Die Institutio in einem Jahr lesen

Nur für Gläubige, die die fünf Punkte des Arminianismus ablehnen

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Der Pilgrim
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IV,17,44

Was wir bisher von diesem Sakrament ausgeführt haben, zeigt mehr als genugsam, daß es nicht dazu eingesetzt ist, um einmal im Jahre empfangen zu werden, und zwar, wie das jetzt allgemein die Gepflogenheit ist, nur, um der Pflicht ledig zu sein. Nein, es soll bei allen Christen in häufiger Übung stehen, damit sie sich in wiederholtem Gedenken an Christi Leiden erinnern; in solcher Erinnerung sollen sie ihren Glauben stärken und festigen, sollen sie sich ermahnen, das Bekenntnis des Lobes Gottes zu singen und seine Güte zu verkündigen, und sollen sie schließlich die gegenseitige Liebe nähren und sie sich auch gegenseitig bezeugen, da sie ja das Band solcher Liebe in der Einheit des Leibes Christi sehen. Denn allemal, wenn wir an dem Merkzeichen des Leibes unseres Herrn teilhaben, so verpflichten wir uns gleichsam durch das Geben und Empfangen eines Unterpfands einander gegenseitig zu allen Leistungen der Liebe, damit niemand unter uns etwas tut, womit er seinen Bruder verletzte, und niemand etwas unterläßt, womit er ihm beistehen könnte, wo es die Not erfordert und die Möglichkeit dazu besteht. So ist es in der apostolischen Kirche der Brauch gewesen, wie es Lukas erwähnt, wenn er berichtet: „Sie blieben aber beständig in der Apostel Lehre und in der Gemeinschaft und im Brotbrechen und im Gebet“ (Apg. 2,42). So müßte es allgemein dahin kommen, dass keine Zusammenkunft der Kirche ohne Wort, Gebete, die Austeilung des Abendmahls und Almosen geschähe. Daß diese Ordnung auch bei den Korinthern eingerichtet war, läßt sich auf Grund der Worte des Paulus (1. Kor. 11) genugsam annehmen, und sie ist ohne Zweifel auch noch viele Jahrhunderte nachher in Übung gewesen. Daher rühren nämlich jene alten Kirchensatzungen, die man dem Anacletus und dem Calixt zuschreibt: es sollen danach alle, die nicht aus der Kirche ausgeschlossen werden wollen, nach Vornahme der Konsekration das Abendmahl mitfeiern. Und in den alten Kirchensatzungen, die man die apostolischen nennt, steht zu lesen: „Wer nicht bis zum Ende anwesend bleibt und das Heilige Abendmahl nicht empfängt, der soll als einer, der der Kirche Unruhe bereitet, zurechtgewiesen werden“ (Canones Apostolorum 9 [10]). Ebenso hat man auf dem Konzil zu Antiochia (341) beschlossen: wer in die Kirche ginge, die Schrift hörte, aber am Abendmahl nicht teilnähme, der solle aus der Kirche verwiesen werden, bis er von diesem Fehler Abstand nähme. Das hat man dann freilich auf dem ersten Konzil zu Toledo (400) entweder gemildert oder wenigstens mit milderen Worten ausgesprochen; trotzdem wird auch dort festgesetzt: wer dabei betroffen werde, daß er nach dem Hören der Predigt niemals am Abendmahl teilnehme, der solle vermahnt und, sofern er nach der Vermahnung von diesem Fehler nicht abstehe, ausgeschlossen werden.



IV,17,45

Durch diese Bestimmungen wollten nämlich die heiligen Männer den häufigen Gebrauch des Abendmahls aufrechterhalten und verteidigen, wie er von den Aposteln selbst überliefert war. Sie sahen eben, daß er für die Gläubigen höchst heilsam war, durch die Nachlässigkeit der Menge jedoch nach und nach in Abgang geraten mußte, über seine Zeit aber gibt uns Augustin folgendes Zeugnis: „Das Sakrament (= Zeichen) dieser Sache, das heißt der Einheit des Leibes des Herrn, wird an manchen Orten Tag für Tag, an anderen in bestimmten Abständen auf dem Tisch des Herrn bereitet und von jenem Tisch her empfangen, von einigen zum Leben, von anderen zum Verderben“ (Predigten zum Johannesevangelium 26,15). Und in seinem ersten Brief an Januaris schreibt er: „Die einen halten alle Tage mit dem Leib und Blut des Herrn Gemeinschaft, die anderen empfangen sie an bestimmten Tagen, an manchen Orten geht kein Tag vorbei, wo nicht das Abendmahl dargeboten wird, an anderen geschieht es bloß samstags und sonntags, wieder an anderen ausschließlich an Sonntagen“ (Brief 54,11,2; an Januaris). Da nun, wie gesagt, das Volk zuweilen recht lässig war, so setzten die heiligen Männer mit strengem Tadel Nachdruck hinter ihre Forderung, damit es nicht den Anschein hatte, als sähen sie solcher Trägheit durch die Finger. Ein Beispiel dieser Art findet sich bei Chrysostomus in seiner Auslegung des Briefes an die Epheser; da heißt es: „Zu dem Manne, der das Gastmahl entehrte, wurde nicht gesagt: ‚Warum hast du dich zu Tische gesetzt?’, sondern: ‚Warum bist du hereingekommen?’ (Matth. 22,12; nicht Luthertext). Jeder, der an den Geheimnissen (Sakramenten) nicht teilnimmt, ist unredlich und unverschämt, daß er hier anwesend ist. Ich frage: wenn jemand auf Einladung zu einem Gastmahl kommt, die Hände wäscht, sich zu Tische setzt und den Eindruck erweckt, als schicke er sich zum Essen an – und dann nichts anrührt, tut der nicht dem Gastmahl wie dem Gastgeber Schmach an? So ist es auch mit dir: du stellst dich unter denen ein, die sich durch Gebet zum Empfang des heiligen Mahles vorbereiten, hast auch dadurch, daß du nicht weggegangen bist, bekannt, daß du einer aus ihrer Schar bist, und nimmst dann schließlich doch nicht an dem Mahle teil! Wäre es da nicht besser gewesen, du wärest überhaupt nicht erschienen? Du sagst: Ich bin unwürdig. Dann warst du also auch nicht würdig, an dem Gebet teilzuhaben, das die Vorbereitung zum Empfang des heiligen Geheimnisses (Sakraments) darstellt“ (zum ersten Kapitel des Epheserbriefs 3,5).



IV,17,46

Unzweifelhaft ist diese Gepflogenheit, die da gebietet, einmal im Jahre Abendmahl zu feiern, ein ganz sicheres Fündlein des Teufels, durch wessen Dienst sie auch am Ende aufgebracht worden sein mag! Man sagt, Zephyrinus (von Rom) sei der Urheber dieser Bestimmung gewesen; aber es ist durchaus nicht anzunehmen, daß diese damals so gewesen ist, wie wir sie heute vor uns haben. Denn Zephyrinus hat durch seine Einrichtung vielleicht nicht gar so übel für die Kirche gesorgt, so wie dazumal die Zeiten waren. Es unterliegt nämlich nicht dem geringsten Zweifel, daß damals (um die Wende des 2. und 3. Jahrhunderts) den Gläubigen das Heilige Abendmahl jedesmal vorgelegt wurde, wenn sie sich zur Versammlung beieinanderfanden, und es ist auch nicht zweifelhaft, daß ein erheblicher Teil von ihnen kommunizierte. Nun kam es aber kaum jemals vor, daß alle miteinander das Abendmahl feierten, und andererseits war es doch notwendig, daß sie angesichts ihrer Vermengung unter unheilige und abgöttische Menschen mit irgendeinem äußeren Merkzeichen ihren Glauben bekundeten; daher hatte der heilige Mann um der Ordnung und des Regiments willen jenen Tag festgesetzt, an dem das ganze Volk der Christen durch das Teilhaben am Abendmahl des Herrn ein Bekenntnis seines Glaubens ablegen sollte. Diese im übrigen anerkennenswerte Einrichtung des Zephyrinus hat dann die spätere Zeit übel verkehrt: da hat man nämlich ein bestimmtes Gesetz aufgestellt, nach welchem jeder (mindestens) einmal im Jahre am Abendmahl teilnehmen mußte; dadurch ist es dahin gekommen, daß fast alle, wenn sie einmal kommuniziert hatten, nun der Meinung waren, als ob sie für den Rest des Jahres ihrer Pflicht sein ledig seien, und unbekümmert auf beiden Ohren schliefen. Ganz anders hätte es geschehen müssen: mindestens jede Woche einmal hätte der Versammlung der Christen der Tisch des Herrn bereitet werden müssen, dann hätte man die Verheißungen erklären sollen, die uns am Tisch des Herrn geistlich zu nähren bestimmt sind, und dann hätte man zwar niemanden mit Zwang nötigen, aber alle ermahnen und anspornen und auch die Schläfrigkeit der Faulen tadeln sollen. So hätten alle gemeinschaftlich als hungrige Leute zu diesem köstlichen Mahl zusammenkommen sollen. Nicht zu Unrecht habe ich mich daher zu Anfang (dieser Sektion) beklagt, daß diese Gepflogenheit durch des Teufels List aufgebracht sei, diese Gepflogenheit, die einen Tag im Jahre vorschreibt und die Menschen dadurch für das ganze Jahr nachlässig macht. Wir sehen zwar, daß dieser verkehrte Mißbrauch schon zur Zeit des Chrysostomus eingeschlichen ist; aber man kann zugleich sehen, wie sehr er das mit Widerwillen aufgenommen hat. Er klagt nämlich an der oben angeführten Stelle mit ernsten Worten, es bestehe hier eine derartige Ungleichartigkeit, daß die Leute oftmals zu anderen Zeiten des Jahres nicht zum Abendmahl kämen, auch wenn sie rein seien, zur Osterzeit jedoch auch dann kommunizieren wollten, wenn sie unrein seien. Dann ruft er aus: „O Gewohnheit, o Halsstarrigkeit! So geschieht also das tägliche Opfer umsonst, so stehen wir umsonst am Altar: Niemand ist da, der mit uns zugleich das Abendmahl nähme“ (zum ersten Kapitel des Epheserbriefs 3,4). So wenig kann die Rede davon sein, daß Chrysostomus diesen Mißbrauch mit seiner Autorität bekräftigt hätte!



IV,17,47

Aus der gleichen Werkstatt (nämlich aus der des Teufels) ist auch die andere Satzung hervorgegangen, die dem besseren Teil des Volkes Gottes die Hälfte des Abendmahls gestohlen oder entzogen hat, nämlich das Merkzeichen des Blutes, das man den „Laien“ und „Weltlichen“ – mit diesen Titeln zeichnet man nämlich Gottes Erbe (1. Petr. 5,3) aus – versagt und nur einigen wenigen geschorenen und gesalbten Leuten in Besitz gegeben hat. Das Gebot des ewigen Gottes geht dahin, daß „alle“ trinken sollen (Matth. 26,27); dies Gebot aber wagt der Mensch durch ein neues und entgegengesetztes Gesetz veraltet zu machen und abzuschaffen, indem er verordnet, es sollten nicht alle trinken! Und damit solche Gesetzgeber nicht ohne Ursache wider ihren Gott streiten, so schützen sie Gefahren vor, die eintreten könnten, wenn man diesen geweihten Kelch durchweg allen reichte – als ob diese von Gottes ewiger Weisheit nicht vorhergesehen und bemerkt worden wären! Ferner stellen sie natürlich spitzfindig die Schlußfolgerung an, das eine Element sei genug für beide. Denn wenn der Leib da ist, so sagen sie, so ist es der ganze Christus, der ja von seinem Leibe nicht losgerissen werden kann. So schließt also der Leib vermöge des wechselseitigen Beieinanderseins (concomitantia) das Blut mit ein. Da sieht man, wie unser Sinn mit Gott „einig“ geht, wo er doch schon bei der geringsten Lockerung der Zügel ausgelassen und unbändig zu werden beginnt! Der Herr zeigt auf das Brot und sagt: „Das ist mein Leib“, er weist auf den Kelch und sagt: „Das ist mein Blut …“ Die Vermessenheit der menschlichen Vernunft erhebt dagegen Einspruch und behauptet, das Brot sei das Blut und der Wein sei der Leib – als ob der Herr ohne jede Ursache mit Worten und Zeichen seinen Leib und sein Blut voneinander unterschieden hätte, und als ob man je hätte sagen hören, daß Christi Leib oder Blut „Gott und Mensch“ genannt würde! Hätte er sich ganz bezeichnen wollen, so hätte er doch unzweifelhaft sagen können: „Das bin ich“, wie er in der Schrift zu sprechen gewohnt war, nicht aber: „Das ist mein Leib. Das ist mein Blut.“ Er wollte aber der Schwachheit unseres Glaubens zu Hilfe kommen und stellte deshalb den Kelch gesondert neben das Brot, um zu lehren, daß er zum Tranke nicht weniger genug sei als zur Speise. Nimmt man nun einen Teil weg, so werden wir in ihm bloß die halbe Nahrung finden! Selbst wenn wir den Fall setzen, ihre Behauptung, vermöge des „wechselseitigen Beieinanderseins“ sei das Blut im Brote und der Leib wiederum im Kelch, wäre richtig, so rauben sie eben doch den frommen Seelen die Bekräftigung des Glaubens, die Christus als notwendig lehrt. Wir sollen also ihre Spitzfindigkeiten fahrenlassen und den Nutzen behalten, der auf Grund der Anordnung Christi in dem zwiefachen Unterpfand empfangen wird!
Simon W.

Der Pilgrim
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IV,17,48

Ich weiß freilich, daß die Diener des Satans entsprechend ihrem Brauch, mit der Heiligen Schrift ihren Spott zu treiben, hier Ausflüchte machen. Zunächst berufen sie sich darauf, aus einer einfachen Tatsache ließe sich keine Regel ableiten, kraft deren die Kirche zu einem fortwährenden Brauch verpflichtet würde. Es ist aber eine Lüge, wenn sie behaupten, es handle sich hier bloß um eine einfache Tatsache; denn Christus hat nicht nur den Kelch gereicht, sondern auch festgesetzt, daß die Apostel für die Folgezeit so verfahren sollten. Er gibt doch eine Vorschrift, wenn er sagt: „Trinket alle aus diesem Kelch“ (Matth. 26,27; erweitert). Und Paulus erwähnt, daß es sich hier um eine Tatsache gehandelt hat, doch so, daß er dies Verfahren Christi zugleich als eine feste Einrichtung anbefiehlt (1. Kor. 11,25). Die zweite Ausflucht besteht in der Behauptung, Christus habe zum Teilhaben an diesem (ersten) Abendmahl doch ausschließlich die Apostel zugelassen, die er bereits in den Stand der Priester eingereiht und aufgenommen hätte. Ich möchte nun aber, daß sie mir auf fünf Fragen Antwort gäben, denen sie nicht entwischen können, sondern bei denen sie samt ihren Lügen mit Leichtigkeit widerlegt werden.
Erstens: mit welchem Orakel ist ihnen eigentlich diese Lösung offenbart worden, die doch mit dem Worte Gottes so gar wenig zu tun hat? Die Schrift nennt zwölf Jünger, die mit Christus zu Tische gesessen hätten; aber sie verdunkelt Christi Würde nicht derart, daß sie sie als „Priester“ bezeichnete – ein Titel, von dem später an dem dafür passenden Ort noch die Rede sein wird! Obwohl Christus nun damals das Sakrament diesen Zwölf gegeben hat, wies er sie doch an, sie sollten ihrerseits „solches tun“, das heißt das Abendmahl in dieser Weise untereinander austeilen.
Zweitens: wie ist es denn gekommen, daß in jener besseren Zeit, nämlich von den Aposteln an noch etwa weitere tausend Jahre hindurch, alle ohne Ausnahme der beiden Merkzeichen teilhaftig wurden? Wußte etwa die Alte Kirche nicht, welche Menschen Christus zu seinem Abendmahl als Tischgenossen zugelassen hatte? Es wäre doch ein Zeichen von heillosester Unverschämtheit, hier zu zaudern oder Ausflüchte zu suchen: Es sind Darstellungen der Kirchengeschichte vorhanden, dazu auch die Bücher der alten Kirchenlehrer, die uns hierfür ganz klare Zeugnisse geben. „Das Fleisch“, so sagt Tertullian, wird mit Christi Leib und Blut gespeist, damit die Seele von Gott her gesättigt werde“ (Von der Auserstehung des Fleisches 8). „Wieso willst du“, so sagt Ambrosius zu (dem Kaiser) Theodosius, „mit solchen Händen den heiligen Leib Christi empfangen? Woher nimmst du die Vermessenheit, mit deinem Munde an dem Kelch dieses köstlichen Blutes teilzuhaben?“ (Theodoret, Kirchengeschichte V,18). Hieronymus spricht von „Priestern, die das Abendmahl (eucharistia) bereiten und das Blut des Herrn an das Volk austeilen“ (zu Maleachi 2). Und Chrysostomus sagt: „Bei uns geht es nicht wie unter dem alten Gesetz, wo einen Teil der Priester aß, den anderen das Volk; nein, allen wird ein Leib und ein Kelch gereicht. Was zum Abendmahl gehört, das ist alles für Priester und Volk gemeinsam“ (Predigten zum zweiten Korintherbrief 18,3). Das nämliche bezeugt auch Augustin an sehr vielen Stellen.



IV,17,49

Aber wozu führe ich hier eine Auseinandersetzung über eine völlig bekannte Sache? Man lese alle griechischen und lateinischen Schriftsteller (der älteren Kirche), so werden einem immer wieder derartige Zeugnisse begegnen. Und diese Übung ist nicht in Abgang geraten, solange in der Kirche noch ein Tropfen von reinem Wesen übrig war. Gregor (I.), von dem man mit Recht sagen könnte, er sei der letzte Bischof von Rom gewesen, lehrt, daß man diese Gepflogenheit auch zu seiner Zeit innegehalten hat. „Was das Blut des Lammes ist“, sagt er, „das habt ihr nun nicht durch Hören, sondern durch Trinken erfahren.“ Oder auch: „Sein Blut wird in den Mund der Gläubigen eingegossen.“ Ja, diese Sitte dauerte noch vierhundert Jahre nach seinem Tode fort, als bereits alles entartet war. Denn diese Einrichtung galt eben nicht nur als eine Sitte, sondern als unverletzliches Gesetz. Es war eben damals noch die Ehrfurcht vor der göttlichen Stiftung lebendig, und man zweifelte nicht daran, daß es ein Gottesraub sei, wenn man das, was der Herr verbunden hatte, auseinanderriß. Spricht sich doch Gelasius (von Rom) folgendermaßen aus: „Wir haben erfahren, daß manche bloß ein Stück des heiligen Leibes nehmen, sich aber des Kelches enthalten; diese sollen nun, da sie in irgendwelchem Aberglauben befangen zu sein scheinen, unstreitig entweder die Sakramente ungeteilt empfangen oder vom ungeteilten Sakrament ferngehalten werden“ (Brief 37; wiedergegeben Decretum Gratiani III, Von der Konsekration 2,12). Eine Zerteilung dieses Geheimnisses (Sakraments) kann eben nicht ohne furchtbare Heiligtumsschändung eintreten! Man vernahm doch auch die Gründe des Cyprian, die einen christlichen Sinn sicherlich bewegen müssen; er sagt: „Wieso sollen wir diese Menschen lehren und auffordern, über dem Bekenntnis Christi ihr Blut zu vergießen, wenn wir ihnen, wo sie ihren Kriegsdienst leisten sollen, Christi Blut versagen? Und wie sollen wir sie zu dem Kelch des Martyriums geschickt machen, wenn wir sie nicht zuvor dazu zulassen, in der Kirche kraft des Rechtes der Gemeinschaft den Kelch des Herrn zu trinken?“ (Von den Abgefallenen 25). Daß nun aber die kirchlichen Rechtsgelehrten jene (oben erwähnte) Verordnung des Gelasius auf die Priester einschränken, das ist eine zu kindische Ausflucht, als daß sie einer Widerlegung bedürfte.



IV,17,50

Ich frage drittens: Warum hat der Herr von dem Brot einfach gesagt, die Jünger sollten es essen, von dem Kelch aber: „Trinket alle daraus“ (Matth. 26,27)? Es ist doch so, als ob er der Schalkheit des Satans mit vorbedacht hätte entgegentreten wollen!
Viertens: Wenn der Herr – wie die Papisten das wollen – bloß Priester seines Abendmahls gewürdigt hat, so möchte ich wissen, wer unter den Menschen es dann je gewagt hätte, Außenstehende (d.h. „Laien“) zur Teilnahme an diesem Mahl herbeizurufen, die der Herr doch ausgeschlossen hätte, und zwar noch zur Teilnahme an einer Gabe, über die dem Menschen keine Gewalt zustand, ohne jegliche Weisung dessen, der solche Gabe allein zu geben vermochte! Ja, aus welcher Zuversicht nehmen sie sich denn heutzutage das Recht, daß sie das Merkzeichen des Leibes Christi an das „Laienvolk“ austeilen, wenn sie doch weder eine Weisung noch ein Beispiel des Herrn dazu haben?
Fünftens: Hat etwa Paulus gelogen, als er zu den Korinthern sagte: „Ich habe es von dem Herrn empfangen, das ich euch gegeben habe“ (1. Kor. 11,23)? Er setzt nämlich nachher auseinander, was er ihnen „gegeben“ hat, nämlich (unter anderem) dies, daß sie alle ohne Unterschied beide Merkzeichen im Abendmahl empfangen sollten. Hatte es nun aber Paulus „von dem Herrn empfangen“, daß alle ohne Unterschied zugelassen werden sollten, so sollen die, welche fast das gesamte Volk Gottes wegweisen, wohl zusehen, von wem sie das „empfangen“ haben! Denn Gott können sie nun nicht mehr als Urheber vorschützen: bei ihm gibt es nicht „Ja und Nein“ (2. Kor. 1,19). Nun wagen sie aber immer noch, für solche Abscheulichkeiten den Namen der Kirche vorzuschützen und sie unter diesem Vorwand zu verteidigen – als ob diese Antichristen, die Christi Lehre und Stiftung so leichtfertig zertreten, zerstören und abschaffen, die Kirche wären, oder als ob die apostolische Kirche, in der die ganze Kraft der Religion in Blüte stand, keine Kirche gewesen wäre!
Simon W.

Der Pilgrim
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Achtzehntes Kapitel: Von der päpstlichen Messe, einer Heiligtumsschändung, durch die das Abendmahl Christi nicht nur entweiht, sondern zunichte gemacht worden ist



IV,18,1

Mit diesen und dergleichen Erfindungen hat der Satan, gleichsam wie durch Verbreitung von Finsternis, das heilige Mahl Christi zu entstellen und zu besudeln versucht, damit seine Reinheit nur ja nicht in der Kirche erhalten bleibe. Diese schreckliche Abscheulichkeit aber hat ihren Gipfel erreicht, als er ein Zeichen aufrichtete, mit dem das Abendmahl nicht nur verdunkelt und verkehrt, sondern völlig getilgt und abgeschafft werden sollte, um dadurch zum Verschwinden gebracht und aus dem Gedächtnis der Menschen entfernt zu werden. Das geschah nämlich, als er fast die ganze Welt mit dem furchtbar verderbenbringenden Irrtum verblendete, daß sie glaubte, die Messe sei ein Opfer und eine dargebrachte Gabe, kraft deren man die Vergebung der Sünden erlangte. In welcher Weise die vernünftigeren Schultheologen im Anfang diese Lehre aufgefaßt haben, darum kümmere ich mich nicht – ich will sie mit ihren spitzfindigen Scharfsinnigkeiten fahrenlassen; denn diese müssen, mag man sie allenfalls auch mit Ausflüchten verteidigen, trotzdem aus dem Grunde von allen rechtschaffenen Leuten verworfen werden, daß sie nichts tun, als die Klarheit des Abendmahls mit viel Finsternis zu bedecken. Diese Dinge will ich also fahrenlassen, und der Leser möge begreifen, daß ich mich hier mit der Meinung in Streit begebe, mit welcher der römische Antichrist und seine Propheten die ganze Welt erfüllt haben, nämlich mit der Meinung, die Messe sei ein Werk, vermöge dessen sich der Priester, der Christus opferte, und die anderen Menschen, die an dem Opfer teilnähmen, bei Gott ein Verdienst erwürben, oder auch: die Messe sei ein Sühnopfer, durch das sie Gott mit sich versöhnten. Und das ist nun nicht nur von der allgemeinen Ansicht der großen Menge so angenommen werden, nein, auch die Handlung selbst ist so eingerichtet, daß sie eine Art von Beschwichtigung sein soll, durch die man Gott zwecks Versöhnung der Lebendigen und der Toten Genüge leisten will. Das geben auch die Worte zu erkennen, die die Römischen dabei gebrauchen, und aus der tagtäglichen Übung läßt sich ebenfalls nichts anderes entnehmen. Wie tiefe Wurzeln diese Pest geschlagen hat, das weiß ich; ich weiß auch, wie mächtig der Schein einer guten Sache ist, unter dem sie sich verbirgt; ich weiß, wie diese Pest den Namen Christi als Vorwand benutzt und viele Leute des Glaubens sind, in dem einen Namen „Messe“ hätten sie die ganze Summe des Glaubens zusammengefaßt. Nun wird aber auf Grund des Wortes Gottes mit höchster Deutlichkeit nachgewiesen werden, daß die Messe, so schön und glänzend sie auch erscheinen mag, (1) Christus besonders schlimme Schmach antut, daß sie (2) sein Kreuz begräbt und unterdrückt, (3) seinen Tod in Vergessenheit geraten läßt und (4) die Frucht, die uns aus ihm erwachsen ist, beiseite schafft, es wird bewiesen werden, daß sie (5) das Sakrament, in dem das Gedächtnis des Todes Christi verblieben war, entkräftet und hinfällig macht. Ist das aber bewiesen – wird es dann wohl Wurzeln geben, die so tief sitzen, daß dies Beil, nämlich das Wort Gottes, sie nicht zerschlägt und aus dem Boden heraushaut, wird dann wohl ein Schein vorhanden sein, der so glänzend wäre, daß das Übel sich darunter verbergen könnte und von diesem Licht nicht an den Tag gebracht würde?



