Die Institutio in einem Jahr lesen
Moderatoren: Der Pilgrim, Leo_Sibbing
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III,2,22
Es gibt noch eine andere Art von Furcht und Erzittern, die freilich der Gewißheit des Glaubens keinen Abbruch tut, sie vielmehr stärker und fester macht. Wenn (z.B.) die Gläubigen die Beispiele göttlicher Vergeltung an den Gottlosen als Winke Gottes an sie selber betrachten, so werden sie sich sorgsam hüten, Gottes Zorn nicht mit den gleichen Lastern über sich zu bringen. Oder sie werden, wenn sie ihr eigenes Elend bei sich betrachten, immer mehr lernen, ganz an dem Herrn zu hängen, ohne den sie sich flüchtiger und eitler wissen, als irgendein Windhauch. So hält der Apostel den Korinthern die Strafen vor, mit denen einst der Herr dem Volke Israel vergalt, und jagt ihnen damit Schrecken ein, damit sie sich nicht in die gleichen Bosheiten verstricken (1. Kor. 10,11). Damit erschüttert er nun nicht etwa ihre Glaubenszuversicht, sondern treibt allein die Trägheit ihres Fleisches aus, die ja den Glauben eher zu zerstören, als zu festigen pflegt! Wenn er den Fall der Juden zum Anlaß nimmt, zu mahnen: „Wer sich läßt dünken, daß er stehe, der mag wohl zusehen, daß er nicht falle!“ (1. Kor. 10,12; Röm. 11,20), so gibt er uns damit nicht auf, zu wanken und zu schwanken, als ob wir unserer Standfestigkeit zu wenig sicher wären, sondern er nimmt bloß die Hoffart und das vermessene Vertrauen auf die eigene Kraft fort, damit sich nicht die Heiden, die nach der Verstoßung der Juden an ihrer Statt angenommen sind, allzu übermütig rühmen! Allerdings redet er an dieser Stelle nicht bloß die Gläubigen an, sondern begreift in seine Rede auch die Heuchler ein, die sich bloß eines äußeren Scheins rühmten. Auch gilt ja seine Ermahnung nicht einzelnen Menschen, sondern er vergleicht die Juden mit den Heiden; er zeigt zunächst, wie die Juden in ihrer Verwerfung die gerechte Strafe für ihren Unglauben und ihre Undankbarkeit empfangen, und dann ermahnt er die Heiden, sie sollten nicht in Hochmut und Aufgeblasenheit die Gnade der Kindschaft verlieren, die ihnen gerade verliehen war. Wie aber in jener Verstoßung der Juden einige von ihnen übriggeblieben waren, die aus dem Bunde der Kindschaft keineswegs herausgefallen waren, so konnten ja auch auf der anderen Seite unter den Heiden Leute auftreten, die sich, ohne wahren Glauben, allein aus törichtem Selbstvertrauen des Fleisches aufblähten und so zu ihrem Schaden Gottes Güte mißbrauchten. Aber auch wenn man diese Stelle einzig an die Auserwählten und Gläubigen gerichtet denkt, so ergibt sich aus ihr doch nichts Ungereimtes. Denn es ist etwas anderes, ob der Apostel die Vermessenheit, die aus den Überbleibseln des Fleisches heraus auch den Gläubigen zuweilen noch zu schaffen macht, zurückdrängt, damit sie sich nicht in sinnlosem Selbstvertrauen gehen läßt, oder ob er das Gewissen mit Furcht erschüttert, so daß es nicht mit voller Sicherheit in Gottes Barmherzigkeit zu ruhen vermag!
III,2,23
Wenn Paulus dann weiterhin lehrt: „Schaffet eure Seligkeit mit Furcht und Zittern“ (Phil. 2,12), so fordert er damit nichts anderes, als daß wir uns daran gewöhnen, uns selbst tief zu demütigen und allein auf die Kraft des Herrn zu schauen. Denn nichts kann uns so sehr dazu treiben, das Vertrauen und die Gewißheit unseres Herzens auf den Herrn zu werfen, als das Mißtrauen gegen uns selber und die Angst, die aus dem Bewußtsein unserer Not in uns aufkommt. In diesem Sinne müssen wir auch das Wort des Propheten verstehen: „Ich will aber in dein Haus gehen auf deine große Güte und anbeten … in deiner Furcht“ (Ps. 5,8). Da verbindet der Prophet sehr fein die kühne Freudigkeit des Glaubens, die sich auf Gottes Erbarmen stützt, mit der scheuen Furcht (religioso timore), die uns jedesmal notwendig ankommt, wenn wir vor das Angesicht der göttlichen Majestät treten und an ihrem Glanze erkennen, wie groß unsere Unreinigkeit ist. So sagt auch Salomo mit Recht: „Wohl dem, der sich allewege fürchtet; wer aber sein Herz verhärtet, wird ins Unglück fallen“ (Spr. 28,14). Er meint hier aber die Furcht, die uns vorsichtiger macht, nicht eine solche, die uns durch ihren Angriff niederschlägt. Hier ist es nämlich so: der in sich selbst verwirrte Geist sammelt sich in Gott; in ihm wird er aufgerichtet, während er in sich selber daniederliegt; er ist ohne Vertrauen zu sich selber, aber im Vertrauen zu ihm atmet er wieder auf! So geht es durchaus zusammen, daß die Gläubigen Furcht haben und doch zugleich den sichersten Trost erlangen, je nachdem sie ihren Blick auf ihr eigenes eitles Wesen richten oder alles Sinnen ihres Herzens auf Gottes Wahrheit lenken. Nun wird vielleicht jemand fragen: wie sollen denn in dem gleichen Herzen Furcht und Glaube ihre Wohnstatt haben? Ich antworte: Genau so, wie auf der anderen Seite doch auch faule Sicherheit und Angst miteinander darin wohnen! Die Gottlosen möchten sich nämlich gern gänzlich verhärten, damit sie keine Furcht Gottes mehr quälte; aber Gottes Gericht drängt sie doch, so daß sie nicht erreichen, was sie erstreben. So steht nichts dagegen, daß Gott die Seinen in der Demut übt, damit sie sich in tapferem Kampfe im Zaum der Bescheidenheit halten. Dies ist nun, wie sich aus dem Zusammenhang ergibt, die Absicht des Apostels gewesen: für „Furcht und Zittern“ gibt er als Grund das Wohlgefallen Gottes an, der den Seinen verleiht, daß sie recht wollen und fleißig vollbringen (Phil. 2,12.13). In diesem Sinne muß man auch das Wort des Propheten verstehen: „Die Kinder Israel … werden mit Zittern zu dem Herrn und seiner Gnade kommen …“ (Hos. 3,5); es ist ja nicht allein die Frömmigkeit, die die Ehrfurcht vor Gott erzeugt, sondern die Köstlichkeit und Süße der Gnade selbst erfüllt den Menschen, der in sich selbst gedemütigt ist, mit Furcht und zugleich mit Bewunderung, so daß er Gott anhängt und sich demütig seiner Macht unterwirft.
III,2,24
Aber damit will ich keineswegs der verderbenbringenden Weltweisheit Raum geben, wie sie heutzutage einige Halbpapisten in ihren Winkeln zurechtzuschmieden anfangen. Weil sie nämlich jenen groben Zweifel, wie ihn die (papistischen) Schulen überliefert haben, nicht mehr verteidigen können, so nehmen sie ihre Zuflucht zu einem neuen Hirngespinst: sie sagen, die Zuversicht sei stets mit Unglauben untermischt! Schauen wir auf Christus, so finden wir auch nach ihrem Zugeständnis bei ihm den vollen Anlaß zu fröhlicher Hoffnung; aber weil wir ja von uns aus allezeit all jener Güter unwürdig sind, die uns in Christus dargeboten werden, so meinen sie, wir müßten im Blick auf unsere Unwürdigkeit immerzu schwanken und zaudern. Sie stellen also alles in allem das Gewissen zwischen Hoffnung und Furcht; so daß sich diese beiden je und je in uns ablösten; Furcht aber und Hoffnung stellen sie in der Weise gegeneinander, daß mit dem Aufkommen der Hoffnung die Furcht niedergekämpft und mit dem Anfangen der Furcht die Hoffnung zerbrochen wird. So versucht also der Satan, da er nun sieht, daß die offenen Sturmwerkzeuge, mit denen er früher die Gewißheit des Glaubens zunichte zu machen gewohnt war, nichts mehr ausrichten, diese Gewißheit mit unterirdischen Minen zu Fall zu bringen. Denn was soll das für eine Zuversicht sein, die sogleich der Verzweiflung weicht? Man sagt: „Wenn du auf Christus schaust, so ist dir das Heil gewiß, wenn du dich aber wieder zu dir selber wendest, so ist dir die Verdammnis sicher! So müssen Vertrauenslosigkeit und fröhliche Hoffnung abwechselnd in deinem Geiste die Herrschaft führen!“ Als ob wir uns Christus gleichsam als einen denken sollten, der in weiter Ferne stünde! Als ob wir ihn nicht vielmehr als den ansehen sollten, der in uns wohnt! Wenn wir von ihm das Heil erwarten, so geschieht das doch nicht deshalb, weil er uns etwa in der Ferne erschiene, sondern weil er uns in seinen Leib eingefügt und damit nicht bloß aller seiner Güter und Gaben, sondern seiner selbst teilhaftig gemacht hat! Ich will deshalb die Beweisführung jener Leute lieber in anderer Richtung wenden: „Gewiß, wenn du dich selber anschaust, so ist dir die Verdammnis sicher. Aber Christus hat sich dir mit der ganzen Fülle seiner Güter derart zu eigen gegeben, daß alles, was sein ist, nun dein sein soll, daß du sein Glied und auf diese Weise mit ihm eins wirst! Seine Gerechtigkeit macht deine Sünden zunichte, sein Heil tut deine Verdammnis ab, mit seiner Würdigkeit tritt er selber bei Gott für dich ein, so daß deine Unwürdigkeit nicht vor Gottes Angesicht kommt!“ Es ist doch wirklich so: es geht nicht im entferntesten an, Christus von uns oder uns von ihm zu trennen, sondern wir müssen mit beiden Händen die Gemeinschaft festhalten, in der er sich mit uns geeint hat. So lehrt es uns der Apostel: „Der Leib ist zwar tot um der Sünde willen, der Geist Christi aber, der in euch wohnt, der ist Leben um der Gerechtigkeit willen“ (Röm. 8,10, etwas erweitert). Hätte er so töricht gedacht, wie jene Halbpapisten, so hätte er sagen müssen: Christus hat zwar in sich selbst das Leben, aber ihr, ihr seid Sünder und bleibt deshalb tot und der Verdammnis unterworfen! Aber er redet doch ganz anders. Denn er zeigt uns, wie die Verdammnis, die wir von uns aus verdienen, durch das Heil, das uns Christus gebracht, verschlungen ist; und um das zu bekräftigen, bedient er sich des gleichen Grundes, wie ich ihn schon anführte: Christus ist nicht außer uns, sondern wohnt in uns, er bindet uns nicht nur durch ein unzerreißbares Band der Gemeinschaft an sich, sondern wächst durch eine wundersame Gemeinschaft von Tag zu Tag mehr mit uns zu einem Leibe zusammen, bis daß er ganz mit uns eins wird. Dabei leugne ich, wie ich bereits sagte, trotzdem nicht, daß unser Glaube zuweilen gewissermaßen eine Unterbrechung erleidet; je nachdem er in seiner Schwachheit unter den heftigen Angriffen, die ihn bedrängen, hin und her geworfen wird. So wird sein Licht in der dichten Finsternis der Anfechtungen erstickt. Aber was auch geschehen mag, er läßt doch nicht ab, Gott mit Fleiß zu suchen!
III,2,25
Nicht anders lehrt es Bernhard; er spricht von dieser Frage ausdrücklich in seiner fünften Predigt von der Einweihung des Tempels. „Wenn ich durch Gottes Wohltat zuweilen über meine Seele nachdenke, so kommt es mir vor, als ob ich da gewissermaßen zwei entgegengesetzte Dinge vorfände. Schaue ich sie selber an, wie sie in sich selber und aus sich selber beschaffen ist, so kann ich nichts Richtigeres von ihr aussagen, als daß sie im Grund zunichte geworden ist. Wozu soll ich nun all ihr Elend einzeln aufzählen, wie sie mit Sünden beladen, mit Finsternis bedeckt, in ihre Lüste verstrickt ist, wie sie geil ist in ihren Begierden, den Leidenschaften unterworfen, von törichten Einbildungen erfüllt, immerzu zum Bösen geneigt, zu allen Lastern bereit, wie sie schließlich voll Schande und Wirrnis ist? Und wenn doch selbst unsere Gerechtigkeit, im Lichte der Wahrheit betrachtet, ‘ist wie ein unflätig Kleid’ (Jes. 64,5), wie wird dann erst unsere Ungerechtigkeit beurteilt werden müssen! ‘Wenn nun das Licht, das in uns ist, Finsternis ist, wie groß wird dann die Finsternis sein!’ (Matth. 6,23; leicht verändert). Was soll ich sagen? Ohne Zweifel ist der Mensch wie die Eitelkeit geworden, er ist zunichte geworden, er ist nichts! Wie soll aber der gar nichts sein, den Gott groß macht? Wie soll der nichts sein, dem Gottes Herz sich zugewandt? Laßt uns aufatmen, ihr Brüder! Wir sind gewiß in unserem Herzen nichts – aber vielleicht mag im Herzen Gottes etwas über uns verborgen sein! Du Vater der Barmherzigkeit, du Vater der Elenden, wie wendest du dein Herz zu uns? Denn dein Herz ist, wo dein Schatz ist! Wie sollen wir aber dein Schatz sein, wenn wir nichts sind? Alle Heiden sind vor dir, gleich als wenn sie nicht da wären, sie sind für nichts geachtet (vgl. Jes. 40,17). Aber eben vor dir und nicht in dir, vor dem Gericht deiner Wahrheit, aber nicht in der Aufwallung deiner Güte! Denn du rufst ja dem, das nicht ist, als ob es sei! (Röm. 4,17; nicht Luthertext). Es ist nicht, denn du rufst nur das, was nicht ist! Aber es ist doch, weil du es rufst! Denn die Heiden sind, wenn es auf sie selber ankommt, tatsächlich nicht, aber bei dir sind sie – nach dem Wort des Apostels: „Nicht aus dem Verdienst der Werke, sondern aus Gnade des Berufers!“ (Röm. 9,12). (Soweit zunächst Bernhard.) Er erklärt dann, daß diese Verbindung der verschiedenen Betrachtungsweisen wunderbar ist. Sie sind ja untereinander verbunden, und darum heben sie sich gewißlich nicht auf. Am Schluß erklärt er das dann noch deutlicher: „Wenn wir in beiden Betrachtungsweisen gründlich ins Auge fassen, was wir sind, so ergibt sich nach der einen, wie gar nichts, nach der anderen, wie groß gemacht wir sind, und so meine ich, unser Ruhm scheint gedämpft – aber vielleicht ist er auch noch vergrößert; er ist nämlich nun grundfest, damit wir uns nicht in uns selber rühmen, sondern in dem Herrn! Wenn wir nämlich dies eine bedenken, daß er uns mit dem Entschluß, uns selig zu machen, auch allsogleich selig machen wird, so können wir schon darüber aufatmen! Aber wir wollen noch auf eine höhere Warte steigen, wollen die Stadt Gottes suchen, wollen sein Haus, seinen Tempel, wollen die Braut suchen! Dabei habe ich freilich nicht vergessen, sondern mit Furcht und Ehrerbietung spreche ich es aus: wir sind etwas, sage ich – aber in Gottes Herzen! Wir sind etwas – aber dadurch, daß er uns dessen würdigt, und nicht dadurch, daß wir würdig sind!“
Es gibt noch eine andere Art von Furcht und Erzittern, die freilich der Gewißheit des Glaubens keinen Abbruch tut, sie vielmehr stärker und fester macht. Wenn (z.B.) die Gläubigen die Beispiele göttlicher Vergeltung an den Gottlosen als Winke Gottes an sie selber betrachten, so werden sie sich sorgsam hüten, Gottes Zorn nicht mit den gleichen Lastern über sich zu bringen. Oder sie werden, wenn sie ihr eigenes Elend bei sich betrachten, immer mehr lernen, ganz an dem Herrn zu hängen, ohne den sie sich flüchtiger und eitler wissen, als irgendein Windhauch. So hält der Apostel den Korinthern die Strafen vor, mit denen einst der Herr dem Volke Israel vergalt, und jagt ihnen damit Schrecken ein, damit sie sich nicht in die gleichen Bosheiten verstricken (1. Kor. 10,11). Damit erschüttert er nun nicht etwa ihre Glaubenszuversicht, sondern treibt allein die Trägheit ihres Fleisches aus, die ja den Glauben eher zu zerstören, als zu festigen pflegt! Wenn er den Fall der Juden zum Anlaß nimmt, zu mahnen: „Wer sich läßt dünken, daß er stehe, der mag wohl zusehen, daß er nicht falle!“ (1. Kor. 10,12; Röm. 11,20), so gibt er uns damit nicht auf, zu wanken und zu schwanken, als ob wir unserer Standfestigkeit zu wenig sicher wären, sondern er nimmt bloß die Hoffart und das vermessene Vertrauen auf die eigene Kraft fort, damit sich nicht die Heiden, die nach der Verstoßung der Juden an ihrer Statt angenommen sind, allzu übermütig rühmen! Allerdings redet er an dieser Stelle nicht bloß die Gläubigen an, sondern begreift in seine Rede auch die Heuchler ein, die sich bloß eines äußeren Scheins rühmten. Auch gilt ja seine Ermahnung nicht einzelnen Menschen, sondern er vergleicht die Juden mit den Heiden; er zeigt zunächst, wie die Juden in ihrer Verwerfung die gerechte Strafe für ihren Unglauben und ihre Undankbarkeit empfangen, und dann ermahnt er die Heiden, sie sollten nicht in Hochmut und Aufgeblasenheit die Gnade der Kindschaft verlieren, die ihnen gerade verliehen war. Wie aber in jener Verstoßung der Juden einige von ihnen übriggeblieben waren, die aus dem Bunde der Kindschaft keineswegs herausgefallen waren, so konnten ja auch auf der anderen Seite unter den Heiden Leute auftreten, die sich, ohne wahren Glauben, allein aus törichtem Selbstvertrauen des Fleisches aufblähten und so zu ihrem Schaden Gottes Güte mißbrauchten. Aber auch wenn man diese Stelle einzig an die Auserwählten und Gläubigen gerichtet denkt, so ergibt sich aus ihr doch nichts Ungereimtes. Denn es ist etwas anderes, ob der Apostel die Vermessenheit, die aus den Überbleibseln des Fleisches heraus auch den Gläubigen zuweilen noch zu schaffen macht, zurückdrängt, damit sie sich nicht in sinnlosem Selbstvertrauen gehen läßt, oder ob er das Gewissen mit Furcht erschüttert, so daß es nicht mit voller Sicherheit in Gottes Barmherzigkeit zu ruhen vermag!
III,2,23
Wenn Paulus dann weiterhin lehrt: „Schaffet eure Seligkeit mit Furcht und Zittern“ (Phil. 2,12), so fordert er damit nichts anderes, als daß wir uns daran gewöhnen, uns selbst tief zu demütigen und allein auf die Kraft des Herrn zu schauen. Denn nichts kann uns so sehr dazu treiben, das Vertrauen und die Gewißheit unseres Herzens auf den Herrn zu werfen, als das Mißtrauen gegen uns selber und die Angst, die aus dem Bewußtsein unserer Not in uns aufkommt. In diesem Sinne müssen wir auch das Wort des Propheten verstehen: „Ich will aber in dein Haus gehen auf deine große Güte und anbeten … in deiner Furcht“ (Ps. 5,8). Da verbindet der Prophet sehr fein die kühne Freudigkeit des Glaubens, die sich auf Gottes Erbarmen stützt, mit der scheuen Furcht (religioso timore), die uns jedesmal notwendig ankommt, wenn wir vor das Angesicht der göttlichen Majestät treten und an ihrem Glanze erkennen, wie groß unsere Unreinigkeit ist. So sagt auch Salomo mit Recht: „Wohl dem, der sich allewege fürchtet; wer aber sein Herz verhärtet, wird ins Unglück fallen“ (Spr. 28,14). Er meint hier aber die Furcht, die uns vorsichtiger macht, nicht eine solche, die uns durch ihren Angriff niederschlägt. Hier ist es nämlich so: der in sich selbst verwirrte Geist sammelt sich in Gott; in ihm wird er aufgerichtet, während er in sich selber daniederliegt; er ist ohne Vertrauen zu sich selber, aber im Vertrauen zu ihm atmet er wieder auf! So geht es durchaus zusammen, daß die Gläubigen Furcht haben und doch zugleich den sichersten Trost erlangen, je nachdem sie ihren Blick auf ihr eigenes eitles Wesen richten oder alles Sinnen ihres Herzens auf Gottes Wahrheit lenken. Nun wird vielleicht jemand fragen: wie sollen denn in dem gleichen Herzen Furcht und Glaube ihre Wohnstatt haben? Ich antworte: Genau so, wie auf der anderen Seite doch auch faule Sicherheit und Angst miteinander darin wohnen! Die Gottlosen möchten sich nämlich gern gänzlich verhärten, damit sie keine Furcht Gottes mehr quälte; aber Gottes Gericht drängt sie doch, so daß sie nicht erreichen, was sie erstreben. So steht nichts dagegen, daß Gott die Seinen in der Demut übt, damit sie sich in tapferem Kampfe im Zaum der Bescheidenheit halten. Dies ist nun, wie sich aus dem Zusammenhang ergibt, die Absicht des Apostels gewesen: für „Furcht und Zittern“ gibt er als Grund das Wohlgefallen Gottes an, der den Seinen verleiht, daß sie recht wollen und fleißig vollbringen (Phil. 2,12.13). In diesem Sinne muß man auch das Wort des Propheten verstehen: „Die Kinder Israel … werden mit Zittern zu dem Herrn und seiner Gnade kommen …“ (Hos. 3,5); es ist ja nicht allein die Frömmigkeit, die die Ehrfurcht vor Gott erzeugt, sondern die Köstlichkeit und Süße der Gnade selbst erfüllt den Menschen, der in sich selbst gedemütigt ist, mit Furcht und zugleich mit Bewunderung, so daß er Gott anhängt und sich demütig seiner Macht unterwirft.
III,2,24
Aber damit will ich keineswegs der verderbenbringenden Weltweisheit Raum geben, wie sie heutzutage einige Halbpapisten in ihren Winkeln zurechtzuschmieden anfangen. Weil sie nämlich jenen groben Zweifel, wie ihn die (papistischen) Schulen überliefert haben, nicht mehr verteidigen können, so nehmen sie ihre Zuflucht zu einem neuen Hirngespinst: sie sagen, die Zuversicht sei stets mit Unglauben untermischt! Schauen wir auf Christus, so finden wir auch nach ihrem Zugeständnis bei ihm den vollen Anlaß zu fröhlicher Hoffnung; aber weil wir ja von uns aus allezeit all jener Güter unwürdig sind, die uns in Christus dargeboten werden, so meinen sie, wir müßten im Blick auf unsere Unwürdigkeit immerzu schwanken und zaudern. Sie stellen also alles in allem das Gewissen zwischen Hoffnung und Furcht; so daß sich diese beiden je und je in uns ablösten; Furcht aber und Hoffnung stellen sie in der Weise gegeneinander, daß mit dem Aufkommen der Hoffnung die Furcht niedergekämpft und mit dem Anfangen der Furcht die Hoffnung zerbrochen wird. So versucht also der Satan, da er nun sieht, daß die offenen Sturmwerkzeuge, mit denen er früher die Gewißheit des Glaubens zunichte zu machen gewohnt war, nichts mehr ausrichten, diese Gewißheit mit unterirdischen Minen zu Fall zu bringen. Denn was soll das für eine Zuversicht sein, die sogleich der Verzweiflung weicht? Man sagt: „Wenn du auf Christus schaust, so ist dir das Heil gewiß, wenn du dich aber wieder zu dir selber wendest, so ist dir die Verdammnis sicher! So müssen Vertrauenslosigkeit und fröhliche Hoffnung abwechselnd in deinem Geiste die Herrschaft führen!“ Als ob wir uns Christus gleichsam als einen denken sollten, der in weiter Ferne stünde! Als ob wir ihn nicht vielmehr als den ansehen sollten, der in uns wohnt! Wenn wir von ihm das Heil erwarten, so geschieht das doch nicht deshalb, weil er uns etwa in der Ferne erschiene, sondern weil er uns in seinen Leib eingefügt und damit nicht bloß aller seiner Güter und Gaben, sondern seiner selbst teilhaftig gemacht hat! Ich will deshalb die Beweisführung jener Leute lieber in anderer Richtung wenden: „Gewiß, wenn du dich selber anschaust, so ist dir die Verdammnis sicher. Aber Christus hat sich dir mit der ganzen Fülle seiner Güter derart zu eigen gegeben, daß alles, was sein ist, nun dein sein soll, daß du sein Glied und auf diese Weise mit ihm eins wirst! Seine Gerechtigkeit macht deine Sünden zunichte, sein Heil tut deine Verdammnis ab, mit seiner Würdigkeit tritt er selber bei Gott für dich ein, so daß deine Unwürdigkeit nicht vor Gottes Angesicht kommt!“ Es ist doch wirklich so: es geht nicht im entferntesten an, Christus von uns oder uns von ihm zu trennen, sondern wir müssen mit beiden Händen die Gemeinschaft festhalten, in der er sich mit uns geeint hat. So lehrt es uns der Apostel: „Der Leib ist zwar tot um der Sünde willen, der Geist Christi aber, der in euch wohnt, der ist Leben um der Gerechtigkeit willen“ (Röm. 8,10, etwas erweitert). Hätte er so töricht gedacht, wie jene Halbpapisten, so hätte er sagen müssen: Christus hat zwar in sich selbst das Leben, aber ihr, ihr seid Sünder und bleibt deshalb tot und der Verdammnis unterworfen! Aber er redet doch ganz anders. Denn er zeigt uns, wie die Verdammnis, die wir von uns aus verdienen, durch das Heil, das uns Christus gebracht, verschlungen ist; und um das zu bekräftigen, bedient er sich des gleichen Grundes, wie ich ihn schon anführte: Christus ist nicht außer uns, sondern wohnt in uns, er bindet uns nicht nur durch ein unzerreißbares Band der Gemeinschaft an sich, sondern wächst durch eine wundersame Gemeinschaft von Tag zu Tag mehr mit uns zu einem Leibe zusammen, bis daß er ganz mit uns eins wird. Dabei leugne ich, wie ich bereits sagte, trotzdem nicht, daß unser Glaube zuweilen gewissermaßen eine Unterbrechung erleidet; je nachdem er in seiner Schwachheit unter den heftigen Angriffen, die ihn bedrängen, hin und her geworfen wird. So wird sein Licht in der dichten Finsternis der Anfechtungen erstickt. Aber was auch geschehen mag, er läßt doch nicht ab, Gott mit Fleiß zu suchen!
III,2,25
Nicht anders lehrt es Bernhard; er spricht von dieser Frage ausdrücklich in seiner fünften Predigt von der Einweihung des Tempels. „Wenn ich durch Gottes Wohltat zuweilen über meine Seele nachdenke, so kommt es mir vor, als ob ich da gewissermaßen zwei entgegengesetzte Dinge vorfände. Schaue ich sie selber an, wie sie in sich selber und aus sich selber beschaffen ist, so kann ich nichts Richtigeres von ihr aussagen, als daß sie im Grund zunichte geworden ist. Wozu soll ich nun all ihr Elend einzeln aufzählen, wie sie mit Sünden beladen, mit Finsternis bedeckt, in ihre Lüste verstrickt ist, wie sie geil ist in ihren Begierden, den Leidenschaften unterworfen, von törichten Einbildungen erfüllt, immerzu zum Bösen geneigt, zu allen Lastern bereit, wie sie schließlich voll Schande und Wirrnis ist? Und wenn doch selbst unsere Gerechtigkeit, im Lichte der Wahrheit betrachtet, ‘ist wie ein unflätig Kleid’ (Jes. 64,5), wie wird dann erst unsere Ungerechtigkeit beurteilt werden müssen! ‘Wenn nun das Licht, das in uns ist, Finsternis ist, wie groß wird dann die Finsternis sein!’ (Matth. 6,23; leicht verändert). Was soll ich sagen? Ohne Zweifel ist der Mensch wie die Eitelkeit geworden, er ist zunichte geworden, er ist nichts! Wie soll aber der gar nichts sein, den Gott groß macht? Wie soll der nichts sein, dem Gottes Herz sich zugewandt? Laßt uns aufatmen, ihr Brüder! Wir sind gewiß in unserem Herzen nichts – aber vielleicht mag im Herzen Gottes etwas über uns verborgen sein! Du Vater der Barmherzigkeit, du Vater der Elenden, wie wendest du dein Herz zu uns? Denn dein Herz ist, wo dein Schatz ist! Wie sollen wir aber dein Schatz sein, wenn wir nichts sind? Alle Heiden sind vor dir, gleich als wenn sie nicht da wären, sie sind für nichts geachtet (vgl. Jes. 40,17). Aber eben vor dir und nicht in dir, vor dem Gericht deiner Wahrheit, aber nicht in der Aufwallung deiner Güte! Denn du rufst ja dem, das nicht ist, als ob es sei! (Röm. 4,17; nicht Luthertext). Es ist nicht, denn du rufst nur das, was nicht ist! Aber es ist doch, weil du es rufst! Denn die Heiden sind, wenn es auf sie selber ankommt, tatsächlich nicht, aber bei dir sind sie – nach dem Wort des Apostels: „Nicht aus dem Verdienst der Werke, sondern aus Gnade des Berufers!“ (Röm. 9,12). (Soweit zunächst Bernhard.) Er erklärt dann, daß diese Verbindung der verschiedenen Betrachtungsweisen wunderbar ist. Sie sind ja untereinander verbunden, und darum heben sie sich gewißlich nicht auf. Am Schluß erklärt er das dann noch deutlicher: „Wenn wir in beiden Betrachtungsweisen gründlich ins Auge fassen, was wir sind, so ergibt sich nach der einen, wie gar nichts, nach der anderen, wie groß gemacht wir sind, und so meine ich, unser Ruhm scheint gedämpft – aber vielleicht ist er auch noch vergrößert; er ist nämlich nun grundfest, damit wir uns nicht in uns selber rühmen, sondern in dem Herrn! Wenn wir nämlich dies eine bedenken, daß er uns mit dem Entschluß, uns selig zu machen, auch allsogleich selig machen wird, so können wir schon darüber aufatmen! Aber wir wollen noch auf eine höhere Warte steigen, wollen die Stadt Gottes suchen, wollen sein Haus, seinen Tempel, wollen die Braut suchen! Dabei habe ich freilich nicht vergessen, sondern mit Furcht und Ehrerbietung spreche ich es aus: wir sind etwas, sage ich – aber in Gottes Herzen! Wir sind etwas – aber dadurch, daß er uns dessen würdigt, und nicht dadurch, daß wir würdig sind!“
Simon W.
