Tägliche Lesung aus der Dogmatik von Eduard Böhl

Nur für Gläubige, die die fünf Punkte des Arminianismus ablehnen

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Jörg
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§ 78. Beschneidung und Taufe

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3. Daß endlich die Kinder getauft werden sollen im Schoß der christlichen Kirche, ergibt sich zwingend zunächst aus der Analogie, die zwischen der Taufe und der Beschneidung besteht. Man müsste es schon wagen wollen, Taufe und Beschneidung voneinander zu trennen. Erst dann könnte man auf die weitere Streitfrage mit den Baptisten eintreten, ob das Neue Testament selber die Kindertaufe fordere. Wurde jedoch ein Kind von acht Tagen in Abrahams Haus schon beschnitten und dadurch dem Bund Gottes zugezählt, 1.Mose 17,7; vgl. Jes 59,21; Apg 2,39 – wer sind wir, dass wir unseren Kindern die Taufe vorenthalten dürften? Alle, denen der Bund Gottes in Christus Jesus zugedacht ist, sind zu taufen. Die Kinder gehören in den Bund Gottes, – also sind sie zu taufen. Die Baptisten mögen erst einmal das Verbot der Kindertaufe aus dem Neuen Testament erheben, bevor sie uns um das Gebot dieser Taufe befragen. Das Gebot oder Gnadenvorrecht der Kindertaufe ist genügend aus dem Umstande zu folgern, daß die Taufe in jeder Hinsicht an die Stelle der Beschneidung tritt, nach Kol 2,11.12. Ist das wahr, dann taufe man sie, sonst hätten wir Christen bei Verwerfung der Kindertaufe weniger – unsere Kinder wären hinter den israelitischen zurückgestellt. Paulus verwirft nur deshalb die Beschneidung, die mit Händen geschah, weil die Taufe, an deren Stelle tretend, alles ersetzt. Auch ist noch zu bemerken, dass Jesus die zu ihm getragenen kleinen Kinder segnete (Mt 19,13.14); ferner, das der Kerkermeister zu Philippi samt seinem ganzen Hause getauft ward (Apg 16,33), und dass in 1.Kor 7,14 die Kinder gläubiger Eltern eo ipso schon heilig heißen, als Teilhaber am Gnadenbunde und Mitbesitzer derselben Gnade Gottes. Ist das nun richtig: dann darf ihnen doch durch die Taufe solche Teilnahme auch symbolisch zugesichert und von Gottes wegen verheißen werden; s. Calvin, Inst. IV,16,31. Es ist also keineswegs wahr, daß die Taufe der Kinder eine menschliche Erfindung oder gegen die Ordnung Christi sei, oder daß sie des wahrhaftigen Trostes im Leben und im Sterben entbehren sollte. Solche Behauptungen entstammen dem Überglauben des Haufens der Wiedertäufer und vergiften leider auch heute selbst viele einfältige Seelen, so daß sie diese äußere Stütze gering achten oder gar verwerfen.

Die Taufe ist nun aber das in sich vollendete, vollkommen ausreichende Sakrament der Aufnahme in den Gnadenbund Gottes. Der Mensch schließt hier nicht etwa einen Bund mit Gott, den er nachher in der sogenannten Konfirmation erst noch zu bestätigen hätte. Nein, Gott beschenkt uns mit dem Siegel des Gnadenbundes und nimmt uns so zu Bundesgenossen an. Von einer Bundesverpflichtung, die dem Menschen dabei noch abzunehmen wäre, ist im Gnadenbund nicht die Rede, sondern die Verheißung wird dem Glaubenden umsonst geschenkt. An die Stelle der sogenannten Konfirmation tritt in der reformierten Kirche die Admission, wobei man sein Glaubensbekenntnis vor der versammelten Gemeinde ablegt und dadurch den Zutritt zum heiligen Abendmahl sowie Anteil an den Rechten und Pflichten der christlichen Gemeinde erlangt. Man hat überhaupt den Ausdruck Konfirmation gänzlich zu meiden; dieselbe wurde 1672 zuerst in Bremen von Undereyk eingeführt und ist nicht reformatorischen Ursprungs.
zu.354. Non ut non sit, sed ut non imputetur, sagt Augustin von der Sünde nach der Taufe
zu.355. Alle Streitigkeiten über den modus der Wiedergeburt bei den Kindern würden wegfallen, wenn man die Wirkung des heiligen Geistes in ihr volles Recht einsetzte und ihm die Initiative überließe, wonach er sein Versprechen in der Taufe auch zu seiner Zeit erfüllt.

Die Handauflegung, die den Katechumenen in der alten Kirche zuteil wurde, ist nach Augustin(356) nichts anderes als eine oratio super hominem.(357) Die Konfirmation ist eigentlich ein römisch-katholischer Sauerteig. Sie verleiht dort die Befestigung der Taufgnade und die Kraft zu kämpfen für Christus(358) Bei den späteren Lutheranern und Evangelischen der Jetztzeit nimmt die Konfirmation aber auch vielfach den Charakter einer Ergänzung der Taufe an, insofern hier die selbständige Übernahme des Taufbundes stattfände.(359)
Jedoch entbehrt dies ganz des Schriftgrundes und ist überdies gefährlich für die jungen Seelen, weil sie gezwungen werden, in einer durch das Herkommen bestimmten Periode ihres Lebens ihren sogenannten Taufbund von sich aus zu bestätigen und damit aus sich etwas zu machen, was sie im Grunde nicht sind. Wie kann die Kirche den Menschen zwingen wollen, in einem gewissen Alter den sogenannten Taufbund zu erneuern? Welch ein Widerspruch mit der Lehre von der freien Gnade!
zu.356. De baptisnno, Contra Donatistas L. 3.
zu.357. Vgl. Calvin IV,19, § 4 und 13. Er klagt über die superstitio bei der röm-kath. Firmung. Chemnitz, im Examen Conc. Trid. lI, 3,§ 25 zeigt, in welchem Sinn die Evangelischen von „Konfirmation“ redeten, nämlich im Sinne der professio fidei.
zu.358. Nach Bellarmin, De confirm. 11 verleiht sie größere Gnade, als selbst die Taufe. Nach Cyprian (Ep. 73 ad Iubaianum) und Ambrosius (De sacramentis, Kap 2) lag in der Handauflegung eine gewisse Vollendung der Taufe.
zu.359. Also der Katechumene konfirmiert (erneuert) seinen Taufbund – eine törichte Umdeutung des Wortes
Wer sich nur nach dem, was er fühlt, richtet, der verliert Christus. (Martin Luther)

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§ 79. Das Passah und das heilige Abendmahl

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§ 79. Das Passah und das heilige Abendmahl

Durch die heilige Taufe, als den legitimen Ersatz für die Beschneidung, wurden wir in den Gnadenbund Gottes, der in Christus geschlossen wurde, rezipiert. Das Passah und das heilige Abendmahl dagegen nähren die Bundesgenossen. Des Passah Zusammenhang mit dem heiligen Abendmahl ergibt sich klar aus der evangelischen Geschichte. Christus war gerade mit den Seinigen vereint, um das Passah zu feiern, als er das sogenannte Abendmahl einsetzte. Das Passahlamm hatte vorzeiten in Ägypten dazu gedient, um den Würgengel durch sein Blut fernzuhalten von dem Volke Gottes, speziell um Israel vor der Tötung der Erstgeburt, welche Ägypten traf, zu behüten (2.Mose 12,11.12). Zum ewigen Gedächtnis daran sollte Israel in der Nacht des Auszuges aus Ägypten das Passahlamm essen und dabei stets seiner Erlösung gedenken. Passah bedeutet Verschonung, und so war das Lamm ein Unterpfand der Israel gewährten Verschonung, 2.Mose 12,13 (LXX: σκεπάσω). Wie alle alten Symbole, so hatte auch dieses Passahlamm einen deutlichen Bezug auf den kommen- den Erlöser.

1. Vermittelte das Lamm durch sein der Entsündigung dienendes Blut (2.Mose 12,7), dass Israel verschont wurde, und nicht dem gerechten Zorne Gottes verfiel.