IV,18,2

(1) Wir wollen also jetzt zeigen, was wir oben an die erste Stelle gesetzt haben nämlich daß Christus in der Messe eine unerträgliche Lästerung und Schmach angetan wird. Denn er ist doch vom Vater zum Priester und Hohenpriester (Pontifex) geweiht worden. Und zwar hat das nicht nur für eine bestimmte Zeit gegolten, wie es nach unseren Berichten mit den im Alten Bunde eingesetzten Priestern der Fall war; denn ihr Leben war sterblich, und deshalb konnte ihr Priesteramt nicht unsterblich sein; aus diesem Grunde waren auch Nachfolger nötig, die immer wieder an die Stelle der Verstorbenen gesetzt werden mußten. Christus aber ist unsterblich, und darum ist es durchaus nicht vonnöten, daß an seine Stelle ein Statthalter tritt. Daher ist er vom Vater als Priester für alle Ewigkeit eingesetzt worden, nach der Ordnung Melchisedeks: er soll eben ein ewig dauerndes Priestertum ausüben (Hebr. 5,5.10; 7,17.21; 9,11; 10,21; Ps. 110,4; Gen. 14,18). Dies Geheimnis war lange Zeit zuvor in Melchisedek bildlich dargestellt worden: die Schrift führt ihn einmal als Priester des lebendigen Gottes ein, erwähnt ihn aber dann später nie mehr – als ob sein Leben niemals ein Ende genommen hätte. Das ist die Ähnlichkeit, um derentwillen Christus als Priester nach der Ordnung Melchisedeks bezeichnet worden ist. Wer nun aber Tag für Tag opfert, der muß unumgänglich Priester bestellen, um diese Opfer zu vollziehen; diese Priester muß man dann für Christus einsetzen, und zwar als Nachfolger oder als Platzhalter. Setzt man sie aber an Christi Statt, so entreißt man ihm nicht nur seine Ehre und raubt ihm das Vorrecht des ewigen Priestertums, sondern man versucht ihn damit auch von der Rechten des Vaters zu vertreiben; denn da kann er nicht als der Unsterbliche seinen Sitz haben, ohne zugleich auch der ewige Priester zu bleiben. Die Römischen sollen auch nicht behaupten, ihre Priester träten nicht an Christi Stelle, als ob er gestorben wäre, sondern sie seien bloß dienstbare Helfer an seinem ewigen Priestertum, das deshalb nicht aufhöre, seinen Bestand zu haben. Denn es gibt ein Wort des Apostels, das sie so stark in die Enge treibt, daß sie sich nicht herauswinden können. Der Apostel sagt nämlich: „Und jener sind viele, die Priester wurden, darum daß sie der Tod nicht bleiben ließ“ (Hebr. 7,23). Demnach ist also Christus, den der Tod nicht (am „Bleiben“) hindert, der einzige Priester, und er bedarf keiner Mitgenossen. Aber unverschämt, wie sie sind, wappnen sie sich zur Verteidigung ihrer Gottlosigkeit mit dem Beispiel des Melchisedek. Weil es nämlich von ihm heißt, er habe Brot und Wein dargebracht, so ziehen sie daraus den Schluß, es habe sich da um ein Vorspiel ihrer Messe gehandelt – als ob die Gleichartigkeit zwischen ihm und Christus in der Darbringung von Brot und Wein bestünde! Das ist doch zu inhaltlos und oberflächlich, als daß es einer Widerlegung bedürfte! Melchisedek reichte dem Abraham und seinen Begleitern Brot und Wein, um sie in ihrer Erschöpfung durch Marsch und Kampf damit zu erquicken – was hat das aber mit einem Opfer zu tun (das man doch Gott darbringt)? Die Freundlichkeit des Königs wird von Mose gelobt (Gen. 14,18) – und daraus machen sich unsere Widersacher in ihrem Ungestüm ein Geheimnis (Sakrament) zurecht, von dem doch gar nicht die Rede ist! Aber noch eine andere Deckfarbe wenden sie an, um ihrem Irrtum einen schönen Schein zu geben; sie berufen sich nämlich darauf, daß es gleich nachher heißt: „Und er war ein Priester Gottes des Höchsten“ (Gen. 14,18). Ich antworte, daß sie das, was der Apostel auf die Segnung bezieht, verkehrterweise auf Brot und Wein wenden (als ob das Priestertum des Melchisedek in der Gabe von Brot und Wein seinen Ausdruck gefunden hätte). Es verhielt sich also so: da Melchisedek ein Priester Gottes war, so segnete er den Abraham (Gen. 14,19). Daraus folgert der nämliche Apostel – und einen besseren Ausleger als ihn kann man doch nicht suchen – die hervorragende Würde des Melchisedek, und zwar, weil der Geringere von dem Überlegenen den Segen empfängt (Hebr. 7,7). Ich möchte doch wissen, ob der Apostel, wenn die Darbringung des Melchisedek (d.h. die Gabe von Brot und Wein) eine bildliche Darstellung des Meßopfers wäre, einen so ernsten und wichtigen Sachverhalt vergessen hätte, wo er doch auch die kleinsten Dinge untersucht. Aber sie mögen schwatzen, was sie wollen, so werden sie sich doch vergebens bemühen, die Begründung umzustoßen, die der Apostel selber anführt, nämlich die, daß das Recht und die Würde des Priestertums unter den sterblichen Menschen aufhört, weil Christus, der unsterblich ist, der einige und immerwährende Priester ist.



IV,18,3

(2) Als zweite „Tugend“ der Messe haben wir es bezeichnet, daß sie Christi Kreuz und Leiden unterdrückt und zudeckt. Nun ist es völlig sicher, daß Christi Kreuz sogleich umgestürzt wird, wenn man einen Altar errichtet. Denn wenn er sich am Kreuze selbst zum Opfer darbrachte, um uns für immerdar zu heiligen und uns eine ewige Erlösung zu erwerben (Hebr. 9,12), so hat ohne jeden Zweifel die Kraft und Wirkung seines Opfers ohne Ende fort und fort ihren Bestand. Wäre es nicht so, so hätten wir von Christus keine ehrenvollere Meinung als von den Ochsen und Kälbern, die unter dem Gesetz geschlachtet wurden und deren Opferung sich dadurch als unwirksam und schwach erwies, daß sie eben öfters wiederholt wurde. Man muß also entweder bekennen, daß dem Opfer Christi, das er am Kreuze vollbrachte, die Kraft zu einer ewigen Reinigung fehlte, oder man muß zugeben, daß er einmal ein einziges Opfer für alle Zeiten vollzogen hat. Eben dies meint der Apostel, wenn er sagt, dieser oberste Hohepriester, nämlich Christus, sei „einmal“, „am Ende der Welt“ „durch sein eigen Opfer erschienen“, um „die Sünde aufzuheben“ (Hebr. 9,26). Und das gleiche ist gemeint, wenn es an anderer Stelle heißt: „In dem Willen Gottes sind wir geheiligt auf einmal durch das Opfer des Leibes Jesu Christi“ (Hebr. 10,10; Anfang nicht ganz Luthertext), oder ebenso, wenn er sagt: „Mit einem Opfer hat Christus in Ewigkeit vollendet, die geheiligt werden“ (Hebr. 10,14; fast ganz Luthertext). Diesem Worte läßt der Apostel die herrliche Aussage folgen, nachdem wir einmal Vergebung der Sünden empfangen hätten, bliebe uns fürder kein Opfer mehr (Hebr. 10,18.26). Das gleiche hat auch Christus mit seinem letzten Wort zu verstehen gegeben, das er in den letzten Zügen gesprochen hat, nämlich mit dem Wort: „Es ist vollbracht“ (Joh. 19,30). Wir pflegen doch auf die letzten Worte von Sterbenden wie auf Orakel zu achten. Nun bezeugt Christus im Sterben, daß mit seinem einigen Opfer alles vollbracht und erfüllt ist, was zu unserer Seligkeit diente. Soll es uns da erlaubt sein, diesem Opfer, dessen Vollgenugsamkeit er so deutlich gepriesen hat, Tag für Tag ungezählte neue hinzuzufügen, als ob es unvollständig wäre? Gottes Wort behauptet doch nicht nur, sondern es ruft auch laut aus und bezeugt, daß dies Opfer einmal vollbracht ist und seine Kraft ewige Dauer hat. Ist es nun nicht so, daß einer, der ein anderes verlangt, dieses Opfer der Unvollkommenheit und Schwachheit beschuldigt? Wozu dient nun aber die Messe, die mit der Bestimmung eingerichtet ist, daß Tag für Tag hunderttausend Opfer vollzogen werden, anders als dazu, daß Christi Leiden, mit dem er sich selbst als das einige Opfer dem Vater dargebracht hat, begraben und versunken darniederliegt? Wer wird, wofern er nicht blind ist, verkennen, daß es die Vermessenheit des Satans gewesen ist, die sich einer so offenen und klaren Wahrheit widersetzte? Es ist mir auch nicht verborgen, was für Gaukeleien dieser Vater der Lüge als Vorwand zu seinem Betrug zu benutzen pflegt; er sagt nämlich, es handele sich nicht um vielfältige und verschiedene Opfer, sondern es werde vielmehr eines und dasselbe häufig wiederholt. Aber dergleichen Nebel sind ohne Mühe zu zerstreuen. Denn der Apostel behauptet in der ganzen Auseinandersetzung, daß es nicht nur kein anderes Opfer gibt, sondern daß auch jenes eine Opfer einmal dargebracht worden ist und nicht mehr wiederholt werden soll. Spitzfindigere Leute ziehen sich mit einer noch dunkleren Ausflucht aus der Sache heraus: sie sagen, es handele sich hier nicht um eine Wiederholung, sondern um eine Zueignung (des Opfers Christi). Aber auch diese Klüglingsweisheit ist durchaus nicht schwieriger zu widerlegen. Denn als Christus sich einmal zum Opfer darbrachte, da geschah das nicht mit der Bestimmung, daß dies sein Opfer Tag für Tag durch neue Opfer Gültigkeit erlangte, nein, er hat es getan, damit uns die Frucht dieses Opfers durch die Predigt des Evangeliums und die Verwaltung des Heiligen Abendmahls zuteil werde. So sagt Paulus, daß Christus als unser „Osterlamm“ geschlachtet worden ist, und gebietet uns zu essen (1. Kor. 5,7f.). Die Art und Weise, wie uns das Opfer am Kreuz rechtmäßig zugeeignet wird, besteht, so behaupte ich, darin, daß es uns zum Genießen zuteil gegeben wird und wir es in wahrem Glauben annehmen.



IV,18,4

Aber es ist der Mühe wert zu vernehmen, auf was für ein Fundament die Papisten sonst noch das Meßopfer gründen. Es gibt nämlich eine Weissagung des Maleachi in welcher der Herr verheißt, es solle einst auf der ganzen Erde seinem Namen „geräuchert und ein reines Speisopfer geopfert werden“ (Mal. 1,11). Diese Weissagung beziehen die Papisten auf die hier vorliegende Frage! Als ob es für die Propheten etwas Neues oder Ungewöhnliches wäre, daß sie, wenn von der Berufung der Heiden die Rede ist, die geistliche Verehrung Gottes, zu der sie sie ermahnen, mit den äußerlichen Bräuchen des Gesetzes ausdrücken! Damit wollen sie doch den Menschen ihrer Zeit nur faßlicher zeigen, daß die Heiden zur wahren Gemeinschaft der Gottesverehrung berufen werden sollten. In dieser Weise pflegen sie allgemein die Wahrheit der Dinge, die durch das Evangelium vor Augen gestellt worden ist, mit den Abbildern ihrer Zeit zu beschreiben. So setzen sie für die Bekehrung zum Herrn das Hinaufsteigen nach Jerusalem (Jes. 2,2ff.; Micha 4,1ff.), für die Anbetung Gottes die Darbringung von Gaben aller Art (Ps. 68,30; 72,10; Jes. 60,6ff.) und für die reichlichere Erkenntnis Gottes, mit der die Gläubigen im Reiche Christi begabt werden sollten, „Träume“ und „Gesichte“ (Joel 3,1). Die Stelle, die unsere Widersacher anführen, hat also Ähnlichkeit mit einer anderen Weissagung, die Jesaja ausspricht, wenn er von der Aufrichtung dreier Altäre in Assyrien, Ägypten und Judäa redet (Jes. 19,19.21.23f.). Ich frage nämlich erstens, ob sie denn nicht zugeben, daß diese Verheißung ihre Erfüllung im Reiche Christi findet. Zweitens frage ich, wo denn nun (in diesem Reiche) jene Altäre sind oder ob man sie je errichtet hat. Drittens möchte ich wissen, ob die Römischen der Meinung sind, es sei für jedes (irdische) Reich ein besonderer Tempel bestimmt, wie das ja mit jenem Tempel zu Jerusalem der Fall war. Wenn sie diese Fragen erwägen, so werden sie meines Erachtens zugeben, daß der Prophet unter Abbildern, die zu seiner Zeit paßten, eine Weissagung von der künftigen Ausbreitung der geistlichen Verehrung Gottes über die ganze Erde gibt. Das ist die Antwort, die wir ihnen erteilen. Weil uns aber dafür immer wieder leicht zugängliche Beispiele begegnen, so will ich mir mit einer längeren Aufzählung keine Mühe machen. Allerdings sind unsere Widersacher auch darin in einem jämmerlichen Irrtum befangen, daß sie kein anderes Opfer gelten lassen als das Meßopfer. Es ist doch so, daß die Gläubigen dem Herrn heutzutage tatsächlich opfern und ihm ein reines Opfer darbringen (vgl. Mal. 1,11), von dem in Kürze die Rede sein wird.
Simon W.

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IV,18,5

(3) Jetzt komme ich auf die dritte „Aufgabe“ der Messe zu sprechen. Dabei muß ich auseinandersetzen, wieso sie den wahren und einigen Tod Christi auslöscht und aus dem Gedächtnis der Menschen tilgt. Denn wie unter den Menschen die Bekräftigung eines Testaments vom Tode dessen abhängig ist, der es erteilt, so hat unser Herr auch das Testament, kraft dessen er uns mit der Vergebung der Sünden und mit ewiger Gerechtigkeit beschenkt hat, mit seinem Tode bekräftigt. Wer sich erdreistet, an diesem Testament etwas zu ändern oder zu neuern, der leugnet Christi Tod und behandelt ihn als etwas Bedeutungsloses. Was ist nun aber die Messe anders als ein neues und völlig andersartiges Testament? Wieso – verheißt nicht jegliche Messe eine neue Vergebung der Sünden und ein neues Erwerben der Gerechtigkeit, so daß es nun schon soviel Testamente wie Messen gibt? So muß denn also Christus aufs neue kommen, er muß durch einen zweiten Tod dies neue Testament, nein, vielmehr durch unermeßlich wiederholtes Sterben diese zahllosen Testamente in Gültigkeit setzen, die die Messen bedeuten! Habe ich nun also nicht im Beginn dieser Darlegungen die Wahrheit gesagt, als ich behauptete, durch die Messen werde der einige und wahre Tod Christi ausgelöscht? Was will man sagen, wo doch die Messe unmittelbar darauf hinausläuft, daß Christus, wenn es möglich wäre, abermals dahingeschlachtet würde? „Denn wo ein Testament ist“, sagt der Apostel, „da muß der Tod geschehen des, der das Testament machte“ (Hebr. 9,16). Die Messe will aber ein neues Testament sein, also erfordert sie auch (aufs neue) den Tod Christi. Zudem muß das Opfer, das man darbringt, getötet und geschlachtet werden. Wenn Christus also in jeder einzelnen Messe geopfert wird, so muß er in jedem Augenblick an tausend Stellen grausam gemordet werden. Dies Beweisstück stammt nicht von mir, sondern von dem Apostel: hätte es Christus für nötig gehalten, sich mehrfach zum Opfer darzubringen, so „hätte er oft leiden müssen von Anfang der Welt her“ (Hebr. 9,26). Ich gebe zu, daß die Papisten eine Antwort zur Hand haben, mit der sie auch uns der Schmähung bezichtigen; sie sagen nämlich, es werde ihnen hier etwas vorgeworfen, an das sie nie gedacht hätten und nicht einmal hätten denken können. Wir wissen allerdings, daß Christi Tod und Leben durchaus nicht in ihrer Hand liegt. Ob sie es darauf anlegen, ihn zu töten, darauf achten wir nicht; wir wollen nur zeigen, was für ein Widersinn sich aus ihrer gottlosen und schandbaren Lehre ergibt. Eben dies weise ich mit den Worten des Apostels nach. Sie mögen hundertmal Einspruch erheben und sagen, dies Opfer sei doch „unblutig“, so werde ich doch bestreiten, daß es von dem Gutdünken der Menschen abhängt, daß die Opfer ihre Natur verändern; denn damit würde Gottes heilige und unverletzliche Stiftung hinfällig werden. Daraus ergibt sich, daß der Grundsatz des Apostels seinen Bestand behält, wonach Blutvergießen erforderlich ist, wenn die Abwaschung nicht aufhören soll.



IV,18,6

(4) Jetzt müssen wir das vierte „Amt“ der Messe behandeln, nämlich daß sie uns die Frucht, die uns aus dem Tode Christi zukam, aus der Hand reißt, indem sie dahin wirkt, daß wir sie nicht erkennen und nicht darüber nachdenken. Denn wer wird daran denken, daß er durch Christi Tod erlöst ist, wenn er die neue Erlösung in der Messe gesehen hat? Wer wird darauf vertrauen, daß ihm die Sünden vergeben sind, wenn er die neue Vergebung (in der Messe) zu Gesichte bekommen hat? Man wird auch nicht entwischen können, wenn man sagt, in der Messe erlangten wir die Vergebung der Sünden doch aus keinem anderen Grunde, als weil sie uns durch den Tod Christi bereits erworben sei. Denn man bringt damit nichts anderes vor, als wenn man behauptete, wir seien von Christus mit der Bestimmung erlöst worden, daß wir uns (hernach) selber erlösten. Denn die Lehre, welche die Diener des Satans ausgestreut haben und heutzutage mit Geschrei, mit Feuer und Schwert verteidigen, sieht eben so aus: Wenn wir Christus in der Messe dem Vater zum Opfer darbringen, so erlangt man durch dies Werk der Opferung Vergebung der Sünden und wird des Leidens Christi teilhaftig. Was bleibt dann vom Leiden Christi übrig, als daß es ein Vorbild der Erlösung ist, an dem wir lernen sollen, unsere eigenen Erlöser zu sein? Als Christus im Abendmahl die Zuversicht auf Vergebung besiegelt, da gibt er seinen Jüngern nicht das Gebot, an jener Handlung hängenzubleiben, sondern verweist sie auf das Opfer seines Todes und gibt damit zu verstehen, daß das Abendmahl ein Denkzeichen oder, wie man allgemein sagt, ein Erinnerungsmal (memoriale) war, an dem sie lernen sollten, daß das Sühnopfer, mit dem Gott versöhnt werden sollte, nur einmal hat dargebracht werden müssen. Denn es ist nicht genug, wenn man daran festhält, daß Christus das einige Opfer ist, nein, man muß zugleich auch wissen, daß es nur eine Opferung gibt: unser Glaube soll sich also an sein Kreuz festheften.



IV,18,7

(5) Jetzt komme ich auf den Abschluß des Ganzen zu sprechen, nämlich darauf, daß das Heilige Abendmahl, in dem der Herr das Gedächtnis seines Leidens eingegraben und ausgeprägt hinterlassen hatte, durch die Aufrichtung der Messe aufgehoben, durchgestrichen und hinfällig gemacht worden ist. Denn das Abendmahl selbst ist eine Gabe Gottes, die mit Danksagung empfangen werden sollte. Das Opfer in der Messe dagegen zahlt Gott angeblich einen Preis, den er dann als Genugtuung annähme. Das Opfer in der Messe ist also von dem Sakrament des Abendmahls so verschieden, wie es Geben und Empfangen sind. Aber das ist nun die elendige Undankbarkeit des Menschen, daß er eben da, wo er die Freigebigkeit der göttlichen Güte erkennen und für sie Dank sagen sollte, Gott zu seinem Schuldner macht. Das Sakrament gab uns die Verheißung, daß wir durch Christi Tod nicht nur einmal ins Leben zurückgebracht, sondern fort und fort lebendig gemacht werden sollen, weil darin unser Heil in vollem Maße zustande gebracht ist. Das Meßopfer aber singt uns ein weit anderes Liedlein: Christus müsse Tag für Tag geopfert werden, um uns einen Vorteil zu bringen! Das Abendmahl sollte in der öffentlichen Versammlung der Kirche ausgeteilt werden, um uns über die Gemeinschaft zu belehren, in der wir allein in Christus Jesus verbunden sind. Diese Gemeinschaft wird durch das Meßopfer aufgelöst und auseinandergezerrt; denn nachdem der Irrtum Eingang gefunden hat, es müßten Priester dasein, die für das Volk opferten, da hat man so getan, als ob das Abendmahl ihnen vorbehalten wäre, und deshalb aufgehört, es nach der Weisung des Herrn an die Kirche der Gläubigen auszuteilen. Dadurch ist den Privatmessen der Zugang eröffnet worden, die mehr nach einer Ausschließung vom Abendmahl aussehen als nach der Gemeinschaft, die vom Herrn gestiftet worden ist, indem sich ja der Priester absondert, um sein „Opfer“ zu verzehren, und sich damit von dem ganzen Volk der Gläubigen trennt. Unter „Privatmesse“ verstehe ich, damit sich niemand täuscht, jegliche Messe, bei der keine Austeilung des Herrnmahles an die Gläubigen stattfindet, mag auch sonst eine große Menschenmenge dabei sein.



IV,18,8

Wo nun das Wort „Messe“ selbst seinen Ursprung hat, das habe ich niemals sicher feststellen können. Nur ist es mir wahrscheinlich, daß es von den Opfergaben genommen ist, die man zusammenlegte. Darum gebrauchen es auch die Alten durchweg in der Mehrzahl. Aber – um die Auseinandersetzung über das Wort fahrenzulassen – ich behaupte, daß die Privatmessen mit Christi Stiftung schlechthin im Widerspruch stehen und deshalb eine gottlose Entweihung des Heiligen Abendmahls darstellen. Denn was hat uns der Herr aufgetragen? Hat er nicht geboten, wir sollten (Brot und Wein) „nehmen“ und unter uns verteilen? Und wie sieht die Innehaltung dieses Gebots nach der Lehre des Paulus aus? Besteht sie nicht im Brotbrechen, das die Gemeinschaft des Leibes und Blutes Christi sein soll (1. Kor. 10,16)? Wie soll es nun mit dieser Weisung im Einklang stehen, wenn bloß einer (Brot und Wein) empfängt, ohne (sie) auszuteilen? Aber, so entgegnet man wohl, dieser eine handelt doch im Namen der ganzen Kirche: Welchen Auftrag hat er denn dazu? Heißt es nicht, offen mit Gott seinen Spott zu treiben, wenn einer für sich allein an sich reißt, was doch unter vielen hätte geschehen sollen? Aber weil die Worte Christi und des Paulus klar genug sind, so kann man in aller Kürze zu dem Ergebnis kommen: überall, wo nicht das Brot zur Gemeinschaft der Gläubigen gebrochen wird, da haben wir es nicht mit dem Mahl des Herrn, sondern mit einer falschen und verkehrten Nachahmung des Abendmahls zu tun. Falsche Nachahmung aber ist Verfälschung. Nun geschieht aber die Verfälschung eines so wichtigen Geheimnisses (Sakraments) nicht ohne Gottlosigkeit. Also liegt in den Privatmessen ein gottloser Mißbrauch vor. Und wie nun der eine Fehler in der Religion sogleich den zweiten gebiert, so haben die Papisten, nachdem sich einmal die Sitte eingeschlichen hatte, ohne gemeinschaftlichen Genuß des Sakraments zu „opfern“, nach und nach damit angefangen, an jeder Ecke ihrer Kirchengebäude ungezählte Messen zu halten und das Volk, das sich doch, um das Geheimnis (Sakrament) seiner Einheit zu erkennen, zu einer Versammlung hätte vereinen sollen, in den verschiedensten Richtungen auseinanderzuzerren. Jetzt sollen sie hergehen und behaupten, es sei keine Abgötterei, daß sie in ihren Messen das Brot zeigen, damit es an Christi Statt angebetet werde. Denn es ist vergebens, daß sie sich auf jene Verheißungen von der Gegenwart Christi berufen, die, wie man sie auch verstehen mag, jedenfalls nicht dazu gegeben sind, daß unreine und unheilige Menschen, sooft sie wollen und zu jedem ihnen passenden Mißbrauch den Leib Christi ihrer „Behandlung“ unterwerfen, sondern vielmehr dazu, daß die Gläubigen, indem sie bei der Feier des Abendmahls in frommer Achtsamkeit der Weisung Christi folgen, das wahre Teilhaben an ihm genießen.



