Kontextualisierung ?

Lehrfragen in Theorie und Praxis - also alles von Bibelverständnis über Heilslehre und Gemeindelehre bis Zukunftslehre

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Joschie
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Beitrag von Joschie »

Hallo Alex
Hier ein Beitrag der mein Verständnis sehr nahe kommt.
Gruß Joschie
Das Pferd wird gerüstet für den Tag des Kampfes, aber der Sieg kommt von dem HERRN. Spr. 21,31

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Joschie
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Beitrag von Joschie »

Hallo Alex $:P
Ich habe mich nochmal mit der Kontextualisierung befasst.Dadurch bin ich auf die Hermeneutik gestossen, wo viel über Kontext steht.Das Buch von Thomas Kinker "Die Bibel verstehen und auslegen", ein praktischer Hermeneutikkurs Band 1 und das Buch Gordon/Fee "Effektives Bibelstudium" ,habe gute Kapitel darüber.
Gruß Joschie $:P
Das Pferd wird gerüstet für den Tag des Kampfes, aber der Sieg kommt von dem HERRN. Spr. 21,31

lutz
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Beitrag von lutz »

Hallo Alex,
gleich vorweg verstehe diesen Beitrag bitte nur als eine Ansammlung einzelner „Brocken“ – bis vor kurzem konnte ich mit dem Begriff wenig anfangen.
Heute bin ich auf den Begriff „Kontextualisierung“ gestoßen in der Ergänzung der PDF zum Thema „Rick Warren“ Teil 2 ( www.nuntia.de ) und auf der letzten Seite wird unter diesem Begriff eine neue Lehre verstanden.
Eigentlich dachte ich, es geht bei diesem Begriff um den biblischen Kontext.
Aber Joschies Link hat schon auf einen Zusatz aufmerksam gemacht:

Aus dem Link von Joschie (S. 1):
Das Ziel dieses Vortrages besteht darin den historischen und biblischen Kontext zu erarbeiten. Historischer Kontext = Das geschichtliche Umfeld der Stadt. Biblischer Kontext = Der biblische Zusammenhang, wie kam das Evangelium nach Ephesus, was berichtet uns die Bibel über Ephesus. Diese Informationen sollen uns helfen, dass der Epheserbrief lebendig wird. Wir
verstehen die Herausforderungen jener Zeit besser und können die biblischen Aussagen über die Waffenrüstung korrekt deuten. Einen grundlegenden Ansatz gibt es zum Verständnis der Bibel: Wir müssen zuerst verstehen was die Schrift den ersten Empfängern sagen wollte und erst anschliessend können wir den Sprung in die Gegenwart tun. Erst wenn
du weisst, was Gott den Ephesern sagen wollte, kannst du auch wissen, was er dir sagen will.
Es geht um einen zusätzlichen Kontext – den historischen, der über andere Materialien erschlossen werden muss.
Vorsicht ist dann geboten, wenn ein solches „außerbiblisches“ Material eine Schlüsselstellung einnimmt, „um die Bibel korrekt zu verstehen“.
Denn dann stelle ich „Außerbiblisches“ auf gleiches Niveau wenn nicht sogar über Gottes Wort. Der Maßstab, um die Aussagen der Schrift zu verstehen – ist dann nicht länger die Schrift selbst und allein!

Bei Eta Linnemann, „Was ist glaubwürdig – Die Bibel oder die Bibelkritik?“, VTR habe ich Folgendes gelesen:
„Die Frage, was der Verfasser eines Textes seinen ursprünglichen Adressaten sagen wollte, hat als Schlüsselfrage für die Interpretation von Texten ihre Berechtigung, aber nur innerhalb enger Grenzen.