2. War das Passah auch eine Wegzehrung für die schreckensvolle Reise. Es verschaffte das Lamm also 1. die Sühne oder Bedeckung des Sünders vor Gott durch sein Blut und 2. die Kraft, um bei der überkommenen Erlösung zu beharren. Ganz in dem gleichen Sinne heißt nun auch in 1.Kor5,7 Christus unser Passah, das für uns geschlachtet sei, insofern sein Blut zur Versöhnung oder Bedeckung der Glaubenden vor Gott geflossen, und insofern wir ihn zur Stärkung auf dem Weg in das himmlische Kanaan uns gereichen lassen. Jedoch hat es Christus nicht gefallen, unter Hinweisung auf das Lamm zu sagen: „das ist mein Leib“. Wenn Christus dies getan hätte, so würde er den Schattendienst des Gesetzes wenigstens in einem Hauptstück beibehalten haben; man hätte der Opfertiere, des Altars und der Priester bedurft, und man würde fortwährend über dem Schatten das Urbild der himmlischen Dinge, Christus selber, aus den Augen verloren haben. Es mußte eine Abänderung in den Akzidentien geschehen, ohne daß die Substanz verändert wurde. Statt des Passahfleisches nahm daher Christus, nach seiner Weisheit, Brot, und statt des beim Mahle gar nicht vorhandenen Passahblutes nahm er den vierten Kelch, den Kelch der Danksagung, der stets nach dem Mahl getrunken ward. Die Substanz, das Wesentliche des Passahs, als eines Gedächtnismahls der Erlösung aus dem höllischen Ägypten, soll den Christen gewahrt bleiben. Aber mit der Beseitigung der bisherigen Schatten sollen jetzt andere und zwar ebenso deutlich redende Bilder des gekommenen Erlösers und seines Heilsverdienstes zur Verwendung kommen. Hauptzweck bei dem alten und neuen Sakrament war und blieb die Beteiligung des Volkes Gottes an der Wohltat Christi, speziell an seinem Leiden und Sterben. Gleichwie man früher durch den Genuss des Passahlammes mit dem kommenden Erlöser in die engste Verbindung getreten, so soll man jetzt durch den Genuss des Brotes und Weines mit Christus, dem gekommenen, in die engste Verbindung treten als Glied an ihm, dem Haupte. 1.Kor 10,16. Zum Zeugnis dafür sagt Christus zuerst im Blick auf das Brot: „das ist mein Leib, der für euch gegeben wird“. Indem sie dies Symbol seines für sie dahinzugebenden Leibes essen, sollen die Jünger in die gleiche Verbindung mit Christus treten, wie kurz vorher durch den Genuss des Passahlammes. Wir lernen daraus: dass das Passahlamm und der Leib Christi von jeher in einer typischen Beziehung zueinander gestanden. In der zartesten Weise aber setzt Christus an die Stelle des bisherigen Symbols ein anderes, das sich durch leichtere Beschaffung empfahl. Er mutet den Jüngern dabei nichts besonderes zu. Das Symbol des Brotes will nur wieder dem gleichen Zwecke dienen wie das Passahlamm; es will hinweisen auf die Wahrheit selbst, d.h. Christi gebrochenen Leib. Mt 26,26; Lk 22,19; 1.Kor 11,24. Und ebenso macht Christus es mit dem zweiten Zeichen, das er selbständig hinzufügt.
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§ 79. Das Passah und das heilige Abendmahl

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Indem die Jünger den Kelch trinken, soll der Wein sie auf Christi Blut hinweisen; sie sollen dabei der Erlösung durch sein Blut inne werden. Beim Trinken dieses Kelches sollen sie denselben betrachten als ein Gefäß, in dem das Blut des neuen Bundes enthalten ist, dessen Inhalt dieser ist: Ich will ihrer Sünden und Ungerechtigkeit nicht mehr gedenken, vgl. Jer31,34; Hebr 8,12; Röm 11,27. Man sollte beim Trinken dieses Kelches inne werden und bekennen, dass man stehe auf dem Boden des ewigen Bundes, der seine Festigkeit dadurch erhalten, dass das Blut des Lammes Gottes hier geflossen, welches geschlachtet wurde, auf dass wir aus dem höllischen Ägypten erlöst seien (vgl. 1.Kor 5,7; Offb 13,8). Was nun besonders noch den Namen des Kelches angeht, so war dieser Kelch, dessen sich Jesus bei der Einsetzung des Abendmahles bediente, der übliche (vierte) Kelch der Danksagung für die an jenem Abend in der Erinnerung festlich begangene Erlösung. 1.Kor 10,16. So sollte man denn bei dem Trinken dieses Kelches, wie vormals, also auch fortan Gott und seinem Christus Dank und Lob sagen für die geschehene Erlösung. Beide symbolischen Handlungen sollen, wie Paulus und Lukas speziell nachtragen, zur Erinnerung an Jesus beständig wiederholt (1.Kor 11,24.25; Lk 22,19), also eben dahin gerichtet werden, wohin das Passahmahl zielte: die Herzen auf das Leiden und den Tod des Erlösers hinzuwenden.

Wir haben die organische Verbindung, in welcher die Austeilung des Brotes und des Kelches im Abendmahl mit dem Passahmahl steht, deutlich erkannt. Damit erleichtern wir uns das Verständnis des heiligen Abendmahles. Christus hebt die alten Vorbilder auf; aber weil er auch ferner mit unserem schwachen Glauben rechnen muss und diesen auch ferner durch Zeichen und Unterpfänder bekräftigen will, so gibt er durch die bedeutsame Handlung, die er mit dem Brot und Wein vornahm, abermals andere Wahrzeichen, welche auf seinen bevorstehenden Tod den Sinn der Jünger richten sollen. Das Sakrament des Abendmahls bewegt sich ebenso völlig auf dem Boden der Symbolik, wie das Passah(360). Man darf also nie zu der Annahme sich verleiten lassen, Christus habe eigentlich geredet und gemeint: das Passahbrot werde verwandelt in seinen Leib und der Wein werde verwandelt in sein Blut (transsubstantiatio) oder es trete eine Konsubstantiation(361) ein. Ersteres ist seit Paschasius Radbertus die römisch-katholische, dies die lutherische Ansicht. Es wäre geradezu unerklärlich, wie Jesus auf solche Wunderlichkeit, solche μετάβασις εἰς ἄλλο γένος, geraten wäre. Ja, es wäre sogar ein großer Fehler gewesen, ein Sprung sondergleichen. Zunächst war der Herr ja noch leibhaftig bei seinen Jüngern! Wie konnten sie da nur auf den Gedanken kommen, dass Jesus seinen Leib und Blut ihnen anders als in bildlicher, symbolischer Weise gebe? Wie man die Sache auch dreht und wendet, das erste Abendmahl war jedenfalls ein solches, bei dem Brot und Wein Zeichen und Siegel gewesen. Und waren damit nun die Jünger beim ersten Abendmahle zufrieden, so können und müssen auch wir es sein. (362) Ausdrücklich stellt Jesus ferner die leibliche Gegenwart unter seinen Jüngern in Abrede; er verneint, dass er dem Leibe nach bei ihnen bleiben werde, Joh 16,28; vgl. Mt 9,15; Joh 12,8. Eben deshalb setzt er auch dieses Mahl ein; wäre er im Abendmahl dennoch mit dem Leibe gegenwärtig, so wäre dasselbe kein Gedächtnismahl mehr, sondern man hätte eine Feier der Gegenwart des Leibes Christi auf Erden in der höchsten Potenz; endlich – es würde damit auch die Realität der Himmelfahrt aufgehoben sein. Dass man nun die Einsetzungsworte von Jesus später derartig missverstanden und eine lokale Gegenwart des Leibes und Blutes statuiert hat, ist ohne des Herrn Verschulden geschehen. Hätte Jesus solcherlei krasse Missverständnisse vermeiden wollen, dann hätte er auch in Joh 10,9 nicht sagen dürfen: Ich bin die Tür, oder 15,1: Ich bin der wahre Weinstock. Hier müssen wir eben den Boden, auf dem Jesus sich bewegt, streng im Auge behalten; es ist der symbolische. Auch die Propheten kennen diesen Boden. Ein Beispiel findet sich Hes 5,1-5 (363) . Der Prophet soll sein Haupthaar in drei Teile zerteilen, und die drei Teile sollen auf verschiedene Weise der Vernichtung überliefert werden. Ein Bruchteil vom letzten Drittel soll im Zipfel des Gewandes gebunden werden; dieser soll errettet werden. Von dieser symbolischen Handlung, die Hesekiel vornimmt, wird gesagt: das ist Jerusalem (5,5), d.h. dieser ganze Vorgang ist ein prophetisches Symbol dafür, wie es Jerusalem ergehen wird. Die Redeweise, wonach das Brot Jesus Leib ist, entspricht 1.Mose 17,13, wo die Beschneidung der Bund selbst heißt; in 2.Mose 12,11 vgl. V.43, heißt das Lamm des Herrn Passah; d.h. das Lamm ist ein Zeichen und Unterpfand der Verschonung (was 1523 von Zwingli siegreich im Kampf gegen die Altgläubigen verwendet wurde). Der Orientale behandelt eben das Bild oder Symbol vollständig gleich dem dadurch ausgedrückten Begriff selber. Das Symbol lebt vor ihm, und es findet kein so scharfer Unterschied statt zwischen dem Symbol und dem, was es bedeuten soll, wie bei den Okzidentalen.
zu.360. Über diese Mahlzeit vgl. Wichelhaus, Versuch eines Kommentars zur Leidensgeschichte, S. 106ff und über das tou/to evsti,n nächst Lightfoot, Horae hebr a. h. 1. neuerdings A. Wünsche, Neue Beiträge zur Erläuterung der Evangelien aus Talmud und Midrasch, S. 331.
zu.361. Oder etwa coëistentia, d. i. Mitwesenheit oder sunousi,a
zu.362. Mit Dorner hier Stufen in der Entwicklung des Sakraments anzunehmen, ist sehr charakteristisch für seine ganze Manier (II,2,853).
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§ 79. Das Passah und das heilige Abendmahl

