangen und ich habe nun nichts davon. Gleich wie von dem Schatten nichts bleibt, so bleibt auch nichts von allem Leben, das in fleischlicher und weltlicher Lust geschieht, ohne welches Leben doch niemand ist. Denn das Fleisch ist in uns allen, deshalb ist unser aller Leben ein unnützes Leben. Wohl dem, der es erkennet.

Und ich verdorre wie Gras, als wollte er sagen: wie gar kurz und eitel, dazu auch sündlich und verderblich ist aller Menschen Leben. Darum so komm doch du, der du ewig bist und bleibest, und teile uns von deinem Leben mit. Bis hierher hat er (der Psalmist) seine Not geklagt und sich vor Gott gedemütigt. Nun hebet er mit seiner Begierde und Verlangen nach dem Leben an, das in Gott ist, wie in Ps. 63, 2: »Meine Seele hat nach dir gedürstet« und rufet nach Christus und seiner Gnade.

13. Du aber, Herr, bleibst ewiglich: Ich vergehe, und meine Tage werden zunichte, darum bin ich meines Lebens satt, und begehre deines Lebens, da nichts Vergängliches ist.

Und dein Gedächtnis für und für. Das heißt: gleich wie dein Wesen ewig bleibt, so bleibt auch dein Name und Gedächtnis ewiglich. Mein Name aber geht dahin mit meinem Wesen, wie in Ps. 9, 7: »Ihr Gedächtnis ist vergangen wie ein Klang«. Darum: mein Gott, wie komme ich von mir zu dir, daß mein Wesen und Name auch ewiglich bleibe? Ich bin leider zu ferne und zu tief von dir ab.

14. Du wollest dich aufmachen und über Zion erbarmen. Ich kann nicht zu dir kommen, deshalb, mein Gott, stehe auf und komm zu mir und hole mich zu dir. Das Aufstehen bedeutet das allersüßeste und gnädige Kommen Gottes in die Menschheit. Denn zu der Zeit stand Jerusalem fest, darum kann solch klägliches Rufen und Bitten nicht in bezug auf zeitliche Hülfe verstanden werden, sondern (nur) in bezug auf Christus und sein Reich. Denn da ist er zu uns gekommen, auf daß er uns zu sich ziehe, und da hat er sich über Zion erbarmt, das ist über sein Volk.

Denn es ist Zeit, daß du ihr gnädig seist: Die Zeit der Gnade und, wie Paulus Gal. 4, 4 sagt, die Erfüllung der Zeit.

Und die Stunde ist gekommen. Es ist Zeit, daß du selbst kommest, denn Gott gibt nicht Gnade, es sei denn Zeit und angemessen. Was das aber ist, folget (danach):

15. Denn deine Knechte wollten gerne, daß sie gebauet würde, und sähen gerne, daß ihre Steine und Kalk zugerichtet würden. Er redet von Jerusalem wie von einer Stadt, die man erbauen soll, da Steine und Erde auf Vorrat bestellt sind, so gut, daß es Lust zu sehen ist. Deshalb redet er vom geistlichen Bau, denn Jerusalem stand (damals) wie gesagt in aller Herrlichkeit. So ist hier gemeint: Herr, komm bald und baue, es ist Zeit, Steine und Kalk und alles ist da, so fein und viel, daß es deine Knechte gelüstet und sie gerne bauen helfen wollten. Damit ist so viel gesagt: man wollte das Evangelium gerne hören und lernen. Das ist auch die rechte Zeit für das Evangelium, wenn man sich danach sehnt. Auf dieselbe Weise sagt Christus Joh. 4, 35: »Sehet an die Saat, sie ist weiß zur Ernte«, und Luk. 10, 24: »Viele Könige und Propheten wollten sehen, was ihr sehet.«

[Martin Luther: Die Sieben Bußpsalmen (1525). Zeno.org: Martin Luther: Werke, S. 3270-3276
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Die Sieben Bußpsalmen (1525)

Der fünfte Bußpsalm

Psalm 102

16. Daß die Heiden den Namen des Herrn fürchten. Ein solches Kommen und Reich Gottes begehret er, da nicht allein die Juden, sondern auch alle Heiden drinnen sind, Ps. 2, 8: »Heische von mir« usw. Darum siehet man wohl, was für ein Zion er meine.

Und alle Könige auf Erden deine Ehre. Das heißt: durchs Evangelium werden sie deine Kraft und Macht in Christus erkennen und mit Furcht und Demut ehren.

17. Daß der Herr Zion bauet. Das heißt: die Stadt Gottes, die heilige Christenheit, die zu Zion anfing, die wird nicht mit Menschenlehre oder -werk gebauet, sondern mit dem Wort und der Gnade Gottes alleine.

Und erscheinet in seiner Ehre. Das heißt: er ist offenbart durch sein Wort und Geist, daß man ihn erkennet, wie er alleine alles ist und tut, wir aber nichts sind, Jes. 2, 9: »der Erkenntnis des Herrn ist alle Welt voll«, Ps. 19, 2: »die Himmel verkündigen Gottes Ehre.«

18. Er wendet sich zum Gebet der Verlassenen. Seines Reichs Art ist, daß es elende, rufende, betende Leute hat, die viel um seinetwillen leiden. So ist seine Art und sein Regiment nicht anders, als solchen Armen, Elenden, Sterbenden und Sündern zu helfen, sie zu erhören und ihnen beizustehen. Jes. 61, 1: »Ich bin gesandt, den Armen zu predigen« usw., Matth. 11, 28: »Kommt zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid.«

Und verschmähet ihr Gebet nicht: Es ist nicht ein weltliches Reich, da man der Obrigkeit helfen, geben und ihr beistehen muß, sondern ein geistliches, da jedermann aus allerlei Not an Leib und Seele geholfen wird.

