Hallo Samuel,
die Tatsache, dass du etwas nicht gleich verstehst, sollte dich nicht verbittern, sondern demütig machen. Die Bibel ist ziemlich dick, da gibt es genug Sachen, an denen man für den Rest seines Lebens Dinge lernen kann. Ein paar persönliche Fragen zur Selbstprüfung, auf die du hier nicht antworten sollst:
1. Wie oft hast du den Brief durchgelesen, bevor du deine Frage hier gestellt hast?
2. Wieviele Bibelstellen hast du zu dem gleichen Thema betrachtet und wie intensiv?
3. Wieviel hast du darüber gebetet, bevor du deine Frage hier gestellt hast?
4. Mit wievielen Christen in deinem Umkreis hast du darüber gesprochen, bevor du hier gefragt hast und wie ausführlich?
5. Wieviel hast du zu deiner Frage schon recherchiert?
6. Wieviel Recht hast du demzufolge, eine sofortige Antwort zu bekommen?
Wir sind eine Instant-Gesellschaft, davon bin ich auch beeinflusst. Alles muss sofort da sein, ob Nahrung, Unterhaltung oder Antworten auf Fragen. In diesem Forum hat aber niemand eine Festanstellung und deshalb noch ein Leben außerhalb des Internets - da kann es dann mal dauern, bis Fragen beantwortet werden und da muss man dann Geduld mitbringen. Jeder, der hier einen Beitrag schreibt, könnte die aufgebrachte Zeit (und das ist oftmals nicht sehr wenig), auch für andere Dinge aufwenden, wie persönliches Bibelstudium, Entspannen, Zusammensein mit der Familie, etc.
Übrigens, selbst wenn du 10 Jahre darüber gebetet hast und die Bibel 100 mal durchgelesen hast, hast du kein Recht auf eine sofortige Antwort. Hiob wollte auch Antworten und was für eine hat Gott ihm gegeben?
Na gut, aber ich will nicht dein Fragen an sich schlecht reden, denn Fragenstellen heißt ja im Allgemeinen, dass man bei der Sache ist und die meisten Leute stellen viel zu wenig Fragen und sind zu faul zum Denken. Von daher versteh diesen Exkurs bitte nur als Erinnerung daran, mit Geduld und Demut Fragen zu stellen, dich selbst umso mehr um Antworten zu bemühen (häufig muss man einfach selbst lange Zeit über bestimmte Dinge nachdenken und beten und sie immer und immer wieder neu betrachten) und bei jeder Antwort dankbar dafür zu sein, dass sich jemand die Zeit genommen hat, sich mit dir auseinander zu setzen, obwohl er dich nicht kennt.
Zum Thema:
Ergänzend zu dem, was schon Gutes gesagt wurde, hier ein Auszug aus der Dogmatik von Franz Pieper:
Der Apostel unterscheidet zwischen "Sünde tun", was er dem Christen abspricht (1. Joh 3,9) und "Sünde haben", was er dem Christen zuspricht (1. Joh 1,8). Ersteres beschreibt ein Sündigen, wobei die Sünde die Herrschaft erlangt und tut, was sie will; letzteres beschreibt ein Sündigen, wobei der Christ durch den neuen Menschen, weil sein Same bei ihm bleibt, die Herrschaft über die Sünde behauptet. Eine sachliche Parallele ist Röm 6,14: "Die Sünde wird nicht herrschen können über euch, sintemal ihr nicht unter dem Gesetz seid, sondern unter der Gnade." Die Wahrheit von der Unvollkommenheit der Heiligung in diesem Leben ist aber nicht zur Trägheit in der Heiligung und guten Werken zu missbrauchen. Gottes Wille und die ihm entsprechende christliche Gesinnung geht vielmehr dahin, dass der Christ nicht blos eine teilweise, sondern völlige Heiligung anstrebt (2. Kor 7,1) und nicht blos einigen, sondern allen guten Werken nachtrachtet (Kol 1,10). Das Streben, jede Sünde zu meiden und Gott in allen guten Werken zu dienen, gehört zur rechten Gestalt des Christenlebens und entspricht der Gesinnung des Christen nach dem neuen Menschen. Wenn die Schrift die Christen auch in bezug auf ihr Leben "Vollkommene" nennt (Phil 3,15), so beschreibt sie die Vollkommenheit als in dem Streben nach Vollkommenheit bestehend (Phil 3,14). Wo das Streben, nur Gott zu dienen, vergessen wird, ist der Christenstand aufs äußerste gefährdet: "Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon" (Mt 6,24), "Wer nicht absagt allem, was er hat, kann nicht mein Jünger sein"(Lk 14,25-35). Daher die Mahnungen zu schonungsloser Selbstverleugnung: "Will mir jemand nachfolgen, der verleugne sich selbst und nehme sein Kreuz auf sich und folge mir" (Mt 16,24). Das ist der Sinn der engen Pforte und des schmalen Weges, der zum Leben führt (Mt 7,13-14). Sowie des Hand- und Fußabhauens und des Augeausreißens, wovon Christus redet (Mt 18,8-9). Auch der Apostel Paulus zeichnes keine andere Gestalt des CHristenlebens. Er sagt: "Ein jeglicher, der da kämpfet, enthält sich alles Dinges (1. Kor 9,25), und der Apostel selbst hat sich auch nicht davon dispensiert erachtet, sondern bekennt: "Ich betäube meinen Leib und zähme ihn, auf dass ich nicht andern predige und selbst verwerflich werde."