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Werden nun aber damit, dass wir mit Paulus und Lukas von einem bloßen Gedächtnismahl reden, dieses Brot und dieser Wein zu Dingen, die nichts Besonderes dem Glaubenden zueignen? Gewiss nicht. Denn, wenn auch ein lokales Vorhandensein des Leibes und Blutes Christi von uns geleugnet wird, so stehen darum die Zeichen und das Bezeichnete doch nicht außer allem Zusammenhang miteinander. Vielmehr, indem Christus uns durch solche sprechende Bilder seinen für uns eintretenden Opfertod vor Augen führt, so wirkt er durch eben diese Bilder auf die gläubig Genießenden, und zwar durch seinen Geist, und gibt uns sich selbst zu genießen, so gewiss, als wir Brot und Wein auf seine Veranstaltung zu uns nehmen. Ja, wir dürfen sagen, dass Christi Fleisch und Blut im Abendmahl uns nähre zum ewigen Leben, indem der Genuss der Zeichen uns solches verheißt. Indem also Christus durch eine sprechende Handlung uns auf sein Heilsverdienst hinweist, so erfüllt er zugleich in unseren Herzen solche Verheißung.

Die hier vorliegende Redeweise Christi erhält erst dann volles Licht, wenn wir auf Joh 6 zurückgehen. In dieser Rede legt Jesus den Grund zum heiligen Abendmahl. Hier trägt er zum ersten Mal ausdrücklich Sorge dafür, daß dem Bedürfnis unserer Seele, Leben aus Gott durch Christus zu empfangen, Genüge geschehe. Der Seele Nahrung will Christus selber sein; er will ihre Speise und ihr Trank sein, d.h. also: nach der doppelten Richtung hin, in welcher der Mensch der Nahrung bedarf, will er uns nähren. Und zwar will er durch sein Fleisch und Blut die Seele geistlich nähren. Das Volk verlangte damals sichtbares Brot, ein Zeichen vom Himmel, gleich dem Manna Moses. Jesus dagegen sagt: das Brot, das Gott gibt,sei der vom Himmel Herabsteigende, V.33; und V.48 sagt er: Ich bin das Brot des Lebens. Also er ist das Himmelsbrot, die rechte Seelenspeise, das wahre Manna, vgl. 1.Kor 10,3.

Eine gleiche Bedeutung hat nun auch das Essen seines Fleisches, wozu Jesus geradeswegs V.51.53-58 auffordert. Nur wer dies sein Fleisch isst und sein Blut trinkt, hat das ewige Leben oder kürzer, nach V.57: „wer mich isset, der wird leben durch mich“; ein Ausspruch, der sich nahe berührt mit dem prophetischen und Paulinischen Satze: „der Gerechte wird aus Glauben leben“. Und als die Juden sich darüber zankten, wie das möglich sei, dass jemand dem andern sein Fleisch zu essen gebe, da sprach Jesus, um sie zum höheren Verständnis dieses seines Ausspruches anzuleiten: der Geist ist das Lebendig machende, Leben vermittelnde das Fleisch nützt gar nichts, V.63. Hiermit sagte er klar, nicht diesen meinen Körper, den ihr da seht, werdet ihr essen, sondern der Geist ist es auch hier, auf den ihr für das in Rede stehende Genießen und dessen lebendig machende Wirkung euer Augenmerk richten müsst. Also Jesu sichtbares Fleisch nützt dazu nicht!
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§ 79. Das Passah und das heilige Abendmahl

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Diese Zusage von Jesus, wonach er selbst die Speise der Seele ist, ward im heiligen Abendmahl in sehr wirksamer Weise erneuert und erhielt hier sicht- und tastbare Stützen. Die Seele bedarf ja der Gewissheit, der Bestätigung und Erinnerung: dass jene geistliche Speise, welche Jesus selbst ist, ihr wahrhaft zukommt, und auch für alle Zukunft ohne Aufhören ihr dargereicht werden wird. Jene geistliche Speise bekommt die Seele zunächst durch die Vermittlung des Evangeliums und die Wirkung des heiligen Geistes auf sie; aber die greifbare Bestätigung und Besiegelung, dass dies trotz aller Zweifel geschehen werde, bringt ihr der äußere Hergang beim Abendmahl. Hier geschieht durch die Vermittlung des heiligen Geistes eine Bekräftigung der überaus wichtigen Wahrheit, dass wir, die Glieder, in eins zusammenwachsen mit Christus, dem Haupte, (364) und zwar mit ihm, als dem für uns zur Vergebung der Sünden Gestorbenen, sowie behufs unserer Gerechtsprechung Auferstandenen (Röm 4,25). Und indem der Seele Mund, d.h. der vom heiligen Geist erleuchtete Verstand und geheiligte Wille, die Unterpfänder des Leidens und Sterbens Christi betrachtet, so haftet die Seele gar nicht so sehr an den äußeren Wahrzeichen, sondern durch den heiligen Geist wird sie mit dem gekreuzigten Leibe und dem vergossenen Blute Christi in eine für sie heilsame Verbindung gesetzt, 1.Kor 10,16, vgl. V.18, so dass wir davon leben und Kraft um Kraft aus dieser Verbindung schöpfen und zusammengehalten werden als ein Leib Christi, ja auch als solcher gereinigt und ernährt werden, Eph 5,23-32.
Denn dieser gebrochene Leib und dieses vergossene Blut nähren wirklich die Seele; davon lebt man; und der schwankende Glaube empfängt im Sakrament Zeichen, Siegel und Unterpfand solcher Speisung mit dem Fleische und Blute Jesus Christi (vgl. Heid. Kat. 76: vivificemur et gubernemur; Conf. Scot. I, Kap 21). Die leiblichen Nahrungsmittel sollen uns die geistlichen bekräftigen und die Gewißheit dieser geistlichen Ernährung und Förderung bis ins ewige Leben hinein in uns erhöhen.
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§ 79. Das Passah und das heilige Abendmahl

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Ferner kommt aber auch das heilige Abendmahl als ein Mahl der Gemeinschaft, als eine Kommunionsmahlzeit, in Betracht; der eine Leib des Herrn, den alle Glieder empfangen, verbindet sie alle zur Einheit eines Leibes. Darauf weist der Apostel in 1.Kor 10,17 hin. Die Tischgenossen sind Glieder eines Leibes, Christi, die alle Anteil haben an Christus und dessen Heilsverdienst. Als solche, die eine Körperschaft bilden, sollen sie gegen einander sich betragen; sie sollen sich solcher Gemeinschaft mit Christus würdig benehmen, 1.Kor 11,18-34.