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III,2,26
Weiter: die Furcht des Herrn, die immer wieder als allen Gläubigen eigen bezeugt wird, die als „der Weisheit Anfang“, ja als die Weisheit selber gilt (Ps. 111,10; Spr. 1,7; 15,31; Hiob 28,28), ist zwar stets eine und dieselbe, aber sie entspringt doch einem doppelten Empfinden. Gott beansprucht nämlich die Ehrfurcht, die ihm als Vater gebührt, und die, welche ihm als dem Herrn zukommt. Wer ihn recht verehren will, der wird sich ihm als ein folgsamer Sohn und als ein gehorsamer Knecht zu erweisen trachten. Den Gehorsam, der ihm als dem Vater zukommt, nennt der Herr durch den Mund des Propheten „Ehre“, den Gehorsam, der ihm als dem Herrn erwiesen wird, nennt er „Furcht“. „Ein Sohn soll seinen Vater ehren und ein Knecht seinen Herrn. Bin ich nun Vater, wo ist meine Ehre? Bin ich Herr, wo fürchtet man mich?“ (Mal. 1,6). Hier unterscheidet er „Ehre“ und „Furcht“ – aber zugleich bringt er beide zusammen, indem er am Anfang beide unter der Forderung zusammenfaßt, ihn zu „ehren“. Die Furcht des Herrn soll also für uns Ehrerbietung sein, die aus solcher Ehre und Furcht zusammengefügt ist. Es ist auch nicht verwunderlich, wenn ein und dasselbe Herz beide Regungen in sich empfängt. Denn wer bei sich selbst erwägt, was für ein Vater Gott gegen uns ist, der hat ausreichend Grund, eine Kränkung dieses Gottes schlimmer zu verabscheuen als den Tod, auch wenn es keine Hölle gäbe! Aber der Leichtsinn unseres Fleisches, der sich so gern der Sünde hingibt, ist so groß, daß wir, um ihn immerzu am Zügel zu halten, auch noch den anderen Gedanken gründlich festhalten müssen: dem Herrn, unter dessen Gewalt wir stehen, ist alle Ungerechtigkeit ein Greuel, und wer durch ein Lasterleben seinen Zorn über sich hervorruft, der wird seiner Vergeltung nicht entgehen!
III,2,27
Nun sagt freilich Johannes: „Furcht ist nicht in der Liebe; denn die völlige Liebe treibt die Furcht aus; denn die Furcht hat Pein“ (1. Joh. 4,18). Aber das steht zu dem eben Gesagten nicht in Widerspruch. Er redet nämlich von dem Schrecken des Unglaubens, der etwas ganz anderes ist als die Furcht der Gläubigen. Denn die Gottlosen fürchten Gott nicht in dem Sinne, daß sie sich auch dann scheuten, ihn zu beleidigen, wenn sie es ungestraft tun könnten; nein, sie erschrecken furchtbar, wenn sie von seinem Zorn hören, weil sie wissen, daß Gott mit der Macht gerüstet ist, Vergeltung zu üben. Und so fürchten sie sich vor seinem Zorn, weil sie meinen, daß er ihnen immer droht, weil sie in jedem Augenblick erwarten, er könnte ihnen aufs Haupt fallen. Die Gläubigen dagegen fürchten, wie gesagt, die Kränkung Gottes mehr als seine Strafe, sie lassen sich auch nicht von der Furcht vor der Strafe in Verwirrung bringen, als ob diese ihnen immerzu über dem Nacken schwebte, sondern sie lassen sich vorsichtiger machen, sich diese Strafe nicht zuzuziehen. So meint es der Apostel, wenn er zu den Gläubigen spricht: „Lasset euch niemand verführen …; denn um dieser Dinge willen kommt der Zorn Gottes über die Kinder des Unglaubens“ (Eph. 5,6; Kol. 3,6). Er droht nicht, der Zorn Gottes werde über die Gläubigen selber kommen; aber er fordert sie auf zu erwägen, wie um der Laster willen, die er aufgezählt, der Zorn des Herrn der Ungläubigen wartet, – damit sie (die Gläubigen) ihn auch selber nicht erfahren wollen! Freilich kommt es selten vor, daß sich die Verworfenen schon allein durch einfache Drohungen aufwecken lassen; nein, sie sind in ihrer Verhärtung dermaßen träge und stumpfsinnig geworden, daß sie sich, wenn Gott mit seinen Worten vom Himmel her sein Unwetter ergehen läßt, jedesmal zur Halsstarrigkeit verstocken; aber wenn seine Hand sie niederschlägt, dann werden sie, mögen sie wollen oder nicht, gezwungen, ihn zu fürchten. Diese Furcht nennt man allgemein sklavische Furcht, und man stellt sie der edelgeborenen, freiwilligen Furcht gegenüber, wie sie die Kinder haben sollen. Einige fügen da scharfsinnig noch eine mittlere Art von Furcht ein, weil jene sklavische, gezwungene Regung zuweilen auch einen Menschen dazu bringt, freiwillig zur Furcht Gottes zu gelangen.
III,2,28
Wir sprachen davon, daß der Glaube auf das göttliche Wohlwollen schaut. Wir verstehen das nun so, daß er in diesem Wohlwollen Gottes den Besitz des Heils und des ewigen Lebens ergreift. Ist Gott uns gnädig, so kann uns eben nichts fehlen, und deshalb genügt es uns vollauf zur Gewißheit des Heils, wenn er uns seiner Liebe versichert. „Laß leuchten dein Antlitz“, sagt der Prophet, „so genesen wir!“ (Ps. 80,4). Die Hauptsumme unseres Heils besteht daher nach der Schrift darin, daß alle Feindschaft abgetan ist und er uns in Gnaden angenommen hat (Eph. 2,14). Damit gibt uns die Schrift zu verstehen, daß, wenn Gott mit uns versöhnt ist, keine Gefahr mehr bleibt, sondern alles uns zum Besten dienen muß. Deshalb hat der Glaube, wenn er sich Gottes Liebe zu eigen gemacht hat, die Verheißung des gegenwärtigen und des zukünftigen Lebens und den vollkommen sicheren Besitz aller Güter, freilich nur so, wie man solchen aus dem Worte entnehmen kann. Denn der Glaube kann sich nicht etwa eine lange Ausdehnung dieses irdischen Lebens, Ehre und Macht in diesem Leben mit Gewißheit versprechen; dergleichen hat uns der Herr nämlich nicht zusagen wollen. Er begnügt sich vielmehr mit der Gewißheit, daß uns zwar vieles mangeln mag, was uns in diesem Leben helfen könnte, daß uns aber Gott nie fehlen wird! In besonderer Weise aber ruht die Gewißheit des Glaubens auf der Erwartung des kommenden Lebens, die sich ohne jeden Zweifel aus Gottes Wort ergibt! Wieviel Elend und Not auch auf Erden des Menschen warten mag, den Gott in seiner Liebe umfangen hat – sie vermögen doch nicht zu hindern, daß Gottes Wohlwollen volle Glückseligkeit bedeutet. Wollen wir also die Hauptsumme des Glücks beschreiben, so nennen wir Gottes Gnade; denn aus diesem Brunnquell fließt uns jedwedes Gut zu! Man kann es auch in der Schrift immer wieder beobachten, wie wir jedesmal an des Herrn Liebe erinnert werden, wenn vom ewigen Heil, ja auch von irgendeinem Gut die Rede ist, das uns zukommen soll. Deshalb singt David, die göttliche Güte sei, wenn sie ein Mensch in frommem Herzen erfährt, süßer und begehrenswerter als das Leben! (Ps. 63,4). Kurzum, würde uns auch alles nach unseren Wünschen zufließen, so wäre diese Glückseligkeit doch verflucht und jämmerlich, wenn wir unterdessen nicht wüßten, ob Gott uns liebt oder haßt. Leuchtet uns aber Gottes väterliches Antlitz, so wird uns auch das Elend zum Glück, denn es verwandelt sich in eine Hilfe zum Heil! Darum kann Paulus alles Unglück zusammenhäufen und sich doch rühmen, daß nichts von alledem „mag uns scheiden von der Liebe Gottes …“ (Röm. 8,39); und in seinen Gebeten beginnt er immer mit der Gnade Gottes, aus der ja alles Wohlergehen hervorquillt. So stellt auch David allem Schrecken, der uns in Verwirrung bringen mag, allein Gottes Gnade entgegen: „Und ob ich schon wanderte im Schatten des Todes, so fürchte ich doch kein Unglück; denn du bist bei mir“ (Ps. 23,4; nicht Luthertext). Wir erfahren es ja auch, wie unser Herz immerzu hin und her schwankt, wenn es sich nicht an der Gnade Gottes genügen läßt, in ihr den Frieden sucht und sich allezeit fest einprägt, was der Psalmist sagt: „Wohl dem Volk, des Gott der Herr ist, dem Volk, das er zum Erbe erwählt hat!“ (Ps. 33,12).
III,2,29
Als das Fundament des Glaubens bezeichnete ich oben die Verheißung Gottes, die aus Gnaden ergangen ist; denn auf ihr ruht im eigentlichen Sinne der Glaube, Er halt gewiß Gott in allem, was er tut, für wahrhaftig, ob er fordert oder verbietet, ob er verheißt oder droht; er nimmt auch gehorsam seine Befehle an, hält seine Verbote, beachtet seine Drohungen; aber seinen Ausgangspunkt nimmt er doch im eigentlichen Sinne bei der Verheißung; sie ist für ihn Anfang und Ende. Denn er sucht das Leben in Gott, und das besteht nicht in Geboten und Strafandrohungen, sondern es findet sich in der Verheißung der Barmherzigkeit, die aus Gnaden erfolgt. Eine bedingte Verheißung nämlich, die uns auf unsere Werke verweist, verspricht uns das Leben nur für den Fall, daß wir es in uns selber finden. Wollen wir also nicht, daß der Glaube ein zitterndes und schwankendes Ding sei, so müssen wir ihn auf die Verheißung des Heils gründen, wie sie uns der Herr von sich aus freigebig anbietet, nicht um unserer Würdigkeit, sondern vielmehr um unseres Elendes willen. Deshalb gibt der Apostel dem Evangelium das Zeugnis, es sei „das Wort vom Glauben“ (Röm. 10, 8). Den Geboten wie auch den Verheißungen des Gesetzes spricht er dies Zeugnis ab; denn es ist nichts, was unserem Glauben festen Grund geben kann, als diese freigebige Botschaft Gottes, in der er die Welt mit sich selber versöhnt. Daher kommt es auch, daß Paulus so oft den Glauben und das Evangelium aufeinander bezieht; er lehrt, daß ihm der Dienst am Evangelium aufgetragen ist, „den Gehorsam des Glaubens aufzurichten“, und dies Evangelium ist „eine Kraft Gottes, die da selig macht alle, die daran glauben …, sintemal darin offenbart wird die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, welche kommt aus Glauben in Glauben“ (Röm. 1,5.16.17). Diese Zusammenschau von Glaube und Evangelium ist nicht verwunderlich; denn das Evangelium ist ja „das Amt, das die Versöhnung Predigt“ (2. Kor. 5,18), und deshalb gibt es nichts anderes, das die Freundlichkeit Gottes, deren Erkenntnis der Glaube erfordert, hinreichend kräftig bezeugte. Wenn ich also behaupte, daß der Glaube sich auf diese Verheißung Gottes stützen muß, die aus freier Gnade ergeht, so leugne ich damit nicht, daß die Gläubigen das Wort Gottes in seiner ganzen Fülle und Ausdehnung erfassen und annehmen sollen; sondern ich möchte die Verheißung des Erbarmens Gottes für den eigentlichen Richtpunkt des Glaubens erklären. Die Gläubigen sollen Gott ja gewiß auch als den Richter und Vergelter der Freveltaten erkennen, und doch schauen sie eigentlich auf seine Freundlichkeit, denn er wird ihrer Betrachtung als der vor Augen gehalten, der da „gütig und gnädig“ ist, „langsam zum Zorn“, „von großer Güte“, freundlich gegen alle Menschen, ja, der seine Güte ausgießt über alle seine Werke! (Ps. 86,5; 103, 8; 145, 8).
III,2,30
Bei dieser Lehre will ich mich auch nicht durch das Gebell des Pighius und ähnlicher Hunde aufhalten lassen: sie gehen gegen meine einschränkende Behauptung (daß sich der Glaube besonders an die Verheißung halte) wütend vor und behaupten, damit würde der Glaube zerrissen und es bliebe nur ein einziges Stück von ihm übrig. Ich gebe, wie bereits ausgesprochen, durchaus zu, daß sich der Glaube – wie man sagt – allgemein an Gottes Wahrheit als sein „Objekt“ zu halten hat, ob Gott nun droht oder ob er uns auf seine Gnade hoffen läßt! Deshalb gehörte es nach den Worten des Apostels auch zum Glauben, daß Noah den Untergang der Welt, den er noch nicht sah, doch fürchtete (Hebr. 11,7). Wenn nun auch die Furcht vor einer drohenden Strafe Gottes ein Werk des Glaubens war, so kann man (sagen diese Sophisten) bei der Beschreibung seines Wesens von den Drohungen Gottes nicht absehen. Das ist zwar richtig; aber diese schmähsüchtigen Leute machen mir zu Unrecht den Vorwurf, als wollte ich leugnen, daß der Glaube auf alle Teile des Wortes Gottes Bezug hat. Ich will nur zweierlei aufzeigen: erstens kommt der Glaube niemals zu festem Bestand, bis er zu jener aus Gnaden geschehenden Verheißung durchgedrungen ist, und zweitens kann er uns nur dadurch mit Gott versöhnen, daß er uns mit Christus verbindet. Und dies ist beides wirklich erwähnenswert. Wir suchen einen Glauben, der Gottes Kinder von den Verworfenen unterscheidet, die Gläubigen von den Ungläubigen. Wenn nun jemand glaubt, daß Gottes Gebote recht und seine Drohungen ernst gemeint sind – ist der deshalb für gläubig zu erklären? Ganz gewiß nicht! Der Glaube hat also keinen festen Bestand, wenn er nicht in Gottes Barmherzigkeit gegründet ist. Warum aber überhaupt unsere Erörterung über den Glauben? Doch sicher nur deshalb, weil es uns darum geht, den Weg zum Heil zu wissen. Wie soll uns aber der Glaube anders das Heil verschaffen, als dadurch, daß er uns in Christi Leib einfügt? Es ist also keineswegs widersinnig, wenn wir in unserer Begriffsbestimmung so scharf die hauptsächliche Wirkung des Glaubens betonen und wenn wir zur Feststellung des Unterschiedes dem allgemeinen Glaubensbegriff jenes Kennzeichen unterstellen, das die Gläubigen von den Ungläubigen trennt! Schließlich können uns diese übelwollenden Kritiker gar nicht tadeln, ohne zugleich Paulus mit uns zu strafen, denn er nennt das Evangelium im eigentlichen Sinne das „Wort vom Glauben“ (Röm. 10, 8).
Weiter: die Furcht des Herrn, die immer wieder als allen Gläubigen eigen bezeugt wird, die als „der Weisheit Anfang“, ja als die Weisheit selber gilt (Ps. 111,10; Spr. 1,7; 15,31; Hiob 28,28), ist zwar stets eine und dieselbe, aber sie entspringt doch einem doppelten Empfinden. Gott beansprucht nämlich die Ehrfurcht, die ihm als Vater gebührt, und die, welche ihm als dem Herrn zukommt. Wer ihn recht verehren will, der wird sich ihm als ein folgsamer Sohn und als ein gehorsamer Knecht zu erweisen trachten. Den Gehorsam, der ihm als dem Vater zukommt, nennt der Herr durch den Mund des Propheten „Ehre“, den Gehorsam, der ihm als dem Herrn erwiesen wird, nennt er „Furcht“. „Ein Sohn soll seinen Vater ehren und ein Knecht seinen Herrn. Bin ich nun Vater, wo ist meine Ehre? Bin ich Herr, wo fürchtet man mich?“ (Mal. 1,6). Hier unterscheidet er „Ehre“ und „Furcht“ – aber zugleich bringt er beide zusammen, indem er am Anfang beide unter der Forderung zusammenfaßt, ihn zu „ehren“. Die Furcht des Herrn soll also für uns Ehrerbietung sein, die aus solcher Ehre und Furcht zusammengefügt ist. Es ist auch nicht verwunderlich, wenn ein und dasselbe Herz beide Regungen in sich empfängt. Denn wer bei sich selbst erwägt, was für ein Vater Gott gegen uns ist, der hat ausreichend Grund, eine Kränkung dieses Gottes schlimmer zu verabscheuen als den Tod, auch wenn es keine Hölle gäbe! Aber der Leichtsinn unseres Fleisches, der sich so gern der Sünde hingibt, ist so groß, daß wir, um ihn immerzu am Zügel zu halten, auch noch den anderen Gedanken gründlich festhalten müssen: dem Herrn, unter dessen Gewalt wir stehen, ist alle Ungerechtigkeit ein Greuel, und wer durch ein Lasterleben seinen Zorn über sich hervorruft, der wird seiner Vergeltung nicht entgehen!
III,2,27
Nun sagt freilich Johannes: „Furcht ist nicht in der Liebe; denn die völlige Liebe treibt die Furcht aus; denn die Furcht hat Pein“ (1. Joh. 4,18). Aber das steht zu dem eben Gesagten nicht in Widerspruch. Er redet nämlich von dem Schrecken des Unglaubens, der etwas ganz anderes ist als die Furcht der Gläubigen. Denn die Gottlosen fürchten Gott nicht in dem Sinne, daß sie sich auch dann scheuten, ihn zu beleidigen, wenn sie es ungestraft tun könnten; nein, sie erschrecken furchtbar, wenn sie von seinem Zorn hören, weil sie wissen, daß Gott mit der Macht gerüstet ist, Vergeltung zu üben. Und so fürchten sie sich vor seinem Zorn, weil sie meinen, daß er ihnen immer droht, weil sie in jedem Augenblick erwarten, er könnte ihnen aufs Haupt fallen. Die Gläubigen dagegen fürchten, wie gesagt, die Kränkung Gottes mehr als seine Strafe, sie lassen sich auch nicht von der Furcht vor der Strafe in Verwirrung bringen, als ob diese ihnen immerzu über dem Nacken schwebte, sondern sie lassen sich vorsichtiger machen, sich diese Strafe nicht zuzuziehen. So meint es der Apostel, wenn er zu den Gläubigen spricht: „Lasset euch niemand verführen …; denn um dieser Dinge willen kommt der Zorn Gottes über die Kinder des Unglaubens“ (Eph. 5,6; Kol. 3,6). Er droht nicht, der Zorn Gottes werde über die Gläubigen selber kommen; aber er fordert sie auf zu erwägen, wie um der Laster willen, die er aufgezählt, der Zorn des Herrn der Ungläubigen wartet, – damit sie (die Gläubigen) ihn auch selber nicht erfahren wollen! Freilich kommt es selten vor, daß sich die Verworfenen schon allein durch einfache Drohungen aufwecken lassen; nein, sie sind in ihrer Verhärtung dermaßen träge und stumpfsinnig geworden, daß sie sich, wenn Gott mit seinen Worten vom Himmel her sein Unwetter ergehen läßt, jedesmal zur Halsstarrigkeit verstocken; aber wenn seine Hand sie niederschlägt, dann werden sie, mögen sie wollen oder nicht, gezwungen, ihn zu fürchten. Diese Furcht nennt man allgemein sklavische Furcht, und man stellt sie der edelgeborenen, freiwilligen Furcht gegenüber, wie sie die Kinder haben sollen. Einige fügen da scharfsinnig noch eine mittlere Art von Furcht ein, weil jene sklavische, gezwungene Regung zuweilen auch einen Menschen dazu bringt, freiwillig zur Furcht Gottes zu gelangen.
III,2,28
Wir sprachen davon, daß der Glaube auf das göttliche Wohlwollen schaut. Wir verstehen das nun so, daß er in diesem Wohlwollen Gottes den Besitz des Heils und des ewigen Lebens ergreift. Ist Gott uns gnädig, so kann uns eben nichts fehlen, und deshalb genügt es uns vollauf zur Gewißheit des Heils, wenn er uns seiner Liebe versichert. „Laß leuchten dein Antlitz“, sagt der Prophet, „so genesen wir!“ (Ps. 80,4). Die Hauptsumme unseres Heils besteht daher nach der Schrift darin, daß alle Feindschaft abgetan ist und er uns in Gnaden angenommen hat (Eph. 2,14). Damit gibt uns die Schrift zu verstehen, daß, wenn Gott mit uns versöhnt ist, keine Gefahr mehr bleibt, sondern alles uns zum Besten dienen muß. Deshalb hat der Glaube, wenn er sich Gottes Liebe zu eigen gemacht hat, die Verheißung des gegenwärtigen und des zukünftigen Lebens und den vollkommen sicheren Besitz aller Güter, freilich nur so, wie man solchen aus dem Worte entnehmen kann. Denn der Glaube kann sich nicht etwa eine lange Ausdehnung dieses irdischen Lebens, Ehre und Macht in diesem Leben mit Gewißheit versprechen; dergleichen hat uns der Herr nämlich nicht zusagen wollen. Er begnügt sich vielmehr mit der Gewißheit, daß uns zwar vieles mangeln mag, was uns in diesem Leben helfen könnte, daß uns aber Gott nie fehlen wird! In besonderer Weise aber ruht die Gewißheit des Glaubens auf der Erwartung des kommenden Lebens, die sich ohne jeden Zweifel aus Gottes Wort ergibt! Wieviel Elend und Not auch auf Erden des Menschen warten mag, den Gott in seiner Liebe umfangen hat – sie vermögen doch nicht zu hindern, daß Gottes Wohlwollen volle Glückseligkeit bedeutet. Wollen wir also die Hauptsumme des Glücks beschreiben, so nennen wir Gottes Gnade; denn aus diesem Brunnquell fließt uns jedwedes Gut zu! Man kann es auch in der Schrift immer wieder beobachten, wie wir jedesmal an des Herrn Liebe erinnert werden, wenn vom ewigen Heil, ja auch von irgendeinem Gut die Rede ist, das uns zukommen soll. Deshalb singt David, die göttliche Güte sei, wenn sie ein Mensch in frommem Herzen erfährt, süßer und begehrenswerter als das Leben! (Ps. 63,4). Kurzum, würde uns auch alles nach unseren Wünschen zufließen, so wäre diese Glückseligkeit doch verflucht und jämmerlich, wenn wir unterdessen nicht wüßten, ob Gott uns liebt oder haßt. Leuchtet uns aber Gottes väterliches Antlitz, so wird uns auch das Elend zum Glück, denn es verwandelt sich in eine Hilfe zum Heil! Darum kann Paulus alles Unglück zusammenhäufen und sich doch rühmen, daß nichts von alledem „mag uns scheiden von der Liebe Gottes …“ (Röm. 8,39); und in seinen Gebeten beginnt er immer mit der Gnade Gottes, aus der ja alles Wohlergehen hervorquillt. So stellt auch David allem Schrecken, der uns in Verwirrung bringen mag, allein Gottes Gnade entgegen: „Und ob ich schon wanderte im Schatten des Todes, so fürchte ich doch kein Unglück; denn du bist bei mir“ (Ps. 23,4; nicht Luthertext). Wir erfahren es ja auch, wie unser Herz immerzu hin und her schwankt, wenn es sich nicht an der Gnade Gottes genügen läßt, in ihr den Frieden sucht und sich allezeit fest einprägt, was der Psalmist sagt: „Wohl dem Volk, des Gott der Herr ist, dem Volk, das er zum Erbe erwählt hat!“ (Ps. 33,12).
III,2,29
Als das Fundament des Glaubens bezeichnete ich oben die Verheißung Gottes, die aus Gnaden ergangen ist; denn auf ihr ruht im eigentlichen Sinne der Glaube, Er halt gewiß Gott in allem, was er tut, für wahrhaftig, ob er fordert oder verbietet, ob er verheißt oder droht; er nimmt auch gehorsam seine Befehle an, hält seine Verbote, beachtet seine Drohungen; aber seinen Ausgangspunkt nimmt er doch im eigentlichen Sinne bei der Verheißung; sie ist für ihn Anfang und Ende. Denn er sucht das Leben in Gott, und das besteht nicht in Geboten und Strafandrohungen, sondern es findet sich in der Verheißung der Barmherzigkeit, die aus Gnaden erfolgt. Eine bedingte Verheißung nämlich, die uns auf unsere Werke verweist, verspricht uns das Leben nur für den Fall, daß wir es in uns selber finden. Wollen wir also nicht, daß der Glaube ein zitterndes und schwankendes Ding sei, so müssen wir ihn auf die Verheißung des Heils gründen, wie sie uns der Herr von sich aus freigebig anbietet, nicht um unserer Würdigkeit, sondern vielmehr um unseres Elendes willen. Deshalb gibt der Apostel dem Evangelium das Zeugnis, es sei „das Wort vom Glauben“ (Röm. 10, 8). Den Geboten wie auch den Verheißungen des Gesetzes spricht er dies Zeugnis ab; denn es ist nichts, was unserem Glauben festen Grund geben kann, als diese freigebige Botschaft Gottes, in der er die Welt mit sich selber versöhnt. Daher kommt es auch, daß Paulus so oft den Glauben und das Evangelium aufeinander bezieht; er lehrt, daß ihm der Dienst am Evangelium aufgetragen ist, „den Gehorsam des Glaubens aufzurichten“, und dies Evangelium ist „eine Kraft Gottes, die da selig macht alle, die daran glauben …, sintemal darin offenbart wird die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, welche kommt aus Glauben in Glauben“ (Röm. 1,5.16.17). Diese Zusammenschau von Glaube und Evangelium ist nicht verwunderlich; denn das Evangelium ist ja „das Amt, das die Versöhnung Predigt“ (2. Kor. 5,18), und deshalb gibt es nichts anderes, das die Freundlichkeit Gottes, deren Erkenntnis der Glaube erfordert, hinreichend kräftig bezeugte. Wenn ich also behaupte, daß der Glaube sich auf diese Verheißung Gottes stützen muß, die aus freier Gnade ergeht, so leugne ich damit nicht, daß die Gläubigen das Wort Gottes in seiner ganzen Fülle und Ausdehnung erfassen und annehmen sollen; sondern ich möchte die Verheißung des Erbarmens Gottes für den eigentlichen Richtpunkt des Glaubens erklären. Die Gläubigen sollen Gott ja gewiß auch als den Richter und Vergelter der Freveltaten erkennen, und doch schauen sie eigentlich auf seine Freundlichkeit, denn er wird ihrer Betrachtung als der vor Augen gehalten, der da „gütig und gnädig“ ist, „langsam zum Zorn“, „von großer Güte“, freundlich gegen alle Menschen, ja, der seine Güte ausgießt über alle seine Werke! (Ps. 86,5; 103, 8; 145, 8).
III,2,30
Bei dieser Lehre will ich mich auch nicht durch das Gebell des Pighius und ähnlicher Hunde aufhalten lassen: sie gehen gegen meine einschränkende Behauptung (daß sich der Glaube besonders an die Verheißung halte) wütend vor und behaupten, damit würde der Glaube zerrissen und es bliebe nur ein einziges Stück von ihm übrig. Ich gebe, wie bereits ausgesprochen, durchaus zu, daß sich der Glaube – wie man sagt – allgemein an Gottes Wahrheit als sein „Objekt“ zu halten hat, ob Gott nun droht oder ob er uns auf seine Gnade hoffen läßt! Deshalb gehörte es nach den Worten des Apostels auch zum Glauben, daß Noah den Untergang der Welt, den er noch nicht sah, doch fürchtete (Hebr. 11,7). Wenn nun auch die Furcht vor einer drohenden Strafe Gottes ein Werk des Glaubens war, so kann man (sagen diese Sophisten) bei der Beschreibung seines Wesens von den Drohungen Gottes nicht absehen. Das ist zwar richtig; aber diese schmähsüchtigen Leute machen mir zu Unrecht den Vorwurf, als wollte ich leugnen, daß der Glaube auf alle Teile des Wortes Gottes Bezug hat. Ich will nur zweierlei aufzeigen: erstens kommt der Glaube niemals zu festem Bestand, bis er zu jener aus Gnaden geschehenden Verheißung durchgedrungen ist, und zweitens kann er uns nur dadurch mit Gott versöhnen, daß er uns mit Christus verbindet. Und dies ist beides wirklich erwähnenswert. Wir suchen einen Glauben, der Gottes Kinder von den Verworfenen unterscheidet, die Gläubigen von den Ungläubigen. Wenn nun jemand glaubt, daß Gottes Gebote recht und seine Drohungen ernst gemeint sind – ist der deshalb für gläubig zu erklären? Ganz gewiß nicht! Der Glaube hat also keinen festen Bestand, wenn er nicht in Gottes Barmherzigkeit gegründet ist. Warum aber überhaupt unsere Erörterung über den Glauben? Doch sicher nur deshalb, weil es uns darum geht, den Weg zum Heil zu wissen. Wie soll uns aber der Glaube anders das Heil verschaffen, als dadurch, daß er uns in Christi Leib einfügt? Es ist also keineswegs widersinnig, wenn wir in unserer Begriffsbestimmung so scharf die hauptsächliche Wirkung des Glaubens betonen und wenn wir zur Feststellung des Unterschiedes dem allgemeinen Glaubensbegriff jenes Kennzeichen unterstellen, das die Gläubigen von den Ungläubigen trennt! Schließlich können uns diese übelwollenden Kritiker gar nicht tadeln, ohne zugleich Paulus mit uns zu strafen, denn er nennt das Evangelium im eigentlichen Sinne das „Wort vom Glauben“ (Röm. 10, 8).
Simon W.