(1. Kor 9,27). Da liegt freilich die Frage nahe: Wer kann dann selig werden? (Lk 19,25) Christus antwortet: "Bei den Menschen ist's unmöglich, aber bei Gott sind alle Dinge möglich"(Lk 19,26). Gerade bei dem rechten Ernst in derHeiligung tritt den CHristen ihr tägliches Defizit vor Augen. Sie erkennen und bekennen das Gott und flüchten auf sicheres Territorium, nämlich auf das Gebiet der Gnade oder der Vergebung der Sünden. Sie können das getrost tun, weil die Gnade frei, vom Gesetz und von allem menschlichen Tun völlig losgelöst, also auch nicht von dem täglichen Erfolg oder MIsserfolg in der Heiligung und den guten Werken abhängig ist. Nur wenn wir so zwischen Gesetz und Evangelium unterscheiden, verstehen wir, wie ein und derselbe Apostel der Gnade und der Seligkeit völlig gewiss ist (Röm 8,37-39) und daneben von der Notwendigkeit schonungsloser Selbstzucht redet, damit er nicht anderen predige und selbst verwerflich werde(1. Kor 9,27). Wir kommen hier bei der Tatsache an, dass das ganze Christenleben eine tägliche Buße ist.
Ein weiterer interessanter Aspekt ist die Unterscheidung zwischen meinem "Ich" und der in mir wohnenden Sünde (Röm 7,17): "Nun aber vollbringe nicht mehr ich es, sondern die in mir wohnende Sünde."
Der Christ sündigt nicht mehr, wenn dann sündigt sein Fleisch. Wer ein Christ ist, bei dem findet sich diese Zweiteilung, wer kein Christ ist, bei dem ist nur Fleisch und er kann nur sündigen und freut sich noch daran (Röm 1,32). So können wir in einem Sinn nicht mehr sündigen und in einem anderen Sinn sündigen wir doch immer wieder so lange wir leben.
Ich will noch eine Sache ansprechen, nämlich das Konzept, die Dinge so verstehen zu wollen, wie sie dastehen. Es gibt ein Phänomen unter Christen, dass sehr gefährlich ist. Vor lauter Bibeltreue vergessen sie, dass der Sinn eines Satzes aus dem Gesamtkontext hervorgehen muss - eine Selbstverständlichkeit, wenn man die Zeitung liest oder Nachrichten guckt oder mit Menschen im Gespräch ist. Jedes Wort ist wahr, aber jedes Wort ist in einer sehr alten Sprache in einem besonderen Kulturraum und in einem bestimmten Kontext niedergeschrieben worden. Beachtet man das nicht, dann kommt man genau zum Gegenteil von Bibeltreue, weil man die Bibel nicht mehr das sagen lässt, was sie sagen will, sondern einzelne Worte oder Sätze isoliert und den Zusammenhang ausklammert. Man geht lieber davon aus, dass ein Autor schizophren ist, als alles, was er sagt, zusammen zu sehen. Anstatt sich zu bemühen, etwas zu verstehen, macht man es sich einfach und beharrt auf seiner isolierten Sicht...einen entsprechenden Fall hatten wir vor einiger Zeit, als hier jemand den Jakobusbrief aus der Bibel geworfen hat, weil er sich geweigert hat, alle Worte von Jakobus in Betracht zu ziehen.
Die eigentliche Frage ist also: Glaube ich, dass der Jesus, der gesagt hat "Seid vollkommen, wie auch euer Vater vollkommen ist" (Mt 5,48), der selbe Jesus ist, der gesagt hat "Wenn dein Bruder sündigt, so weise ihn zurecht, und wenn er es bereut, so vergib ihm!" (Lk 17,3)?
Wenn diese Frage beantwortet ist, ist die wichtigste Frage beantwortet und dann muss man, wenn man etwas vlt. nicht versteht, mit kindlichem Glauben folgen und versuchen so viel wie man eben versteht umzusetzen.
Ich bin ein großer Fan von logischem Denken, aber man darf das nicht so weit treiben, dass man sich auf seinen Verstand so sehr verlässt, dass wenn er einen im Stich lässt (und das tut er öfters, man merkt es nur erst später), man die Bibel aus dem Fenster wirft. Dabei zeigt man, dass der eigene Verstand (der doch verdorben ist!) der Maßstab aller Dinge ist und nicht Gottes Wort. Kindlicher Glaube bedeutet, Dinge, die man zunächst nicht versteht, stehen zu lassen und die Dinge, die man versteht, anzunehmen. In unserem Fall heißt das: Verlass dich immer und nur auf die Gnade, aber tu was du kannst, um der Sünde zu entgehen! Diese beiden Grundbotschaften sollten für jeden klar in der Bibel erkenntlich sein. Wer mehr wissen will, muss hart arbeiten (lassen).