19. Das werde geschrieben auf die Nachkommen. Diese Dinge wird man predigen, schreiben, sagen und ihrer gedenken, immer für und für, und das soll nicht mehr aufhören bis an den Jüngsten Tag. Dies und nichts anderes soll die Predigt für alle Kindeskinder sein.

Und das Volk, das geschaffen werden soll, wird den Herrn loben. Wie Psalm 72, 17 sagt: »Unter der Sonne wird sein Name auf die Nachkommen reichen.« Es ist eine besondere Art dieser Lehre: wenn man die Lehrer erwürgt, so fängt die Lehre unter den Nachkommen überhaupt erst recht an, da wird Gott drin gepredigt und gelobet.

20. Denn er schauet von seiner heiligen Höhe: Denn Christi Reich hänget ganz an Gott alleine. Den siehet und kennt es, deshalb kennet er es auch wieder vom Himmel herab. Dieser Vers will auch so viel sagen, daß es ein himmlisches, geistliches Reich sei, in welchem allen Elenden von Gott geholfen wird.

Und der Herr stehet vom Himmel auf die Erde. Ein heimliches, geistliches Reich ist es, und ist doch auf Erden unter den Menschen, aber im Glauben und Geist verborgen.

21. Daß er das Seufzen des Gefangenen höre. Das heißt: wie droben auch gesaget ist, die Art seines Reichs ist es, daß Gott die Seinen viel leiden und Kinder des Todes und Schlachtschafe sein läßt, wie Paulus Röm. 8, 36 sagt. Aber sie sind darum nicht verlassen, sondern gewiß, daß er ihr Seufzen und Elend höret.

Und losmache die Kinder des Todes. Kinder des Todes heißen auf hebräische Weise die Menschen, die zum Tode übergeben sind, wie man sagt: Kind des Lebens, Kind der Bosheit usw. Denn die Christen sind dem Tode übergeben, Röm. 6, 3.

22. Auf daß sie zu Zion predigen den Namen des Herrn: Nicht der Menschen Name, denn so wird Gottes Ehre und Name in der ganzen Christenheit gepriesen, wenn man sagt und weiß, daß er der Helfer aller elenden und sterbenden Christen sei.

Und sein Lob zu Jerusalem: Wessen das Werk ist, dessen ist billig auch der Name. Wessen der Name ist, dessen ist auch das Lob, und die Ehre dem, dessen das Lob ist.

23. Wenn die Völker zusammenkommen und die Königreiche, dem Herrn zu dienen. Das sagt er abermals, damit man wisse, wie sein Reich zu Jerusalem wohl anfängt, aber doch über alle Königreiche hingehet. Ebenso wie das Wort und seine Gnade, die Sünden zu vergeben, sowohl Juden wie Heiden gilt, so sei auch das Kreuz und die von ihm ausgehende Hilfe an allen Orten in stetem Gebrauch, unter Juden wie Heiden. Denn die Königreiche können nicht an einem Ort leiblich zusammenkommen.

24. Er demütigt auf dem Wege meine Kraft. So geht es in Christi Reich nach dem äußerlichen Menschen zu, daß er seine lieben Heiligen hier in dieser Zeit mannigfaltig zerbricht, straft, demütigt und martern läßt, damit sie nicht auswendig kräftig und stark sind, sondern inwendig. Aber die Welt, die er auf ihrem Wege, das ist in dieser Zeit, erhebet und stärkt, wird er am Ende demütigen. Darum tröstet sich der Prophet und das geistliche Volk, daß sie mit Christus zeitlich und auf dem Wege, nicht am Ende unterdrückt werden.

Er verkürzet meine Tage. 25. Ich sage: mein Gott. Ob er mich wohl zerbricht und unterdrückt, will ich darum nicht von ihm weglaufen, sondern desto mehr auf ihn hoffen und (ihn) anrufen und (zu ihm) beten, wie denn alle seine Heiligen tun.

Nimm mich nicht weg in der Hälfte meiner Tage. Das heißt: laß mich nicht unvorbereitet sterben. Denn wer des Lebens satt ist und des Todes begehrt, wie David und Abraham und Paulus, die werden am Ende ihrer Tage hingenommen, denn sie haben dem Leben den Abschied gegeben und fordern den Tod. Die aber noch an diesem Leben kleben und dasselbe lieb haben, sind noch in der Mitte ihrer Tage, wie der König Hiskia (Jes. 38, 10 ff.) sagt; diese sterben ungern und ertragen widerstrebend das Richten und Leiden Christi.

Deine Jahre währen für und für. Das heißt: siehe doch an, daß du ewig bist und ich so kurze Zeit lebe. Darum kann dir niemand entrinnen. Mir aber kann die Zeit bald entrinnen, so daß ich die Gnade verfehlen könnte. Deine Strafe aber kann nicht fehlgehen, denn du, der du ewig bist, kommst noch bestimmt.

26. Du hast vormals die Erde gegründet, und die Himmel sind deiner Hände Werk. Denn Christus ist nach der Gottheit mit dem Vater (zusammen) ein Schöpfer aller Kreaturen, wie der Apostel Hebr. 1, 10 diesen Vers anführt.

27. Sie werden vergehen, aber du bleibest. Sie werden alle veralten wie ein Gewand; sie werden verwandelt wie ein Kleid, wenn du sie verwandeln wirst. Wenn die Himmel nicht bleiben werden, (dann noch) viel weniger die Erde. Deshalb werden alle Kreaturen, auch die Himmel verwandelt werden, nicht vergehen und zunichte werden, sondern erneuert werden.

28. Du aber bleibest, wie du bist. Du wirst nicht ein anderer oder neuer Gott sein, wie die Juden sagen werden, wenn sie hören werden, daß du Mensch und Gott seiest. Dann wollen sie den Deinen vorwerfen, sie hätten einen neuen Gott und einen andern, als den, der am Anfang die Erde gegründet hat. Aber Himmel und Erde kann anders werden, du bleibst in demselben Wesen.