Für die Behauptung des historisch-kritischen Theologen, dass „jedes Werk menschlichen Geistes nur aus der Zeit seiner Entstehung und damit nur mit den Methoden der Geschichtswissenschaft sachgemäß verständlich gemacht werden“ kann, wurde niemals ein Beweis erbracht. Sie erweist sich als irrig, sobald man sie überprüft. …
In der Theologie ist die methodische Fixierung von biblischen Schriften als Bibeltexte mit der historischen Frage, was der Verfasser den ursprünglichen Adressaten sagen wollte, nicht unerlaubt, aber nicht unabdingbar. Sie hat nur eine sehr begrenzte Bedeutung.
Sie erweist sich gelegentlich als Hilfsmittel, um die Identität einer Schrift oder eines Abschnitts festzustellen, wenn sie durch unerlaubte, sektiererische Machenschaften in Frage gestellt wird. Für das Verstehen eines Abschnitts der Bibel oder einer biblischen Schrift ist die historische Frage, was der Verfasser den ursprünglichen Adressaten sagen wollte, nicht unabdingbar. Es ist ohne sie möglich. Die historische Frage ist nicht der normale Umgang mit den biblischen Schriften und erst recht nicht der einzige Zugang zu ihnen. Sie kann dem Verstehen gelegentlich hilfreiche Hinweise geben, es gelingt aber auch ohne sie und erschöpft sich darin nicht. Schon ein Kind, das lesen gelernt hat, ist in der Lage, zu erfassen, was das Bibelwort sagt und was Gott ihm dadurch sagen will. Es bedarf solcher Hilfsmittel nicht. … (S. 112/113)
Ronald Senk, „Das Schwert des Geistes“, Betanien, 1. Auflage
„Der Fehler beginnt schon dort, wo man die Bibel einfach mit anderer (antiker) Literatur gleichsetzt. … Es ist Gotteswort in Menschenwort. Es ist ein lebendiges, göttliches und daher wirksames Wort …
Gott gibt dieses Wort zu verstehen, wem er will …
Gottes Wort selbst hat die Macht, beim (sündigen) Leser rechte Erkenntnis zu bewirken. …
Die Bibel, Gottes Wort, ist eben nicht allein mit normalen literaturwissenschaftlichen Methoden erschließbar. …“ (S. 369)
Und da ich unter dem Begriff „Kontextualisierung“ nur im „weltlichen“ Bereich etwas gefunden habe, einige Zitate daraus:

http://www.pragmatiknetz.de/Seminare/WI ... 03-Fo6.pdf
(Auer 1986)
- Nach Auer besagt ein Gemeinplatz linguistischer Forschung, dass sprachliche Äußerungen von ihrem sozialen, situativen, sequentiellen ... Kontext abhängig sind


Wovon sind sprachliche Äußerungen abhängig?
Von einem zusätzlich zu erschließenden Kontext.
(Dabei ist zu beachten, dass diese Denkweise durchaus an die Bibel herangetragen und reingepresst wird.)


http://www.hausarbeiten.de/faecher/vorschau/70385.html
Es wurde herausgearbeitet, dass die Informationen, die wir zum Verstehen einer Äußerung benötigen, nicht allein in den Wörtern steckt, die wir benutzen, sondern dass man die „wahre“ Information erst durch Kontextualisierung erhält.

Die Teilnehmer müssen beispielsweise einander deutlich machen, dass sie überhaupt miteinander kommunizieren, in welchen Rahmen ihre Äußerungen einzuordnen sind, worauf sie sich konkret beziehen usw. Dazu werden Kontextualisierungsmittel benötigt: Die so genannten Kontextualisierungshinweise. Das können zum Beispiel Blickverhalten, Stimmgestaltung, Benutzung konventioneller Ausdrucksweisen oder sprachlicher Mittel wie Konjunktionen (aber, daher etc.) sein oder so unscheinbare Hinweise wie bestimmte Artikel. Die Bedeutung eines Kontextualisierungshinweises ergibt sich aus dem Zusammenspiel mit anderen Hinweisen. Durch diese Mittel wird der relevante Kontext für die Interpretation angezeigt beziehungsweise hergestellt und somit die konkrete Interpretation in eine bestimmte Richtung gelenkt.
Wo sind die Informationen zu suchen, die wir zum Verstehen des Wortes benötigen?
Wir brauchen zusätzliche Kontextualisierungshinweise und diese nehmen eine Schlüsselstellung in der Erfassung des Gesagten ein.
(Dabei ist zu beachten, dass wir hier vom Verstehen des „Wortes Gottes“ reden.)

