Luther-Predigten, Zitate und Sprüche

Nur für Gläubige, die die fünf Punkte des Arminianismus ablehnen

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Jörg
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Die Sieben Bußpsalmen (1525)

Der siebente Bußpsalm

Psalm 143

9. Errette mich, mein Gott, von meinen Feinden, das sind die Weisen und Heiligen: daß sie mich nicht überwinden und mich von dir zu sich ziehen, wie Ps. 19, 14 sagt: »Wenn die Fremden mein nicht mächtig werden, so werde ich rein bleiben.« Denn wie vorher gesagt: der Frommen Verfolger suchen nur, wie sie diese verführen und zu sich reißen auf ihren Weg, der sie alleine recht dünkt. Und darum ist Gottes Hut und Hilfe not, daß sie vor der Verfolgung bestehen können, wie z.B. die Juden den Aposteln taten, die doch mit allem Stürmen nichts anderes suchten, als wie sie ihre Wege und Weise nach dem Gesetz als recht erwiesen und die Christen mit Gewalt zu sich brächten.

Zu dir habe ich Zuflucht. 10. Lehre mich tun nach deinem Wohlgefallen. Meine Feinde, die bedürfen nicht dein noch deiner Lehre. Darum fliehen sie nicht zu dir, ja sie lehren und sagen mir, was ich tun soll, und wollen aller Meister sein. Das ist aber eitel falsche Betrügerei, darum behüte mich vor ihnen und erlöse mich von ihnen, und sei du selbst mein Meister. So auch Ps. 120, 2: »O Gott, erlöse meine Seele von den Lügenmäulern, von den falschen Zungen«, die unter der Gestalt der Wahrheit Irrtum lehren, welcher Prediger auch heute über die Maßen viel in der Christenheit sind, wenig (sind dagegen), welche recht predigen.

Denn du bist mein Gott. Das heißt: ich mache mir nicht einen Abgott aus meiner Weisheit und Gerechtigkeit, wie meine Feinde tun, sondern ich halte mich an deine Gnade und nehme von dir Weisheit und Gerechtigkeit, die da in dir ist, und ewig bleibt.

Dein guter Geist führe mich auf ebener Bahn. Laß nicht geschehen, daß sie mich führen oder irgendein Mensch. Denn sie führen krumme Wege, und dein Geist, der böse führet sie. Es ist zu beachten, daß beide Geister Gottes sind, der gute und der böse. Den bösen gibt Gott den Hoffärtigen, wie von Saul geschrieben stehet, daß der böse Geist Gottes ihn regierte (vgl. 1. Sam. 18, 10; 16, 14). Das ist der zornige, tobende Geist, mit dem sie ihre Rechte und Wahrheit verfechten und die Guten verfolgen, wie auch Röm. 2, 8 sagt: »Gott hat ihnen gegeben den Geist des Schlafs.« Der gute Geist ist der heilige Geist, der macht sanfte, gelinde und gütige Herzen, die gehen auf dem richtigen Wege, auf dem sie nichts als Gott in allen Dingen suchen und nicht sich selbst.

11. Herr, erquicke mich um deines Namens willen. Das heißt: daß dein Name geehret werde. Der wird aber geehret, wenn bekannt wird, daß er das Leben und die Gerechtigkeit aus Gnade ohne Verdienst gibt. Denn dann kann man sagen: Gott ist gütig, gnädig, barmherzig, das sind seine Namen, die zu preisen sind. Die Selbstgerechten aber ehren ihren eigenen Namen. Sie wollen auch lebendig sein in ihrer Gerechtigkeit, darum achten sie Gottes Gerechtigkeit nicht, die er aus Gnade dem Sünder gibt und ihn so in der von ihm gegebenen Gerechtigkeit in der Wahrheit lebendig macht.

Führe meine Seele aus der Not um deiner Gerechtigkeit willen. Er bittet nicht allein, vor seinen Feinden, den Großgerechten, bewahrt, sondern auch endlich von ihnen befreit zu werden. Denn obwohl die Frommen unter den Feinden bewahrt werden, sind sie aber (doch) noch unter ihnen gleichsam gefangen, bis daß sie befreit oder die Feinde bekehrt werden. Und das um seiner Gerechtigkeit willen: nicht daß er das Seine in solcher Erlösung suche, sondern daß man erfahre, wie Gott die Gerechtigkeit des Glaubens wider die Werke bestätige.

12. Und verstöre meine Feinde um deiner Güte willen. Das heißt: um deiner Barmherzigkeit und Gnade willen, daß dieselbe gepriesen und erkannt werde, welchem Preis und welcher Erkenntnis meine Feinde allezeit und sehr entgegen sind, die ihre Gerechtigkeit preisen und (ihre) Weisheit rühmen.

Und bringe um alle, die meine Seele ängstigen. Das sind diese Selbstgerechten, die der Gerechten Seelen in ihrem Strick und Irrtum zu fangen suchen, wie Ps. 124, 7 sagt: »Der Strick ist zerbrochen, und wir sind erlöst.«

Denn ich bin dein Knecht. Das heißt: in Gnaden lebe ich, und darum dient all mein Leben dir und nicht mir, denn ich suche nicht mich, sondern dich und das Deine. Das können aber die nicht tun, die in
ihrer eigenen Gerechtigkeit leben, sondern sie dienen sich selbst, suchen das Ihre in allen Dingen.

Möchte nun jemand zu mir sagen: Kannst du nicht mehr als nur von Menschengerechtigkeit, -weisheit und -stärke reden, die Schrift immer (nur) auf Gottes Gerechtigkeit und Gnade hin auslegen und so nicht mehr als (nur) auf einer Saite Leier spielen und nur ein Liedlein singen? Da antworte ich: Es sehe ein jeglicher auf sich selbst. Das bekenne ich für mich: sooft ich weniger als Christus in der Schrift gefunden habe, bin ich noch nie satt geworden. Sooft ich aber mehr als Christus gefunden habe, bin ich nie ärmer geworden. Deshalb dünkt mich auch das wahr, daß Gott, der heilige Geist, nicht mehr weiß noch wissen will, als Jesus Christus, wie er von demselben sagt: »Er wird mich verklären. Er wird nicht von sich selbst reden, sondern von dem Meinen wird ers nehmen und euch verkünden« (Joh. 16, 13 f.).

Christus ist Gottes Gnade, Barmherzigkeit, Gerechtigkeit, Wahrheit, Weisheit, Stärke, Trost und Seligkeit, uns von Gott ohne alles Verdienst gegeben. Christus selbst sage ich, nicht, wie etliche mit blinden Worten sagen, daß er die Gerechtigkeit nur verursache und gebe, und selbst draußen bleibe. Denn diese »Gerechtigkeit« ist tot, ja sie ist nimmer gegeben, Christus sei denn auch selbst da, gleich wie das Glänzen der Sonne und die Hitze des Feuers nicht ist, wo die Sonne und das Feuer nicht ist.

Nun sind etliche, von denen diese Worte der Gnade so gering geachtet werden und die vermessen sprechen: Wer weiß das nicht, daß ohne Gnade nichts Gutes an uns ist? und dafür halten, daß sie es sehr wohl verstehen. Ja (noch) mehr: wenn man sie fragt, ob sie ihre Gerechtigkeit für nichts achten, so fahren sie geschwind heraus und sagen: Ei, des bin ich gewiß.

Das ist eine jämmerliche, schwere Blindheit, daß sie sich in dem hohen Grade der Vollkommenheit achten, obwohl sie noch nicht den untersten verstanden (und) geschmeckt haben. Denn wie kann ein Mensch hoffärtiger sein, als wer da zu sagen wagt, er sei rein von aller Hoffart und aller bösen Neigung? Denn die geistliche Hoffart ist das letzte und allertiefste Laster – obwohl sie sich (in Wirklichkeit) doch noch nicht rein finden von fleischlicher und menschlicher Neigung. Darum ist nie ein »Heiliger« so kühn gewesen, daß er von sich selbst sagte, daß seine Weisheit und Gerechtigkeit vor ihm selbst nichts sei, sondern sie liegen im Hader und streiten mit sich selbst über diese Dinge.

So kommen denn diese aber mit einem betrügerischen Worte: Ja, die Neigung ist aber nicht Todsünde, und sind abermals der Meinung, daß sie nicht blind seien, sondern wohl wissen, was tägliche oder Todsünde sei und greifen Christus fast in derselben Blindheit nach seinem Richtstuhl. Denn wahr ist es, daß tägliche Sünden nicht verdammen.

Es gibt aber von Natur keine »täglichen Sünden«, außer allein für die, denen sie Gott aus Gnade als »täglich« erachtet. Das tut er aber nur denen, die sie nicht verachten.

Darum ist es gar gefährlich, von »täglichen Sünden« zu reden, wenn man daraus Sicherheit und falschen Trost empfangen will, der da wider die Furcht Gottes strebt und Gottes Gericht gar heimlich verachten lehret. Denn wenn der Mensch am Jüngsten Tag für ein jegliches müßiges Wort Rechenschaft geben soll (Matth. 12, 36), wer will (dann) so kühn sein, daß er sich vor »täglichen Sünden« nicht mit Furcht hüten oder sie beweinen und sich so in demütiger Furcht nach Gnade und Barmherzigkeit ernstlich sehnen wollte?

[Martin Luther: Die Sieben Bußpsalmen (1525). Zeno.org: Martin Luther: Werke, S. 3303-3309
Wer sich nur nach dem, was er fühlt, richtet, der verliert Christus. (Martin Luther)

Jörg
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Von Menschenlehre zu meiden (1522)

Daß Menschenlehren zu meiden sind, Begründung aus der Schrift


Der erste Grund: Mose spricht im fünften Buch, Kapitel 4 Vers 2: »Ihr sollt nichts zutun zu dem Wort, das ich euch sage, und auch nichts davon tun.«
Wird aber jemand sagen, Mose rede von seinem Wort allein (denn über die Bücher Mose hinaus sind auch viele Bücher der Propheten und das ganze Neue Testament dazu getan): Antwort: Es ist aber nichts Neues dazu getan, sondern eben dasselbe, das in den Büchern Mose steht, das steht auch in den andern. Denn die andern Bücher tun nicht mehr, als daß sie die Exempel zeigen, wie Moses Wort gehalten oder nicht gehalten worden sei. Und das wird gut mit mancherlei Worten und Geschichten beschrieben, es ist aber alles dieselbe einzige Lehre und Meinung. Und hier sind sie herauszufordern, daß sie in allen biblischen Büchern außerhalb der Bücher Mose ein Wort zeigen, das nicht zuvor in Moses Buch gefunden werde. Denn das ist unbezweifelbar, daß die ganze Schrift auf Christus allein gerichtet ist. Da nun Christus Joh. 5, 46 sagt: »Mose hat von mir geschrieben«, deshalb ists alles in den Büchern Mose, gleichsam wie im Hauptbuch, was in den andern Büchern ist.

Der zweite Grund ist Jes. 29, 13, und der Herr führt es an Matth. 15, 8: »Dies Volk ehrt mich mit seinen Lippen, aber ihr Herz ist ferne von mir. Aber sie dienen mir vergeblich, weil sie der Menschen Lehre und Gebot lehren.«
Merke das Wort Christi, daß ers vergeblichen Dienst nennt, Gott nach Menschenlehren zu dienen. Denn Christus ist nicht trunken noch töricht; und auf sein Wort ist in allen Dingen zu bauen, vor allen Engeln und Kreaturen.

Der dritte Grund ist derselbe Christus, in demselben Kapitel Matth. 15, 11: »Was zum Munde eingehet, das macht den Menschen nicht unrein; sondern was zum Munde ausgehet, das macht den Menschen unrein.«
Diesen Ausspruch und Urteil soll man gut erfassen, denn er ist zwingend und stößt mit Gewalt herab alle Lehre, Brauch und Leben in bezug auf den Unterschied der Speisen, und macht alle Gewissen frei von allen Gesetzen über Speise und Trank, so daß es frei ist, Milch, Butter, Eier, Käse, Fleisch an allen Tagen zu essen, es sei Sonntag oder Freitag, Fasten oder Advent, und niemand braucht Buttergeld einzulegen oder (Ablaß)briefe dazu zu lösen. Denn es stehet fest dies Wort und trüget nicht: »Was zum Mund eingehet, macht den Menschen nicht unrein«.

Daraus folgt zum ersten, daß erlogen ist, daß man sagt: Petrus habe die Fasten(zeiten) eingesetzt, und es sei ein Gebot der Kirche, bei (Gefahr) einer Todsünde nicht Eier, Butter, Milch, Fleisch drinnen zu essen. Denn Petrus oder die Kirche setzt und lehrt nichts wider Christus. Und ob sie es (gleich) täten, wäre ihnen (doch) nicht zu folgen. Nicht, daß es böse sei, (Fasten) zu halten; aber böse ists, eine Not(wendigkeit) und ein Gebot daraus zu machen, was doch frei(willig) ist, und vorzugeben, es mache unrein und sei Sünde, wovon doch Christus selbst sagt, es sei nicht Sünde und mache nicht unrein.

Zum zweiten folget (daraus), daß es lauter Büberei des Teufels ist, daß der Papst (Ablaß)briefe verkauft und Erlaubnis gibt, Butter, Fleisch usw. zu essen, so es zuvor von Christus in diesem Spruch freigegeben und erlaubt ist.

Zum dritten ists auch Irrtum und Lüge, daß man »Goldfasten, Bannfasten, Apostel- und der Heiligen Abendfasten« notwendig macht bei (Gefahr) einer Sünde als ein Gebot der Kirche. Denn es steht wider solches alles dies Wort Christi: »Was zum Mund eingehet, macht den Menschen nicht unrein.« Sondern die Fasten sollen frei sein, und die Tage und der Speise halber im Belieben des einzelnen stehen, ewiglich.

Zum vierten sind die Orden des Benediktus, Bernhardus, der Kartäuser und alle andern, die da Fleisch und desgleichen aus Notwendigkeit und Gebot meiden, als sei es Sünde, wider Christus. Denn ihr Tun saget nichts anders als stracks wider Christi Mund so: Was zum Mund eingeht, macht unrein. Und Christus muß ihr Lügner sein, da er saget: »Was zum Mund eingehet, macht den Menschen nicht unrein.«

Und so siehest du, daß dieser einzige Spruch Christi alle Orden und geistlich Regiment mächtig verdammt. Denn so das nicht unrein macht, das zum Mund eingehet: um wieviel weniger wird unrein machen, das an den Leib gelegt wird, es sei Kutten, Rock, Hemd, Hose, Schuh, Mantel, grün, gelb, blau, rot, weiß, bunt, wie man will; desselbigen gleichen auch die Stätte, wie Kirchen, Zellen, Haus, Kammer?

So folgt, daß, wer es für Sünde hält, ob ein Mönch ohne seines Ordens Kleid ginge, und wollts nicht frei(willig) sein lassen, der macht Christus abermals zum Lügner und setzt Sünde darauf, wo sie Christus abtut und spricht Ja, wo Christus Nein sagt. Was sind denn nun solche Mönche für andere Leute, als die stracks Christus in sein Angesicht sagen: Du lügst; es ist Sünde da, da du sagst, es sei nicht Sünde!

Es hilft nichts, daß sie Bernhard, Gregor, Franziskus und mehr Heilige vorbringen wollen. Man muß Christus hören, was der sagt, welcher allein vom Vater auf dem Berge Tabor zum Lehrer gemacht ist, da er sprach, Matth. 17, 5: »Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe, den sollt ihr hören.« Er hat nicht gesagt: Höret Bernhard, Gregor usw., sondern: den höret, den, den, den, meinen lieben Sohn. Wer weiß, wie die Heiligen hierin gesündigt oder recht getan haben? Sie habens nicht als Notwendigkeit und Gebot gehalten. Haben sie es aber als Notwendigkeit und Gebot gehalten, so haben sie geirret, und ist nicht ihnen zu folgen und Christus zu lassen.

Dies alles bestätiget, was Christus am selben Ort, Matth. 15, 11, daraus folgert: »Was zum Munde ausgehet, das macht den Menschen unrein.« Denn aus dem Mund gehet von dem Herzen böse Gedanken, Buhlerei, Ehebruch, Dieberei, Lügen, Lästerung usw. Solches macht den Menschen unrein (15, 19 f.). Hier fragen wir: So das allein Sünde und unrein ist, das aus dem Herzen gehet, wie hier Christus zwingend erörtert und schließt, wie kann denn Butter, Milch, Eier, Käse unrein machen, das nicht aus dem Mund noch Herzen, sondern aus dem Bauch der Kühe und Hennen kommt? Wer hat je Fleisch, Tonsuren, Kutten, Klöster, hären Hemd aus dem Munde gehen sehen? Es müßten denn die Kühe sündigen, daß sie Milch und Butter geben und Kälber tragen.

Darum ists nicht allein Gotteslästerung und Lügen und Betrügen, sondern rechtes Narrenwerk und Affenspiel: aller Mönche und Menschen Gesetz von Speisen, Kleidern und Stätten und allem äußerlichen Ding. Wahr ists, daß jemand eine böse Lust zu überflüssigem Essen und Kleiden haben kann; aber das geht aus dem Herzen und kann ebensowohl an Fischen wie an Fleisch, an grauem Tuch wie an rotem Samt geschehen. Summa summarum, Christus lügt in diesen Worten nicht: »Was zum Mund eingehet, macht nicht unrein, was aber zum Mund ausgehet, das macht unrein.«

[Martin Luther: Von Menschenlehre zu meiden (1522). Zeno.org: Martin Luther: Werke, S. 2389-2395
Wer sich nur nach dem, was er fühlt, richtet, der verliert Christus. (Martin Luther)

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Von Menschenlehre zu meiden (1522)

Daß Menschenlehren zu meiden sind, Begründung aus der Schrift


Wenn aber das wahr ist, daß solches nicht unrein noch Sünde ist, so man unterläßt, was Menschen Gebot ist: so muß es umgekehrt auch nicht rein noch Verdienst sein, wenn man es hält und tut; sintemal allein das rein und Verdienst ist, was der Sünde und dem Unreinen entgegen ist. Darum ist in aller Mönche Leben weder Reines noch Verdienst. Das meinet auch der Herr Christus, da er Matth. 15, 9 saget: »Vergeblich dienen sie mir mit Menschengeboten.« Warum vergeblich? Nämlich deshalb, weil Unterlassen keine Sünde und Halten kein Verdienst, sondern alles frei ist. Darum betrügen sie sich selbst und machen Verdienst, da keines ist, und fürchten sich vor Sünden, da keine ist, wie der 14. Psalm V. 5 sagt: Sie fürchten sich, da keine Furcht ist.