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III,2,31
Hieraus aber schließe ich wiederum, was ich bereits oben auseinandergesetzt habe: der Glaube bedarf des Wortes nicht weniger, als die Frucht der lebendigen Wurzel des Baumes! Denn nach Davids Zeugnis können nur die auf Gott hoffen, die seinen Namen kennen (Ps. 9,11). Diese Erkenntnis kommt aber nicht aus jedermanns Einbildung, sondern allein daher, daß Gott selbst der Zeuge seiner Güte ist. Das bestätigt der gleiche Prophet auch an anderer Stelle: „Herr, laß mir deine Gnade widerfahren, deine Hilfe nach deinem Wort!“ (Ps. 119,41). Ebenso: „Ich verlasse mich auf dein Wort, mache mich selig …“ (Ps. 119,40? Jedenfalls ungenau). Hier müssen wir zunächst auf die Bezogenheit des Glaubens auf das Wort achten und dann darauf, daß sich das Heil daraus ergibt. Dabei sehe ich jedoch nicht von der Macht Gottes ab: wenn der Glaube sich nicht darauf stützt, daß er auf sie schaut, so kann er Gott niemals die schuldige Ehre geben. Paulus berichtet von Abraham scheinbar etwas Unerhebliches und Gewöhnliches, wenn er von ihm sagt, er habe an die Macht Gottes geglaubt, der ihm einen gesegneten Samen verheißen hatte (Röm. 4,21). Ähnlich von sich selber: „Ich weiß, an wen ich glaube, und bin gewiß, daß er mächtig ist, mir zu bewahren, was mir beigelegt ist, bis auf jenen Tag“ (2. Tim. 1,12; nicht ganz Luthertext). Wenn nun aber jemand bei sich selber erwägt, wieviel Zweifel an Gottes Kraft ihn stets beschleichen, so wird er sehr wohl erkennen, daß ein Mensch, der diese Kraft Gottes nach Gebühr verherrlicht, keine geringen Fortschritte im Glauben gemacht hat. Wir werden zwar alle zugeben, daß Gott kann, was er will, aber wenn uns dann die geringste Anfechtung vor Furcht irremacht und vor Schrecken erschüttert, dann wird offenbar, daß wir der Macht Gottes etwas abbrechen, da wir sie ja hinter den Drohungen des Satans gegen seine Verheißungen offenbar zurücktreten lassen. Deshalb redet auch Jesaja, um die Gewißheit des Heils dem Volke tief ins Herz zu graben, so gewaltig von Gottes unermeßlicher Kraft (z.B. Jes. 40,25ff. und sonst öfters in Jes. 40-45). Oft beginnt er seine Rede mit der Hoffnung auf Vergebung und Versöhnung und verfällt dann scheinbar auf einen ganz anderen Gegenstand und auf weite und überflüssige Abschweifungen, indem er daran erinnert, wie wunderbar Gott das Gebäu des Himmels und der Erde und die ganze Ordnung der Natur regiert; aber tatsächlich dienen auch diese Gedanken dem, was er gerade behandelt; denn wenn Gottes Kraft, mit der er alles vermag, uns nicht in die Augen fällt, so werden unsere Ohren das Wort ungern annehmen und es wenigstens nicht so hoch schätzen, wie es geschehen müßte. Wir müssen auch bedenken, daß dabei von einer wirkenden Macht die Rede ist; die Frömmigkeit bezieht nämlich, wie wir bereits sahen, Gottes Macht stets auf ihren Nutzen und ihr Werk, sie halt sich vor allem die Werke Gottes vor, in denen er sich als unser Vater bezeugt hat. Darum erinnert die Schrift die Kinder Israel auch so oft an die (ihnen widerfahrene) Erlösung; sie konnten daraus lernen, daß der Gott, der ihnen einmal das Heil geschenkt hatte, auch sein ewiger Hüter sein werde. David gemahnt uns mit seinem eigenen Beispiel daran, daß die Wohltaten, die Gott jedem einzelnen für sich allein erwiesen hat, auch noch fort und fort dazu wirken, unseren Glauben zu stärken; ja, wenn er uns verlassen zu haben scheint, so sollen wir unsere Gedanken weiter zurückgehen lassen, damit uns seine früheren Wohltaten aufrichten; so heißt es in einem anderen Psalm: „Ich gedenke an die vorigen Zeiten; ich rede von allen deinen Taten …“ (Ps. 143,5), und ebenso: „Darum gedenke ich an die Taten des Herrn; ja ich gedenke an deine vorigen Wunder“ (Ps. 77,12). Aber ohne das Wort ist alles, was wir über Gottes Macht und Gottes Werke erdenken, inhaltslos, und deshalb ist es nicht unbedacht, wenn wir behaupten, daß es keinen Glauben gibt, ehe uns Gott selber mit dem Zeugnis seiner Gnade voranleuchtet. Man könnte hier allerdings fragen, was wir denn von Sara und Rebekka halten sollten, die doch beide, dem Anschein nach vom Eifer des Glaubens getrieben, über die Grenzen des Wortes hinausgegangen sind. Sara brannte vor Verlangen nach dem verheißenen Nachkommen und gab darum ihre Magd ihrem Manne zum Weibe (Gen. 16,5). Daß sie vielfältig gesündigt hat, ist nicht zu leugnen, aber hier will ich nur die eine Verfehlung berühren, daß sie sich im Drange ihres Eifers nicht innerhalb der Grenzen des Wortes hielt. Und doch ist jenes Verlangen ganz sicher aus dem Glauben entstanden. Rebekka hatte durch einen Gottesspruch die Gewißheit erhalten, daß ihr Sohn Jakob erwählt war, und deshalb verhalf sie ihm mit böser Kunst zu dem Segen; ihren Mann, der doch der Zeuge und Diener der göttlichen Gnade war, täuschte sie, ihren Sohn veranlaßte sie zur Lüge, Gottes Wahrheit verfälschte sie mit mancherlei Betrug und Hinterlist. Kurzum, sie machte Gottes Verheißung geradezu zum Gespött und tat das Ihrige, um sie gar abzutun (Gen. 27). Und trotzdem fehlte auch in diesem Tun, so freventlich und tadelnswert es war, der Glaube nicht ganz. Denn sie mußte ja vielerlei Hindernisse überwinden, um so eifrig ein Recht zu begehren, das keine Hoffnung auf irdischen Nutzen, dafür aber unendlich viel Last und Gefahr in sich trug! Ebenso werden wir dem heiligen Erzvater Isaak nicht etwa jeglichen Glauben absprechen, weil er an seiner Neigung für den erstgeborenen Sohn Esau festhielt, obwohl ihm in dem nämlichen Gottesspruch kundgetan war, daß die Würde (der Erstgeburt) auf den Jüngeren übergegangen war. Diese Beispiele belehren uns wahrhaftig darüber, daß der Glaube öfters mit Irrtümern untermischt ist; aber dabei hat doch der Glaube stets die Vorherrschaft, sofern er rechter Art ist. Denn wie der besondere Irrtum der Rebekka die Wirkung des Segens nicht aufhob, so hat er auch den Glauben nicht abgetan, der im allgemeinen in ihrem Inneren die Herrschaft führte und sogar der Ausgangspunkt und Urgrund der (an sich bösen) Tat war. Aber gerade darin hat sie bewiesen, wie sehr der Menschengeist auf das Schlüpfrige geraten muß, sobald er sich auch nur ein ganz klein wenig gehen läßt. Obwohl aber Untreue und Schwachheit den Glauben verdunkeln, so vermögen sie ihn doch nicht auszulöschen; unterdessen mahnen sie uns aber daran, wie sorgfältig wir an Gottes Mund hängen müssen, und bestätigen damit unsere Lehre, daß der Glaube ohne die feste Begründung im Worte zergehen muß, wie ja auch Sara, Isaak und Rebekka innerlich in ihren krummen Abwegen zunichte geworden wären, wenn Gott sie nicht mit verborgenem Zügel beim Gehorsam gegen sein Wort festgehalten hätte.
III,2,32
Wiederum hat es seinen guten Grund, wenn wir alle Verheißungen in Christo beschlossen denken; denn der Apostel faßt das ganze Evangelium in der Erkenntnis Christi zusammen (Röm. 1,16) und sagt an anderer Stelle: „Alle Gottesverheißungen sind Ja in ihm und sind Amen in ihm“ (2. Kor. 1,20). Der Grund dafür läßt sich leicht angeben. Wenn nämlich Gott etwas verheißt, so bezeugt er damit seine Freundlichkeit; er gibt uns also keine Verheißung, die nicht ein Zeugnis seiner Liebe gegen uns wäre. Es macht dabei nichts aus, daß die Gottlosen dadurch, daß sie immerfort mit gewaltigen und unablässigen Gaben seiner Milde überschüttet werden, ein um so schwereres Gericht auf sich laden. Denn sie bedenken ja nicht, daß ihnen diese Gaben aus des Herrn Hand zukommen; sie wissen es auch gar nicht, oder wenn sie es einmal erkennen, so erwägen sie doch Gottes Güte nie und nimmer bei sich selbst; deshalb aber können sie aus diesen Gaben ebensowenig eine Belehrung über Gottes Barmherzigkeit empfangen wie die unvernünftigen Tiere, die ja auch je nach ihren Lebensverhältnissen die gleiche Frucht göttlicher Freigebigkeit empfangen und doch nicht darauf achten. Ebensowenig steht hier im Wege, daß sie zumeist die für sie bestimmten Verheißungen verachten und sich dadurch eine um so schärfere Bestrafung zuziehen. Denn die Wirkung der Verheißungen tritt zwar erst dann ein, wenn sie bei uns Glauben gefunden haben; aber ihre Kraft und Eigenart wird doch durch unseren Unglauben und unsere Undankbarkeit in keiner Weise ausgelöscht. Wenn also der Herr durch seine Verheißungen den Menschen auffordert, die Früchte seiner Güte nicht nur in Empfang zu nehmen, sondern sie auch recht zu bedenken, so gibt er ihm damit zugleich seine Liebe zu erkennen. Wir müssen also wieder auf den Satz zurückkommen, daß jede Verheißung ein Zeugnis der Liebe Gottes zu uns ist. Nun ist es aber außer Zweifel, daß Gott niemanden anders als in Christus liebt; er ist der „geliebte Sohn“, auf dem des Vaters Liebe bleibt und ruht (Matth. 3,17; 17,5) und von dem sie uns zufließt, wie Paulus sagt: „zum Lob seiner herrlichen Gnade, durch welche er uns hat angenehm gemacht in dem Geliebten“ (Eph. 1,6). Durch sein eigenes Dazwischentreten also muß jene Liebe zu uns hingeleitet werden und zu uns gelangen. So sagt der Apostel an anderer Stelle auch: „Er ist unser Friede“ (Eph. 2,14), oder er stellt ihn anderwärts gewissermaßen als ein Band dar, durch das sich Gott in väterlicher Freundlichkeit mit uns verbindet (Röm. 8,3). Auf ihn müssen wir also jedesmal unser Augenmerk richten, wenn uns irgendeine Verheißung dargeboten wird, und Paulus lehrt durchaus folgerichtig, daß in ihm alle Verheißungen Gottes bestätigt und erfüllt werden (Röm. 15, 8).
Dem widersprechen nun aber (scheinbar) einige Beispiele. So erklärt man es für nicht glaubhaft, daß der Syrer Naeman, als er den Propheten über die rechte Art der Gottesverehrung befragte, eine Belehrung über den Mittler empfangen habe – und doch wird ja seine Frömmigkeit gelobt! (2. Kön. 5; Luk. 4,27). Cornelius, der doch ein Heide und ein Römer war, hat kaum wissen können, was nicht einmal allen Juden bekannt war und auch diesen bloß dunkel. Trotzdem waren seine Almosen und Gebete vor Gott angenehm (Apg. 10,31). Auch sind die Opfer des Naeman durch die Antwort des Propheten anerkannt worden (2. Kön. 5,17-19). Und doch konnten beide solche Anerkennung vor Gott und durch den Propheten nur durch den Glauben erlangen! Ähnlich verhielt es sich auch mit dem Kämmerer, zu dem Philippus gesandt wurde: hätte er nicht irgendwelchen Glauben gehabt, so hätte er sich nicht die Mühe einer langen und beschwerlichen Reise gemacht, um anzubeten! (Apg. 8,27). Trotzdem gewahren wir, wie er auf die Frage des Philippus seine Unkenntnis von dem Mittler kundtut! (Apg. 8,31). Hier gebe ich nun zu, daß der Glaube dieser Menschen gewissermaßen „eingehüllt“ war, und zwar nicht nur bezüglich der Person Christi, sondern auch hinsichtlich seiner Kraft und des ihm vom Vater aufgetragenen Amtes. Indessen ist es sicher, daß sie eine anfangsweise Erkenntnis besaßen, die ihnen doch einen gewissen, wenn auch geringfügigen Geschmack von Christus verschaffte. Das kann auch nicht seltsam erscheinen; denn der Kämmerer wäre gewiß nicht aus fernem Lande nach Jerusalem gereist, um einen unbekannten Gott anzubeten, und Kornelius hat, nachdem er die jüdische Religion einmal angenommen hatte, gewiß nicht soviel Zeit darin zugebracht, ohne die Anfangsgründe der wahren Lehre zu erfassen. Und was Naeman betrifft, so wäre es gänzlich widersinnig gewesen, wenn Elisa ihm in ganz kleinen Dingen Weisung erteilt, aber von der wesentlichen Hauptsache geschwiegen hätte! So hatten sie alle gewiß bloß eine dunkle Erkenntnis von Christus, aber es wäre nicht der Wahrheit gemäß, wenn man behaupten wollte, sie hätten gar keine gehabt; denn sie übten sich ja auch in den Opfern des Gesetzes, und diese mußten doch eben durch ihr Ziel, nämlich durch Christus, von allen falschen Opfern der Heiden notwendig unterschieden werden!
III,2,33
Zwar müßte selbst diese nackte, äußere Darlegung des Wortes Gottes voll und ganz hinreichen, um den Glauben aufzurichten, wenn nicht unsere Blindheit und Halsstarrigkeit im Wege stünde. Aber wir können, da wir innerlich so sehr zur Eitelkeit geneigt sind, Gottes Wahrheit nimmermehr anhangen, und weil wir stumpfe Sinne haben, so fassen wir das Licht nicht. Deshalb wird durch das Wort nichts ausgerichtet ohne die Erleuchtung durch den Heiligen Geist. Daraus ergibt sich auch klar, daß der Glaube weit über den menschlichen Verstand geht. Ebenfalls genügt es nicht, daß unser Verstand durch Gottes Geist erleuchtet werde, wenn dieser nicht mit seiner Kraft auch unser Herz stark macht und fest gründet. In diesem Stück gehen die Scholastiker gänzlich in die Irre; sie meinen, unter „Glauben“ sei bloß eine nackte und einfache, aus der „Erkenntnis“ kommende „Zustimmung“ zu verstehen; an der Zuversicht und Gewißheit des Herzens dagegen gehen sie (mit ihrer Begriffsbestimmung) vorbei. Der Glaube ist also in beiderlei Hinsicht eine besondere Gabe Gottes: einerseits wird des Menschen Verstand gereinigt, um die Wahrheit Gottes kosten zu können, und anderseits wird unser Herz in dieser Wahrheit fest gegründet. Denn der Heilige Geist ist nicht nur der Anfänger unseres Glaubens, sondern er mehrt ihn auch stufenweise, bis er uns durch ihn in das Himmelreich hineinführt! „Dies beigelegte Gut“, sagt Paulus, „bewahre durch den Heiligen Geist, der in uns wohnt!“ (2. Tim. 1,14). Nun erklärt Paulus, der Geist werde uns aus der „Predigt vom Glauben“ zuteil. Wie er das aber meint, ist mit leichter Mühe zu zeigen. Gäbe es nämlich nur eine einzige Gabe des Geistes, so wäre es unsinnig, wenn Paulus den Geist für eine Wirkung des Glaubens erklärt; denn er ist doch dessen Urheber und Grund! Aber Paulus rühmt ja hier die Gaben, mit denen Gott seine Kirche ziert und im Wachsen des Glaubens zur Vollkommenheit führt, und da ist es nicht verwunderlich, daß er jene Gaben dem Glauben zuschreibt, der uns ja dazu bereitet, sie zu empfangen. Man hält es zwar für das denkbar Widerspruchsvollste, wenn es heißt, nur der könne an Christus glauben, dem es gegeben ist (Joh. 6,65); aber das kommt zum Teil daher, daß man nicht beachtet, wie verborgen und erhaben die himmlische Weisheit und wie groß die Stumpfheit des Menschen ist, wenn er Gottes Geheimnisse auffassen soll; zum Teil kommt es auch daher, daß man jene sichere und feste Beständigkeit des Herzens nicht in Betracht zieht, die doch das Wichtigste am Glauben ist!
Hieraus aber schließe ich wiederum, was ich bereits oben auseinandergesetzt habe: der Glaube bedarf des Wortes nicht weniger, als die Frucht der lebendigen Wurzel des Baumes! Denn nach Davids Zeugnis können nur die auf Gott hoffen, die seinen Namen kennen (Ps. 9,11). Diese Erkenntnis kommt aber nicht aus jedermanns Einbildung, sondern allein daher, daß Gott selbst der Zeuge seiner Güte ist. Das bestätigt der gleiche Prophet auch an anderer Stelle: „Herr, laß mir deine Gnade widerfahren, deine Hilfe nach deinem Wort!“ (Ps. 119,41). Ebenso: „Ich verlasse mich auf dein Wort, mache mich selig …“ (Ps. 119,40? Jedenfalls ungenau). Hier müssen wir zunächst auf die Bezogenheit des Glaubens auf das Wort achten und dann darauf, daß sich das Heil daraus ergibt. Dabei sehe ich jedoch nicht von der Macht Gottes ab: wenn der Glaube sich nicht darauf stützt, daß er auf sie schaut, so kann er Gott niemals die schuldige Ehre geben. Paulus berichtet von Abraham scheinbar etwas Unerhebliches und Gewöhnliches, wenn er von ihm sagt, er habe an die Macht Gottes geglaubt, der ihm einen gesegneten Samen verheißen hatte (Röm. 4,21). Ähnlich von sich selber: „Ich weiß, an wen ich glaube, und bin gewiß, daß er mächtig ist, mir zu bewahren, was mir beigelegt ist, bis auf jenen Tag“ (2. Tim. 1,12; nicht ganz Luthertext). Wenn nun aber jemand bei sich selber erwägt, wieviel Zweifel an Gottes Kraft ihn stets beschleichen, so wird er sehr wohl erkennen, daß ein Mensch, der diese Kraft Gottes nach Gebühr verherrlicht, keine geringen Fortschritte im Glauben gemacht hat. Wir werden zwar alle zugeben, daß Gott kann, was er will, aber wenn uns dann die geringste Anfechtung vor Furcht irremacht und vor Schrecken erschüttert, dann wird offenbar, daß wir der Macht Gottes etwas abbrechen, da wir sie ja hinter den Drohungen des Satans gegen seine Verheißungen offenbar zurücktreten lassen. Deshalb redet auch Jesaja, um die Gewißheit des Heils dem Volke tief ins Herz zu graben, so gewaltig von Gottes unermeßlicher Kraft (z.B. Jes. 40,25ff. und sonst öfters in Jes. 40-45). Oft beginnt er seine Rede mit der Hoffnung auf Vergebung und Versöhnung und verfällt dann scheinbar auf einen ganz anderen Gegenstand und auf weite und überflüssige Abschweifungen, indem er daran erinnert, wie wunderbar Gott das Gebäu des Himmels und der Erde und die ganze Ordnung der Natur regiert; aber tatsächlich dienen auch diese Gedanken dem, was er gerade behandelt; denn wenn Gottes Kraft, mit der er alles vermag, uns nicht in die Augen fällt, so werden unsere Ohren das Wort ungern annehmen und es wenigstens nicht so hoch schätzen, wie es geschehen müßte. Wir müssen auch bedenken, daß dabei von einer wirkenden Macht die Rede ist; die Frömmigkeit bezieht nämlich, wie wir bereits sahen, Gottes Macht stets auf ihren Nutzen und ihr Werk, sie halt sich vor allem die Werke Gottes vor, in denen er sich als unser Vater bezeugt hat. Darum erinnert die Schrift die Kinder Israel auch so oft an die (ihnen widerfahrene) Erlösung; sie konnten daraus lernen, daß der Gott, der ihnen einmal das Heil geschenkt hatte, auch sein ewiger Hüter sein werde. David gemahnt uns mit seinem eigenen Beispiel daran, daß die Wohltaten, die Gott jedem einzelnen für sich allein erwiesen hat, auch noch fort und fort dazu wirken, unseren Glauben zu stärken; ja, wenn er uns verlassen zu haben scheint, so sollen wir unsere Gedanken weiter zurückgehen lassen, damit uns seine früheren Wohltaten aufrichten; so heißt es in einem anderen Psalm: „Ich gedenke an die vorigen Zeiten; ich rede von allen deinen Taten …“ (Ps. 143,5), und ebenso: „Darum gedenke ich an die Taten des Herrn; ja ich gedenke an deine vorigen Wunder“ (Ps. 77,12). Aber ohne das Wort ist alles, was wir über Gottes Macht und Gottes Werke erdenken, inhaltslos, und deshalb ist es nicht unbedacht, wenn wir behaupten, daß es keinen Glauben gibt, ehe uns Gott selber mit dem Zeugnis seiner Gnade voranleuchtet. Man könnte hier allerdings fragen, was wir denn von Sara und Rebekka halten sollten, die doch beide, dem Anschein nach vom Eifer des Glaubens getrieben, über die Grenzen des Wortes hinausgegangen sind. Sara brannte vor Verlangen nach dem verheißenen Nachkommen und gab darum ihre Magd ihrem Manne zum Weibe (Gen. 16,5). Daß sie vielfältig gesündigt hat, ist nicht zu leugnen, aber hier will ich nur die eine Verfehlung berühren, daß sie sich im Drange ihres Eifers nicht innerhalb der Grenzen des Wortes hielt. Und doch ist jenes Verlangen ganz sicher aus dem Glauben entstanden. Rebekka hatte durch einen Gottesspruch die Gewißheit erhalten, daß ihr Sohn Jakob erwählt war, und deshalb verhalf sie ihm mit böser Kunst zu dem Segen; ihren Mann, der doch der Zeuge und Diener der göttlichen Gnade war, täuschte sie, ihren Sohn veranlaßte sie zur Lüge, Gottes Wahrheit verfälschte sie mit mancherlei Betrug und Hinterlist. Kurzum, sie machte Gottes Verheißung geradezu zum Gespött und tat das Ihrige, um sie gar abzutun (Gen. 27). Und trotzdem fehlte auch in diesem Tun, so freventlich und tadelnswert es war, der Glaube nicht ganz. Denn sie mußte ja vielerlei Hindernisse überwinden, um so eifrig ein Recht zu begehren, das keine Hoffnung auf irdischen Nutzen, dafür aber unendlich viel Last und Gefahr in sich trug! Ebenso werden wir dem heiligen Erzvater Isaak nicht etwa jeglichen Glauben absprechen, weil er an seiner Neigung für den erstgeborenen Sohn Esau festhielt, obwohl ihm in dem nämlichen Gottesspruch kundgetan war, daß die Würde (der Erstgeburt) auf den Jüngeren übergegangen war. Diese Beispiele belehren uns wahrhaftig darüber, daß der Glaube öfters mit Irrtümern untermischt ist; aber dabei hat doch der Glaube stets die Vorherrschaft, sofern er rechter Art ist. Denn wie der besondere Irrtum der Rebekka die Wirkung des Segens nicht aufhob, so hat er auch den Glauben nicht abgetan, der im allgemeinen in ihrem Inneren die Herrschaft führte und sogar der Ausgangspunkt und Urgrund der (an sich bösen) Tat war. Aber gerade darin hat sie bewiesen, wie sehr der Menschengeist auf das Schlüpfrige geraten muß, sobald er sich auch nur ein ganz klein wenig gehen läßt. Obwohl aber Untreue und Schwachheit den Glauben verdunkeln, so vermögen sie ihn doch nicht auszulöschen; unterdessen mahnen sie uns aber daran, wie sorgfältig wir an Gottes Mund hängen müssen, und bestätigen damit unsere Lehre, daß der Glaube ohne die feste Begründung im Worte zergehen muß, wie ja auch Sara, Isaak und Rebekka innerlich in ihren krummen Abwegen zunichte geworden wären, wenn Gott sie nicht mit verborgenem Zügel beim Gehorsam gegen sein Wort festgehalten hätte.
III,2,32
Wiederum hat es seinen guten Grund, wenn wir alle Verheißungen in Christo beschlossen denken; denn der Apostel faßt das ganze Evangelium in der Erkenntnis Christi zusammen (Röm. 1,16) und sagt an anderer Stelle: „Alle Gottesverheißungen sind Ja in ihm und sind Amen in ihm“ (2. Kor. 1,20). Der Grund dafür läßt sich leicht angeben. Wenn nämlich Gott etwas verheißt, so bezeugt er damit seine Freundlichkeit; er gibt uns also keine Verheißung, die nicht ein Zeugnis seiner Liebe gegen uns wäre. Es macht dabei nichts aus, daß die Gottlosen dadurch, daß sie immerfort mit gewaltigen und unablässigen Gaben seiner Milde überschüttet werden, ein um so schwereres Gericht auf sich laden. Denn sie bedenken ja nicht, daß ihnen diese Gaben aus des Herrn Hand zukommen; sie wissen es auch gar nicht, oder wenn sie es einmal erkennen, so erwägen sie doch Gottes Güte nie und nimmer bei sich selbst; deshalb aber können sie aus diesen Gaben ebensowenig eine Belehrung über Gottes Barmherzigkeit empfangen wie die unvernünftigen Tiere, die ja auch je nach ihren Lebensverhältnissen die gleiche Frucht göttlicher Freigebigkeit empfangen und doch nicht darauf achten. Ebensowenig steht hier im Wege, daß sie zumeist die für sie bestimmten Verheißungen verachten und sich dadurch eine um so schärfere Bestrafung zuziehen. Denn die Wirkung der Verheißungen tritt zwar erst dann ein, wenn sie bei uns Glauben gefunden haben; aber ihre Kraft und Eigenart wird doch durch unseren Unglauben und unsere Undankbarkeit in keiner Weise ausgelöscht. Wenn also der Herr durch seine Verheißungen den Menschen auffordert, die Früchte seiner Güte nicht nur in Empfang zu nehmen, sondern sie auch recht zu bedenken, so gibt er ihm damit zugleich seine Liebe zu erkennen. Wir müssen also wieder auf den Satz zurückkommen, daß jede Verheißung ein Zeugnis der Liebe Gottes zu uns ist. Nun ist es aber außer Zweifel, daß Gott niemanden anders als in Christus liebt; er ist der „geliebte Sohn“, auf dem des Vaters Liebe bleibt und ruht (Matth. 3,17; 17,5) und von dem sie uns zufließt, wie Paulus sagt: „zum Lob seiner herrlichen Gnade, durch welche er uns hat angenehm gemacht in dem Geliebten“ (Eph. 1,6). Durch sein eigenes Dazwischentreten also muß jene Liebe zu uns hingeleitet werden und zu uns gelangen. So sagt der Apostel an anderer Stelle auch: „Er ist unser Friede“ (Eph. 2,14), oder er stellt ihn anderwärts gewissermaßen als ein Band dar, durch das sich Gott in väterlicher Freundlichkeit mit uns verbindet (Röm. 8,3). Auf ihn müssen wir also jedesmal unser Augenmerk richten, wenn uns irgendeine Verheißung dargeboten wird, und Paulus lehrt durchaus folgerichtig, daß in ihm alle Verheißungen Gottes bestätigt und erfüllt werden (Röm. 15, 8).
Dem widersprechen nun aber (scheinbar) einige Beispiele. So erklärt man es für nicht glaubhaft, daß der Syrer Naeman, als er den Propheten über die rechte Art der Gottesverehrung befragte, eine Belehrung über den Mittler empfangen habe – und doch wird ja seine Frömmigkeit gelobt! (2. Kön. 5; Luk. 4,27). Cornelius, der doch ein Heide und ein Römer war, hat kaum wissen können, was nicht einmal allen Juden bekannt war und auch diesen bloß dunkel. Trotzdem waren seine Almosen und Gebete vor Gott angenehm (Apg. 10,31). Auch sind die Opfer des Naeman durch die Antwort des Propheten anerkannt worden (2. Kön. 5,17-19). Und doch konnten beide solche Anerkennung vor Gott und durch den Propheten nur durch den Glauben erlangen! Ähnlich verhielt es sich auch mit dem Kämmerer, zu dem Philippus gesandt wurde: hätte er nicht irgendwelchen Glauben gehabt, so hätte er sich nicht die Mühe einer langen und beschwerlichen Reise gemacht, um anzubeten! (Apg. 8,27). Trotzdem gewahren wir, wie er auf die Frage des Philippus seine Unkenntnis von dem Mittler kundtut! (Apg. 8,31). Hier gebe ich nun zu, daß der Glaube dieser Menschen gewissermaßen „eingehüllt“ war, und zwar nicht nur bezüglich der Person Christi, sondern auch hinsichtlich seiner Kraft und des ihm vom Vater aufgetragenen Amtes. Indessen ist es sicher, daß sie eine anfangsweise Erkenntnis besaßen, die ihnen doch einen gewissen, wenn auch geringfügigen Geschmack von Christus verschaffte. Das kann auch nicht seltsam erscheinen; denn der Kämmerer wäre gewiß nicht aus fernem Lande nach Jerusalem gereist, um einen unbekannten Gott anzubeten, und Kornelius hat, nachdem er die jüdische Religion einmal angenommen hatte, gewiß nicht soviel Zeit darin zugebracht, ohne die Anfangsgründe der wahren Lehre zu erfassen. Und was Naeman betrifft, so wäre es gänzlich widersinnig gewesen, wenn Elisa ihm in ganz kleinen Dingen Weisung erteilt, aber von der wesentlichen Hauptsache geschwiegen hätte! So hatten sie alle gewiß bloß eine dunkle Erkenntnis von Christus, aber es wäre nicht der Wahrheit gemäß, wenn man behaupten wollte, sie hätten gar keine gehabt; denn sie übten sich ja auch in den Opfern des Gesetzes, und diese mußten doch eben durch ihr Ziel, nämlich durch Christus, von allen falschen Opfern der Heiden notwendig unterschieden werden!
III,2,33
Zwar müßte selbst diese nackte, äußere Darlegung des Wortes Gottes voll und ganz hinreichen, um den Glauben aufzurichten, wenn nicht unsere Blindheit und Halsstarrigkeit im Wege stünde. Aber wir können, da wir innerlich so sehr zur Eitelkeit geneigt sind, Gottes Wahrheit nimmermehr anhangen, und weil wir stumpfe Sinne haben, so fassen wir das Licht nicht. Deshalb wird durch das Wort nichts ausgerichtet ohne die Erleuchtung durch den Heiligen Geist. Daraus ergibt sich auch klar, daß der Glaube weit über den menschlichen Verstand geht. Ebenfalls genügt es nicht, daß unser Verstand durch Gottes Geist erleuchtet werde, wenn dieser nicht mit seiner Kraft auch unser Herz stark macht und fest gründet. In diesem Stück gehen die Scholastiker gänzlich in die Irre; sie meinen, unter „Glauben“ sei bloß eine nackte und einfache, aus der „Erkenntnis“ kommende „Zustimmung“ zu verstehen; an der Zuversicht und Gewißheit des Herzens dagegen gehen sie (mit ihrer Begriffsbestimmung) vorbei. Der Glaube ist also in beiderlei Hinsicht eine besondere Gabe Gottes: einerseits wird des Menschen Verstand gereinigt, um die Wahrheit Gottes kosten zu können, und anderseits wird unser Herz in dieser Wahrheit fest gegründet. Denn der Heilige Geist ist nicht nur der Anfänger unseres Glaubens, sondern er mehrt ihn auch stufenweise, bis er uns durch ihn in das Himmelreich hineinführt! „Dies beigelegte Gut“, sagt Paulus, „bewahre durch den Heiligen Geist, der in uns wohnt!“ (2. Tim. 1,14). Nun erklärt Paulus, der Geist werde uns aus der „Predigt vom Glauben“ zuteil. Wie er das aber meint, ist mit leichter Mühe zu zeigen. Gäbe es nämlich nur eine einzige Gabe des Geistes, so wäre es unsinnig, wenn Paulus den Geist für eine Wirkung des Glaubens erklärt; denn er ist doch dessen Urheber und Grund! Aber Paulus rühmt ja hier die Gaben, mit denen Gott seine Kirche ziert und im Wachsen des Glaubens zur Vollkommenheit führt, und da ist es nicht verwunderlich, daß er jene Gaben dem Glauben zuschreibt, der uns ja dazu bereitet, sie zu empfangen. Man hält es zwar für das denkbar Widerspruchsvollste, wenn es heißt, nur der könne an Christus glauben, dem es gegeben ist (Joh. 6,65); aber das kommt zum Teil daher, daß man nicht beachtet, wie verborgen und erhaben die himmlische Weisheit und wie groß die Stumpfheit des Menschen ist, wenn er Gottes Geheimnisse auffassen soll; zum Teil kommt es auch daher, daß man jene sichere und feste Beständigkeit des Herzens nicht in Betracht zieht, die doch das Wichtigste am Glauben ist!