Und deine Jahre nehmen kein Ende, was doch Juden und Heiden gemeinet haben. Dein Reich bleibt, und dein Volk mit dir in Ewigkeit.

29. Die Kinder deiner Knechte. Das sind die, (welche) von den Aposteln in der Christenheit getauft und gelehret werden, denn die Prediger sind Gottes Knechte.

Werden bleiben. Kinder sind Erben und bleiben, die Knechte aber, denen Gott zeitlichen Lohn gibt, bleiben nicht im ewigen Erbe mit den Kindern.

Und ihr Same wird vor dir bestehen. Das sind dieselben Kinder, die Gläubigen Christi, die sind geistlicher Same und Erbe, ja Miterben, wenn Christi Reich kein Ende hat, mit ihren Vätern vor Gott ewig (dazu) bereitet, obwohl vor der Welt zeitlich verstoßen.

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Der sechste Bußpsalm

Psalm 130

1. [Ein Lied im höheren Chor.]
Aus der Tiefe rufe ich, Herr, zu dir.
2. Herr, höre meine Stimme, laß deine Ohren merken auf die Stimme meines Flehens!
3. So du willst, Herr, Sünden zurechnen, wer wird bestehen?
4. Denn bei dir ist die Vergebung, daß man dich fürchte.
5. Ich harre des Herrn; meine Seele harret, und ich hoffe auf sein Wort.
6. Meine Seele wartet auf den Herrn, von einer Morgenwache bis zur andern.
7. Israel, hoffe auf den Herrn! Denn bei dem Herrn ist die Gnade und viel Erlösung bei ihm,
8. und er wird Israel erlösen aus allen seinen Sünden.


1. Aus der Tiefe rufe ich, Herr, zu dir. Das sind feine, heftig (bewegte) und aus Herzensgrund kommende Worte eines wahrhaft reuigen Herzens, das seinem Jammer auf das allertiefste zugekehrt ist. Sie zu verstehen ist keinem möglich als denen, die (dasselbe) fühlen und erfahren. Wir sind alle in tiefem, großem Elend, aber wir fühlen nicht alle, wo wir sind.

Rufe ich zu dir. (Dieses) Rufen ist nichts anderes als eine sehr starke, ernstliche Begier (nach) der Gnade Gottes, welche in dem Menschen nicht ersteht, er sehe denn, in welcher Tiefe er liege.

2. Herr, höre meine Stimme, laß deine Ohren merken auf die Stimme meines Flehens. Das heißt: du schweigst, verläßt, verachtest mein elend Rufen, obwohl mir hier doch niemand helfen kann, als du allein. Darum laß deine Ohren meines Rufens acht- und wahrnehmen. Das Wort spricht die Seele, wenn sie empfindet, daß keine Kreatur ihren Jammer hören will, ja, wenn ihr scheint, daß auch Gott und alle Kreaturen ihr widerstreben. Darum folgt:

3. So du willst Sünden zurechnen. Das heißt: wenn du die Sünde behalten und eben darauf sehen und (sie) nicht vergeben willst, der du doch allein ein gnädiger und mächtiger Vergeber bist, und außer dir kann niemand vergeben.

Herr, wer wird bestehen? Was hülfe es, daß alle Kreaturen mir gnädig wären und meine Sünde nicht achteten und erließen, wenn sie Gott achtet und behält? Und was schadet es, wenn alle Kreaturen mir die Sünde zurechneten und behielten, wenn sie Gott erläßt und nicht achtet? Das ists, was der nachfolgende Psalm (Ps. 143, 2) auch sagt: »O Gott, gehe nicht in das Gericht mit deinem Diener, denn es wird vor dir kein lebendiger Mensch gerecht erfunden.« Und dieser Vers (hier) bringt zum Ausdruck, von wo (aus) der Psalm gemacht ist, nämlich von dem Ansehen der strengen Urteile Gottes (aus), der so gar keine Sünde ungestraft lassen kann und will. Darum: wer Gottes Gericht nicht ansieht, der fürchtet sich nicht, wer sich nicht fürchtet, der ruft nicht (zu ihm), wer nicht ruft, der findet keine Gnade.

Darum muß in einem rechten Menschen allezeit die Furcht vor dem Gericht Gottes sein, des alten Menschen halber, dem Gott feind und entgegen ist, und neben dieser Furcht Hoffnung auf die Gnade angesichts der Barmherzigkeit, die dieser Furcht zugetan ist, um des neuen Menschen willen, der dem alten auch feind ist, und so mit Gottes Gericht (überein)stimmt. So stehen Furcht und Hoffnung nebeneinander, und gleich wie das Gericht Gottes die Furcht wirkt, so wirkt die Furcht das Rufen, Rufen aber erlangt die Gnade. Und solange der alte Mensch lebt, soll die Furcht, das ist sein Kreuz und Töten, nicht aufhören, und (er) das Gericht Gottes nicht vergessen. Und wer ohne das Kreuz und ohne Furcht und ohne Gottes Urteil lebet, der lebet nicht recht, (so) wie (die), von denen Psalm 10, 5 f. stehet: »Deine Gerichte sind ferne von ihm und er spricht, ich werde nimmermehr darniederliegen, mir wird nichts Übels geschehen.«

4. Denn bei dir ist die Vergebung. Darum ist auch keine Zuflucht zu (etwas) anderm, da jemand bestehen oder bleiben könnte, als wie Paulus Röm. 8, 31 sagt: »Wenn Gott für uns ist, wer will wider uns sein?«, so (gilt auch umgekehrt): wer will für uns sein, wenn Gott wider uns ist? Denn bei ihm allein ist die Vergebung, so daß auch keine guten Werke helfen, sondern wer vor Gott etwas sein will, der muß allein auf seine Gnade pochen, nicht auf Verdienst.