Der vierte Grund ist Paulus, im ersten Brief an Timotheus, Kap. 4, 1-7: «Der Geist aber sagt deutlich, daß in den letzten Zeiten werden etliche von dem Glauben abfallen und anhangen den verführerischen Geistern und Lehren böser Geister durch die Heuchelei der Lügenredner, die ein Brandmal in ihrem Gewissen haben. Sie gebieten, nicht ehelich zu werden und zu meiden die Speisen, die Gott dazu geschaffen hat, daß sie mit Danksagung empfangen werden von den Gläubigen und denen, die die Wahrheit erkennen. Denn alles, was Gott geschaffen hat, ist gut, und nichts ist verwerflich, was mit Danksagung empfangen wird; denn es wird geheiligt durch das Wort Gottes und Gebet. Wenn du den Brüdern solches vorhältst, so wirst du ein guter Diener Christi Jesu sein, auferzogen in den Worten des Glaubens und der guten Lehre, bei welcher du immerdar gewesen bist. Aber die ungeistlichen Altweiberfabeln weise ab.«

O welch ein Donner und Wetter ist das über alle Menschenwerke, Lehren und Orden! Aufs erste, wenn sie rühmen, ihre Sache komme vom Papst und heiligen Vätern, was wird Christus darüber richten? Wird er nicht so sagen: Paulus, mein Apostel, ist mein auserwähltes Werkzeug, wie Lukas Apg. 9, 15 schreibt. Warum habt ihr denn sein Wort nicht mehr gelten lassen als das des Papstes und der Väter, von denen ihr nicht wisset, wessen Werkzeug sie sind? Wie werden sie da bestehen?

Aufs andere fragen wir sie, ob nicht Butter, Eier, Fleisch, Milch und alle Speise, die sie an den Fasttagen und in den Orden meiden, Gott geschaffen habe und Gottes Kreatur sind? Deshalb ists gewiß, daß sie die sind, von denen hier Paulus sagt, daß sie die Speise verbieten, die Gott geschaffen und den Gläubigen zu brauchen gegeben hat; und verbieten den ehelichen Stand dazu. Daran können sie nicht vorüber: dieser Spruch trifft und meinet sie. Nun laß sehen, was Paulus von ihnen hält, und wie er sie tadelt:

Zum ersten sind sie vom Glauben abtrünnig geworden. Denn es wäre unmöglich, daß sie solche Lehre und Werk aufrichteten, wenn sie nicht dadurch fromm zu sein und selig zu werden gedächten. Solcher Wahn aber ist schon ein sicheres Zeichen, daß sie vom Glauben abtrünnig geworden sind; sintemal allein der Glaube das tun soll, was sie mit den Werken suchen, wie oft gesagt ist.

Zum zweiten achten sie auf irrige Geister. Er sagt nicht: auf irrige Menschen, sondern: auf irrige Geister. Das sind, die da geistliche Dinge vorgeben und sich geistlich nennen lassen, und ihr Wesen soll aus dem Geist und in dem Geist sein. Weil sie nun glaubenslos sind, ists nicht möglich, daß sie in geistlichen Sachen nicht irren sollten. Darum folgt es fein aufeinander: Abtrünnigwerden vom Glauben und dem Irrtum im Geist folgen.

Zum dritten: ihre Lehre nennt er Teufelslehren. Das muß auch folgen: wo Glaube und der wahre Geist nicht ist, da gibt der Teufel den irrigen Geist ein und führt sie mit hübsch gefärbten Lehren und Werken, daß sie sich dünken lassen, sie seien besonders geistlich. Aber weil die Lehre nicht aus der Schrift fließt, kann sie niemandes anders als des Teufels sein.

Zum vierten sind sie Falschredner. Denn sie führen und zwingen auch zuweilen die heilige Schrift und der Väter Worte unter ihre Lehre, wie wir täglich an ihnen sehen. Aber das ist falsch und erlogen; sintemal die Schrift aufs höchste wider sie ist.

Zum fünften ists eitel Gleißnerei. Das ist wahr und bedarf keiner Erklärung; denn all ihr Wesen ist nur Schein und Gleißen in äußerlichem Wandel der Speise und Kleider.

Zum sechsten haben sie ein Brandmal in ihrem Gewissen, das ist ein unnatürliches Gewissen. Denn wo keine Sünde und Gewissen ist, da machen sie Sünde und Gewissen, wie droben gesagt ist, gleich wie eine Brandnarbe ein unnatürliches Mal am Leibe ist.

Zum siebenten verbieten sie die Ehe damit, daß sie solchen Stand aufrichten, der ohne Ehe sein soll; wie wir sowohl an Pfaffen wie Mönchen sehen. Darum siehe hier das Urteil Gottes über solche Lehre und Stände, daß es Teufelslehren, irrige Lehren, falsche Lehren, ungläubige Lehren, gleißnerische Lehren sind. Hilf Gott, wer will drinnen bleiben, wenn Gott selbst solch Urteil fället? Was hülfs, daß du tausend Gelübde und Eide auf solche Lehren getan hättest? Ja, je härter das Gelübde ist, je mehr ist es zu zerreißen, weil es auf Teufels Lehren (hin) wider Gott geschehen ist.

Aber siehe zu, wie fein drehen sie sich heraus und wenden diesen Spruch von sich, sagen, er gehe sie nichts an, sondern die Tatianer, die Ketzer, die den ehelichen Stand gänzlich verdammten. Aber Paulus redet hier nicht von denen, die den Ehestand verdammen, sondern von denen, die ihn um der Gleisnerei willen verbieten, daß sie geistlich sein wollen. Es sei aber (meinetwegen) so, daß Paulus wider die Tatianer rede. Wenn aber der Papst tut, was die Tatianer taten, warum sollts nicht auch auf ihn gesagt sein? Es sei Tatianer oder Papst, so sind sie hier getroffen, die die Ehe verbieten. Die Worte des Paulus verdammen das Werk ohne Unterschied der Person. Wer die Ehe verbietet, der ist des Teufels Jünger und Apostel, wie die Worte klar lauten. Weil denn das der Papst tut, so muß er des Teufels Jünger sein mit allen den Seinen, oder Paulus muß lügen.

Zum achten verbieten sie Speise, die Gott geschaffen hat. Da siehst du abermals, daß Menschenlehren von Gott selbst durch den Mund des Paulus dem Teufel zugeeignet werden. Was willst du Größeres und Greulicheres von Menschenlehren hören, als daß sie abtrünnig sind vom Glauben, irrig, falsch, teuflisch, gleißnerisch? Welchen dieser Spruch nicht genug ist, was mag (ihnen) denn genug sein? Ist aber die Lehre vom Speise-Verbieten teuflisch und unchristlich, so wird die von den Kleidern, Tonsuren, Stätten und allem äußern Wandel ebensowohl teuflisch und unchristlich sein.

Aber hier drehen sie sich abermals heraus, sagen, Paulus rede von den Manichäern. Da fragen wir nichts nach. Paulus redet von den Speiseverbietern: das tut der Papst mit den Seinen, er sei ein Manichäer oder Tatianer. Paulus redet vom Werk, das wir am Papst sehen. Darum können wir den Spruch nicht von ihm abwenden. Wenn heute oder morgen ein anderer aufstünde und auch die Speise verböte, sollts darum nicht von ihm gesagt sein, ob er (auch) kein Manichäer wäre? Auf diese Weise möchte man freiweg tun, was Paulus hier verbietet, und sagen, es treffe uns nicht, sondern die alten Manichäer. Nicht so: Ist der Papst kein Manichäer mit seinen Mönchen und Pfaffen, das ist mir gleich. Ich sage aber gleichwohl, daß er wider die Lehre des Paulus tut und lehrt, so sehr wie kein Manichäer.

Zum neunten sind sie undankbar. Denn Gott hat die Speise geschaffen (sagt hier Paulus), daß man sie mit Danksagung empfangen soll. Das schlagen sie aus, auf daß sie ja nicht Gottes Gütigkeit dankbar sein müssen. Das macht, sie sind nicht gläubig, noch erkennen sie die Wahrheit. Denn Paulus sagt 1. Tim. 4, 3: »Den Gläubigen und denen, die die Wahrheit erkannt haben, sind sie gegeben, daß sie mit Danksagung empfangen werden.« Sind sie aber ungläubig und erkennen die Wahrheit nicht, wie sie hier Paulus schilt, so sind sie gewißlich Heiden, Unchristen, blind und unweise. Das heißt jedenfalls, meine ich, den Papst, Pfaffen, Mönche loben.

Zum zehnten sind sie als böse, schädliche Prediger von ihm getadelt. Denn er sagt hier, Timotheus sei ein guter Prediger, mit Worten des Glaubens und guter Lehre auferzogen, wo er solches den Brüdern vorhalte. So müssen ja umgekehrt immer die böse Prediger und mit Worten des Unglaubens und böser Lehre auferzogen sein, die das Gegenteil lehren.

Zum elften nennt er solche Lehre ungeistliche Altweiberfabeln (1. Tim. 4, 7)! Ist das nicht spöttisch geredet? Die großen Lehrer gehen mit Märlein um, von denen die alten Weiber hinter dem Ofen schwatzen, und es ist ungeweihtes, ungeistliches, unheiliges Geschwätz, obwohl sie doch eitel Heiligkeit daraus machen. Wer hat nun je Menschenlehre so greulich auf alle Weise tadeln gehört, daß sie abtrünnig, ungläubig, unchristlich, heidnisch, irrig, teuflisch, falsch, gleißnerisch, das Gewissen verletzend, undankbar wider die Ehre und Kreatur Gottes, schädliche Fabeln und Altweibergeschwätz sei? Fliehe, wer fliehen kann, aus diesem Urteil Gottes!

Der fünfte Grund ist abermals Paulus, im Kolosserbrief Kap. 2, Vers 16-23: «So lasset nun niemand euch ein Gewissen machen über Speise oder über Trank oder über bestimmte Feiertage oder Neumonde oder Sabbate. Das alles ist nur der Schatten von dem, was zukünftig sein soll; aber leibhaftig ist es in Christus. Lasset euch niemand das Ziel verrücken, der sich gefällt in falscher Demut und Verehrung der Engel und sich mit seinen Gesichten rühmt und ist ohne Ursache aufgeblasen in seinem fleischlichen Sinn und hält sich nicht an das Haupt, von dem her der ganze Leib durch Gelenke und Bänder gestützt und zusammengehalten wird und so wächst zu der Größe, wie Gott sie will. Wenn ihr denn nun abgestorben seid mit Christus den Elementen der Welt, was lasset ihr euch denn Satzungen auferlegen, als lebtet ihr noch in der Welt: Du sollst das nicht angreifen, du sollst dies nicht kosten, du sollst jenes nicht anrühren? Das alles soll sich doch unter den Händen verzehren; es sind der Menschen Gebote und Lehren, die einen Schein von Weisheit haben durch selbsterwählte Frömmigkeit und Demut und dadurch, daß sie des Leibes nicht schonen, nicht aus Ehrfurcht, sondern um des Fleisches Gelüsten zu dienen.«

[Martin Luther: Von Menschenlehre zu meiden (1522). Zeno.org: Martin Luther: Werke, S. 2395-2402
Wer sich nur nach dem, was er fühlt, richtet, der verliert Christus. (Martin Luther)

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Von Menschenlehre zu meiden (1522)



Daß Menschenlehren zu meiden sind, Begründung aus der Schrift


Redet hier Paulus auch von den Manichäern oder Tatianern? Oder kann man die Papisten hiervor entschuldigen? Er redet ja wider die, so die Gewissen mit Menschenlehren fangen und Gewissen(sbedenken) über der Speise, Trank, Kleidern, Tagen und allem, was äußerlich ist, machen. Man kann nicht leugnen, daß der Papst, Stifte und Klöster dies mit ihren Regeln und Statuten tun, da sie wehren, Fleisch, Eier, Butter zu essen, gewöhnliche, nicht besondere Kleider zu tragen. Nun steht hier Paulus und spricht: Aufs erste: »Laßt euch nun niemand ein Gewissen machen«, richten, urteilen oder verdammen in der Speise, Trank, Kleid, Tagen. Was ist das anders gesagt als: seid keine Pfaffen noch Mönche und haltet des Papstes Gesetze ja nicht; glaubt ihm auch nicht, daß es Sünde oder Gewissen sei, was er für Sünde ausgibt! Siehe, so gebietet Gott durch Paulus, des Papstes und der Klöster Gesetze zu verachten und (für) frei zu halten, daß sie nicht die Gewissen fangen. Das ist immer so viel gesagt: werdet nicht Mönche noch Pfaffen, und wer es geworden ist, der kehre um oder halte solches Ding frei(willig) und ohne Not des Gewissens.

Und obwohl das von den Juden gesagt ist, die nach dem Gesetz des Mose solches hielten (denn er sagt Kol. 2, 17: solches sei Schatten und Bild des Zukünftigen gewesen, der Leib aber selbst sei in Christus), so gilts doch viel mehr wider des Papstes und der Mönche Satzung. Denn so das aufhört, was Gott gesetzt hat, und nicht mehr die Gewissen binden soll: wieviel mehr soll von Menschen nichts aufgesetzt noch gehalten werden, das die Gewissen binde? Auch wird weiter hernach (etwas) von den reinen Menschengesetzen folgen, nämlich aufs zweite sagte er: »Laßt euch nicht das Ziel verrücken« oder Nebenwege nach dem Kleinod zurichten! Was ist das anders, als vom Glauben, der da allein der einzige rechte Weg ist, zum Kleinod der Seligkeit zu streben, auf die Werke führen und auf anderen Wegen gen Himmel streben und vorgeben, das sei die Bahn zum Kleinod; wie denn die Orden und des Papsts Lehren tun. Was geben sie aber für Wege vor? Höre zu:

Aufs dritte spricht er: »in selbsterwählter Demut und Verehrung der Engel«. Wie hätte er die Orden besser treffen können? Ists nicht so, daß der Papst und sie alle ihr Geplärre von ihrem Gehorsam treiben, er solle die edelste Tugend sein? Das ist die teure geistliche Demut der Katholiken. Aber wer hat sie geboten? Sie selber haben sie erfunden und erwählt, sich selbst zu verführen. Denn damit haben sie sich selbst aus der allgemeinen Demut und Gehorsam ausgeschlossen, die Gott geboten hat, daß ein jeglicher dem andern sich demütigen und unterordnen soll. Sie aber sind keinem Menschen auf Erden untertan, sondern ganz ausgesondert und haben einen eigenen Gehorsam und Demut nach ihren Statuten angerichtet. Dennoch geben sie vor, ihr Gehorsam sei übermenschlich, vollkommen und gleichsam engelhaft, obwohl kein ungehorsameres, undemütigeres Volk auf Erden ist als sie.

Desselbengleichen haben sie auch Gelübde der Keuschheit und Armut. Sie arbeiten nicht wie andere Menschen, sondern wie die Engel im Himmel loben und dienen sie Gott Tag und Nacht. Kurz, ihr Leben sei himmlisch, obwohl doch keine greulichere Unkeuschheit, kein größerer Reichtum, keine unandächtigeren Herzen, kein verstockteres Volk auf Erden ist als in dem geistlichen Stand, wie jedermann sieht. Dennoch führen sie alle Welt von der (rechten) Bahn auf den Nebenweg mit ihrem selbsterwählten, schönen, geistlichen, engelhaften Leben. Dies alles, meine ich, sei ja nicht von Juden noch von den Manichäern gesagt, sondern von den Katholiken; das zeigen die Werke.

Aufs vierte sagt er: Er trete einher in solcher Geistlichkeit und in dem, das er nie gesehen hat. Das ist das allerärgste an Menschenlehren und Leben, daß es ohne Grund und Vorbild der Schrift gehet, und sie nicht wissen können, was sie tun, obs gut oder böse sei. Denn all ihr Wandel steht auf gut Glück, dass wenn du sie fragst, ob sie gewiß seien, daß ihr Tun vor Gott angenehm sei, so sprechen sie, sie wissens nicht, wie müssens auf gut Glück wagen: geräts, so geräts. Und sie müssen das auch so sagen; sintemal sie ohne Glauben sind, welcher uns allein gewiß macht, daß all unser Wesen Gott gefällt, nicht aus Verdienst, sondern aus Gnaden. So ist all ihre Demut, Gehorsam und ganze Geistlichkeit, wenn sie gleich am besten ist, ungewiß und verloren.

Aufs fünfte: »Umsonst blasen sie sich auf«, das ist, sie haben keine Veranlassung dazu. Denn obwohl sie ein ungewiß, ungläubisch und eitel verdammlich Wesen führen, wagen sie sich dennoch aufzublasen und vorzugeben, ihr Wesen sei das beste und allein der rechte Weg, so daß aller anderer Leben vor ihnen stinkt und nichts ist. Aber solchen aufgeblasenen, fleischlichen Sinn sehen noch fühlen sie nicht vor großer engelhafter Demut und Gehorsam. O der Frucht menschlicher Lehre!

Aufs sechste »halten sie sich nicht am Haupt« Christus. Denn es ist unmöglich, daß Menschenlehre und Christus eins sein sollten; es muß eines das andere aufheben. Tröstet sich das Gewissen auf Christus, so muß der Trost auf Werk und Lehre hinfallen. Tröstet sichs auf Werk, so muß Christus hinfallen. Es mag und kann sich das Herz nicht auf zweierlei Grund bauen; einer muß verlassen werden. Nun sehen wir, daß der Papisten ganzer Trost auf ihrem Wesen steht; denn wo er nicht darauf stünde, so achteten sie seiner nicht und ließen es fahren, oder brauchten seiner frei, wie und wann sie wollten.

Wenn nun kein ander Unglück an Menschenlehren wäre, so wäre leider dieses allzu groß, daß man Christus deswegen verlassen und das Haupt verlieren und das Herz auf solchen Greuel bauen muß. Darum nennt Petrus die Orden greulich und spricht: Es sind verderbliche Sekten, die Christus verleugnen, und sagt in dem zweiten Brief Kap. 2, 1 so: »Es werden unter euch sein falsche Lehrer, die neben einführen verderbliche Sekten und verleugnen den Herrn, der sie erkauft hat.«

Aufs siebente ists klar genug, wie er mit den Worten unsere Geistlichen meint, da er (Kol. 2, 20) sagt: So ihr mit Christus gestorben seid, was laßt ihr euch mit Satzungen Gewissen machen, nämlich: das sollst du nicht anrühren, das sollst du nicht essen, das sollst du nicht tragen usw.? Wer kann hier leugnen, daß Gott durch Paulus verbietet, alle Menschenlehren zu lehren und zu hören, sofern sie das Gewissen nötigen? Wer kann denn nun mit gutem Gewissen ein Mönch, Pfaff oder unter dem Papst sein? Sie müssen ja bekennen, daß ihre Gewissen mit solchen Gesetzen gefangen sind. So siehst du, welch ein mächtiger Spruch dies ist wider alle Menschenlehre, daß es erschrecklich zu hören ist, daß sie Christus das Haupt (ver)lassen, den Glauben verleugnen und so Heiden werden müssen; obwohl sie doch meinen, die Welt stehe auf ihrer Heiligkeit.