Simon W.
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III,2,34
Wenn nun nach den Worten des Paulus nur „der Geist, der im Menschen wohnt“, Zeuge für den Willen des Menschen ist – wie sollte dann ein Mensch des Willens Gottes gewiß sein können? Und wenn bei uns Gottes Wahrheit schon bei solchen Dingen schwankt, die wir mit eigenen Augen gegenwärtig vor uns sehen, wie sollte sie dann gewiß und fest sein, wenn der Herr Dinge verheißt, die kein Auge sieht und kein Verstand erfaßt; (vgl. 1. Kor. 2,9). Da versagt und ermattet der Scharfsinn des Menschen, ja, es muß sogar als erster Schritt zum Fortschreiten in des Herrn Schule gelten, ihn fahren zu lassen. Denn er hindert uns wie ein zudeckender Vorhang, Gottes Geheimnisse zu erfassen, die nur den „Kleinen“ geoffenbart werden! (Matth. 11,25; Luk. 10,21). Denn die Offenbarung liegt nicht bei Fleisch und Blut (Matth. 16,17), und „der natürliche Mensch vernimmt nichts vom Geist Gottes; ja, Gottes Unterweisung ist ihm vielmehr eine Torheit; denn sie muß geistlich beurteilt werden“ (1. Kor. 2,14; nicht Luthertext). Also ist die Hilfeleistung des Heiligen Geistes erforderlich, nein, es ist hier seine Kraft allein mächtig! Denn kein Mensch „hat des Herrn Sinn erkannt“, keiner „ist sein Ratgeber gewesen“ (Röm. 11,34), sondern „der Geist erforscht alle Dinge, auch die Tiefen der Gottheit“ (1. Kor. 2,10). Durch den Geist allein kommen wir dazu, Christi Sinn zu erfassen. „Es kann niemand zu mir kommen“, spricht der Herr selbst, „es sei denn, daß ihn ziehe der Vater, der mich gesandt hat“ (Joh. 6,44). „Wer es nun hört vom Vater und lernt es, der kommt zu mir; nicht daß jemand den Vater habe gesehen, außer dem, der vom Vater (gesandt) ist!“ (Joh. 6,45f.). Wir können also auf keine Weise zu Christus kommen, ohne daß uns der Geist Gottes zieht; werden wir von ihm gezogen, so werden wir aber auch nach Verstand und Herz weit über das erhoben, was wir aus uns selber erfassen können. Denn die Seele empfängt, wenn er sie erleuchtet hat, gleichsam eine neue Sehschärfe, mit der sie die himmlischen Geheimnisse zu betrachten vermag, deren Glanz sie zuvor in sich selbst blendete. Ist einmal der Verstand des Menschen so durch das Licht des Heiligen Geistes hell gemacht, dann fängt er auch erst an, die Dinge des Reiches Gottes zu schmecken; zuvor war er gänzlich einfältig und töricht und vermochte sie deshalb nicht recht zu erwägen. So redete Christus mit zweien seiner Jünger klar und deutlich von den Geheimnissen seines Reiches, aber er kam bei ihnen erst zum Ziel, als er ihnen „das Verständnis öffnete, daß sie die Schrift verstanden“ (Luk. 24,27.45). So mußte auch den Aposteln, die der Herr doch mit eigenem, göttlichem Munde unterwiesen hatte, doch der „Geist der Wahrheit“ gesandt werden, der ihnen jene Wahrheit, welche sie mit den Ohren erfaßt hatten, auch in den Sinn eindringen ließ! (Joh. 16,13). Zwar ist das Wort Gottes wie die Sonne: es scheint allen, denen es gepredigt wird, aber bei Blinden ohne Frucht! Wir aber sind in diesem Stück allesamt von Natur blind, und deshalb kann der Strahl des Wortes nicht in unseren Sinn eindringen, wenn ihm nicht der Heilige Geist als inwendiger Lehrmeister durch seine Erleuchtung Zugang verschafft!
III,2,35
Ich habe nun schon an anderer Stelle, nämlich als es galt, die Verderbtheit der Natur zu behandeln, deutlicher dargelegt, wie ungeschickt wir Menschen zum Glauben sind (II,2,18ff.). Deshalb will ich den Leser nicht damit ermüden, das Gleiche noch einmal zu wiederholen. Es soll mir genug sein, daß Paulus, wenn er vom „Geist des Glaubens“ redet, darunter eben den Glauben versteht, der uns als Geschenk des Heiligen Geistes zuteil wird (2. Kor. 4,13), den wir aber von Natur nicht besitzen. Deshalb betet er auch für die Thessalonicher, „daß unser Gott … erfülle alles Wohlgefallen der Güte und das Werk des Glaubens in der Kraft“ (2. Thess. 1,11). Da nennt er den Glauben ein Werk Gottes und zeichnet ihn noch mit einem besonderen Beinamen aus, indem er hinzusetzt, er sei „Gottes Wohlgefallen“; damit bestreitet er, daß der Glaube aus der eigenen Regung des Menschen kommt, ja er ist auch damit noch nicht zufrieden, sondern fügt noch an, er sei ein Erweis göttlicher Kraft. Die Korinther weist er darauf hin, daß der Glaube nicht von der Weisheit der Menschen abhängt, sondern auf die Kraft des Geistes gegründet ist (1. Kor. 2,4). Er redet zwar an dieser Stelle von äußeren Wunderzeichen; aber die Gottlosen stehen ihnen ja blind gegenüber, und deshalb denkt er doch auch zugleich an jenes innerliche Siegel, das er an anderer Stelle erwähnt (z.B. Eph. 1,13; 4,30). Um in dieser herrlichen Gabe seine Güte noch deutlicher hervorleuchten zu lassen, läßt sie Gott nicht unterschiedslos allen zuteil werden, sondern vergibt sie als besondere Gnadenschenkung an wen er will. Zeugnisse dafür habe ich schon angeführt; Augustin ruft als deren getreuer Ausleger aus: „Unser Seligmacher will uns lehren, daß auch das Glauben selber Geschenk und nicht Verdienst ist. Deshalb sagt er: ‘Niemand kann zu mir kommen, es sei denn, daß ihn ziehe der Vater, der mich gesandt hat’ oder: ‘es sei ihm denn von meinem Vater gegeben’ (Joh. 6,44-65). Es ist wundersam: zweie hören; der eine verachtet’s, der andere steigt empor! Der es nun verachtet, der mag es sich selber zuschreiben; aber der emporsteigt, der soll es nicht selbst für sich in Anspruch nehmen!“ (Predigt 131). Oder er sagt an anderer Stelle: „Wie kommt es denn, daß es dem einen gegeben ist und dem anderen nicht? Ich schäme mich nicht zu sagen: das ist das tiefe Geheimnis des Kreuzes! Aus irgendeiner Tiefe der Ratschlüsse Gottes, die wir nicht zu durchforschen vermögen, geht alles hervor, was wir können. Was ich kann, das sehe ich wohl, aber woher es kommt, daß ich es kann, das sehe ich nicht; nur soviel sehe ich, daß es von Gott kommt! Warum aber zieht er den einen, und den anderen zieht er nicht; Das ist mir zuviel, es ist ein unergründlicher Abgrund, das tiefe Geheimnis des Kreuzes! Ich vermag es bewundernd auszurufen, aber ich kann es nicht disputierend beweisen“ (Predigt 165). Die Hauptsache ist: wenn uns Christus durch die Kraft seines Geistes erleuchtet, so daß wir glauben, so fügt er uns zugleich in seinen Leib ein, so daß wir an all seinen Gütern Anteil gewinnen.
III,2,36
Dann muß aber das, was der Verstand aufgenommen hat, auch in das Herz selbst überfließen. Denn Gottes Wort ist nicht schon dann im Glauben erfaßt, wenn man es ganz oben im Hirn sich bewegen läßt, sondern erst dann, wenn es im innersten Herzen Wurzel geschlagen hat, um ein unbesiegliches Bollwerk zu werden, das alle Sturmwerkzeuge der Anfechtung aushalten und zurückwerfen kann! Wenn es wahr ist, daß das wirkliche Begreifen unseres Verstandes die Erleuchtung durch Gottes Geist ist, so tritt seine Kraft noch viel deutlicher in dieser Stärkung des Herzens in die Erscheinung; die Vertrauenslosigkeit des Herzens ist ja auch soviel größer als die Blindheit des Verstandes, und es ist viel schwieriger, dem Herzen Gewißheit zu verleihen, als den Verstand mit Erkenntnis zu erfüllen. Deshalb ist der Heilige Geist wie ein Siegel: er soll in unserem Herzen die gleichen Verheißungen versiegeln, deren Gewißheit er zuvor unserem Verstande eingeprägt hat. Er ist wie ein Unterpfand zur Bestätigung und Bekräftigung der Verheißungen. „Durch welchen ihr auch“, sagt der Apostel, „da ihr gläubig wurdet, versiegelt worden seid mit dem Heiligen Geist der Verheißung, welcher ist das Pfand unseres Erbes …“ (Eph. 1,13. 14). Da sieht man, wie Paulus lehrt, daß die Herzen der Gläubigen durch den Heiligen Geist wie von einem Siegel ihre Prägung empfangen. Und er nennt ihn deshalb – so sieht man weiter – den „Geist der Verheißung“, weil er das Evangelium bei uns in Geltung setzt. Ähnlich schreibt er auch an die Korinther: „Gott ist’s aber, … der uns gesalbt und versiegelt und in unsere Herzen das Pfand, den Geist gegeben hat“ (2. Kor. 1,21.22). An einer anderen Stelle, wo er von der Zuversicht und Freudigkeit in der Hoffnung redet, erklärt er auch für deren Fundament „das Pfand, den Geist“ (2. Kor. 5,5).
III,2,37
Dabei habe ich nun aber nicht vergessen, was ich oben gesagt habe und was uns die Erfahrung immer wieder ins Bewußtsein zurückruft, nämlich daß der Glaube von den verschiedensten Zweifeln bedrängt wird, daß das Gemüt des Frommen selten zur Ruhe kommt, daß es wenigstens nicht immer einen Zustand der Ruhe zu genießen vermag. Aber bei allen Angriffen, die es erschüttern mögen, taucht es doch immer wieder aus dem Schlund der Anfechtungen empor und bleibt auf seinem Posten stehen. Den Glauben vermag nun allein jene Sicherheit zu erhalten und zu bewahren, bei der wir mit dem Psalmisten festhalten: „Gott ist unsere Zuversicht und Stärke, eine Hilfe in den großen Nöten, die uns betroffen haben. Darum fürchten wir uns nicht, wenngleich die Welt unterginge und die Berge mitten ins Meer fielen“ (Ps. 46,2.3). Diese Zuversicht wird in einem anderen Psalm auch als köstlichste Ruhe gepriesen: „Ich liege und schlafe und erwache; denn der Herr hält mich“ (Ps. 3,6). Nicht als ob David immer fröhlich und guter Dinge gewesen wäre; nein, weil er Gottes Gnade nach dem Maße des Glaubens hatte verspüren dürfen, darum rühmte er sich, unerschrocken alles zu verachten, was den Frieden seines Gemüts beunruhigen konnte. Deshalb fordert uns auch die Schrift zum „Stillesein” auf, wenn sie uns zum Glauben ermuntern will; so bei Jesaja: „Durch Stillesein und Hoffen würdet ihr stark sein!“ (Jes. 30,15); oder in einem Psalm: „Sei stille dem Herrn und warte auf ihn!“ (Ps. 37,7). Dem entspricht die Mahnung des Apostels an die Hebräer: „Geduld aber ist euch not …“ (Hebr. 10,36).
III,2,38
Von hieraus läßt sich beurteilen, wie gefährlich die scholastische Lehre ist, wir könnten der Gnade Gottes gegen uns nur in dem Sinne einer „moralischen Vermutung“ (Vermutung auf Grund unserer sittlichen Taten!) gewiß werden, wir müßten also danach gehen, wie weit jedermann die Überzeugung habe, dieser Gnade nicht unwürdig zu sein. Sollten wir nun freilich aus unseren Werken entnehmen, wie der Herr gegen uns gesinnt sei, so würden wir es allerdings nicht einmal mit der leisesten Vermutung feststellen können! Aber der Glaube soll doch nichts anderes als die Antwort auf eine schlichte und aus Gnade uns zukommende Verheißung sein, und deshalb bleibt hier gar kein Hin und Her! Was sollte das für eine Gewißheit sein, mit der wir uns wappnen könnten, wenn wir sagten: Gott ist uns gnädig – aber nur insofern, als wir es mit der Reinheit unseres Lebens verdienen! Ich will aber diese Fragen an anderer Stelle genauer behandeln und ihnen hier deshalb nicht weiter nachgehen. Es ist ja vor allem auch völlig klar, daß zum Glauben nichts so sehr im Widerspruch steht als eine „Vermutung“ oder irgend etwas anderes, das mit dem Zweifel in Verwandtschaft ist! Ganz übel verdrehen die Scholastiker dabei eine Stelle aus dem Prediger, die sie immerzu im Munde führen: „Niemand weiß, ob er des Hasses oder der Liebe würdig ist!“ (Pred. 9,1; nicht Luthertext). Ich will noch übergehen, daß dieser Text in der üblichen (lateinischen) Übersetzung unrichtig wiedergegeben wird. Aber es kann doch jedes Kind merken, was Salomo mit diesen Worten sagen will, nämlich: wenn jemand aus dem gegenwärtigen Stand der Dinge feststellen will, wen Gott mit Haß verfolgt und wen er mit seiner Liebe umfängt, der müht sich unnütz ab und quält sich umsonst; denn „es begegnet dasselbe einem wie dem anderen, dem Gerechten wie dem Gottlosen …, dem, der opfert, wie dem, der nicht opfert …“ (Pred. 9,2). Daraus ergibt sich: wenn Gott einem Menschen alles nach Wunsch gelingen läßt, so ist das nicht immer ein Beweis seiner Liebe, und wenn er jemand ängstigt, so ist das nicht immer ein Zeugnis seines Hasses. Das sagt Salomo, um die Eitelkeit unseres menschlichen Verstandes zu strafen; haben wir doch auch in dieser Frage, die so notwendig klar sein müßte, gar stumpfe Sinne! Er schreibt dementsprechend auch etwas vorher, der Unterschied zwischen der Seele des Menschen und des Viehs sei nicht zu erkennen, weil beide dem Augenschein nach gleicherweise umkommen müßten (Pred. 3,19). Wenn nun daraus jemand folgern wollte, auch die Lehre von der Unsterblichkeit stütze sich bloß auf eine „Vermutung“, so müßte man den doch verdientermaßen für unsinnig halten! Kann man aber dann solche Leute für vernünftig erklären, die aus der Tatsache, daß wir aus dem fleischlichen Anschauen gegenwärtiger Verhältnisse die Gnade Gottes nicht erfassen können, den Schluß ziehen wollen, es gäbe überhaupt keine Gewißheit dieser Gnade?
Wenn nun nach den Worten des Paulus nur „der Geist, der im Menschen wohnt“, Zeuge für den Willen des Menschen ist – wie sollte dann ein Mensch des Willens Gottes gewiß sein können? Und wenn bei uns Gottes Wahrheit schon bei solchen Dingen schwankt, die wir mit eigenen Augen gegenwärtig vor uns sehen, wie sollte sie dann gewiß und fest sein, wenn der Herr Dinge verheißt, die kein Auge sieht und kein Verstand erfaßt; (vgl. 1. Kor. 2,9). Da versagt und ermattet der Scharfsinn des Menschen, ja, es muß sogar als erster Schritt zum Fortschreiten in des Herrn Schule gelten, ihn fahren zu lassen. Denn er hindert uns wie ein zudeckender Vorhang, Gottes Geheimnisse zu erfassen, die nur den „Kleinen“ geoffenbart werden! (Matth. 11,25; Luk. 10,21). Denn die Offenbarung liegt nicht bei Fleisch und Blut (Matth. 16,17), und „der natürliche Mensch vernimmt nichts vom Geist Gottes; ja, Gottes Unterweisung ist ihm vielmehr eine Torheit; denn sie muß geistlich beurteilt werden“ (1. Kor. 2,14; nicht Luthertext). Also ist die Hilfeleistung des Heiligen Geistes erforderlich, nein, es ist hier seine Kraft allein mächtig! Denn kein Mensch „hat des Herrn Sinn erkannt“, keiner „ist sein Ratgeber gewesen“ (Röm. 11,34), sondern „der Geist erforscht alle Dinge, auch die Tiefen der Gottheit“ (1. Kor. 2,10). Durch den Geist allein kommen wir dazu, Christi Sinn zu erfassen. „Es kann niemand zu mir kommen“, spricht der Herr selbst, „es sei denn, daß ihn ziehe der Vater, der mich gesandt hat“ (Joh. 6,44). „Wer es nun hört vom Vater und lernt es, der kommt zu mir; nicht daß jemand den Vater habe gesehen, außer dem, der vom Vater (gesandt) ist!“ (Joh. 6,45f.). Wir können also auf keine Weise zu Christus kommen, ohne daß uns der Geist Gottes zieht; werden wir von ihm gezogen, so werden wir aber auch nach Verstand und Herz weit über das erhoben, was wir aus uns selber erfassen können. Denn die Seele empfängt, wenn er sie erleuchtet hat, gleichsam eine neue Sehschärfe, mit der sie die himmlischen Geheimnisse zu betrachten vermag, deren Glanz sie zuvor in sich selbst blendete. Ist einmal der Verstand des Menschen so durch das Licht des Heiligen Geistes hell gemacht, dann fängt er auch erst an, die Dinge des Reiches Gottes zu schmecken; zuvor war er gänzlich einfältig und töricht und vermochte sie deshalb nicht recht zu erwägen. So redete Christus mit zweien seiner Jünger klar und deutlich von den Geheimnissen seines Reiches, aber er kam bei ihnen erst zum Ziel, als er ihnen „das Verständnis öffnete, daß sie die Schrift verstanden“ (Luk. 24,27.45). So mußte auch den Aposteln, die der Herr doch mit eigenem, göttlichem Munde unterwiesen hatte, doch der „Geist der Wahrheit“ gesandt werden, der ihnen jene Wahrheit, welche sie mit den Ohren erfaßt hatten, auch in den Sinn eindringen ließ! (Joh. 16,13). Zwar ist das Wort Gottes wie die Sonne: es scheint allen, denen es gepredigt wird, aber bei Blinden ohne Frucht! Wir aber sind in diesem Stück allesamt von Natur blind, und deshalb kann der Strahl des Wortes nicht in unseren Sinn eindringen, wenn ihm nicht der Heilige Geist als inwendiger Lehrmeister durch seine Erleuchtung Zugang verschafft!
III,2,35
Ich habe nun schon an anderer Stelle, nämlich als es galt, die Verderbtheit der Natur zu behandeln, deutlicher dargelegt, wie ungeschickt wir Menschen zum Glauben sind (II,2,18ff.). Deshalb will ich den Leser nicht damit ermüden, das Gleiche noch einmal zu wiederholen. Es soll mir genug sein, daß Paulus, wenn er vom „Geist des Glaubens“ redet, darunter eben den Glauben versteht, der uns als Geschenk des Heiligen Geistes zuteil wird (2. Kor. 4,13), den wir aber von Natur nicht besitzen. Deshalb betet er auch für die Thessalonicher, „daß unser Gott … erfülle alles Wohlgefallen der Güte und das Werk des Glaubens in der Kraft“ (2. Thess. 1,11). Da nennt er den Glauben ein Werk Gottes und zeichnet ihn noch mit einem besonderen Beinamen aus, indem er hinzusetzt, er sei „Gottes Wohlgefallen“; damit bestreitet er, daß der Glaube aus der eigenen Regung des Menschen kommt, ja er ist auch damit noch nicht zufrieden, sondern fügt noch an, er sei ein Erweis göttlicher Kraft. Die Korinther weist er darauf hin, daß der Glaube nicht von der Weisheit der Menschen abhängt, sondern auf die Kraft des Geistes gegründet ist (1. Kor. 2,4). Er redet zwar an dieser Stelle von äußeren Wunderzeichen; aber die Gottlosen stehen ihnen ja blind gegenüber, und deshalb denkt er doch auch zugleich an jenes innerliche Siegel, das er an anderer Stelle erwähnt (z.B. Eph. 1,13; 4,30). Um in dieser herrlichen Gabe seine Güte noch deutlicher hervorleuchten zu lassen, läßt sie Gott nicht unterschiedslos allen zuteil werden, sondern vergibt sie als besondere Gnadenschenkung an wen er will. Zeugnisse dafür habe ich schon angeführt; Augustin ruft als deren getreuer Ausleger aus: „Unser Seligmacher will uns lehren, daß auch das Glauben selber Geschenk und nicht Verdienst ist. Deshalb sagt er: ‘Niemand kann zu mir kommen, es sei denn, daß ihn ziehe der Vater, der mich gesandt hat’ oder: ‘es sei ihm denn von meinem Vater gegeben’ (Joh. 6,44-65). Es ist wundersam: zweie hören; der eine verachtet’s, der andere steigt empor! Der es nun verachtet, der mag es sich selber zuschreiben; aber der emporsteigt, der soll es nicht selbst für sich in Anspruch nehmen!“ (Predigt 131). Oder er sagt an anderer Stelle: „Wie kommt es denn, daß es dem einen gegeben ist und dem anderen nicht? Ich schäme mich nicht zu sagen: das ist das tiefe Geheimnis des Kreuzes! Aus irgendeiner Tiefe der Ratschlüsse Gottes, die wir nicht zu durchforschen vermögen, geht alles hervor, was wir können. Was ich kann, das sehe ich wohl, aber woher es kommt, daß ich es kann, das sehe ich nicht; nur soviel sehe ich, daß es von Gott kommt! Warum aber zieht er den einen, und den anderen zieht er nicht; Das ist mir zuviel, es ist ein unergründlicher Abgrund, das tiefe Geheimnis des Kreuzes! Ich vermag es bewundernd auszurufen, aber ich kann es nicht disputierend beweisen“ (Predigt 165). Die Hauptsache ist: wenn uns Christus durch die Kraft seines Geistes erleuchtet, so daß wir glauben, so fügt er uns zugleich in seinen Leib ein, so daß wir an all seinen Gütern Anteil gewinnen.
III,2,36
Dann muß aber das, was der Verstand aufgenommen hat, auch in das Herz selbst überfließen. Denn Gottes Wort ist nicht schon dann im Glauben erfaßt, wenn man es ganz oben im Hirn sich bewegen läßt, sondern erst dann, wenn es im innersten Herzen Wurzel geschlagen hat, um ein unbesiegliches Bollwerk zu werden, das alle Sturmwerkzeuge der Anfechtung aushalten und zurückwerfen kann! Wenn es wahr ist, daß das wirkliche Begreifen unseres Verstandes die Erleuchtung durch Gottes Geist ist, so tritt seine Kraft noch viel deutlicher in dieser Stärkung des Herzens in die Erscheinung; die Vertrauenslosigkeit des Herzens ist ja auch soviel größer als die Blindheit des Verstandes, und es ist viel schwieriger, dem Herzen Gewißheit zu verleihen, als den Verstand mit Erkenntnis zu erfüllen. Deshalb ist der Heilige Geist wie ein Siegel: er soll in unserem Herzen die gleichen Verheißungen versiegeln, deren Gewißheit er zuvor unserem Verstande eingeprägt hat. Er ist wie ein Unterpfand zur Bestätigung und Bekräftigung der Verheißungen. „Durch welchen ihr auch“, sagt der Apostel, „da ihr gläubig wurdet, versiegelt worden seid mit dem Heiligen Geist der Verheißung, welcher ist das Pfand unseres Erbes …“ (Eph. 1,13. 14). Da sieht man, wie Paulus lehrt, daß die Herzen der Gläubigen durch den Heiligen Geist wie von einem Siegel ihre Prägung empfangen. Und er nennt ihn deshalb – so sieht man weiter – den „Geist der Verheißung“, weil er das Evangelium bei uns in Geltung setzt. Ähnlich schreibt er auch an die Korinther: „Gott ist’s aber, … der uns gesalbt und versiegelt und in unsere Herzen das Pfand, den Geist gegeben hat“ (2. Kor. 1,21.22). An einer anderen Stelle, wo er von der Zuversicht und Freudigkeit in der Hoffnung redet, erklärt er auch für deren Fundament „das Pfand, den Geist“ (2. Kor. 5,5).
III,2,37
Dabei habe ich nun aber nicht vergessen, was ich oben gesagt habe und was uns die Erfahrung immer wieder ins Bewußtsein zurückruft, nämlich daß der Glaube von den verschiedensten Zweifeln bedrängt wird, daß das Gemüt des Frommen selten zur Ruhe kommt, daß es wenigstens nicht immer einen Zustand der Ruhe zu genießen vermag. Aber bei allen Angriffen, die es erschüttern mögen, taucht es doch immer wieder aus dem Schlund der Anfechtungen empor und bleibt auf seinem Posten stehen. Den Glauben vermag nun allein jene Sicherheit zu erhalten und zu bewahren, bei der wir mit dem Psalmisten festhalten: „Gott ist unsere Zuversicht und Stärke, eine Hilfe in den großen Nöten, die uns betroffen haben. Darum fürchten wir uns nicht, wenngleich die Welt unterginge und die Berge mitten ins Meer fielen“ (Ps. 46,2.3). Diese Zuversicht wird in einem anderen Psalm auch als köstlichste Ruhe gepriesen: „Ich liege und schlafe und erwache; denn der Herr hält mich“ (Ps. 3,6). Nicht als ob David immer fröhlich und guter Dinge gewesen wäre; nein, weil er Gottes Gnade nach dem Maße des Glaubens hatte verspüren dürfen, darum rühmte er sich, unerschrocken alles zu verachten, was den Frieden seines Gemüts beunruhigen konnte. Deshalb fordert uns auch die Schrift zum „Stillesein” auf, wenn sie uns zum Glauben ermuntern will; so bei Jesaja: „Durch Stillesein und Hoffen würdet ihr stark sein!“ (Jes. 30,15); oder in einem Psalm: „Sei stille dem Herrn und warte auf ihn!“ (Ps. 37,7). Dem entspricht die Mahnung des Apostels an die Hebräer: „Geduld aber ist euch not …“ (Hebr. 10,36).
III,2,38
Von hieraus läßt sich beurteilen, wie gefährlich die scholastische Lehre ist, wir könnten der Gnade Gottes gegen uns nur in dem Sinne einer „moralischen Vermutung“ (Vermutung auf Grund unserer sittlichen Taten!) gewiß werden, wir müßten also danach gehen, wie weit jedermann die Überzeugung habe, dieser Gnade nicht unwürdig zu sein. Sollten wir nun freilich aus unseren Werken entnehmen, wie der Herr gegen uns gesinnt sei, so würden wir es allerdings nicht einmal mit der leisesten Vermutung feststellen können! Aber der Glaube soll doch nichts anderes als die Antwort auf eine schlichte und aus Gnade uns zukommende Verheißung sein, und deshalb bleibt hier gar kein Hin und Her! Was sollte das für eine Gewißheit sein, mit der wir uns wappnen könnten, wenn wir sagten: Gott ist uns gnädig – aber nur insofern, als wir es mit der Reinheit unseres Lebens verdienen! Ich will aber diese Fragen an anderer Stelle genauer behandeln und ihnen hier deshalb nicht weiter nachgehen. Es ist ja vor allem auch völlig klar, daß zum Glauben nichts so sehr im Widerspruch steht als eine „Vermutung“ oder irgend etwas anderes, das mit dem Zweifel in Verwandtschaft ist! Ganz übel verdrehen die Scholastiker dabei eine Stelle aus dem Prediger, die sie immerzu im Munde führen: „Niemand weiß, ob er des Hasses oder der Liebe würdig ist!“ (Pred. 9,1; nicht Luthertext). Ich will noch übergehen, daß dieser Text in der üblichen (lateinischen) Übersetzung unrichtig wiedergegeben wird. Aber es kann doch jedes Kind merken, was Salomo mit diesen Worten sagen will, nämlich: wenn jemand aus dem gegenwärtigen Stand der Dinge feststellen will, wen Gott mit Haß verfolgt und wen er mit seiner Liebe umfängt, der müht sich unnütz ab und quält sich umsonst; denn „es begegnet dasselbe einem wie dem anderen, dem Gerechten wie dem Gottlosen …, dem, der opfert, wie dem, der nicht opfert …“ (Pred. 9,2). Daraus ergibt sich: wenn Gott einem Menschen alles nach Wunsch gelingen läßt, so ist das nicht immer ein Beweis seiner Liebe, und wenn er jemand ängstigt, so ist das nicht immer ein Zeugnis seines Hasses. Das sagt Salomo, um die Eitelkeit unseres menschlichen Verstandes zu strafen; haben wir doch auch in dieser Frage, die so notwendig klar sein müßte, gar stumpfe Sinne! Er schreibt dementsprechend auch etwas vorher, der Unterschied zwischen der Seele des Menschen und des Viehs sei nicht zu erkennen, weil beide dem Augenschein nach gleicherweise umkommen müßten (Pred. 3,19). Wenn nun daraus jemand folgern wollte, auch die Lehre von der Unsterblichkeit stütze sich bloß auf eine „Vermutung“, so müßte man den doch verdientermaßen für unsinnig halten! Kann man aber dann solche Leute für vernünftig erklären, die aus der Tatsache, daß wir aus dem fleischlichen Anschauen gegenwärtiger Verhältnisse die Gnade Gottes nicht erfassen können, den Schluß ziehen wollen, es gäbe überhaupt keine Gewißheit dieser Gnade?
Simon W.