Daß man dich fürchte. Das bedeutet, wie oben gesagt ist: wer Gott nicht fürchtet, der rufet nicht, dem wird auch nicht vergeben. Und deshalb ist, damit man Gottes Gnade erlange, er zu fürchten und allein zu fürchten, gleich wie er allein vergibt. Denn wer etwas anderes fürchtet als Gott, der begehrt dieses andern Gunst und Gnade und fragt nicht nach Gott. Wer aber Gott fürchtet, der begehret seine Gnade und fragt nicht nach allem dem, was nicht Gott ist, denn der weiß, daß ihm niemand (etwas) tut, wenn Gott ihm gnädig ist.

5. Ich harre des Herrn. Bis hierher hat er die Furcht beschrieben, das Kreuz des alten Menschen, wie man das tragen und haben soll. Nun beschreibt er die Hoffnung, das Leben des neuen Menschen, wie man sich darin verhalten soll. Denn diese zwei Stücke werden in allen Psalmen, ja in der ganzen heiligen Schrift gelehret. Gott handelt so wunderbar mit seinen Kindern, daß er sie gleichsam in (einander) widersprechenden und nicht zueinander passenden Dingen selig macht. Denn Hoffnung und Verzweiflung sind einander entgegengesetzt. Dennoch müssen sie in dem Verzweifeln hoffen, denn Furcht ist nichts anderes, als ein beginnendes Verzweifeln und Hoffnung ein beginnendes Genesen, und die zwei ihrer Natur nach einander entgegengesetzten Dinge müssen in uns sein, deshalb weil zwei in ihrer Natur einander entgegengesetzte Menschen in uns sind, der alte und der neue. Der alte muß sich fürchten und verzagen und untergehen, der neue muß hoffen und bestehen und erhoben werden. Und diese beiden geschehen in einem Menschen, ja in einem Werk zugleich, gleich wie ein Bildhauer eben indem er wegnimmt und abhauet, was am Holze nicht zum Bilde (gehören) soll, gerade auch die Form des Bildes fördert. So wächst in der Furcht, die den alten Adam abhauet, die Hoffnung, die den neuen Menschen formet.

Darum spricht er (der Psalmist): »Ich habe Gottes gewartet«, das heißt: in diesem Rufen und Kreuz bin ich nicht zurückgelaufen oder verzweifelt, noch habe ich auf meine Verdienste gebauet, sondern auf Gottes Gnade alleine, die ich begehrt habe. Deren harre ich und warte, wann es meinem Gott gefällt, mir zu helfen. Nun sind etliche, die wollen Gott das Ziel weisen, ihm Zeit und Maß setzen, und ihm gleichsam selbst vorschlagen, wie sie sich geholfen haben wollen. Und wenn es ihnen nicht so widerfährt, verzagen sie oder suchen anderswo Hilfe, wenn sie können. Diese harren nicht, sie warten nicht auf Gott, Gott soll auf sie warten und alsbald bereit sein und nicht anders helfen, als sie es (ihm) vorgezeichnet haben. Die aber auf Gott warten, die erbitten Gnade, aber sie stellen es Gottes gutem Willen frei, wann, wie, wo und durch was er ihnen helfe. An der Hilfe zweifeln sie nicht. Sie bezeichnen sie aber auch nicht näher. Sie lassen das Gott tun und sollte es auch über die Maßen lange hingezögert werden. Wer aber die Hilfe näher bezeichnet (d.h. sie auf eine bestimmte Art erwartet), dem wird sie nicht, denn er wartet nicht ab und leidet nicht Gottes Rat, Willen und Hinauszögern.

[Martin Luther: Die Sieben Bußpsalmen (1525). Zeno.org: Martin Luther: Werke, S. 3282-3287
Wer sich nur nach dem, was er fühlt, richtet, der verliert Christus. (Martin Luther)

Jörg
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Die Sieben Bußpsalmen (1525)

Der sechste Bußpsalm

Psalm 130

Meine Seele harret. Das ist: meine Seele ist ein wartendes oder harrendes Wesen geworden, als spreche er (der Psalmist): All meiner Seele Wesen und Leben ist nichts anderes gewesen, als ein bloßes Warten und auf Gott Harren. Ich habe Gottes so fest geharret, daß meine Seele eine Harrerin geworden ist und ihr Leben gleichsam völlig ein Harren, Hoffen, Warten ist.

Und ich hoffe auf sein Wort. Das heißt: auf sein Verheißen und Gelübde. Denn ohne Gottes Wort hoffen und harren ist Gott versuchen. Das ist nun die Natur des inwendigen Menschen, daß er ein stetes Harren, Hoffen, Trauen, Glauben zu Gott trägt. Darum verläßt ihn auch Gott nicht, der da Gnade und Hilfe allen denen verheißen hat, die ihm trauen und sich auf ihn verlassen und seiner harren. Und dieses Wort und Verheißen Gottes ist der ganze Unterhalt des neuen Menschen, der lebt nicht von dem Brot, sondern von diesem Wort Gottes (Matth. 4, 4).