Der sechste Grund ist abermals Paulus, der im Brief an die Galater im ersten Kapitel (Vers 8, 9) spricht: »Aber wenn auch wir oder ein Engel vom Himmel euch würde Evangelium predigen anders, als wir euch gepredigt haben, der sei verflucht. Wie wir eben gesagt haben, so sage ich abermals: Wenn jemand euch Evangelium predigt anders, als ihr es empfangen habt, der sei verflucht.« Hier hörst du ein Urteil Gottes über den Papst und alle Menschenlehre, daß sie im Bann sind. Nun ist dieser Bann nicht wie des Papstes Bann, sondern ewig, und sondert von Gott, von Christus, von aller Seligkeit und von allem Gut und macht zu des Teufels Genossen. O welch ein greulich Urteil ist das! Nun siehe, ob nicht Papst, Pfaffen und Mönche anders und über das hinaus verkündigen und lehren, was von Christus und seinen Aposteln gelehrt ist. Droben ist gesagt, daß Christus Matth. 15, 11 lehrt: »Was zum Munde eingeht, macht den Menschen nicht unrein.« Dem entgegen und darüber (hinaus) spricht der Papst, Pfaffen und Mönche: Du lügst, Christus, was du sagst; denn Fleischessen macht einen Kartäuser unrein und verdammt ihn (eben) so auch dergleichen Orden. Siehe, heißt das nicht stracks Christus aufs Maul schlagen, ihn Lügen strafen und lästern und anders lehren als er gelehrt hat? Darum ist das Urteil recht, daß sie als die Gotteslästerer zu ewigem Bann verurteilt und verdammt werden in ihrer großen Heiligkeit.

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Wer sich nur nach dem, was er fühlt, richtet, der verliert Christus. (Martin Luther)

Jörg
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Von Menschenlehre zu meiden (1522)



Daß Menschenlehren zu meiden sind, Begründung aus der Schrift


Der siebente Grund ist abermals Paulus, der im Brief an Titus (1, 13 f.) sagt: »Darum weise sie scharf zurecht, auf daß sie gesund werden im Glauben und nicht achten auf die jüdischen Fabeln und die Gebote von Menschen, welche sich von der Wahrheit abwenden.«

Siehe da, das ist ein eindeutiger Befehl, man solle schlechterdings nicht der Menschen Gebote achten. Lieber, ist das nicht helle genug? Und (Paulus) gibt auch die Ursache an: »Sie wenden sich von der Wahrheit ab«, spricht er. Denn wie auch droben gesagt ist: ein Herz kann sich nicht zugleich auf Christus verlassen und auf Menschenlehre oder Werk. Darum, sobald man auf Menschenlehre fällt, so wendet man sich von der Wahrheit weg und achtet ihrer nicht. Umgekehrt: wer sich auf Christus getröstet, der kann Menschengebot und Werk nicht achten.

Nun siehe zu, wessen Bann du am meisten fürchten sollst. Der Papst und die Seinen werfen dich fern hinter die Hölle, so du ihr Gehot nicht achtest. Und Christus gebietet dir bei seinem Bann, du sollst sie nicht achten. Denke nun nach, welchem du folgen willst.

Der achte Grund ist Petrus im zweiten Brief Kap. 2, 1 bis 3, der spricht: »Es waren aber auch falsche Propheten unter dem Volk, wie auch unter euch sein werden falsche Lehrer, die neben einführen verderbliche Sekten und verleugnen den Herrn, der sie erkauft hat, und werden über sich selbst eine schnelle Verdammnis herbeiführen. Und viele werden nachfolgen ihrem zuchtlosen Wandel; und um ihretwillen wird der Weg der Wahrheit verlästert werden. Und aus Habsucht werden sie mit erdichteten Worten an euch ihren Vorteil suchen. Ihnen ist das Urteil seit langem bereitet, und ihre Verdammnis schläft nicht.«

Siehe da, die Orden und Stifte sind »Sekten der Verdammnis«! Wieso? Deshalb, weil sie Christus verleugnen und den Weg des Glaubens verlästern. Womit? Damit: Christus spricht, es sei keine Sünde noch Gerechtigkeit in Essen, Trinken, Kleidern, Stätten und Menschenwerken; das tadeln sie, lehren und leben, es sei Sünde und Gerechtigkeit drinnen. So muß Christus lügen, verleugnet und verlästert sein mit seiner Lehre und Glauben.

Dennoch gehen sie mit erdichteten Worten um und geben Gehorsam, Keuschheit, Gottesdienst vor; aber nur aus Geiz, damit sie um uns markten, bis daß sie aller Welt Güter zu sich gebracht haben, als die da jedermann mit ihrem Gottesdienst gen Himmel helfen wollen. Darum sind es und bleiben Sekten der Verdammnis und Gotteslästerung.

Der neunte Grund ist abermals Christus, der Matth. 24, 33 f. spricht: »Wenn alsdann jemand zu euch wird sagen: Siehe, hier ist der Christus! oder da! so sollt ihrs nicht glauben. Denn mancher falsche Christus und falsche Propheten werden aufstehen und große Zeichen und Wunder tun, so daß, wenn es möglich wäre, auch die Auserwählten verführt würden. Siehe, ich habe es euch zuvor gesagt. Darum, wenn sie zu euch sagen werden: Siehe, er ist in der Wüste! so gehet nicht hinaus; siehe, er ist in der Kammer! so glaubt es nicht.«

Sage, wie kann ein Mönch selig werden? Er bindet immer seine Seligkeit an eine Stätte und spricht: Hier ist mir Christus, wenn ich hier nicht bliebe, so wäre ich verloren. Christus aber spricht: Nein, ich bin nicht hier. Wer will die beide eines machen? Darum ists klar aus diesem Wort Christi, daß alle Lehren, die das Gewissen an eine Stätte binden, wider Christus sind. Läßt er aber das Gewissen nicht an (bestimmte) Stätten binden, so läßt ers auch nicht an Speise, Kleider, Gebärden und alles Äußerliche binden. So daß kein Zweifel ist, dieser Spruch rede vom Papst und seinen Geistlichen. Und Christus selbst absolviert und sondert hier alle Pfaffen und Mönche aus, indem er alle Orden und Klöster verdammt und sagt: Glaubt nicht, gehet nicht hin usw.

Eben in der Absicht sagt er auch Luk. 17, 20 f.: »Das Reich Gottes kommt nicht so, daß mans mit Augen sehen kann; man wird auch nicht sagen: Siehe, hier! oder: da! Denn siehe, das Reich Gottes ist mitten unter euch.« Ist das nicht auch klar genug? Nun können ja Menschenlehren nicht anders als äußerlich Ding ordnen. Weil denn Gottes Reich nicht äußerlich Ding ist, so müssen sie seiner verfehlen und irregehen, beide, Lehrer und Schüler.

Es hilft ihnen auch nichts, daß sie sagen, heilige Väter haben die Orden geführet. Denn Christus hat die Ausrede schon umgestoßen, dieweil er spricht: die Auserwählten möchten verführet werden. Das ist: sie werden irren, aber nicht drinnen bleiben. Was wäre es sonst für ein besonders großer Irrtum, wenn die Auserwählten nicht irrten? Es sei nun der Heiligen Lehre und Exempel, wie es sei, so sind Christi Worte gewiß und klar: dem müssen wir folgen, und nicht den Heiligen, deren Lehre und Werke ungewiß sind. Es steht fest, daß er spricht: Das Reich Gottes steht in euch und nicht außerhalb eurer, hier oder da.

Der zehnte Grund ist Salomo im 30. Kapitel seiner Sprüche (V. 5 f.): »Alle Worte Gottes sind durchläutert; er ist ein Schild denen, die auf ihn trauen. Tue nichts zu seinen Worten, daß er dich nicht strafe und werdest lügenhaft erfunden.« Das sei der Beschluß für diesmal. Denn es ist noch viel mehr in den Propheten, besonders in Jeremia, davon ich in der (Schrift über die) Beichte geschrieben. So schließt hier Salomo, daß der ein Lügenhaftiger ist, der etwas zu den Worten Gottes zusetzt; denn es soll nur Gottes Wort uns lehren, wie Christus Matth. 23, 8 sagt: »Laßt euch nicht Meister heißen. Ein Meister ist in euch, Christus.« Amen, dabei bleibs!


Antwort auf Sprüche, die man anführt, Menschenlehre zu stärken

Der erste ist Luk. 10, 16, da Christus spricht: »Wer euch hört, der hört mich; und wer euch verachtet, der verachtet mich.« Desgleichen saget er auch Matth. 10, 40 und Mark. 6, 11. Hier soll Christus uns zwingen (geben sie vor), daß man ihr Menschengesetz aufnehmen müsse.

Antwort: Das ist nicht wahr. Denn Christus, ehe er diese Worte redet, sagt er kurz davor (10, 9): Gehet hin »und sprecht: Das Reich Gottes ist nahe zu euch gekommen«. Damit verstopft Christus allen Menschenlehren das Maul und gibt den Aposteln Befehl, was sie lehren sollen, und legt ihnen das Wort selbst in den Mund und spricht: Sie sollen vom Reich Gottes predigen. Wer nun nicht von Gottes Reich predigt, der ist nicht von Christus gesandt, den gehen auch diese Worte nicht an; sondern vielmehr beweisen diese Worte, man solle nicht Menschenlehre hören. Nun ist vom Reich Gottes predigen nichts anders als das Evangelium predigen, darin der Glaube Christi gelehret wird, durch welchen allein Gott in uns wohnet und regieret. Aber Menschenlehren predigen nichts vom Glauben, sondern von Essen, Kleidern, Zeit, Stätten, Personen und von eitel äußerlichen Dingen, da die Seele nichts von hat.

Siehe nun die rechtschaffenen Hirten und treuen Lehrer an, wie redlich sie mit dem armen Volke umgegangen sind. Diesen Spruch: »Wer euch hört, der hört mich«, haben sie meisterlich herausgezwackt und mit großem Schrecken in uns hineingetrieben, bis sie uns unter sich gebracht haben. Aber daß zuvor steht: Prediget vom Reiche Gottes, haben sie gar fein verschwiegen und sind ritterlich vorübergesprungen, auf daß sie ja nicht gezwungen würden, uns allein das Evangelium zu predigen. Die edlen teuren Meister, (die wollten) man sollte ihnen noch dazu danken!

Weiter, im letzten Kapitel des Markusevangeliums, da er die Jünger aussandte zu predigen, da laßt uns hören, wie er ihnen Befehl tut und ihrem Lehren das Ziel steckt und ihre Zungen zäumet und spricht: »Gehet hin in alle Welt und predigt das Evangelium aller Kreatur: Wer da glaubet, der wird selig werden« usw. (Mark. 16, 15). Er sagt nicht: Gehet hin und predigt, was ihr wollt oder was euch recht dünkt, sondern legt ihnen sein eigenes Wort in den Mund und heißt sie das Evangelium predigen.

Im letzten Kapitel des Matthäusevangeliums spricht er ferner desgleichen: »Gehet hin und machet zu Jüngern alle Völker: taufet sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes, und lehret sie halten alles, was ich euch befohlen habe« (Matth. 28, 19 f.). Siehe da! Abermals spricht er nicht: lehret sie halten, was ihr erfindet, sondern: »was ich euch befohlen habe«. Darum muß und kanns nicht anders sein, der Papst mit seinen Bischöfen und Lehrern muß ein Wolf und des Teufels Apostel sein, weil er nicht Christi Befehl, sondern sein eigenes Wort lehret. Ferner gibt auch der Herr Matth. 25, 15 in dem Gleichnis mit den drei Knechten ebenso einen Hinweis dadurch, daß der Hausvater die Knechte nicht mit ihrem eigenen Gut, sondern mit seinem Gut handeln hieß, und gab einem fünf Pfund, dem andern zwei, dem dritten eins.

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Wer sich nur nach dem, was er fühlt, richtet, der verliert Christus. (Martin Luther)

Jörg
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Von Menschenlehre zu meiden (1522)


Antwort auf Sprüche, die man anführt, Menschenlehre zu stärken


Der zweite Spruch ist Matth. 23, 2 f., da der Herr sagt: »Auf des Mose Stuhl sitzen die Schriftgelehrten und Pharisäer. Alles nun, was sie euch sagen, das tut und haltet.« Da, da (sagen sie) haben wir Vollmacht zu lehren, was uns recht dünkt.

Antwort: Ist das Christi Meinung, so bestehen wir nicht gut. Dann möchte ein jeglicher Papst neue und mehr Gesetze machen, so lange, bis die Welt die Gesetze nicht mehr fassen könnte. Aber sie gebrauchen diesen Spruch gleich wie den vorigen. Was heißt: »auf Moses Stuhl sitzen«? Laßt uns fragen: was hat Mose gelehret? Und wenn er noch heute darauf säße, was würde er lehren? Ohne Zweifel nichts, als was er vorzeiten lehrte, nämlich Gottes Gebot und Wort. Er hat ja noch nie eine Menschenlehre geredet, sondern das, was ihm Gott zu reden befohlen hat, wie das fast alle Kapitel ausweisen. Daraus folgt, daß wer etwas anderes als Mose lehret, der sitzt nicht auf des Mose Stuhl. Denn darum nennt es der Herr »des Mose Stuhl«, daß des Mose Lehre darauf gelesen und gelehret werden sollte. Das geben auch die folgenden Worte (zu erkennen), da der Herr spricht: »Aber nach ihren Werken sollt ihr nicht tun; sie sagens wohl, und tuns nicht. Sie binden schwere Bürden und legen sie den Menschen auf den Hals; aber sie selbst wollen sie nicht mit einem Finger anrühren.«

Siehe, da tadelt er ihr Tun, daß sie den Menschen viele Gesetze über Moses Lehre hinaus auf den Hals laden, die sie selbst nicht anrühren. Und danach spricht er V. 16 f.: »Weh euch, Schriftgelehrte und Pharisäer, ihr Heuchler, die ihr sagt: Wenn einer schwört bei dem Tempel, das gilt nicht; wenn aber einer schwört bei dem Gold am Tempel, das bindet. Ihr Narren und Blinden! Was ist größer: das Gold oder der Tempel, der das Gold heiligt?«

Ists nun hier nicht klar genug, daß Christus ihre Menschenlehre verdammt? Dann kann er sie ja nicht bestätigt haben durch das »Sitzen auf Moses Stuhl«; er hätte sonst wider sich selbst geredet. Darum kann »Moses Stuhl« sich nicht weiter als auf Moses Gesetz erstrecken, und das Sitzen darauf nicht weiter als auf das Predigen von Moses Gesetz.

So hat auch Mose von seinem Stuhl und seiner Lehre selbst gesagt 5. Mose 4, 2: »Ihr sollt nichts dazutun zu dem, was ich euch gebiete, und sollt auch nichts davontun, auf daß ihr bewahren möget die Gebote des Herrn, eures Gottes, die ich euch gebiete.« Und 5. Mose 12, 28: »Sieh zu und höre all diese Worte, die ich dir gebiete.« Diese Lehre haben sie auf Moses Stuhl ja auch lehren müssen; darum kann »Moses Stuhl« kein Menschengebot leiden.

Der dritte Spruch ist der des Augustin in dem Buch wider den Hauptbrief der Manichäer, der soll so lauten: »Ich glaubte dem Evangelium nicht, wenn ich der Kirche nicht glaubte.« Siehe da (sagen sie), der Kirche ist mehr als dem Evangelium zu glauben.

Antwort: Wenn Augustin gleich so gesagt hätte, wer hätte ihm die Gewalt gegeben, daß wir ihm das glauben müßten? Mit welcher Schrift(stelle) beweist er diesen Ausspruch? Wie, wenn er irrete, wie man weiß, daß er vielmals gefehlt hat, gleichwie auch alle Väter? Sollte ein einziger Spruch des Augustin so zwingend sein, daß er die vorigen allzumal zurücktreibe? Das wolle Gott nicht, sondern Augustin soll ihnen weichen.

Ferner, wenn das des Augustin Meinung wäre, so stieße er sich selbst auch um denn er hebt an gar vielen Orten die heilige Schrift über aller Lehrer Sprüche, über aller Konzilien und Kirchen Beschlüsse, und will sich selbst und aller Menschen Lehre nach derselben gerichtet haben. Warum lassen denn die treuen Hirten solche Sprüche des Augustin fahren, die so hell und klar sind, und verfallen auf diesen einzigen, der so dunkel und wider Augustin an allen (anderen) Orten lautet, außer daß sie ihrer Tyrannei mit faulen, losen Possen helfen wollen?

Dazu handeln sie als die Verführer, daß sie Augustin nicht allein eine falsche Meinung auferlegen, sondern ihm auch seine Worte fälschen und verkehren. Denn des Augustin Worte lauten eigentlich so: »Ich glaubte dem Evangelium nicht, wenn mich nicht das Ansehen der ganzen Christenheit beweget.« Augustin redet von der ganzen Christenheit, daß dieselbe in aller Welt so einträchtig das Evangelium und nicht der Manichäer Hauptbrief geprediget. Deshalb bewegt ihn solches Ansehen aller Christen, daß ers für das rechte Evangelium hielte. Aber unsere Tyrannen nennen diese Christenheit sich selbst, als wären der Laie und gemeine Mann nicht auch Christen. Und was sie lehren, das soll der christlichen Kirche Lehre heißen, so sie doch der kleinere Teil sind, und wir auch zuvor als allgemeine Christenheit darum gefragt werden sollten, was man unter dem Namen der allgemeinen Christenheit lehren wollte. Siehe, so fein gebrauchen sie des Augustin Spruch: was der von der Christenheit in aller Welt saget, das soll vom römischen Stuhl verstanden werden.

Wie will nun aus diesem Spruch folgen, daß auch Menschenlehren zu halten seien? Welche ist jemals erfunden worden, die von der ganzen allgemeinen Christenheit in aller Welt angenommen und geprediget sei? Noch nie eine, sondern das Evangelium ist allein von allen Christen in aller Welt angenommen.

Dazu muß Augustin nicht so verstanden werden, als wollte er sonst dem Evangelium nicht glauben, ihn bewege denn das Ansehen der ganzen Christenheit. Denn das wäre falsch und unchristlich. Es muß ein jeglicher allein deshalb glauben, weil es Gottes Wort ist, und daß er inwendig (unerschütterlich?) finde, daß es Wahrheit sei, ob schon ein Engel vom Himmel und alle Welt dawider predigte. Vielmehr ist des Augustin Meinung die, wie er selbst sagt, daß er das Evangelium nirgends finde als in der Christenheit, und daß man den Ketzern damit äußerlich beweisen kann, daß nicht ihre Lehre, sondern diese recht sei, die alle Welt einträchtig angenommen hat. Denn der Eunuch (Apostelgesch. 8, 37) glaubt an das von Philippus gepredigte Evangelium, und wußte doch nicht, ob viele oder wenige daran glaubten. Ebenso glaubt Abraham an Gottes Verheißung alleine, da noch kein Mensch von wußte (Röm. 4, 18). Und Maria (Luk. 1,38) glaubt der Botschaft Gabriels auch alleine, und war niemand auf Erden, der mit ihr glaubt. So hat Augustin auch glauben müssen und alle Heiligen, und wir auch, ein jeglicher für sich selbst allein.

Darum kann (das Wort des) Augustin die Bedeutung nicht haben, die sie ihm auferlegen; sondern muß von der äußerlichen Beweisung des Glaubens zu verstehen sein: daß damit die Ketzer gestoßen und die Schwachen im Glauben gestärkt werden, wenn sie sehen, daß alle Welt das prediget und für Evangelium hält, das sie glauben. Und wo diese Bedeutung in des Augustin Spruch nicht ist, da ists besser, den Spruch verleugnet; denn er ist wider die Schrift und Geist und alle Erfahrung, wo er jene Bedeutung behält.