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III,2,39
Aber sie schützen vor, es fei freventliche Vermessenheit, wenn sich ein Mensch die unbezweifelte Erkenntnis des Willens Gottes anmaßen wollte. Das würde ich ihnen gern zugestehen, wenn wir uns herausnähmen, Gottes unbegreiflichen Ratschluß unserem schwachen Verstande unterwerfen zu wollen. Wir sagen aber doch einfach mit Paulus: „Wir aber haben nicht empfangen den Geist der Welt, sondern den Geist aus Gott, daß wir wissen können, was uns von Gott gegeben ist“ (1. Kor. 2,12). Wie wollen sie dagegen etwas schreien, ohne zugleich dem Heiligen Geiste Verachtung anzutun? Wenn es nun eine schreckliche Gotteslästerung ist, die von ihm uns zukommende Offenbarung für Lüge, für ungewiß oder für zweifelhaft zu erklären – was soll dann Verwerfliches darin liegen, wenn wir ihre Gewißheit behaupten? Aber sie schreien, auch das sei nicht frei von großer Vermessenheit, daß wir uns des Geistes Christi so hoch zu rühmen wagten! Es ist doch kaum glaublich, daß Leute, die gern für die Lehrmeister aller Welt gehalten werden möchten, dermaßen stumpfsinnig sein sollten, daß sie gleich bei den ersten Anfangsgründen der Religion so schändlich anstoßen! Ich würde es selber ganz sicher nicht annehmen, wenn es nicht ihre Schriften tatsächlich bezeugten! – Paulus erklärt, nur die seien Gottes Kinder, „welche der Geist Gottes treibt“ (Röm. 8,14). Die Scholastiker dagegen behaupten, die Kinder Gottes würden von ihrem eigenen Geist getrieben und seien gänzlich ohne Gottes Geist! Paulus lehrt uns, Gott als unseren Vater anzurufen, und zwar weil uns dieses Wort vom Heiligen Geist in den Mund gelegt wird, der allein unserem Geist Zeugnis geben kann, „daß wir Gottes Kinder sind“ (Röm. 8,16). Die Scholastiker wollen zwar auch niemand von der Anrufung Gottes zurückhalten, aber sie reißen den Heiligen Geist heraus, unter dessen Führung wir Gott erst richtig anrufen können! Paulus bestreitet, daß Menschen, die nicht vom Geiste Christi getrieben werden, Christi Knechte wären (Röm. 8,9). Sie aber erdichten sich ein Christentum, das des Geistes Christi nicht bedarf! Paulus macht uns nur dann Hoffnung auf die selige Auferstehung, wenn wir empfinden, daß Christi Geist in uns wohnt (Röm. 8,11), – sie aber machen sich eine Hoffnung ohne dieses Empfinden zurecht! Sie werden aber vielleicht entgegnen, sie leugneten gar nicht, daß man mit dem Geist begabt sein müßte, nur sei es ein Zeichen von Bescheidenheit und Demut, wenn man das (für sich selbst) nicht behaupte! Was mag aber dann Paulus gemeint haben, wenn er die Korinther auffordert, sie sollten sich selbst „versuchen“, ob sie im Glauben stünden, sollten sich selbst prüfen, ob sie Christus hätten – weil doch eben der, der nicht erkennt, daß Christus in ihm wohnt, verworfen sei? (2. Kor. 13,5). Johannes sagt doch auch: „Und daran erkennen wir, daß er in uns bleibt: an dem Geist, den er uns gegeben hat“ (1. Joh. 3,24). Was tun wir denn anders, als Christi Verheißungen in Zweifel zu ziehen, wenn wir ohne seinen Geist für seine Knechte gehalten werden wollen, wo er uns doch zugesagt hat, er werde ihn über uns alle ausgießen? (Jes. 44,3; Joel 3,1). Was ist es anders als Beleidigung des Heiligen Geistes, wenn wir den Glauben, sein eigentliches Werk, von ihm abtrennen? Das sind doch die ersten Anfängerübungen im Glauben, und deshalb ist es jämmerlichste Verblendung, wenn man Christen der Vermessenheit bezichtigt, weil sie sich der Gegenwart des Heiligen Geistes zu rühmen wagen; denn ohne dieses Rühmen hat das Christentum keinen Bestand. Die Scholastiker aber beweisen doch mit ihrem eigenen Beispiel, wie sehr Christus recht hatte, wenn er sagte, die Welt könne seinen Geist nicht erkennen, denn er werde nur von denen erkannt, bei denen er „bleibe“ (Joh. 14,17).
III,2,40
Aber um nicht nur durch das Vortreiben dieses einen unterirdischen Stollens danach zu trachten, die Gewißheit des Glaubens zu zerstören, führen sie ihren Angriff auch noch von einer anderen Seite. Gesteht man allenfalls zu, daß sich nach dem gegenwärtigen Stande unserer Gerechtigkeit ein Urteil über Gottes Gnade gewinnen läßt, so behauptet man doch, daß wir über die Beharrung bis ans Ende nichts Endgültiges zu wissen vermögen! Da bliebe uns nun aber eine herrliche Zuversicht auf das Heil, wenn wir zwar für den gegenwärtigen Augenblick auf Grund einer „moralischen Vermutung“ zu der Ansicht kämen, wir seien vor Gott in Gnaden, wenn wir aber keine Ahnung hätten, was morgen geschehen kann! Da redet doch der Apostel ganz anders: „Ich bin gewiß, daß weder Engel, noch Fürstentümer, noch Gewalten, weder Tod noch Leben, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges mag uns scheiden von der Liebe Gottes, die in Christo Jesu ist, unserem Herrn“ (Röm. 8,38f.; ungenau). Da versuchen sich nun die Scholastiker durch eine leichtfertige Lösung herauszuwinden, indem sie schwatzen, das habe Paulus aus einer besonderen (nur ihm allein geltenden) Offenbarung empfangen; aber sie werden doch zu gründlich festgehalten, als daß sie entgehen könnten. Denn Paulus redet an dieser Stelle von den Gütern, die allen Gläubigen gleichermaßen aus dem Glauben zukommen, nicht aber von dem, was er allein für sich selbst erfährt. „Aber“ – so entgegnet man – „er schreckt uns doch oft mit dem Hinweis auf unsere Schwachheit und Unbeständigkeit! Er sagt doch: ‘wer sich läßt dünken, daß er stehe, der sehe zu, daß er nicht falle’ (1. Kor. 10,12).“ Das ist richtig; aber das ist doch kein Schrecken, der uns zu Boden werfen, sondern der uns lehren soll, uns unter Gottes Hand zu demütigen, wie es Petrus auseinandersetzt! (1. Petr. 5,6). Wie töricht ist es ferner, die Gewißheit des Glaubens, die ja ihrem Wesen nach die Schranken dieses Lebens überspringt und sich nach der künftigen Unsterblichkeit ausstreckt, auf einen einzigen Zeitpunkt einzuschränken! Die Gläubigen danken der Gnade Gottes ja gerade dafür, daß sie nun durch Gottes Geist erleuchtet sind und durch den Glauben die Betrachtung des himmlischen Lebens genießen dürfen, und deshalb hat jenes Rühmen rein gar nichts mit Vermessenheit zu tun, im Gegenteil: wenn sich einer scheut, das zu bekennen, so beweist er damit eher die äußerste Undankbarkeit – denn er unterdrückt ja in Bosheit Gottes Güte! -, als etwa Bescheidenheit und Demut!
III,2,41
Wir haben gesehen, daß das Wesen des Glaubens nicht besser und deutlicher beschrieben werden kann, als aus dem Grundwesen der Verheißung heraus, auf der er ja als auf seinem eigenen Fundament ruht und ohne die er gänzlich zerrüttet, ja vielmehr zu nichts gemacht würde. Deshalb habe ich auch meine Begriffsbestimmung von dort her genommen. Diese ist freilich von der Bestimmung oder vielmehr Beschreibung, die der Apostel in Anpassung an seine Erörterung gibt, in keiner Weise verschieden. Er lehrt da, der Glaube sei ein beständiger Grund (subsistentia) von Dingen, die man hofft, und ein Selbsterweis dessen, was man nicht sieht (Hebr. 11,1; nicht Luthertext). Denn der Ausdruck „hypostasis“, den er hier (an erster Stelle) anwendet, bedeutet wohl soviel wie „Stütze“ (fulcrum), also das, worauf ein frommes Gemüt sich stützen und worauf es fest stehen kann. Als ob er sagen wollte: der Glaube ist ein sicherer und gewisser Besitz dessen, was Gott uns verheißen hat; man könnte vielleicht auch „hypostasis“ geradezu mit „gewisse Zuversicht“ übersetzen; das mißfällt mir nicht, ich halte mich aber meinerseits an die gebräuchlichere Übersetzung. Der Apostel will aber andererseits noch weiter zeigen, daß das Verheißene bis zum jüngsten Tage, da die Bücher aufgetan werden (Dan. 7,10), zu erhaben ist, als daß wir es mit unseren Sinnen wahrzunehmen oder mit unseren Augen zu schauen oder mit unseren Händen zu greifen vermöchten; er will uns darauf hinweisen, daß wir es auch nur besitzen können, wenn wir über das Fassungsvermögen unseres Verstandes hinausgehen, unseren Blick über alles das hinausstrecken, was in dieser Welt ist, uns kurzum über uns selber hinaus erheben; deshalb fügt er in seiner Wesensbestimmung des Glaubens noch hinzu, daß diese Gewißheit des Besitzes sich auf Dinge bezieht, die der Hoffnung angehören und die wir deshalb nicht sehen. So schreibt auch Paulus: „Die Hoffnung …, die man sieht, ist nicht Hoffnung, denn wie kann man des hoffen, das man sieht?“ (Röm. 8,24). Der Verfasser des Hebräerbriefs nennt den Glauben (an zweiter Stelle) ein Anzeichen (index), einen Erweis (probatio) oder auch, wie es Augustin öfters wiedergibt, eine Überzeugung (convictio) von dem, was nicht gegenwärtig ist – im Griechischen heißt es nämlich „elenchos“. Es ist, als wenn er sagen wollte: der Glaube ist ein augenscheinlichwerden der Dinge, die nicht augenscheinlich sind, ein Schauen dessen, was man nicht sieht, eine Durchsichtigkeit dessen, was dunkel ist, ein Gegenwärtigsein des nicht Gegenwärtigen, ein Aufweis des Verborgenen! Denn die Geheimnisse Gottes – und darum handelt es sich doch bei dem, was unser Heil betrifft! – sind an und für sich und, wie man sich ausdrückt, ihrer „Natur“ nach nicht zu sehen; wir erschauen sie vielmehr einzig und allein in seinem Worte, und dessen Wahrheit muß uns so gewiß sein, daß uns alles, was da gesagt wird, bereits als geschehen und erfüllt zu gelten hat! Wie soll sich aber unser Herz dazu erheben, in dieser Weise einen Geschmack von Gottes Güte zu bekommen, ohne zugleich ganz und gar zur Gegenliebe zu Gott entflammt zu werden? Denn diese Fülle des Köstlichen, die Gott denen verborgen hat, die ihn fürchten, können wir gar nicht erkennen, ohne dadurch innerlich heftig ergriffen zu werden. Hat sie aber einmal einen Menschen erfaßt, so zieht sie ihn gleich ganz an sich und reißt ihn mit sich fort. Deshalb erfaßt diese Regung – und das ist nicht verwunderlich! – niemals ein verkehrtes und verdrehtes Herz; diese Regung, die uns in den Himmel selbst hineinführt, zu den verborgensten Schätzen Gottes und den heiligsten Geheimnissen seines Reiches Zutritt verschafft, die ja nicht dadurch entweiht werden dürfen, daß ein unreines Herz zu ihnen dringt. Wenn nämlich die Scholastiker lehren, die Liebe habe den Vorrang vor Glauben und Hoffnung (Sentenzen III,25), so ist das reiner Wahn; denn der Glaube allein bringt in uns ja erst die Liebe hervor. Viel richtiger lehrt da Bernhard von Clairvaux: „Das Zeugnis des Gewissens, das Paulus den Ruhm der Frommen nennt (2. Kor. 1,12), umfaßt, glaube ich, dreierlei. Zuallererst mußt du glauben, daß du die Vergebung der Sünden einzig und allein durch Gottes Nachsicht empfangen kannst; zweitens, daß du keinerlei gutes Werk haben kannst, das nicht wieder er selbst dir gegeben hätte; und endlich, daß du dir mit keinerlei Werken das ewige Leben verdienen kannst, sofern dir nicht auch dies umsonst gegeben wird!“ (Predigt 1 zum Feste Mariae Verkündigung). Er setzt dann aber gleich noch hinzu, das sei noch nicht genug, sondern es sei erst ein gewisser Anfang im Glauben; denn wenn wir glaubten, daß uns keiner die Sünden vergeben kann als Gott allein, so müßten wir auch festhalten, daß sie uns vergeben sind, – bis wir durch das Zeugnis des Heiligen Geistes zu der Gewißheit kämen, daß uns das Heil wohlbereitet ist; denn weil Gott uns die Sünden schenke, weil er uns die Verdienste schenke, weil eben er uns auch den (darauf stehenden) Lohn schenke, – so könnten wir bei jenen ersten Schritten nicht stehenbleiben! (In der gleichen Predigt.) Aber ich muß dies und anderes mehr an der entsprechenden Stelle behandeln; jetzt müssen wir uns damit begnügen, festzustellen, was der Glaube selber ist.
Aber sie schützen vor, es fei freventliche Vermessenheit, wenn sich ein Mensch die unbezweifelte Erkenntnis des Willens Gottes anmaßen wollte. Das würde ich ihnen gern zugestehen, wenn wir uns herausnähmen, Gottes unbegreiflichen Ratschluß unserem schwachen Verstande unterwerfen zu wollen. Wir sagen aber doch einfach mit Paulus: „Wir aber haben nicht empfangen den Geist der Welt, sondern den Geist aus Gott, daß wir wissen können, was uns von Gott gegeben ist“ (1. Kor. 2,12). Wie wollen sie dagegen etwas schreien, ohne zugleich dem Heiligen Geiste Verachtung anzutun? Wenn es nun eine schreckliche Gotteslästerung ist, die von ihm uns zukommende Offenbarung für Lüge, für ungewiß oder für zweifelhaft zu erklären – was soll dann Verwerfliches darin liegen, wenn wir ihre Gewißheit behaupten? Aber sie schreien, auch das sei nicht frei von großer Vermessenheit, daß wir uns des Geistes Christi so hoch zu rühmen wagten! Es ist doch kaum glaublich, daß Leute, die gern für die Lehrmeister aller Welt gehalten werden möchten, dermaßen stumpfsinnig sein sollten, daß sie gleich bei den ersten Anfangsgründen der Religion so schändlich anstoßen! Ich würde es selber ganz sicher nicht annehmen, wenn es nicht ihre Schriften tatsächlich bezeugten! – Paulus erklärt, nur die seien Gottes Kinder, „welche der Geist Gottes treibt“ (Röm. 8,14). Die Scholastiker dagegen behaupten, die Kinder Gottes würden von ihrem eigenen Geist getrieben und seien gänzlich ohne Gottes Geist! Paulus lehrt uns, Gott als unseren Vater anzurufen, und zwar weil uns dieses Wort vom Heiligen Geist in den Mund gelegt wird, der allein unserem Geist Zeugnis geben kann, „daß wir Gottes Kinder sind“ (Röm. 8,16). Die Scholastiker wollen zwar auch niemand von der Anrufung Gottes zurückhalten, aber sie reißen den Heiligen Geist heraus, unter dessen Führung wir Gott erst richtig anrufen können! Paulus bestreitet, daß Menschen, die nicht vom Geiste Christi getrieben werden, Christi Knechte wären (Röm. 8,9). Sie aber erdichten sich ein Christentum, das des Geistes Christi nicht bedarf! Paulus macht uns nur dann Hoffnung auf die selige Auferstehung, wenn wir empfinden, daß Christi Geist in uns wohnt (Röm. 8,11), – sie aber machen sich eine Hoffnung ohne dieses Empfinden zurecht! Sie werden aber vielleicht entgegnen, sie leugneten gar nicht, daß man mit dem Geist begabt sein müßte, nur sei es ein Zeichen von Bescheidenheit und Demut, wenn man das (für sich selbst) nicht behaupte! Was mag aber dann Paulus gemeint haben, wenn er die Korinther auffordert, sie sollten sich selbst „versuchen“, ob sie im Glauben stünden, sollten sich selbst prüfen, ob sie Christus hätten – weil doch eben der, der nicht erkennt, daß Christus in ihm wohnt, verworfen sei? (2. Kor. 13,5). Johannes sagt doch auch: „Und daran erkennen wir, daß er in uns bleibt: an dem Geist, den er uns gegeben hat“ (1. Joh. 3,24). Was tun wir denn anders, als Christi Verheißungen in Zweifel zu ziehen, wenn wir ohne seinen Geist für seine Knechte gehalten werden wollen, wo er uns doch zugesagt hat, er werde ihn über uns alle ausgießen? (Jes. 44,3; Joel 3,1). Was ist es anders als Beleidigung des Heiligen Geistes, wenn wir den Glauben, sein eigentliches Werk, von ihm abtrennen? Das sind doch die ersten Anfängerübungen im Glauben, und deshalb ist es jämmerlichste Verblendung, wenn man Christen der Vermessenheit bezichtigt, weil sie sich der Gegenwart des Heiligen Geistes zu rühmen wagen; denn ohne dieses Rühmen hat das Christentum keinen Bestand. Die Scholastiker aber beweisen doch mit ihrem eigenen Beispiel, wie sehr Christus recht hatte, wenn er sagte, die Welt könne seinen Geist nicht erkennen, denn er werde nur von denen erkannt, bei denen er „bleibe“ (Joh. 14,17).
III,2,40
Aber um nicht nur durch das Vortreiben dieses einen unterirdischen Stollens danach zu trachten, die Gewißheit des Glaubens zu zerstören, führen sie ihren Angriff auch noch von einer anderen Seite. Gesteht man allenfalls zu, daß sich nach dem gegenwärtigen Stande unserer Gerechtigkeit ein Urteil über Gottes Gnade gewinnen läßt, so behauptet man doch, daß wir über die Beharrung bis ans Ende nichts Endgültiges zu wissen vermögen! Da bliebe uns nun aber eine herrliche Zuversicht auf das Heil, wenn wir zwar für den gegenwärtigen Augenblick auf Grund einer „moralischen Vermutung“ zu der Ansicht kämen, wir seien vor Gott in Gnaden, wenn wir aber keine Ahnung hätten, was morgen geschehen kann! Da redet doch der Apostel ganz anders: „Ich bin gewiß, daß weder Engel, noch Fürstentümer, noch Gewalten, weder Tod noch Leben, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges mag uns scheiden von der Liebe Gottes, die in Christo Jesu ist, unserem Herrn“ (Röm. 8,38f.; ungenau). Da versuchen sich nun die Scholastiker durch eine leichtfertige Lösung herauszuwinden, indem sie schwatzen, das habe Paulus aus einer besonderen (nur ihm allein geltenden) Offenbarung empfangen; aber sie werden doch zu gründlich festgehalten, als daß sie entgehen könnten. Denn Paulus redet an dieser Stelle von den Gütern, die allen Gläubigen gleichermaßen aus dem Glauben zukommen, nicht aber von dem, was er allein für sich selbst erfährt. „Aber“ – so entgegnet man – „er schreckt uns doch oft mit dem Hinweis auf unsere Schwachheit und Unbeständigkeit! Er sagt doch: ‘wer sich läßt dünken, daß er stehe, der sehe zu, daß er nicht falle’ (1. Kor. 10,12).“ Das ist richtig; aber das ist doch kein Schrecken, der uns zu Boden werfen, sondern der uns lehren soll, uns unter Gottes Hand zu demütigen, wie es Petrus auseinandersetzt! (1. Petr. 5,6). Wie töricht ist es ferner, die Gewißheit des Glaubens, die ja ihrem Wesen nach die Schranken dieses Lebens überspringt und sich nach der künftigen Unsterblichkeit ausstreckt, auf einen einzigen Zeitpunkt einzuschränken! Die Gläubigen danken der Gnade Gottes ja gerade dafür, daß sie nun durch Gottes Geist erleuchtet sind und durch den Glauben die Betrachtung des himmlischen Lebens genießen dürfen, und deshalb hat jenes Rühmen rein gar nichts mit Vermessenheit zu tun, im Gegenteil: wenn sich einer scheut, das zu bekennen, so beweist er damit eher die äußerste Undankbarkeit – denn er unterdrückt ja in Bosheit Gottes Güte! -, als etwa Bescheidenheit und Demut!
III,2,41
Wir haben gesehen, daß das Wesen des Glaubens nicht besser und deutlicher beschrieben werden kann, als aus dem Grundwesen der Verheißung heraus, auf der er ja als auf seinem eigenen Fundament ruht und ohne die er gänzlich zerrüttet, ja vielmehr zu nichts gemacht würde. Deshalb habe ich auch meine Begriffsbestimmung von dort her genommen. Diese ist freilich von der Bestimmung oder vielmehr Beschreibung, die der Apostel in Anpassung an seine Erörterung gibt, in keiner Weise verschieden. Er lehrt da, der Glaube sei ein beständiger Grund (subsistentia) von Dingen, die man hofft, und ein Selbsterweis dessen, was man nicht sieht (Hebr. 11,1; nicht Luthertext). Denn der Ausdruck „hypostasis“, den er hier (an erster Stelle) anwendet, bedeutet wohl soviel wie „Stütze“ (fulcrum), also das, worauf ein frommes Gemüt sich stützen und worauf es fest stehen kann. Als ob er sagen wollte: der Glaube ist ein sicherer und gewisser Besitz dessen, was Gott uns verheißen hat; man könnte vielleicht auch „hypostasis“ geradezu mit „gewisse Zuversicht“ übersetzen; das mißfällt mir nicht, ich halte mich aber meinerseits an die gebräuchlichere Übersetzung. Der Apostel will aber andererseits noch weiter zeigen, daß das Verheißene bis zum jüngsten Tage, da die Bücher aufgetan werden (Dan. 7,10), zu erhaben ist, als daß wir es mit unseren Sinnen wahrzunehmen oder mit unseren Augen zu schauen oder mit unseren Händen zu greifen vermöchten; er will uns darauf hinweisen, daß wir es auch nur besitzen können, wenn wir über das Fassungsvermögen unseres Verstandes hinausgehen, unseren Blick über alles das hinausstrecken, was in dieser Welt ist, uns kurzum über uns selber hinaus erheben; deshalb fügt er in seiner Wesensbestimmung des Glaubens noch hinzu, daß diese Gewißheit des Besitzes sich auf Dinge bezieht, die der Hoffnung angehören und die wir deshalb nicht sehen. So schreibt auch Paulus: „Die Hoffnung …, die man sieht, ist nicht Hoffnung, denn wie kann man des hoffen, das man sieht?“ (Röm. 8,24). Der Verfasser des Hebräerbriefs nennt den Glauben (an zweiter Stelle) ein Anzeichen (index), einen Erweis (probatio) oder auch, wie es Augustin öfters wiedergibt, eine Überzeugung (convictio) von dem, was nicht gegenwärtig ist – im Griechischen heißt es nämlich „elenchos“. Es ist, als wenn er sagen wollte: der Glaube ist ein augenscheinlichwerden der Dinge, die nicht augenscheinlich sind, ein Schauen dessen, was man nicht sieht, eine Durchsichtigkeit dessen, was dunkel ist, ein Gegenwärtigsein des nicht Gegenwärtigen, ein Aufweis des Verborgenen! Denn die Geheimnisse Gottes – und darum handelt es sich doch bei dem, was unser Heil betrifft! – sind an und für sich und, wie man sich ausdrückt, ihrer „Natur“ nach nicht zu sehen; wir erschauen sie vielmehr einzig und allein in seinem Worte, und dessen Wahrheit muß uns so gewiß sein, daß uns alles, was da gesagt wird, bereits als geschehen und erfüllt zu gelten hat! Wie soll sich aber unser Herz dazu erheben, in dieser Weise einen Geschmack von Gottes Güte zu bekommen, ohne zugleich ganz und gar zur Gegenliebe zu Gott entflammt zu werden? Denn diese Fülle des Köstlichen, die Gott denen verborgen hat, die ihn fürchten, können wir gar nicht erkennen, ohne dadurch innerlich heftig ergriffen zu werden. Hat sie aber einmal einen Menschen erfaßt, so zieht sie ihn gleich ganz an sich und reißt ihn mit sich fort. Deshalb erfaßt diese Regung – und das ist nicht verwunderlich! – niemals ein verkehrtes und verdrehtes Herz; diese Regung, die uns in den Himmel selbst hineinführt, zu den verborgensten Schätzen Gottes und den heiligsten Geheimnissen seines Reiches Zutritt verschafft, die ja nicht dadurch entweiht werden dürfen, daß ein unreines Herz zu ihnen dringt. Wenn nämlich die Scholastiker lehren, die Liebe habe den Vorrang vor Glauben und Hoffnung (Sentenzen III,25), so ist das reiner Wahn; denn der Glaube allein bringt in uns ja erst die Liebe hervor. Viel richtiger lehrt da Bernhard von Clairvaux: „Das Zeugnis des Gewissens, das Paulus den Ruhm der Frommen nennt (2. Kor. 1,12), umfaßt, glaube ich, dreierlei. Zuallererst mußt du glauben, daß du die Vergebung der Sünden einzig und allein durch Gottes Nachsicht empfangen kannst; zweitens, daß du keinerlei gutes Werk haben kannst, das nicht wieder er selbst dir gegeben hätte; und endlich, daß du dir mit keinerlei Werken das ewige Leben verdienen kannst, sofern dir nicht auch dies umsonst gegeben wird!“ (Predigt 1 zum Feste Mariae Verkündigung). Er setzt dann aber gleich noch hinzu, das sei noch nicht genug, sondern es sei erst ein gewisser Anfang im Glauben; denn wenn wir glaubten, daß uns keiner die Sünden vergeben kann als Gott allein, so müßten wir auch festhalten, daß sie uns vergeben sind, – bis wir durch das Zeugnis des Heiligen Geistes zu der Gewißheit kämen, daß uns das Heil wohlbereitet ist; denn weil Gott uns die Sünden schenke, weil er uns die Verdienste schenke, weil eben er uns auch den (darauf stehenden) Lohn schenke, – so könnten wir bei jenen ersten Schritten nicht stehenbleiben! (In der gleichen Predigt.) Aber ich muß dies und anderes mehr an der entsprechenden Stelle behandeln; jetzt müssen wir uns damit begnügen, festzustellen, was der Glaube selber ist.
Simon W.
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III,2,42
Wo aber nun auch immer dieser Glaube lebendig ist, da hat er notwendig die Hoffnung auf das ewige Heil zum unzertrennlichen Begleiter, ja vielmehr er erzeugt sie, bringt sie hervor. Fehlt diese Hoffnung, so mögen wir noch so geistreich und geziert vom Glauben zu reden wissen – wir können uns doch darauf verlassen, daß wir keinen haben! Denn wenn der Glaube, wie wir gehört haben, eine gewisse Überzeugung von Gottes Wahrheit ist, eine Überzeugung, daß uns diese Wahrheit nicht belügen und betrügen, daß sie nicht ungültig werden kann – so muß doch der, der diese Gewißheit gefaßt hat, zugleich auch erwarten, daß Gott seine Verheißungen halten wird, die doch nach seiner festen Überzeugung notwendig wahr sein müssen! Die Hoffnung ist eben alles in allem nichts anderes als die Erwartung der Dinge, die nach der Überzeugung des Glaubens von Gott wahrhaft verheißen sind. So ist der Glaube gewiß, daß Gott wahrhaftig ist, und die Hoffnung erwartet, daß er zu gelegener Zeit seine Wahrheit offenbart; der Glaube ist gewiß, daß er unser Vater ist, die Hoffnung erwartet, daß er sich an uns stets als solcher erweisen wird; der Glaube ist gewiß, daß uns das ewige Leben gegeben ist, die Hoffnung erwartet, daß es einst enthüllt werden wird; der Glaube ist das Fundament, auf dem die Hoffnung ruht, die Hoffnung nährt und stützt den Glauben. Niemand kann von Gott irgend etwas erwarten, wenn er nicht zuvor seinen Verheißungen glaubt, aber ebenso muß unser schwacher Glaube, um nicht ermattet niederzusinken, dadurch unterstützt und erhalten werden, daß wir geduldig hoffen und warten. Es ist deshalb richtig, wenn Paulus unser Heil als Sache der Hoffnung darstellt (Röm. 8,24). Indem sie stille des Herrn wartet, hält sie den Glauben in Schranken, damit er sich nicht in allzu großer Eile überstürze, stärkt ihn, damit er hinsichtlich der Verheißungen Gottes nicht schwanke oder an ihrer Wahrheit zu zweifeln anfange, erfrischt ihn, damit er sich nicht ermüde, und läßt ihn bis zu jenem äußersten Ziele währen, damit er nicht mitten im Laufe oder auch in dessen Anfang ermatte. Kurzum, die Hoffnung erneuert und belebt den Glauben je und je und sorgt dafür, daß er immer wieder kräftiger sich erhebt, um bis ans Ende zu beharren. In wievielerlei Weise nun überhaupt der Glaube der Hilfe der Hoffnung bedarf, um Festigkeit zu erlangen, das wird uns noch deutlicher, wenn wir in Betracht ziehen, in wievielerlei Weise die Menschen, die Gottes Wort angenommen haben, von der Anfechtung berannt und in Bedrängnis gebracht werden. Zunächst schiebt der Herr öfters die (Erfüllung seiner) Verheißungen hinaus und hält so unser Herz länger in der Schwebe, als wir es uns wünschen möchten; da ist es denn das Amt der Hoffnung, die Weisung des Propheten zu erfüllen: „Ob sie aber verzieht, so harre ihrer!“ (Hab. 2,3). Zuweilen läßt er uns nicht nur in unserer Mattigkeit schmachten, sondern legt offenkundigen Zorn an den Tag: da ist es eben um so mehr erforderlich, daß uns die Hoffnung zu Hilfe kommt, damit wir es nach dem Worte eines anderen Propheten halten können: „Ich hoffe auf den Herrn, der sein Angesicht verborgen hat vor dem Hause Jakob; ich aber harre sein!“ (Jes. 8,17). Auch erheben sich manchmal, wie sich Petrus ausdrückt, „Spötter“ (2. Petr. 3,3), und fragen: „Wo ist die Verheißung seiner Zukunft? Denn nachdem die Väter entschlafen sind, bleibt es alles, wie von Anfang der Kreatur gewesen ist!“ (2. Petr. 3,4). Ja, solche Gedanken blasen uns unser Fleisch und die Welt gleichermaßen ein! Da muß der Glaube auf die Dulderkraft der Hoffnung gestützt sein und an der Betrachtung der Ewigkeit festgehalten werden, er muß wissen, daß da „tausend Jahre sind wie ein Tag“ (Ps. 90,4; 2. Petr. 3, 8).