Aus dieser Darstellung folgt zunächst, dass nur dann von dem Sakrament des heiligen Abendmahles fruchtbarer Gebrauch gemacht wird, wenn bei dem Genießenden Heilsverlangen vorhanden ist, d.h. ein wenn auch immerhin noch schwacher Glaube, der mit Reue verbunden ist, weshalb Paulus auch von jedem die Prüfung seiner selbst verlangt: 1.Kor 11,28. Es gilt ja nämlich bei diesem Mahle, des Herrn Tod, als für uns geschehen, zu verkündigen und nicht sich voll zu essen und zu trinken, wie gewisse Korinther im Leichtsinn taten. Die Ungläubigen erhalten nichts als leere Zeichen. Gleichwohl steht fest, dass sie wegen Profanation des Sakraments Christi sich selber ein Gericht bei diesem Essen zuziehen, wie es eben besonders die Korinther Gefahr liefen zu tun: 1.Kor 11,29. Sie verkennen, dass sie es mit dem sakramentlichen Leibe des Herrn zu tun haben, V.29. Dass man nun aber bei dem Genuss des Brotes und Weines besondere mysteriöse Empfindungen habe, ist nicht durchaus notwendig. Der Glaube hält sich auch ohne zu schmecken an das Wort; die Wirkung äußert sich hintennach, wenn es Not tut. Es bedarf hier nicht eines besonders hohen Wärmegrades der Empfindung; dieselbe als Bedingung des würdigen Genusses hinzustellen, würde Anleitung zur Schwärmerei geben. Die reformierte Lehre vom heiligen Abendmahl ist nicht aus Calvins oder gar Bezas Privatschriften zu entnehmen, sondern einzig aus dem allseitig approbierten Consensus Tigurinus (v.J. 1549), dieser großen Unionsschrift zwischen Calvin und den Ostschweizern. Dem Consensus Tigurinus bedeutet ἐστί, in den Einsetzungsworten Christi s.v.a. significat; es ist darin eben eine Metonymie enthalten (Kap 22). Kap 23 heißt es, daß wenn im heiligen Abendmahl durch den Genuß seines Fleisches und das Trinken seines Blutes Christus unsere Seelen nähre – per fidem, Spiritus sancti viertute – so sei damit durchaus keine Substanzeingießung gemeint, sondern dies sei gemeint: daß wir aus seinem einmal als Opfer dargebrachten Fleische und zur Versöhnung ausgegossenen Blute Leben schöpfen. Über diese Schranken ist auch Calvin in der expositio Consensus Tigurini nicht hinausgegangen (vgl. Niemeyers Ausgabe S. 214). Wenn Calvin in der C. Gallicana 36 den Ausdruck „Substanz“ gebraucht, so ist dies in solchem Ausmaß zu verstehen, als es der Consensus Tigurinus zuläßt. Bullinger (365) warnte die Genfer, besonders gegenüber Bezas Konnivenzen, vor unvorsichtigen Ausdrücken. Der Consensus Tigurinus bleibt auch für ihn die magna charta des reformierten Lehrbegriffs vom Abendmahle (vgl. Bullingers Brief im Corp. Ref. B. 45,S. 663 und ebendas. B. 43, S. 285.)

Die reformierte Lehre vom heiligen Abendmahl hat den besonderen Vorzug, daß sie die Kongruenz mit der Lehre von der Taufe nicht außer acht gelassen hat. Wie bei der Taufe das Blut Jesus Christi nicht substanziell anwesend ist und unsere Körper benetzt – ebensowenig darf beim heiligen Abendmahl von einer substanziellen Anwesenheit des Leibes und Blutes Christi geredet werden. Es muss hier wie dort genügen, dass die Kraft der res obsignatae durch den heiligen Geist, dem einzigen Quell aller lebendig machenden Wirkungen auf uns Menschen, der Seele angeeignet werde, an welcher Gabe dann zu seiner Zeit auch der Leib teilnehmen und zur Auferstehung am jüngsten Tage geschickt gemacht werden wird. Aber alles geschieht hier in den Grenzen, die der heilige Geist einzuhalten beliebt, welche eben weit hinausliegen über alles Sichtbare und Tastbare, aber darum doch ihrem hohen Zwecke, der sich auf Leib und Seele erstreckt, genügen.
zu.365Seine eigne Stellung zu dieser Lehre s. 2. Helvet. Conf. Art. 21
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§ 80. Von der wahren Kirche

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§ 80. Von der wahren Kirche(366)

Die Sakramente dienten der Stützung und Befestigung des Glaubens. Eine weitere Haupstütze für das Leben der in Christus Glaubenden liegt darin, daß Gott eine Gemeinschaftsform verliehen, innerhalb welcher die Aneignung des Heils geschieht.Diese Form heißt die Kirche oder Gemeinde, also genannt, weil sie aus solchen gebildet wird, die von Gott aus der Welt kräftig berufen sind (ἐκκαλέω) vgl. Heidelb. Katech. 54.Diese Berufenen sind aber zugleich die Gerechtfertigten und Verherrlichten (Geheiligten) nach Röm 8,30; ihr Haupt ist Christus, sie sein Leib; Eph 1,22.23; 4,15.16; 5,23-27; Kol 1,18. Die Braut des Lammes heißt diese Kirche, nach dem Vorgang des Hohenliedes, in Offb 19,7.8; 21,2.9; 22,17; oder auch das Haus Gottes: 1.Petr 2,5; 4,17; 1.Tim 3,15; Hebr 3,6. Gott wohnet in ihnen; er zieht mit und in ihnen, wie einst in der Stiftshütte; 1.Kor 3,16,17; 6,19. Die aus den Menschen (zu Erstlingen) Gott und dem Lamm Erkauften nennt sie die Offenbarung 14,4. Zu ihr gehören die lebenden und auch die bereits entschlafenen Glieder. Offb 6,9.10. Also was nur immer Christi Eigentum ist auf Erden und im Himmel, das steht in einer Verbindung und im harmonischen Zusammenhang mit einander. Ebenso harmonisch wie Haupt und Glieder vereint sind zu einem Leibe also verhält es sich hier. Christus, das Haupt, vermittelt solches durch den heiligen Geist: Eph 4,15.16. Das Vorhandensein einer solchen Kirche mit so absoluten Prädikaten ist nun freilich für das Auge nicht wahrnehmbar, weshalb der dritte Glaubensartikel sagt: ich glaube eine heilige allgemeine (katholische)(367) Kirche. Ihren Bestand als Ganzes, als Totalität, verbürgt uns also der Glaube, der Glaube in Christum, das Haupt. Bei alledem erfahren die einzelnen jedoch etwas von der Realität dieserVerbindung, welche Kirche heißt. Denn diese Kirche ist ferner, nach dem Apostolischen Bekenntnis, eine Gemeinschaft der Heiligen. Die Heiligen sind zu einem Teile aber sichtbare Menschen; es sind das die Gläubigen. Wir haben es hier also mit etwas Wahrnehmbarem zu tun. Was nun ein solcher Glaubender hat, das teilt er den anderen mit. Es gibt eine heilige Gütergemeinschaft unter ihnen, und niemand möchte allein gerettet werden, sondern auch dem Bruder Mut machen, zur selbigen Gnadentür zu gehen. Die Gabe des einzelnen, welche bald in diesem, bald in jenem Charisma besteht, wird in dieser Gemeinschaft verwertet zur Zurüstung und Herstellung des einen Leibes Christi, Eph 4,7-12.
zu.366. Vgl. für das Historische neuerdings : Hus, Luthers, Zwinglis Lehre von der Kirche, von Prof. Gottschick; in Briegers Zeitschrift für Kirchengeschichte, Bd. VIII, Heft 3f.
zu.367. Dies Wort catholicam fehlt den drei Recensionen Rufins.
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§ 80. Von der wahren Kirche