Zuletzt, so sie mit der Schrift gestoßen sind, daß sie nicht vorüber können, heben sie an und lästern Gott und sprechen: sind doch Matthäus, Paulus, Petrus auch Menschen gewesen, darum ist ihre Lehre auch Menschenlehre. Ist aber ihre Lehre zu halten, so halte man die des Papstes auch. Solche Lästerung werfen jetzt auch etliche Fürsten und Bischöfe aus, die doch klug sein wollen. Wenn du nun solche tiefverstockten und verblendeten Lästerer hörst, so wende dich von ihnen oder stopfe die Ohren zu; sie sind nicht wert, daß man mit ihnen reden sollte. Wenn das gelten sollte, so ist Mose auch ein Mensch gewesen und alle Propheten. Also laßt uns um so mehr zufahren, und nichts überall glauben, und alles für Menschenlehre halten und unserem Dünkel folgen!

Willst du aber doch mit ihnen reden, so tue so, sprich: Wohlan, lasse Paulus oder Matthäus Menschenlehre sein, so fragen wir, woher denn ihre Gewalt komme? Womit wollen sie beweisen, daß sie Macht haben zu lehren und Bischof zu sein? Oder wodurch will man wissen, wo die Kirche ist? Sagen sie, daß Matth. Kap. 16 oder Paulus, hier oder dort, habs festgesetzt, so sprich: Es gilt nicht, es sind Menschenlehren, wie du sagst, du mußt Gottes Wort haben, das dich bestätige. Siehe, so findest du, wie sich die verstockten Lästerer selbst schänden und einschließen mit eigener Narrheit, die nicht so viel Unterschied machen können, daß es ein ander Ding ist, wenn der Mensch selbst, oder wenn Gott durch den Menschen redet. Der Apostel Rede ist ihnen von Gott befohlen und mit großem Wunderwerk bestätiget und bewiesen. Deren ist keines je an Menschenlehre geschehen. Und erst wenn sie (die Papisten) bei sich selbst gewiß sein und beweisen werden, daß ihnen Gott solches zu lehren befohlen hat, so wollen wir ihnen auch wie den Aposteln glauben. Ists ungewiß, daß der Apostel Rede von Gott sei: wer will uns denn gewiß machen, daß ihre Menschenlehre von Gott sei? O du rasender Wahnsinn, dieser Welt würdig!

Wir aber verdammen Menschenlehre nicht deshalb, weil es Menschenlehren sind; denn wir wollten sie ja wohl ertragen, sondern deshalb, weil sie wider das Evangelium und die Schrift sind. Die Schrift macht die Gewissen frei und verbietet, sie mit Menschenlehre zu fangen; darum fangen sie die Menschenlehre. Diese Zwietracht zwischen der Schrift und den Menschenlehren können wir nicht eins machen. Darum lassen wir hier auch die kleinen Kinder Richter sein, dieweil diese zwei Lehren widereinander sind: ob man die Schrift (darin einerlei Gottes Wort vom Anfang der Welt her gelehret ist), oder die Menschenlehre (die gestern neu erfunden und täglich sich ändert) fahrenlassen solle? Und hoffen, daß jedermann das Urteil billigen soll, daß Menschenlehre verlassen und die Schrift behalten werden soll. Denn beide können und vermögen sie nicht beibehalten werden, sintemal sie nicht eins werden können, und von Natur widereinander sein müssen, wie Wasser und Feuer, wie Himmel und Erde, wie Jesaja davon redet (Kap. 55, 9): »Soviel der Himmel höher ist denn die Erde, so sind auch meine Wege höher denn eure Wege und meine Gedanken denn eure Gedanken.« Nun kann der im Himmel nicht gehen, der auf Erden gehet; umgekehrt kann nicht auf Erden gehen, der im Himmel gehet.

Darum schlagen wir den Papisten vor, daß sie ihre Lehre zuvor mit der Schrift eins machen. Wenn sie das zuwege bringen, so wollen wir sie halten. Das werden sie aber nicht eher tun, der heilige Geist werde denn zuvor ein Lügner. Darum sagen wir abermals: Menschenlehren tadeln wir nicht deshalb, weil sie Menschen gesagt haben, sondern weil es Lügen und Gotteslästerungen sind wider die Schrift. Diese ist, obwohl sie auch durch Menschen geschrieben ist, doch nicht von oder aus Menschen, sondern aus Gott. Weil sie nun wider einander sind, Schrift und Menschenlehren, so muß immer eine lügen und die andere wahr sein. Nun laßt sehen, welcher sie auch selbst die Lüge zuschreiben.

Das sei davon genug.

[Martin Luther: Von Menschenlehre zu meiden (1522). Zeno.org: Martin Luther: Werke, S. 2416-2424
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Deutsche Auslegung des Vaterunsers für die einfältigen Laien (1519)

Da die Jünger Christi baten, daß er sie beten lehrte, sagte er (Matth. 6, 7-9): »Wenn ihr betet, sollt ihr nicht viel Worte machen wie die Heiden tun, die da meinen, sie werden erhöret, wenn sie viel Worte machen. Darum sollt ihr euch denselben nicht gleichstellen. Denn euer Vater, der im Himmel ist, weiß wohl, was ihr bedürfet, ehe ihr ihn bittet. Darum sollt ihr also beten: Vater unser, der du bist im Himmel, geheiligt werde dein Name« usw.

Aus diesen Worten Christi lernen wir sowohl Worte und Weise, d.h. wie und was wir beten sollen, und diese zwei Dinge sind not zu wissen.

Zum ersten die Weise: wie wir beten sollen.

Die Weise ist die: daß man wenig Worte mache, aber viel und tiefe Absicht oder Besinnung (damit verbinde). Je weniger Worte, desto besseres Gebet; je mehr Worte, desto schlechteres Gebet: wenig Worte und viel Sinn ist christlich, viele Worte und wenig Sinn ist heidnisch. Darum sagt er: ihr sollt nicht wie die Heiden viel reden, wenn ihr betet. Ebenso sprach er Joh. 4, 24 zu dem heidnischen Weiblein: »Wer Gott anbeten will, der muß in dem Geist und in der Wahrheit anbeten«. Denn solche Anbeter suchet der Vater.

Nun, »in dem Geist beten« oder »geistlich beten«, ist so im Gegensatz zu dem leiblichen Gebet genannt, und »in der Wahrheit beten« im Gegensatz zu dem scheinbaren Gebet genannt. Denn das scheinbare und leibliche Gebet ist das äußerliche Murmeln und Plappern mit dem Munde ohne alle Aufmerksamkeit. Denn das scheinet vor den Leuten (etwas) und geschieht mit dem leiblichen Munde und nicht wahrhaftig. Aber das geistliche und wahrhaftige Gebet ist das innerliche Begehren, Seufzen und Verlangen aus Herzensgrund. Das erste macht zu Heuchlern und irrtümlich sicheren Geistern. Das andere macht zu Heiligen und gottesfürchtigen Kindern Gottes. Doch ist hier ein Unterschied zu beachten. Denn das äußerliche Gebet geschieht auf dreierlei Weise:

Zum ersten: aus bloßem Gehorsam, wie die Priester und Geistlichen singen und lesen, (und) auch die, welche eine auferlegte Buße oder gelobte Gebete sprechen. In diesen ist der Gehorsam beinahe das beste und nahezu einer anderen leiblichen Arbeit des Gehorsams gleich, wenn anders solches aus einfältigem Gehorsam geschieht, nicht um Geldes oder Ehre und Lobes willen. Denn in dem Wort Gottes ist so viel unaussprechliche Gnade, daß es auch mit dem Munde, ohne Andacht, (bloß) in der Absicht des Gehorsams gesprochen, ein fruchtbar Gebet ist und dem Teufel wehe tut.

Zum zweiten: ohne Gehorsam, oder mit Unwillen und Unlust, oder um Geldes, Ehre oder Lobes willen. Solches Gebet würde besser unterlassen; dennoch wird ihnen dafür hier (auf Erden) ihr Lohn gegeben, Gut oder zeitliche Ehre, aber nur wie Gott die Knechte ablohnet und nicht die Kinder.

Zum dritten: mit Andacht des Herzens. Da wird der Schein in die Wahrheit übertragen und das Äußerliche in das Innerliche. Ja, die inwendige Wahrheit bricht heraus und leuchtet (zusammen) mit dem äußerlichen Schein. Aber es ist nicht möglich, daß der viele Worte mache, der geistlich und gründlich betet. Denn die Seele, wenn sie gewahr wird, was sie spricht, und den Worten und ihrer Bedeutung nachdenkt, muß sie die Worte fahrenlassen und dem Sinn anhangen, oder umgekehrt muß sie den Sinn fallenlassen und den Worten nachdenken. Darum sind solche mündlichen Gebete als nichts weiter anzunehmen, außer als eine Anreizung und Bewegung der Seele, daß sie der Bedeutung und den Wünschen nachdenke, welche die Worte anzeigen. So ists bei vielen Psalmen mit der Überschrift und dem Titel, daß diese Gebete, wenn sie gleich wenige Worte enthalten, dem Herzen doch Anreiz und Bewegung sind, etwas Gutes zu denken oder zu begehren. Auch sind etliche Psalmen mit dem Wörtlein »Sela« (das heißt »Ruhe«) abgeteilt, das weder gelesen noch gesungen wird. (Das geschieht) zur Ermahnung, daß man da, wo sich ein besonderes Stück im Gebet zeiget, stille halte und ruhe, den Inhalt wohl zu betrachten und die Worte so lange fahrenzulassen.

Zum zweiten: die Worte und was wir beten sollen.

Die Worte sind: Vater unser, der du bist usw. Denn dieweil dies Gebet von unserm Herrn seinen Ursprung hat, wird es ohne Zweifel das höchste, edelste und beste Gebet sein. Denn hätte er ein besseres gewußt, der fromme, treue Schulmeister, er würde es uns auch gelehrt haben.

Das soll man so verstehen: Nicht daß alle anderen Gebete schlecht seien, die diese Worte nicht haben – denn vor Christi Geburt haben viele Heilige gebetet, die diese Worte nicht gehört haben – sondern daß alle andern Gebete verdächtig sein sollen, die nicht dieses Gebetes Inhalt und Absicht vorhaben oder in sich schließen. Denn die Psalmen sind auch gute Gebete, aber sie drücken nicht so klar dieses Gebetes Eigenschaft aus, obwohl sie sie ganz in sich einschließen. Darum ist es ein Irrtum, daß man etliche andere Gebete mit diesem Gebet vergleichen oder ihm auch vorziehen will, in welchen mehr unser Wille und Ehre als Gottes Ehre und Wille gesucht wird. Nicht, daß ich sie verwerfe, sondern (das meine ich), daß die Zuversicht zu diesen mündlichen Gebeten zu groß ist und daß dadurch das rechte geistliche, innerliche, wahrhaftige Vaterunser verachtet wird. Denn aller Ablaß, aller Nutzen, aller Segen und alles, was der Mensch an Leib und Seele, hier und dort, bedarf, das ist hierin (im Vaterunser) im Überfluß enthalten. Und es wäre besser, du betest ein Vaterunser mit herzlicher Begierde und (in Übereinstimmung mit dem) Sinn der Worte, woraus eine Besserung deines Lebens erwüchse, als daß du den Ablaß erwürbest, der mit allen Gebeten (verbunden ist).
Nun wird das Gebet in zwei Stücke geteilt. Zum ersten ist da eine Vorrede, Anfang und Vorbereitung, zum andern sind sieben Bitten.

[Martin Luther: Deutsche Auslegung des Vaterunsers für die einfältigen Laien (1519). Zeno.org: Martin Luther: Werke, S. 3384-3390
Wer sich nur nach dem, was er fühlt, richtet, der verliert Christus. (Martin Luther)

Jörg
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Deutsche Auslegung des Vaterunsers für die einfältigen Laien (1519)

Der Anfang: Vater unser, der du bist im Himmel

Der beste Anfang und Vorrede ist, daß man wohl wisse, wie man den nennen, ehren, behandeln soll, den man bitten will, und wie man sich gegen ihn erzeigen soll, daß man ihn gnädig und geneigt mache zu hören. Nun ist kein Name unter allen Dingen, der uns mehr für Gott bereit mache als »Vater«. Das ist eine gar freundliche, süße, tiefe und herzliche Rede. Es wäre nicht so lieblich oder tröstlich, wenn wir »Herr« oder »Gott« oder »Richter« sagten. Denn der Name »Vater« ist uns von Natur eingeboren und von Natur süß. Deshalb gefällt er Gott auch am allerbesten und bewegt ihn am allermeisten, uns anzuhören, während wir uns mit ihm ebenso als Kinder Gottes bekennen. Dadurch bewegen wir abermals Gott ganz innerlich, denn es gibt keine lieblichere Stimme als die des Kindes zum Vater. Dazu hilft, daß wir sagen: »Der du bist im Himmel«. Das sind Worte, mit denen wir unsere klägliche Not und Elend anzeigen, und emsig uns zum Bitten und Gott zum Erbarmen bewegen.

Denn wer anfängt zu bitten: »Vater unser, der du bist im Himmel« und das aus Herzens Grund tut, der bekennet, daß er einen Vater und denselben im Himmel hat. Er weiß sich auf Erden in der Fremde und verlassen. Daraus muß dann ein herzliches Sehnen folgen, gleichwie bei einem Kinde, das fern seines Vaters Land unter fremden Leuten im Elend und Jammer lebt, gleich als spräche es: Ach Vater, du bist im Himmel, ich (bin) dein elend Kind auf Erden, weit von dir, in aller Gefahr, in Jammer und Not, unter den Teufeln und größten Feinden und mancherlei Gefahren.

Wer so betet, der stehet mit einem recht zu Gott aufgehobenen Herzen und ist recht beschaffen, zu bitten und Gottes Gnade zu bewegen. Und dies (»Vater im Himmel«) ist so ein hohes Wort, daß es nicht möglich ist, es aus des Menschen Natur (heraus) zu sagen, es sei denn der Geist Christi im Herzen. Denn wenn man es innerlich versuchen will, so ist kein Mensch so vollkommen, daß er in Wahrheit sagen könne: er habe keinen Vater hier, er habe nichts, er sei ganz fremd und habe allein Gott zum Vater. Denn die Natur ist so bös, daß sie immer etwas auf Erden sucht und (sich) an Gott im Himmel nicht genügen läßt. Dennoch enthält das Wort eine Zuversicht zu Gott, die wir allein zu ihm haben sollen. Denn niemand kann uns zum Himmel helfen als der Vater allein; wie Joh. 3, 13 geschrieben steht: »Niemand steiget auf in den Himmel, als allein der, der vom Himmel herabgestiegen ist, der Sohn des Menschen«. In dessen Hülle und auf seinem Rücken müssen wir hinaufsteigen. So sollen nun dieses Gebet alle mit Mühe beladenen Menschen beten und auch die, welche selbst nicht wissen, was die Worte bedeuten. Und das halte ich für das beste Gebet, denn da redet das Herz mehr als der Mund.

Derweilen stehet ein anderer in der Kirche und wendet die Blätter (in seinem Gebetbuch) um, zählet die Vaterunserperlen im Rosenkranz und klappert kräftig damit, und ist (aber) mit dem Herzen weit (weg) von dem, was er mit dem Mund bekennt. Das heißt nichts gebetet. Denn zu denen spricht Gott durch den Propheten Jesaja (29, 13): »Dies Volk betet mich an mit dem Mund, aber ihr Herz ist ferne von mir«. So findet man auch zum Teil Priester und Geistliche, die ihre Stundengebete ohne alle inwendige Begierde so obenhin schwatzen, danach ohne alle Scham zu sagen wagen: Ei, nun bin ich fröhlich, ich habe unsern Herrn nun bezahlet, und meinen, sie haben Gott so genug getan.

Ich sage dir aber und gebe es zu, daß du dem Kirchengebot (damit) vielleicht genug tust. Aber Gott wird zu dir sagen »Dies Volk ehret mich mit dem Mund, aber ihr Herz ist fern von mir« (Jes. 29, 13, vgl. Matth. 15, 8). Und es ist zu befürchten, daß sie sich auf dieses Gebet verlassen und (sonst) nimmermehr ein Gebet zu Gott senden. So beten die am allerwenigsten, die da am allermeisten zu beten scheinen, und umgekehrt: die beten am allermeisten, die da am wenigsten zu beten scheinen.

Aber jetzt setzen wir unsern Trost und Zuversicht auf viel Geplärre, Geschrei, Gesang, was doch Christus verboten hat, wenn er sagt: Niemand wird durch viel Wortemachen erhört (Matth. 6, 7). Das machen die ungeschickten Predigten, mit denen man das Volk nicht, wie vor Zeiten die lieben Väter, mit Arbeit und Mühe zu dem rechten Grund und inwendigen Gebet führet, sondern in den äußerlichen Schein und allein ins mündliche Gebet und am allermeisten dahin, wo ihr eigner Nutzen gesucht wird.

Wollte einer sagen, es stehet doch Luk. 18, 1 geschrieben (vgl. 18, 7): Ihr sollt ohne Unterlaß beten, so antworte ich: Siehe die Worte recht an: Er sagt nicht: Ihr sollt ohne Unterlaß Blätter umwenden, Rosenkranz beten, viele Worte machen und dergleichen, sondern: Beten sollt ihr ohne Unterlaß. Was aber beten sei, ist droben genug gesagt.

So sind Ketzer gewesen, die heißen Euchiten, das ist »Beter«, die wollten das Wort Christi halten und beteten (das ist, sie plapperten mit dem Mund) Tag und Nacht und taten sonst nichts und sahen ihre Torheit nicht ein: denn wenn sie aßen, tranken oder schliefen, mußten sie (doch) das Gebet unterlassen. Darum ist das Wort Christi vom geistlichen Gebet gesagt; das kann ohne Unterlaß geschehen, auch bei leiblicher Arbeit. Trotzdem vollbringt das niemand ganz. Denn wer kann allezeit sein Herz zu Gott erheben? Darum ist dasselbe Wort als ein Ziel gesetzt, nach dem wir hinstreben sollen. Und wenn wir sehen, daß wir es nicht erreichen, sollen wir uns als schwache, gebrechliche Menschen erkennen und gedemütigt werden und Gnade für unsere Gebrechlichkeit erbitten.

So bestimmen alle Lehrer der Schrift, daß das Wesen und die Natur des Gebetes nichts anderes sei als eine Emporhebung des Gemütes oder des Herzens zu Gott. Ist aber die Natur und Art des Gebetes eine Emporhebung des Herzens, so folget (daraus), daß alles andere, was nicht Erhebung des Herzens ist, nicht Gebet ist. Darum ist Gesang, Reden, Pfeifen, wenn das Emporsteigen des Herzens nicht da ist, ebenso (wenig) ein Gebet, wie die Puppen in den Gärten Menschen sind. Das Wesen ist nicht da, sondern allein der Schein und Name.