III,2,43
Weil Glaube und Hoffnung so fest miteinander verbunden, ja verwandt sind, so gebraucht die Schrift zuweilen die Wörter „Glaube“ und „Hoffnung“ durcheinander. Wenn z.B. Petrus lehrt, wir würden „aus Gottes Macht durch den Glauben bewahret“ bis zur Offenbarung der Seligkeit (1. Petr. 1,5), so schreibt er damit dem Glauben etwas zu, das eigentlich mehr zum Wesen der Hoffnung passen würde; und zwar nicht zu Unrecht, denn die Hoffnung ist ja, wie wir bemerkten, nichts als die Nahrung und Kraft des Glaubens. Manchmal werden „Glaube“ und „Hoffnung“ auch miteinander verbunden; so heißt es in dem gleichen Briefe: „Auf daß ihr Glauben und Hoffnung zu Gott haben möchtet“ (1. Petr. 1,21). Paulus aber leitet im Philipperbrief aus der Hoffnung die Erwartung ab: denn indem wir geduldig hoffen, lassen wir unsere Wünsche in der Schwebe, bis Gottes gelegene Zeit sich offenbart hat (Phil. 1,20). Dies alles kann man noch deutlicher aus dem bereits angeführten elften Kapitel des Hebräerbriefes entnehmen. Das Gleiche meint auch Paulus an einer Stelle, an der er allerdings uneigentlich redet: „Wir aber warten im Geist durch den Glauben der Gerechtigkeit, auf die man hoffen muß“ (Gal. 5,5). Nachdem wir nämlich das Zeugnis des Evangeliums von Gottes freignädiger Liebe angenommen haben, warten wir, bis Gott offenbarlich zeigt, was jetzt noch unter der Hoffnung verborgen ist! Ganz klar ist es nun, wie unsinnig es ist, wenn Petrus Lombardus ein zwiefaches Fundament der Hoffnung gelegt denkt, nämlich Gottes Gnade und das Verdienst unserer Werke. Nein, für die Hoffnung kann es keinen anderen Richtpunkt geben als den Glauben; der Glaube aber hat, wie wir bereits ganz klar auseinandersetzten, nur einen einzigen Richtpunkt, nämlich Gottes Barmherzigkeit; und darum müssen wir auf sie sozusagen mit beiden Augen schauen! Aber es ist doch der Mühe wert, zu hören, was für einen kräftigen Grund der Lombarde anführt; er sagt: „Wenn du etwas ohne dein Verdienst zu hoffen wagst, so ist das nicht Hoffnung, sondern Vermessenheit zu nennen!“ Lieber Freund und Leser, sollte man nicht verdientermaßen solche Bestien verabscheuen, die es hoffärtig und vermessen nennen, wenn jemand darauf vertraut, daß Gott wahrhaftig ist? Der Herr will doch, daß wir von seiner Güte alles erwarten sollen; solche Leute erklären es aber für vermessen, wenn man sich auf diese Güte stützt und verläßt! Dieser Meister ist der Schüler wohl wert, wie er sie in den unsinnigen scholastischen Zungendrescherschulen gefunden hat! Wir aber wollen, da wir ja sehen, wie Gott in klaren Weisungen dem Sünder befiehlt, Hoffnung auf das Heil zu fassen, gern so „vermessen“ auf seine Wahrheit trauen, daß wir allein auf sein Erbarmen bauen, alle Zuversicht auf die Werke von uns werfen und fröhlich zu hoffen wagen! Denn er hat gesagt: „Euch geschehe nach eurem Glauben“ (Matth. 9,29) – und er wird nicht trügen!
Drittes Kapitel: Durch den Glauben werden wir wiedergeboren. Hier ist von der Buße zu sprechen
III,3,1
Im Bisherigen habe ich zwar bereits zum Teil auseinandergesetzt, wie der Glaube Christus besitzt und wie wir durch ihn seine Güter genießen; aber das würde alles noch undeutlich bleiben, sofern nicht auch eine Darlegung der Wirkungen hinzukäme, die wir erfahren. Es ist nicht verkehrt, wenn man sagt, der Hauptinhalt des Evangeliums bestehe in der Buße und der Vergebung der Sünden. Wollte man also diese beiden Hauptstücke auslassen, so wäre jede Erörterung über den Glauben inhaltslos und verstümmelt, ja schier unnütz! Christus schenkt uns doch beides, und beides erlangen wir auch im Glauben: die Erneuerung des Lebens und die Versöhnung aus Gnaden; der sachliche Zusammenhang und die geordnete Reihenfolge in der Unterweisung erfordert es also, daß ich hier von diesen beiden Lehrstücken zu sprechen beginne. Zunächst müssen wir aber vom Glauben zur Buße übergehen; haben wir dies Lehrstück recht verstanden, so wird es uns besser klar werden, wieso der Mensch allein durch den Glauben und durch reine Vergebung gerechtfertigt wird und wieso doch von dieser gnadenweisen Anrechnung der Gerechtigkeit die wirkliche Heiligkeit des Lebens – wenn ich mich so ausdrücken darf! – nicht getrennt ist. Daß aber die Buße alsbald auf den Glauben folgt, ja aus ihm entsteht, das muß außer Zweifel stehen. Vergebung und Lossprechung (von den Sünden) wird ja durch die Verkündigung des Evangeliums so dargeboten, daß der Sünder von der Tyrannei des Satans, vom Joch der Sünde, von der elenden Knechtung unter seine Laster frei wird und in Gottes Reich übergeht; deshalb kann nun niemand die Gnade des Evangeliums annehmen, ohne aus den Irrtümern seines bisherigen Lebens heraus auf den rechten Weg zurückzulenken und all seinen Eifer auf ein ernstes Trachten nach der Buße zu richten. Einige meinen, die Buße gehe dem Glauben voran, statt aus ihm hervorzugehen oder wie eine Frucht aus dem Baume zu erwachsen; aber diese Leute haben die Kraft der Buße nie und nimmer verstanden und stützen ihre Ansicht auf unzureichende Beweise.
Wo aber nun auch immer dieser Glaube lebendig ist, da hat er notwendig die Hoffnung auf das ewige Heil zum unzertrennlichen Begleiter, ja vielmehr er erzeugt sie, bringt sie hervor. Fehlt diese Hoffnung, so mögen wir noch so geistreich und geziert vom Glauben zu reden wissen – wir können uns doch darauf verlassen, daß wir keinen haben! Denn wenn der Glaube, wie wir gehört haben, eine gewisse Überzeugung von Gottes Wahrheit ist, eine Überzeugung, daß uns diese Wahrheit nicht belügen und betrügen, daß sie nicht ungültig werden kann – so muß doch der, der diese Gewißheit gefaßt hat, zugleich auch erwarten, daß Gott seine Verheißungen halten wird, die doch nach seiner festen Überzeugung notwendig wahr sein müssen! Die Hoffnung ist eben alles in allem nichts anderes als die Erwartung der Dinge, die nach der Überzeugung des Glaubens von Gott wahrhaft verheißen sind. So ist der Glaube gewiß, daß Gott wahrhaftig ist, und die Hoffnung erwartet, daß er zu gelegener Zeit seine Wahrheit offenbart; der Glaube ist gewiß, daß er unser Vater ist, die Hoffnung erwartet, daß er sich an uns stets als solcher erweisen wird; der Glaube ist gewiß, daß uns das ewige Leben gegeben ist, die Hoffnung erwartet, daß es einst enthüllt werden wird; der Glaube ist das Fundament, auf dem die Hoffnung ruht, die Hoffnung nährt und stützt den Glauben. Niemand kann von Gott irgend etwas erwarten, wenn er nicht zuvor seinen Verheißungen glaubt, aber ebenso muß unser schwacher Glaube, um nicht ermattet niederzusinken, dadurch unterstützt und erhalten werden, daß wir geduldig hoffen und warten. Es ist deshalb richtig, wenn Paulus unser Heil als Sache der Hoffnung darstellt (Röm. 8,24). Indem sie stille des Herrn wartet, hält sie den Glauben in Schranken, damit er sich nicht in allzu großer Eile überstürze, stärkt ihn, damit er hinsichtlich der Verheißungen Gottes nicht schwanke oder an ihrer Wahrheit zu zweifeln anfange, erfrischt ihn, damit er sich nicht ermüde, und läßt ihn bis zu jenem äußersten Ziele währen, damit er nicht mitten im Laufe oder auch in dessen Anfang ermatte. Kurzum, die Hoffnung erneuert und belebt den Glauben je und je und sorgt dafür, daß er immer wieder kräftiger sich erhebt, um bis ans Ende zu beharren. In wievielerlei Weise nun überhaupt der Glaube der Hilfe der Hoffnung bedarf, um Festigkeit zu erlangen, das wird uns noch deutlicher, wenn wir in Betracht ziehen, in wievielerlei Weise die Menschen, die Gottes Wort angenommen haben, von der Anfechtung berannt und in Bedrängnis gebracht werden. Zunächst schiebt der Herr öfters die (Erfüllung seiner) Verheißungen hinaus und hält so unser Herz länger in der Schwebe, als wir es uns wünschen möchten; da ist es denn das Amt der Hoffnung, die Weisung des Propheten zu erfüllen: „Ob sie aber verzieht, so harre ihrer!“ (Hab. 2,3). Zuweilen läßt er uns nicht nur in unserer Mattigkeit schmachten, sondern legt offenkundigen Zorn an den Tag: da ist es eben um so mehr erforderlich, daß uns die Hoffnung zu Hilfe kommt, damit wir es nach dem Worte eines anderen Propheten halten können: „Ich hoffe auf den Herrn, der sein Angesicht verborgen hat vor dem Hause Jakob; ich aber harre sein!“ (Jes. 8,17). Auch erheben sich manchmal, wie sich Petrus ausdrückt, „Spötter“ (2. Petr. 3,3), und fragen: „Wo ist die Verheißung seiner Zukunft? Denn nachdem die Väter entschlafen sind, bleibt es alles, wie von Anfang der Kreatur gewesen ist!“ (2. Petr. 3,4). Ja, solche Gedanken blasen uns unser Fleisch und die Welt gleichermaßen ein! Da muß der Glaube auf die Dulderkraft der Hoffnung gestützt sein und an der Betrachtung der Ewigkeit festgehalten werden, er muß wissen, daß da „tausend Jahre sind wie ein Tag“ (Ps. 90,4; 2. Petr. 3, 8).
III,2,43
Weil Glaube und Hoffnung so fest miteinander verbunden, ja verwandt sind, so gebraucht die Schrift zuweilen die Wörter „Glaube“ und „Hoffnung“ durcheinander. Wenn z.B. Petrus lehrt, wir würden „aus Gottes Macht durch den Glauben bewahret“ bis zur Offenbarung der Seligkeit (1. Petr. 1,5), so schreibt er damit dem Glauben etwas zu, das eigentlich mehr zum Wesen der Hoffnung passen würde; und zwar nicht zu Unrecht, denn die Hoffnung ist ja, wie wir bemerkten, nichts als die Nahrung und Kraft des Glaubens. Manchmal werden „Glaube“ und „Hoffnung“ auch miteinander verbunden; so heißt es in dem gleichen Briefe: „Auf daß ihr Glauben und Hoffnung zu Gott haben möchtet“ (1. Petr. 1,21). Paulus aber leitet im Philipperbrief aus der Hoffnung die Erwartung ab: denn indem wir geduldig hoffen, lassen wir unsere Wünsche in der Schwebe, bis Gottes gelegene Zeit sich offenbart hat (Phil. 1,20). Dies alles kann man noch deutlicher aus dem bereits angeführten elften Kapitel des Hebräerbriefes entnehmen. Das Gleiche meint auch Paulus an einer Stelle, an der er allerdings uneigentlich redet: „Wir aber warten im Geist durch den Glauben der Gerechtigkeit, auf die man hoffen muß“ (Gal. 5,5). Nachdem wir nämlich das Zeugnis des Evangeliums von Gottes freignädiger Liebe angenommen haben, warten wir, bis Gott offenbarlich zeigt, was jetzt noch unter der Hoffnung verborgen ist! Ganz klar ist es nun, wie unsinnig es ist, wenn Petrus Lombardus ein zwiefaches Fundament der Hoffnung gelegt denkt, nämlich Gottes Gnade und das Verdienst unserer Werke. Nein, für die Hoffnung kann es keinen anderen Richtpunkt geben als den Glauben; der Glaube aber hat, wie wir bereits ganz klar auseinandersetzten, nur einen einzigen Richtpunkt, nämlich Gottes Barmherzigkeit; und darum müssen wir auf sie sozusagen mit beiden Augen schauen! Aber es ist doch der Mühe wert, zu hören, was für einen kräftigen Grund der Lombarde anführt; er sagt: „Wenn du etwas ohne dein Verdienst zu hoffen wagst, so ist das nicht Hoffnung, sondern Vermessenheit zu nennen!“ Lieber Freund und Leser, sollte man nicht verdientermaßen solche Bestien verabscheuen, die es hoffärtig und vermessen nennen, wenn jemand darauf vertraut, daß Gott wahrhaftig ist? Der Herr will doch, daß wir von seiner Güte alles erwarten sollen; solche Leute erklären es aber für vermessen, wenn man sich auf diese Güte stützt und verläßt! Dieser Meister ist der Schüler wohl wert, wie er sie in den unsinnigen scholastischen Zungendrescherschulen gefunden hat! Wir aber wollen, da wir ja sehen, wie Gott in klaren Weisungen dem Sünder befiehlt, Hoffnung auf das Heil zu fassen, gern so „vermessen“ auf seine Wahrheit trauen, daß wir allein auf sein Erbarmen bauen, alle Zuversicht auf die Werke von uns werfen und fröhlich zu hoffen wagen! Denn er hat gesagt: „Euch geschehe nach eurem Glauben“ (Matth. 9,29) – und er wird nicht trügen!
Drittes Kapitel: Durch den Glauben werden wir wiedergeboren. Hier ist von der Buße zu sprechen
III,3,1
Im Bisherigen habe ich zwar bereits zum Teil auseinandergesetzt, wie der Glaube Christus besitzt und wie wir durch ihn seine Güter genießen; aber das würde alles noch undeutlich bleiben, sofern nicht auch eine Darlegung der Wirkungen hinzukäme, die wir erfahren. Es ist nicht verkehrt, wenn man sagt, der Hauptinhalt des Evangeliums bestehe in der Buße und der Vergebung der Sünden. Wollte man also diese beiden Hauptstücke auslassen, so wäre jede Erörterung über den Glauben inhaltslos und verstümmelt, ja schier unnütz! Christus schenkt uns doch beides, und beides erlangen wir auch im Glauben: die Erneuerung des Lebens und die Versöhnung aus Gnaden; der sachliche Zusammenhang und die geordnete Reihenfolge in der Unterweisung erfordert es also, daß ich hier von diesen beiden Lehrstücken zu sprechen beginne. Zunächst müssen wir aber vom Glauben zur Buße übergehen; haben wir dies Lehrstück recht verstanden, so wird es uns besser klar werden, wieso der Mensch allein durch den Glauben und durch reine Vergebung gerechtfertigt wird und wieso doch von dieser gnadenweisen Anrechnung der Gerechtigkeit die wirkliche Heiligkeit des Lebens – wenn ich mich so ausdrücken darf! – nicht getrennt ist. Daß aber die Buße alsbald auf den Glauben folgt, ja aus ihm entsteht, das muß außer Zweifel stehen. Vergebung und Lossprechung (von den Sünden) wird ja durch die Verkündigung des Evangeliums so dargeboten, daß der Sünder von der Tyrannei des Satans, vom Joch der Sünde, von der elenden Knechtung unter seine Laster frei wird und in Gottes Reich übergeht; deshalb kann nun niemand die Gnade des Evangeliums annehmen, ohne aus den Irrtümern seines bisherigen Lebens heraus auf den rechten Weg zurückzulenken und all seinen Eifer auf ein ernstes Trachten nach der Buße zu richten. Einige meinen, die Buße gehe dem Glauben voran, statt aus ihm hervorzugehen oder wie eine Frucht aus dem Baume zu erwachsen; aber diese Leute haben die Kraft der Buße nie und nimmer verstanden und stützen ihre Ansicht auf unzureichende Beweise.
Simon W.
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III,3,2
Die Vertreter der letztgenannten Ansicht behaupten nun, Christus und Johannes der Täufer hätten in ihren Reden zuerst das Volk zur Buße aufgefordert, und erst dann hätten sie auch zugefügt: „Das Himmelreich ist nahe herbeigekommen“ (Matth. 3,2; 4,17). Der gleiche Auftrag ist nach ihrem Hinweis auch den Aposteln für ihre Predigt mitgegeben worden; auch Paulus ist dieser Regel gefolgt, wie Lukas berichtet (Apg. 20,21). Aber sie klammern sich dabei abergläubisch an die äußerliche Reihenfolge der Silben und achten nicht darauf, in welchem Sinn diese untereinander zusammenhängen. Wenn nämlich der Herr Christus und Johannes bei ihrer Predigt ausrufen: „Tut Buße; denn das Himmelreich ist nahe herbeigekommen“, so sehen sie doch gerade in der Gnade und der Heilsverheißung den Grund für die Buße! Was sie sagen, ist genau dasselbe, als wenn sie sich ausdrückten: Da das Himmelreich nahe herbeigekommen ist, so tut Buße! Das macht uns auch Matthäus deutlich: er berichtet, wie Johannes in dieser Welt gepredigt hat, und dann erklärt er, in ihm sei die Weissagung des Jesaja in Erfüllung gegangen: „Es ist eine Stimme eines Predigers in der Wüste. Bereitet dem Herrn den Weg, macht auf dem Gefilde eine ebene Bahn unserem Gott“ (Jes. 40,3). Bei dem Propheten aber bekommt diese „Stimme“ den Auftrag, mit dem Trost und der fröhlichen Botschaft zu beginnen! Wenn ich nun aber den Ursprung der Buße im Glauben suche, so bedeutet das doch nicht, daß ich mir etwa einen Zeitabstand zwischen beiden erträumte, in welchem der Glaube die Buße hervorbrachte; ich will nur darlegen, daß der Mensch nicht ernstlich nach der Buße trachten kann, wenn er nicht weiß, daß er Gottes Eigentum ist. Die Gewißheit, Gottes Eigentum zu sein, kann aber nur der erlangen, der zuvor seine Gnade ergriffen hat. Doch dies wird im Laufe der Erörterung noch deutlicher werden. Was jene Täuschung (hinsichtlich der Aufeinanderfolge von Glauben und Buße) hervorgerufen hat, mag auch die Beobachtung gewesen sein, daß viele Menschen von den Schrecken des Gewissens bezwungen und zum Gehorsam gebracht werden, bevor sie eine Erkenntnis der Gnade erlangt, ja auch nur von ihr gekostet haben. Das ist nun eine solche Furcht, wie sie Anfänger haben; einige wollen sie gar zu den Tugenden rechnen, weil sie sehen, daß sie dem wahren, rechten Gehorsam immerhin nahekommt. Aber hier handelt es sich ja nicht darum, auf wie verschiedene Weise uns Christus zu sich zieht oder auf das Trachten nach Frömmigkeit vorbereitet; ich sage nur das Eine: es ist keine Aufrichtigkeit zu finden, bei der nicht der Heilige Geist das Regiment führt, den Christus empfangen hat, um ihn seinen Gliedern mitzuteilen. Auch wird ja nach dem Psalmwort: „Bei dir ist die Vergebung, daß man dich fürchte“ (Ps. 130,4), nur der wirklich Gott fürchten, der darauf vertraut, daß er ihm gnädig ist; nur der wird sich willig aufmachen, um das Gesetz zu beobachten, der die Gewißheit hat, daß sein Dienst Gott wohlgefällt. Und dabei ist die Nachsicht, mit der Gott unsere Laster vergibt und trägt, ein Zeichen seiner väterlichen Gunst. Das zeigt uns auch ein Mahnwort des Hosea: „Kommt, wir wollen wieder zum Herrn; denn er hat uns zerrissen, er wird uns auch heilen; er hat uns zerschlagen, er wird uns auch verbinden“ (Hos. 6,1). Da wird die Hoffnung auf die Vergebung als ein Antrieb hinzugesetzt, damit das Volk nicht in seinen Sünden verstumpfe. Jeden Schein einer Begründung entbehrt aber der Wahnwitz solcher Leute, die, um ja mit der Buße einen Anfang zu machen, ihren Neulingen im Glauben bestimmte Tage vorschreiben, an denen sie sich in der Buße üben sollen, und sie erst dann in die Gemeinschaft an der Gnade des Evangeliums aufnehmen wollen, wenn diese Tage vorbei sind. Ich spreche hier von den meisten der Wiedertäufer, besonders von denen, die sich wunderbar darin gefallen, für „geistlich“ gehalten zu werden, ferner auch von ihren Genossen, den Jesuiten, und ähnlichem Auswurf. Solche Früchte bringt nämlich jener Schwindelgeist, daß man die Buße, die ein Christenmensch sein Leben lang zu üben hat, auf wenige Lage beschränkt.
III,3,3
Einige gelehrte Männer haben nun lange vor dieser Zeit in der Absicht, von der Buße nach der Regel der Schrift schlicht und klar zu reden, den Satz ausgesprochen, sie bestehe aus zwei Stücken: Abtötung und Lebendigmachung. Unter „Abtötung“ (mortificatio) verstehen sie den Schmerz der Seele und das Erschrecken, das aus der Erkenntnis der Sünde und aus dem Empfinden des Zorns Gottes entsteht. Sobald nämlich jemand zur wahren Erkenntnis der Sünde gebracht ist, fängt er auch an, die Sünde wirklich zu hassen und zu verabscheuen, dann mißfällt er sich selbst von Herzen, gesteht, daß er elend und verloren ist, und begehrt, ein anderer Mensch zu werden. Sobald ihn dann ein Empfinden des Gerichtes Gottes erfaßt – denn dies Zweite folgt von selbst aus dem Ersten! – dann liegt er erschüttert und zerschmettert am Boden, erzittert in Demut und Beugung, verzagt und verzweifelt. Das ist der erste Teil der Buße, den man auch gewöhnlich Zerknirschung (contritio) nennt. Unter „Lebendigmachung“ (vivificatio) versteht man den Trost, der aus dem Glauben zu uns kommt: da darf nämlich der Mensch, den das Bewußtsein der Sünde zu Boden geworfen, die Furcht Gottes erschüttert hat, hernach auf Gottes Güte, Barmherzigkeit und Gnade schauen, auf das Heil, das durch Christus geschieht; da richtet er sich auf, schöpft Atem, faßt wieder Mut und kommt sozusagen vom Tode ins Leben! Diese beiden Ausdrücke (Abtötung und Lebendigmachung) bringen, sofern nur ihre richtige Auslegung festgehalten wird, die Kraft der Buße in geeigneter Weise zum Ausdruck. Dagegen kann ich dem nicht zustimmen, daß man die Lebendigmachung als die Freude versteht, die das Herz empfängt, wenn es aus der Erschütterung und Furcht heraus wieder zur Ruhe gekommen ist. Lebendigmachung bedeutet vielmehr das eifrige Trachten nach einem heiligen und frommen Leben, wie es aus der Wiedergeburt erwächst, es besagt also soviel, als wenn es hieße: der Mensch stirbt sich selber, um Gott zu leben.
III,3,4
Andere Theologen gingen von der Beobachtung aus, daß der Begriff „Buße“ in der Schrift verschieden verstanden ist, und deshalb haben sie zweierlei Gestalt der Buße unterschieden. Dazu bedurfte es bestimmter Kennzeichen, und so nannte man die erste Gestalt „gesetzliche Buße“: der Sünder wird durch das Brandmal der Sünde verwundet, vom Schrecken vor Gottes Zorn zerschmettert, und in dieser Verwirrung bleibt er hängen und kann sich nicht herauswinden. Die andere Gestalt der Buße nannte man „evangelisch“: auch hier ist der Sünder in sich selbst schwer getroffen, aber er vermag doch höher zu dringen und ergreift Christus als Arznei für seine Wunde, als Trost in seinem Schrecken, als Hafen für sein Elend. Als Beispiel für die „gesetzliche“ Buße nennt man Kain, Saul und Judas Ischariot (Gen. 4,13; 1. Sam. 15,30; Matth. 27,4); von deren Buße berichtet uns die Schrift, und sie versteht darunter, daß sie die Schwere ihrer Sünde erkannt und Gottes Zorn gefürchtet haben; aber sie verstanden Gott bloß als Rächer und Richter, und über dieser Empfindung sind sie zugrunde gegangen. Ihre Buße war also nichts anderes als gewissermaßen der Vorhof der Hölle: in ihn sind sie schon bei Lebzeiten eingegangen und haben da angesichts des Zornes der Majestät Gottes angefangen, ihre Strafe zu erleiden. Die „evangelische“ Buße können wir an all den Menschen beobachten, die zwar in sich selber vom Stachel der Sünde verletzt waren, aber durch die Zuversicht auf Gottes Erbarmen wieder aufgerichtet und erquickt und zu dem Herrn bekehrt wurden. So wurde Hiskia durch die Todesbotschaft, die er erhielt, in Schrecken gejagt, aber er betete unter Tränen, richtete den Blick auf Gottes Güte und gewann so wieder Zuversicht (2. Kön. 20,2; Jes. 38,2). Auch die Niniviten wurden durch die Schreckensbotschaft von dem Untergang der Stadt erschüttert, aber sie beteten im Sack und in der Asche und hofften, der Herr könnte anderen Sinnes werden und von dem Grimm seines Zorns sich abkehren (Jon. 3,5). David mußte bekennen, daß er mit seiner Volkszählung schrecklich gesündigt hatte, aber er fügte doch die Bitte hinzu: „Herr, nimm weg die Missetat deines Knechts!“ (2. Sam. 24,10). Er erkannte auf die harten Tadelworte des Nathan hin seinen Ehebruch als Schuld an und warf sich vor dem Herrn nieder; aber er hoffte doch zugleich auf Vergebung! (2. Sam. 12,13. 16). Von dieser Art war auch die Buße der Menschen, denen die Predigt des Petrus „durchs Herz ging“, die aber dann doch im Vertrauen auf Gottes Güte weiterhin fragten: „Ihr Männer, lieben Brüder, was sollen wir tun?“ (Apg. 2,37). Von dieser Art war auch die Buße des Petrus selber, der zwar „bitterlich weinte“, aber doch nicht aufhörte zu hoffen (Matth. 26,75; Luk. 22,62).
III,3,5
All dies ist wahr; und doch besagt der Ausdruck „Buße“ selbst, sofern ich ihn aus der Schrift verstehen kann, etwas anderes. Daß man dabei nämlich den Glauben mit unter der Buße begreift (im Sinne der „evangelischen“ Buße), das steht im Widerspruch zu den Worten des Paulus in der Apostelgeschichte: „Und habe bezeugt, beiden, den Juden und Griechen, die Buße zu Gott und den Glauben an unseren Herrn Jesus Christus (Apg. 20,21). Da nennt er Buße und Glauben nebeneinander als zwei verschiedene Dinge. Ja, fragt man, kann denn die wahre Buße ohne den Glauben bestehen? – Gewiß nicht. Man kann sie nicht voneinander trennen, aber man muß sie deshalb doch voneinander unterscheiden! Der Glaube ist ja auch nie ohne die Hoffnung da, und doch sind Glaube und Hoffnung etwas Verschiedenes; so muß man auch Buße und Glauben, obwohl sie durch ein beständiges Band zusammenhängen, doch miteinander verbunden denken, statt sie zu vermischen. Es ist mir zwar nicht verborgen, daß unter dem Ausdruck „Buße“ die ganze Bekehrung zu Gott begriffen wird, zu der ja nicht zuletzt auch der Glaube gehört; in welchem Sinne das aber geschieht, das wird sich leicht zeigen, wenn wir Kraft und Wesen der Buße näher beleuchtet haben. Das Wort „Buße“ ist bei den Hebräern von „Umkehr“ oder „Rückkehr“, bei den Griechen von „Änderung des Sinnes“ oder „Änderung eines Ratschlusses“ hergenommen; beiden sprachlichen Ableitungen entspricht die beschriebene Sache durchaus: Buße ist ja im wesentlichen darin beschlossen, daß wir von uns selbst auswandern und uns zu Gott „kehren“, daß wir den vorigen Sinn ablegen und einen neuen annehmen! Es ist deshalb, nach meinem Urteil wenigstens, keine üble Beschreibung des Begriffs „Buße“, wenn man sagt: Buße ist die wahre Hinkehr unseres Lebens zu Gott, wie sie aus echter und ernster Gottesfurcht entsteht; sie umfaßt einerseits das Absterben unseres Fleisches und des alten Menschen, anderseits die Lebendigmachung im Geiste. In diesem Sinne muß man auch all die Reden verstehen, mit denen einst die Propheten und dann später die Apostel die Menschen ihrer Zeit zur Buße mahnten. Denn sie haben alle auf das Eine gedrungen, daß die Menschen, erschüttert von ihren Sünden, durchbohrt von der Furcht vor Gottes Gericht, sich vor Gott, den sie abtrünnig verlassen hatten, niederwarfen, sich vor ihm demütigten und in wahrer Bekehrung auf seinen rechten Weg zurückkehrten. Die Worte, die sie brauchten, hatten also unterschiedslos alle den gleichen Sinn, ob es nun heißt „sich zu Gott kehren“ oder „zu Gott umkehren“ oder „anderen Sinnes werden“ oder „Buße tun“ (Matth. 3,2). Deshalb heißt es in der Heiligen Geschichte auch, das Bußetun bedeute eine Wendung „zu Gott“: das geschieht, wenn Menschen, die sich von ihm abgewandt und sich in ihren Lüsten haben gehen lassen, nun anfangen, seinem Worte zu gehorchen (1. Sam. 7,3), sich seiner Führung zu unterstellen und zu gehen, wohin er sie ruft! Johannes und Paulus sprechen auch von „würdigen Früchten der Buße“, die einer bringt (Luk. 3, 8; Röm. 6,4; Apg. 26,20), und verstehen darunter, daß einer ein Leben führt, das in allen seinen Taten ein Erweis, ein Zeugnis dieser Umkehr ist.