IV,18,9

Zudem muß man bedenken, daß diese Verkehrtheit der Kirche in ihrer reineren Gestalt unbekannt gewesen ist. Denn die unverschämteren unter unseren Widersachern mögen sich noch so sehr bemühen, hier einen schönen Schein zu machen, so ist es dennoch mehr als gewiß, daß die ganze Alte Kirche gegen sie steht. Das haben wir oben in anderen Punkten nachgewiesen, und auf Grund eines fleißigen Lesens der Alten wird man es noch sicherer feststellen können. Aber bevor ich meine Darlegungen abschließe, möchte ich unseren Meßlehrern noch eine Frage vorlegen: sie wissen doch, daß bei Gott „Gehorsam besser ist denn Opfer“ (1. Sam. 15,22) und daß er nachdrücklicher fordert, daß man auf seine Stimme hört, als daß man ihm Opfer darbringt; wie kommen sie nun zu dem Glauben, daß diese Art zu „opfern“ Gott wohlgefällig sei, obwohl sie doch keinen Auftrag dazu besitzen und obwohl sie sehen, daß sie nicht durch eine einzige Silbe der Schrift gutgeheißen wird? Und zudem: sie hören doch, wie der Apostel sagt, es nehme niemand Namen und Ehre des Priestertums an als der, der berufen sei wie Aaron, ja, auch Christus selbst habe sich nicht eingedrängt, sondern sei der Berufung des Vaters gehorsam gewesen (Hebr. 5,4f.). Wenn es sich aber so verhält, so müssen sie entweder nachweisen, daß Gott ihr Priestertum begründet und eingerichtet hat – oder aber zugeben, daß diese (von ihnen in Besitz gehaltene) Würde nicht von Gott ist und sie ohne Berufung in unverschämter Vermessenheit darin eingebrochen sind. Sie können nun aber auch nicht einen Tüttel vorschützen, der ihr Priestertum deckte. Weshalb sollen nun also ihre Opfer nicht hinfällig werden, die doch (wie sie behaupten) ohne Priester nicht dargebracht werden können?
Simon W.

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IV,18,10

Wenn nun jemand hierher und dorther Aussagen der alten Kirchenlehrer zusammenstückelt, sie uns gewaltsam entgegenhält und auf Grund ihrer Autorität behauptet, das Opfer, das im Abendmahl vollzogen werde, müsse anders verstanden werden, als wir es darlegen, so soll ihm in Kürze die Antwort zuteil werden: wenn es sich darum handelt, das selbsterdachte Opfer zu bestätigen, das sich die Papisten in der Messe zurechtgemacht haben, so gewähren die Alten einer solchen Heiligtumsschändung durchaus keinen Beistand. Sie gebrauchen allerdings das Wort „Opfer“, aber sie setzen zugleich auseinander, daß sie darunter nichts anderes verstehen als die Erinnerung an jenes wahre und einige Opfer, das Christus, der, wie sie es selber immer wieder aussprechen, unser einiger Priester ist, am Kreuze vollbracht hat. „Die Hebräer“, so sagt Augustin, „feierten in den Tieropfern, die sie Gott brachten, die Weissagung von jenem zukünftigen Opfer, das Christus dargebracht hat; die Christen feiern das Gedenken an das bereits vollzogene Opfer durch die heilige Opferung und das Teilhaftigwerden des Leibes Christi“ (Gegen den Manichäer Faustus XX,18). Hier lehrt er unzweifelhaft voll und ganz das gleiche, was sich ausführlicher in dem Buche „Vom Glauben an Petrus Diaconus“ findet, wer schließlich auch sein Verfasser sein mag. Diese Worte lauten: „Halte es ganz fest und zweifle durchaus nicht daran, daß sich der Eingeborene selbst, der für uns Fleisch geworden ist, für uns als Opfer und hingelegte Gabe, Gott zu einem süßen Geruch, dargebracht hat; ihm wurden zusammen mit dem Vater und dem Heiligen Geiste zur Zeit des Alten Testaments Tiere geopfert, und ihm, zusammen mit dem Vater und dem Heiligen Geiste, mit denen er eine und die nämliche Gottheit innehat, bringt nun die heilige Kirche auf der ganzen Welt ohne Aufhören das Opfer von Brot und Wein dar. Denn in jenen fleischlichen Opfern lag eine Abbildung des Fleisches Christi, das er selbst für unsere Sünden darbringen, und seines Blutes, das er zur Vergebung der Sünden vergießen sollte. In diesem Opfer (der Kirche) aber liegt eine Danksagung und Erinnerung im Blick auf das Fleisch Christi, das er für uns dargebracht, und das Blut, das er für uns vergossen hat“ (Fulgentius von Ruspe, Vom Glauben an Petrus Diaconus 19). Daher legt es auch Augustin an zahlreichen Stellen so aus, daß es sich hier um nichts anderes handle als um ein Opfer des Lobes (Gegen einen Widersacher des Gesetzes und der Propheten I,18,37; 20,39; auch sonst). Schließlich wird man bei ihm immer wieder die Äußerung finden, daß das Mahl des Herrn aus keinem anderen Grunde als Opfer bezeichnet werde, als weil es ein Gedächtnis, ein Abbild und ein Zeugnis jenes einzigartigen, wahren und einigen Opfers sei, mit dem uns Christus versöhnt hat. Denkwürdig ist auch eine Stelle im vierundzwanzigsten Kapitel des vierten Buches seiner Schrift „Von der Dreieinigkeit“; da spricht er zunächst von dem einigen Opfer und kommt dann zu dem Schluß: „Bei einem Opfer muß man bekanntlich vier Dinge in Betracht ziehen: wem es dargebracht wird, wer es darbringt, was geopfert wird und für wen es geopfert wird. Nun bleibt eben unser einiger und wahrer Mittler, indem er uns durch das Opfer des Friedens mit Gott versöhnt, eins mit dem, dem er solche Opfer darbringt; er hat sich eins gemacht mit denen, für die er es dargebracht hat, er allein ist der, der es geopfert hat – und zugleich auch das, was er geopfert hat“ (Von der Dreieinigkeit IV,14,19). In demselben Sinne spricht sich auch Chrysostomus aus (Predigten zum Hebräerbrief 17,3). Die Ehre des Priestertums aber behalten sie Christus vor, dergestalt, daß Augustin bezeugt, es werde die Stimme des Antichrists sein, wenn jemand den Bischof zum Mittler zwischen Gott und den Menschen machte (Gegen den Brief des Parmenian II,8).



IV,18,11

Dennoch bestreiten wir nicht, daß uns im Abendmahl die Opferung Christi dergestalt dargezeigt wird, daß uns der Anblick des Kreuzes schier vor die Augen tritt – so, wie Christus nach den Worten des Paulus vor den Augen der Galater gekreuzigt worden ist, indem ihnen die Predigt des Kreuzes vorgetragen wurde (Gal. 3,1). Aber ich sehe, daß auch jene Alten diese Erinnerung verdreht und ihr einen anderen Sinn gegeben haben, als er der Stiftung Christi entsprach; ihr Abendmahl trug nämlich die Gestalt von ich weiß nicht was für einem wiederholten oder wenigstens erneuten Opfer an sich. Deshalb gibt es für fromme Herzen nichts Sichereres, als bei der reinen und einfachen Anordnung Gottes stehenzubleiben; denn dies Abendmahl wird ja auch deshalb sein Mahl genannt, weil hier allein seine Autorität in Kraft stehen soll. Weil ich jedoch wahrnehme, daß die alten Kirchenlehrer das fromme und rechtgläubige Verständnis dieses ganzen Geheimnisses (Sakraments) beibehalten haben, und weil ich ihnen nicht nachweisen kann, daß sie dem einigen Opfer des Herrn auch nur den mindesten Eintrag hätten tun wollen, so unterstehe ich mich nicht, sie irgendwelcher Gottlosigkeit zu bezichtigen. Ich bin jedoch der Ansicht, daß man sie nicht davon freisprechen kann, daß sie in der Art des Vollzugs (der Handlung) in mancher Hinsicht fehlgegangen sind. Sie haben sich nämlich der jüdischen Opfersitte mehr angeschlossen, als es Christus angeordnet hatte oder der Sinn des Evangeliums mit sich brachte. Einzig diese Angleichung also ist verkehrt, und um ihretwillen könnte man sie verdientermaßen anklagen, weil sie sich mit der einfachen und reinen Einsetzung Christi nicht zufriedengegeben haben und gar zu sehr zu den Schatten des Gesetzes zurückgebogen sind.



IV,18,12

Wenn jemand fleißig darüber nachdenkt, so wird er beobachten, daß das Wort des Herrn zwischen den mosaischen Opfern und unserer Eucharistie dergestalt unterscheidet, daß jene zwar dem jüdischen Volke die nämliche Wirkung des Todes Christi veranschaulichten, die uns heute im Abendmahl vor Augen gestellt wird, daß aber die Art der Veranschaulichung verschieden ist. Denn bei jenen Opfern wurde den levitischen Priestern geboten, das Opfer bildlich darzustellen, das Christus bringen sollte, es wurde das Opfer(tier) hingestellt, das an die Stelle Christi selber treten sollte, es war ein Altar da, auf dem es geopfert werden sollte, kurz, es wurde alles so gehandhabt, daß ein Bild jenes Opfers vor die Augen der Menschen trat, das Gott zur Versöhnung dargebracht werden sollte. Nachdem dieses Opfer aber nun vollbracht ist, hat uns der Herr eine andere Art und Weise gelehrt, um nämlich die Frucht des Opfers, das ihm der Sohn dargebracht hat, auf das gläubige Volk kommen zu lassen. Daher hat er uns einen Tisch gegeben, an dem wir das Mahl halten sollen, nicht aber einen Altar, auf dem ein Opfer dargebracht werden soll. Er hat nicht Priester geweiht, die da opfern, sondern Diener, die das heilige Mahl austeilen sollen. Je erhabener und heiliger das Geheimnis (Sakrament) ist, desto größer muß die fromme Scheu und die Ehrfurcht sein, mit der es behandelt wird. Es ist also nichts sicherer, als wenn wir allen Vorwitz der menschlichen Vernunft von uns abtun und uns allein an das halten, was die Schrift lehrt. Und fürwahr, wenn wir bedenken, daß es sich hier um das Mahl des Herrn, nicht um ein Mahl von Menschen handelt, so besteht kein Anlaß, daß wir uns von irgendeiner menschlichen Autorität oder irgendeiner durch lange Jahre vorgezeichneten Sitte auch nur einen Fingerbreit davon abbringen lassen. Als daher der Apostel das Abendmahl von allen Verkehrtheiten reinigen wollte, die sich schon in die Kirche der Korinther eingeschlichen hatten, da schlug er dazu den besten Weg ein: er rief sie zu jener einigen Stiftung zurück und zeigte damit, daß wir aus ihr eine bleibende Regel entnehmen sollen (1. Kor. 11,20ff.).



IV,18,13

Damit uns nun nicht irgendein händelsüchtiger Mensch aus den Ausdrücken „Opfer“ und „Priester“ einen Streit erwachsen laßt, so will ich, allerdings in zusammenfassender Kürze, auch noch deutlich machen, was ich in dieser ganzen Erörterung unter „Opfer“ und „Priester“ verstehe. Manche dehnen das Wort „Opfer“ (seiner Bedeutung nach) auf alle heiligen Zeremonien und gottesdienstlichen Handlungen aus; aber ich sehe nicht, aus was für einem Grunde sie das tun wollen. Wir wissen, daß nach dem ständigen Gebrauch der Heiligen Schrift als „Opfer“ das bezeichnet wird, was die Griechen bald „thuesía“ (Opfer), bald „prosphorá“ (Darbringung), bald „teleté“ (Weiheopfer) nennen. Das umfaßt, allgemein verstanden, alles, was man überhaupt Gott darbringt. Wir müssen also eine nähere Unterscheidung eintreten lassen, aber doch so, daß diese Unterscheidung ihre Bezogenheit (anagoge) von den Opfern des mosaischen Gesetzes her hat, unter deren Schatten der Herr seinem Volke die ganze Wahrheit der Opfer vergegenwärtigen wollte. Obwohl diese Opfer nun von vielfältiger Gestalt gewesen sind, so kann man sie doch alle auf zwei Grundformen zurückführen. Denn die Opferung geschah entweder (1) um der Sünde willen, und zwar in der Art einer Genugtuung, durch welche die Schuld vor Gott getilgt wurde, oder sie war (2) ein Merkzeichen des Gottesdienstes und eine Bezeugung der Gottesfurcht, und zwar bald als demütige Bitte, mit der man um Gottes Gnade anhielt, bald als Danksagung zur Bezeugung der Dankbarkeit des Herzens für empfangene Wohltaten, bald auch als einfache Übung der Frömmigkeit zur Erneuerung des Bundesschlusses. Zu dieser letzteren Gruppe gehörten die Brandopfer und Speisopfer, die Gabenopfer, die Erstlingsopfer und die Friedensopfer. Demnach wollen auch wir die Opfer in zwei Gruppen einteilen. Die Opfer der einen Art wollen wir zum Zweck der Unterweisung als „Dienstopfer“ oder „Frömmigkeitsopfer“ bezeichnen, weil sie in der Verehrung und im Dienst Gottes bestehen, wie sie ihm die Gläubigen schuldig sind und erweisen. Wir können sie auch, wenn man das lieber will, als „Dankopfer“ bezeichnen, weil sie Gott nur von solchen Menschen dargebracht werden, die sich ihm, mit seinen unermeßlichen Wohltaten beladen, mit allem, was sie tun und lassen, hingeben. Die Opfer der anderen Art nennen wir „Sühne-“ oder „Versöhnungsopfer“.


Die Messe ist kein „Sühn-Opfer“


(1) „Sühnopfer“ nennen wir nun ein solches Opfer, das den Zweck hat, Gottes Zorn zu beschwichtigen, seinem Urteil Genüge zu tun und dadurch die Sünden abzuwaschen und zu tilgen, damit der Sünder, von ihren Flecken gereinigt und zur Reinheit der Gerechtigkeit zurückgebracht, bei Gott selbst wieder zu Gnaden kommt. Diesen Namen trugen im Gesetz jene Opfer, die zur Sühne für die Sünden dargebracht wurden (Ex. 29,36) – nicht weil sie imstande gewesen wären, Gottes Gnade zu gewinnen oder die Ungerechtigkeit zu tilgen, sondern weil sie eine schattenhafte Andeutung jenes wahren Sühnopfers sein sollten, das schließlich von Christus allein mit der Tat vollbracht worden ist. Von ihm allein ist es vollbracht worden, weil das kein anderer vermochte. Und das ist einmal geschehen, weil nur das eine von Christus vollbrachte Opfer von ewiger Wirkung und Kraft ist, wie er es selbst mit eigenen Worten bezeugt hat, indem er sagte, es sei „vollbracht“ oder erfüllt (Joh. 19,30), das heißt: alles, was dazu nötig war, die Gnade des Vaters zu gewinnen und Vergebung der Sünden, Gerechtigkeit und Seligkeit zu erlangen, das ist voll und ganz in diesem seinem einigen Opfer geleistet und vollendet, und es fehlt daher nichts, so daß weiterhin für ein anderes Opfer kein Raum mehr bleibt.



IV,18,14

Aus diesem Grunde stelle ich fest, daß sowohl Christus als auch seinem Opfer, das er durch seinen Tod am Kreuz für uns vollbracht hat, eine ganz ruchlose Schmähung und untragbare Lästerung angetan wird, wenn jemand durch ein wiederholtes Opfer daran denkt, sich die Vergebung der Sünden zu erkaufen, Gott zu versöhnen und Gerechtigkeit zu erlangen. Worum geht es nun aber bei dem Messehalten anders, als daß wir um einer neuen Opferung willen des Leidens Christi teilhaftig werden sollen? Und damit der Aberwitz kein Maß und Ziel hat, so haben die Papisten gemeint, es sei zu wenig, wenn sie sagten, es geschehe hier ein gemeinsames Opfer, das gleichermaßen für die gesamte Kirche Geltung habe; nein, sie haben noch hinzusetzen zu müssen geglaubt, es stehe in ihrem Belieben, dies Opfer in besonderer Weise dem einen oder anderen Menschen, je, wie sie es wollten, zuzuwenden – oder besser: jedem beliebigen Menschen, der sich solche „Ware“ mit barem Gelde kaufen will! Da sie nun den Preis, den Judas empfing, nicht haben erreichen können, so haben sie, um doch wenigstens an einem Merkmal das Vorbild ihres Meisters zu erkennen zu geben, in der Zahl eine Ähnlichkeit bewahrt. Judas hat Christus für dreißig Silberlinge verkauft, die Papisten tun es nach französischer Münze um dreißig Kupferpfennige; nur tat es Judas einmal, die Papisten dagegen tun es, sooft sich ein Käufer einstellt. In diesem Sinne bestreiten wir auch, daß sie Priester sind, das heißt Leute, die mit solchen Opfern bei Gott für das Volk einträten und durch Versöhnung Gottes eine Tilgung der Sünden bewirkten. Denn Christus ist der einige Priester und Hohepriester des Neuen Bundes, auf ihn ist jegliches Priesteramt übertragen, und in ihm sind sie alle verschlossen und zu ihrem Ende gekommen. Auch wenn die Schrift von Christi ewigem Priestertum nichts erwähnte, so müßte doch, weil Gott nach Abschaffung jener alten Priestertümer kein neues gestiftet hat, der Beweisgrund des Apostels unwiderlegt stehenbleiben, wonach sich niemand diese Ehre nimmt, er sei denn von Gott berufen (Hebr. 5,4). An was für einer Zuversicht erdreisten sich nun diese Heiligtumsschänder, die sich zu Schlächtern Christi aufwerfen, sich Priester des lebendigen Gottes zu nennen?
Simon W.

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IV,18,15

Es gibt bei Platon im zweiten Buche seines Werkes „Vom Staat“ eine sehr treffliche Stelle. Da spricht er von den alten Sühnopfern und verlacht die törichte Zuversicht böser und ruchloser Menschen, die da meinten, ihre Opfer seien gleich Decken, unter denen sich ihre Schandtaten verhüllen könnten, so daß sie von den Göttern nicht gesehen würden, und die mit den Göttern gleichsam einen Bund gemacht zu haben glaubten und sich dann um so unbekümmerter gehen ließen. Es kommt einem geradezu so vor, als spiele Platon damit auf die Sühneübung in der Messe an, wie sie heutzutage in der Welt besteht. Daß es ein Frevel ist, einen anderen zu betrügen und zu hintergehen, das weiß jedermann. Daß es gottlos ist, die Witwen mit Ungerechtigkeiten zu quälen, die Waisen auszuplündern, die Armen zu bedrücken, anderer Leute Gut mit bösen Praktiken an sich zu reißen, auf das Vermögen eines anderen mit Meineid und Betrug einen Anschlag zu machen und einen Menschen mit Gewalt und tyrannischer Grausamkeit zu unterdrücken – das gibt jedermann zu. Wie kommt es nun, daß sich so viele Leute das alles zu tun erlauben, als ob sie es straflos wagen könnten? Fürwahr, wenn wir es recht bedenken, so besteht keine Ursache, die ihnen soviel Mut macht als eben die, daß sie der Zuversicht sind, sie könnten Gott durch das Meßopfer wie mit einer entrichteten Zahlung Genugtuung leisten, oder daß sie wenigstens darauf vertrauen, daß dies für sie ein leicht gangbarer Weg sei, um mit ihm ins reine zu kommen. Dann geht Platon noch weiter und verlacht den groben Stumpfsinn derer, die der Meinung sind, sie könnten sich mit dergleichen Sühnopfern von den Strafen loskaufen, die sie sonst in der Unterwelt erleiden müßten. Und was haben nun heutzutage die Jahrgedächtnisse und der größere Teil der Messen anders für einen Zweck, als daß Menschen, die ihr ganzes Leben lang die grausamsten Tyrannen oder die beutegierigsten Räuber gewesen sind oder jeglicher Schandtat ergeben waren, gleichsam mit diesem „Preis“ losgekauft werden und dadurch dem Fegefeuer entrinnen sollen?



IV,18,16

(2) In der zweiten Gruppe von Opfern, die wir als „ Dankopfer „ bezeichneten, sind alle Pflichtwerke der Liebe zusammengefaßt, die wir unseren Brüdern erweisen, um dadurch zugleich den Herrn in seinen Gliedern zu ehren. Ferner gehören hierher alle unsere Gebete, Lobpreise, Danksagungen und alles, was wir zur Verehrung Gottes tun. All das hängt schließlich von einem größeren Opfer ab, kraft dessen wir nach Seele und Leib zu einem Tempel geweiht werden, der dem Herrn heilig ist. Denn es ist nicht genügt wenn unsere äußeren Handlungen dem Gehorsam gegen ihn dienstbar gemacht werden, nein, zuerst müssen wir ihm selbst geheiligt und geweiht sein, und dann auch alles, was wir haben, damit alles, was in uns ist, seiner Ehre dient und den Eifer um ihre Mehrung erkennen läßt. Diese Art von Opfern dient nicht dazu, Gottes Zorn zu beschwichtigen, Vergebung der Sünden zu erlangen und Gerechtigkeit zu erwerben, sondern sie ist ausschließlich darin wirksam, Gott zu verherrlichen und zu erheben. Denn Gott kann nur das angenehm und wohlgefällig sein, was aus den Händen solcher Menschen kommt, die er bereits der Vergebung der Sünden teilhaftig gemacht, aus einem anderen Grunde mit sich versöhnt und dadurch von der Schuld losgesprochen hat. Diese Art Opfer aber sind für die Kirche so sehr vonnöten, daß sie ohne sie nicht sein kann. Daher werden sie in Ewigkeit bleiben, solange Gottes Volk bestehen wird. So haben wir es schon oben aus dem Propheten ersehen; denn in diesem Sinne mag es verstanden werden, wenn er die Weissagung gibt: „Vom Aufgang der Sonne bis zum Niedergang soll mein Name herrlich werden unter den Heiden, und an allen Orten soll meinem Namen geräuchert und reines Speisopfer geopfert werden; denn mein Name soll herrlich werden unter den Heiden, spricht der Herr“ (Mal. 1,11). So wenig kann die Rede davon sein, daß wir diese Opfer abschaffen sollten! So gebietet auch Paulus, wir sollten unsere Leiber „begeben“ „zum Opfer, das da lebendig, heilig und Gott wohlgefällig sei“, – und darin solle dann unser „vernünftiger Gottesdienst“ bestehen (Röm. 12,1). Da hat er sich recht deutlich ausgedrückt, indem er zufügt, dies sei unser „vernünftiger Gottesdienst“. Denn er verstand darunter die geistliche Art und Weise, Gott zu dienen, die er zu den fleischlichen Opfern des mosaischen Gesetzes stillschweigend in Gegensalz stellte. So werden auch „Wohltun“ und „Mitteilen“ als „Opfer“ bezeichnet, mit denen man sich Gottes Wohlgefallen erwerbe (Hebr. 13,16). In demselben Sinne heißt auch die Freundlichkeit der Philipper, mit der sie dem Mangel des Paulus aufgeholfen haben, ein „Opfer“ von süßem Geruch (Phil. 4,18). Im nämlichen Sinne gelten auch alle guten Werke der Gläubigen als geistliche Opfer.



IV,18,17

Wozu soll ich nun so viele Beispiele aufzählen? Diese Redeweise begegnet einem ja in der Schrift immer wieder! Ja, selbst zu der Zeit, als das Volk Gottes noch unter der äußeren Zucht des Gesetzes gehalten wurde, haben die Propheten genugsam erklärt, daß jenen fleischlichen Opfern die Wahrheit innewohne, die die christliche Kirche mit dem jüdischen Volke gemein hat. Aus diesem Grunde betete David, sein Gebet möge wie ein Brandopfer vor Gottes Angesicht emporsteigen (Ps. 141,2). Und Hosea nannte die Dankgebete „die Farren unserer Lippen“ (Hos. 14,3). David nennt sie an anderer Stelle Lobopfer (Ps. 51,21). Ihm hat sich der Apostel angeschlossen; er nennt sie ebenfalls „Lobopfer“ und erklärt dann erläuternd: „Das ist die Frucht der Lippen, die seinen Namen bekennen (Hebr. 13,15). Ohne die Opfer dieser Art kann das Mahl des Herrn nicht sein; denn wenn wir in diesem Mahle „seinen Tod verkündigen“ (1. Kor. 11,26) und unsere Danksagung kundwerden lassen, so tun wir damit nichts anderes, als daß wir ein solches Lobopfer darbringen. Auf Grund dieses Opferamtes werden wir Christen alle ein „königliches Priestertum“ genannt (1. Petr. 2,9), weil wir Gott durch Christus jene Opfergabe des Lobes darbringen, von der der Apostel spricht, nämlich „die Frucht der Lippen, die seinen Namen bekennen“ (Hebr. 13,15). Denn wir erscheinen mit unseren Gaben nicht ohne den vor Gottes Angesicht, der für uns eintritt. Christus ist es, der als Mittler für uns eintritt, und in ihm bringen wir uns selber und unsere Gaben dem Vater dar. Er ist unser Hoherpriester, der in das Allerheiligste des Himmels eingegangen ist und uns den Zugang eröffnet. Er ist der Altar, auf dem wir unsere Gaben niederlegen, so daß wir alles, was wir wagen, in ihm wagen. Er ist es, so sage ich, der uns dem Vater zu einem Königreich und zu Priestern gemacht hat (Apk. 1,6).