http://www.univie.ac.at/linguistics/pub ... ierung.htm
Dieses auf den ersten Blick komplexe Konzept wird ausgezeichnet illustriert durch eine musikalische Metapher. Auer (1992: 1ff.) stellt eine Passage aus Bachs Matthäuspassion vor, in der der Chor der Hohepriester den folgenden Text an den gekreuzigten Christus richtet: "Ist er der König Israel, so steige er nun vom Kreuz, so wollen wir ihm glauben." Die musikalische Ausgestaltung dieser Passage, nämlich eine plötzliche Modulation nach C-Dur, zeigt dem aufmerksamen Zuhörer, dass die Worte nicht als ernsthafte Versicherung, sondern als Spott zu verstehen sind: "Music provides the cues for counter-reading, revealing the 'true' interpretation of these lines" (Auer 1992: 2).
Auer stellt nun die Frage, wie es möglich ist, dass das abstrakte System der Musik die Interpretation der "much more 'meaningful' linguistic signs" (ibid.: 3) steuern kann. Die Antwort liegt nach seiner Analyse in zwei Punkten: zum einen bemerkt der Hörer einen plötzlichen Harmoniewechsel, zum anderen fällt der Charakter dieses Wechsels auf - mitten im komplexen Wechselspiel von Punkt und Kontrapunkt gibt es plötzlich eine kurze Passage voll unerwarteter Klarheit und fast naiv anmutender Einfachheit. Diese beiden Faktoren haben zwei Effekte, die auch für das Konzept der Kontextualisierung von entscheidender Relevanz sind:
1. Der erste Faktor, die Veränderung an sich, zieht Aufmerksamkeit auf die betreffende Passage und weist dadurch darauf hin, dass sie anders zu interpretieren ist als das umgebende Material.
2. Der zweite Punkt, die mit der Art des Wechsels verbundenen Assoziationen, leiten die Interpretation in eine bestimmte Richtung.
Konkret widerspricht hier die Klarheit und Naivität der Passage der durch den narrativen Kontext der Handlungen der Hohepriester beim Hörer aufgebauten Erwartungshaltung und führt dadurch zu einem intuitiven Interpretations- und Schlussfolgerungsprozess, einer Inferenz, mit dem Ergebnis, dass die Äußerungen ironisch gemeint sein müssen.
Was zeigt dem aufmerksamen Zuhörer hier, dass die Worte nicht als ernsthafte Versicherung, sondern als Spott zu verstehen sind?
Ein musikalischer Kontext.
Es ist aber nicht der musikalische Kontext, der uns darüber Aufschluss gibt, dass es sich hier um Spott handelt.

Also ich gehe vorsichtig davon aus, dass es sich hier um etwas handelt, dass letztlich zu willkürlichen Auslegungsvarianten der Schrift führt – je nachdem was der zusätzliche Kontext daraus macht.
Denn ich könnte dann Folgendes sagen:
Um Gottes Wort überhaupt zu verstehen, muss ich Informationen außerhalb der Schrift suchen – oder in einer ganz anderen Richtung:
Lass mich einen neuen Kontext schaffen, dann ist es möglich Gottes Wort so zu verstehen, wie ich es verstanden haben will.

Lutz

joasch
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Zur Begriffsklärung

Beitrag von joasch »

Hm, was hier bisher geschrieben wurde, trifft's nicht so ganz — ehrlich gesagt gar nicht. Unter "Kontextualisierung" (evangelikale Vertreter sind z.B. David Hesselgrave[1] und Paul G. Hiebert[2]) versteht man in der Theologie, die biblische Botschaft der äußeren Form nach an die Kultur der Hörer anzupassen, daß diese sie so verstehen, wie sie ursprünglich gemeint war.