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Die Prädikate, die dieser Kirche oder Gemeinde Christi zukommen, hat das Konstantinopolitanische Symbol in passender Weise zusammengestellt. Sie sei 1. eine 2. heilige 3. katholische und 4. apostolische Kirche. Alle diese Prädikate sind der heiligen Schrift gemäß. Nehmen wir sie der Reihe nach durch:

1.(368) Die Gemeinde ist eine (μία); denn, so wenig als es mehrere Häupter oder mehrere Christi gibt (vgl. Eph 1,10), eben sowenig gibt es mehrere Leiber Christi (1.Kor 12,12; Eph 4,4). So wenig als es mehrere Grundsteine oder Christi gibt, eben sowenig gibt es zwei oder mehrere Häuser, die über diesem Grundstein errichtet wären. So wenig als es mehrere Arten des Glaubens in Christus gibt, ebenso wenig gibt es verschiedene Glaubensgemeinschaften, in denen der wahre Glaube sich fände. Zugleich werden durch dieses Prädikat der Einheit alle Glaubenden von Adam an als Glieder einer Kirche zusammengefasst nach Apg 15,11; Eph 2,20; vgl. Hebr 11.(369)

2. Diese Gemeinde ist heilig: das ist sie durch den heiligen Geist, der sich für gewöhnlich bei seiner Tätigkeit der Predigt des Wortes und der Bekräftigung dieses Wortes durch die Sakramente bedient; Joh 15,3; Eph 1,6; 5,26.27; vgl. Tit 2,14; Joel 3,22; Jes 33,24; 35,8; Sach 14,20.21.

3. Katholisch ist diese Gemeinde oder allgemein; denn kein Land, keine Nationalität kann ihrer Verbreitung hinderlich sein. Ungeachtet aller menschlichen Verschiedenheit begreifen die Kreise, die von dem Zentrum, Christus, aus gezogen werden, allerlei Völker und Zungen unter sich und scharen sie um das Zentrum, Christus. Das gemeinsame Erkennungszeichen dieser vom Nordpol bis zum Südpol(370) sich erstreckenden Gemeinde ist das von Jesus angegebene Joh 10,16,27: „Meine Schafe hören meine Stimme“. Sie alle bringt Jesus zusammen und bewirkt also, dass ein Hirte und eine Herde sei (V.16), ein Wort, welches nicht erst in einem noch zu erwartenden Millennium Wahrheit werden soll, sondern immerdar schon Wahrheit ist in Christus.

4. Endlich heißt die Gemeinde apostolisch. Sie ruht nämlich auf dem Fundament der apostolischen und prophetischen Verkündigung, mit Jesus Christus als dem Eckstein. Eph 2,20. Der Apostel trennt hier die Grundmauer und den Eckstein; und von der Grundmauer, auf der das Haus steht, nennt er die zunächst dem Blick sich darbietenden Apostel zuerst; dann die Propheten, deren Schriften wir besitzen, und endlich den sie alle tragenden und um sich vereinigenden Grundstein, Christum (vgl. Eph 4,11).
zu.368. Im allgemeinen vgl. Maresius 1 c.XV,14: Habet quidem ecclesia nomen a vocatione, sed ab ea, quae fluit a praedestinatione, et ei corpori mystico sua insunt organa vitae et operationis spiritualis, nempe Sipiritus s. et fides aliaeque virtutes theologicae et morales, quae ab ipsa electione fluunt.
zu.369. Vgl. Olevian, De substantia foederis gratuiti, IX, § 16 u. 2. Helv.Conf. 18.
zu.370. Augustin sagt: Peregrinatur: a solis ortu usque ad occasum laudans unum Dominum.
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Jörg
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§ 80. Von der wahren Kirche

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Diese eine, heilige, katholische, apostolische Gemeinde, zu der alle wahrhaft Glaubenden gehören, erlebte, erlebt und wird die gleichen Schicksale erleben, wie ihr Herr und König. Wie es dem Haupte ergeht, also ergeht es auch den Gliedern. Joh 15,20; 1.Petr 41,13f: Sie wird verfolgt, gehasst von der Welt um des Namens Jesus willen. Joh 15,18.19. Ihre Feindschaft wider den Herrn und Meister, Jesus, wird diese Welt auslassen an dessen Jüngern : Mt 10,16-25.(371)

Demgemäß ist die Kirche eine streitende (militans) und dann erst eine siegende (triumphans) nach den zwei Ständen Christi, ihres Herrn. Bei aller Herrlichkeit, die von der Gemeinde auf Erden schon prädiziert wird, ist Leiden der schwarze Hintergrund (Röm 8,17; 1.Petr 4,13), von dem sich die Herrlichkeit dann um so strahlender abhebt. Von Frieden ohne vorgängigem Kampf kann nicht die Rede sein. Besonders töricht ist es, von stetigem Frieden zu träumen, wo doch Paulus sagt: dass mit dem Teufel und seinem Heer der Kirche wie dem einzelnen ein schwerer Kampf beschieden sei, Eph 6,11.12; 1.Petr 5,8.9; Jak 4,7. Ein allgemeiner Abfall vor der Wiederoffenbarung Jesu ist nämlich stehende Lehre Christi, von Paulus und auch schon den Propheten; Sach 14; 2.Thess 2,3-10; Mt 24,23.24; endlich Offb 20,7.8. Die Mahnungen zu wachen, in Mt 24,44-51; 25,1ff.; Lk 12,42ff. gelten allen Zeiten. Als die Spitze des Abfalls schaut Paulus den a;nomoj, den Menschen der Sünde, d.i. also den Antichrist. Der Antichrist ist nicht eine Einzelpersönlichkeit, die einmal am Ende der Zeiten erscheinen wird,(372) sondern ein Kollektivbegriff; es gab schon zur Apostelzeit viele Antichristen, 1.Joh 2,18. Auch Paulus sagt, daß im Geheimen schon damals das antichristliche Treiben begonnen habe, 2.Thess 2,7; nur dass es noch niedergehalten werde von einem kate,cwn, was nichts anderes, als das Wort(373) der apostolischen Predigt ist. Sobald aber und in dem Maße als dieser Hemmschuh des antichristlichen Wesens, das Wort, zurückgedrängt werde, trete auch der Antichrist hervor. Paulus hält sich bei der Schilderung des Antichristen zunächst an die Schilderung Daniels (11,36), gibt aber dabei deutlich zu erkennen, dass es ein innerer Feind sein werde, ein Feind, der mit geistigen Mitteln kämpft, und sich, gleich den Aposteln, mit Zeichen und Wundern umgeben würde, wodurch er die Verloren gehenden betrügen werde. V.9 und 10. Es fasst Paulus mit diesem persönlich und individuell geschilderten Antichrist alles dasjenige in einen Brennpunkt zusammen, was, mit großer geistiger Macht und Gewalt über die Menschenseelen begabt, sich fort und fort neben und gegenüber Christus zu behaupten wissen wird in der Welt bis dass Christus es vernichten wird. V.8 (vgl. Jes 11,4).
zu.371. Für den Ausdruck: Seid klug (vorsichtig) wie die Schlangen etc. ist folgendes wichtig. Eine Brillenschlange entkam in München aus ihrem Käfig und ward erst in ihrem Versteck tot gefunden, als man das Haus mit Schwefel ausgeräuchert hatte.
zu.372. Dies statuiert fälschlich die römisch-katholische Kirche, die seine Ankunft gegen das Ende der Welt hin erwartet. Bellarminus, de pontifice 1. 3, Kap 2. Vgl. dagegen S. Maresius, Dissertatio de Antichristo, Amsterdam 1640.
zu.373.Auf dieses „Wort“ passt sowohl das Neutrum τὸ κατέχον (etwa ῥῆμα), als auch ὁ κατέχων (etwa λόγος) in Vers 6 und 7. Für den Sinn des κατέχειν ist wichtig Plutarch, Vita Demosthenis Kap. 20, wonach der Perserkönig dem Redner Demosthenes Geld geschickt haben sollte, als der allein imstande gewesen durch Erregung von politischen Wirren κατασχεῖν τὸν Μακεδόνα, d. h. dem Macedonier Philipp Hindernisse zu bereiten. Dies geschah durch die Reden des Demosthenes.
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§ 80. Von der wahren Kirche