IV,18,18

Was bleibt nun übrig, als daß den Greuel der Messe selbst Blinde sehen, Taube hören und Kinder begreifen? Diesen Greuel der Messe, der, in einem goldenen Becher gereicht, alle Könige und Völker der Erde, vom höchsten bis zum geringsten, dermaßen trunken gemacht, dermaßen in Taumel und Schwindel versetzt hat, daß sie stumpfer geworden sind als die Tiere und in diesem einen verderblichen Schlund Kern und Stern ihrer Seligkeit gesehen haben! Jedenfalls hat der Satan nie mit einem stärkeren Sturmwerkzeug dazu angesetzt, Christi Reich zu berennen und zu erobern. Das ist die Helena, für welche die Feinde der Wahrheit heutzutage mit soviel Ungestüm, soviel Wut und Verbissenheit ihre Schlacht schlagen – in Wahrheit eine Helena, mit der sie sich in geistlichem Ehebruch, der doch von allen der widerwärtigste ist, dermaßen beflecken! Ich rühre hier die groben Mißbräuche nicht einmal mit dem kleinen Finger an: sie könnten ja vorschützen, durch diese sei eben die Reinheit ihrer „heiligen Messe“ entweiht worden. Ich berühre es nicht, welchen schnöden Schacher sie treiben, was für schmutzige Geschäfte sie mit ihren Meßopfern machen und mit was für einer Raubgier sie ihrer Habsucht Erfüllung verschaffen. Ich deute nur an, und zwar mit wenigen und einfältigen Worten, von welcher Art die allerheiligste Heiligkeit der Messe selber ist, um derentwillen sie es „verdient“ hat, manche hundert Jahre lang so hoch in Achtung zu stehen und mit so großer Ehrfurcht behandelt zu werden! Denn einerseits wäre ein größeres Werk vonnöten, um diese großen Geheimnisse nach Gebühr zu verherrlichen, und andererseits will ich jenen widerwärtigen Schmutz, der allen Menschen vor Augen liegt und in aller Munde ist, nicht daruntermischen. Es sollen eben alle erkennen, daß die Messe auch dann, wenn man sie in ihrer erlesensten Reinheit auffaßt, um derentwillen sie am meisten gerühmt werden mag, also ohne ihre Anhängsel – von der Fußsohle bis zum Scheitel von jeder Art von Gottlosigkeit, Gotteslästerung, Abgötterei und Heiligtumsschändung übervoll ist.



IV,18,19

Damit haben die Leser in kurzer Überschau beinahe alles zusammen, was nach meinem Dafürhalten von diesen beiden Sakramenten zu wissen nötig ist, deren Übung der christlichen Kirche von dem ersten Ursprung des Neuen Bundes bis zum Ende der Welt anbefohlen ist. Die Taufe soll nämlich gleichsam ein Eingang in die Kirche und die Einweihung in den Glauben sein und das Abendmahl gleichsam eine immerwährende Speise, mit der Christus die Hausgenossenschaft seiner Gläubigen geistlich nährt. Wie nun also nur ein Gott ist, ein Glaube, ein Christus und eine Kirche, die sein Leib ist, so gibt es auch nur eine Taufe, und diese wird nicht mehrfach wiederholt. Das Abendmahl dagegen wird immer wieder ausgeteilt, damit die, welche einmal in die Kirche aufgenommen sind, erkennen sollen, daß sie fort und fort in Christus ihre Speise empfangen. Wie außer diesen beiden Sakramenten kein anderes von Gott gestiftet ist, so darf auch die Kirche der Gläubigen kein anderes anerkennen. Denn daß es nicht Sache des menschlichen Gutdünkens ist, neue Sakramente aufzurichten oder einzusetzen, das wird man leicht einsehen, wenn man sich an das erinnert, was wir oben deutlich genug dargetan haben, nämlich daß die Sakramente von Gott dazu eingerichtet sind, uns über eine von ihm gegebene Verheißung zu belehren und uns seinen guten Willen gegen uns zu bezeugen, man wird es, so sage ich, verstehen, wenn man außerdem bedenkt, daß niemand Gottes Ratgeber gewesen ist (Jes. 40,13; Röm. 11,34), der uns über seinen Willen etwas Bestimmtes zusagen oder uns darüber Gewißheit und Sicherheit verschaffen könnte, was er uns geben und was er uns verweigern will. Denn daraus ergibt sich doch auch zugleich, daß niemand in der Lage ist, uns ein Zeichen vor Augen zu stellen, das ein Zeugnis von seinem Willen oder von irgendeiner Verheißung sein könnte. Denn er allein ist es, der uns ein Zeichen geben und sich dadurch bei uns bezeugen kann. Ich will es kürzer und vielleicht gröber, aber dafür klarer aussprechen: Ein Sakrament kann nie ohne die Verheißung der Seligkeit sein; nun können uns aber alle Menschen, wenn man sie auch an einem Ort versammelte, von sich selbst aus über unsere Seligkeit keine Zusage geben; also können sie von sich aus auch kein Sakrament schaffen oder aufrichten.
Simon W.

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IV,18,20

Die christliche Kirche soll sich also an diesen beiden Sakramenten genügen lassen und nicht nur für die Gegenwart kein anderes, drittes, zulassen oder anerkennen, sondern bis zum Ende der Welt nicht einmal eins begehren oder erwarten. Freilich sind den Juden je nach den verschiedenen Zeitumständen außer jenen regelmäßigen Sakramenten auch eine Anzahl anderer gegeben worden, wie das Manna, das Wasser, das aus dem Felsen floß, die eherne Schlange und ähnliche (Ex. 16,13; 17,6; 1. Kor. 10,3f.; Num. 21,8; Joh. 3,14). Aber durch diese Vielfältigkeit sollten sie eben dazu ermahnt werden, nicht bei solchen Abbildern stehenzubleiben, deren Bestand gar zu wenig fest war, sondern vielmehr etwas Besseres von Gott zu erwarten, das ohne Untergang und ohne Ende bestünde. Weit anders ist es mit uns bestellt, wo uns doch Christus offenbart ist, „in welchem verborgen liegen alle Schätze der Weisheit und der Erkenntnis“ (Kol. 2,3), und zwar in solcher Fülle und solchem überströmenden Reichtum, daß es wahrhaftig hieße, Gott zu reizen und gegen uns aufzubringen, wenn man einen neuen Zuwachs zu diesen „Schätzen“ erhoffen oder erbitten wollte. Wir sollen nur eins: nach Christus allein hungern, ihn suchen, auf ihn hoffen, ihn lernen und tiefer kennenlernen, bis jener große Tag aufgegangen ist, an dem der Herr die Herrlichkeit seines Reiches in ihrer ganzen Fülle offenbaren und sich unseren Blicken zeigen wird, „wie er ist“ (1. Joh. 3,2). Das ist auch der Grund, warum unsere Zeit in der Schrift als „die letzte Stunde“ (1. Joh. 2,18), als der „letzte“ Tag (Hebr. 1,2) und mit dem Ausdruck „die letzten Zeiten“ (1. Petr. 1,20) bezeichnet wird: es soll sich niemand mit der eitlen Erwartung irgendeiner neuen Lehre oder Offenbarung betrügen! Denn nachdem der himmlische Vater „vorzeiten manchmal und mancherleiweise geredet hat … durch die Propheten, hat er am letzten in diesen Tagen zu uns geredet durch seinen“ geliebten „Sohn“ (Hebr. 1,1f.), der allein den Vater zu offenbaren vermag (Luk. 10,22) und tatsächlich völlig geoffenbart hat, soweit es für uns von Belang ist, solange wir ihn jetzt noch „durch einen Spiegel“ anschauen (1. Kor. 13,12). Wie es nun aber den Menschen versagt ist, in der Kirche Gottes neue Sakramente aufbringen zu können, so wäre es auch zu wünschen, daß den Sakramenten, die von Gott stammen, möglichst wenig Menschenfündlein beigemischt würden. Denn wie der Wein, wenn man Wasser in ihn hineingießt, laff und kraftlos und wie durch die Einmischung von Sauerteig der ganze Teig gesäuert wird, so wird auch die Lauterkeit der Geheimnisse (Sakramente) Gottes nur besudelt, wenn der Mensch aus seinem Eigenen heraus etwas zusetzt. Und doch sehen wir, wie sehr die Sakramente, so wie sie heute behandelt werden, von ihrer ursprünglichen Reinheit entartet sind. Allenthalben findet man mehr als genug Prunk, Zeremonien und Gebärden, aber auf Gottes Wort nimmt man unterdessen keinen Bedacht und erwähnt es nicht, während doch ohne dies Wort auch die Sakramente selbst keine Sakramente sind! Ja, auch die von Gott eingesetzten Zeremonien können unter dieser großen Masse ihr Haupt nicht erheben, sondern liegen gleichsam verschüttet darnieder. Wie wenig sieht man bei der Taufe von dem, was dabei allein hätte erscheinen und angeschaut werden sollen, nämlich, wie wir es anderwärts mit Recht beklagt haben, von der Taufe selbst? Das Abendmahl ist völlig begraben worden, als man es in die Messe umgewandelt hat – einzig, daß man es einmal im Jahre, aber dann in zerrissener, halbierter und zerfetzter Gestalt zu sehen bekommt!



Neunzehntes Kapitel: Von den fünf fälschlich so genannten Sakramenten; hier wird erklärt, daß die fünf anderen Sakramente, die man bisher allgemein für solche gehalten hat, keine Sakramente sind, auch wird gezeigt, welche Art sie tragen


IV,19,1

Die obige Erörterung über die Sakramente könnte bei gelehrigen und nüchternen Leuten soviel erreichen, daß sie nicht gar zu vorwitzig über das Ziel hinausgingen und außer jenen beiden Sakramenten, von denen sie wissen, daß sie vom Herrn gestiftet sind, keinerlei andere ohne Gottes Wort annähmen. Nun ist aber jene Meinung von den sieben Sakramenten im Gerede fast aller Menschen eine gewohnte Sache, sie ist in allen Schulen und Predigten verbreitet, hat schon in der Alten Kirche ihre Wurzeln geschlagen und sitzt auch jetzt noch in den Herzen der Menschen fest. Daher habe ich gemeint, ich würde etwas tun, das der Mühe wert ist, wenn ich die fünf übrigen Sakramente, die man allgemein den wahren und ursprünglichen Sakramenten des Herrn zuzählt, für sich allein und genauer untersuchte und nach Abstreifung alles schönen Scheins den Blicken der Einfältigen darzeigte, von welcher Art sie sind und wie fälschlich man sie bislang für Sakramente gehalten hat. Zunächst möchte ich allen Frommen bezeugt haben, daß ich solchen Streit über den Namen („Sakrament“) keineswegs aus Zanksucht anfange, sondern durch schwerwiegende Gründe dazu veranlaßt werde, den Mißbrauch dieses Namens zu bekämpfen. Ich weiß sehr wohl, daß die Christen sowohl über die Worte als auch über alle Dinge Herren sind und daß sie deshalb, wenn nur das fromme Verständnis gewahrt wird, die Ausdrücke nach ihrem Gutdünken den Dingen anpassen können, selbst wenn sich dabei in der Redeweise eine gewisse Uneigentlichkeit einstellt. Das gebe ich alles zu – obwohl es besser wäre, wenn sich die Worte nach den Dingen richten müßten, als wenn sich die Dinge nach den Worten richten! Mit dem Begriff „Sakrament“ ist es aber anders bestellt. Denn wer das Bestehen von sieben Sakramenten behauptet, der legt damit zugleich allen jene Begriffsbestimmung bei, nach der die Sakramente „sichtbare Formen der unsichtbaren Gnade“ sein sollen, er erklärt sie alle zugleich für Gefäße des Heiligen Geistes, für Werkzeuge zur Zueignung der Gerechtigkeit und für Ursachen zur Erlangung der Gnade. Ja, der Sentenzenmeister (Petrus Lombardus) selbst erklärt gar, die Sakramente des mosaischen Gesetzes würden nicht im eigentlichen Sinne als „Sakramente“ bezeichnet, und zwar, weil sie das, was sie abbildeten, nicht zugleich gewährt hätten. Ist es nun, das möchte ich doch wissen, zu ertragen, daß Merkzeichen, die der Herr mit eigenem Munde geweiht und mit herrlichen Verheißungen ausgezeichnet hat, nicht für Sakramente geachtet werden sollen, während diese Ehre unterdessen auf solche Gebräuche übertragen wird, die sich die Menschen entweder aus sich heraus erdacht haben oder wenigstens ohne ausdrückliches Gebot Gottes innehalten? Die Papisten sollen also entweder die Begriffsbestimmung abändern oder aber von diesem Gebrauch des Ausdrucks „Sakrament“ Abstand nehmen, der hernach falsche und widersinnige Meinungen erzeugt. Sie sagen nun (z.B.): die „letzte Ölung“ ist ein Abbild und eine Ursache der unsichtbaren, Gnade weil sie ein Sakrament ist. Weil man aber das, was sie vorbringen, auf keinerlei Weise zugeben soll, so muß der Widerspruch jedenfalls bei dem Begriff „Sakrament“ selbst einsetzen, damit wir für seine Annahme nicht den Preis zahlen müssen, daß er den Anlaß zu solchem Irrtum bietet. Auf der anderen Seite: wenn sie den Beweis führen, daß es sich bei der „letzten Ölung“ um ein Sakrament handelt, so fügen sie auch einen Grund zu: sie bestehe eben aus dem äußerlichen Zeichen und dem Wort. Wenn wir nun aber (hinsichtlich der letzten Ölung) weder ein Gebot noch eine Verheißung finden – was können wir dann anders tun als Widerspruch einlegen?



IV,19,2

Jetzt wird deutlich, daß wir nicht etwa um ein Wort zanken, sondern vielmehr eine nicht überflüssige Auseinandersetzung über die Sache selbst führen. Daher müssen wir mit Nachdruck an dem festhalten, was wir oben mit unwiderleglicher Beweisführung bekräftigt haben, nämlich daß die Entscheidung über die Stiftung eines Sakraments ausschließlich bei Gott allein liegt. Denn das Sakrament soll mit einer bestimmten Verheißung Gottes die Gewissen der Gläubigen aufrichten und trösten – diese würden aber solche Gewißheit nie und nimmer von einem Menschen annehmen. Das Sakrament soll uns ein Zeugnis des guten Willens Gottes gegen uns sein – für den aber kann keiner unter den Menschen oder unter den Engeln Zeuge sein; denn keiner ist Gottes Ratgeber gewesen (Jes. 40,13; Röm. 11,34). Er ist es also allein, der uns mit rechtmäßiger Gewährleistung durch sein Wort Zeugnis über sich gibt. Das Sakrament ist ein Zeichen, in dem Gottes Bund und Zeugnis versiegelt wird. Solche Versiegelung aber könnte durch leibliche Dinge und die Elemente dieser Welt nicht erfolgen, wenn sie nicht durch Gottes Kraft dazu gestaltet und bestimmt würden. Also kann der Mensch kein Sakrament stiften; denn es liegt wahrhaftig nicht in der Kraft des Menschen, dahin zu wirken, daß unter so verachteten Dingen solche großen Geheimnisse Gottes verborgen liegen. Gottes Wort muß vorausgehen und bewirken, daß das Sakrament Sakrament sei, wie Augustin sehr trefflich lehrt (Predigten zum Johannesevangelium 80,3). Außerdem ist es, wenn wir nicht in zahlreiche Widersinnigkeiten geraten wollen, von Nutzen, daß ein gewisser Unterschied zwischen den Sakramenten und den anderen Zeremonien beibehalten wird. Die Apostel haben mit gebeugten Knien gebetet (Apg. 9,40; 20,36) – dann können wir also (wenn man jene Unterscheidung nicht macht) die Knie nicht beugen, ohne daß es ein Sakrament ist! Die Jünger haben, so berichtet man, in der Richtung nach Osten gebetet – so muß also der Blick nach Osten ein Sakrament für uns sein! Paulus will, „daß die Männer … an allen Orten … aufheben heilige Hände“ (1. Tim. 2,8), und es wird mehrfach erwähnt, daß die Heiligen ihr Gebet mit aufgereckten Händen verrichtet haben (Ps. 63,5; 88,10; 141,2; 143,6) – so muß dann also auch das Ausstrecken der Hände ein Sakrament werden, kurz, alle Gebärden der Heiligen gehen dann in Sakramente über! Freilich würde ich mich auch um diese Dinge nicht so sehr bekümmern, wenn sie nur nicht mit jenen größeren Unzuträglichkeiten verbunden wären.
Simon W.

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IV,19,3

Wenn sie uns mit der Autorität der Alten Kirche in die Enge treiben wollen, so behaupte ich, daß sie damit Trügerei verüben. Denn diese Siebenzahl findet sich bei den kirchlichen Schriftstellern nirgendwo, auch steht es nicht hinreichend fest, zu welcher Zeit sie sich zum erstenmal eingeschlichen hat. Ich gebe allerdings zu, daß die alten Kirchenlehrer in der Verwendung des Wortes „Sakrament“ zuweilen recht frei verfahren. Aber was wollen sie mit diesem Wort bezeichnen? Eben alle Zeremonien und äußerlichen Gebräuche sowie alle Übungen der Frömmigkeit! Wenn sie dagegen von den Zeichen sprechen, die die Zeugnisse der göttlichen Gnade gegen uns sein sollen, so begnügen sie sich mit diesen beiden: mit Taufe und Eucharistie. Damit niemand meint, ich beriefe mich fälschlich darauf, so will ich hier einige wenige Zeugnisse Augustins wiedergeben. So schreibt er an Januarius: „Zunächst sollst du wissen, was der Hauptpunkt dieser Erörterung ist, nämlich daß unser Herr Christus, wie er es im Evangelium selber ausspricht, uns ein sanftes Joch und eine leichte Last aufgelegt hat. Daher hat er die Gemeinschaft des Neuen Volkes mit solchen Sakramenten zusammengebunden, die der Zahl nach sehr wenige, der Ausübung nach sehr leicht und der Bedeutung nach von höchster Wichtigkeit sind. So ist da die Taufe, die im Namen der Dreieinigkeit geweiht ist, die Gemeinschaft am Leib und Blut des Herrn, und was uns allenfalls noch sonst in den kanonischen Schriften anbefohlen wird“ (Brief 54,1). Ebenso schreibt er in seiner Schrift „Von der christlichen Unterweisung“: „Seit der Auferstehung des Herrn hat der Herr selbst wie auch die apostolische Ordnung statt vieler Zeichen einige wenige überliefert, und die sind sehr leicht auszuüben, sehr erhaben in ihrem Verständnis und sehr keusch in ihrem Gebrauch; so ist da die Taufe und die Feier des Leibes und Blutes des Herrn“ (Von der christlichen Unterweisung III,9,13). Weshalb spricht er hier kein Wort von der „heiligen“ Zahl, das heißt von der Siebenzahl? Ist es wohl wahrscheinlich, daß er sie ausgelassen hätte, wenn sie damals in der Kirche im Schwang gewesen wäre – vor allem, wo er doch sonst auf die Beobachtung von Zahlen mehr Sorgfalt verwendet, als es nötig war? Ja, er nennt doch Taufe und Abendmahl ausdrücklich und übergeht die anderen mit Stillschweigen – gibt er damit nicht genugsam zu verstehen, daß sich diese beiden Geheimnisse (Sakramente) durch eine einzigartige Würde auszeichnen, die anderen Zeremonien dagegen an einem untergeordneten Platz nachfolgen? Daher behaupte ich, daß diese Sakramentslehrer nicht nur vom Wort des Herrn, sondern auch von der Zustimmung der Alten Kirche im Stich gelassen werden – mögen sie sich unter diesem Vorwande auch noch so hochmütig gebärden! Aber jetzt wollen wir uns den einzelnen „Sakramenten“ selbst zuwenden.



IV,19,4

In alter Zeit bestand die Sitte, daß die Kinder der Christen, wenn sie herangewachsen waren, dem Bischof vorgestellt wurden, um die Pflicht zu erfüllen, die (sonst) von solchen Menschen gefordert wurde, die sich als Erwachsene zur Taufe meldeten. Diese hatten nämlich ihren Sitz unter den „Katechumenen“, bis sie nach Gebühr in den Geheimnissen des Glaubens unterwiesen und imstande waren, vor dem Bischof und dem Volke (d.h. der Gemeinde) das Bekenntnis des Glaubens abzulegen. Weil nun diejenigen, die als kleine Kinder ihre Einweihung durch die Taufe empfangen hatten, damals kein Glaubensbekenntnis vor der Kirche getan hatten, so wurden sie gegen Ende ihrer Kindheit oder auch im Beginn ihrer Jünglingszeit von ihren Eltern zum zweiten Male vorgestellt und durch den Bischof nach der Form des Katechismus geprüft, wie man sie damals in bestimmter Gestalt und in allgemeinem Gebrauch besaß. Damit aber dieser Vorgang, der ohnehin verdientermaßen ernst und heilig sein sollte, mehr Ehrfurcht und Würde genoß, so kam auch die Zeremonie der Handauflegung zur Anwendung. So wurde denn das Kind, nachdem man seinen Glauben (d.h. sein Glaubensbekenntnis) gutgeheißen hatte, unter feierlichem Segen entlassen. Diese Gepflogenheit findet sich bei den Alten oft erwähnt. So sagt der Papst Leo (I.): „Wenn jemand von den Ketzern (in die Kirche) zurückkommt, so soll er nicht abermals getauft werden, sondern das, was ihm dort gefehlt hat, nämlich die Kraft des Geistes, soll ihm durch die bischöfliche Handauflegung zugeeignet werden“ (Brief 166,2). Hier werden nun unsere Widersacher laut rufen: wenn bei diesem Vorgang der Heilige Geist zugeeignet werde, dann werde er auch mit Recht als Sakrament bezeichnet. Aber Leo selbst setzt an anderer Stelle auseinander, was er mit diesen Worten gemeint hat; er sagt da: „Wer bei den Ketzern getauft worden ist, der soll nicht wiedergetauft, sondern unter Anrufung des Heiligen Geistes durch Handauflegung befestigt werden; denn er hat (bei den Ketzern) bloß die Form der Taufe empfangen, aber ohne die Heiligung“ (Brief 159,7). Auch Hieronymus erwähnt diese Angelegenheit in seiner Schrift gegen die Luciferianer (8f.). Allerdings leugne ich nun nicht, daß Hieronymus insofern etwas irrt, als er behauptet, es handele sich hier um einen apostolischen Brauch. Aber er ist trotzdem von den Albernheiten unserer Widersacher sehr weit entfernt. Auch jene Behauptung selbst mildert er, indem er hinzufügt, diese Segnung sei allein den Bischöfen übertragen, und zwar mehr zur Ehre des Priesteramtes, als aus dem Zwang des Gesetzes heraus. Eine solche Handauflegung also, die einfach als Segnung geschieht, lobe ich, und ich möchte wohl wünschen, daß sie heute zu ihrem reinen Gebrauch zurückgeführt würde.



IV,19,5

Eine spätere Zeit aber hat dann, nachdem die Sache bereits nahezu in Vergessenheit geraten war, ich weiß nicht was für eine „Konfirmation“ (Firmung) als Sakrament Gottes eingerichtet. Angeblich soll die Kraft der Firmung darin bestehen, daß sie den Heiligen Geist verleiht, und zwar zur Mehrung der Gnade, die dem Menschen in der Taufe zur (Erlangung der) Unschuld zuteil geworden sein soll; sie soll ferner die Kraft haben, daß sie die, welche in der Taufe zum Leben wiedergeboren sind, zum Kampfe stärkt. Der Vollzug dieser Firmung geschieht durch die Salbung und durch eine Formel, die lautet: „Ich bezeichne dich mit dem Zeichen des heiligen Kreuzes und befestige dich mit dem Salböl des Heils im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes.“ Das macht sich alles hübsch und fein. Aber wo soll das Wort Gottes sein, das hier die Gegenwart des Heiligen Geistes verheißt? Die Römischen können nicht ein Jota vorschützen! Woher wollen sie uns nun also die Gewißheit verschaffen, daß ihr Salböl ein „Gefäß des Heiligen Geistes“ sei? Wir sehen Öl, nämlich eine dicke und fette Flüssigkeit – weiter nichts! „Es komme das Wort zum Element“, sagt Augustin, „so wird daraus ein Sakrament“ (Predigten zum Johannesevangelium 80,3). Dies Wort, sage ich, sollen sie vorweisen, wenn sie den Willen haben, daß wir in dem Öl etwas anderes anschauen als eben – Öl! Wenn sie sich, wie es billig ist, als Diener der Sakramente bekennten, so brauchten wir nicht länger zu streiten. Denn das erste Gesetz, das einem Diener gilt, besagt, daß er nichts ohne Weisung tue. Nun, sie sollen irgendeine Weisung zu diesem Dienstamt vorweisen, dann will ich weiter kein Wort sagen! Wenn sie aber ohne Weisung dastehen, so können sie ihre Heiligtumsschänderische Vermessenheit nicht beschönigen. In diesem Sinne fragte der Herr die Pharisäer, ob die Taufe des Johannes vom Himmel wäre oder von den Menschen. Hätten sie geantwortet: „Von den Menschen“, so hätte Christus sagen können: also sei sie inhaltslos und eitel. Hätten sie gesagt: „Vom Himmel“, so wären sie genötigt gewesen, die Lehre des Johannes anzuerkennen. Um also gegen Johannes nicht gar zu sehr ihre Verachtung zu bezeugen, so wagten sie es nicht auszusprechen, daß seine Taufe von den Menschen sei (Matth. 21,25-27). Wenn daher die Firmung „von den Menschen ist“, so kommt damit heraus, daß sie eitel und inhaltlos ist. Wollen unsere Widersacher uns aber weismachen, daß sie „vom Himmel“ sei, so sollen sie es beweisen!