6. Meine Seele wartet auf den Herrn, von einer Morgenwache bis zur andern. Das ist: meine Seele sieht mit (auf ihn) gerichtetem Angesicht allezeit zu Gott auf, und wartet fest seiner Ankunft und Hilfe, wie lange es auch immer währet, wie es Ps. 132, 2 heißt: »Unsere Augen sehen stetig auf unsern Gott, bis daß er sich unser erbarme.«

Denn dieser Vers zeigt die Länge solchen Harrens, gleich wie der vorhergehende den Maßstab zeigt, nämlich das Wort. Tiefe Auslegungen lassen wir jetzt fahren, es ist genug gesagt, daß von einem Morgen zum andern, das heißt, stetig, Gottes zu warten und nicht abzulassen ist. Wenn Gott auch den ganzen Tag ausbleiben sollte, sollen wir auch bis hin zum andern Tag warten. Daß er aber vielmehr die Morgenwache oder -zeit nennt und nicht die Abend- oder Nachtwache, dafür ist die Ursache, daß man des Morgens alleweg anfängt und des Abends endet und des Nachts ruhet. Damit will er nun sagen: fängst du an auf Gott zu vertrauen, so höre nicht wieder auf, laß den Abend und die Nacht dahingehen, bleib du auf der Wacht stehen, bis (es) wieder Morgen wird. Denn der neue Mensch, dessen Tun nichts anderes ist als auf Gott warten und seiner harren, soll nicht aufhören, wie (es) der äußerliche Mensch tut und tun muß. Und das ist das Leben in den hohen drei Tugenden, nämlich Glaube, Hoffnung, Liebe. Dieser Tugenden Art und Natur wird in den Psalmen beschrieben. Darum ist in diesem kleinen Psalm das ganze Leben, Werk und Wandel des inwendigen Menschen gar meisterlich beschrieben, daß es nichts anderes sei, als ein (sich) Verlassen auf Gott und ganz (in) Gottes Willen gelassen stehen.

7. Israel, hoffe auf den Herrn. Das ist: alles was (ein) geistliches und inwendiges neues Volk ist, das stehet so, wie gesagt ist, daß sein ganzes Leben ein Trauen, Verlassen, Warten, Harren auf Gott ist. Denn Israel war das besondere Volk Gottes, dem solch Harren gebührt. Dazu stimmet auch der Name, denn Israel heißt ein Kämpfer mit Gott (vgl. 1. Mose 32, 29). Alle, die nun so fest harren, daß sie gleichsam mit Gott deswegen kämpfen, das sind rechte Israeliten.

Denn bei dem Herrn ist die Gnade. Gott recht erkennen, ist erkennen, daß bei ihm eitel Güte und Gnade ist, drum harret Israel seiner auch auf diese Weise. Die aber Gott als einen Zornigen, Ungnädigen fühlen, die kennen ihn noch nicht recht. Darum fliehen sie vielmehr vor ihm, und harren seiner nicht.

Und viel Erlösung ist bei ihm. Das ist: bei ihm ist allein die Erlösung aus den vielen Tiefen, von denen oben gesprochen worden ist, und sonst (gibt es) keine Erlösung. Obgleich unserer Sünden viele sind, so ist doch seines Erlösens viel mehr. Wie 1. Joh. 3, 20 sagt: ob uns (auch) unser Herz straft, so ist Gott (doch) größer als unser Herz, und weiß alles, obwohl die Hoffärtigen bei sich selbst Genugtuung und Erlösung mit ihren Werken finden wollen, sich selbst herausarbeiten, Helfer, Erlöser, Erbarmer ihrer selbst sein, und sich selbst Wahrheit, Gerechtigkeit erwerben wollen. Aber was folget in diesem Beschluß? 8. Und er wird Israel erlösen aus allen seinen Sünden. Er, Er, Gott, Er selbst, und nicht wir selbst, wird Israel erlösen. Merke: Israel hat Sünde und kann sich selbst nicht helfen. Was nimmt Moab und Ismael für sich (in Anspruch), die hoffärtigen Heiligen, die da nicht wissen wollen, daß Gerechtigkeit, durch die wir (vor Gott) gerecht sein sollen, nichts anderes ist als eine gnädige Gabe der lauteren, unverdienten Barmherzigkeit Gottes? Darum sollen wir uns selbst nicht barmherzig, sondern ernst und zornig sein, auf daß uns Gott barmherzig und nicht zornig sei. Denn wer sich selbst gnädig sein will, dem wird Gott ungnädig, und wer sich selbst ungnädig ist, dem ist Gott gnädig.

[Martin Luther: Die Sieben Bußpsalmen (1525). Zeno.org: Martin Luther: Werke, S. 3287-3291
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Jörg
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Die Sieben Bußpsalmen (1525)

Der siebente Bußpsalm

Psalm 143

1. [Ein Psalm Davids.] Herr, erhöre mein Gebet, vernimm mein Flehen um deiner Wahrheit willen, erhöre mich um deiner Gerechtigkeit willen;
2. und gehe nicht ins Gericht mit deinem Knechte; denn vor dir ist kein Lebendiger gerecht.
3. Denn der Feind verfolget meine Seele und schlägt mein Leben zu Boden; er legt mich ins Finstere wie die Toten in der Welt.
4. Und mein Geist ist in mir geängstet; mein Herz ist mir in meinem Leibe verzehret.
5. Ich gedenke an die vorigen Zeiten; ich rede von allen deinen Taten und sage von den Werken deiner Hände.
6. Ich breite meine Hände aus zu dir; meine Seele dürstet nach dir wie ein dürres Land. Sela.
7. Herr, erhöre mich bald, mein Geist vergeht; verbirg dein Antlitz nicht vor mir, daß ich nicht gleich werde denen, die in die Grube fahren.
8. Laß mich frühe hören deine Gnade, denn ich hoffe auf dich. Tue mir kund den Weg, darauf ich gehen soll; denn mich verlanget nach dir.
9. Errette mich, mein Gott, von meinen Feinden, zu dir habe ich Zuflucht.
10. Lehre mich tun nach deinem Wohlgefallen, denn du bist mein Gott; dein guter Geist führe mich auf ebener Bahn.
11. Herr, erquicke mich um deines Namens willen; führe meine Seele aus der Not um deiner Gerechtigkeit willen
12. und verstöre meine Feinde um deiner Güte willen, und bringe um alle, die meine Seele ängstigen; denn ich bin dein Knecht.