Das beweist auch Hieronymus. Der schreibt von einem heiligen Vater Agathon, daß er in der Wüste 30 Jahre einen Stein in seinem Mund trug, weil er schweigen lernen wollte. Womit hat er aber gebetet? Ohne Zweifel innerlich mit dem Herzen, woran Gott am meisten liegt und was er auch allein ansieht und sucht. Es hilft aber wohl dazu, wenn man die Worte höret und so Ursache zu betrachten und recht zu beten bekommt. Denn, wie oben gesagt, die mündlichen Worte sollen nicht anders angesehen werden als eine Trompete, Trommel oder Orgel oder sonst ein Geschrei, womit das Herz zu Gott bewegt und erhoben werde. Ja, es soll sich niemand auf sein Herz verlassen, daß er ohne Worte beten wollte, er sei denn wohl geübt im Geist und habe Erfahrung, die fremden Gedanken auszuschlagen. Sonst wird ihn der Teufel ganz und gar verführen und sein Gebet im Herzen bald zerstören. Darum soll man sich an die Worte halten und an denselben (zu Gott) aufsteigen, solange bis die Federn wachsen, daß man ohne Worte fliegen kann. Denn das mündliche Gebet oder die Worte verwerfe ich nicht, es soll sie auch niemand verwerfen, sondern mit großem Dank als besondere, große Gabe Gottes annehmen. Aber das ist zu verwerfen, daß man die Worte nicht zu ihrem Amt und Frucht gebraucht, nämlich das Herz zu bewegen, sondern sich in falscher Zuversicht darauf verläßt, daß man sie mit dem Mund nur gemurmelt oder geplappert hat ohne alle Frucht und Besserung, ja unter Verschlechterung des Herzens.

Auch hüte sich ein jeder, wenn er nun neben den Worten oder sonst ein Fünklein empfängt und Andacht fühlet, daß er nicht der alten Schlange Gift, das ist der mörderischen Hoffart folge, die da spricht: Ach, ich bete nun mit dem Herzen und Mund und habe solche Andacht, daß ich meine, es werde schwerlich ein anderer sein, der das so recht tut wie ich. Denn die Gedanken hat dir der Teufel eingegeben, und du wirst damit ärger als alle die, die da nicht beten. Ja, solcher Gedanke ist nicht weit ab von Gotteslästerung und Vermaledeiung, denn nicht dich, sondern Gott sollst du in allem Guten loben, das du fühlest oder habest.

Zum letzten ist darauf zu achten, wie ganz ordentlich Christus dies Gebet festgesetzt hat. Denn er läßt nicht zu, daß ein jeglicher für sich allein bitte, sondern (nur) für die ganze Versammlung aller Menschen. Denn er lehret uns nicht sagen »mein Vater«, sondern »Vater unser«. Das Gebet ist ein allgemeines geistliches Gut. Darum soll man niemand dessen berauben, auch nicht die Feinde. Denn wenn er unser aller Vater ist, will er, daß wir untereinander Brüder sein, uns freundlich lieben und für einander bitten sollen, gleich wie für uns selbst.

[Martin Luther: Deutsche Auslegung des Vaterunsers für die einfältigen Laien (1519). Zeno.org: Martin Luther: Werke, S. 3391-3397
Wer sich nur nach dem, was er fühlt, richtet, der verliert Christus. (Martin Luther)

Jörg
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Deutsche Auslegung des Vaterunsers für die einfältigen Laien (1519)

Einteilung des Vaterunsers

In diesem Gebete findet man sieben Bitten:

Die erste.
Geheiliget werde dein Name.

Die zweite.
Dein Reich komme.

Die dritte.
Dein Wille geschehe wie im Himmel so auf Erden.

Die vierte.
Unser täglich Brot gib uns heute.

Die fünfte.
Und vergib uns unsre Schuld, wie wir vergeben unsern Schuldigern.

Die sechste.
Und führe uns nicht in Versuchung (Anfechtung).

Die siebente.
Sondern erlöse uns von dem Übel. Amen.

Diese sieben Stücke können auch wohl sieben gute Lehren und Vermahnungen genannt werden. Denn es sind, wie auch der heilige Bischof und Märtyrer Cyprian erwähnt, sieben Anzeigungen unseres Elends und unserer Bedürftigkeit, an welchen der zur Erkenntnis seiner selbst geführte Mensch sehen kann, in einem wie ganz gefährlichen und jammervollen Leben er hier auf Erden lebt. Denn es ist nichts anderes als eine Lästerung des Namens Gottes, ein Ungehorsam gegen Gottes Willen, eine Verstoßung des Reiches Gottes, ein hungriges Land ohne Brot, ein sündiges Wesen, ein gefährliches Wandeln und allen Übels voll, wie es denn Christus selbst in diesem Gebet nennet, wie wir hernach hören werden.

[Die Bitten]

Die erste Bitte

Geheiliget werde dein Name

Oh, welch großes, überschwengliches, tiefes Gebet, wenn es mit dem Herzen gebetet wird, obwohl (es) kurz an Worten (ist). Es ist unter den sieben Bitten keine größere, als daß wir bitten: »dein Name werde geheiliget«.

Merke aber, daß Gottes Name in sich selbst heilig ist und von uns nicht geheiliget wird – vielmehr heiligt er alle Dinge und auch uns – sondern wie Cyprian sagt: er soll in uns geheiligt werden. Denn darin wird Gott alles und der Mensch ganz zu nichts. Dazu dienen und darauf beziehen sich auch die andern sechs Bitten, daß Gottes Name geheiligt werde. Wenn das geschehen ist, so ist alles gut geschehen, wie wir hören werden.

Damit wir aber sehen, wie Gottes Name in uns geheiligt werde, wollen wir vorher sehen, wie er in uns verunheiligt und verunehret wird. Und um deutlich und aufs verständlichste davon zu reden, wird er auf zweierlei Weise in uns verunehret: Zum ersten, wenn wir sein zu Sünden mißbrauchen, zum andern, wenn wir ihn bestehlen und berauben; gleichwie ein heiliges Kirchengefäß auf zweierlei Weise verunheiligt wird: zum ersten, wenn man sein nicht zum Gottesdienst, sondern zu fleischlichem Willen gebraucht, zum andern, wenn man es stiehlet und raubet.

Also zum ersten wird der Name Gottes in uns durch den Mißbrauch verunheiliget, wenn wir ihn z.B. nicht zu Nutz, Besserung, Frommen unserer Seele anführen oder gebrauchen, sondern zum Vollbringen der Sünde und Schaden unserer Seele. Das geschieht auf mannigfaltige Weise mit Zauberei, Beschwören, Lügen, Schwören, Fluchen, Trügen, wie es denn das zweite Gebot Gottes ausweiset: Du sollst den Namen deines Gottes nicht unnützlich führen. Und das ist, kurz zusammengefaßt gesagt: wenn wir nicht als Gottes Kinder leben.


Wie die Natur der Gotteskinder ist.

Ein »frommes Kind« nennt man das, welches von frommen, ehrlichen Eltern geboren, denselben auf alle Weise nachfolget und gleichförmig ist. Dieses Kind besitzt und erbt mit Recht die Güter und alle Namen seiner Eltern. So sind wir Christen durch die Taufe neu geboren und Gottes Kinder geworden. Und wenn wir unserm Vater und seiner Art nachfolgen, so sind alle seine Güter und Namen auch ewiglich unser Erbe. Nun ist und heißt unser Vater barmherzig und gütig, wie Christus (Luk. 6, 36) sagt: »Seid barmherzig, wie euer himmlischer Vater barmherzig ist«, ferner (Matth. 11, 29): »Lernet von mir, denn ich bin sanftmütig und von Herzen demütig«. So ist Gott auch gerecht, rein, wahrhaftig, stark, einfältig, einfach, weise usw. Und dies sind alles Namen Gottes, die alle in dem Wörtlein »dein Name« eingeschlossen sind, denn aller Tugenden Namen sind Gottes Namen. Dieweil wir denn in diese Namen getauft und durch sie geweiht und geheiligt sind und sie jetzt unsere Namen geworden sind, so folget (daraus), daß alle Kinder Gottes gütig, barmherzig, keusch, gerecht, wahrhaftig, einfältig, freundlich, friedsam, eines freundlichen Herzens gegen einen jeglichen Menschen, auch gegen ihre Feinde heißen und sein sollen. Denn der Name Gottes, darinnen sie getauft sind, wirket solches alles in ihnen, oder wir sollens wenigstens erbitten, daß der Name Gottes so in ihnen sei, wirke und geheiliget werde.

Wer aber zornig, unfriedsam, neidisch, bitter, ungütig, unbarmherzig, unkeusch ist, und flucht, lügt, schwört, betrügt, verleumdet, der tut dem göttlichen Namen Unehre, lästert, verunheiligt ihn, in welchem er gesegnet und getauft oder berufen und unter die Christen gezählet und unter Gottes Volk versammelt ist. Denn derselbe ehret unter dem Titel des göttlichen Namens des Teufels Namen, denn derselbe ist ein Lügner, unrein, Verleumder, gehässig usw. Dem folgen, sagt der weise Mann Weish. 2, 25, die ihm verwandt und seine Genossen sind. Siehe nun, diese tun nicht anders, als wenn ein Priester einer Sau aus dem heiligen Kelch zu trinken gäbe oder faulen Mist damit schöpfte. So nehmen sie ihre Seele und Leib, in welchen der Name Gottes wohnet und sie geheiliget hat, und dienen damit dem Teufel. Das gereicht zur Schmähung des heiligen, göttlichen Namens, darinnen sie geweihet sind.

Siehe, nun verstehst du, was »heiligen« heißt, was »heilig« ist. Denn es ist nichts anderes als eine Absonderung von dem Mißbrauch zu dem göttlichen Gebrauch, so wie eine Kirche geweihet und allein zum Gebrauch des göttlichen Dienstes verordnet wird. So sollen wir in allem (unserem) Leben geheiligt werden, daß in uns kein Gebrauch sei als des göttlichen Namens, das ist Gütigkeit, Wahrheit, Gerechtigkeit usw. Darum wird der Name Gottes nicht allein mit dem Munde, sondern auch mit allen Gliedmaßen des Leibes und der Seele geheiligt oder verunheiligt.

Zum zweiten wird Gottes Name verunheiligt durch Rauben und Stehlen. Und obwohl das von den Scharfsinnigen mit unter das Erste einbegriffen wird, so ist es doch den Einfältigen zu schwierig, das zu merken. Denn dies geht nun die Hoffärtigen an, die sich selbst fromm und heilig dünken und nicht meinen, daß sie Gottes Namen (genauso) wie die ersten verlästern, und sich selbst den Namen geben, sie seien gerecht und heilig und wahrhaft. Dennoch rauben und stehlen sie Gott seinen Namen hinweg, frei, ohne alle Furcht. Und derer sind jetzund am allermeisten, besonders da, wo es so scheint, daß es fromme, geistliche Leute seien. Denn diese dünken sich etwas und nehmen sich nur ihrer Worte, Werke, Weisheit, guten Vermögens an, wollen dadurch berühmt und geehret werden. Aber wenn das nicht geschieht, werden sie wütend und vor Zorn tobend. Und diese heißen in der Schrift »eines tiefen Herzens«, so daß Gott allein sie richten und erkennen muß und gar viel mit ihnen zu schaffen hat. Denn sie können alle Dinge so überaus beschönigen, daß sie selbst es nicht anders wissen, als sei alles grundgut mit ihnen. Und dies ihr Wohlgefallen an sich selbst und inwendiges Rühmen, Prangen und Preisen ist ihr größter, gefährlichster Schaden.

Und auf daß man sie erkennen und ein jeglicher sich vor solchem Unheil bewahren könne, wollen wir weiter davon reden:

[Martin Luther: Deutsche Auslegung des Vaterunsers für die einfältigen Laien (1519). Zeno.org: Martin Luther: Werke, S. 3398-3404
Wer sich nur nach dem, was er fühlt, richtet, der verliert Christus. (Martin Luther)

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Deutsche Auslegung des Vaterunsers für die einfältigen Laien (1519)

Welches die schädlichsten und ärgsten Menschen in der Christenheit sind.

Zum ersten führen sie das Wörtlein »allezeit« in ihrem Munde und rühmen sich deswegen und sprechen: »Ach, ich habe eine so gute Absicht. Ich meine es so herzlich gut, der und jener will mir (aber) nicht folgen. Ich wollte das Herz im Leibe mit ihm teilen«. O hüte dich, hüte dich vor den Wölfen, die in solchen Schafskleidern wandern. Es sind Rosendornen, aber da wachsen keine Feigen, sondern eitel Stacheln. Darum (ist es), wie Christus (Matth. 7, 16) sagt: »An ihren Früchten erkennet sie«. Was sind aber die Früchte? Stacheln, Spitzen, Kratzen, Reißen, Verletzen, und kein gutes Wort oder Werk. Wie geschieht das? Merke: Wenn dieselben nun bei sich beschlossen haben, daß sie fromm seien, eine gute Absicht haben, und ihr Leben so befinden, daß sie mehr beten, fasten und andere gute Werke tun, und mehr Verständnis und Gnade von Gott haben als andere Menschen, so vermögen sie nicht so viel, daß sie sich an denen messen, die höher und besser sind. Sondern sie vergleichen sich mit denen, die ärger und geringer scheinen als sie, vergessen auch schnell, daß alles, was sie haben, Gottes Güter sind. Darum muß alsbald auch folgen Richten, Urteilen, Verdächtigen, Verleumden, Verachten und sich selbst über jedermann Erheben. Sie fahren so in der Hoffart daher und verhärten sich in sich selbst ohne alle Gottesfurcht, tun nichts mehr, als daß sie sich im Herzen und Mund mit fremden Sünden abgeben und beschmutzen.

Siehe, das sind die Früchte der Disteln und Dornen, das sind die Rachen der Wölfe unter den Schafskleidern. Siehe, das heißt Gottes Namen und Ehre gestohlen und sich selbst zugeschrieben. Denn Gott allein gebührt zu richten, wie Christus (Matth. 7, 1) sagt: »Ihr sollt nicht richten, auf daß ihr nicht gerichtet werdet«. Auch ist es Gottes Name allein, daß er heilig, fromm, gut sei. Wir sind allzugleich Sünder vor Gott, einer wie der andere, ohne allen Unterschied. Und wenn jemand etwas dem andern voraus hat, so ist es doch nicht sein, sondern allein Gottes. Der soll auch allein von den Seinen den Namen, das Wohlgefallen, das Rühmen, das Richten usw. haben. Und deshalb: wer dessen nicht zum Dienst, sondern zur Verachtung seines Nächsten gebraucht, der ist ein Dieb der Ehre Gottes, und will das sein und heißen, was Gott und Gottes, und nicht sein ist.

Siehe, dieser schädlichen, freien, frevelhaften, Gott nicht fürchtenden Geister ist jetzt die Welt voll, die durch ihr »gutes Leben« Gottes Namen lästerlicher verunheiligen als alle andern mit ihrem bösen Leben. Diese nenne ich die hoffärtigen Heiligen und des Teufels Märtyrer, die nicht wie andere Menschen sind, so wie der Heuchler im Evangelium Luk. 18. Diese, gerade als wären sie nicht Sünder und schlecht, wollen die Bösen und Ungerechten nicht leiden oder mit ihnen zu schaffen haben, auf daß man ja nicht sage: O, geht der mit solchen (Menschen) um? Ich hätte ihn für viel frömmer gehalten. Sie erkennen nicht, daß Gott ihnen deshalb vor anderen mehr Gnade gegeben hat, damit sie mit dieser Gnade dienen und sie gleich wieder austeilen und mit derselben Gnade wuchern sollen. D.h. sie sollten für sie bitten, ihnen helfen, raten und ihnen ebenso tun, wie ihnen Gott getan hat, der ihnen die Gnade umsonst gegeben und sie nicht verachtet und gerichtet hat. So fahren sie zu und behalten die Gnade nicht allein unfruchtbar, sondern verfolgen auch damit die, denen sie damit helfen sollten. Das sind die, welche die Schrift die Verkehrten nennt (Ps. 18, 27).

Zum zweiten: wenn sie nun dies alles sagen hören, daß Gott allein der Ruhm und die Ehre gebühre, so verstellen sie sich abermals fein und betrügen sich selbst noch mehr mit ihrem (äußeren) Schein und sagen: in allem, was sie tun, wollten sie Gottes Ehre allein suchen, und wagen es wohl, dazu zu schwören, sie suchten nicht ihre Ehre. So ganz geistlich, gründlich, tief sind sie schlecht. Aber achte auf die Frucht und Werke, so wirst du finden: wenn ihr Vornehmen nicht vorwärts geht, so erhebt sich ein Klagen und Verwundern, daß niemand mit ihnen umgehen kann. Das platzt damit heraus, daß die nicht gut tun, die sie hindern. Sie können solches Leid nicht vergessen, führen an, daß man Gottes Ehre gehindert habe und dem Guten widerstrebe, das sie gesucht und beabsichtigt haben, und können so ihr verfluchtes Richten und Verleumden nicht lassen. Da sieht man dann, wie sie es gemeint haben: daß sie nicht deshalb zürnen, weil das Gute und Gottes Ehre gehindert sei, sondern weil ihr Gutdünken und ihre Absicht nicht vorangegangen ist, eben als könnte ihr Gutdünken nicht böse sein, und als wenn es so gut sei, daß auch Gott es nicht verwerfen könnte. Denn wenn sie sich solches Gut nicht selbst zumäßen, so würden sie wohl leiden, daß man ihre Absicht verhinderte. Aber die tiefe Hoffart will nicht für böse noch närrisch gehalten sein, darum müssen für sie alle anderen Narren und schlecht sein. Siehe, wie tief die Gotteslästerung in diesen Geistern verborgen ist, die durchaus das sein und haben wollen, was Gott allein ist, das heißt: Weisheit, Gerechtigkeit, Ruhm und Ehre.

Zum dritten: wenn sichs begibt, daß man sagt oder prediget, daß Gott die Ehre und der Ruhm deshalb gebühre, weil er alle Dinge schafft und alle Dinge sein sind, so sind sie gelehrter als alle Prediger, auch als der heilige Geist selber, können auch jedermann belehren und brauchen nicht mehr Schüler zu sein. Sie sagen: O, wer weiß das nicht? und meinen, sie verständen es sehr wohl. Wenn es aber darauf ankommt, daß man ihnen gegen ihre Ehre redet, sie für gering oder verachtet hält, ihnen etwas nimmt oder ihnen sonst eine Widerwärtigkeit begegnet, siehe, alsbald ist die Kunst vergessen und bringt der Dornbusch seine Frucht, die Stacheln und Spitzen. Da guckt der Esel mit seinen Ohren durch die Löwenhaut. Dann heben sie an: Ach Gott im Himmel, sieh herab, wie geschieht mir so groß Unrecht, fallen in so große Torheit, daß sie zu sagen wagen, ihnen geschehe auch vor Gott Unrecht. Wo ist nun euer großer Verstand, da ihr sagt, alle Dinge seien Gottes und von Gott? O du armer Mensch: ist es Gottes allein, warum soll er es dann nicht ungehindert von dir nehmen, geben, hin- und herwerfen? Ist es sein, so solltest du still stehen und ihn damit schaffen lassen, wie er wollte. Denn wenn er das Seine nimmt, so geschieht dir nicht unrecht. Wie Hiob sprach (Hiob 1, 21), da er alle Güter und Kinder verloren hatte: »Gott hat es gegeben, Gott hat es genommen, wie es Gott gefallen hat, so ist es geschehen. Gottes Name sei gesegnet«. Sieh, das war ein rechter Mann, dem niemand etwas nehmen konnte. Denn er hatte nichts, das sein war.