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Die Bestie in der Apokalypse ist mit dem Antichrist, dem ἄνομος in 2. Thess. 2, identisch. Johannes beschreibt sie Kap. 17,8.11 als etwas, das da war, das nicht ist, – weil eben jetzt noch ein κατέχων da ist – 2. Thess. 2,7 – aber es wird kommen (καὶ πάρεσται oder text. rec. καίπερ ἐστίν), und ins Verderben gehen (καὶ εἰς ἀπώλειαν ὑπάγειν). Diese Bestie ist ebenfalls das antichristliche Wesen und hat nach Kap 13 den Pseudopropheten zum Genossen, der Wunder verrichtet, um die auf Erden Wohnenden irre zu führen. In Kap 17 stellt sich das Tier in den Dienst der Weltmacht und reizt diese gegen das Lamm. (V.13ff.). Johannes sieht ein erstes, solches Überwiegen der Bestie in naher Zukunft voraus;(374)Christus (Kap 19,20) macht der Herrschaft dieses Tiers ein Ende; aber solches wiederholt sich dann in der Kirche Christi. Die Bestie selbst, wie Johannes sie schildert als Tier (13,2), ist nicht die Hauptsache – aber wohl das, was sie sodann charakterisiert. Das charakteristische der Bestie ist: daß sie war; daß sie nicht ist wo Gottes Wort gegen sie reagiert – aber daß sie kommen wird, um ins Verderben zu gehen.(375) Dies ist die Signatur der Bestie in der Kirche Christi. Bei solcher Warnung des Apostels ist natürlich an Frieden nicht zu denken.

Dennoch aber ist die Kirche als die streitende zugleich auch die siegende. Das Vorhandensein des erhöhten Propheten, Hohenpriesters und Königs im Himmel ist die alleinige Bürgschaft dafür, dass die Kirche siegen wird auf Erden. Ferner: ihr Glaube ist der Sieg, der die Welt überwunden hat. 1.Joh 5,4. Für diesen Sieg hat die Gemeinde die größten Verheißungen. Zunächst gilt ihr schon da, wo sie aus Zweien oder Dreien, die aus der Welt berufen sind, besteht, das Wort, dass Jesus „mitten unter ihnen“ sei. Mt 18,20. Sodann hat Christus den Jüngern und in ihnen der Kirche gesagt: Ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt, Mt 28,20. Ferner hat Jesus von der Gemeinde Mt 16,18 gesagt: „die Pforten der Hölle“, d.h. also ihre ganze List und volle Gewalt, würden sie nicht überwältigen. Wenn es nun zuvor heißt: Du bist Petrus, und auf diesen Felsen will ich mir die Gemeinde bauen, so ist damit die Zukunft der Kirche Christi nicht auf einen Menschen gegründet. Es wird damit – schon nach der Auslegung von Kirchenvätern(376) und Reformatoren – Petrus wegen seines Bekenntnisses zu Christus, als dem Sohne Gottes, die Zusage gemacht, dass er als Bekenner Jesus ein hervorragendes Felsstück sein solle, auf dem Jesus seine Gemeinde aufzuerbauen willens ist, natürlich mit Einschluss der übrigen Apostel (siehe Mt 18,18). An Petrus wird hier bloß exemplifiziert, was allen gilt(377). Jesus sagt hier nur das Gleiche, was Paulus in Eph 2,20 von den Aposteln und Propheten als der Grundmauer der Gemeinde sagt, wobei Christus der Eckstein ist; vgl. 1.Petr 2,6.
zu. 374. Die historische Situation ist schwer zu enträtseln.
zu.375. Die Bestie ist eine Parodie auf Jahwe-Christus (s. Kap 1,8 vgl. mit 17,8). Der Bestie Auftreten gehört nicht etwa bloß der Endzeit an (gegen Thomasius a.a.O. III, 2, 459).
zu.376. Über Augustins Ablehnung der Infallibilität des Petrus und die des römischen Bischofs überhaupt, s. Reuter, Augustin. Studien V, in der Zeitschrift für Kirchengesch; VIII. S. 187. S. 159-163.
zu.377. Döllinger hat in seinem Schreiben an den Erzbischof von München, wie schon ehemals die Schmalkaldischen Artikel, S. 345, darauf hingewiesen, daß Mt 16,16f. und ähnliche Stellen von den Kirchenvätern ohne Ausnshme in einem von den Vatikanischen Dekreten (des J. 1870) völlig verschiedenem Sinne ausgelegt worden seien; bes. auch Lk 28,32. Jene Dekrete sind also häretisch.
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Noch andere Verheißungen gibt es für die Kirche, die wir aus den Zusagen, die Gott der Gemeinde Israel, oder seinem Zion macht, entnehmen dürfen, z.B. in Ps 45; 46,4.5; Jes 33,24; Kap 35; Zef 3,12ff.; Jer 31,36-40 u. a.; endlich auch das Hohelied.

Wo aber, so fragen wir, ist nun diese Gemeinde, die eine, heilige, katholische und apostolische? Ist sie mit Fingern aufzuweisen, kann man ihre Glieder zählen? Die Antwort lautet: man kann ihre Glieder nicht zählen, noch auch äußere untrügliche Kennzeichen für ihre Existenz an einem gewissen Orte angeben.

Da fragt es sich aber, wenn die Kirche unsichtbar ist, wie kann da noch von einer Gemeinschaft die Rede sein, welche sie vermitteln soll, wie kann sie die Form sein, in der die Aneignung des Heils geschieht? Widerspricht nicht die Unsichtbarkeit dem Begriffe der Form? Hier ist nun zu bemerken, dass das Prädikat „unsichtbar“ von der Kirche in ihrer Totalität ausgesagt wird. Das Ganze der Kirche tritt vor dem jüngsten Tage nicht an die Sichtbarkeit und ist nicht mit Händen aufzuweisen; das Ganze als solches ist nur Gott bekannt, 2.Tim 2,19. Damit ist jedoch nicht ausgeschlossen,dass diese Kirche, als zum Teil aus sichtbaren Wesen gebildet, hier und da bruchstückweise und gleichsam inselartig in Erscheinung tritt. Es kann ja geschehen, dass verwandte Seelen sich finden, und hier nun die im großen und ganzen unsichtbare Kirche, einem kleinen Bruchteile nach, wahrhaft vorhanden ist in der Welt. Da kann es vorkommen, dass nur zwei oder drei sich zusammenfinden, oder dann mehrere: immer ist Christus nach seiner Verheißung in ihrer Mitte. Wo aber Christus ist, da ist auch seine Gemeinde (ubi Christus – ibi ecclesia) und umgekehrt, vorausgesetzt, daß von der wahren Kirche, derjenigen der Erwählten (praedestinati oder iusti), die Rede ist. Ja, solange als nur ein einziger Glaubender noch auf Erden vorhanden ist, wird die Kirche bestehen bleiben; denn um ihn können sich viele andere sammeln; er kann andere durch sein Zeugnis gebären. Gal 4,19. Dabei erinnern wir an die Einsamkeit eines Noah, Abraham, David usw. So ist denn die unsichtbare Kirche nicht etwa mit einem idealen platonischen Staate zu verwechseln; sie ist kein Hirngespinnst (Utopie), sondern die Sichtbarkeit wird hier nur insofern negiert, als diese Kirche nicht hinsichtlich ihres Bestandes handgreiflich uns vor Augen liegt und hier auf Erden an einen Ort gebunden erscheint.
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Diese wahre Kirche ist also die Gemeinschaftsform, innerhalb welcher sich die Aneignung des Heilsverdienstes Christi kraft des heiligen Geistes vollzieht. Der Glaube an das Vorhandensein solcher Kirche (den der dritte Glaubensartikel fordert) steht und fällt mit dem Glauben an Christus, den lebendigen König seiner Gemeinde. Dieser Glaube garantiert uns, dass dennoch alles Wahrheit ist, was die heilige Schrift von dieser Kirche und der Gerechtigkeit und Heiligkeit der wahren Glieder derselben sagt – wenn wir auch äußerlich davon nichts sehen sollten. Zahllose Gefahren bedrohen diese Kirche; ja, die sich ihres Namens rühmenden falschen Glieder sind weit in der Überzahl und rühmen, als ob sie die rechte Kirche wären. Dennoch versichert uns der Glaubensartikel von der Kirche, dass dieselbe, als das auf einen Felsen gebaute Haus, bleiben wird und, wie auch immer in ihren Gliedern verkannt und verworfen, dennoch wohl bestehen wird mit ihren Brünnlein, d.i. den lieblichen Heilsverheissungen Gottes, bis auf den Tag Christi. Ps 46,4-5.(378) Eher müsste man Christus aus dem Himmel reißen, bevor man es dahin bringen wird, den Leib Christi, die eine, allgemeine Kirche zu zerstören; selbst die Pforten der Hölle werden sie nicht überwältigen. Mt 16,18. Das also ist die Frucht von diesem Glaubensartikel: „ich glaube eine, heilige, allgemeine Kirche“, dass der Erwählte auch schon der Gemeinschaftsform, in der er leben darf, und des ewigen Bestandes derselben, ohne alles eigene Verdienst und Würdigkeit, von vornherein gewiss sein kann.(379) Er wird nicht allein(380) gelassen werden, sondern er hat Brüder und Schwestern, und wohl auch einmal in Menge; er braucht sie nur zu suchen dadurch, dass er sein Licht recht leuchten lässt und es nicht unter den Scheffel stellt oder sein Pfund im Schweißtuch vergräbt. Sei der einzelne Gläubige seiner guten Sache nur recht gewiss, alsdann hat er bald Genossen zur Rechten und zur Linken, Jes 54,1-3; 60,4.22
zu.378.378. Dazu kommen Verheißungen, wie Jes 59,21; 55,1-3; 33,24. Die Offenbarung schildert sie Kap 21 und 22 in sehr absoluter Weise.
zu.379. Vgl. Olevian, De substantia foederis gratuiti I,9, § 2.
zu.380. Vgl. Elia, 1.Kön 19,18; Röm, 11,3.
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§ 81. Von der sichtbar organisierten Kirche