IV,19,6

Sie verteidigen sich freilich mit dem Beispiel der Apostel, die doch, so meinen sie, nichts ohne Überlegung getan haben. Das ist unzweifelhaft richtig, und sie würden von uns keinen Tadel zu hören bekommen, wenn sie sich als Nachfolger der Apostel erwiesen. Aber was haben denn die Apostel getan? Nach dem Bericht des Lukas war es so: als die Apostel, die zu Jerusalem waren, hörten, „daß Samarien das Wort Gottes angenommen hatte, da sandten sie zu ihnen Petrus und Johannes“; diese beteten dann für die Samaritaner, „daß sie den Heiligen Geist empfingen“; dieser war nämlich noch auf keinen von ihnen gekommen, „sondern sie waren allein getauft auf den Namen … Jesu“; dann beteten sie und „legten die Hände auf sie“, und durch diese Handauflegung empfingen die Samaritaner den Heiligen Geist (Apg. 8,14-17). Diese Handauflegung erwähnt Lukas noch einige Male (Apg. 6,6; 8,17; 13,3; 19,6). Da höre ich nun, was die Apostel getan haben: sie haben nämlich ihr Amt getreulich ausgeübt. Es war des Herrn Wille, daß jene sichtbaren und wundersamen Gnadengaben des Heiligen Geistes, die er damals über sein Volk ausgoß, von seinen Aposteln durch Handauflegung verwaltet und ausgeteilt würden. Ich bin nun der Meinung, daß dieser Handauflegung kein tieferes Geheimnis zugrunde liegt, sondern ich erkläre es so, daß sie eine solche Zeremonie angewendet haben, um auch durch ihre Gebärde deutlich zu machen, daß sie den, dem sie die Hände auflegten, Gott anbefahlen und gleichsam darbrachten. Wenn nun das Amt, das die Apostel damals ausübten, noch in der Kirche verblieben wäre, so müßte auch die Handauflegung beibehalten werden. Tatsächlich aber wird jene Gnade nicht mehr ausgeteilt – und wozu soll dann die Handauflegung dienen? Sicherlich ist der Heilige Geist auch jetzt noch bei dem Volke Gottes gegenwärtig; denn die Kirche Gottes kann nicht bestehenbleiben, wenn er sie nicht leitet und regiert. Haben wir doch die ewige und ständig bleibende Verheißung, mit der Christus die Dürstenden zu sich ruft, daß sie lebendiges Wasser trinken (Joh. 7,37). Aber jene wunderbaren Krafttaten und offenkundigen Wirkungen, die durch Handauflegung ausgeteilt wurden, haben aufgehört, und sie sollten auch nur für eine Zeitlang bestehen. Denn es war erforderlich, daß die Predigt des Evangeliums, die doch etwas Neues war, und das Reich Christi, das ebenfalls neu war, mit unerhörten und ungewöhnlichen Wundern verherrlicht und großgemacht wurden. Nachdem der Herr von solchen Wundern abgelassen hat, hat er seine Kirche nicht etwa gleich verlassen, sondern er hat gelehrt, daß die Herrlichkeit seines Reiches und die Würde seines Wortes machtvoll genug offenbart ist. In welchem Stück wollen sich nun diese Schauspieler für Nachfolger der Apostel ausgeben? Mit der Handauflegung hätte doch bewirkt werden müssen, daß sich die Kraft des Heiligen Geistes sogleich offenkundig als wirksam erwiese. Das bekommen sie nicht fertig – wozu berufen sie sich denn auf die Handauflegung, die zwar, wie wir lesen, bei den Aposteln in Übung gestanden hat, aber doch zu einem ganz anderen Zweck?
Simon W.

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IV,19,7

Es steht hier genau so, als wenn jemand lehrte, jener Hauch, mit dem der Herr seine Jünger angeblasen hat (Joh. 20,22), sei ein Sakrament, kraft dessen der Heilige Geist gegeben werde. Aber es ist doch so: als der Herr das einmal tat, da wollte er eben nicht, daß es auch von uns aus geschähe. In derselben Weise übten auch die Apostel die Handauflegung für jene Zeit, in der nach des Herrn Wohlgefallen die Gnadengaben des Heiligen Geistes auf ihre Bitten hin ausgeteilt wurden, aber sie taten es nicht, damit sich die Späteren, wie es diese Affen tun, bloß Nachahmenderweise und ohne das Vorhandensein der Sache ein leeres und inhaltloses Zeichen ausdenken sollten. Selbst wenn sie es beweisen könnten, daß sie mit der Handauflegung den Aposteln nachfolgen – tatsächlich haben sie hierin mit den Aposteln nichts gemein, abgesehen von ich weiß nicht was für einer verkehrten Nachmacherei –, so bliebe doch noch zu fragen, woher sie denn das Öl haben, das sie das „Öl des Heils“ nennen. Wer hat sie denn gelehrt, im Öl das Heil zusuchen? Wer hat ihnen denn beigebracht, dem Öl die Kraft zur Stärkung zuzuschreiben? Etwa Paulus, der uns von den Elementen dieser Welt weit wegzieht (Gal. 4,9), der nichts mehr verdammt, als daß man sich an dergleichen Bräuchlein hängt (Kol. 2,20)? Da erkläre ich aber kühnlich, und zwar nicht von mir, sondern von dem Herrn aus: Wer Öl als „Öl des Heils“ bezeichnet, der schwört das Heil, das in Christus ist, ab, der verleugnet Christus und hat keinen Teil am Reiche Gottes! Denn das Öl ist für den Bauch, und der Bauch für das Öl, und der Herr wird beide zunichte machen (Anklang an 1. Kor. 6,13; vergleiche die folgenden Ausführungen). Alle jene schwachen Elemente nämlich, die schon über ihrem Gebrauch vergehen, haben mit dem Reiche Gottes nichts zu schaffen; denn das ist geistlich und wird nie vergehen. Wieso, könnte jemand sagen – willst du mit dem nämlichen Maß auch das Wasser messen, mit dem wir getauft werden, und das Brot und den Wein, unter denen uns das Mahl des Herrn gereicht wird? Ich antworte: bei den von Gott gegebenen Sakramenten muß man zweierlei beachten, einerseits die Substanz der leiblichen Sache, die uns da vorgelegt wird, und andererseits die „Gestalt“, die ihr vom Worte Gottes aufgeprägt ist und in der die ganze Kraft liegt. Sofern also Brot, Wein und Wasser, die bei den Sakramenten unseren Blicken dargeboten werden, ihre Substanz behalten, gilt allezeit das Wort des Paulus: „Die Speise dem Bauche und der Bauch der Speise; aber Gott wird diesen und jene zunichte machen“ (1. Kor. 6,13). Diese leiblichen Dinge gehen nämlich mit der Gestalt dieser Welt vorüber und verschwinden (1. Kor. 7,31). Sofern sie aber von dem Wort Gottes geheiligt werden, so daß sie Sakramente sind, halten sie uns nicht im Fleische fest, sondern unterweisen uns in Wahrheit und geistlich.



IV,19,8

Aber wir wollen noch genauer zusehen, wie viele Ungeheuerlichkeiten dieses Fett (nämlich das Salböl) nährt und fördert. Diese Salbenschmierer behaupten, der Heilige Geist werde in der Taufe zur Unschuld gegeben, in der Firmung aber zur Mehrung der Gnade, in der Taufe würden wir zum Leben wiedergeboren, in der Firmung werde uns die Rüstung zum Kampf zuteil. Und sie sind gar so schamlos, daß sie erklären, die Taufe könne ohne die Firmung nicht nach Gebühr vollendet werden. O, was für eine Niederträchtigkeit! Soll es nun nicht gelten, daß wir in der Taufe mit Christus begraben und seines Todes teilhaftig geworden sind, um auch an seiner Auferstehung Anteil zu haben (Röm. 6,4)? Diese Gemeinschaft mit Christi Tod und Leben erklärt Paulus als die Ertötung unseres Fleisches und die Lebendigmachung im Geist, weil ja unser alter Mensch gekreuzigt ist, damit wir in Neuheit des Lebens wandeln sollen (ebenda). Was heißt nun, zum Kampfe gerüstet zu werden, wenn nicht dies? Wenn sie es schon für nichts geachtet haben, das Wort Gottes mit Füßen zu treten, warum haben sie dann nicht wenigstens vor der Kirche Ehrfurcht gehabt, wo sie doch den Eindruck erwecken wollen, als ob sie ihr allenthalben so gehorsam wären? Auf dem Konzil zu Mileve wurde beschlossen: „Wer da sagt, daß die Taufe allein zur Vergebung der Sünden erteilt werde und nicht auch als Hilfsmittel für die künftige Gnade, der sei verflucht“ (Decretum Gratiani III, Von der Konsekration 4,154). Was ließe sich nun wohl Gewichtigeres gegen diese Lehre unserer Widersacher vorbringen als dieser Beschluß? Allerdings sagt Lukas an der von uns angeführten Stelle, daß da Leute im Namen Jesu Christi getauft worden seien, die den Heiligen Geist noch nicht empfangen hatten (Apg. 8,16). Aber damit bestreitet er nicht etwa schlechthin, daß sie mit irgendeiner Gabe des Geistes ausgerüstet gewesen sind, wo sie doch „von Herzen“ an Christus „glaubten“ und ihn „mit dem Munde bekannten“ (vgl. Röm. 10,10). Nein, er meint den Empfang des Geistes, bei dem man die offenkundigen Krafttaten und sichtbaren Gnadengaben vor Augen hatte. So heißt es von den Aposteln, sie hätten den Geist am Pfingsttage empfangen (Apg. 2,4), während doch Christus schon lange vorher zu ihnen gesagt hatte: „Denn ihr seid es nicht, die da reden, sondern eures Vaters Geist ist es, der durch euch redet“ (Matth. 10,20). Ihr, die ihr aus Gott seid, sehet den boshaften und niederträchtigen Betrug des Satans! Was in der Taufe wahrhaftig gegeben wurde, das wird nach seiner verlogenen Behauptung in seiner „Firmung“ ausgeteilt, und er tut solche Lüge, um schlichte Menschen verstohlen von der Taufe abzubringen. Wer wird noch zweifeln, daß es sich hier um eine Lehre des Satans handelt, wo sie doch die der Taufe eigenen Verheißungen von der Taufe losreißt und anderswohin ableitet und überträgt? Da kommt es heraus, sage ich, auf was für ein Fundament sich diese großartige Salbung gründet! Es ist Gottes Wort, daß alle, die in Christus getauft sind, Christus samt seinen Gaben „angezogen“ haben (Gal. 3,27). Das Wort der Salbenschmierer aber lautet: wer getauft ist, der hat in der Taufe keine Verheißung empfangen, vermöge deren er in den Kämpfen gerüstet würde (Decretum Gratiani III, Von der Konsekration 5,2). Jenes ist die Stimme der Wahrheit – dies aber muß füglich die Stimme der Lüge sein! Ich bin also in der Lage, diese „Firmung“ wahrheitsgemäßer zu bestimmen, als sie es selbst bisher getan haben: sie ist eine furchtbare Schmähung der Taufe, die deren Gebrauch verdunkelt, ja abschafft, sie ist ein falsches Versprechen des Teufels, das uns von der Wahrheit Gottes wegzieht. Oder, wenn man es so lieber haben will: sie ist ein Öl, das durch des Teufels Lügerei besudelt ist und das sich nun gleich finsteren Nebeln verbreitet und die Sinne einfältiger Menschen betrügt.



IV,19,9

Außerdem stellen die Papisten den weiteren Satz auf: Alle Gläubigen müssen nach der Taufe durch Auflegung der Hände den Heiligen Geist empfangen, um im Vollsinne als Christen erfunden zu werden (ebenda 5,1); denn niemals wird einer ein Christ sein, wofern er nicht durch die bischöfliche Firmung, gesalbt ist (ebenda 5,6). So behaupten sie es wörtlich! Ich hätte nun aber gemeint, daß alles, was zum Christentum gehört, in der Heiligen Schrift verzeichnet und zusammengefaßt ist. Nun soll jedoch, wie ich sehe, anderswoher als aus der Schrift die wahre Form der Religion entnommen und gelernt werden! Die Weisheit Gottes, die himmlische Wahrheit und die ganze Lehre Christi machen die Menschen also bloß anfangsweise zu Christen, das Öl dagegen macht sie vollkommen! Mit diesem Satz werden sämtliche Apostel und so viele Märtyrer verdammt, die, wie es mehr als sicher feststeht, niemals solche Salbung empfangen haben; denn dazumal gab es noch gar nicht dieses „heilige Öl“, mit dem sie hätten gesalbt werden können, um in jeder Hinsicht zu vollkommenen Christen zu werden, oder besser: um erst Christen zu werden, nachdem sie es zuvor gar nicht waren! Aber selbst wenn ich kein Wort sage, so widerlegen sich die Papisten selbst mehr als hinreichend. Der wievielte Teil ihres Volkes ist es denn eigentlich, den sie nach der Taufe salben? Weshalb dulden sie denn in ihrer Herde solche „Halbchristen“, deren Unvollkommenheit doch leicht zu kurieren wäre? Weshalb lassen sie es hingehen, daß diese Leute in so bequemer Nachlässigkeit etwas unterlassen, was man doch ohne schwere Versündigung nicht unterlassen darf? Weshalb wenden sie nicht größere Strenge daran, eine Sache zu fordern, die so „notwendig“ ist und ohne die man das Heil nicht erlangen kann? Anders würde es (nach ihrer Meinung) doch einzig dann stehen, wenn jemand etwa durch einen plötzlichen Tod am Empfang dieser Salbung verhindert würde. Es ist eben so: indem sie es hingehen lassen, daß die Firmung willkürlich mißachtet wird, geben sie selbst stillschweigend zu, daß sie nicht soviel wert ist, wie sie es rühmen!



IV,19,10

Zum Schluß stellen sie fest, diese heilige Salbung müsse mit größerer Ehrfurcht behandelt werden als die Taufe, weil sie ja als etwas Besonderes durch die Hand der obersten Priester verwaltet werde, während die Taufe allgemein durch sämtliche Priester zur Austeilung komme (ebenda 5,3). Was soll man nun hier anders sagen, als daß sie völlig rasend geworden sind, indem sie ihre eigenen Fündlein dermaßen liebkosen, daß sie im Vergleich damit die heiligen Stiftungen Gottes unbekümmert verachten? O heiligtumsschändender Mund, wagst du es, solch Fett, das nur von dem Gestank deines Atems besudelt und durch das Gemurmel deiner Worte verzaubert ist, dem Sakrament Christi gegenüberzustellen und es mit dem Wasser zu vergleichen, das durch Gottes Wort geheiligt ist? Aber auch das war deiner Unverfrorenheit noch zu wenig, nein, du meintest dein Fett dem Sakrament Christi gar vorziehen zu sollen! Das sind nun die Aussprüche des „Heiligen Stuhls“, die Offenbarungsworte des apostolischen Orakels! Jedoch haben einige unter den Papisten begonnen, diesen auch nach ihrer Meinung zügellosen Wahnwitz ein wenig abzuschwächen. Sie sagen: Allerdings ist die Firmung mit größerer Ehrfurcht zu behandeln (als die Taufe); aber das geschieht wohl nicht um einer größeren Kraftwirkung oder Nützlichkeit willen, die man durch sie erlangte, sondern (1) darum, weil sie von würdigeren Leuten ausgeteilt und (2) an einem würdigeren Teil unseres Leibes vollzogen wird, nämlich an der Stirn, oder auch (3) weil sie ein stärkeres Wachstum der Tugenden gewährt, mag auch die Taufe größeren Wert für die Vergebung haben (Petrus Lombardus, Sentenzen IV,7,2). Aber erweisen sie sich nun mit jener ersten Ursache nicht als Donatisten, die die Kraft des Sakraments nach der Würde des Dieners beurteilen? Allein, mag es einmal so sein, mag die Firmung als „würdiger“ bezeichnet werden, weil die bischöfliche Hand die höhere „Würde“ hat! Aber wenn dann einer von ihnen erfahren will, woher denn den Bischöfen solch großes Vorrecht übertragen ist – was wollen sie dann für eine Begründung vorbringen außer ihrer Willkür? Allein die Apostel, so sagen sie, haben das Recht ausgeübt, da sie ja allein den Heiligen Geist ausgeteilt haben! Aber sind nun etwa allein die Bischöfe Apostel? Ja, sind sie überhaupt Apostel? Aber wir wollen ihnen auch das zugeben – weshalb behaupten sie dann aber nicht auf Grund des nämlichen Beweisgrundes, daß allein die Bischöfe bei dem Mahl des Herrn das Sakrament des Blutes berühren dürften? Sie versagen es doch den „Laien“ deshalb, weil es allein den Aposteln vom Herrn gegeben worden sei. Ist es aber allein den Aposteln gegeben – warum ziehen sie dann nicht die Folgerung: also auch allein den Bischöfen? Aber es ist so: an dieser Stelle (beim Kelch) machen sie die Apostel zu einfachen Presbytern („Priestern“) – nun dagegen (bei der Firmung), reißt sie der Schwindel, der ihnen den Kopf verdreht, in anderer Richtung, so daß sie sie plötzlich zu Bischöfen ernennen! Und schließlich: Ananias war kein Apostel, und doch ist Paulus zu ihm hingesandt worden, um sein Sehvermögen zurückzubekommen, getauft zu werden und mit dem Heiligen Geist erfüllt zu werden (Apg. 9,17-19)! Zum Überfluß will ich auch noch dies zufügen, wenn diese Amtsaufgabe nach göttlichem Recht den Bischöfen zukam – weshalb haben sie es dann gewagt, sie auf gewöhnliche Priester zu übertragen, wie man es in einem Brief Gregors (I.) zu lesen bekommt (Briefe IV,26)?
Simon W.

Der Pilgrim
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IV,19,11

Die zweite Begründung lautete so: sie bezeichneten ihre Firmung als „würdiger“ im Vergleich mit der Taufe Gottes, weil bei der Firmung die Stirn mit Öl bestrichen würde, in der Taufe dagegen der Schädel. Wie oberflächlich, albern und läppisch ist das doch! Sie tun gerade, als ob die Taufe mit Öl und nicht mit Wasser vollzogen würde. Ich rufe alle Frommen zu Zeugen dafür an, ob diese Schwätzer es mit ihren Bemühungen nicht allein darauf abgesehen haben, die Reinheit der Sakramente mit ihrem Sauerteig zu verderben. Ich habe an anderer Stelle behauptet, daß bei den Sakramenten das, was von Gott ist, inmitten solchen Schwarms von Menschenfündlein kaum noch durch kleine Ritzchen hindurchleuchtet. Wenn einer mir damals in dieser Sache keinen Glauben schenken wollte, so soll er jetzt wenigstens seinen eigenen Lehrern glauben. Er sieht es doch, wie sie das Wasser (der Taufe) übergehen und gar nicht in Betracht ziehen, sondern bei der Taufe allein – das Öl verherrlichen! Wir behaupten also demgegenüber, daß bei der Taufe auch die Stirn mit Wasser benetzt wird. Und im Vergleich mit diesem Wasser achten wir euer Öl nicht einen Dreck wert, ob es nun bei der Taufe oder bei der Firmung angewandt wird! Wenn jemand einwendet, das Öl werde doch teurer verkauft, so sage ich, daß alles, was allenfalls noch Gutes an der Sache sein könnte, durch diesen Preiszuwachs verdorben wird – so wenig kann davon die Rede sein, daß man solchen elendigen Betrug noch durch Diebstahl anpreisen dürfte. Mit der dritten Begründung (für die höhere Würde der Firmung) verraten sie ihre Gottlosigkeit – sie schwatzen da nämlich, in der Firmung werde dem Menschen ein stärkerer Zuwachs an Tugenden zugeeignet als in der Taufe. Gewiß, die Apostel haben durch Handauflegung die sichtbaren Gnaden, gaben des Heiligen Geistes ausgeteilt. Worin hat sich nun aber das Fett der Papisten als fruchtbringend erwiesen? Aber weg mit diesen Leuten, die die römische Lehre abschwächen wollen: sie decken die eine Heiligtumsschändung nur mit zahlreichen neuen zu! Es handelt sich hier um einen gordischen Knoten, und es ist besser, ihn zu zerhauen, als sich so große Mühe darum zu geben, ihn aufzulösen.



IV,19,12

Wenn die Römischen nun sehen, daß sie ohne das Wort Gottes und ohne eine annehmbare Begründung für ihre Sache dastehen, dann gebrauchen sie nach ihrer Gewohnheit den Vorwand, dieser Brauch sei ganz alt und durch die einhellige Gepflogenheit vieler Jahrhunderte gefestigt. Selbst wenn das wahr wäre, so würden sie doch nichts damit ausrichten. Denn ein Sakrament ist nicht von der Erde, sondern vom Himmel, nicht von den Menschen, sondern von Gott allein. Sie müssen also beweisen, daß Gott der Urheber ihrer Firmung ist, wenn sie sie für ein Sakrament gehalten haben wollen. Aber wozu berufen sie sich auf das hohe Alter der Firmung (als Sakrament), wo doch die Alten, wenn sie im eigentlichen Sinne sprechen wollen, niemals mehr als zwei Sakramente aufzählen? Wenn wir für unseren Glauben bei den Menschen Schutz suchen müßten, so hätten wir eine uneinnehmbare Burg in der Tatsache, daß die Handlungen, die unsere Widersacher lügnerisch für Sakramente ausgeben, von den Alten niemals als solche anerkannt worden sind. Die Alten sprechen von der Handauflegung – aber nennen sie sie etwa „Sakrament“? Augustin erklärt offen, sie sei nichts anderes als ein Gebet (Von der Taufe gegen die Donatisten III,16,21). Sie sollen mir auch hier nicht mit ihren stinkigen Unterscheidungen dazwischenschreien (und behaupten), Augustin beziehe diese Aussage nicht auf die Handauflegung bei der Firmung, sondern auf die Handauflegung, die der Krankenheilung oder der Versöhnung dienen sollte. Das Buch ist ja vorhanden und befindet sich in den Händen der Menschen; wenn ich es nun verdrehe und ihm einen anderen Sinn unterschiebe, als in dem Augustin selbst geschrieben hat, wohlan, so sollen sie mich nicht nur, wie sie es allgemein gewohnt sind, mit Scheltworten überhäufen, sondern gar mit Gespei! Er spricht nämlich von solchen Leuten, die aus der Abspaltung zur Einheit der Kirche zurückkehrten. Er erklärt, daß sie einer Wiederholung der Taufe nicht bedürfen, da nämlich die Handauflegung dazu genüge, daß der Herr ihnen durch das Band des Friedens seinen Geist zuteil werden lasse. Nun konnte es aber widersinnig erscheinen, daß die Handauflegung wiederholt werden sollte, die Taufe aber nicht, und deshalb legt er den Unterschied zwischen beiden dar. „Denn was ist“, so sagt er, „die Handauflegung anders als ein Gebet für den Menschen?“ Daß dies nun der Sinn ist, das leuchtet auch aus einer anderen Stelle ein, an der er sagt: „Um des Bandes der Liebe willen, das ja die herrlichste Gabe des Heiligen Geistes ist und ohne das alles, was sonst in einem Menschen Heiliges sein mag, keinen Wert für die Seligkeit hat, empfangen die Ketzer, die sich bekehrt haben, (bloß) die Handauflegung“ (ebenda V,23,33).