Alle Psalmen, alle Schrift rufet nach der Gnade, preiset die Gnade, sucht Christus und lobet allein Gottes Werke, aller Menschen Werke aber verwirft sie. Darum ist dieser Psalm aus den vorigen heraus leicht zu verstehen, denn es ist alles eine Stimme. Man muß wissen, daß dieser Psalm im Namen des ganzen Volkes Christi, und eines jeglichen einzelnen im besonderen gesprochen ist und wird. Dieses Volkes täglichen Feinde sind die Weltweisen und sich selbst Rechtfertigenden, die von Gottes Gnade nichts wissen noch wissen wollen. Ja sie meinen, niemand halte mehr von Gottes Gnade als sie, die vom Irrtum blinder Heiligkeit und guter Absicht verführt sind.

1. Herr, erhöre mein Gebet. Eines heiligen Menschen Leben stehet mehr im Nehmen von Gott als im Geben, mehr im Begehren als im Haben, mehr im Frommwerden als im Frommsein, wie Augustin sagt, daß der Glaube erwirbt, was das Gesetz fordert. Darum ist Bitten, Begehren, Suchen das rechte Wesen eines inwendigen Menschen, wie es Ps. 34, 2 heißt: »die den Herrn suchen, haben keinen Mangel an irgendeinem Gut«, und Ps. 105, 4: »Suchet sein Antlitz allezeit«, und umgekehrt, von den hoffärtigen Heiligen in Ps. 14, 2 f.: Es ist niemand, der da Gott suchet, denn sie habens ja gefunden (wie sie meinen).

Vernimm mein Flehen um deiner Wahrheit willen: nicht um meiner Werke willen, die ich tue, sondern um deines Glaubens willen, den du mir gibst.

Erlöse mich um deiner Gerechtigkeit willen, nicht um meiner Gerechtigkeit willen, denn die ist Sünde und Ungerechtigkeit. (Das ist), als wenn er (der Psalmist:) sagen wolle: Mache mich aus Gnade gläubig und gerecht, denn ich sehe etliche, die durch ihre eigenen Werke und Gerechtigkeit recht haben und sein wollen. Da behüte du mich vor. Sie wollen ja auch etwas sein, obwohl sie doch nichts sind, unnütz sind, Toren sind, Sünder sind. Hier ist darauf zu achten, daß das Wörtlein »dein Glaube« und »deine Gerechtigkeit« nicht das bedeutet, womit Gott glaubt und gerecht ist, wie etliche oft meinen, sondern die Gnade, mit der uns Gott durch Christus gläubig und gerecht macht, wie denn der Apostel Paulus im Römerbrief, Kapitel 1 und 2 und 3, das die Gerechtigkeit Gottes und den Glauben Gottes nennt, was uns durch die Gnade Christi gegeben wird. Gleich wie eine Spielmünze oder ein gemalter Gulden nicht ein wahrhaftiger Gulden ist, sondern ein Bild, ja ein Nichts und Betrügerei, wenn sie für wahre Gulden gegeben und gehalten werden, ein richtiger Gulden aber die Wahrheit und ohne Betrügerei ist, so ist aller hoffärtigen Heiligen Leben und Werk und Gerechtigkeit im Vergleich mit der Gerechtigkeit und den Werken der Gnade Gottes ein bloßer Schein und eine tödliche, schädliche Falschheit, wenn sie für rechte Ware gehalten werden. Da ist nicht Wahrheit, sondern bei Gott ist sie, der die rechte grundgute Gerechtigkeit gibt, welche der Glaube an Christus ist.

2. Und gehe nicht ins Gericht mit deinem Knechte. Wenn der Diener Gottes, der doch ohne Zweifel in der Gnade ist, nicht vor dem Gericht bestehen kann, sondern zu der Barmherzigkeit seine Zuflucht nimmt, wo wollen die Feinde und Sünder bleiben? Ja, wo wollen auch die Hoffärtigen bleiben, die in blinder Vermessenheit auf ihre Werke und ihr »gutes« Leben (sich verlassend), Verdienst, Lohn und Gunst und Gottes Gerechtigkeit zu finden vermeinen? Sie befürchten Gottes Gericht nicht auch für die »guten Werke«, sondern allein für die bösen, gerade als wüßten sie, was bei ihnen vor Gottes Gericht als gut und böse angesehen werde.

Denn vor dir ist kein Lebendiger gerecht, als wolle er (der Psalmist) sagen: vor meinen und der Menschen Augen mag ich gerechtfertigt bestehen, aber vor dir ist niemand gerechtfertigt, der da lebet. Wer aber tot ist, der ist gerechtfertigt, Röm 6, 7: »Wer gestorben ist, der ist von Sünden gerechtfertigt.« Dieser Tod fängt an im Bußleben und währet bis ins Grab, wie er Ps. 44, 23 sagt: »Wir werden täglich getötet um deinetwillen.«

3. Denn der Feind verfolget meine Seele. Das ist: meine Feinde, die mir durch ihre »Weisheit« und »Gerechtigkeit« allezeit widerstehen, wie ein jeglicher Abel seinen Kain hat und Isaak seinen Ismael, Jakob seinen Esau und Christus seinen Judas, der ihm nach dem Leben trachtet, insbesondere in den Dingen, die die Seele angehen, d.h. in dem Glauben und Gerechtigkeit, da die Hoffärtigen nicht leiden wollen, daß ihre Werke und Gerechtigkeit nichts seien. Und deshalb verfolgen sie die recht frommen Menschen, die in Gottes Glauben und Gerechtigkeit allein leben.