Die Vertreter der letztgenannten Ansicht behaupten nun, Christus und Johannes der Täufer hätten in ihren Reden zuerst das Volk zur Buße aufgefordert, und erst dann hätten sie auch zugefügt: „Das Himmelreich ist nahe herbeigekommen“ (Matth. 3,2; 4,17). Der gleiche Auftrag ist nach ihrem Hinweis auch den Aposteln für ihre Predigt mitgegeben worden; auch Paulus ist dieser Regel gefolgt, wie Lukas berichtet (Apg. 20,21). Aber sie klammern sich dabei abergläubisch an die äußerliche Reihenfolge der Silben und achten nicht darauf, in welchem Sinn diese untereinander zusammenhängen. Wenn nämlich der Herr Christus und Johannes bei ihrer Predigt ausrufen: „Tut Buße; denn das Himmelreich ist nahe herbeigekommen“, so sehen sie doch gerade in der Gnade und der Heilsverheißung den Grund für die Buße! Was sie sagen, ist genau dasselbe, als wenn sie sich ausdrückten: Da das Himmelreich nahe herbeigekommen ist, so tut Buße! Das macht uns auch Matthäus deutlich: er berichtet, wie Johannes in dieser Welt gepredigt hat, und dann erklärt er, in ihm sei die Weissagung des Jesaja in Erfüllung gegangen: „Es ist eine Stimme eines Predigers in der Wüste. Bereitet dem Herrn den Weg, macht auf dem Gefilde eine ebene Bahn unserem Gott“ (Jes. 40,3). Bei dem Propheten aber bekommt diese „Stimme“ den Auftrag, mit dem Trost und der fröhlichen Botschaft zu beginnen! Wenn ich nun aber den Ursprung der Buße im Glauben suche, so bedeutet das doch nicht, daß ich mir etwa einen Zeitabstand zwischen beiden erträumte, in welchem der Glaube die Buße hervorbrachte; ich will nur darlegen, daß der Mensch nicht ernstlich nach der Buße trachten kann, wenn er nicht weiß, daß er Gottes Eigentum ist. Die Gewißheit, Gottes Eigentum zu sein, kann aber nur der erlangen, der zuvor seine Gnade ergriffen hat. Doch dies wird im Laufe der Erörterung noch deutlicher werden. Was jene Täuschung (hinsichtlich der Aufeinanderfolge von Glauben und Buße) hervorgerufen hat, mag auch die Beobachtung gewesen sein, daß viele Menschen von den Schrecken des Gewissens bezwungen und zum Gehorsam gebracht werden, bevor sie eine Erkenntnis der Gnade erlangt, ja auch nur von ihr gekostet haben. Das ist nun eine solche Furcht, wie sie Anfänger haben; einige wollen sie gar zu den Tugenden rechnen, weil sie sehen, daß sie dem wahren, rechten Gehorsam immerhin nahekommt. Aber hier handelt es sich ja nicht darum, auf wie verschiedene Weise uns Christus zu sich zieht oder auf das Trachten nach Frömmigkeit vorbereitet; ich sage nur das Eine: es ist keine Aufrichtigkeit zu finden, bei der nicht der Heilige Geist das Regiment führt, den Christus empfangen hat, um ihn seinen Gliedern mitzuteilen. Auch wird ja nach dem Psalmwort: „Bei dir ist die Vergebung, daß man dich fürchte“ (Ps. 130,4), nur der wirklich Gott fürchten, der darauf vertraut, daß er ihm gnädig ist; nur der wird sich willig aufmachen, um das Gesetz zu beobachten, der die Gewißheit hat, daß sein Dienst Gott wohlgefällt. Und dabei ist die Nachsicht, mit der Gott unsere Laster vergibt und trägt, ein Zeichen seiner väterlichen Gunst. Das zeigt uns auch ein Mahnwort des Hosea: „Kommt, wir wollen wieder zum Herrn; denn er hat uns zerrissen, er wird uns auch heilen; er hat uns zerschlagen, er wird uns auch verbinden“ (Hos. 6,1). Da wird die Hoffnung auf die Vergebung als ein Antrieb hinzugesetzt, damit das Volk nicht in seinen Sünden verstumpfe. Jeden Schein einer Begründung entbehrt aber der Wahnwitz solcher Leute, die, um ja mit der Buße einen Anfang zu machen, ihren Neulingen im Glauben bestimmte Tage vorschreiben, an denen sie sich in der Buße üben sollen, und sie erst dann in die Gemeinschaft an der Gnade des Evangeliums aufnehmen wollen, wenn diese Tage vorbei sind. Ich spreche hier von den meisten der Wiedertäufer, besonders von denen, die sich wunderbar darin gefallen, für „geistlich“ gehalten zu werden, ferner auch von ihren Genossen, den Jesuiten, und ähnlichem Auswurf. Solche Früchte bringt nämlich jener Schwindelgeist, daß man die Buße, die ein Christenmensch sein Leben lang zu üben hat, auf wenige Lage beschränkt.
III,3,3
Einige gelehrte Männer haben nun lange vor dieser Zeit in der Absicht, von der Buße nach der Regel der Schrift schlicht und klar zu reden, den Satz ausgesprochen, sie bestehe aus zwei Stücken: Abtötung und Lebendigmachung. Unter „Abtötung“ (mortificatio) verstehen sie den Schmerz der Seele und das Erschrecken, das aus der Erkenntnis der Sünde und aus dem Empfinden des Zorns Gottes entsteht. Sobald nämlich jemand zur wahren Erkenntnis der Sünde gebracht ist, fängt er auch an, die Sünde wirklich zu hassen und zu verabscheuen, dann mißfällt er sich selbst von Herzen, gesteht, daß er elend und verloren ist, und begehrt, ein anderer Mensch zu werden. Sobald ihn dann ein Empfinden des Gerichtes Gottes erfaßt – denn dies Zweite folgt von selbst aus dem Ersten! – dann liegt er erschüttert und zerschmettert am Boden, erzittert in Demut und Beugung, verzagt und verzweifelt. Das ist der erste Teil der Buße, den man auch gewöhnlich Zerknirschung (contritio) nennt. Unter „Lebendigmachung“ (vivificatio) versteht man den Trost, der aus dem Glauben zu uns kommt: da darf nämlich der Mensch, den das Bewußtsein der Sünde zu Boden geworfen, die Furcht Gottes erschüttert hat, hernach auf Gottes Güte, Barmherzigkeit und Gnade schauen, auf das Heil, das durch Christus geschieht; da richtet er sich auf, schöpft Atem, faßt wieder Mut und kommt sozusagen vom Tode ins Leben! Diese beiden Ausdrücke (Abtötung und Lebendigmachung) bringen, sofern nur ihre richtige Auslegung festgehalten wird, die Kraft der Buße in geeigneter Weise zum Ausdruck. Dagegen kann ich dem nicht zustimmen, daß man die Lebendigmachung als die Freude versteht, die das Herz empfängt, wenn es aus der Erschütterung und Furcht heraus wieder zur Ruhe gekommen ist. Lebendigmachung bedeutet vielmehr das eifrige Trachten nach einem heiligen und frommen Leben, wie es aus der Wiedergeburt erwächst, es besagt also soviel, als wenn es hieße: der Mensch stirbt sich selber, um Gott zu leben.
III,3,4
Andere Theologen gingen von der Beobachtung aus, daß der Begriff „Buße“ in der Schrift verschieden verstanden ist, und deshalb haben sie zweierlei Gestalt der Buße unterschieden. Dazu bedurfte es bestimmter Kennzeichen, und so nannte man die erste Gestalt „gesetzliche Buße“: der Sünder wird durch das Brandmal der Sünde verwundet, vom Schrecken vor Gottes Zorn zerschmettert, und in dieser Verwirrung bleibt er hängen und kann sich nicht herauswinden. Die andere Gestalt der Buße nannte man „evangelisch“: auch hier ist der Sünder in sich selbst schwer getroffen, aber er vermag doch höher zu dringen und ergreift Christus als Arznei für seine Wunde, als Trost in seinem Schrecken, als Hafen für sein Elend. Als Beispiel für die „gesetzliche“ Buße nennt man Kain, Saul und Judas Ischariot (Gen. 4,13; 1. Sam. 15,30; Matth. 27,4); von deren Buße berichtet uns die Schrift, und sie versteht darunter, daß sie die Schwere ihrer Sünde erkannt und Gottes Zorn gefürchtet haben; aber sie verstanden Gott bloß als Rächer und Richter, und über dieser Empfindung sind sie zugrunde gegangen. Ihre Buße war also nichts anderes als gewissermaßen der Vorhof der Hölle: in ihn sind sie schon bei Lebzeiten eingegangen und haben da angesichts des Zornes der Majestät Gottes angefangen, ihre Strafe zu erleiden. Die „evangelische“ Buße können wir an all den Menschen beobachten, die zwar in sich selber vom Stachel der Sünde verletzt waren, aber durch die Zuversicht auf Gottes Erbarmen wieder aufgerichtet und erquickt und zu dem Herrn bekehrt wurden. So wurde Hiskia durch die Todesbotschaft, die er erhielt, in Schrecken gejagt, aber er betete unter Tränen, richtete den Blick auf Gottes Güte und gewann so wieder Zuversicht (2. Kön. 20,2; Jes. 38,2). Auch die Niniviten wurden durch die Schreckensbotschaft von dem Untergang der Stadt erschüttert, aber sie beteten im Sack und in der Asche und hofften, der Herr könnte anderen Sinnes werden und von dem Grimm seines Zorns sich abkehren (Jon. 3,5). David mußte bekennen, daß er mit seiner Volkszählung schrecklich gesündigt hatte, aber er fügte doch die Bitte hinzu: „Herr, nimm weg die Missetat deines Knechts!“ (2. Sam. 24,10). Er erkannte auf die harten Tadelworte des Nathan hin seinen Ehebruch als Schuld an und warf sich vor dem Herrn nieder; aber er hoffte doch zugleich auf Vergebung! (2. Sam. 12,13. 16). Von dieser Art war auch die Buße der Menschen, denen die Predigt des Petrus „durchs Herz ging“, die aber dann doch im Vertrauen auf Gottes Güte weiterhin fragten: „Ihr Männer, lieben Brüder, was sollen wir tun?“ (Apg. 2,37). Von dieser Art war auch die Buße des Petrus selber, der zwar „bitterlich weinte“, aber doch nicht aufhörte zu hoffen (Matth. 26,75; Luk. 22,62).
III,3,5
All dies ist wahr; und doch besagt der Ausdruck „Buße“ selbst, sofern ich ihn aus der Schrift verstehen kann, etwas anderes. Daß man dabei nämlich den Glauben mit unter der Buße begreift (im Sinne der „evangelischen“ Buße), das steht im Widerspruch zu den Worten des Paulus in der Apostelgeschichte: „Und habe bezeugt, beiden, den Juden und Griechen, die Buße zu Gott und den Glauben an unseren Herrn Jesus Christus (Apg. 20,21). Da nennt er Buße und Glauben nebeneinander als zwei verschiedene Dinge. Ja, fragt man, kann denn die wahre Buße ohne den Glauben bestehen? – Gewiß nicht. Man kann sie nicht voneinander trennen, aber man muß sie deshalb doch voneinander unterscheiden! Der Glaube ist ja auch nie ohne die Hoffnung da, und doch sind Glaube und Hoffnung etwas Verschiedenes; so muß man auch Buße und Glauben, obwohl sie durch ein beständiges Band zusammenhängen, doch miteinander verbunden denken, statt sie zu vermischen. Es ist mir zwar nicht verborgen, daß unter dem Ausdruck „Buße“ die ganze Bekehrung zu Gott begriffen wird, zu der ja nicht zuletzt auch der Glaube gehört; in welchem Sinne das aber geschieht, das wird sich leicht zeigen, wenn wir Kraft und Wesen der Buße näher beleuchtet haben. Das Wort „Buße“ ist bei den Hebräern von „Umkehr“ oder „Rückkehr“, bei den Griechen von „Änderung des Sinnes“ oder „Änderung eines Ratschlusses“ hergenommen; beiden sprachlichen Ableitungen entspricht die beschriebene Sache durchaus: Buße ist ja im wesentlichen darin beschlossen, daß wir von uns selbst auswandern und uns zu Gott „kehren“, daß wir den vorigen Sinn ablegen und einen neuen annehmen! Es ist deshalb, nach meinem Urteil wenigstens, keine üble Beschreibung des Begriffs „Buße“, wenn man sagt: Buße ist die wahre Hinkehr unseres Lebens zu Gott, wie sie aus echter und ernster Gottesfurcht entsteht; sie umfaßt einerseits das Absterben unseres Fleisches und des alten Menschen, anderseits die Lebendigmachung im Geiste. In diesem Sinne muß man auch all die Reden verstehen, mit denen einst die Propheten und dann später die Apostel die Menschen ihrer Zeit zur Buße mahnten. Denn sie haben alle auf das Eine gedrungen, daß die Menschen, erschüttert von ihren Sünden, durchbohrt von der Furcht vor Gottes Gericht, sich vor Gott, den sie abtrünnig verlassen hatten, niederwarfen, sich vor ihm demütigten und in wahrer Bekehrung auf seinen rechten Weg zurückkehrten. Die Worte, die sie brauchten, hatten also unterschiedslos alle den gleichen Sinn, ob es nun heißt „sich zu Gott kehren“ oder „zu Gott umkehren“ oder „anderen Sinnes werden“ oder „Buße tun“ (Matth. 3,2). Deshalb heißt es in der Heiligen Geschichte auch, das Bußetun bedeute eine Wendung „zu Gott“: das geschieht, wenn Menschen, die sich von ihm abgewandt und sich in ihren Lüsten haben gehen lassen, nun anfangen, seinem Worte zu gehorchen (1. Sam. 7,3), sich seiner Führung zu unterstellen und zu gehen, wohin er sie ruft! Johannes und Paulus sprechen auch von „würdigen Früchten der Buße“, die einer bringt (Luk. 3, 8; Röm. 6,4; Apg. 26,20), und verstehen darunter, daß einer ein Leben führt, das in allen seinen Taten ein Erweis, ein Zeugnis dieser Umkehr ist.
Simon W.
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III,3,6
Bevor wir aber weitergehen, wird es von Nutzen sein, die oben gegebene Beschreibung der Buße noch näher zu erläutern. Es sind in ihr hauptsächlich drei Stücke zu beachten. Wir sprachen zunächst von der Buße als Hinkehr unseres Lebens zu Gott; darunter verlangen wir eine Umgestaltung, nicht nur in äußeren Werken, sondern in der Seele selbst; denn diese kann erst dann mit dem Werk solche Früchte bringen, die ihrer Erneuerung entsprechen, wenn sie ihr altes Wesen abgelegt hat. Das will der Prophet Ezechiel zum Ausdruck bringen; deshalb ruft er den Menschen, die er zur Buße mahnt, die Weisung zu: „Machet euch ein neues Herz!“ (Ez. 18,31). Wenn daher Mose, wie er es öfters tut, zeigen will, wie die Israeliten sich, von der Buße geleitet, zum Herrn bekehren sollten, dann verlangt er, das solle „von ganzem Herzen“, „von ganzer Seele“ geschehen (Deut. 6,5; 10,12; 30,6), und die Propheten sehen wir diese Redeweise mitunter wiederholen (Jes. 24,7); Mose nennt das auch „Beschneidung des Herzens“, und damit dringt er auch in unsere tiefsten Regungen ein (Deut. 10,16; 30,6). Am deutlichsten aber geht der wahre Sinn der Buße aus dem vierten Kapitel des Propheten Jeremia hervor: „Willst du dich, Israel, bekehren, so bekehre dich zu mir … Pflüget ein Neues und sät nicht unter die Hecken. Beschneidet euch dem Herrn und tut weg die Vorhaut eures Herzens!“ (Jer. 4,1. 3. 4). Sie werden also, das bezeugt ihnen der Prophet, mit all ihrem Eifer um die Erlangung der Gerechtigkeit nichts ausrichten, wenn nicht zu allererst aus dem tiefsten Herzen die Unfrömmigkeit hinausgeworfen wird! Um sie im Tiefsten zu packen, weist er darauf hin, daß sie es mit dem Gott zu tun haben, vor dem keinerlei Ausflüchte etwas nützen; denn er haßt ja ein zwiespältiges Herz! Deshalb verspottet auch Jesaja das verkehrte Treiben der Heuchler, die sich zwar äußerlich, in allerlei Zeremonien, die größte Mühe mit der Bekehrung machten, aber sich unterdessen gar nicht darum sorgten, die Last der Ungerechtigkeiten, mit der sie die Armen gebunden hielten, wegzunehmen! (Jes. 58,6). Da zeigt er sehr schön, in was für Leistungen eine ungeheuchelte Buße sich eigentlich erweist.
III,3,7
Ich habe dann in meiner Beschreibung des Begriffs „Buße“ als zweites wesentliches Stück gelehrt, daß die Buße aus der ernsten Furcht Gottes hervorwächst. Ehe sich nämlich das Herz des Sünders zur Bekehrung neigt, muß es zuvor durch den Gedanken an das göttliche Gericht dazu erweckt werden. Ist uns einmal der Gedanke tief ins Herz gedrungen, daß Gott dereinst seinen Richtstuhl besteigen wird, um Rechenschaft zu fordern für alle unsere Worte und Taten, so läßt er den armen Menschen nicht ruhen, auch nicht einen Augenblick aufatmen, nein, er drängt ihn immer wieder, ein ganz anderes Leben zu begehren, um vor jenem Gericht sicher bestehen zu können. Deshalb erwähnt die Schrift bei ihren Aufrufen zur Buße zwischendurch öfters das Gericht, so bei Jeremia: „… auf daß nicht mein Grimm ausfahre wie Feuer und brenne, daß niemand löschen kann, um eurer Bosheit willen!“ (Jer. 4,4). Ähnlich heißt es in der Rede des Paulus an die Athener: „Und zwar hat Gott die Zeit der Unwissenheit übersehen; nun aber gebietet er allen Menschen an allen Enden, Buße zu tun, darum daß er einen Tag gesetzt hat, an welchem er richten will den Kreis des Erdbodens mit Gerechtigkeit …“ (Apg. 17,30f.). So finden wir es auch an vielen anderen Stellen. Zuweilen zeigt uns die Schrift auch durch den Hinweis auf bereits ergangene Strafen, daß Gott der Richter ist: da sollen die Sünder bei sich bedenken, daß ihnen noch schlimmere Strafgerichte drohen, wenn sie sich nicht beizeiten bekehren. Ein Beispiel dafür haben wir im 29. Kapitel des Deuteronomiums (Deut. 29,19ff.). Da nun die Umkehr damit beginnt, daß wir der Sünde gegenüber Abscheu und Haß empfinden, so nennt Paulus die „göttliche Traurigkeit“ (2. Kor. 7,10) den rechten Grund der Buße. Diese „göttliche Traurigkeit“ bedeutet, daß wir nicht etwa bloß vor der Strafe erschrecken, sondern vor der Sünde selbst Haß und Abscheu empfinden, da wir wissen, daß sie Gott ein Greuel ist. Das ist auch nicht verwunderlich: denn wenn wir nicht hart gestochen würden, so wäre unseres Fleisches Trägheit nicht zu beheben; ja, selbst Stiche würden bei seiner Stumpfheit und Faulheit nicht genügen, wenn Gott uns nicht die Rute zu fühlen gäbe und so tiefer auf uns eindränge! Es ist ja auch noch die Halsstarrigkeit da, die wie mit einem Hammer zertrümmert werden muß. Die Strenge, mit der Gott uns droht, zwingt ihm also die Bosheit unseres Herzens ab; denn freundliche Lockung wäre bei uns Schlafenden vergebens. Die einzelnen Schriftzeugnisse, die uns immer wieder begegnen, will ich hierzu nicht aufzählen. Die Furcht Gottes ist aber auch noch in einem anderen Sinne der Anfang der Buße. Hätte ein Mensch in seinem Leben alle Tugenden erlangt, ohne indessen auf den Dienst Gottes ausgerichtet zu sein, so würde er wohl von der Welt gelobt werden, aber im Himmel wäre sein Leben doch ein Greuel; denn das wichtigste Stück der Gerechtigkeit ist ja gerade, daß man Gott sein Recht und die ihm zukommende Ehre zuteil werden läßt: eben dies Recht, diese Ehre rauben wir Gott aber, wenn wir nicht den festen Vorsatz haben, uns seiner Regierungsgewalt zu unterwerfen.
III,3,8
Jetzt müssen wir zum Dritten noch erläutern, was es denn bedeuten soll, wenn ich oben davon sprach, die Buße umfasse zwei Stücke, nämlich die Abtötung des Fleisches und die Lebendigmachung des Geistes. Die Propheten drücken das klar aus, obwohl sie sich dem Verständnis des Volkes anpassen und deshalb recht schlicht und grob davon reden. So heißt es im 34. Psalm: „Laß ab vom Bösen und tue Gutes“ (Ps. 34,15), oder bei Jesaja: „waschet, reiniget euch, tut euer böses Wesen von meinen Augen; laßt ab vom Bösen; lernet Gutes zu tun, trachtet nach Recht, helft den Unterdrückten …“ (Jes. 1,16f.). Denn wenn sie das Volk vor der Bosheit warnen, so fordern sie damit den Untergang des ganzen Fleisches, das ja voller Bosheit und Verderbnis steckt. Es ist freilich sehr schwer und hart, uns selbst auszuziehen und die angeborene Art fahren zu lassen, denn wir dürfen nicht glauben, das Fleisch sei wirklich gestorben, solange nicht alles abgetan ist, was wir von uns selber haben. Weil aber die ganze Sinnesrichtung des Fleisches „Feindschaft wider Gott“ ist (Röm. 8,7), so ist der erste Schritt zum Gehorsam gegen sein Gesetz die Verleugnung unserer eigenen Natur! Danach aber weist der Prophet (an der erwähnten Stelle, Jes. 1,16f.) auch auf die Erneuerung hin, und zwar auf Grund der Früchte, die aus ihr hervorgehen: Gerechtigkeit, Gericht und Barmherzigkeit. Denn es wäre nicht genug, wenn wir uns der Verpflichtung zu solchen Werken ordnungsmäßig entledigten, sofern nicht unser Gemüt und Herz selber die entsprechende Gesinnung angenommen hätte; dies geschieht aber dann, wenn der Geist Gottes unsere Seele in seine Heiligkeit eintaucht, sie mit neuen Gedanken und Regungen erfüllt, so daß sie wirklich als neu gelten darf. Wir werden uns eben, da wir von Natur von Gott abgewandt sind, sicherlich niemals nach dem ausstrecken, was recht ist, wenn wir uns nicht zuvor selber verleugnet haben. Deshalb wird uns so oft befohlen, den alten Menschen auszuziehen, der Welt und dem Fleische abzusagen, unseren Begierden den Abschied zu geben und uns zu „erneuern im Geist unseres Gemüts“ (vgl. Eph. 4,23). Der Ausdruck „Abtötung“ erinnert uns ja auch selbst daran, wie schwer es ist, die frühere Natur zu vergessen: wir merken an diesem Wort, daß wir erst dann zur Furcht Gottes geschickt sind und die Anfangsgründe der Frömmigkeit zu lernen vermögen, wenn uns das Schwert des Geistes mit Gewalt ertötet und zunichte gemacht hat; Gott will uns sozusagen wissen lassen, daß wir allein durch das völlige Vergehen unserer gewöhnlichen Natur dazu gelangen können, zu seinen Kindern gezählt zu werden.
III,3,9
Beides, Ersterben und Lebendigwerden kommt uns durch das Teilhaben an Christus zu. Denn wenn wir wahrhaftig an Christi Tod Anteil haben, dann wird durch seine Kraft unser alter Mensch gekreuzigt, dann erstirbt der sündliche Leib, so daß die Verderbnis der ersten Natur ihre Kraft verliert! (Röm. 6,6). Wenn wir seiner Auferstehung teilhaftig werden, dann erstehen wir durch sie zu neuem Leben, das Gottes Gerechtigkeit entspricht. Ich beschreibe also die Buße mit einem Wort als Wiedergeburt; und der Zielpunkt dieser Wiedergeburt ist allein darin zu suchen, daß das Ebenbild Gottes in uns wiederhergestellt wird, welches durch Adams Übertretung besudelt und so gut wie ausgelöscht war. So lehrt es der Apostel, wenn er sagt: „Nun aber spiegelt sich in uns allen des Herrn Klarheit mit aufgedecktem Angesicht, und wir werden verklärt in dasselbe Bild von einer Klarheit zu der anderen, als vom Herrn, der der Geist ist“ (2. Kor. 3,18). Ähnlich: „Erneuert euch aber im Geist eures Gemüts und ziehet den neuen Menschen an, der nach Gott geschaffen ist zu rechtschaffener Gerechtigkeit und Heiligkeit“ (Eph. 4,23f.). Oder auch: „Ziehet den neuen Menschen an, der da erneuert wird zu der Erkenntnis nach dem Ebenbilde des, der ihn geschaffen hat“ (Kol. 3,10). So werden wir also durch Christi Wohltat in dieser Wiedergeburt zu der Gerechtigkeit Gottes wieder erneuert, aus der wir in Adam herausgefallen waren; das ist die Art, in der es dem Herrn gefallen hat, all die Menschen vollkommen wieder zurechtzubringen, die er zum Erbe des ewigen Lebens angenommen hat. Diese Erneuerung aber kommt nun nicht in einem Augenblick, auch nicht an einem Tag oder in einem einzigen Jahr zur Vollendung; nein, Gott tilgt bei seinen Auserwählten in dauerndem, ja auch langsamem Weiterschreiten die Verderbnisse des Fleisches, er reinigt sie von ihren Befleckungen und weiht sie zu einem Tempel, der ihm heilig sei, erneuert alle ihre Sinne zu wahrer Reinheit, damit sie sich in ihrem ganzen Leben in der Buße üben: sie sollen wissen, daß dieser Kriegsdienst erst mit dem Tode sein Ende findet. Um so größer ist die Bosheit jenes unsauberen Schwätzers, des abtrünnigen Staphylus: er behauptet in seinem Geschwätz, ich vermengte den Zustand des gegenwärtigen Lebens mit der himmlischen Herrlichkeit, weil ich nach Paulus vom Ebenbilde Gottes (2. Kor. 4,4) behaupte, es bestehe in „wahrhaftiger Heiligkeit und Gerechtigkeit“ (vgl. Eph. 4,24). Als ob man, wenn man ein Ding beschreibt, nicht dessen vollendetes, vollkommenes Wesen suchen müßte! Es wird damit ja auch dem Wachstum nicht der Raum streitig gemacht; ich behaupte nur: so weit jemand der Ähnlichkeit mit Gott nähergekommen ist, muß man von ihm urteilen, in ihm leuchte Gottes Ebenbild hervor. Damit die Gläubigen dahin gelangen, weist ihnen Gott die Kampfbahn der Buße zu, auf der sie ihr Leben lang zu laufen haben.
III,3,10
Durch die Wiedergeburt werden also die Kinder Gottes von der Knechtschaft der Sünde frei; aber nicht etwa derart, daß sie gleichsam den vollen Besitz dieser Freiheit bereits erlangt hätten und nun von seiten ihres Fleisches keinerlei Beschwernis mehr empfänden; nein, vielmehr so, daß ihnen immer Anlaß genug zum Streite bleibt, der ihnen Übung verleihen, ja nicht nur dies, sondern der ihnen auch ihre Schwachheit besser zum Bewußtsein bringen soll. Alle kirchlichen Schriftsteller mit einigermaßen gesundem Urteil sind darin einig, daß auch im wiedergeborenen Menschen ein Zündstoff für das Böse bleibt, aus dem in einem fort die Begierden hervorbrechen, die ihn zur Sünde verleiten und aufstacheln. Sie gestehen auch, daß die Heiligen von dieser Krankheit der Begierde dermaßen umstrickt sind, daß sie zuweilen unvermeidlich zur bösen Lust, zur Habgier, zur Ehrsucht oder zu anderen Lastern gereizt und angetrieben werden. Es ist nicht erforderlich, hier viel Mühe auf das Aufsuchen von Aussprüchen der Alten zu verwenden; es genügt dazu der Hinweis auf Augustin, der mit Treue und großem Fleiß die Aussagen aller Kirchenväter dazu gesammelt hat (in der Schrift gegen den Pelagianer Julian, II,1,3). Aus ihm mögen sich die Leser ihre Kenntnis holen, wenn sie eine begründete Anschauung von der Meinung der Alten haben wollen. Man könnte freilich zwischen Augustins Überzeugung und der meinigen einen scheinbaren Unterschied feststellen. Augustin gibt zwar zu, daß die Gläubigen, solange sie in ihrem sterblichen Leibe wohnen, dermaßen von den Begierden gefesselt gehalten werden, daß sie nicht anders können, als zu begehren; er wagt aber nicht, dieses Gebrechen als Sünde zu bezeichnen; vielmehr gibt er sich zur Andeutung dieses Gebrechens mit der Bezeichnung „Schwachheit“ zufrieden und lehrt, erst dann werde daraus die Sünde, wenn zu dem Vorsatz und dem bösen Gedanken das Werk selbst oder die bewußte innere Zustimmung käme, wenn also der Wille diesem ersten Antrieb nachgebe. Ich dagegen halte auch das für Sünde, daß der Mensch überhaupt von irgendeiner Begierde gegen Gottes Gesetz aufgestachelt wird; ja ich behaupte, daß die Bosheit selbst, die all diese vielen Begierden in uns erzeugt, für Sünde zu halten ist. Ich lehre also, daß in den Heiligen, solange sie diesen sterblichen Leib an sich tragen, immer noch Sünde wohnt; denn in ihrem Fleische hat jene Bosheit, die die Begierde hervorbringt, jene Bosheit, die mit der Rechtschaffenheit im Widerspruch steht, ihre Wohnstatt. Indessen meidet Augustin den Ausdruck „Sünde“ in diesem Sinne nicht immer; so sagt er: „Unter ‘Sünde’ versteht Paulus das, woraus alle Sünden hervorgehen, nämlich die fleischliche Begierde. Im Bezug auf die Heiligen nun verliert diese auf Erden ihr Herrschaftsrecht, und im Himmel vergeht sie“ (Predigt 155). Mit diesen Worten gibt er zu, daß die Gläubigen, sofern sie den Begierden des Fleisches unterworfen sind, der Sünde schuldig sind.
Bevor wir aber weitergehen, wird es von Nutzen sein, die oben gegebene Beschreibung der Buße noch näher zu erläutern. Es sind in ihr hauptsächlich drei Stücke zu beachten. Wir sprachen zunächst von der Buße als Hinkehr unseres Lebens zu Gott; darunter verlangen wir eine Umgestaltung, nicht nur in äußeren Werken, sondern in der Seele selbst; denn diese kann erst dann mit dem Werk solche Früchte bringen, die ihrer Erneuerung entsprechen, wenn sie ihr altes Wesen abgelegt hat. Das will der Prophet Ezechiel zum Ausdruck bringen; deshalb ruft er den Menschen, die er zur Buße mahnt, die Weisung zu: „Machet euch ein neues Herz!“ (Ez. 18,31). Wenn daher Mose, wie er es öfters tut, zeigen will, wie die Israeliten sich, von der Buße geleitet, zum Herrn bekehren sollten, dann verlangt er, das solle „von ganzem Herzen“, „von ganzer Seele“ geschehen (Deut. 6,5; 10,12; 30,6), und die Propheten sehen wir diese Redeweise mitunter wiederholen (Jes. 24,7); Mose nennt das auch „Beschneidung des Herzens“, und damit dringt er auch in unsere tiefsten Regungen ein (Deut. 10,16; 30,6). Am deutlichsten aber geht der wahre Sinn der Buße aus dem vierten Kapitel des Propheten Jeremia hervor: „Willst du dich, Israel, bekehren, so bekehre dich zu mir … Pflüget ein Neues und sät nicht unter die Hecken. Beschneidet euch dem Herrn und tut weg die Vorhaut eures Herzens!“ (Jer. 4,1. 3. 4). Sie werden also, das bezeugt ihnen der Prophet, mit all ihrem Eifer um die Erlangung der Gerechtigkeit nichts ausrichten, wenn nicht zu allererst aus dem tiefsten Herzen die Unfrömmigkeit hinausgeworfen wird! Um sie im Tiefsten zu packen, weist er darauf hin, daß sie es mit dem Gott zu tun haben, vor dem keinerlei Ausflüchte etwas nützen; denn er haßt ja ein zwiespältiges Herz! Deshalb verspottet auch Jesaja das verkehrte Treiben der Heuchler, die sich zwar äußerlich, in allerlei Zeremonien, die größte Mühe mit der Bekehrung machten, aber sich unterdessen gar nicht darum sorgten, die Last der Ungerechtigkeiten, mit der sie die Armen gebunden hielten, wegzunehmen! (Jes. 58,6). Da zeigt er sehr schön, in was für Leistungen eine ungeheuchelte Buße sich eigentlich erweist.