IV,19,13

Ach, wenn wir doch die Gepflogenheit beibehielten, die, wie ich bereits darlegte, bei den Alten bestanden hat, bevor diese unzeitig zur Welt gekommene Maske von einem „Sakrament“ geboren war! Danach sollte nicht eine solche „Firmung“ bestehen, wie sie sich die Römischen zurechtmachen – die kann man ja nicht nennen, ohne der Taufe Unrecht zu tun –, sondern eine Lehrbefragung, in der die Kinder oder vielmehr die angehenden jungen Leute vor der Kirche über ihren Glauben Rechenschaft ablegen. Das beste Verfahren bei einer solchen Lehrbefragung würde darin bestehen, daß man eine festgelegte Form zu diesem Zweck zusammenstellte, die mit faßlicher Auslegung den Hauptinhalt fast aller Hauptstücke unserer Religion enthielte, in denen die gesamte Kirche der Gläubigen ohne Widerspruch eines Sinnes sein soll. Es sollte sich das Kind im Alter von zehn Jahren der Kirche vorstellen, um das Bekenntnis des Glaubens abzulegen. Dabei müßte man es über die einzelnen Hauptstücke befragen, und es müßte auf jedes einzelne seine Antwort geben; wenn es dann etwas nicht wüßte oder nicht recht verstünde, so sollte man es unterweisen. So würde das Kind den einigen, wahren und lauteren Glauben, in dem das Volk der Gläubigen einmütig dem einen Gott dient, bekennen, und die Kirche wäre dabei als Zeuge und Zuschauer zugegen. Wenn diese Ordnung heute in Kraft wäre, so würde gewiß die Trägheit mancher Eltern behoben werden, welche die Unterweisung der Kinder, als ob sie eine Sache wäre, die sie nichts anginge, sorglos vernachlässigen; denn dann könnten sie sie nicht ohne öffentliche Schande unterlassen. Dann würde auch unter dem Christenvolk größere Eintracht im Glauben herrschen und die Unwissenheit und Unkundigkeit vieler Leute nicht so groß sein; manche würden sich auch nicht so unbesonnen von neuen und fremden Lehren mitreißen lassen – und schließlich würden alle gleichsam eine geordnete Unterweisung in der christlichen Lehre haben.



IV,19,14

An die nächstfolgende Stelle setzen die Papisten die Buße. Von ihr reden sie so verwirrt und unordentlich, daß die Gewissen aus ihrer Unterweisung nichts Sicheres und Festes entnehmen können. Wir haben an anderer Stelle weitläufig dargelegt, was wir auf Grund der Schrift über die Buße lehren, und dann auch, was die Römischen für eine Lehre vortragen. Jetzt brauchen wir bloß zu berühren, was für einen Grund diejenigen hatten, die die Meinung aufgebracht haben, daß die Buße ein Sakrament sei – eine Meinung, die in Kirchen und Schulen bisher lange Zeit hindurch geherrscht hat. Jedoch will ich vorher noch in Kürze einiges über den Brauch der Alten Kirche sagen, den jene Leute als Vorwand mißbraucht haben, um ihr Hirngespinst zu bekräftigen. Die Alten hielten bei der öffentlichen Buße die Ordnung inne, daß diejenigen, die die ihnen auferlegten genugtuenden Werke geleistet hatten, durch feierliche Handauflegung versöhnt wurden. Das war das Merkzeichen der Lossprechung, durch das einerseits der Sünder selbst vor Gott durch die Zuversicht auf Vergebung aufgerichtet und andererseits die Kirche ermahnt wurde, die Erinnerung an das von ihm bereitete Ärgernis auszutilgen und ihn in aller Freundlichkeit zu Gnaden anzunehmen. Das nennt Cyprian häufig „Frieden geben“ (z.B. Brief 57,1.3). Damit aber dieser Vorgang größeres Gewicht bekam und bei dem Volk ein höheres Ansehen gewann, so hat man festgesetzt, daß hierbei stets die Autorität des Bischofs ins Mittel treten sollte. Daher kommt der Beschluß des zweiten Konzils zu Karthago (390), nach dem es einem Presbyter nicht erlaubt ist, einen öffentlich Büßenden in der Messe zu versöhnen. Ebenso erklärt sich der Beschluß des Konzils zu Orange (441): „Wer zur Zeit seiner Buße aus diesem Leben abscheidet, der soll ohne die versöhnende Handauflegung zur Gemeinschaft zugelassen werden; wenn er aber von seiner Krankheit genest, so soll er in der Schar der Büßenden seinen Platz haben und, wenn die Zeit erfüllt ist, vom Bischof die versöhnende Handauflegung empfangen.“ Ebenso beschloß das dritte Konzil zu Karthago: „Ein Presbyter soll einen Büßenden nicht ohne die Autorität des Bischofs versöhnen.“ Mit dem allem war es darauf abgesehen, daß die Strenge, die sie in dieser Angelegenheit gewahrt wissen wollten, nicht durch allzu große Lässigkeit in Verfall geriete. Sie wollten also, daß der Bischof die gerichtliche Untersuchung führte, weil es wahrscheinlich war, daß er bei Vornahme der Prüfung umsichtiger sein würde. Allerdings berichtet Cvprian an einer Stelle, es habe nicht nur der Bischof die Hand aufgelegt, sondern auch der gesamte „Klerus“; er sagt da nämlich: „Sie tun eine gebührende Zeit hindurch Buße, und dann kommen sie zur Gemeinschaft (Kommunion) und empfangen durch die Handauflegung des Bischofs und des Klerus das Recht zur Gemeinschaft“ (Brief 16,2). Später ist dann mit fortschreitender Zeit die Sache dermaßen in Verfall geraten, daß man diese Zeremonie auch außerhalb der öffentlichen Buße bei persönlichen Lossprechungen anwandte. Daher rührt jene Unterscheidung zwischen öffentlicher und privater „Versöhnung“, die sich bei Gratian findet (Decretum Gratiani II,26,6). Ich urteile, daß jener alte Brauch, den Cyprian erwähnt, heilig und für die Kirche heilsam gewesen ist, und ich möchte wohl wünschen, daß er heute wiederhergestellt würde. Die neuere Übung wage ich zwar nicht zu mißbilligen oder wenigstens schärfer zu tadeln, aber ich bin doch der Meinung, daß sie weniger notwendig ist. Wie dem auch sei, so sehen wir doch, daß die Handauflegung bei der Buße eine Zeremonie darstellt, die von Menschen, nicht aber von Gott eingerichtet und zu den „Mitteldingen“ und „äußerlichen Übungen“ zu zählen ist, die wir zwar nicht verachten, aber doch für weniger wichtig halten sollen als das, was uns im Worte des Herrn anempfohlen ist.
Simon W.

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IV,19,15

Die Römischen aber und die Schultheologen, die die Sitte haben, alles mit ihren verkehrten Auslegungen zu verderben, schwitzen sich voll Sorge ab, um hier ein Sakrament zu finden. Das darf auch nicht verwunderlich erscheinen; denn sie „suchen einen Knoten in der Binse“ (d.h. sie suchen Schwierigkeiten, wo gar keine sind)! Das Beste, was sie erreichen können, das ist, daß sie die Sache verhüllt, unentschieden, ungewiß und durch die Vielfältigkeit der Meinungen verwirrt und in Unordnung gebracht hinterlassen. Sie sagen also, entweder sei die äußere Buße (selbst) ein Sakrament, und wenn es sich so verhalte, so müsse man sie für ein Zeichen der inneren Buße halten, das heißt also der „Zerknirschung des Herzens“, die dann die „Sache „ des Sakraments sei – oder aber beides zusammen (äußere und inwendige Buße) sei das Sakrament, und zwar bildeten beide nicht zwei Sakramente, sondern ein vollkommenes (Petrus Lombardus, Sentenzen IV,22,3). Die äußerliche Buße, so fahren sie dann fort, sei bloß Sakrament, die inwendige dagegen „Sache“ und Sakrament. Die Vergebung der Sünden aber sei bloß Sache und nicht Sakrament. Wer die oben von uns gegebene Begriffsbestimmung von „Sakrament“ im Gedächtnis hat, der möge das, was nach der Behauptung dieser Theologen ein Sakrament sein soll, nach jener Bestimmung prüfen, und er wird finden, daß es sich dabei nicht um eine äußere Zeremonie handelt, die von dem Herrn zur Stärkung unseres Glaubens eingerichtet ist. Sie könnten allerdings einwenden, meine Begriffsbestimmung sei doch kein Gesetz, dem zu gehorchen sie für nötig erachteten. Aber dann sollen sie den Augustin hören, den sie angeblich für heilig halten. Er sagt: „Die Sakramente sind um der fleischlichen Menschen willen als etwas Sichtbares gestiftet, damit sie von dem aus, was man mit Augen sieht, auf den Stufen der Sakramente zu dem gelangen, was darunter verstanden ist.“ Was wollen die Scholastiker nun in dem, was sie das „Sakrament der Buße“ nennen, von dieser (von Augustin geschilderten) Art selber sehen oder anderen zeigen können? Der nämliche Augustin sagt an anderer Stelle: „Das Sakrament hat seinen Namen daher, daß man in ihm etwas anderes sieht und wieder etwas anderes versteht. Was man sieht, das hat leibliche Gestalt, was man versteht, das hat geistliche Frucht“ (Predigt 272). Auch diese Worte passen auf keinerlei Weise zu dem „Sakrament der Buße“, wie es sich die Römischen zurechtmachen; denn da ist gar keine „leibliche Gestalt“ vorhanden, die eine „geistliche Frucht“ veranschaulichte.



IV,19,16

Um nun aber diese wilden Tiere in ihrer eigenen Arena niederzuzwingen, möchte ich fragen: wäre es nicht, wenn man hier überhaupt nach einem Sakrament suchte, von viel schönerem Schein gewesen, wenn man behauptet hätte, die Absolution durch den Priester sei das Sakrament, als wenn man sagte, es bestünde in der „inwendigen“ oder „äußeren“ Buße? Denn da hätte doch die Behauptung auf der Hand gelegen, die Absolution sei eine „Zeremonie“ zur „Stärkung unseres Glaubens“ hinsichtlich der Vergebung der Sünden, und sie habe auch die sogenannte „Verheißung der Schlüssel“, nämlich das Wort: „Was ihr auf Erden binden oder lösen werdet, das soll auch im Himmel gebunden und gelöst sein“ (Matth. 18,18; summarisch). Dann aber hätte jemand den Einwand machen können, daß doch von den Priestern sehr viele Leute losgesprochen würden, denen durch solche Absolution nichts dergleichen widerfahre, während doch auf Grund ihrer Lehre die „Sakramente des Neuen Bundes“ „bewirken“ müssen, was sie „veranschaulichen“! Es ist doch lächerlich. Bei der Eucharistie behaupten sie ein zwiefaches „Essen“, nämlich erstens das Essen im Sinne des (äußerlichen) Sakramentsgenusses (manducatio sacramentalis), das den Guten wie den Bösen gleichermaßen eigen ist, und zweitens das „geistliche“ (manducatio spiritualis), das allein den Guten eigen ist. Weshalb sollten sie nun nicht ebenso haben erdichten können, daß man auch eine zwiefache Absolution empfange? Jedoch habe ich bislang noch nicht zu begreifen vermocht, was sie eigentlich mit jener Lehre (vom zwiefachen Genuß des Abendmahls) sagen wollen – wie weit sie von Gottes Wahrheit geschieden ist, das haben wir ja schon dargelegt, als wir diesen Punkt gründlich behandelten. Ich will hier nur zeigen, daß dies Bedenken keine Hemmung dagegen bietet, daß sie die Absolution durch den Priester als Sakrament bezeichneten. Sie könnten ja auch mit den Worten des Augustin antworten, die Heiligung sei (manchmal) ohne das sichtbare Sakrament und das sichtbare Sakrament ohne die in wendige Heiligung (Fragen zum Heptateuch III,84). Sie hätten ebenso mit Augustins Worten darauf verweisen können, daß die Sakramente allein in den Auserwählten das bewirken, was sie veranschaulichen. Oder ebenso darauf, daß nach Augustin Christus von den einen bis zum Empfang des Sakraments „angezogen“ wird, von den anderen bis zur Heiligung, und daß jenes von Guten und Bösen gleichermaßen geschieht, dies dagegen allein von den Guten (Von der Taufe gegen die Donatisten V,24,34). Jedenfalls sind sie mehr als kindisch in die Irre gegangen und beim hellen Sonnenlicht blind gewesen, daß sie sich mit soviel Beschwerlichkeit abgemüht, aber unterdessen diese klare und jedermann leicht zugängliche Sache nicht erschaut haben!



IV,19,17

Aber damit sie darüber nicht stolz werden: sie mögen dem Sakrament seinen Platz geben, wo sie immer wollen (ob nun in der Buße oder in der Absolution), so bestreite ich doch, daß es mit Recht für ein Sakrament gehalten wird. Und zwar erstens deshalb, weil hierfür keine besondere Verheißung Gottes besteht, die doch der einzige Wesensgrund für ein Sakrament ist, zweitens deshalb, weil alles, was man hier an Zeremonien vorweist, reines Menschenfündlein ist, während wir doch bereits festgestellt haben, daß die Zeremonien der Sakramente ausschließlich von Gott gestiftet werden können. Daher war also alles, was sich die Römischen von dem „Sakrament der Buße“ ausgedacht haben, Lug und Trug. Dieses erlogene Sakrament haben sie dann auch mit dem gebührenden Lobpreis ausgezeichnet und gesagt, es sei die „zweite (rettende) Planke nach dem Schiffbruch“, denn wenn einer das „Gewand der Unschuld“, das er in der Taufe empfangen hätte, durch Sündigen verdorben hätte, so könnte er es durch die Buße wiederherstellen (Petrus Lombardus, Sentenzen IV,14,1; Decretum Gratiani II,33,3, 72). Das ist aber doch, so sagen sie, ein Ausspruch des Hieronymus! Er mag stammen, von wem er will, so kann man ihn jedenfalls nicht davon freisprechen, daß er offenkundig gottlos ist, wenn er nach dem Verständnis der Römischen ausgelegt wird! Als ob nun die Taufe durch die Sünde hinfällig würde! Als ob sie nicht vielmehr dem Sünder ins Gedächtnis zurückgerufen werden müßte, sooft er an die Vergebung der Sünden denkt, damit er sich dadurch wieder zurechtfindet, den Mut wiedergewinnt und den Glauben stärkt, daß er die Vergebung der Sünden erlangen wird, die ihm in der Taufe verheißen ist! Hieronymus erklärt in harter und uneigentlicher Redeweise, durch die Buße werde die Taufe, aus der diejenigen herausfielen, die von der Kirche mit dem Bann belegt zu werden verdienten, wiederhergestellt. Das beziehen nun diese guten Ausleger auf ihre Gottlosigkeit! Es wäre daher sehr sachgemäß, wenn man behauptete, das „Sakrament der Buße“ sei die Taufe; denn sie ist denen, die nach Buße trachten, zur Bekräftigung der Gnade und als Siegel ihrer Zuversicht gegeben. Man soll nicht meinen, das hätten wir uns selbst ausgedacht, denn abgesehen davon, daß es den Worten der Schrift gemäß ist, liegt es auch klar zutage, daß es in der Alten Kirche wie ein ganz fester Grundsatz allgemein verbreitet war. Denn die Taufe wird in dem Büchlein „Vom Glauben an Petrus (Diaconus)“, das man dem Augustin zuschreibt, als das „Sakrament des Glaubens und der Buße“ bezeichnet. (So wird es Decretum Gratiani II,15,1,3 angeführt.) Aber wozu nehmen wir unsere Zuflucht zu ungewissen Zeugnissen? Als ob sich etwas Klareres suchen ließe als der Bericht des Evangelisten: „Johannes … predigte von der Taufe der Buße zur Vergebung der Sünden“ (Mark. 1,4; Luk. 3,3)!



IV,19,18

Das dritte selbsterdachte „Sakrament“ ist die „letzte Ölung“. Sie wird nur vom Priester vollzogen, und zwar bei äußerster Lebensgefahr, wie sie sagen; dabei verwendet man Öl, das vom Bischof geweiht ist, und spricht folgende festgelegten Worte: „Durch diese heilige Ölung und durch diese unendlich gütige Barmherzigkeit möge dir Gott alles vergeben, was du gesündigt hast mit Gesicht, Gehör, Geruch, Gefühl und Geschmack.“ Angeblich soll die letzte Ölung zwei Wirkungen haben: sie soll erstens die Vergebung der Sünden schenken und zweitens, wenn es so sein soll, eine Milderung der leiblichen Krankheit, andernfalls der Seelen Seligkeit. Die Stiftung dieser letzten Ölung soll nach den Worten der Papisten von Jakobus festgelegt sein, indem er spricht: „Ist jemand krank, der rufe zu sich die Ältesten von der Gemeinde, daß sie über ihm beten und ihn salben mit Öl in dem Namen des Herrn. Und das Gebet des Glaubens wird dem Kranken helfen, und der Herr wird ihn aufrichten; und so er hat Sünden getan, werden sie ihm vergeben sein“ (Jak. 5,14f.). Mit dieser Ölung ist es nun genauso bestellt wie nach unserem obigen Nachweis mit der Handauflegung: sie ist eine gauklerische Heuchelei, mit der die Römischen es ohne Ursache und ohne Frucht den Aposteln nachtun wollen. Markus berichtet, daß die Apostel bei ihrer ersten Aussendung nach der Weisung, die sie von dem Herrn empfangen hatten, Tote auferweckt, Teufel ausgetrieben, Aussätzige rein gemacht und Kranke geheilt haben; bei der Heilung der Kranken haben sie dann nach seinem Bericht Öl angewendet; er sagt: „Sie salbten viele Sieche mit Öl und machten sie gesund“ (Mark. 6,13). Eben dies hatte Jakobus im Auge, als er gebot, man solle die Ältesten herbeiholen, um den Kranken zu salben.
Daß dergleichen Zeremonien kein tieferes Geheimnis zugrunde liegt, das wird man leicht herausfinden können, wenn man darauf achtet, mit wieviel Freiheit der Herr wie auch seine Apostel in solchen äußeren Dingen zu Werke gegangen sind. Als der Herr einem Blinden das Gesicht zurückgeben wollte, da „machte er einen Kot“ aus Erde und Speichel (Joh. 9,6); andere heilte er durch Anrühren (Matth. 9,29), andere durch das Wort (Luk. 18,42). In der gleichen Weise haben die Apostel manche allein durch das Wort, andere durch Anrühren und wieder andere durch Salbung gesund gemacht (Apg. 3,6; 5,16; 19,12). Ja, wird man sagen, aber es ist doch anzunehmen, daß sie solche Salbung, ebensowenig wie auch alles andere, nicht unüberlegt angewendet haben! Das gebe ich zu; aber diese Salbung sollte trotzdem nicht ein Werkzeug, sondern bloß ein Merkzeichen der Heilung sein, durch welches der grobe Sinn der Unerfahrenen darauf aufmerksam gemacht werden sollte, woher denn solch große Kraft stammte, damit sie nämlich das Lob dafür nicht den Aposteln zollten. Es ist nun aber allgemein üblich und überall verbreitet, daß mit dem Öl der Heilige Geist und seine Gaben bezeichnet werden (Ps. 45,8). Jedoch hat jene Gnadengabe der Heilungen aufgehört, genau wie auch die anderen Wunder, die der Herr für eine Zeitlang geschehen lassen wollte, um die Predigt des Evangeliums, die doch etwas Neues war, für alle Ewigkeit wunderbar zu machen. Wenn wir also auch noch so nachdrücklich zugeben, daß die Ölung ein Sakrament (d.h. ein Zeichen) jener Kraftwirkungen war, die damals durch die Hand der Apostel ausgeteilt wurden, so hat das heute mit uns nichts zu tun, da uns die Austeilung solcher Kraftwirkungen nicht anvertraut ist!
Simon W.

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IV,19,19

Wieso wollen die Römischen denn mehr Ursache haben, aus dieser Ölung ein Sakrament zu machen, als aus all den anderen Merkzeichen, die uns in der Schrift erwähnt werden? Weshalb weisen sie uns nicht einen Badeteich Siloah an, in dem dann die Kranken zu bestimmten Zeiten untertauchen sollten (Joh. 9,7)? Sie sagen, es wäre vergebens, wenn man das machte. Jedenfalls nicht mehr vergebens als die Ölung! Weshalb „legen“ sie sich nicht auf die Toten, weil doch Paulus einen toten Jüngling auferweckt hat, indem er sich auf ihn legte (Apg. 20,10)? Warum ist ein „Kot“ aus Speichel und Erde kein Sakrament? Ja, sagen sie, diese anderen Fälle waren doch einzelne Beispiele, während dagegen die Ölung von Jakobus geboten wird! Allerdings, aber Jakobus redet doch nach den Verhältnissen jener Zeit, als die Kirche solchen Segen Gottes noch genoß! Sie behaupten zwar, daß ihrer Ölung noch die nämliche Kraft innewohnt – aber wir erfahren es anders. Es soll sich nun niemand darüber verwundern, wieso sie die Seelen, von denen sie wußten, daß sie, des Wortes Gottes, das heißt ihres Lebens und Lichtes beraubt, stumpf und blind waren, mit solcher Selbstsicherheit zu Narren gehalten haben; denn sie schämen sich ja nicht im mindesten, die Sinne des Leibes, die Leben und Gefühl haben, betrügen zu wollen! Sie machen sich also lächerlich, wenn sie behaupten, sie seien mit der Gnadengabe der Heilung ausgerüstet! Ohne Zweifel steht der Herr zu allen Zeiten den Seinen zur Seite und heilt ihre Schwachheiten, sooft es vonnöten ist, nicht weniger als in alter Zeit. Jedoch jene offenkundigen Kraftwirkungen läßt er nicht in der gleichen Weise zutage treten, auch teilt er keine Wunder mehr durch die Hand der Apostel aus; denn diese Gabe war zeitlich (und damit vorübergehend), auch ist sie zu einem Teil schon allsogleich durch die Undankbarkeit der Menschen hinfällig geworden.



IV,19,20

Wie es also nicht unbegründet war, daß die Apostel durch das Merkzeichen des Öles offen bezeugt haben, daß die Gnadengabe der Heilungen, die ihnen anbefohlen war, nicht ihre Kraft, sondern die des Heiligen Geistes war, so ist es auf der anderen Seite ein Unrecht gegenüber dem Heiligen Geist, wenn man ein stinkiges und durchaus ohne Wirkung bleibendes Öl für seine Kraft erklärt. Das ist genau so, als wenn jemand sagte, jegliches Öl sei eine Kraft des Heiligen Geistes, weil dieser ja in der Schrift mit diesem Namen bezeichnet wird, oder jegliche Taube sei der Heilige Geist, weil er ja unter der Gestalt einer Taube erschienen ist (Matth. 3,16; Joh. 1,32)! Aber da mögen sie selbst zusehen! Was für uns vorderhand vollauf genug ist, das haben wir mehr als sicher gesehen, nämlich daß die Ölung der Papisten kein Sakrament ist; denn sie ist weder eine von Gott eingerichtete Zeremonie noch hat sie irgendwelche Verheißung. Denn indem wir bei einem Sakrament diese beiden Forderungen aufstellen, daß es erstens eine von Gott gestiftete Zeremonie sei und zweitens eine Verheißung Gottes habe, verlangen wir zugleich, daß jene Zeremonie uns überliefert ist und die Verheißung auf uns Bezug hat. Niemand behauptet nämlich, daß die Beschneidung auch für die christliche Kirche noch ein Sakrament sei, obwohl sie von Gott gestiftet war und eine Verheißung bei sich trug; das kommt daher, daß sie nicht uns aufgetragen ist, und daß die Verheißung, die mit ihr verbunden war, uns nicht mit der gleichen Bestimmung gegeben worden ist. Daß nun die Verheißung, auf die sich die Papisten bei der Ölung so wild berufen, uns nicht gegeben ist, das haben wir einleuchtend nachgewiesen, und die Papisten geben es selbst durch die Erfahrung zu erkennen. Die Zeremonie hätte nur von solchen angewendet werden dürfen, die mit der Gnadengabe der Heilungen ausgerüstet waren, nicht aber von diesen Henkersknechten, die im Schlachten und Morden mehr leisten als im Gesundmachen!