Denn Gott spricht (Hiob 41, 3): »Alles, was unter dem Himmel ist, das ist mein, ich hab es geschaffen«. Was rühmest du dich denn des Deinen und des, daß dir unrecht geschähe? Greift man an deine Ehre, guten Leumund, Besitz und was du hast, so greift man nicht in deinen, sondern in Christi Besitz. Und damit er dich das lehre, so füget er es, daß dir (etwas) genommen werde, von dem du meinest, es sei dein, auf daß du erkennest, daß es nicht dein, sondern sein sei. Siehe, so findet man allezeit, daß Gottes Ehre und Name nicht rein gesucht wird, und daß insbesondere die hoffärtigen Heiligen durchaus auch etwas sein und haben wollen, was Gott allein zugehöret.

Wenn du nun sagst: Wenn das wahr ist, so folget daraus, daß niemand auf Erden Gottes Namen genugsam heiliget. Auch wären die alle im Unrecht, die vor Gericht miteinander um Gut oder Ehre und andere Sachen verhandeln, so antworte ich zum ersten: Deshalb hab ich droben gesagt, daß diese erste Bitte überschwenglich und die allergrößte ist, die andern alle in sich einbegreifend. Denn wenn jemand wäre, der Gottes Namen genugsam heiligte, der brauchte nicht mehr das Vaterunser zu beten. Und wer so rein wäre, daß er sich keines Dinges, keiner Ehre als sein eigen annähme, der wäre ganz rein und der Name Gottes ganz vollkommen in ihm geheiligt. Das gehört aber nicht in dies Leben, sondern in den Himmel. Darum müssen wir beten und ernstlich begehren, solange wir leben, daß Gott seinen Namen in uns heilige. Denn ein jeglicher Mensch wird als ein Lästerer göttlichen Namens befunden, einer mehr als der andere, wenn es die hoffärtigen Heiligen auch nicht glauben wollen. Darum habe ich auch gesagt, daß dieses Gebet nicht allein eine Bitte sei, sondern auch eine heilsame Lehre und Anzeigung unseres elenden, verdammten Lebens auf Erden und wirft den Menschen in die Erkenntnis seiner selbst hernieder.

Denn so wir bitten, daß sein Name in uns geheiliget werden solle, so folgt daraus, daß er noch nicht in uns heilig sei. Denn wäre er heilig, so brauchten wir nicht darum zu bitten. Daraus folget dann weiter, daß wir, solange wir leben, Gottes Namen schänden, lästern, verunehren, verunheiligen, entweihen. Mit unserm eigenen Gebet und Mund bezeugen (wir), daß wir Gotteslästerer sind. Ich weiß in der ganzen Schrift keine Lehre, die unser Leben mächtiger und mehr schmäht und vernichtet als dies Gebet. Wer wollte doch nicht gerne schnell sterben und diesem Leben feind sein (wenn anders er Gottes Namen hold ist), wenn er von Herzen bedenkt, daß sein Leben in solchem Wesen stehet, darinnen Gottes Name und Ehre gelästert wird? Auch wer nicht mehr als das Vaterunser gut verstände, hätte Lehre genug wider alle Laster, insbesondere der Hoffart. Denn wie kann der fröhlich oder hoffärtig sein, der im Vaterunser so große, grausame Verbrechen von sich selbst bekennet: daß er Gottes Name verunehret und täglich gegen das zweite Gebot Gottes handelt, seinen Namen unnützlich führend.

[Martin Luther: Deutsche Auslegung des Vaterunsers für die einfältigen Laien (1519). Zeno.org: Martin Luther: Werke, S. 3405-3412
Wer sich nur nach dem, was er fühlt, richtet, der verliert Christus. (Martin Luther)

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Deutsche Auslegung des Vaterunsers für die einfältigen Laien (1519)

Welches die schädlichsten und ärgsten Menschen in der Christenheit sind.

Zum zweiten antworte ich ihnen: daß es Gerichtshändel gibt, ist nicht das Beste; besser wäre, es gäbe keine. Aber um größeres Übel zu vermeiden, sind sie um der Unvollkommenen willen zugelassen, die noch nicht alle Dinge fahrenlassen und Gott wieder zu eigen (geben) können. Nichtsdestoweniger ist uns ein Ziel gesetzt, darauf wir hinarbeiten sollen, das ist: daß wir von Tag zu Tag (mehr) lernen und uns üben, daß Gottes Name, Ehre, Güter und alle Dinge von uns genommen und wir so ganz geheiliget werden. Zu der Übung ist uns dies Gebet gegeben, daß wir ohne Unterlaß im Herzen begehren sollen, daß Gottes Name geheiligt werde.

Und wenn schon einem Christenmenschen alles genommen würde: Gut, Ehre, Freunde, Gesundheit, Weisheit usw., das wäre nicht zu verwundern. Ja, es muß doch endlich dahin kommen, daß all seine Sache zunichte und er von allen Dingen abgesondert werde, ehe er geheiligt (werde) und den Namen Gottes heilige. Denn solange etwas da ist, solange ist auch ein Name da, darum darf nichts da bleiben, damit allein Gott und Gottes alle Dinge und alle Namen bleiben. Dann wird das wahr, daß die Gerechten in der Schrift Arme und Waisen genannt werden, die ihrer Eltern beraubt (sind) und keinen Trost haben.

Sagst du aber: »Wenn wir allesamt Gottes Namen nicht genugsam ehren, sind wir aber darum in Todsünden und verdammt?«, (da) antworte ich: Es wäre allzumal Todsünde und verdammlich, wenn Gott mit der Schärfe handeln wollte. Denn Gott kann keine Sünde leiden, wie gering sie (auch) sei. Aber es gibt zweierlei Menschen: etliche, die das selbst erkennen und beklagen, daß sie den Namen Gottes nicht genugsam heiligen, und ernstlich darum bitten und es für groß achten, daß sie so unselig sind. Denen gibt er, was sie bitten, und deshalb, weil sie sich selbst (ver)urteilen und richten, absolvieret und erläßt ihnen Gott, was sie nicht genug tun. Die anderen freien und leichtfertigen Geister, die solche ihre Gebresten gering achten, in den Wind schlagen, oder auch gar nicht sehen, auch nicht bitten, werden am Ende finden, wie (eine) große Sünde (es) sei, was sie für gar nichts gehalten haben, und (werden) dessentwegen verdammt, weshalb sie vermeinten, am allermeisten selig zu werden; so wie Christus zu den Heuchlern sagt, daß sie um ihrer langen Gebete willen um so größere Verdammnis haben würden (Matth. 23, 14).

Sieh, so lehret dich das Vaterunser zum ersten dein groß Elend und Verderben erkennen, daß du ein Gotteslästerer bist, so daß du vor deinem eigenen Gebet erschrecken mußt, wenn du bedenkst, was du betest. Denn es muß wahr sein, daß du Gottes Namen noch nicht geheiliget hast. Ebenso muß auch wahr sein, daß der Gottes Namen verunheilige, wer ihn nicht heiligt. Danach muß auch wahr sein, daß Gottes Namen verunehren schwere Sünde und des ewigen Feuers schuldig sei, wenn Gottes Gerechtigkeit richten sollte. Wo willst du dann nun hin? Dein eigen Gebet straft dich und ist wider dich, zeugt gegen dich, verklagt dich. Da liegst du, wer hilft dir?

Siehe nun, wenn du so ernstlich in dich gegangen und durch Erkenntnis deines Elends gedemütiget bist, dann kommt als zweite die tröstliche Lehre und richtet dich wieder auf. Das ist: das Gebet lehret dich, daß du nicht verzweifeln, sondern Gottes Gnade und Hilfe begehren sollst. Denn du bist gewiß und sollst fest glauben, daß er dich deshalb so hat beten lehren, weil er dich erhören will. Und so macht das Gebet, daß dir Gott die Sünde nicht zurechnet und nicht nach der Schärfe mit dir handelt. Und allein die hält Gott für gut, die da ernstlich bekennen, daß sie Gottes Namen verunehren und stets begehren, daß er geheiliget werden möge. Die sich aber auf ihr Gewissen verlassen und nicht dafür halten, daß sie Gottes Namen verunehren, (bei denen) ist (es) nicht möglich, daß sie erhalten werden. Denn sie sind noch zu frei, sicher, hoffärtig und ohne Gottesfurcht, sie sind auch noch nicht unter dem Haufen, zu dem Christus spricht: »Kommet zu mir alle, die ihr geängstet und beschweret seid, ich will euch erquicken« (Matth. 11, 28). Denn sie verstehen das Vaterunser nicht, wissen nicht, was sie beten.

Beschluß

Die Meinung und Summe dieser Bitte ist nun: Ach, lieber Vater, dein Name werde geheiligt in uns, das ist: ich bekenne, daß ich leider deinen Namen oft verunehret habe und auch noch mit Hoffart und durch Ehre meiner selbst und (meines) Namens deinen Namen lästere. Deshalb hilf mir durch deine Gnade, daß mein Name in mir abnehme und ich zunichte werde, auf daß du allein (seiest) und dein Name, und er in mir sei. Ich hoffe, daß du auch genügend verstanden hast, daß das Wörtlein »dein Name« soviel bedeutet wie: »deine Ehre oder Lob«. Denn einen »guten Namen« nennt die Schrift »Ehre und Lob«, einen »bösen Namen« eine »Schande und bösen Leumund«, so daß dies Gebet nichts anderes will, als daß Gottes Ehre vor allen und über allen und in allen Dingen gesucht werde und all unser Leben ewig allein zu Gottes Ehre gereiche, nicht zu unserm Nutzen, auch nicht zu unserer Seligkeit oder irgendeinem Gut, es sei zeitlich oder ewig. Es sei denn (alles) eigentlich zu Gottes Ehre und Lob bestimmt.

Darum ist dies das erste Gebet. Denn Gottes Ehre ist das Erste, Letzte, Höchste, was wir ihm geben können, und er sucht und fordert auch nichts mehr. Wir können ihm auch sonst nichts geben, denn alle andern Güter gibt er uns, die Ehre aber behält er sich allein (vor), auf daß, was wir erkennen, sagen, singen, leben, wirken und alles (was wir) tun und leiden, bezeuge, daß alle Dinge Gottes sind, auf daß da der Spruch Ps. 111, 3 bestehe: »Lob und groß Ehr ist sein Werk, und seine Gerechtigkeit bleibt ewiglich«. Das ist soviel gesagt wie: In welchem Menschen Gott wohnet und lebet, desselben Menschen Werke tun nichts anderes, als daß sie Gott groß Lob und Ehre geben und ihm alles zuschreiben. Darum achtet (es) dieser Mensch nicht, daß man ihn verunehret und verachtet; denn er weiß, daß es so recht ist. Und wenn ihn niemand verachten und verunehren will, so tut er es selber und will sein Lob und Ehre nicht leiden. Und darum ist er gerecht, gibt Gott, was Gottes ist, und sich selbst, was sein ist: Gott die Ehre und alle Dinge, sich selbst die Schande und nichts. Das ist die Gerechtigkeit, die ewiglich bleibet: wenn sie nicht allein den zeitlichen Menschen gefällt, wie der törichten Jungfrauen Lampen (Matth. 25, 1 ff.) und der (etwas) scheinenden Heiligen Frömmigkeit, sondern dem ewigen Gott, vor dem sie dann auch ewiglich bleibet.

Nun merkest du, daß dies Gebet wider die leidige Hoffart ficht, die denn das Haupt, Leben und ganze Wesen aller Sünde ist. Denn ebenso wie keine Tugend lebet oder gut ist, wo Hoffart dabei ist, so lebet oder schadet umgekehrt keine Sünde, wo die Hoffart tot ist. Und wie eine Schlange all ihr Leben im Haupt hat, und wenn das tot ist, so tut sie niemandem etwas, so wären alle Sünden unschädlich, ja sehr förderlich, wenn die Hoffart tot wäre. Darum: wie niemand ohne Hoffart ist und ohne Streben nach eigenem Namen und Ehre, so ist niemand, dem dies Gebet nicht außerordentlich not und nütze sei.

[Martin Luther: Deutsche Auslegung des Vaterunsers für die einfältigen Laien (1519). Zeno.org: Martin Luther: Werke, S. 3412-3417
Wer sich nur nach dem, was er fühlt, richtet, der verliert Christus. (Martin Luther)

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Deutsche Auslegung des Vaterunsers für die einfältigen Laien (1519)

Dein Reich komme

Dieses zweite Gebet tut, wie die andern, zwei Dinge, erniedriget und erhebt uns: erniedrigt (uns) damit, daß es uns mit eigenem Munde unser groß, kläglich Elend zu bekennen zwingt; erhebt (uns) aber damit, daß es uns zeigt, wie wir uns in solcher Erniedrigung verhalten sollen. So hat ein jegliches Wort Gottes die Eigenschaft, daß es erschreckt und tröstet, schlägt und heilet, zerbricht und bauet, ausreißet und wieder pflanzet, demütiget und erhebet.

Zum ersten demütiget es uns, daß wir öffentlich bekennen, daß Gottes Reich noch nicht zu uns gekommen sei. Das ist, wenn es mit Ernst bedacht und gründlich gebetet wird, erschrecklich und soll ein jegliches frommes Herz billig betrüben und sehr kummervoll bewegen. Denn daraus folget, daß wir noch verstoßen, im Elend und unter grausamen Feinden sind, des allerliebsten Vaterlandes beraubt.
Das sind dann zwei leidige, zu beklagende Schäden: der erste, daß Gott der Vater seines Reiches in uns beraubt ist, und (daß er), der ein Herr in allen Dingen ist und sein soll, allein durch uns an solcher seiner Gewalt und Ehre verhindert ist. Das gereicht nicht wenig zu seiner Unehre, als sei er ein Herr ohne Land, und (weil) sein allmächtiger Name gleichsam zum Spott bei uns wird. Das muß ohne Zweifel allen weh tun, die Gott lieben und ihm Gutes gönnen. Dazu ist (es) auch schrecklich, daß wir die sind, die Gottes Reich verringern und hindern, welche er, wenn er gestrenge richten wollte, billig als seines Reiches Feinde und Räuber verdammen könnte. Der andere Schaden ist auf unserer Seite, daß wir in der Verbannung und in fremden Landen unter so großen Feinden gefangen liegen. Denn wie es schrecklich und zu beklagen wäre, wenn eines derzeitigen Fürsten Kind oder ein ganzes Land unter dem Türken gefangen (läge), viel Schmach und Leiden, zuletzt auch den schändlichsten Tod leiden müßte, wieviel mehr ist das erbärmlich zu beklagen, daß wir unter den bösen Geistern in dieser Verbannung sind und aller möglichen Fährlichkeit Leibes und der Seele, zuletzt auch alle Augenblicke des ewigen Todes gewärtig sein müssen, daß einem billig vor seinem eignen Leben mehr als vor hundert Toden grauen möchte, wenn er es recht ansähe.

Zum zweiten: wenn solche Überlegung uns erniedrigt und uns unsern Jammer eröffnet hat, so folget dann die Tröstung und lehret uns der freundliche Meister, unser Herr Christus, daß wir bitten und begehren sollen, aus der Verbannung zu kommen und nicht verzweifeln. Denn denen, die solches bekennen, daß sie Gottes Reich hindern, und kläglich bitten, daß es doch kommen möge, wird Gott um solches ihres Leidens und Bittens willen zugute halten, was er sonst verdientermaßen strafen würde. Die »freien Geister« aber, denen nicht viel daran gelegen ist, wo Gottes Reich bleibe, und (die) nicht herzlich darum bitten, wird er fürwahr mit den Tyrannen und Zerstörern seines Reichs (zusammen) nach der Schärfe richten. Denn dieweil ein jeglicher dies Gebet beten muß, so folget daraus, daß niemand an Gottes Reich unschuldig ist. Um das zu verstehen, ist zu wissen (notwendig), daß es zwei Reiche gibt.

Das erste ist ein Reich des Teufels. Den nennet der Herr im Evangelium (Joh. 16, 11) einen Fürsten oder König dieser Welt, deshalb ist es ein Reich der Sünde und des Ungehorsams. Das soll aber den Frommen eine sehr große Verbannung und Gefängnis sein, wie es denn vorzeiten durch die Kinder Israel in Ägypten im Bilde dargestellt ist, die da das Land mit großer Mühe und Jammer bebauen mußten und doch nichts davon hatten, als daß man sie dadurch zu töten gedachte. Wer also, dem Teufel untertan, in Sünden dienet, muß viel leiden, besonders im Gewissen, und verdienet doch zuletzt den ewigen Tod damit. Nun sind wir alle so lange in diesem Reich, bis das Reich Gottes kommt, doch mit Unterschied. Denn die Frommen sind so darin, daß sie täglich mit den Sünden kämpfen und des Fleisches Lust, der Welt Reizen, des Teufels Eingeben stetig und fest widerstreben.

Denn wie fromm wir (auch) seien, so will doch immer die böse Lust in uns mitherrschen und wollte gerne allein herrschen und die Überhand haben. So kämpft Gottes Reich mit des Teufels Reich ohne Unterlaß. Und diese werden deshalb erhalten und selig, weil sie so in sich selbst gegen des Teufels Reich kämpfen, um Gottes Reich zu vermehren. Und das sind die, die dies Gebet mit Worten, Herzen und Werken beten. So sagt der Apostel Paulus Röm. 6, 12, daß wir nicht gestatten sollen, daß die Sünde in unserem Leibe regiere, auf daß er seinen Begierden folge, als wollte er sagen: Ihr werdet wohl böse Lust, Liebe und Neigung fühlen und haben zu Zorn, zu Geiz, zu Unkeuschheit und dergleichen, die euch in des Teufels Reich ziehen wollen, das ist, zu Sünden, da sie herkommen und selbst auch Sünden sind. Aber ihr sollt ihnen nicht folgen, sondern kämpfen und diese zurückgelassenen Verräter des Reiches des alten Teufels zwingen und dämpfen, wie die Kinder von Israel den Jebusitern und Amoritern taten (Josua 10 ff.), und so Gottes Reich in euch mehren, welches das rechte gelobte Land ist. Die andern aber sind so darinnen, daß sie Lust dazu haben und allen Begierden des Fleisches, der Welt, des Teufels folgen, wollten auch, wenn sie könnten, immer darinnen bleiben. Diese schaffen dem Teufel Raum und verringern, ja verwüsten Gottes Reich. Darum sammeln sie Güter, bauen prächtig, suchen alles, was die Welt zu geben vermag, gleichsam als ob sie ewig hier bleiben wollten, denken nicht daran, daß wir hier keine bleibende Stätte haben, wie Paulus sagt (Hebr. 13, 14). Diese beten dies Gebet mit dem Munde, aber mit dem Herzen widersprechen sie demselben, und sind gleich den bleiernen Orgelpfeifen, die plärren und schreien sehr in der Kirche und haben doch weder Wort noch Verstand, und vielleicht sind die Orgeln dieser Sänger und Beter Bild und Anzeigung.