Und schlägt mein Leben zu Boden. Das ist: sie leben in Ehren und sitzen hoch, steigen vor der Menschen Augen um ihres äußeren Scheins willen empor. Deshalb muß ich ganz erniedrigt werden, vor der Menschen Augen verworfen und verachtet. Denn mit diesen Worten will der Prophet zum Ausdruck bringen, ein wie verachtet Ding ein Mensch sei, der in der Gnade und in Christus lebt. Den ehret niemand, ja jedermann verunehret ihn, und er ist ganz als ein unnützer, untüchtiger, schädlicher Mensch für alle Sachen angesehen, die die Menschen betreiben. Und welchem es dazu noch nicht gekommen ist, und wer solche Feinde noch nicht hat, die alle seine guten Werke, Worte, Rat, Meinung für Narrheit, Bosheit und Untugend halten, der ist noch nicht recht zu Christus gekommen, es sei denn, daß er sich selbst feind werde und sich selbst zufüge, was ihm die andern zufügen würden: daß er sich selbst in allen guten Worten, Werken, Leben für unnütz und als Narr erachte und sich ohne allen Betrug seines Herzens von Grund auf erkenne.

Er leget mich ins Finstere, wie die Toten in der Welt. Das ist: sie sind im Lichte und den Leuten bekannt und berühmt, scheinen etwas zu sein und sind angenehm. Mich aber tut er ganz in Verachtung und in Unansehnlichkeit, gleich wie einen Toten, der vor der Welt nimmer erscheint. So hat er auch droben (Ps. 102, 7) gesagt: »Ich bin gleich wie ein Nachtrabe, wie ein einsamer Vogel in der Wüste.« So gehet es zu, der Frommen bedarf man zu keinem Leben und Amt, auch gedenkt man ihrer dazu nicht, man will von ihnen auch nichts wissen oder sie kennen, die äußerlich so scheinenden Heiligen aber gaffet ein jeder an.

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Die Sieben Bußpsalmen (1525)

Der siebente Bußpsalm

Psalm 143

4. Und mein Geist ist in mir geängstet; mein Herz ist in meinem Leibe verzehret. Das ist das rechte Opfer, das Gott wohlgefällt, wie droben in Ps. 51, 19 gesagt ist, wenn eine Seele ohne Trost von allen Kreaturen, auch von sich selbst verlassen und verfolget ist, so daß sie nichts als bloß auf Gottes Gnade allein wartet. Das sind die Seligen, die da weinen, denn sie sollen getröstet werden (Matth. 5, 4; Luk. 6, 21).

5. Ich gedenke an die vorigen Zeiten. Das ist: die etwas zu sein scheinen, die erhöht und im Lichte der Menschen sind, wollen nicht bekümmert und betrübt sein, sie haben ihren Trost und ihre Freude am gegenwärtigen Wandel und den Werken ihrer eigenen Stärke, Weisheit, Gerechtigkeit, sie bedürfen Gottes nicht. Ich aber, der ich dieser Dinge ganz arm bin, weiß keinen andern Trost als den, daß Gott alle seine Heiligen in früheren Zeiten auch hat Mangel leiden lassen und noch nie einen um seiner eigenen Werke, Vermögen, Wissen, Frömmigkeit willen angenommen hat, wie es Ps. 44, 2-4 heißt: »O Gott, wir haben gehört, unsere Väter habens uns erzählt, was du vor Zeiten in ihren Tagen getan hast, wie du die Heiden ausgetrieben und geschlagen hast, daß du sie in ihr Land setzest. Denn fürwahr nicht mit ihrem Schwert haben sie das Land eingenommen, und ihre Kraft hat ihnen nicht geholfen, sondern deine Kraft und deines Angesichts gnädiges Erleuchten, deshalb weil dirs so wohlgefallen hat und nicht, weil sie es verdienet hatten.« Ich gedenke an die vorigen Zeiten; ich rede von allen deinen Taten. Das ist: der Menschen Werke und Worte, wie sie immer glänzen und der Welt lieb sind, hab ich nichts geachtet, denn ich weiß, daß sie niemand selig machen noch nütze sind, als allein zu falscher, nichtiger Ehre. Sondern aller Trost, Hilfe und Seligkeit liegt ganz an deinen Werken. Nun wenn du unsere Werke tust und unsere Werke nicht unser, sondern dein sind, so sind sie dir angenehm, recht, wahr und gut. Diese Taten aber deiner Gnade erkennen die nicht, die ihres Lichtes, ihrer Stärke, ihrer Weisheit Werke tun und groß achten. Daß er aber sagt »von all deinen Taten«, obwohl doch Gottes Werke unzählig sind, ist so zu verstehen, daß die Werke, um die es ihm geht, alle Gottes sein sollen. Er will ganz und gar nicht eines Menschen Werke preisen, denn kein Werk eines Menschen, sondern alleine Gottes Werke sind etwas. Darum beschreibt er in diesen Worten eben ganz die Art der Gnade im Vergleich zur Art der Natur.

Und sage von den Werken deiner Hände. Das ist: ich habe ihnen gesagt und sie eingedenk gemacht deiner Hände Werk, daß sie nicht ihrer Werke groß achten. Das hat sie aber verdrossen, und sie sind mir darum feind geworden. Die »Geschäfte der Hände Gottes«, das sind die Frommen, die er aus Gnade gebiert und schafft. Das geschieht ohne all ihr Mitwirken, denn so sind und werden sie neue Kreaturen in Christus. Die Werke aber sind das Tun und Leiden, das Gott durch die so Geschaffenen wirket. Da sind sie Mitwirkende. Das sind die zweierlei Werke Gottes, von denen auch Ps. 28, 5 spricht: »Sie haben nicht verstanden die Werke Gottes, noch die Geschäfte seiner Hände« usw., ebenso Ps. 19, 2: »Die Himmel predigen die Ehre Gottes und das Firmament verkündet die Werke seiner Hände.« Das heißt: die Apostel predigen allein von der Gerechtigkeit, die Gott in uns wirkt, und gar nicht die Gerechtigkeit, die die Menschen zu wirken vermögen.