IV,19,21

Freilich selbst wenn die Papisten – wovon sie jedoch sehr weit entfernt sind – bewiesen hätten, daß das, was bei Jakobus über die Ölung geboten wird, auf unsere Zeit zuträfe, so hätten sie es auch damit noch nicht weit in ihrem Unternehmen gebracht, ihre Ölung, mit der sie uns bislang beschmiert haben, als berechtigt zu erweisen. Jakobus will, daß alle Kranken gesalbt werden (Jak. 5,14), die Papisten dagegen bestreichen mit ihrer Fettigkeit nicht Kranke, sondern halbtote Leichname, wenn die Seele bereits ganz vorn auf den Lippen schwebt oder, wie sie selbst sagen, wenn es mit dem Kranken zu äußerster Lebensgefahr gekommen ist. Wenn sie nun in ihrem Sakrament eine wirksame Arznei besitzen, um damit die Heftigkeit der Krankheiten zu lindern oder der Seele wenigstens einige Linderung zu verschaffen, so sind sie grausam, indem sie ja ihr heilendes Werk nie zur rechten Zeit tun! Jakobus will, daß der Kranke von den Ältesten der Kirche gesalbt wird – die Papisten lassen keinen Menschen zu, der die Salbung vollzieht, außer dem Priester! Sie erklären zwar, bei Jakobus seien unter den „Ältesten“ die „Priester“ verstanden, sie schwatzen, die Mehrzahl sei zum Zweck der Ehrung gesetzt; aber das ist doch gar zu abgeschmackt – als ob die Kirche zu dieser Zeit von solchen Schwärmen von Priestern übergelaufen wäre, daß sie in langem Aufzug hätten einherschreiten können, um das Gefäß mit dem heiligen Öl herumzutragen! Jakobus gebietet einfach, man solle die Kranken salben, und damit deutet er meines Erachtens keine andere Salbung an als die mit gewöhnlichem Öl; ein anderes Öl findet sich auch in dem Bericht des Markus nicht. Die Papisten aber finden kein anderes Öl würdig als das, was vom Bischof gesalbt, das heißt: mit viel Anatmen gewärmt, mit viel Gemurmel verzaubert und neunmal unter Kniebeugen gegrüßt ist, wobei man dann dreimal ruft: „Sei gegrüßt, heiliges Öl“, dreimal: „Sei gegrüßt, heilige Salbe“, und dreimal: „Sei gegrüßt, heiliger Balsam!“ Von wem haben sie sich wohl diese Beschwörung geholt? Jakobus sagt, wenn der Kranke mit Öl gesalbt und das Gebet über ihm getan worden sei, dann solle ihm, wenn er in Sünden gewesen sei, Vergebung zuteil werden, das heißt: die Schuld solle abgetan werden und er solle deshalb eine Linderung der Strafe erhalten; damit meint er aber nicht, daß die Sünden durch das Fett zunichte werden sollen, sondern daß die Gebete der Gläubigen, in denen der angefochtene Bruder Gott anbefohlen worden ist, nicht unwirksam sein sollen. Die Papisten aber lügen gottlos daher, daß durch ihre „heilige“, das heißt: abscheuliche Salbung die Sünden vergeben würden! Da sieht man, wie herrlich weit sie es bringen werden, wenn man ihnen verstattet, das Zeugnis des Jakobus nach ihrem Belieben reichlich zu mißbrauchen. Und damit wir uns mit unserem (Gegen-)Beweis nicht länger zu mühen brauchen, machen uns auch ihre eigenen Annalen von solcher Beschwernis frei. Sie berichten nämlich, daß der Papst Innozenz (I.), der zur Zeit Augustins an der Spitze der Kirche zu Rom stand, die Anordnung erlassen hat, es sollten nicht nur die „Presbyter“, sondern auch alle Christen das Öl anwenden, um bei ihren eigenen Nöten oder bei denen der Ihrigen die Salbung vorzunehmen. So schreibt es Sigebertus in seiner Chronik.



IV,19,22

Den vierten Platz in der Reihe der (angeblichen) Sakramente weisen die Papisten dem „Sakrament der (kirchlichen) Amtsordnung“ (sacramentum ordinis) zu. Aber dies „Sakrament“ ist nun so fruchtbar, daß es sieben kleine Sakramente aus sich gebiert. Es ist doch recht lächerlich, daß die Papisten zwar behaupten, es gäbe sieben Sakramente, aber dann, wenn sie sie aufzählen wollen, tatsächlich dreizehn nennen! Sie können auch nicht einwenden, es handele sich hier nur um ein einziges Sakrament, weil sich doch alle (sieben) auf das eine Priesteramt bezögen und gleichsam Stufen zu ihm darstellten. Denn es steht fest, daß bei allen sieben je verschiedene Zeremonien stattfinden, und die Papisten erklären ja auch selbst, daß dabei unterschiedliche Gnadengaben vorhanden sind; es kann also niemand daran zweifeln, daß bei Annahme ihrer Ansichten von sieben Sakramenten die Rede sein müßte. Wozu lassen wir uns auch überhaupt auf eine Auseinandersetzung ein, als ob es sich hier um eine zweifelhafte Sache handelte? Sie erklären doch selbst offen und unter Nennung der Unterschiede, daß es sieben Sakramente sind! Wir müssen nun zunächst (1) im Vorbeigehen kurz darauf hinweisen, wie zahlreiche und ungereimte Widersinnigkelten sie uns aufdrängen, wenn sie uns ihre Amtsordnungen als Sakramente empfehlen wollen, und dann (2) wollen wir zusehen, ob die Zeremonie, die die Kirchen bei der Amtseinweisung ihrer Diener anwenden, überhaupt als Sakrament bezeichnet werden darf. Die Papisten stellen also sieben Amtsordnungen oder kirchliche Amtsstufen auf, die sie mit dem Titel „Sakrament“ auszeichnen. Das sind folgende: „Türhüter“ (Ostiarii), „Vorleser“ (Lectores), „Teufelaustreiber“ (Exorcistae), „Begleiter“ (Acoluthae), Unterdiakone, Diakone, Priester. Die Siebenzahl kommt nach ihrer Behauptung von der siebengestaltigen Gnade des Heiligen Geistes her, mit der diejenigen begabt sein müssen, die in diese verschiedenen Ämter befördert werden (Petrus Lombardus, Sentenzen IV,24,1). Diese Gnade wird ihnen aber, so behauptet man weiter, bei der Beförderung vermehrt und reichlicher geschenkt. Nun ist schon die Zahl der Amtsstufen durch eine verkehrte Auslegung der Schrift „geheiligt“. Sie glauben nämlich bei Jesaja gelesen zu haben, daß es sieben Kraftwirkungen des Heiligen Geistes gäbe, während Jesaja tatsächlich nicht mehr als sechs erwähnt (Jes. 11,2) und der Prophet auch nicht die Absicht gehabt hat, sie an dieser Stelle alle zusammenzufassen. Denn der Geist wird an anderer Stelle ebensowohl als der Geist des „Lebens“ (Ez. 1,20 nach der Vulgata), der Heiligung (Röm. 1,4) und der „Kindschaft“ (Röm. 8,15; nicht Luthertext) bezeichnet, wie er bei Jesaja „der Geist der Weisheit und des Verstandes, der Geist des Rates und der Stärke, der Geist der Erkenntnis und der Furcht des Herrn“ heißt (Jes. 11,2). Allerdings nennen andere, die noch scharfsinniger sind, nicht sieben Amtsordnungen, sondern neun, und zwar, wie sie sagen, nach dem Gleichnis der „triumphierenden Kirche“ (Sieben Sakramente zählt Hugo von Sankt Viktor, neun erwähnt Wilhelm von Paris). Und unter diesen Theologen ist auch wieder Streit, indem nämlich die einen die Klerikertonsur für die erste unter allen Amtsstufen und das Bischofsamt für die letzte erklären, die anderen aber die Tonsur ausschließen und dafür das Amt des Erzbischofs zu den Amtsstufen hinzurechnen. Isidor macht den Unterschied anders; er erklärt „Psalmisten“ und „Lektoren“ für zweierlei und gibt den Psalmisten die Aufgabe, Gesänge zu halten, und den Lektoren, die Lesung der Schrift vorzunehmen, durch die das Volk unterwiesen werden soll. Diese Unterscheidung wird auch in den kirchlichen Rechtssatzungen beobachtet (Isidor von Sevilla, Etymologien VII,12 wird Decretum Gratiani I,21,1 angeführt). Was sollen wir nun nach dem Willen unserer Widersacher bei solcher Vielfältigkeit annehmen oder ablehnen? Sollen wir sagen, es gäbe sieben Amtsordnungen? So lehrt es der Meister der Schultheologie (Petrus Lombardus) – aber sehr „erleuchtete“ Lehrer bestimmen es anders! Und die sind wieder selbst uneins untereinander. Außerdem rufen uns die „hochheiligen“ Kirchensatzungen in anderer Richtung (Decretum Gratiani I,23,18f.). Ja, so sieht eben die Einmütigkeit der Menschen aus, wenn sie ohne Gottes Wort über göttliche Dinge streiten!



IV,19,23

Aber das geht nun über alle Torheit hinaus, daß sie sich Christus bei jeder einzelnen Amtsordnung zum Amtsgenossen machen. Zuerst, so sagen sie, hat er das Amt des Türwächters (ostiarius) versehen, als er eine „Geißel aus Stricken“ machte und die Menschen, die da verkauften und kauften, aus dem Tempel hinaustrieb (Joh. 2,15). Daß er der Türwächter ist, das deutet er, behaupten sie, auch an, wenn er spricht: „Ich bin die Tür“ (Joh. 10,7). Das Amt des Vorlesers hat er angenommen, als er in der Synagoge den Jesaja las (Luk. 4,17). Das Amt des Exorzisten hat er ausgeübt, als er Zunge und Ohren des Taubstummen mit Speichel anrührte und dem Menschen dadurch das Gehör wiedergab (Mark. 7,31ff.). Daß er ein „Akoluth“ ist, das hat er mit den Worten bezeugt: „Wer mir nachfolgt, der wird nicht wandeln in der Finsternis“ (Joh. 8,12). Die Aufgabe eines Subdiakonen hat er erfüllt, als er sich ein Leintuch vorschürzte und seinen Jüngern die Füße wusch (Joh. 13,4). Das Amt des Diakons übte er aus, als er seinen Leib und sein Blut im Abendmahl austeilte (Matth. 26,26). Und das Amt des Priesters erfüllte er, als er sich am Kreuz dem Vater als Opfer darbrachte (Matth. 27,5; Eph. 5,2). Diese Dinge kann man nicht ohne Lachen anhören, und deshalb wundere ich mich geradezu, daß sie ohne Lachen geschrieben sind – wofern es nämlich Menschen waren, die da schrieben! Besonders achtenswert aber ist der Scharfsinn, mit dem sie bei der Benennung des „Akoluthen“ philosophieren, sie nennen ihn „ceroferarius“ (Kerzenträger); das ist ein Wort, das meines Erachtens der Zaubersprache angehört, jedenfalls bei allen Völkern und in allen Sprachen unbekannt ist; während doch „Akoluthos“ bei den Griechen einfach einen Diener bezeichnet, der seinem Herrn auf dem Fuße folgt. Allerdings würde ich, wenn ich mich ernstlich daransetzen wollte, diese Dinge zu widerlegen, auch selbst mit Recht ausgelacht werden; so abgeschmackt und närrisch sind sie!
Simon W.

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IV,19,24

Damit sie aber den Weiblein nicht weiter etwas vormachen, so müssen wir im Vorbeigehen ihre Eitelkeit ans Licht ziehen. Mit großartiger Pracht und Feierlichkeit ernennen sie ihre Lektoren, Psalmisten, Türwächter und Akoluthen, um solche Ämter auszuüben, die sie tatsächlich von Kindern oder jedenfalls von den „Laien“ – wie sie sich ausdrücken – versehen lassen! Denn wer zündet eigentlich in den meisten Fällen die Kerzen an, wer gießt mit einem Krüglein Wein und Wasser ein? Wer tut das anders als ein Knabe oder irgendein armer Mensch aus dem „Laienstande“, der damit seinen Erwerb treibt? Und sind die, die da singen, nicht ebensolche Leute? Besorgen sie nicht auch das Schließen und Öffnen der Kirchengebäude? Wer hat denn in den Kirchengebäuden der Papisten je einen „Akoluthen“ oder „Ostiarius“ gesehen, der seine Amtsaufgabe wahrnahm? Nein, es ist gar so: wenn einer, der als Knabe das Amt des „Akoluthen“ ausgeübt hat, nachher in die Amtsordnung der „Akoluthen“ aufgenommen wird, so hört er damit auf, das zu sein, was er dem Namen nach erst von jetzt an ist! Es kommt einem geradezu so vor, als ob diese Leute mit voller Überlegung das Amt selbst von sich werfen wollten, wenn sie den Titel annehmen! Da sieht man auch, wozu sie es für notwendig erachten, mit Sakramenten geweiht zu werden und den Heiligen Geist zu empfangen – eben dazu, daß sie nichts tun! Wenn sie den Vorwand machen, das sei eben die Verkehrtheit unserer Zeit, daß sie ihre Ämter verließen und vernachlässigten, so sollen sie doch zugleich auch zugeben, daß heutzutage in der Kirche kein Nutzen und keine Frucht von ihren „heiligen“ Amtsordnungen vorhanden ist, die sie so wunderbar verherrlichen, und daß ihre ganze Kirche vom Fluch erfüllt ist, indem sie es ja zuläßt, daß Kerzen und Krüglein von Kindern und „Ungeweihten“ berührt werden, obwohl doch zu ihrer Berührung nur solche Leute „würdig“ sind, die man zu „Akoluthen“ geweiht hat – und indem sie die Gesänge den Knaben überläßt, obwohl man sie doch ausschließlich aus einem „geweihten“ Munde vernehmen sollte. Und zu welchem Zweck weihen sie eigentlich die „Exorzisten“? Ich höre, daß die Juden ihre Exorzisten gehabt haben; aber ich sehe auch, daß diese ihren Namen von Teufelaustreibungen hatten, die sie tatsächlich vornahmen (Apg. 19,13)! Wer hat nun von diesen erlogenen Exorzisten je sagen hören, daß sie auch nur einen einzigen Beweis für ihren Beruf abgelegt hätten? Man dichtet ihnen an, sie hätten die Vollmacht empfangen, an Geistesgestörten, Katechumenen und Besessenen die Handauflegung vorzunehmen – aber sie können die Teufel nicht davon überzeugen, daß sie mit solcher Vollmacht ausgestattet sind, und zwar nicht allein, weil die Dämonen auf ihren Befehl hin nicht weichen, sondern auch, weil sie selbst von den bösen Geistern beherrscht werden! Denn man wird unter ihrer zehn kaum einen finden, der nicht von einem bösen Geist getrieben würde. Es ist also alles, was sie sich über ihre „niederen“ Amtsordnungen zusammenschwatzen, aus törichten, närrischen Lügen zusammengesetzt. Von den Akoluthen, Ostiariern und Lektoren der Alten Kirche haben wir anderwärts gesprochen, als wir die Ordnung der Kirche darstellten. An dieser Stelle besteht unsere Absicht ausschließlich darin, gegen jenes neuerliche Fündlein von dem siebenfachen Sakrament zu kämpfen, das in den kirchlichen Amtsordnungen liegen soll und von dem man nirgendwo anders etwas zu lesen bekommt als bei diesen läppischen Zungendreschern, den Theologen der Sorbonne und den kanonischen Rechtslehrern.



IV,19,25

Jetzt wollen wir noch auf die Zeremonien unser Augenmerk richten, die sie anwenden. Zunächst haben sie ein gemeinsames Merkzeichen, mit dem sie alle, die sie in ihren Kriegsdienst nehmen, in den Stand der Kleriker einweihen. Sie scheren ihnen nämlich allen den Scheitel, damit solche „Krone“ eine königliche Zier andeute, weil ja die Kleriker Könige sein müßten, um sich selbst und andere zu regieren (Decretum Gratiani II,12,1,7). Denn von den Klerikern – so behaupten sie – sagt Petrus: „Ihr seid das auserwählte Geschlecht, das königliche Priestertum, das heilige Volk, das Volk des Eigentums“ (1. Petr. 2,9)! Nun war es aber ein Raub an Gottes Eigentum, daß sie sich das, was der ganzen Kirche beigelegt wird, allein anmaßten, und daß sie sich mit einem Titel, den sie den Gläubigen entrissen haben, so hoffärtig rühmten. Petrus redet die gesamte Kirche an, die Papisten aber verdrehen das und beziehen es bloß auf einige wenige Geschorene – als ob allein zu ihnen gesagt wäre: „Ihr sollt heilig sein“ (1. Petr. 1,15), als ob sie allein „mit dem Blute Christi“ „erlöst“ wären (1. Petr. 1,18f.), und als ob sie es allein wären, die Gott durch Christus zu einem Königreich und Priestertum gemacht sind (1. Petr. 2,5.9)! Dann verweisen sie auf andere Ursachen (für die Tonsur): die höchste Stelle des Hauptes werde entblößt, damit gezeigt würde, daß der Sinn der Kleriker frei zu dem Herrn stünde, um „mit aufgedecktem Angesicht“ (2. Kor. 3,18) die Herrlichkeit Gottes anzuschauen, oder damit ihnen deutlich würde, daß die Verkehrtheiten des Mundes und der Augen abgetan werden müssen (Decretum Gratiani IV,24,2). Oder sie erklären auch, das Scheren des Hauptes sei die Ablegung der zeitlichen Güter (Decretum Gratiani IV,12,1,7), der rings um die Tonsur liegende Kranz (von Haaren) aber bedeute die übrigbleibenden Güter, die dem Kleriker zum Lebensunterhalt belassen würden! Alles reden sie in Abbildern – denn der Vorhang im Tempel ist eben (für diese Leute) noch nicht zerrissen (Matth. 27,51). So sind sie also überzeugt, daß sie ihre Aufgabe damit erfüllt hätten, daß sie solche Dinge mit ihrem „Kranz“ bildlich dargestellt haben – und leisten deshalb von alledem tatsächlich nichts! Wie lange wollen sie uns denn mit solchen Trügereien und Gaukeleien zu Narren halten? Die Kleriker deuten (angeblich) mit dem Abscheren von einigen Haaren an, daß sie den Überfluß an zeitlichen Gütern von sich getan haben, Gottes Herrlichkeit anschauen und die Begehrlichkeit der Augen und Ohren abgetötet haben – und dabei gibt es doch keine Art Menschen, die raubgieriger, stumpfer und lüsterner sind! Weshalb beweisen sie solche Heiligkeit nicht lieber in Wahrheit, als mit solchen falschen, lügenhaften Zeichen einen Schein davon vorzutäuschen?



IV,19,26

Wenn sie nun sagen, der Haarkranz der Kleriker stamme von den Nasiräern her (Petrus Lombardus, Sentenzen IV,24,2) und habe von ihnen seine Art, so mochte ich wissen, was sie damit anders vorbringen, als daß eben ihre Geheimnisse (Sakramente) aus den jüdischen Zeremonien entstanden sind, ja, vielmehr reines Judentum darstellen. Weiter behaupten sie, es hätten sich doch auch Priscilla, Aquila und Paulus selbst auf Grund eines Gelübdes das Haupt geschoren (Apg. 18,18), um dadurch gereinigt zu werden. Aber damit bringen sie ihre grobe Unwissenheit an den Tag. Denn von Priscilla steht das nirgendwo zu lesen, und von Aquila ist es ebenfalls unsicher, weil nämlich jenes Haarscheren (an der genannten Stelle Apg. 18,18) ebensogut auf Paulus wie auf Aquila bezogen werden kann. Damit wir ihnen aber nicht überlassen, was sie beweisen wollen, nämlich daß sie an Paulus ein Vorbild hätten, müssen die Einfältigeren darauf achten, daß Paulus sich nie und nimmer das Haupt geschoren hat, um damit irgendwelche Heiligung zu erlangen, sondern allein, um der Schwachheit der Brüder zu dienen. Solche Gelübde pflege ich „Gelübde aus Liebe“ zu nennen, nicht solche aus „Frömmigkeit“; das heißt: sie sind nicht zum Zweck irgendeines Gottesdienstes geleistet, sondern zum Ertragen der groben Art der Schwachen, wie Paulus ja selber sagt, er sei „den Juden geworden ein Jude …“ (1. Kor. 9,20). Er hat dies also getan, und zwar nur ein einziges Mal und für kurze Zeit, um sich den Juden für diesen Zeitraum anzupassen. Was tun nun aber die Papisten, wenn sie ohne jeden Nutzen die Reinigungsübungen der Nasiräer nachmachen wollen, anders, als daß sie ein zweites Judentum aufrichten, indem sie es dem alten in verkehrter Weise gleichzutun trachten (Num. 6,18)? Mit der gleichen „heiligen Scheu“ ist jenes Verordnungsschreiben (decretalis epistola) zusammengestellt, das den Klerikern die Anweisung gibt, sie sollten sich nach dem Gebot des Apostels das Haar nicht lang wachsen lassen (1. Kor. 11,4), sondern (den Kopf) wie einen Ball geschoren tragen (Decretum Gratiani I,23,21). Als ob der Apostel, wenn er eine Lehre darüber gibt, was bei allen Männern ehrbar ist, um die runde Tonsur der Kleriker besorgt gewesen wäre! Hieraus mag der Leser ein Urteil darüber gewinnen, wieviel Wirkung und Würde wohl die anderen, nachfolgenden „Geheimnisse“ haben werden, wenn man auf diese Weise den Zugang zu ihnen bekommt!



IV,19,27

Woher die Tonsur der Kleriker (tatsächlich) ihren Ursprung hat, das ergibt sich schon allein aus Augustin mehr als zur Genüge. Weil zu jener Zeit bloß Weichlinge und Leute, welche in recht unmännlicher Weise auf Glanz und feine Lebensart versessen waren, das Haar lang trugen, so schien es kein gutes Vorbild zu sein, wenn man es den Klerikern erlaubte. Daher gebot man den Klerikern, das Haupt entweder zu scheren oder kahl zu schneiden, damit sie nicht den Schein einer weibischen Geziertheit an den Tag legten. Das Hauptscheren war so weit verbreitet, daß einige Mönche, die eine auffallende und von den anderen unterschiedene Tracht suchten, um damit ihre Heiligkeit desto besser zur Schau zu tragen, ihr Haar frei wachsen ließen (Augustin, Vom Werk der Mönche 33; Retraktationen II,47). Als man aber hernach wieder zur Haartracht zurückkehrte und auch manche Völker zum Christentum kamen, die das Haar stets lang getragen hatten, wie Frankreich, Deutschland und England, da haben die Kleriker wahrscheinlich allenthalben das Haupt geschoren, um nicht den Eindruck zu erwecken, als seien sie auf den Schmuck versessen, den das Haupthaar gewährt. Schließlich kam dann eine verdorbenere Zeit, in der alle früheren Einrichtungen in ihr Gegenteil verkehrt oder zum Aberglauben entartet waren; da sah man für das Hauptscheren der Kleriker keinerlei Ursache mehr; denn man hatte ja nichts mehr übrigbehalten als eine törichte Nachahmung – und deshalb nahm man seine Zuflucht zu dem „Geheimnis“, das sie uns jetzt abergläubisch aufdrängen, um ihr „Sakrament“ zu beweisen. Die „Türhüter“ empfangen bei ihrer Weihe die Schlüssel zum Kirchengebäude, um daran zu merken, daß ihnen die Hut dieser Gebäude aufgetragen ist. Die „Lektoren“ empfangen die Bibel. Die „Exorzisten“ bekommen die Beschwörungsformeln zu wissen, die sie an den Geistesgestörten und den Katechumenen anwenden sollen. Den „Akoluthen“ gibt man die Kerzen und das Krüglein. Sieh da, das sind nun die Zeremonien, denen, wenn es Gott gefällt, soviel verborgene Kraft innewohnt, daß sie nicht nur „Zeichen“ und Unterpfänder der „unsichtbaren Gnade“ sein können, sondern auch Ursachen derselben! Denn das verlangen sie doch nach ihrer Begriffsbestimmung, wenn sie wollen, daß man diese Handlungen zu den Sakramenten zählen soll. Um es aber mit wenigen Worten abzumachen, so behaupte ich: es ist Widersinn, daß man in den Schulen und in den kirchlichen Satzungen diese „niederen“ Amtsordnungen für Sakramente erklärt, wo sie doch – auch nach dem Zugeständnis derer, die diese Lehre vortragen – der ursprünglichen Kirche unbekannt gewesen und erst viele Jahre nachher ausgedacht worden sind (Petrus Lombardus, Sentenzen IV,24,9). Da nun aber die Sakramente eine Verheißung Gottes in sich tragen, so können sie weder durch Engel noch durch Menschen, sondern allein von Gott gestiftet werden, bei dem allein es ja steht, eine Verheißung zu geben.
Simon W.