Das andere Reich ist Gottes Reich. Das ist ein Reich der Gerechtigkeit und Wahrheit, davon Christus sagt (Matth. 6, 33): »Sucht vor allen Dingen das Reich Gottes und seine Gerechtigkeit«. Was ist Gottes oder seines Reiches Gerechtigkeit? Das ist: wenn keine Sünde mehr in uns ist, sondern alle unsere Glieder, Kraft und Macht Gott untertan und in seinem Gebrauch sind, daß wir mit Paulus (Gal. 2, 20) sagen können: »Ich lebe jetzt, aber nicht ich, sondern Christus in mir«, und 1. Kor. 6, 19 f.: »Ihr seid nicht euch selbst zu eigen, ihr seid erkauft mit einem teuren Schatz, darum sollt ihr Gott ehren und an eurem Leib tragen«; als wollte er sagen: Christus hat euch durch sich selbst erkauft, darum sollt ihr sein eigen sein und ihn in euch leben und regieren lassen. Das geschieht aber, wenn keine Sünde in uns regiert, sondern allein Christus mit seiner Gnade. So ist Gottes Reich nichts anderes als Friede, Zucht, Demütigkeit, Keuschheit, Liebe und allerlei Tugend, und daß nicht Zorn, Haß, Bitterkeit, Unkeuschheit und alles desgleichen da sei. Nun prüfe sich ein jeglicher selber, ob er sich hier- oder dazu geneigt findet; dann wird er inne, in welchem Reich er sei. Nun ist niemand, er finde (denn) noch etwas von des Teufels Reich in sich. Darum muß er bitten: »Dein Reich komme«. Denn Gottes Reich wird wohl hier angefangen und nimmt zu, es wird aber in jenem Leben vollendet. Das bedeutet, in Kürze gesagt, »Dein Reich komme«: Lieber Vater, laß uns hier nicht lange leben, auf daß dein Reich in uns vollkommen werde und wir ganz von des Teufels Reich erlöset werden. Oder, wenn dirs so gefällt, uns noch länger in dieser Verbannung zu lassen, so gib uns deine Gnade, daß wir dein Reich in uns anfangen und ohne Unterlaß mehren, dem Teufel sein Reich mindern und zerstören können.

Nun merke: Es gibt zwei große Irrtümer in dieser Sache. Der erste (findet sich bei denen), die da hin und her laufen, daß sie fromm werden, zu Gottes Reich kommen und selig werden: einer gen Rom, der zu St. Jakob, jener bauet eine Kapelle, der stiftet dies, jener das. Aber zu dem rechten Punkt wollen sie nicht greifen, das ist: daß sie sich inwendig selbst Gott zu eigen gäben und sein Reich würden; sie tun viel solcher äußerlicher Werke und gleißen sehr hübsch, bleiben (aber) doch inwendig voll böser Tücke, Zorn, Haß, Hoffart, ungeduldig, unkeusch usw.

Wider die spricht Christus (Luk. 17, 20 f.), da er gefragt ward, wann das Reich Gottes käme: »Das Reich Gottes kommt nicht mit einem äußerlichen Gebaren oder Schein; nehmt wahr, das Reich Gottes ist in euch inwendig«, wie er auch Matth. 24, 23 ff. sagt: »Man wird nicht sagen ›siehe, hier oder da ist es‹; und wenn man euch sagen wird: ›siehe, hier oder da ist es‹, so sollt ihrs nicht glauben, denn es sind falsche Propheten«; so als wolle er sagen: Wollt ihr das Reich Gottes wissen, so braucht ihrs nicht weit zu suchen, noch über Land zu laufen. Es ist nahe bei dir, wenn du willst, ja, es ist nicht allein bei dir, sondern in dir; denn Zucht, Demut, Wahrheit, Keuschheit und alle Tugend – das ist, das wahre Reich Gottes – kann niemand über Land oder über Meer holen, sondern es muß im Herzen aufgehen.

Darum beten wir nicht so: »Lieber Vater, laß uns zu deinem Reich kommen«, als sollten wir danach laufen, sondern: »Dein Reich komme zu uns«. Denn Gottes Gnade und sein Reich muß mit allen Tugenden zu uns kommen, sollen wir es erhalten, wir können nimmermehr zu ihm kommen; gleichwie Christus zu uns vom Himmel auf die Erde gekommen ist und nicht wir von der Erde zu ihm in den Himmel gestiegen sind.

Der andere Irrtum (ist der), daß viele, die dies Gebet sprechen, allein Sorge haben, daß sie nur selig werden. Sie verstehen unter dem Reich Gottes nichts anders als Freude und Lust im Himmel, wie sie es sich denn in fleischlichem Sinn vorstellen können, und werden dadurch angetrieben, daß sie die Hölle fürchten und suchen so nur das Ihre und ihren Eigennutz im Himmel. Diese wissen nicht, daß Gottes Reich nichts anderes ist als: fromm, züchtig, rein, mild, sanft, gütig und aller Tugend und Gnade voll sein, so daß Gott das Seine in uns habe und er allein in uns sei, lebe und regiere. Dies sollte man am höchsten und ersten begehren. Denn das heißt selig sein: wenn Gott in uns regiert und wir sein Reich sind. Die Freude aber und Lust und alles andere, was man (immer) begehren mag, braucht man nicht zu suchen noch zu erbitten noch zu begehren, sondern das wird sich alles von selbst finden und dem Reich Gottes folgen. Denn wie ein guter Wein nicht getrunken werden kann, ohne daß er von selbst ungesucht seine Lust und Freude mitbringt, und wie er nicht daran gehindert werden kann, um so viel mehr muß ohne unser Zutun, von Natur und unaufhaltsam folgen Freude, Friede und Seligkeit und alle Lust, wenn die Gnaden und Tugenden (das Reich Gottes) vollkommen werden. Darum, um das falsche und eigennützige Auge abzuwenden, heißt uns Christus nicht die Folge des Reichs, sondern das Reich Gottes selber erbitten und suchen. Jene aber suchen das Hinterste und Letzte zuerst, und das Erste achten sie nichts, oder achtens allein um des Letzten willen, darum werden sie deren keines erlangen. Sie wollen das, was vorangeht, nicht recht, darum wird ihnen die Folge auch nicht (zuteil).

[Martin Luther: Deutsche Auslegung des Vaterunsers für die einfältigen Laien (1519). Zeno.org: Martin Luther: Werke, S. 3418-3426
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Deutsche Auslegung des Vaterunsers für die einfältigen Laien (1519)

Die dritte Bitte

Dein Wille geschehe wie im Himmel so auf Erden

Diese Bitte übet auch zwei Dinge, die bei der vorangehenden Bitte genannt sind, nämlich sie erniedrigt und erhebt, macht zu Sündern und fromm. Denn die zwei Stücke »Gericht« und »Gerechtigkeit« wirket das Wort Gottes allezeit; wie (Ps. 106, 3) geschrieben steht: »Selig sind, die da üben das Gericht und Gerechtigkeit allezeit«. Das Gericht ist nichts anderes, als daß ein Mensch sich selbst erkenne, richte und verdamme, und das ist wahre Demütigkeit und Erniedrigung seiner selbst. Die Gerechtigkeit ist nichts anderes, als wenn ein Mensch sich selbst so erkennt, Gnade und Hilfe von Gott erbittet und suchet, durch welche er dann vor Gott erhoben wird. Diese zwei Stücke in diesem Gebet wollen wir ansehen.

Zum ersten richten wir uns selber und verklagen uns mit unsern eigenen Worten, daß wir Gott ungehorsam sind und seinen Willen nicht tun. Denn wenn es so um uns stünde, daß wir Gottes Willen täten, so wär dies Gebet umsonst. Darum ist es erschrecklich zu hören, wenn wir sagen: »Dein Wille geschehe«. Denn was kann schrecklicher sein, als daß Gottes Wille nicht geschieht und man sein Gebot verachtet, wie wir klar wider uns selbst in diesem Gebet bekennen? Denn es muß wahr sein, daß wir Gottes Willen nicht tun oder getan haben, sintemal wir überhaupt erst darum bitten. Denn vor Gottes Augen nützt Heucheln und Spiegelfechten nicht, sondern wie man es erbittet, so muß es auch von Grund auf wahr sein. Dieweil wir denn bis an unser Ende dies Gebet beten müssen, so folget (daraus), daß wir auch bis an unser Ende als die erfunden und beschuldigt werden, die Gottes Willen ungehorsam sind. Wer kann da nun hoffärtig sein oder vor seinem eigenen Gebet bestehen, darin er findet, daß Gott, wenn er der Gerechtigkeit nach mit ihm handeln wollte, ihn mit allem Recht als einen Ungehorsamen alle Augenblicke verdammen und verwerfen könnte, der durch seinen eigenen Mund als solcher bekannt und bezeugt ist? So wirkt dies Gebet eine gründliche Demütigkeit und Furcht Gottes und seines Urteils, daß der Mensch froh wird, daß er Gottes Gericht nur entfliehe und aus lauter Gnade und Barmherzigkeit (vor Gott) behalten werde. Das heißt sich selbst gerichtet und das Gericht vor Gottes Augen geübt, sich von Grund auf erkennen und anklagen, wie denn dies Gebet ausweiset.

Zum zweiten. Die Gerechtigkeit ist: wenn wir uns selbst so gerichtet und erkannt haben, daß wir dann nicht vor dem Gericht Gottes verzagen, dessen wir uns, wie dies Gebet anzeigt, schuldig finden, sondern zu Gottes Gnade Zuflucht nehmen und fest auf ihn vertrauen, er wolle uns von dem Ungehorsam und davon, daß wir seinen Willen nicht tun, erlösen. Denn der ist gerecht vor Gott, der seinen Ungehorsam und Sünde, auch das verdiente Urteil demütig bekennet und dafür herzlich um Gnade bittet und nicht daran zweifelt, sie werde ihm gegeben. So lehret der Apostel (Röm. 4, 17; Gal. 3, 11), daß ein gerechter Mensch durch nichts anderes als durch seinen Glauben und Vertrauen auf Gott bestehen könne und daß also nicht seine Werke, sondern die bloße Barmherzigkeit Gottes sein Trost und Zuversicht ist. Siehe nun, was für einen mächtigen Schlag dies Gebet diesem vergänglichen, elenden Leben gibt, daß dasselbe nichts anderes sei als ein Ungehorsam gegen den göttlichen Willen und deshalb ein Stand, der ewigen Verdammnis gewiß, allein dadurch erhalten, daß wir das erkennen, beklagen und herzlich dafür bitten. Und wer so dies Gebet und die andern recht bedächte, der würde fürwahr eine geringe Lust zu diesem Leben haben. Wer aber Lust dazu hat, gibt (dadurch) zu verstehen, daß er das Vaterunser und die Gefährlichkeit seines Lebens gar nicht versteht.

Was das sei: daß Gottes Wille geschehe und nicht geschehe

Ohne Zweifel ist »Gottes Willen geschehen« (lassen), nichts anderes als seine Gebote halten. Denn durch seine Gebote hat er uns seinen Willen eröffnet. Hier muß man nun wissen, was Gottes Gebote sind, und sie verstehen. Das ist ein umfassendes Thema.
Aufs kürzeste (gesagt) ist es nichts anderes als den alten Adam in uns zu töten, wie die Briefe der Apostel uns an vielen Orten lehren. Der alte Adam ist nichts anderes als das, was wir in uns finden: böse Neigung zu Zorn, Haß, Unkeuschheit, Geiz, Ehre, Hoffart und dergleichen; denn solche böse Tücken und Stücke sind uns von Adam her vererbet und von Mutterleibe angeboren. Aus ihnen folgen allerlei böse Werke: Töten, Ehebrechen, Rauben und dergleichen Übertretungen von Gottes Gebot. Durch Ungehorsam also geschieht Gottes Wille nicht.

Der alte Adam wird auf zweierlei Weise getötet und so Gottes Willen geschehen (gelassen)

Zum ersten durch uns selber, wenn wir unsere böse Neigung unterdrücken und verhindern: mit Fasten, Wachen, Beten, Arbeiten die Unkeuschheit bezwingen, mit Almosen und freundlichen Diensten gegen unsere Feinde den Haß und Unwillen brechen, und – kurz gesagt – in allen Stücken unsern eigenen Willen brechen. Wo ein Mensch keinen Meister und Lehrer hat, der soll die Lehre merken und üben: daß er sich prüfe, daß er das ja nicht tue, wozu er eine Willensneigung hat, und daß er das tue, wozu er nicht Lust hat, d.h. daß er allezeit wider seinen Willen handle. Denn davon muß er ausgehen, daß sein Wille nimmer gut sei, er scheine, wie hübsch er mag, er sei denn zu dem gezwungen und gedrungen, was er lieber unterließe. Denn, wie gesagt, wenn ein guter Wille in uns wäre, so bedürften wir dieses Gebetes nicht.

Und so soll ein Mensch sich selbst üben, daß er einen Willen über seinem und entgegen seinem eigenen Willen habe und niemals dann unsicher sei, wenn er findet, daß nur ein Wille und nicht zwei entgegengesetzte Willen in ihm sind. So (soll er) sich gewöhnen, gegen seinen Willen dem »Überwillen« zu folgen.
Denn wer seinen eigenen Willen hat und tut, der ist gewiß Gottes Willen entgegen. Nun ist kein Ding dem Menschen so sehr lieb und so schwer aufzugeben wie sein (eigener) Wille. Viele tun große, gute Werke, aber ihrem Willen und aller (ihrer) Neigung leisten sie ganz Folge, und meinen dennoch, sie seien wohl dran und täten nichts Übles. Denn sie halten dafür, ihr Wille sei gut und recht, und sie bedürften dieses Gebetes gar nicht; sie sind auch ohne alle Gottesfurcht.

Zum zweiten (wird der alte Adam getötet) durch andere Menschen, die wider uns sind, (uns) anfechten, Unruhe machen und in allem unserem Willen widerstreben, auch in guten, geistlichen Werken und nicht allein in zeitlichen Gütern, wie die, die unser Beten, Fasten, (unsere) guten Werke verdächtigen, für Narrheit achten und, kurz gesagt, uns in keiner Sache in Frieden lassen. O, das ist ein unschätzbar köstlich Ding. Solche Anfechter sollte man mit all (seinem) Besitz kaufen (wenn man sie nicht hat). Denn die sind es, die dies Gebet in uns wirken, durch welche Gott unsern Willen bricht, daß sein Wille geschehe. Darum sagt Christus Matth. 5, 25: »Du sollst mit deinem Widersacher eins sein auf dem Wege«. Das heißt, daß wir unsern Willen fahrenlassen und des Widersachers Willen recht haben lassen sollen. So wird unser Wille gebrochen. In diesem Brechen unseres Willens aber geschieht Gottes Wille. Denn sein Wohlgefallen ist, daß unser Wille verhindert und zunichte werde. Deshalb: wenn dich jemand verdächtigt und dich zum Narren machen will, sollst du nicht (etwas) dawider wollen, sondern Ja dazu sagen und dich das recht dünken lassen, wie es denn auch vor Gott fürwahr recht ist. Will er dir etwas nehmen und (dir) Schaden tun, so sollst du es geschehen lassen, als geschähe dir recht daran. Denn ohne Zweifel ist es vor Gott recht. Wenn dir der (andere) auch unrecht täte, so geschähe dir doch (in Wirklichkeit) nicht unrecht. Denn es ist alles Gottes, der kann dirs durch einen Bösen oder einen Guten nehmen (lassen). Da soll dein Wille nicht widerstreben, sondern sagen: »Dein Wille geschehe«. Ebenso in allen anderen Dingen, leiblichen und geistlichen: »wer dir den Rock nimmt, dem gib den Mantel dazu«, sagt Christus Matth. 5, 40.

[Martin Luther: Deutsche Auslegung des Vaterunsers für die einfältigen Laien (1519). Zeno.org: Martin Luther: Werke, S. 3427-3433
Wer sich nur nach dem, was er fühlt, richtet, der verliert Christus. (Martin Luther)

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Deutsche Auslegung des Vaterunsers für die einfältigen Laien (1519)

Die dritte Bitte

Dein Wille geschehe wie im Himmel so auf Erden

Sagst du aber: Heißt das »Gottes Wille geschehe«, wer kann dann selig werden? Wer kann das hohe Gebot halten, daß er alle Dinge lasse und in keinem seinen Willen habe? Da antworte ich: darum lerne, wie sehr und notwendig und mit was für einem Ernst und Herzen dies Gebet gebetet sein will, und wie groß es sei, daß unser Wille getötet werde (und) allein Gottes Wille geschehe. So mußt du dich als einen Sünder bekennen, der solchen Willen Gottes nicht leisten kann, und um Hilfe und Gnade bitten, daß Gott dirs vergebe, was du zu wenig tust und (dass er dir) helfe, daß du es tun kannst. Denn es ist notwendig: soll Gottes Wille geschehen, so muß unser Wille untergehen; denn sie sind einander entgegen. Das merke an Christus, unserm Herrn. Als er im Garten (Gethsemane) seinen himmlischen Vater bat, daß er den Kelch von ihm nehme, sagte er dennoch: »Nicht mein, sondern dein Wille geschehe« (Luk. 22, 42). Mußte (es mit) Christi Willen (so) ausgehen, der doch ohne Zweifel gut, ja allzeit der allerbeste gewesen ist, auf daß der göttliche Wille geschehe, was wollen wir armen Würmlein dann mit unserm Willen prangen, der doch niemals ohne Bosheit ist und allezeit (dessen) würdig, daß er verhindert werde?

Um das zu verstehen, merke darauf, daß unser Wille auf zweierlei Weise böse ist: Zum ersten offenbar, ohne alle Bemäntelung, wenn wir willens und geneigt sind zu tun, was von jedermann als böse angesehen ist, wie zürnen, lügen, trügen, dem Nächsten schaden, unkeusch sein und dergleichen, welcher Wille und Neigung in einem jeglichen sich zeiget, besonders wenn er dazu gereizt wird. Wider den muß man bitten, daß Gottes Wille geschehe, der will Friede, Wahrheit, Reinigkeit, Freigebigkeit haben. Zum zweiten heimlich und unter einem guten Vorwand, wie Johannes und Jakobus Luk. 9, 54 ff. gegen die Samariter, die Christus nicht zu sich einlassen wollten, sprachen: »Herr, willst du, so wollen wir gebieten, daß das Feuer vom Himmel falle und verbrenne sie«. Und er antwortete: »Wisset ihr nicht, welches Geistes ihr seid? Der Sohn des Menschen ist nicht gekommen die Seelen zu verderben, sondern zu erlösen«.