6. Ich breite meine Hände aus zu dir. Das heißt: dieweil es so ist, daß es an deinem Wirken und deiner Gnade liegt, so tue ich billig nicht mehr, als suche nur Gnade, und bin nimmer um meines Tuns willen sicher, wie meine Feinde tun, die ihre Hände nicht zu dir recken, ja sie in den Busen stecken und nichts von dir begehren, sondern Wohlgefallen an sich selbst haben. »Hände aufrecken zu Gott« bedeutet Gebet zu Gott, aber geistlich, daß alle unsere Werke Gott zugeschrieben werden sollen.

Meine Seele dürstet nach dir wie ein dürres Land. Sela. Gleich wie ein dürrer Acker nach dem Regen dürstet, so dürstet meine Seele nach deiner Gnade, wie es Ps. 63, 2 heißt: »Meine Seele hat nach dir gedürstet.« Und das geschieht aus der Erkenntnis, dass alle Werke ohne Gottes Gnade nichts sind, was die Hoffärtigen nicht glauben. Darum stehen ihre Gedanken, Worte und Lehren auf ihren Werken, und sind sie ganz satt, dürsten nicht nach Gnade, noch heben sie die Hände zu Gott auf, ihr Leben dünkt sie ganz und gar ausreichend zu sein.

7. Herr, erhöre mich bald, mein Geist vergehet. Wie oben gesagt ist: eine trostlose Seele, die nichts in sich findet, die ist Gott das liebste Opfer, insbesondere wenn sie nach seiner Gnade schreiet. Denn Gott höret nichts Lieberes als Geschrei und Durst nach seiner Barmherzigkeit. Solchen Durst kann aber nicht haben, der in sich viel guten Lebens findet und Gottes Gericht nicht fürchtet. Nun sagt (der Psalmist): Ich habe gedürstet und nach Gnade verlanget, so lange, bis daß ich nimmer kann. Ich bin des Harrens gar müde, darum ists Zeit, komme nun eilends und erhöre mich schnell. Das ist uns zur Lehre gesagt, daß wir Gottes Gnade geduldig erwarten und nicht verzweifeln sollen, wenn er sie hinauszögern sollte.

Verbirg dein Antlitz nicht vor mir, daß ich nicht gleich werde denen, die in die Grube fahren. Das macht das Hinauszögern göttlicher Gnade und Hilfe, daß die Seele besorget, sie sei verlassen und verdammt, obwohl sie doch nur darum so (auf die Folter) gespannt wird, daß sie die Gnade um so mehr und gründlicher begehre und so um so vollkommenere Gnade empfange. Der ist nun ein wahrhaft christförmiger Mensch, der inwendig voll Untrosts und betrübten Geistes ist, in stetigem Verlangen nach Gottes Gnade und Hilfe. Und doch: wenn er solches Kreuz den andern auch sagen und sie lehren will, findet er nicht allein kein Mitleiden oder Nachfolge, sondern verdient sich nur Undank und Haß und wird so auswendig und inwendig mit Christus gekreuzigt. Denn die Hoffärtigen stehen in ihrer Vermessenheit, daß sie denen gleich sind, die gen Himmel fahren; solche Furcht vor der Hölle und Durst nach der Gnade haben sie nicht.

8. Laß mich frühe hören deine Gnade. Das ist dasselbe wie oben in Ps. 51, 10:65 »Laß mich hören Freude und Trost.« Laß mich hören deine Gnade, die in mein Herze spreche: »dir sind deine Sünden vergeben« (Matth. 9, 2). So redet Gott den Frieden in das Herz seines Volks. Und das »frühe«, das bedeutet: eilends, schiebe es nicht auf, denn ich bin müde und kann nimmer warten.

Denn ich hoffe auf dich. Laß dich davon bewegen, daß ich keinen anderen Trost suche als dich alleine. Das ist eine ganz große Sache: im Leiden nicht Hilfe bei irgendeinem Menschen oder einer Kreatur suchen, sondern sich beugen und zu Ende leiden, in Gottes Hoffnung demütig der Hilfe warten, derer sind wenig auf Erden.

Tue mir kund den Weg, darauf ich gehen soll, wie droben in Ps. 32, 8 gesagt ist: »Ich will dir Verstand geben und dich unterweisen in dem Weg, auf dem du wandeln sollst.« Denn es ist nicht möglich, daß der Mensch sich in seinem Leben selbst führe. Die Ursache dafür ist die: er muß blind werden und sich Gott in richtigem Glauben überlassen. Der Glaube aber siehet nichts, sondern ist der finstere Weg, von dem Ps. 18, 10 sagt: »Finsternis ist unter seinen Füßen.« Darum sind (die wie) Pferde und Maultiere, die dem Licht der Vernunft folgen und (zwar) nicht weiter, als sofern es sie selbst recht, göttlich und gut dünket. Was aber sie anders ansiehet, wie (es) im Glauben (der Fall ist), davor fliehen sie.

Denn mich verlanget nach dir. Das heißt: ich bin dir bereits übergeben, in deinem Willen gelassen. Denn die kann Gott lehren und führen, die ihm ihre Seele überantworten und sich führen lassen. Die aber ihre Seele an sich ziehen und verbergen, kann er nicht führen.

Der Vers ist ein großes Gebet, aber sehr nützlich, daß ein Mensch zu seinem Gott sprechen kann: Siehe hin, nimm hin mein Herz und führe du mich nach deinem Willen, ich überlasse mich dir gänzlich.

[Martin Luther: Die Sieben Bußpsalmen (1525). Zeno.org: Martin Luther: Werke, S. 3297-3303
Wer sich nur nach dem, was er fühlt, richtet, der verliert Christus. (Martin Luther)

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