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IV,19,28

Nun sind noch die drei Amtsordnungen übrig, die man die „höheren“ nennt. Unter diesen ist das Amt der „Subdiakonen“, wie sie sagen, zu der Zeit in diese Reihe aufgenommen worden, als jene Schar der „niederen“ Amtsstufen überhandzunehmen begann. Weil die Papisten nun für diese Amtsstufen ein Zeugnis aus dem Worte Gottes zu haben scheinen, so nennen sie sie, um sie zu ehren, in besonderem Sinne die „heiligen Amtsordnungen“. Aber wir müssen zusehen, wie verkehrt sie damit die Stiftungen des Herrn zu ihrem Vorwand mißbrauchen. Wir wollen dabei den Anfang mit der Amtsordnung des „Presbyteramtes“ oder „Priesteramtes“ machen. Mit diesen beiden Bezeichnungen meinen sie nämlich eine und dieselbe Sache, und sie benennen damit diejenigen, denen nach ihrer Behauptung die Aufgabe zufällt, das Opfer des Leibes und Blutes des Herrn auf dem Altar zu bereiten, die Gebete zu halten und die Gaben Gottes zu segnen. Daher empfangen sie bei ihrer Ordination eine Schale mit Hostien, die als Merkzeichen dafür dienen sollen, daß ihnen die Vollmacht übertragen ist, Gott Sühnopfer darzubringen; außerdem werden ihnen die Hände gesalbt – ein Merkzeichen, durch das sie darüber belehrt werden, daß ihnen die Vollmacht zum Weihen gegeben ist. Aber über die Zeremonien will ich später noch sprechen. Über die Sache selber sage ich dies: sie hat nicht einen Tüttel aus dem Worte Gottes (für sich), das die Papisten als Vorwand dazu benutzen, und zwar so rein gar nicht, daß sie, die von Gott gesetzte Ordnung nicht schamloser hätten verderben können! Zunächst muß es nun – und das haben wir bei Behandlung der päpstlichen Messe bereits ausgesprochen – als ausgemachte Sache gelten, daß alle, die sich „Priester“ nennen, um ein Sühnopfer darzubringen, Christus Unrecht tun. Er ist vom Vater mit einem Eidschwur zum Priester eingesetzt und geweiht worden, nach der Ordnung Melchisedeks, ohne Ende und ohne Nachfolger (Ps. 110,4; Hebr. 5,6; 7,3). Er hat einmal das Opfer einer ewigen Sühne und Versöhnung dargebracht, und auch jetzt, wo er in das Heiligtum des Himmels eingegangen ist, tritt er für uns ein. In ihm sind wir alle Priester, aber um Gott Lob und Dank und schließlich uns selbst und was wir haben zu opfern. Er allein hat das einzigartige Amt gehabt, mit seinem Opfer Gott zu versöhnen und die Sünden abzutun. Wenn sich das nun die Papisten anmaßen, was bleibt dann übrig, als daß ihr Priesteramt gottlos und heiligtumsschänderisch ist? Jedenfalls treiben sie es in ihrer Unverschämtheit zu weit, wenn sie es mit dem Titel eines „Sakraments“ auszuzeichnen sich erdreisten. Was das wahre Presbyteramt angeht, das uns durch Christi eigenes Wort anbefohlen ist, so will ich es gerne als „Sakrament“ gelten lassen. Denn da haben wir es mit einer Zeremonie zu tun, und die ist erstens aus der Schrift entnommen, und zweitens bezeugt uns Paulus, daß sie nicht leer und überflüssig ist, sondern ein zuverlässiges Merkzeichen der geistlichen Gnade darstellt (1. Tim. 4,14). Daß ich das Presbyteramt trotzdem nicht als drittes in die Zahl der Sakramente eingereiht habe, das ist deshalb geschehen, weil es nicht allen Gläubigen ordnungsmäßig zukommt und nicht allen gemein ist, sondern einen besonderen Gebrauch für eine bestimmte Amtsaufgabe darstellt. Aber wenn dem christlichen Amte solche Ehre beigelegt wird, so besteht deshalb kein Grund, daß die papistischen Priester hoffärtig sind. Denn Christus hat geboten, daß die Männer, die sein Evangelium und seine Geheimnisse (Sakramente) austeilen, ordiniert werden, nicht aber, daß Opferpriester geweiht werden sollen. Er hat eine Weisung über die Predigt des Evangeliums und das Weiden der Herde gegeben, nicht aber über die Darbringung von Opfern (Matth. 28,19; Mark. 16,15; Joh. 21,15). Er hat die Gnadengabe des Heiligen Geistes verheißen, aber nicht, um eine Sühne für die Sünden zu vollziehen, sondern um die Leitung der Kirche nach Gebühr auszuüben und wahrzunehmen.



IV,19,29

Mit der Sache selbst befinden sich die Zeremonien in bester Übereinstimmung. Als unser Herr die Apostel zur Predigt des Evangeliums aussandte, da „blies er sie an“ (Joh. 20,22). Mit diesem Merkzeichen veranschaulichte er die Kraft des Heiligen Geistes, mit der er sie begabte. Dieses Anblasen haben diese trefflichen Männer (die Papisten) beibehalten, und als ob sie den Heiligen Geist aus ihrer Kehle hervorblasen könnten, murmeln sie über denen, die sie zu Priestern machen: „Nehmet hin den Heiligen Geist!“ So rein gar nichts lassen sie unberührt, ohne es in ihrer verkehrten Art nachzumachen – ich sage nicht: nach der Art der Schaubühnendarsteller, die ihre Gebärden nicht ohne Kunstfertigkeit und nicht ohne Bedeutung machen, sondern: genau wie die Affen, die lustig und ohne jede Auswahl alles nachahmen! Ja, sagen sie, wir wahren damit doch das Vorbild des Herrn. Nein, der Herr hat vieles getan, was nach seinem Willen kein Vorbild für uns sein sollte. Der Herr hat zu den Jüngern gesagt: „Nehmet hin den Heiligen Geist“ (Joh. 20,22). Er hat auch zu Lazarus gesagt: „Lazarus, komm heraus“ (Joh. 11,43). Er hat zu dem Gichtbrüchigen gesagt: „Steh auf … und wandle“ (Matth. 9,5; Joh. 5,8). Weshalb richten denn die Papisten nicht die gleichen Worte an alle Toten und Gichtbrüchigen? Christus hat einen Beweis seiner göttlichen Kraft gegeben, indem er seine Apostel anblies und sie dadurch mit der Gnadengabe des Heiligen Geistes erfüllte. Wenn die Papisten nun das gleiche zu bewirken versuchen, so wetteifern sie mit Gott und fordern ihn geradezu zum Streit heraus; aber sie bleiben so weit wie nur möglich davon entfernt, etwas zu erreichen, und tun mit ihrer närrischen Gebärde nichts anderes, als daß sie Christus verspotten. Es gibt manche, die so schamlos sind, daß sie zu behaupten wagen, durch sie werde der Heilige Geist geschenkt; aber wie wahr das ist, das lehrt die Erfahrung, die einem laut kundmacht, daß alle, die man zu Priestern weiht, aus Pferden zu Eseln und aus Narren zu Wahnwitzigen werden! Trotzdem mache ich ihnen nicht hieraus einen Streit; ich verdamme nur die Zeremonie selbst: sie hätte nicht als Vorbild verwendet werden dürfen, da sie ja von Christus als einzigartiges Merkzeichen eines Wunders gebraucht worden ist – so wenig kann die Rede davon sein, daß den Papisten die Entschuldigung, Christus nachzuahmen, als Schutz dienen sollte.



IV,19,30

Von wem haben sie aber eigentlich die Salbung genommen? Sie antworten, sie hätten sie von den Söhnen Aarons empfangen, von dem auch ihr Stand sich herleite (Petrus Lombardus, Sentenzen IV,24,9; Decretum Gratiani, I,21). Sie wollen sich also fort und fort lieber mit verkehrten Beispielen verteidigen, als zuzugestehen, daß sie sich das, was sie unbesonnen anwenden, selbst ausgedacht haben. Unterdessen achten sie aber nicht darauf, daß sie, indem sie Nachfolger der Söhne Aarons zu sein bekennen, dem Priestertum Christi Unrecht zufügen; denn dies allein wird durch alle alten Priestertümer schattenhaft angedeutet und bildlich dargestellt. In ihm sind sie also alle abgeschlossen und erfüllt worden, in ihm haben sie ihr Ende gefunden, wie ich das bereits mehrfach wiederholt habe und wie es der Brief an die Hebräer auch ohne die Unterstützung durch Erläuterungen bezeugt. Wenn sie an den mosaischen Zeremonien so großes Gefallen finden – warum zerren sie dann keine Ochsen, Kälber und Lämmer zum Opfer? Sie besitzen zwar einen guten Teil der alten Stiftshütte und des gesamten jüdischen Gottesdienstes, aber ihre Religion hat doch den „Mangel“, daß sie keine Kälber und Ochsen schlachten! Wer sieht nun nicht, daß der Brauch der Salbung, wie sie ihn üben, viel verderblicher ist als die Beschneidung (es wäre), vor allem, wo doch noch der Aberglaube und die pharisäische Wahnmeinung von der Würdigkeit des Werkes hinzukommt? Die Juden setzten alle Zuversicht auf Gerechtigkeit in die Beschneidung – die Papisten meinen, die geistlichen Gnadengaben lägen in der Salbung. Indem sie also Nacheiferer der Leviten zu sein begehren, werden sie von Christus abtrünnig und sagen sie sich von dem Amt der Hirten los!



IV,19,31

Das ist also, wenn Gott es so will, das „heilige“ Öl, das den Gesalbten ein „unauslöschliches Wesensmerkmal“ (character indelebilis) aufdrückt. Als ob man Öl nicht mit Sand und Salz oder, wenn es zäher festsitzt, mit Seife abwaschen könnte! Aber, so wenden sie ein, dieses „Wesensmerkmal“ ist doch geistlich, was hat aber dann das Öl mit der Seele zu tun? Sie leiern doch selbst aus dem Augustin den Satz daher: „wenn das Wort von dem Wasser weggezogen wird, so ist nichts mehr da als Wasser, und das Wasser hat von dem Wort her die Eigenschaft, daß es ein Sakrament ist“ (Predigten zum Johannesevangelium 80,3). Haben sie das nun vergessen? Was für ein Wort wollen sie uns denn in ihrem Fett vorweisen? Etwa dies, daß Mose die Weisung empfangen hat, die Söhne Aarons zu salben (Ex. 30,30)? Aber da ergeht doch auch ein Befehl über den Rock, den Ephod, die Mütze und die Krone der Heiligkeit, mit denen Aaron geziert werden sollte, und über die Röcke, Gürtel und Hüte, mit denen seine Söhne bekleidet werden sollten. Es ergeht doch auch die Weisung, ein Kalb zu schlachten, sein Fett als Opfer zu verbrennen, die Widder zu zerstückeln und zu verbrennen, die Ohrläppchen und Gewänder der Priester mit dem Blut des einen Widders zu heiligen – und es finden sich da noch zahllose andere Bräuche, so daß ich mich wundere, wieso sie die weglassen und allein an der Salbung mit Öl Gefallen finden. Wenn sie aber Freude daran haben, besprengt zu werden – warum lassen sie sich dann lieber mit Öl besprengen als mit Blut? Wahrhaftig, sie versuchen ein Meisterstück, nämlich aus Christentum, Judentum und Heidentum wie aus zusammengenähten Lappen eine Religion herzustellen! Daher ist ihre Salbung stinkig, weil ihr eben das Salz, nämlich das Wort Gottes fehlt. Nun ist noch die Handauflegung übrig; da gebe ich zu, daß sie bei wahren und rechtmäßigen Ordinationen ein Sakrament ist, aber ich behaupte ebenso, daß sie in diesem Possenspiel keinen Platz hat, wo man weder dem Gebot Christi gehorcht noch den Zweck im Auge hat, dem uns die Verheißung zuführen soll, wenn sie nicht wollen, daß man ihnen das Zeichen versagt, so müssen sie es der Sache selbst anpassen, für die es verordnet ist.



IV,19,32

Auch im Bezug auf die Amtsordnung des Diakonats würde ich keinen Streit erheben, wenn jenes Amt, das unter den Aposteln und in der reineren Kirche bestanden hat, in seinen lauteren Zustand zurückversetzt würde. Aber was haben die Leute, die die Papisten als Diakone ausgeben, damit für Ähnlichkeit? Ich spreche nicht über die Menschen, damit sie sich nicht beklagen, ihre Lehre werde unbilligerweise nach den Verkehrtheiten von Menschen beurteilt, sondern ich behaupte, daß das Zeugnis eben für diese Leute, die sie uns in ihrer Lehre als Diakonen vorführen, in unwürdiger Weise von dem Vorbild derer hergenommen wird, die die apostolische Kirche als Diakonen eingesetzt hat. Sie sagen, ihren „Diakonen“ fiele die Aufgabe zu, daß sie den Priestern zur Seite stünden, daß sie bei allem, was im Vollzug der Sakramente verrichtet wird, Dienst leisteten, nämlich bei der Taufe, bei der Salbung, bei der Schale und beim Kelch, daß sie die Opfergaben herbeibrächten und auf den Altar legten, daß sie den Tisch des Herrn bereiteten und deckten, das Kreuz trügen und das Evangelium und die Epistel dem Volke vorläsen und vorsängen. Findet sich hier nun auch nur ein Wort von dem wahren Amt der Diakonen? Jetzt wollen wir auch hören, wie man die Einsetzung dieses „Diakonen“ vollzieht: „Dem Diakon, der ordiniert wird, legt allein der Bischof die Hand auf.“ Der Bischof legt ihm das „Orarium“ und die „Stola“ auf die linke Schulter, damit er begreift, daß er das leichte Joch des Herrn auf sich genommen hat, um nun alles, was zur linken Seite gehört (das Herz!), der Gottesfurcht zu unterwerfen. Er legt ihm auch den Text des Evangeliums vor, damit er sich als dessen Herold erkenne. Was hat das nun mit den Diakonen zu tun? Die Papisten tun genau so, wie wenn jemand sagte, er wolle Apostel einsetzen, und ihnen dabei doch bloß die Aufgabe zuerteilte, Weihrauch zu verbrennen, Bilder zu putzen, Kirchengebäude zu kehren, Mäuse zu fangen und Hunde wegzujagen! Wer würde es dulden, daß man eine solche Art Menschen als „Apostel“ bezeichnete und sie mit den Aposteln Christi selbst vergliche? Sie sollen also von jetzt an nicht mehr weiter die Lüge aussprechen, das wären Diakonen, die sie doch bloß zu ihren Schauspielereien einsetzen! Ja, selbst durch den Namen geben sie genugsam zu erkennen, von welcher Art dieses Amt ist. Sie nennen diese Leute nämlich „Leviten“ und wollen ihr Wesen und ihren Ursprung auf die Söhne Levis zurückgeführt wissen. Das können sie von mir aus tun, wenn sie sie nur nicht weiterhin mit fremden Federn schmücken.
Simon W.

Der Pilgrim
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IV,19,33

Was soll ich von den Subdiakonen sagen? Denn obwohl diese Leute in alter Zeit wirklich die Fürsorge für die Armen zu leiten hatten, weisen ihnen die Papisten ich weiß nicht was für eine possenhafte Amtsaufgabe zu, nämlich daß sie Kelch und Schale, das Krüglein mit Wasser und das Handtuch zum Altar tragen, das Wasser zum Händewaschen eingießen und so fort, was sie nun aber vom Empfangen und Herbeitragen der Opfergaben sagen, das beziehen sie auf solche Gaben, die sie als zur Weihegabe bestimmt selbst einschlucken. Diesem „Amt“ entspricht aufs beste der Brauch bei der Weihe. Dieser sieht vor, daß der zu Weihende von dem Bischof Schale und Kelch empfängt, vom Archidiakonen ein Krüglein mit Wasser, ein Handtuch und ähnlichen Trödel. Sie verlangen nun, wir sollten zugeben, daß in dergleichen Albernheiten der Heilige Geist eingeschlossen sei. Welcher fromme Mensch wird sich unterstehen, das zuzugeben? Aber, um einmal ein Ende zu machen: man kann von den Subdiakonen das gleiche halten wie von den anderen; denn es ist nicht nötig, ausführlicher zu wiederholen, was oben auseinandergesetzt worden ist. Das wird bescheidenen und gelehrigen Leuten – und solche zu unterweisen habe ich unternommen – genügen (um zu der Einsicht zu kommen), daß ein Sakrament Gottes nur da vorliegt, wo eine Zeremonie vor uns hintritt, die an eine Verheißung gebunden ist, oder besser: wo die Verheißung in der Zeremonie erschaut wird. Hier jedoch findet sich nicht eine einzige Silbe von irgendeiner bestimmten Verheißung; also wird man auch vergebens nach einer Zeremonie suchen, um die Verheißung zu bekräftigen. Auf der anderen Seite steht nirgendwo zu lesen, daß irgendeine unter den Zeremonien, die die Papisten anwenden, von Gott eingesetzt sei. Also kann hier auch kein Sakrament vorliegen.



IV,19,34

An letzter Stelle steht (unter den angeblichen Sakramenten) der Ehestand. Daß dieser von Gott gestiftet ist, das geben alle Leute zu, aber andererseits hat bis auf die Zeit Gregors (VII.) niemand etwas davon gesehen, daß er uns als Sakrament gegeben wäre. Welchem Menschen von gesunden Sinnen sollte das auch je in den Kopf gekommen sein? Gewiß, der Ehestand ist eine gute und heilige Ordnung Gottes; aber auch der Ackerbau, das Häuserbauen, das Schusterund Barbierhandwerk sind rechtmäßige Ordnungen Gottes und trotzdem keine Sakramente. Denn bei einem Sakrament wird nicht nur verlangt, daß es Gottes Werk sei, sondern daß es auch eine äußere Zeremonie ist, die Gott dazu aufgerichtet hat, eine Verheißung zu bekräftigen. Auch Kinder werden das Urteil gewinnen, daß bei dem Ehestand nichts dergleichen vorliegt. Aber, so sagen die Papisten, er ist doch das Zeichen einer heiligen „Sache“, nämlich der geistlichen Verbindung Christi mit der Kirche! Wenn sie nun unter dem Wort „Zeichen“ ein Merkzeichen verstehen, das uns von Gott dazu vorgelegt ist, um die Gewißheit unseres Glaubens aufzurichten, dann irren sie (mit ihrer obigen Behauptung) weit von dem gegebenen Richtpunkt ab; wenn sie aber den Begriff „Zeichen“ in seinem einfachen Sinne auffassen und darunter schlechtweg das verstehen, was als Gleichnis angeführt, so will ich nachweisen, wie „scharfsinnig“ sie ihre Folgerung ziehen. Paulus sagt: „Wie sich ein Stern an Klarheit von dem anderen unterscheidet, also auch die Auferstehung der Toten“ (1. Kor. 15,41f.; Anfang ungenau). Da haben wir also das eine Sakrament. Christus spricht: „Das Himmelreich ist gleich einem Senfkorn“ (Matth. 13,31). Da hätten wir das zweite Sakrament! Und wiederum spricht er: „Das Himmelreich ist einem Sauerteig gleich“ (Matth. 13,33). Das wäre also das dritte! Jesaja sagt: „Der Herr wird seine Herde weiden wie ein Hirte“ (Jes. 40,11). Das vierte Sakrament! An anderer Stelle spricht er: „Der Herr wird ausziehen wie ein Riese“ (Jes. 42,13). Das fünfte! Und wo soll nun hier Ziel und Maß sein? In diesem Sinne wird alles ein Sakrament sein: soviel Gleichnisse und Vergleiche es in der Schrift gibt, soviel Sakramente werden wir dann haben! Ja, selbst der Diebstahl wird dann ein Sakrament sein; denn es steht geschrieben: „Der Tag des Herrn wird kommen wie ein Dieb …“ (1. Thess. 5,2). Wer wird diese Klüglinge ertragen können, wie sie so närrisch schwatzen? Ich gebe zwar zu: allemal, wenn uns ein Weinstock vor Augen tritt, so ist es sehr gut, wenn man sich ins Gedächtnis ruft, was Christus gesagt hat: „Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben; mein Vater ist der Weingärtner“ (Joh. 15,1.5). Jedesmal, wenn uns ein Hirte mit seiner Herde begegnet, so ist es, das gebe ich zu, wohl gut, wenn uns auch das Wort in den Sinn kommt: „Ich bin der gute Hirte; meine Schafe hören meine Stimme“ (Joh. 10,12.27). Aber wenn jemand derartige Gleichnisse zu den Sakramenten zählte, sollte man ihn nach Anticyra schicken (wo die Nießwurz wächst, mit der man den Wahnsinn heilt)!



IV,19,35

Aber sie halten uns nun ungestüm die Worte des Paulus vor, in denen nach ihrer Behauptung dem Ehestande der Name „Sakrament“ beigelegt wird: „Wer sein Weib liebt, der liebt sich selbst. Denn niemand hat je sein eigen Fleisch gehaßt, sondern er nährt es und pflegt sein, gleichwie auch Christus die Kirche. Denn wir sind Glieder seines Leibes, von seinem Fleisch und von seinem Gebein. Um deswillen wird ein Mensch verlassen Vater und Mutter und seinem Weibe anhangen, und werden die zwei ein Fleisch sein. Das Geheimnis (sacramentum!) ist groß. Ich sage aber: in Christus und der Kirche“ (Eph. 5,28-32; nicht immer Luthertext). Aber wenn man die Schrift so behandelt (wie es die Papisten mit ihrer Deutung tun), so bedeutet da, die Erde mit dem Himmel zu vermischen. Paulus will doch den Männern zeigen, mit welch einzigartiger Liebe sie ihren Frauen begegnen sollen, und deshalb stellt er ihnen Christus als Vorbild vor Augen. Denn wie Christus seine innigste Liebe auf die Kirche ausgegossen hat, die er sich angelobt hatte, so soll nach dem Willen des Apostels jedermann gegen seine eigene Frau gesinnt sein. Dann folgt: „Wer sein Weib liebt, der liebt sich selbst … gleichwie Christus die Kirche geliebt hat“ (Vers 28 und Schluß von 29; ungenau). Um nun zu lehren, wieso denn Christus die Kirche ebenso geliebt hat wie sich selbst, ja, wieso er sich mit seiner Braut, der Kirche, eins gemacht hat, bezieht er auf ihn die Worte, die Adam nach dem Bericht des Mose von sich gesprochen hat. Denn als ihm Eva, die, wie er wußte, aus seiner Rippe gebildet war, vor die Augen geführt wurde, da sagte er: „Das ist doch Bein von meinem Bein und Fleisch von meinem Fleisch“ (Gen. 2,23). Von dem allem bezeugt nun Paulus, daß es in Christus und in uns geistlich erfüllt ist, indem er nämlich sagt, daß wir „Glieder seines Leibes“, „von seinem Fleisch und von seinem Gebein“ sind und daher „ein Fleisch“ mit ihm. Dann fügt er den abschließenden Ausruf an: „Das Geheimnis (mysterium) ist groß“, und, damit niemand durch den zwiespältigen Ausdruck getäuscht wird, erklärt er, daß er nicht von der fleischlichen Vereinigung von Mann und Frau redet, sondern von dem geistlichen Ehebund Christi und der Kirche. Und fürwahr, es ist wirklich ein großes Geheimnis, daß sich Christus eine Rippe hat nehmen lassen, damit wir daraus gebildet würden, das heißt, daß er, obwohl er stark war, hat schwach sein wollen, damit wir durch seine Kraft stark gemacht würden, so daß wir nun nicht mehr selber leben, sondern er in uns lebt (Gal. 2,20).



IV,19,36

Was die Römischen betrogen hat, ist das Wort „Sakrament“. Aber war es denn billig, daß die ganze Kirche für die Unwissenheit der Papisten Strafe zahlte? Paulus hatte „Mysterium“ gesagt, und der Übersetzer hätte diesen Ausdruck stehenlassen können, da er für lateinische Ohren nichts Ungewohntes darstellte, oder er hätte ihn mit „arcanum“ (Verborgenheit) wiedergeben können; er wollte aber lieber „Sakrament“ sagen, jedoch nicht in einem anderen Sinne, als in dem Paulus auf Griechisch das Wort „Mysterium“ gebraucht hatte. So, nun mögen sie hingehen und mit lautem Geschrei die Sprachkundigkeit beschimpfen – in der sie so unwissend waren, daß sie in einer leichten und jedermann zugänglichen Angelegenheit so lange schmählich in der Irre gegangen sind! Aber weshalb legen sie an dieser einen Stelle auf das Wörtlein „Sakrament“ so großes Gewicht, während sie es doch sonst so oft unbeachtet übergehen? Denn das Wort wird von dem allgemeinen Übersetzer (d.h. von der „Vulgata“) auch im ersten Timotheusbrief (1. Tim. 3,9) und ebenfalls allenthalben in dem nämlichen Brief an die Epheser für „Mysterium“ gesetzt (Eph. 1,9; 3,3.9). Jedoch könnte man ihnen diesen Fehlgriff verzeihen – nur hätten diese Lügner ein gutes Gedächtnis haben sollen! Aber was für ein sinnverwirrter Leichtsinn ist es, daß sie hernach den Ehestand, der doch (nach ihrer Lehre) mit dem Titel eines Sakraments gepriesen ist, „Unreinheit“, „Befleckung“ und „fleischlichen Schmutz“ nennen? Wie widersinnig ist es, daß sie die Priester von einem Sakrament fernhalten! Wenn sie behaupten, sie hielten sie nicht von dem Sakrament fern, sondern nur von der Lust des fleischlichen Umgangs, so können sie mir auf die Weise nicht entwischen. Denn sie lehren, daß auch der fleischliche Umgang ein Teil des Sakraments ist und daß erst durch ihn die Einheit zur Darstellung kommt, die wir in Gleichartigkeit der Natur mit Christus haben, und zwar, weil Mann und Frau allein durch die fleischliche Verbindung ein Fleisch werden (Petrus Lombardus, Sentenzen IV,26,6; Decretum Gratiani II,27,2,17f.). Allerdings haben einige von ihnen hier zwei Sakramente gefunden, das eine soll dann Gott und die Seele abbilden und in dem Verhältnis von Bräutigam und Braut bestehen, das andere Christi Verbindung mit der Gemeinde bezeichnen und in der Verbundenheit von Mann und Weib seinen Ausdruck finden. Wie dem aber auch sei, so ist doch der fleischliche Umgang ein Sakrament, und es war ein Frevel, irgendeinen Christenmenschen von ihm auszuschließen. Sonst müßte es wohl schon so sein, daß die Sakramente der Christen so schlecht zusammenpaßten, daß sie nicht miteinander bestehen könnten. Es liegt auch noch eine zweite Widersinnigkeit in den Lehren der Papisten. Sie behaupten, im Sakrament werde die Gnade des Heiligen Geistes geschenkt; und nun lehren sie, daß der fleischliche Umgang ein Sakrament sei,

leugnen aber, daß im fleischlichen Umgang je der Heilige Geist gegenwärtig sei (Petrus Lombardus, Sentenzen IV,26,6; Decretum Gratiani II,32,2,4)!
Simon W.

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