So zumindest die Theorie. Das Konzept ist nicht ganz unumstritten. Manche wollen darin das Allheilmittel sehen, andere warnen vor ihren Gefahren. Um ein paar Beispiele zu nennen:
  • :arrow: Da die Eskimos keine Schafe und Lämmer kannten, übersetzte man nicht "Lamm Gottes", sondern "Robbenbaby Gottes". Hm... :roll: (Habe ich mal gehört; ob's stimmt, müßte ich erst prüfen, aber das Beispiel paßt.)
  • :arrow: Der Missionar Don Richardson (Verfasser der Bücher Ewigkeit in ihren Herzen und Friedenskind) erzählte dem Eingeborenenstamm, unter dem er arbeitete, die Passionsgeschichte. Dabei mußte er entsetzt feststellen, daß der Stamm Jesus für einen Versager und Judas Iskariot für den Helden hielt. Hintergrund: Tücke und Verrat galt unter ihnen als höchste Tugend. Er fand (wie er meinte) den Schlüssel zum Verständnis des Evangeliums in verschiedenen heidnischen Ritualen des Stammes, die er auf die biblische Botschaft übertrug. — Hmmh... ??! Was dabei herauskam, ist allerdings problematisch. Richardson veränderte nämlich nicht nur die Form, sondern z.T. auch den Inhalt der Botschaft. Das dürfte wohl daran liegen, daß seine Theologie auch anderweitig ziemlich seltsam ist. Aber das wäre ein anderes Thema.
  • :arrow: Ein Extrembeispiel der Kontextualisierung ist die sog. "Volxbibel" der "Jesus-Freaks", die Gottes heiliges Wort in den vulgären Gossenslang ihrer Zielgruppe herabwürdigt.
  • :arrow: Ein Extrembeispiel der anderen Sorte (sozusagen Anti-Kontextualisierung) ist die sog. "Dabhar-Übersetzung" des Allversöhners Baader, die keine Übersetzung ist, sondern ein unverständliches Kauderwelsch in einer vermeintlich "wissenschaftlichen", von Baader kreierten Kunstsprache, die der Unterstützung seiner Irrlehren dienen soll.
  • :arrow: Weniger extrem, aber dennoch anschaulich ist die allzu wörtliche Übersetzung von 2Tim 2,15 in der Elberfelder Bibel und in der Schlachter 2000: "...der das Wort der Wahrheit in gerader Richtung schneidet". Das ist nicht nur unverständlich (wie bitte — die Bibel zerschneiden, aber schön gerade?!?), sondern auch mißverständlich. Dispensationalisten wollen mit dem wortwörtlichen Verständnis dieses Verses begründen, daß sie das Wort Gottes „recht schneiden“ — und die Schnipsel so wieder zusammenkleben, wie es ihr theologisches System vorgibt. Dieser Ausdruck ist jedoch nicht buchstäblich zu nehmen, sondern ist eine griechische Redewendung. Sie bedeutet: Jemand geht mit einer Sache fachmännisch richtig um. Der Ausdruck stammt aus dem Straßenbau: Man durchschnitt einen Berg, um eine gerade Straße durchs Gelände zu legen. Die Schlachter-Revision von 1951 übersetzte frei, aber treffend und verständlich: "der das Wort der Wahrheit richtig behandelt."
Summa summarum: Bis zu einem gewissen Grad ist Kontextualisierung nötig, damit die Hörer auch die Botschaft verstehen. Manche Vertreter dieser Sicht übertreiben es aber auch und verzerren so die biblische Lehre.

Literaturhinweise:
[1] David J. Hesselgrave und Klaus W. Müller (Herausgeber). Missionarische Verkündigung im kulturellen Kontext: Eine Einführung. Gießen: Brunnen-Verlag. Erscheint voraussichtlich im Mai 2010. Gebunden, 448 S., 49,95 EUR. — Prof. Klaus W. Müller ist Fachbereichsleiter für Missionskunde an der FTH Gießen, von der in letzter Zeit einiges seltsames zu hören war. Das Buch könnte daher mit Vorsicht zu genießen sein.
[2] Paul G. Hiebert. Kultur und Evangelium: Schritte einer kritischen Kontextualisierung. Liebenzell: Verlag der Liebenzeller Mission, 2005. Taschenbuch, 54 S., 5,95 EUR.

Ferner:
Charles H. Kraft, "Contextualisation Theory in Euro-American Missiology". Kurzer Artikel aus (neo-)evangelikaler Sicht (Lausanner Bewegung), leider nur auf englisch. Kraft weist dort darauf hin, daß das Konzept der "Kontextualisierung" ursprünglich im Ökumenischen Weltrat der Kirchen geprägt wurde und manche Evangelikale es daher ablehnen (wie das nur kommt? ;-)). Andere Evangelikale hingegen (darunter auch Kraft) haben es übernommen.
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