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§ 81. Von der sichtbar organisierten Kirche

Jesus Christus fand die wahre Kirche, von der § 80 handelte, vor im Hause seiner Eltern und bei allen, die auf den Trost Israels harrten. Lk 2,38. Er kam nur als das sichtbar werdende Haupt zu seiner wahren Gemeinde auf Erden, um an ihr die Verheißungen zu erfüllen, von deren Erfüllung sie gelebt, ehe sie noch durch die Inkarnation des Logos erfüllt waren. Christus ist also nicht bei seinem Erscheinen auf Erden als Stifter der wahren, oder der sogenannten „unsichtbaren“ Kirche zu betrachten, aber auch die sichtbar organisierte Kirche hat er nur mittelbar ins Leben gerufen. Es geschah vielmehr zufolge innerer Notwendigkeit, dass diejenigen, welche gemeinsam ihren Glauben an den Erlöser bezeugten und sich der Sakramente bedienten, auch gewisse Erscheinungsformen annahmen. Dieser ersten Versammlung der Gläubigen hat Jesus nun nicht im voraus solche besondere äußere Formen auferlegt. Formen mochten sie sich hinterher schaffen unter Leitung des heiligen Geistes. Wohl aber hat Jesus, wo die Gelegenheit sich bot, allerlei Prinzipien ausgesprochen, welche dort in Kraft treten sollten, wo immer die wahre Kirche eine feste äußere Gestalt annehmen, m.a.W. wo eine sichtbar organisierte Kirche entstehen würde. Man kann diese Kirche die ecclesia late dicta, die wahre dagegen die ecclesia proprie dicta nennen.(381)


Aus allerlei Merkmalen ergibt sich, daß es Jesu Wille war, dass Gute und Böse in bunter Mischung um die von ihm erworbenen Heilsgüter sich scharen und zu einer äußerlich organisierten Gemeinschaft sich sammeln sollten. Die Parabel vom Säemann und dem vierfältigen Ackerboden, vom zwiefachen Samen, die Parabel vom Netz, das mit guten und faulen Fischen angefüllt ist, Mt 13,18ff. 47ff. zeigen uns, daß Jesus nicht beabsichtigte, eine Gemeinschaft der Heiligen auch im Äußeren darzustellen, wie früher die Donatisten, jetzt die Darbisten wollen. Die Aussonderung der Guten von den Bösen soll dem letzten Gericht vorbehalten bleiben. Mt13,49. Und so hat denn Jesus alles so eingeleitet, dass neben der wahren Kirche, der ecclesia proprie dicta, die er vorfand und deren Glauben er stärkte, auch wie immerdar zuvor – eine sichtbare Kirche, eine ecclesia visibilis sive late dicta, ihr Bestehen habe. Neben jener ersten tritt, zum Teil über sie hinausgreifend, zum Teil sie in sich schließend, aber ohne jemals sich mit ihr zu decken, diese zweite in der Welt auf.
zu.381. Die Apologie Melanchthons S. 152 redet von der ecclesia proprie dicta und large dicta.


Diese sichtbar organisierte Kirche hat nun äußere Kennzeichen, woran man merken kann, ob sie eine solche ist, wie Christus sie gewollt hat, eine solche, von der man gewiss voraussetzen kann: es sei mitten unter der Spreu auch der Weizen daselbst vorhanden; m.a.W. neben den Namenchristen seien ganz gewiss auch wahre Christen zu erwarten. Diese Kennzeichen der Kirche sind:

1. dass sie durch Gottes Wort sich leiten und regieren lässt, und selbiges rein und lauter verkündigt;

2. dass sie die Sakramente nach Christi Einsetzung verwalten lässt;

3. dass sie die Kirchenzucht handhabt.

Diese drei Merkmale oder Charakterzüge sind biblisch, apostolisch und in der reformierten Kirche rezipiert.(382) Nur wo sie sich finden, ist auch die sichtbar organisierte Kirche eine apostolische und Christus gemäße. Wo selbige Kennzeichen sich nicht finden, da ist zwar die Hoffnung, dass Glieder der wahren Kirche da seien, nicht aufzugeben, aber dieselben sind dann daselbst mehr trotz des Dienstes dieser Kirche, als kraft desselben vorhanden.
zu.382. Unsere wichtigsten Symbole nennen drei notae ecclesiae; vgl. Conf. Gallic. Art. 33; Conf. Belg. 29; die Thorner Deklaration im Art. von der Kirche; auch die 2. Helvet. Conf Art. 18 und selbst die 1. Helvet. Conf. Art. 14 im deutschen Text erwähnen die Zucht.
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Aus folgenden Zeugnissen der Schrift ergeben sich obige drei Merkmale der Kirche. Aus Jesu Munde haben wir den direkten Befehl Mt 28,19.20, aus welchem hervorzuheben ist:
1. dass es heißt: lehrt sie alles beobachten, was ich euch aufgetragen habe; 2. ist wichtig in V.19 das Wort: „machet zu Jüngern“ und 3. das Taufgebot. Für die Praxis der ersten apostolischen Kirche ist bezeichnend Apg 2,42, wo das Festhalten an der Lehre der Apostel sowie das Verharren in der brüderlichen Gemeinchaft und im Gebet bei der Pfingstschar hervorgehoben wird.


Was nun die Zucht betrifft(383), so wird sie im Grunde schon von den zwei zuerst genannten Merkmalen mitumfaßt, und daher werden von manchen reformierten Symbolen auch nur zwei notae ecclesiae angegeben. Die Verkündigung des Wortes Gottes nämlich und die schriftgemäße Verwaltung der Sakramente bringt es schon von selbst mit sich, das die Unwürdigen gestraft, aus der Gemeinde ausgeschlossen werden oder sich selbst ausschließen. Aber dennoch ist die Zucht wegen ihres hohen Gewichtes für die Erhaltung der Kirche als ein besonderes drittes Kennzeichen derselben anzusehen. Jesus Christus selber hat sie wenigstens angedeutet: Mt 18,15-18. Nach dieser Weisung handelte Paulus, als er an jenem bekannten Sünder in Korinth durch die Vermittlung der Gemeindevorsteher die Zucht zur Geltung brachte, 1.Kor 5,3-5, und er freut sich im 2. Briefe Kap 7,11.12 des Erfolges dieser von der Gemeinde geübten Zucht. Die Zucht als nota ecclesiae ist ganz speziell noch aus dern Binde- und Löseschlüssel, den Jesus den Aposteln gab, abzuleiten.