Von dieser Art sind alle die, welche beim Ansehen der Ungerechtigkeit oder Torheit, die ihnen selbst oder andern widerfährt, mit dem Kopf hindurch wollen und was sie vornehmen, soll so (wie sie es wollen) ausgehen. Sie heben dann an und klagen: »Ei, ich meinte es so herzlich gut. Ei, ich wollte einer ganzen Stadt geholfen haben, aber der Teufel wills nicht leiden«, und meinen, sie seien es schuldig und täten recht daran, daß sie zürnen und reizbar werden, sich mit anderen Leuten dadurch in Unfrieden bringen und gleich ein großes Geschrei daraus machen, daß ihr »guter Wille« verhindert ist. Und wenn sie es bei Tage ansähen, so würden sie finden, daß es ein bloßer Vorwand gewesen ist und sie in dem »guten Willen« nichts anderes als ihren Nutzen oder ihre Ehre oder wenigstens ihren eigenen Willen und Gutdünken gesucht haben. Denn es ist nicht möglich, daß ein guter Wille, wenn anders er wahrhaftig gut ist, zornig oder unfreundlich werde, wenn man ihn verhindert. Und merke darauf: es ist ein sicheres Zeichen für einen bösen Willen, wenn er seine Verhinderung nicht leiden kann. Die Ungeduld ist eben die Frucht, daran du den scheinbaren, falschen, tückischen »guten Willen« erkennen sollst. Denn ein grundguter Wille spricht so, wenn er gehindert wird: Ach Gott, ich meinte, es sollte so gut sein; wenn es aber nicht sein soll, bin ich zufrieden, dein Wille geschehe. Denn wo Unfriede und Ungeduld ist, da ist nichts Gutes, es scheine, wie gut es wolle oder könne.

Neben diesen zwei bösen Willen gibt es auch einen rechtschaffenen guten Willen, der darf auch nicht geschehen: wie z.B. der Wille Davids, als er Gott einen Tempel bauen wollte und Gott ihn deshalb lobte und doch nicht wollte, daß es geschehe (2. Sam. 7, 2 ff.), ebenso wie Christi Wille im Garten (Gethsemane), da er den Kelch verweigerte (Luk. 22, 42), und dieser gute Wille mußte doch unterbleiben.
So auch, wenn du die ganze Welt bekehren, Tote auferwecken, dich und jedermann in den Himmel führen und alle Wunder wirken könntest, so solltest du doch derselben keines wollen, du hättest denn Gottes Willen vorgezogen und solchen deinen Willen unterworfen und zunichte gemacht und gesprochen: Mein lieber Gott, das und das dünkt mich gut; gefällt es dir, so geschehe es, gefällt es dir nicht, so bleibe es dahinten.

Und diesen guten Willen bricht Gott in seinen Heiligen gar oft, auf daß nicht durch den guten Schein der falsche, tückische, bösgute Wille einreiße, auch dass maß lerne, daß unser Wille, wie gut er (auch) sei, unermeßlich geringer ist als Gottes Wille. Darum soll ein geringer guter Wille billig weichen oder, ihm untertänig, vernichtet werden gegenüber dem unermeßlichen guten Willen Gottes.

Zum dritten: auch darum soll der gute Wille in uns verhindert werden, auf daß er gebessert werde. Denn gewiß hindert Gott einen guten Willen allein darum, daß er besser werde. Dann aber wird er besser, wenn er dem göttlichen Willen – durch welchen er verhindert wird – untertänig und gleichförmig wird, so lange, bis der Mensch ganz gelassen, frei, willenlos wird, und nichts mehr weiß, als daß er Gottes Willen gewärtig sei. Siehe, das heißt wahrer Gehorsam, der leider zu unseren Zeiten ganz unbekannt ist.

Nun fahren die unnützen Schwätzer daher, welche die ganze Christenheit voll geredet und die armen Leute mit ihren Lehren verführt haben, schreien sehr von der Kanzel (herab), wie man einen guten Willen, gute Absicht, guten Vorsatz haben und machen solle; und wenn derselbe gemacht ist, daß sie dann sicher seien und alles gut sei, was sie tun. Durch diese Lehre schaffen sie nicht mehr als eigenwillige, eigensinnige Menschen, freie und sichere Geister, die allezeit gegen Gottes Willen kämpfen, ihren (eigenen) Willen nicht brechen noch unterwerfen. Denn sie glauben, ihre Absicht sei gut und solle durchdringen, und was ihnen widerstrebe, sei vom Teufel und nicht von Gott. Sieh, so wachsen und (von) da her kommen die Wölfe unter den Schafskleidern, die hoffärtigen Heiligen, die allerschädlichsten Menschen auf Erden. Daher kommt es, daß ein Bischof wider den andern, eine Kirche wider die andre, Pfaffen, Mönche, Nonnen kämpfen, hadern, streiten, daß an allen Orten Unfriede ist und doch eine jegliche Partei sagt, sie habe einen guten Willen, rechte Absicht, göttlichen Vorsatz; und so treiben sie Gott zu Lobe und zu Ehren eitel teuflische Werke.

Man sollte sie aber recht lehren, daß sie einen gottesfürchtigen Willen hätten und auf ihren Willen hin (sich) gar nichts getrauten, vielmehr die verfluchte Vermessenheit weit von sich würfen, daß sie meinen, sie könnten einen guten Willen oder Absicht haben oder machen. Denn man soll offen daran verzweifeln, daß jemand einen guten Willen, gute Absicht, guten Vorsatz habe oder machen könne. Denn, wie oben gesagt: da allererst ist ein guter Wille, wo kein Wille ist; denn wo kein Wille ist, da ist allein Gottes Wille der allerbeste. Darum wissen solche Schwätzer viel, was böser oder guter Wille ist, und fahren frei einher und machen, daß wir mit dem Mund sprechen: »dein Wille geschehe«, mit dem Herzen aber: »mein Wille geschehe«, und so Gott und uns selbst spotten.

Da sagt man: Ei, hat uns doch Gott einen freien Willen gegeben. Antwort: Ja freilich hat er dir einen freien Willen gegeben. Warum willst du ihn dann zu einem Eigenwillen machen und läßt ihn nicht frei bleiben? Wenn du damit tust, was du willst, so ist er nicht frei, sondern dein eigen. Gott aber hat weder dir noch jemand anderem einen Eigenwillen gegeben. Denn der Eigenwille kommt vom Teufel und Adam; sie haben ihren freien Willen, von Gott empfangen, sich selbst zu eigen gemacht; denn ein »freier Wille« ist der, welcher nichts Eigenes will, sondern allein auf Gottes Willen schaut, wodurch er dann auch frei bleibet, nirgendwo anhangend oder anklebend.


Beschluß

Nun merkst du, daß Gott uns in diesem Gebet wider uns selbst bitten heißet, wobei er uns lehret, daß wir keinen größeren Feind haben als uns selber. Denn unser Wille ist das Größte in uns und wider denselben müssen wir bitten: O Vater, laß mich nicht dahin fallen, daß es nach meinem Willen geschehe. Brich meinen Willen, wehre meinem Willen, es geschehe mir, wie es wolle, daß es mir nicht nach meinem, sondern allein nach deinem Willen gehe. Denn so ist es im Himmel: da ist kein eigener Wille; (deshalb schaffe), daß es so auch auf der Erde sei. Solches Gebet oder auch Geschehen tut der Natur gar wehe. Denn der Eigenwille ist das allertiefste und größte Übel in uns und nichts ist uns lieber als der Eigenwille.
Darum wird in diesem Gebet nichts anderes gesucht als das Kreuz, Marter, Widerwärtigkeit und allerlei Leiden, das da zur Zerstörung unseres Willens dienet. Darum, wenn es die eigenwilligen Menschen recht bedächten, wie sie (im Vaterunser) wider allen ihren Willen bitten, würden sie dem Gebet feind werden oder wenigstens davor erschrecken.
Nun laß uns diese drei ersten Bitten aufeinander beziehen: Das erste ist, daß Gottes Name geehrt werde und seine Ehre und Lob in uns sei. Aber dazu kann niemand kommen, er sei denn fromm und in dem Reich Gottes. Denn die Toten und Sünder können Gott nicht loben, wie David Psalm 6, 6 sagt. Nun kann niemand fromm sein, er sei denn von den Sünden frei. Von den Sünden wird man frei, wenn unser Wille ausgewurzelt wird und allein Gottes Wille in uns ist. Denn wenn der Wille, der das Haupt und Oberste aller Glieder ist, nicht mehr unser und böse ist, so sind auch alle Glieder nimmer unser und böse. Darum greift dies Gebet die Bosheit bei dem Kopfe an, d.h. nicht bei der Hand oder dem Fuß, sondern bei unserem Willen, der das Haupt der Bosheit ist, der rechte Hauptbösewicht.

[Martin Luther: Deutsche Auslegung des Vaterunsers für die einfältigen Laien (1519). Zeno.org: Martin Luther: Werke, S. 3433-3440
Wer sich nur nach dem, was er fühlt, richtet, der verliert Christus. (Martin Luther)

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Die vierte Bitte

Unser täglich Brot gib uns heute

Bisher haben wir das Wörtlein »dein, dein« gebraucht. Nun sagen wir fortan »unser, unser, uns« usw. Dafür wollen wir einen Grund finden.
Wenn uns Gott in den ersten drei Bitten erhöret und seinen Namen in uns heiliget, so setzt er uns in sein Reich und gießt seine Gnade in uns, die uns fromm zu machen anhebt. Sobald diese Gnade anfängt, Gottes Willen zu tun, so findet sie einen widerspenstigen Adam, wie Paulus Röm. 7, 19 klagt, daß er nicht tue, was er gerne wollte. Denn der Eigenwille, von Adam angeboren, strebt mit allen Gliedern wider die guten Neigungen. Die Gnade im Herzen schreiet dann zu Gott wider denselben Adam und spricht: »Dein Wille geschehe«. Denn der Mensch findet sich mit sich selbst schwer beladen. Wenn dann Gott das Geschrei höret, so will er seiner lieben Gnade zu Hilfe kommen und sein angefangenes Reich mehren und wendet sich mit Ernst und Gewalt gegen den Hauptbösewicht, den alten Adam, füget ihm alles Unglück zu, zerbricht ihm all sein Vornehmen, blendet und schändet ihn ringsum. Das geschieht, wenn er uns allerlei Leiden und Widerwärtigkeit zusendet, und dazu müssen dienen: böse Zungen, böse, untreue Menschen, und, wo die Menschen nicht genug sind, auch die Teufel, auf daß ja unser Wille erwürget werde mit allen seinen bösen Neigungen, und der Wille Gottes so geschehe, daß die Gnade das Reich besitze und nur Gottes Lob und Ehre da bleibe.

Wenn dies nun so geschieht, so ist der Mensch in großem Gedränge und Ängsten und bedenkt nichts so wenig, wie daß dies Wesen bedeute, daß Gottes Wille geschehe. Sondern er meint, er sei verlassen und den Teufeln und bösen Menschen zu eigen gegeben, (es) sei kein Gott mehr im Himmel, der ihn kennen oder hören wolle. Das ist der rechte Hunger und Durst der Seele. Da sehnet sie sich nach Trost und Hilfe. Und dieser Hunger ist sehr viel schwerer als der leibliche. Und da fängt das »unser« an, daß wir unsere Notdurft begehren und sprechen: »Unser täglich Brot gib uns heute«.

Wie geschieht das aber?

Es hat uns Gott auf Erden viel Glück gelassen und dabei keinen anderen Trost, als sein heiliges Wort, wie Christus denn (Joh. 16, 33) versprochen hat: »In der Welt werdet ihr Bedrängnis haben, in mir aber den Frieden«. Darum, wer sich darein ergeben will, daß Gottes Reich in ihn komme und Gottes Wille geschehe, der mache nur nicht viel Vorwände, suche nur nicht Ausfluchtswege. Da wird nichts andres draus: Gottes Wille geschieht, wenn dein Wille nicht geschieht. Das ist: je mehr du Widerwärtigkeit hast, desto mehr geschieht Gottes Wille, besonders im Sterben. Es ist schon beschlossen und niemand wird das ändern, daß in der Welt Unfriede, in Christus (aber) unser Friede ist.

In diesem Gedränge scheiden sich nun die Bösen und die Guten. Die Bösen, die bald von der Gnade und dem angefangenen Reich Gottes abfallen, verstehen Gottes Willen nicht, wissen auch nicht, wozu solche Bedrängnis gut sei, wissen auch nicht, wie sie sich darin verhalten sollen. Darum kehren sie wieder zu ihrem Eigenwillen (zurück) und werfen die Gnade wieder (her)aus, gleich wie die bösen Mägen, welche die Speise nicht vertragen können. Etliche fallen in Ungeduld, Schelten, Fluchen, Lästern und werden ganz toll. Die andern, die laufen hin und her, suchen menschlichen Trost und Rat, daß sie nur ihres Unglückes loswerden möchten und ihre Widersacher überwinden und unterdrücken, und kurz gesagt, ihre eigenen Helfer und Erlöser sein möchten. (Sie können) nicht warten, bis Gott sie vom Kreuz erlöset. Diese alle tun sich selbst unaussprechlichen Schaden, deshalb weil Gott sie angegriffen hatte, (um) ihren Willen (ab)zutöten und seiner Gnade Reich in ihnen zu bauen, seines Namens Glorie und Ehre in ihnen aufzurichten, seinen Willen da zu haben. Aber sie wollen seine göttliche, heilsame Hand nicht leiden, fallen zurück und behalten ihren Willen, den alten Bösewicht. Ja, gleich wie die Juden lassen sie den Übeltäter Barrabas los und töten die Gnade Gottes, den unschuldigen Sohn Gottes, der in ihnen zu wachsen angefangen hatte. So spricht Ps. 78, 10 (vgl. Ps. 106, 13): Sie wollten nicht leiden, was Gott mit ihnen zu tun gedachte.

Die Frommen, die sind weise, verstehen gut, wozu göttlicher Wille, das ist, allerlei Unglück, gut sei, wissen auch gut, wie sie sich betragen und sich darin verhalten sollen. Denn sie wissen, daß ein Feind noch nie von einem Flüchtigen verjagt worden ist. Darum kann auch kein Leiden oder Bedrängnis oder Tod durch Ungeduld, Flucht und Trost Suchen überwunden werden, sondern allein dadurch, daß man fest stillstehe und beharre, ja dem Unglück und Tod frisch entgegengehe. Denn das Sprichwort ist wahr: Wer sich vor der Hölle fürchtet, der fährt hinein. Ebenso: wer sich vor dem Tode fürchtet, den verschlingt der Tod ewiglich. Wer sich vor Leiden fürchtet, der wird (von ihm) überwunden. Furcht tut nichts Gutes. Darum muß man frei und keck sein in all den Dingen und feste stehen.


Wer kann das aber?

Das lehret dich dies Gebet, wo du Trost suchen und solchem Unfrieden Frieden schaffen sollst. Du sollst sprechen: »O Vater, gib uns unser täglich Brot«, das ist: O Vater, tröste und stärke mich leidenden armen Menschen mit deinem göttlichen Wort. Ich kann deine Hand nicht leiden, und es gereicht mir doch zur Verdammnis, wenn ich sie nicht leide. Darum stärke mich, mein Vater, daß ich nicht verzage. So will Gott, daß wir in seinem Willen, das ist, in unserm Leiden nirgendwo hin laufen oder sehen als zu ihm, nicht begehren, daß wir frei davon werden – denn das wäre Schaden und Verhinderung des göttlichen Willens und unseres Nutzens -, sondern daß wir gestärkt werden, solchen Willen zu Ende zu leiden. Denn es ist wahr, daß niemand ohne Furcht zu leiden oder zu sterben vermag, was denn Gott will, er werde denn dazu gestärkt. Aber keine Kreatur kann dazu stärken, vielmehr macht alle Kreatur und besonders der Mensch, wenn man Trost und Stärke da sucht, matt, lose und weich. Darum muß uns allein das Wort Gottes oder (anders gesagt) unser täglich Brot stärken, wie er durch Jesaja (50, 4) sagt: »Gott hat mir eine weise Zunge gegeben, daß ich alle stärken kann, die da müde sind«, und Matth. 11, 28: »Kommet zu mir alle, die ihr geängstet und beschwert seid, ich will euch erquicken«, und Davids Ps. 119, 28: »Herr, stärke mich mit deinem Wort«, und Ps. 130, 5: »Meine Seele hat gehoffet auf sein Wort«. Und dieser Lehre ist die ganze Schrift voll, voll, voll.


Wann und durch wen kommt uns nun das Wort?

Es kommt auf zweierlei Weise: Zum ersten durch einen Menschen. Wenn Gott durch einen Prediger in der Kirche oder sonst durch einen andern ein tröstliches Wort hören läßt, das ihn stärket, daß er im Herzen fühlet: Ermanne dich und sei stark (2. Tim. 2, 1). Denn solch Echo macht das Wort Gottes im Herzen gewiß, wenn es recht kommt. Darum sollte man die Weiber und weibischen Plapperer von den kranken und sterbenden Menschen weit wegtreiben, die da sagen: Liebe Gevatterin und lieber Hans, es hat noch nicht not, ihr werdet wohl wieder gesund, glücklich und reich. Mit solchen Worten macht man verzagte, weiche, lose Herzen, obwohl doch von dem Wort Gottes geschrieben stehet: »das Brot stärkt des Menschen Herz« (Ps. 104, 15). Darum sage ich dagegen: Liebe Gevatter, freßt euren faulen Brei selbst. Ich warte des täglichen Brotes, das mich stärke. Und so sollte man die Kranken nur frisch zum Tode stärken und die Leidenden nur zu mehr Leiden anreizen. Und wenn sie sagen würden, sie vermöchtens nicht, so halte man ihnen dies Gebet vor, daß sie Gott darum bitten; denn er will darum gebeten sein.
Zum zweiten (kommt das Wort) durch sich selbst, z.B. wenn Gott einem leidenden Menschen sein Wort eingießt, durch das er stark wird, alles zu tragen; denn Gottes Wort ist allmächtig.


Welches ist aber nun das Wort, so es doch viele Worte Gottes gibt?

Antwort: Das kann niemand mit Sicherheit sagen. Denn wie die Gebrechen und Leiden mannigfaltig sind, so gibt es auch mannigfaltige Worte Gottes. Denn ein anderes Wort muß man den Furchtsamen sagen, ein anderes den Hartgesottenen: diesen muß man schrecken, jenen muß man stärken. Dieweil wir aber jetzt von denen reden, in welchen Gottes Wille geschieht, das ist von denen, die in Leiden und Not sind, muß man die Worte nehmen, die da stärken, wie Paulus Hebr. 12 tut. Aber dieweil das Wort Gottes nicht in der Menschen Gewalt ist – weder was das Reden noch das fruchtbar Wirken angeht –, sondern allein in Gottes Hand, darum ist es notwendig, daß wir darum bitten, daß er uns selbst das heilige Wort durch sich oder durch einen Menschen gebe.
Nun ist es wahr, daß, wer noch nie in Leiden versucht ist und nicht die Kraft des Wortes Gottes erfahren hat, wie mächtig es ist zu stärken, der weiß auch gar nichts davon, was diese Bitte begehrt. Es kann ihm auch nicht schmecken, denn er hat nur der Kreaturen und seiner selbst Trost und Hilfe erkannt und geschmeckt, und hat noch nie etwas zu Ende gelitten oder (ist noch nie) trostlos geworden.
Nun wollen wir ein Wort nach dem andern behandeln und die eigentliche Bedeutung dieser Bitte suchen; denn es ist eine tiefe Bitte.

[Martin Luther: Deutsche Auslegung des Vaterunsers für die einfältigen Laien (1519). Zeno.org: Martin Luther: Werke, S. 3441-3448
Wer sich nur nach dem, was er fühlt, richtet, der verliert Christus. (Martin Luther)

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