Die sogenannte Schlüsselgewalt bedeutet nach dem zugrunde liegenden Bilde eines οἰκόνομος (vgl. Jes 22,22), daß die damit Betrauten den Schatz der Heilsverdienste Christi öffnen oder verschließen sollen.(384) Es kann dies nun erstlich ganz im allgemeinen dadurch geschehen, daß von den Trägern dieser Gewalt den auf sie Angewiesenen durch die Predigt des Evangeliums und Einschärfung aller guten damit zusammenhängenden Ordnungen der rechte Weg zum Himmelreich gewiesen wird (s. Heid. Kat. Fr. 84). Zweitens aber wird diese Gewalt noch speziell dadurch geübt, wenn diejenigen, welche dazu berufen sind, die hartnäckig Widerstrebenden auch zeitweilig oder definitiv aus der Kirche ausschließen, bis sie wahre Besserung verheißen und erzeigen (Heid. Kat. Fr. 85). Wem also jener Schatz der Verheißungen von den Verwaltern desselben verschlossen wird, dem werden natürlich auch die Sünden behalten; wem er offen gestellt wird, dem werden sie vergeben und nicht nachgetragen. Also kommt dem, der die Schlüsselgewalt hat, vor allem auch dies zu, dass er Sünden vergeben, oder behalten kann, was dann Joh 20,23 besonders urgiert wird. Dabei ist zu beachten: dass nach Mt 18,18 der Himmel, d.h. Christus, in letzter Instanz bindet und löst, also ratifiziert, was die Jünger auf Erden tun, und dass daher nicht der Hausverwalter so hohe Dinge aus sich selber tut; der letztere kann nur in Übereinstimmung mit seinem Herrn diese Befugnis recht und heilsam ausüben. Von einem Bußsakrament (sacramentum poenitentiae) und einer besonders wirksamen Absolutionsformel, die der Geistliche anzuwenden hätte, ist der Gemeinde Christi laut der Bibel keinerlei Auftrag zuteil geworden.(385) Die Folgen dieser Sündenbehaltung, oder die Stufen der christlichen Bußzucht, sind gradweise verschieden; der äußerste Grad ist die Ausschließung aus der Gemeinde (excommunicatio, Bann); darauf deuten die Stellen Mt 18,15-17; 1.Kor 5,5; 1.Tim 1,20. Daß man nach Mt 18,17 den betreffenden Sünder als einen Heiden und Zöllner betrachten soll, bedeutet die Ausschließung aus der Gemeinde. Das Gleiche bedeutet die 1.Kor 5,5 erwähnte Übergabe des Sünders in die Gewalt des Satans,(386) der ja außerhalb der Kirche sein Werk hat in den Kindern des Ungehorsams. Eph 2,2. Diese Exkommunikation oder Ausschließung aus der Gemeinschaft hebt dann Paulus selber wegen bewiesener Reue von Seiten des Sünders wieder auf, 2.Kor 2,6.7, woraus die Möglichkeit der Wiederaufnahme bußfertiger Sünder folgt. Ein gelinderer Grad ist die Ausschließung von den Sakramenten, s. Mt 7,6.
zu.383. Über sie handelt am ausführlichsten Voetius, Politicae ecclesiasticae. p. III, L. IV, tract. 2-4.
zu.384.Binden und Lösen kommt im Talmud gleichfalls vor; ersteres bedeutet verbieten, letzteres erlauben. S. d. Kommentare und Wünsche, Erläuterungen aus Talmud und Midrasch zu Mt 16,18.
zu.385. Die Absolution ist lediglich ein actus ministerialis et denuntiatorius, und keine absolute oder ex opere operato wirkendo Formel – dies ist die allgemein anerkannte reformierte Lehre. Es gab kein Beichtformular in der Pfälzer Agende v. 1563.
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Dieser sichtbaren Kirche hat nun Jesus selber gar nicht eine bestimmte Organisation und Verwaltung verliehen, oder ihr gar Bischöfe und Päpste bestellt. Alle Vollmachten, die Jesus seinen Jüngern gelegentlich gibt, erteilt er ihnen nicht als zukünftigen Hierarchen oder Kirchenfürsten, sondern als Repräsentanten seiner Gemeinde oder des zwölfstämmigen geistlichen Israel. Als der erste Kern und Grundstock der Gemeinde erhielten die Jünger die Befugnis, zu lehren, die Sakramente zu verwalten, endlich zu binden und zu lösen. Die Gemeinde in Verbindung mit ihrem Haupte Christus ist Inhaberin oder Trägerin aller Vollmachten, nicht aber die Institution der Hierarchie, die über den Gemeinden stünde. Die claves regni coelorum beruhen in erster Linie bei der christlichen Gemeinde. Und zwar ist nicht der lebendigen Gemeinde ein abstrakter Begriff der Kirche unter zuschieben und mit jenen Vollmachten zu betrauen, gleich als ob eine Abstraktion Trägerin von Vollmachten sein könnte. Jene claves regni coelorum auf sich zu nehmen, sind nur lebendige Menschen im Stande, nimmermehr aber ein toter Begriff, der leider vielen heutzutage vorschwebt, wenn sie von der „Kirche“ reden. Die Apostel haben also, was schon die an Jakobs Söhne erinnernde Zwölfzahl andeutet, die Gemeinde in Jesus Umgebung vertreten. Sie, als Erlöste Jesus Christi und als Glieder an ihm, dem Haupte, haben zuerst dafür gesorgt, daß das Wort Gottes verkündet, die Sakramente verwaltet und Zucht geübt werde, vgl. besonders Apg 5; 6; 15. Und diese Vollmachten übten sie aus im Namen Jesu Christi, zum Wohle der Gemeinde, als besonders durch Christus erwählte und vorbereitete Glieder, um die Gemeinde herzurichten und aufzuerbauen. 1.Kor 12,28. Nicht als über der Gemeinde Stehende und über sie Herrschende (1.Petr 5,3) predigen und handeln sie, sondern als damals besonders von Christus vorbereitete Rüstzeuge aus der Gemeinde Jesus Christi. 1.Kor 4,1. Dabei haben die Apostel etwas Besonderes vor allen anderen Christen voraus. Was die Apostel auszeichnete war:

1. Das sie Augen- und Ohrenzeugen insbesondere der Auferstehung Christi waren Lk 24,47; Apg 1,3.8; 1.Kor 15,4-9; vgl. Hebr 2,3; 1.Joh 1,1ff.

2. Sie sollten richten die zwölf Geschlechter Israels, Mt 19,28, ein ministerium judiciale üben sie, auf Grund des Wortes treffen sie Anordnungen über alles, was die Gemeinde betrifft.

3. Sie waren ministri universales totius ecclesiae, mithin für das ganze Menschengeschlecht; überall legten sie den Grund der Kirche und riefen die Welt zum Gehorsam des Glaubens(387). (Mt 28,19 vgl. Apg 1,8.) Der Apostel heilsgeschichtliche Funktion und über den ganzen Erdkreis sich erstreckendes Amt wurde aber nicht wieder auf Apostel übertragen. Nur ihre regelmäßigen, zur Erbauung der Gemeinde immerdar nötigen Funktionen wurden auf andere übertragen, nicht die außerordentlichen. Einen Nachfolger im strengen Sinn des Wortes erhielt nur Judas, und diese Wahl (Apg 1,26) ist wie diejenige des Paulus (Gal 1,1) Menschen gänzlich aus der Hand genommen gewesen. Kurz, die Apostel machen das qeme,lion aus: ihre Stellung ist eine ebenso unerreichte, wie etwa die Stellung und der Rang der drei Patriarchen; nach ihnen kommen gleich die übrigen Steine, die zum weiteren Ausbau des Hauses Gottes dienen. Eph 2,20.21.
zu.387 Über den Vorrang der Apostel s. Voetius, Politicae ecclesiasticae I, S. 874, II, S. 351ff.
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