III,3,7
Ich habe dann in meiner Beschreibung des Begriffs „Buße“ als zweites wesentliches Stück gelehrt, daß die Buße aus der ernsten Furcht Gottes hervorwächst. Ehe sich nämlich das Herz des Sünders zur Bekehrung neigt, muß es zuvor durch den Gedanken an das göttliche Gericht dazu erweckt werden. Ist uns einmal der Gedanke tief ins Herz gedrungen, daß Gott dereinst seinen Richtstuhl besteigen wird, um Rechenschaft zu fordern für alle unsere Worte und Taten, so läßt er den armen Menschen nicht ruhen, auch nicht einen Augenblick aufatmen, nein, er drängt ihn immer wieder, ein ganz anderes Leben zu begehren, um vor jenem Gericht sicher bestehen zu können. Deshalb erwähnt die Schrift bei ihren Aufrufen zur Buße zwischendurch öfters das Gericht, so bei Jeremia: „… auf daß nicht mein Grimm ausfahre wie Feuer und brenne, daß niemand löschen kann, um eurer Bosheit willen!“ (Jer. 4,4). Ähnlich heißt es in der Rede des Paulus an die Athener: „Und zwar hat Gott die Zeit der Unwissenheit übersehen; nun aber gebietet er allen Menschen an allen Enden, Buße zu tun, darum daß er einen Tag gesetzt hat, an welchem er richten will den Kreis des Erdbodens mit Gerechtigkeit …“ (Apg. 17,30f.). So finden wir es auch an vielen anderen Stellen. Zuweilen zeigt uns die Schrift auch durch den Hinweis auf bereits ergangene Strafen, daß Gott der Richter ist: da sollen die Sünder bei sich bedenken, daß ihnen noch schlimmere Strafgerichte drohen, wenn sie sich nicht beizeiten bekehren. Ein Beispiel dafür haben wir im 29. Kapitel des Deuteronomiums (Deut. 29,19ff.). Da nun die Umkehr damit beginnt, daß wir der Sünde gegenüber Abscheu und Haß empfinden, so nennt Paulus die „göttliche Traurigkeit“ (2. Kor. 7,10) den rechten Grund der Buße. Diese „göttliche Traurigkeit“ bedeutet, daß wir nicht etwa bloß vor der Strafe erschrecken, sondern vor der Sünde selbst Haß und Abscheu empfinden, da wir wissen, daß sie Gott ein Greuel ist. Das ist auch nicht verwunderlich: denn wenn wir nicht hart gestochen würden, so wäre unseres Fleisches Trägheit nicht zu beheben; ja, selbst Stiche würden bei seiner Stumpfheit und Faulheit nicht genügen, wenn Gott uns nicht die Rute zu fühlen gäbe und so tiefer auf uns eindränge! Es ist ja auch noch die Halsstarrigkeit da, die wie mit einem Hammer zertrümmert werden muß. Die Strenge, mit der Gott uns droht, zwingt ihm also die Bosheit unseres Herzens ab; denn freundliche Lockung wäre bei uns Schlafenden vergebens. Die einzelnen Schriftzeugnisse, die uns immer wieder begegnen, will ich hierzu nicht aufzählen. Die Furcht Gottes ist aber auch noch in einem anderen Sinne der Anfang der Buße. Hätte ein Mensch in seinem Leben alle Tugenden erlangt, ohne indessen auf den Dienst Gottes ausgerichtet zu sein, so würde er wohl von der Welt gelobt werden, aber im Himmel wäre sein Leben doch ein Greuel; denn das wichtigste Stück der Gerechtigkeit ist ja gerade, daß man Gott sein Recht und die ihm zukommende Ehre zuteil werden läßt: eben dies Recht, diese Ehre rauben wir Gott aber, wenn wir nicht den festen Vorsatz haben, uns seiner Regierungsgewalt zu unterwerfen.
III,3,8
Jetzt müssen wir zum Dritten noch erläutern, was es denn bedeuten soll, wenn ich oben davon sprach, die Buße umfasse zwei Stücke, nämlich die Abtötung des Fleisches und die Lebendigmachung des Geistes. Die Propheten drücken das klar aus, obwohl sie sich dem Verständnis des Volkes anpassen und deshalb recht schlicht und grob davon reden. So heißt es im 34. Psalm: „Laß ab vom Bösen und tue Gutes“ (Ps. 34,15), oder bei Jesaja: „waschet, reiniget euch, tut euer böses Wesen von meinen Augen; laßt ab vom Bösen; lernet Gutes zu tun, trachtet nach Recht, helft den Unterdrückten …“ (Jes. 1,16f.). Denn wenn sie das Volk vor der Bosheit warnen, so fordern sie damit den Untergang des ganzen Fleisches, das ja voller Bosheit und Verderbnis steckt. Es ist freilich sehr schwer und hart, uns selbst auszuziehen und die angeborene Art fahren zu lassen, denn wir dürfen nicht glauben, das Fleisch sei wirklich gestorben, solange nicht alles abgetan ist, was wir von uns selber haben. Weil aber die ganze Sinnesrichtung des Fleisches „Feindschaft wider Gott“ ist (Röm. 8,7), so ist der erste Schritt zum Gehorsam gegen sein Gesetz die Verleugnung unserer eigenen Natur! Danach aber weist der Prophet (an der erwähnten Stelle, Jes. 1,16f.) auch auf die Erneuerung hin, und zwar auf Grund der Früchte, die aus ihr hervorgehen: Gerechtigkeit, Gericht und Barmherzigkeit. Denn es wäre nicht genug, wenn wir uns der Verpflichtung zu solchen Werken ordnungsmäßig entledigten, sofern nicht unser Gemüt und Herz selber die entsprechende Gesinnung angenommen hätte; dies geschieht aber dann, wenn der Geist Gottes unsere Seele in seine Heiligkeit eintaucht, sie mit neuen Gedanken und Regungen erfüllt, so daß sie wirklich als neu gelten darf. Wir werden uns eben, da wir von Natur von Gott abgewandt sind, sicherlich niemals nach dem ausstrecken, was recht ist, wenn wir uns nicht zuvor selber verleugnet haben. Deshalb wird uns so oft befohlen, den alten Menschen auszuziehen, der Welt und dem Fleische abzusagen, unseren Begierden den Abschied zu geben und uns zu „erneuern im Geist unseres Gemüts“ (vgl. Eph. 4,23). Der Ausdruck „Abtötung“ erinnert uns ja auch selbst daran, wie schwer es ist, die frühere Natur zu vergessen: wir merken an diesem Wort, daß wir erst dann zur Furcht Gottes geschickt sind und die Anfangsgründe der Frömmigkeit zu lernen vermögen, wenn uns das Schwert des Geistes mit Gewalt ertötet und zunichte gemacht hat; Gott will uns sozusagen wissen lassen, daß wir allein durch das völlige Vergehen unserer gewöhnlichen Natur dazu gelangen können, zu seinen Kindern gezählt zu werden.
III,3,9
Beides, Ersterben und Lebendigwerden kommt uns durch das Teilhaben an Christus zu. Denn wenn wir wahrhaftig an Christi Tod Anteil haben, dann wird durch seine Kraft unser alter Mensch gekreuzigt, dann erstirbt der sündliche Leib, so daß die Verderbnis der ersten Natur ihre Kraft verliert! (Röm. 6,6). Wenn wir seiner Auferstehung teilhaftig werden, dann erstehen wir durch sie zu neuem Leben, das Gottes Gerechtigkeit entspricht. Ich beschreibe also die Buße mit einem Wort als Wiedergeburt; und der Zielpunkt dieser Wiedergeburt ist allein darin zu suchen, daß das Ebenbild Gottes in uns wiederhergestellt wird, welches durch Adams Übertretung besudelt und so gut wie ausgelöscht war. So lehrt es der Apostel, wenn er sagt: „Nun aber spiegelt sich in uns allen des Herrn Klarheit mit aufgedecktem Angesicht, und wir werden verklärt in dasselbe Bild von einer Klarheit zu der anderen, als vom Herrn, der der Geist ist“ (2. Kor. 3,18). Ähnlich: „Erneuert euch aber im Geist eures Gemüts und ziehet den neuen Menschen an, der nach Gott geschaffen ist zu rechtschaffener Gerechtigkeit und Heiligkeit“ (Eph. 4,23f.). Oder auch: „Ziehet den neuen Menschen an, der da erneuert wird zu der Erkenntnis nach dem Ebenbilde des, der ihn geschaffen hat“ (Kol. 3,10). So werden wir also durch Christi Wohltat in dieser Wiedergeburt zu der Gerechtigkeit Gottes wieder erneuert, aus der wir in Adam herausgefallen waren; das ist die Art, in der es dem Herrn gefallen hat, all die Menschen vollkommen wieder zurechtzubringen, die er zum Erbe des ewigen Lebens angenommen hat. Diese Erneuerung aber kommt nun nicht in einem Augenblick, auch nicht an einem Tag oder in einem einzigen Jahr zur Vollendung; nein, Gott tilgt bei seinen Auserwählten in dauerndem, ja auch langsamem Weiterschreiten die Verderbnisse des Fleisches, er reinigt sie von ihren Befleckungen und weiht sie zu einem Tempel, der ihm heilig sei, erneuert alle ihre Sinne zu wahrer Reinheit, damit sie sich in ihrem ganzen Leben in der Buße üben: sie sollen wissen, daß dieser Kriegsdienst erst mit dem Tode sein Ende findet. Um so größer ist die Bosheit jenes unsauberen Schwätzers, des abtrünnigen Staphylus: er behauptet in seinem Geschwätz, ich vermengte den Zustand des gegenwärtigen Lebens mit der himmlischen Herrlichkeit, weil ich nach Paulus vom Ebenbilde Gottes (2. Kor. 4,4) behaupte, es bestehe in „wahrhaftiger Heiligkeit und Gerechtigkeit“ (vgl. Eph. 4,24). Als ob man, wenn man ein Ding beschreibt, nicht dessen vollendetes, vollkommenes Wesen suchen müßte! Es wird damit ja auch dem Wachstum nicht der Raum streitig gemacht; ich behaupte nur: so weit jemand der Ähnlichkeit mit Gott nähergekommen ist, muß man von ihm urteilen, in ihm leuchte Gottes Ebenbild hervor. Damit die Gläubigen dahin gelangen, weist ihnen Gott die Kampfbahn der Buße zu, auf der sie ihr Leben lang zu laufen haben.
III,3,10
Durch die Wiedergeburt werden also die Kinder Gottes von der Knechtschaft der Sünde frei; aber nicht etwa derart, daß sie gleichsam den vollen Besitz dieser Freiheit bereits erlangt hätten und nun von seiten ihres Fleisches keinerlei Beschwernis mehr empfänden; nein, vielmehr so, daß ihnen immer Anlaß genug zum Streite bleibt, der ihnen Übung verleihen, ja nicht nur dies, sondern der ihnen auch ihre Schwachheit besser zum Bewußtsein bringen soll. Alle kirchlichen Schriftsteller mit einigermaßen gesundem Urteil sind darin einig, daß auch im wiedergeborenen Menschen ein Zündstoff für das Böse bleibt, aus dem in einem fort die Begierden hervorbrechen, die ihn zur Sünde verleiten und aufstacheln. Sie gestehen auch, daß die Heiligen von dieser Krankheit der Begierde dermaßen umstrickt sind, daß sie zuweilen unvermeidlich zur bösen Lust, zur Habgier, zur Ehrsucht oder zu anderen Lastern gereizt und angetrieben werden. Es ist nicht erforderlich, hier viel Mühe auf das Aufsuchen von Aussprüchen der Alten zu verwenden; es genügt dazu der Hinweis auf Augustin, der mit Treue und großem Fleiß die Aussagen aller Kirchenväter dazu gesammelt hat (in der Schrift gegen den Pelagianer Julian, II,1,3). Aus ihm mögen sich die Leser ihre Kenntnis holen, wenn sie eine begründete Anschauung von der Meinung der Alten haben wollen. Man könnte freilich zwischen Augustins Überzeugung und der meinigen einen scheinbaren Unterschied feststellen. Augustin gibt zwar zu, daß die Gläubigen, solange sie in ihrem sterblichen Leibe wohnen, dermaßen von den Begierden gefesselt gehalten werden, daß sie nicht anders können, als zu begehren; er wagt aber nicht, dieses Gebrechen als Sünde zu bezeichnen; vielmehr gibt er sich zur Andeutung dieses Gebrechens mit der Bezeichnung „Schwachheit“ zufrieden und lehrt, erst dann werde daraus die Sünde, wenn zu dem Vorsatz und dem bösen Gedanken das Werk selbst oder die bewußte innere Zustimmung käme, wenn also der Wille diesem ersten Antrieb nachgebe. Ich dagegen halte auch das für Sünde, daß der Mensch überhaupt von irgendeiner Begierde gegen Gottes Gesetz aufgestachelt wird; ja ich behaupte, daß die Bosheit selbst, die all diese vielen Begierden in uns erzeugt, für Sünde zu halten ist. Ich lehre also, daß in den Heiligen, solange sie diesen sterblichen Leib an sich tragen, immer noch Sünde wohnt; denn in ihrem Fleische hat jene Bosheit, die die Begierde hervorbringt, jene Bosheit, die mit der Rechtschaffenheit im Widerspruch steht, ihre Wohnstatt. Indessen meidet Augustin den Ausdruck „Sünde“ in diesem Sinne nicht immer; so sagt er: „Unter ‘Sünde’ versteht Paulus das, woraus alle Sünden hervorgehen, nämlich die fleischliche Begierde. Im Bezug auf die Heiligen nun verliert diese auf Erden ihr Herrschaftsrecht, und im Himmel vergeht sie“ (Predigt 155). Mit diesen Worten gibt er zu, daß die Gläubigen, sofern sie den Begierden des Fleisches unterworfen sind, der Sünde schuldig sind.
Simon W.
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III,3,11
Daß aber Gott nach dem Zeugnis der Schrift seine Kirche von aller Sünde reinigt (Eph. 5,26f.), daß er diese Gnade der Befreiung durch die Taufe verheißt und diese Zusage in seinen Auserwählten auch erfüllt, das möchte ich eher auf die Befreiung von der Schuld als auf die vom Ansatz der Sünde selbst beziehen. Indem Gott die Seinigen zur Wiedergeburt kommen läßt, bewirkt er freilich, daß die Herrschaft der Sünde in ihnen abgetan wird – denn er schenkt ihnen ja die Kraft seines Geistes, in der sie den Kampf gewinnen und Sieger werden sollen! -; aber die Sünde hört bloß auf, in ihnen zu herrschen, nicht aber auch, in ihnen zu wohnen! Gewiß ist, so sagen wir, der alte Mensch gekreuzigt, gewiß ist in den Kindern Gottes das Gesetz der Sünde abgetan (Röm. 6,6); aber es bleiben doch noch Reste, freilich nicht, um in ihnen zu herrschen, wohl aber, um sie durch das Bewußtsein ihrer Schwachheit zu demütigen. Wir gestehen zwar, daß sie nicht angerechnet werden, als ob sie also gar nicht da wären; aber wir behaupten: allein aus Gottes Erbarmen werden die Heiligen, die sonst mit Recht als Sünder und Schuldige vor Gott stünden, von dieser Schuld freigesprochen. Es ist mir auch nicht schwer, diesen Satz zu beweisen; denn es gibt hierzu klare Zeugnisse der Schrift. Am deutlichsten ist das, was Paulus in Römer 7 ausruft. Zunächst: daß er da als wiedergeborener Mensch redet, habe ich schon an anderer Stelle (II,3,27) gezeigt, auch hat es Augustin mit zuverlässigen Gründen bewiesen. Ich will davon schweigen, daß er da die Ausdrücke „Böses“ und „Sünde“ (als Wiedergeborener und mit Bezug auf diesen!) gebraucht. Aber wie sehr nun auch die Widersacher unserer Lehre hinter diesen beiden Worten eine Ausflucht suchen wollen, so frage ich doch: wer will denn leugnen, daß der Widerstreit gegen Gottes Gesetz (den Paulus nach seiner Aussage in sich trägt!) böse ist? Wer will leugnen, daß die Behinderung der Gerechtigkeit Sünde ist? Wer will endlich bestreiten, daß da, wo geistliches Elend herrscht, auch Schuld ist? Alles dies aber sagt Paulus von der Krankheit aus, von der hier die Rede ist! Wir haben aber auch aus dem Gesetz einen sicheren Beweis, mit dessen Hilfe wir die vorliegende Frage kurz zu lösen vermögen. Da wird uns nämlich befohlen, Gott zu lieben von ganzem Herzen, ganzer Seele und aus allen unseren Kräften (Deut. 6,5; Matth. 22,37). Es sollen also alle Bereiche unserer Seele von der Liebe zu Gott mit Beschlag belegt sein, und deshalb leistet diesem Gebot ganz sicher kein Mensch Genüge, der nur den geringsten Reiz in sein Herz dringen läßt oder auch überhaupt einen Gedanken in seinem Inneren zulassen kann, der ihn von der Liebe zu Gott wegführte und der Eitelkeit preisgäbe! Wie? Sind es etwa keine Kräfte der Seele, wenn wir von plötzlichen Regungen berührt werden, sie mit unseren Sinnen ergreifen und im Gemüt einen Vorsatz fassen? Eröffnen diese unsere Fähigkeiten aber eitlen und bösen Gedanken den Zugang zu sich, so zeigen sie damit doch, daß sie in solchem Maße noch ohne die Liebe zu Gott sind! Wenn also jemand nicht zugeben will, daß alle Begierden des Fleisches Sünden sind, und daß diese Krankheit des Begehrens, die man „Zunder“ nennt, geradezu der Brunnquell der Sünde ist, – so muß er notwendig leugnen, daß die Übertretung des Gesetzes Sünde ist.
III,3,12
Es könnte aber vielleicht jemandem ungereimt erscheinen, daß auf diese Weise allgemein sämtliche Begierden, die sich natürlicherweise im Menschen regen, verdammt würden; er könnte sagen, sie seien uns doch von Gott, dem Urheber der Natur, eingepflanzt. Ich antworte darauf: ich verdamme keineswegs die Begehrungen, die Gott in das Wesen des Menschen mit der ersten Schöpfung eingeprägt hat und die deshalb auch nur mit dem Menschsein des Menschen zusammen entwurzelt werden können; ich wende mich ausschließlich gegen die maßlosen und ungezähmten Regungen, die mit Gottes Ordnung im Streit liegen. Aber aus der Bosheit unserer Natur heraus sind alle unsere Anlagen mit Lastern durchsetzt und verderbt, so daß in allem unserem Tun immer wieder Unordnung und Unmäßigkeit an den Tag tritt; da nun unsere Begehrungen von dieser Zuchtlosigkeit nicht getrennt werden können, so behaupte ich, daß sie verderbt sind. Ich kann auch das Wichtigste kurz zusammenfassen: Ich lehre, daß alle Begierden des Menschen böse sind und erkläre sie für der Sünde schuldig, und zwar nicht, sofern sie natürlich sind, sondern sofern sie ordnungswidrig sind; das sind sie aber, weil aus der verderbten, befleckten Natur nichts Reines und Lauteres hervorgehen kann. Von dieser Lehre ist Augustin nicht so weit entfernt, wie es den Anschein hat. Er hatte zwar eine mehr als billige Scheu vor der üblen Nachrede, mit der ihn die Pelagianer zu belästigen trachteten, und darum vermeidet er zuweilen auch das Wort „Sünde“ (An Bonifacius, I,13,27; III,3,5). Aber er schreibt doch auch, in den Heiligen bleibe das Gesetz der Sünde, aufgehoben werde in ihnen allein die Schuld; damit zeigt er ganz deutlich, daß er von meiner Anschauung nicht weit ab ist.
III,3,13
Ich will aber noch einige weitere Äußerungen beibringen, aus denen seine Anschauung noch klarer werden wird. So schreibt er in seinem zweiten Buche gegen Julian: „Dies Gesetz der Sünde ist durch die geistliche Wiedergeburt vergeben, aber es bleibt im sterblichen Fleische bestehen. Vergeben ist es, weil in dem Sakrament, durch welches die Gläubigen wiedergeboren werden (nämlich der Taufe!), die Schuld gelöst ist; es bleibt aber zugleich, weil es ja die Lüste bewirkt, gegen welche auch die Gläubigen zu streiten haben“ (Gegen Julian, II,3,5). Oder: „Das Gesetz der Sünde also, das auch ein so großer Apostel in seinen Gliedern trug, wird in der Taufe vergeben, aber nicht etwa beendet“ (Ebenda II,4,8). Oder auch: „Dieses Gesetz der Sünde, das zwar in uns bleibt, dessen Schuld aber in der Taufe gelöst ist, hat Ambrosius ‘Ungerechtigkeit’ genannt; denn es ist in der Tat ‘ungerecht’, wenn ‘das Fleisch gelüstet wider den Geist’” (Ebenda II,5,12). Ähnlich auch: „Die Sünde ist tot, was die Schuld anlangt, in der sie uns gefangen hielt; aber bis sie durch vollkommenes Begrabensein gänzlich geheilt ist, leistet sie selbst in ihrem Tode noch Widerstand“ (Ebenda II,9,32). Noch klarer drückt er sich im fünften Buche (gegen Julian) aus: „Die Blindheit des Herzens ist Sünde, kraft deren man nicht an Gott glaubt; sie ist zugleich Strafe für die Sünde, mit der das hoffärtige Herz in gerechter Züchtigung bestraft wird, und sie ist zugleich Ursache der Sünde, da der Irrtum des blinden Herzens sich in Taten auswirkt. Genau dementsprechend ist auch die Begierde des Fleisches, gegen die der gute Geist „gelüstet“, einerseits Sünde, weil ihr der Ungehorsam gegen die Herrschaft des Geistes innewohnt, sie ist anderseits auch Strafe für die Sünde, weil sie die Vergeltung für die Schuld und den Ungehorsam des Menschen darstellt, und sie ist zugleich Ursache der Sünde, weil wir ihr innerlich zustimmen und so abfallen, und weil wir ja schon von Geburt an mit ihr besudelt sind“ (Gegen Julian V,3, 8). Hier nennt also Augustin die böse Begierde unzweideutig „Sünde“; denn hier hat er den Irrtum der Pelagianer bereits niedergeworfen und die Wahrheit zum Siege geführt, deshalb hat er hier weniger Scheu vor der bösen Nachrede seiner Gegner! Ganz ähnlich ist es auch in der 41. Johannespredigt, in der Augustin ohne den Blick auf einen Gegner seines Herzens Meinung frei ausspricht: „Wenn du im Fleische dem Gesetz der Sünde dienst, so mache es nach dem Wort des Apostels: ‘So lasset nun die Sünde nicht herrschen in eurem sterblichen Leibe, ihr Gehorsam zu leisten in seinen Lüsten’ (Röm. 6,12). Er sagt: Lasset sie nicht herrschen, nicht aber: lasset sie nicht sein. Denn solange du lebst, ist die Sünde notwendig in deinen Gliedern, nur soll ihr die Herrschaft genommen werden: es soll nicht mehr geschehen, was sie befiehlt!“ (Predigt 41 zum Johannesevangelium). Wer nun behauptet, die böse Lust sei keine Sünde, der beruft sich gern auf das Wort des Jakobus: „Danach, wenn die Lust empfangen hat, gebiert sie die Sünde“ (Jak. 1,15). Aber das läßt sich ohne Mühe zurückweisen; denn wenn wir nicht begreifen, daß er hier allein von den bösen Werken oder den sogenannten Tatsünden redet, dann wird auch der böse Wille für uns nicht als Sünde gelten. Tatsächlich bezeichnet er die Freveltaten und bösen Werke als Ausgeburten der Begierde und belegt sie mit dem Wort „Sünde“, aber daraus folgt doch keineswegs, daß das Begehren etwa keine böse Sache oder daß es vor Gott nicht verdammlich wäre.
III,3,14
Heutzutage haben sich nun gewisse Wiedertäufer an Stelle der geistlichen Wiedergeburt irgendeine tolle Schwärmerei erdacht: nach ihrer Einbildung sollen die Gotteskinder bereits in den Stand der Unschuld zurückversetzt sein; sie brauchen sich also keinerlei Mühe mehr darum zu machen, wie sie die Lüste des Fleisches zähmen, nein, sie brauchen sich nur der Führung des Geistes hinzugeben, unter dessen Antrieb es kein Abirren mehr gibt! Man sollte nicht glauben, daß ein menschlicher Verstand auf einen derartigen Wahnsinn verfallen könnte, wenn sie ihre Lehre nicht offen und stolz ausplauderten. Es ist wirklich eine Ungeheuerlichkeit; aber die Wiedertäufer erleiden damit die gerechte Strafe für ihre gotteslästerliche Vermessenheit, daß sie es unternommen haben, Gottes Wahrheit in Lüge zu verkehren. Soll denn wirklich aller Unterschied zwischen Schändlich und Ehrenhaft, Gerecht und Ungerecht, Gut und Böse, Tugend und Laster ein Ende haben? Die Wiedertäufer sagen: „Das ist ein Unterschied, der aus dem Fluch über Adam stammt, von dem uns Christus freigemacht hat!“ Das heißt also: zwischen Hurerei und Zucht, Lauterkeit und Verschlagenheit, Wahrheit und Lüge, Billigkeit und räuberischer Habgier soll kein Unterschied mehr sein! Da sagen sie nun aber: „Laß doch diese unnütze Furcht fahren; der Geist wird dir schon nichts Böses befehlen, du mußt dich nur sicher und unerschrocken seinem Antrieb hingeben!“ Wer wollte sich bei solchen Ungeheuerlichkeiten nicht entsetzen! Und doch ist es unter denen, die, durch den wahnsinnigen Drang der Lust verblendet, den gesunden Menschenverstand verloren haben (sensum communem exuerunt), eine ganz alltägliche Weltweisheit! Ich frage nur: Was ist das für ein Christus, den sie uns vormachen, was ist das für ein Geist, den sie ausspeien? Wir kennen nämlich nur den einen Christus und seinen einen Geist, den die Propheten einst gerühmt haben, den uns das Evangelium als den Erschienenen predigt – aber von dem hören wir nichts dergleichen! Denn dieser Geist ist nicht der Schirmherr von Mord und Hurerei, Trunkenheit, hoffärtigem Wesen, Streit, Habgier und Betrug; er wirkt vielmehr Liebe, Keuschheit, Einfachheit, Bescheidenheit, Frieden, Mäßigung und Wahrheit! Er ist nicht ein Taumelgeist, der unbesonnen Hals über Kopf durch Recht und Unrecht hindurch vorstürmt, sondern er ist voll Weisheit und Verstand und unterscheidet damit Recht und Unrecht nach Gebühr voneinander! Er stachelt keinen Menschen zu ruchlosem, unbändigem Mutwillen auf, sondern macht einen scharfen Unterschied zwischen Erlaubt und Unerlaubt und lehrt uns so, Maß und Mäßigung zu halten. Aber wozu soll ich mir weiter Mühe machen, diesen ungeheuerlichen Wahnwitz zu widerlegen? Für den Christen ist der Geist des Herrn kein tobendes Gespenst, das er im Traum empfinge oder aus anderer Leute Träumerei herbekäme, sondern er sucht fromm in der Schrift, um diesen Geist kennenzulernen. Da aber finden wir zweierlei von ihm gesagt. Wir hören erstens, daß er uns zur Heiligung gegeben ist: er soll uns von aller Unreinigkeit und Befleckung reinigen und zum Gehorsam gegenüber der Gerechtigkeit Gottes führen. Dieser Gehorsam aber kann nur bestehen, wenn wir unsere Begierden zähmen und unterwerfen; die Schwärmer wollen dagegen diesen Begierden die Zügel schießen lassen! Zweitens hören wir, daß diese Reinigung durch die Heiligung des Geistes doch so vor sich geht, daß wir noch von viel Lastern und großer Schwachheit beherrscht werden, solange wir von der Last unseres Leibes eingeschlossen sind. So sind wir noch weit von der Vollkommenheit entfernt und müssen deshalb Tag für Tag etwas weiterschreiten; wir sind in allerlei Laster verstrickt und müssen deshalb alle Tage gegen sie kämpfen. Daraus folgt, daß wir alle Faulheit, alle fleischliche Sicherheit von uns werfen und mit innerster Anspannung auf der Wacht liegen müssen, damit wir nicht in Unvorsichtigkeit von der Tücke unseres Fleisches hintergangen werden. Wir sollen gewiß nicht glauben, wir könnten weiter vorwärtskommen, als der Apostel Paulus: der aber wurde doch von einem Engel des Satans gequält (2. Kor. 12,7), damit „die Kraft in der Schwachheit sich vollende“ (2. Kor. 12,9; nicht Luthertext), und er macht uns nichts vor, wenn er uns den Widerstreit zwischen Fleisch und Geist in seinem eigenen Fleische vor die Augen stellt! (Röm. 7,6ff.).
Daß aber Gott nach dem Zeugnis der Schrift seine Kirche von aller Sünde reinigt (Eph. 5,26f.), daß er diese Gnade der Befreiung durch die Taufe verheißt und diese Zusage in seinen Auserwählten auch erfüllt, das möchte ich eher auf die Befreiung von der Schuld als auf die vom Ansatz der Sünde selbst beziehen. Indem Gott die Seinigen zur Wiedergeburt kommen läßt, bewirkt er freilich, daß die Herrschaft der Sünde in ihnen abgetan wird – denn er schenkt ihnen ja die Kraft seines Geistes, in der sie den Kampf gewinnen und Sieger werden sollen! -; aber die Sünde hört bloß auf, in ihnen zu herrschen, nicht aber auch, in ihnen zu wohnen! Gewiß ist, so sagen wir, der alte Mensch gekreuzigt, gewiß ist in den Kindern Gottes das Gesetz der Sünde abgetan (Röm. 6,6); aber es bleiben doch noch Reste, freilich nicht, um in ihnen zu herrschen, wohl aber, um sie durch das Bewußtsein ihrer Schwachheit zu demütigen. Wir gestehen zwar, daß sie nicht angerechnet werden, als ob sie also gar nicht da wären; aber wir behaupten: allein aus Gottes Erbarmen werden die Heiligen, die sonst mit Recht als Sünder und Schuldige vor Gott stünden, von dieser Schuld freigesprochen. Es ist mir auch nicht schwer, diesen Satz zu beweisen; denn es gibt hierzu klare Zeugnisse der Schrift. Am deutlichsten ist das, was Paulus in Römer 7 ausruft. Zunächst: daß er da als wiedergeborener Mensch redet, habe ich schon an anderer Stelle (II,3,27) gezeigt, auch hat es Augustin mit zuverlässigen Gründen bewiesen. Ich will davon schweigen, daß er da die Ausdrücke „Böses“ und „Sünde“ (als Wiedergeborener und mit Bezug auf diesen!) gebraucht. Aber wie sehr nun auch die Widersacher unserer Lehre hinter diesen beiden Worten eine Ausflucht suchen wollen, so frage ich doch: wer will denn leugnen, daß der Widerstreit gegen Gottes Gesetz (den Paulus nach seiner Aussage in sich trägt!) böse ist? Wer will leugnen, daß die Behinderung der Gerechtigkeit Sünde ist? Wer will endlich bestreiten, daß da, wo geistliches Elend herrscht, auch Schuld ist? Alles dies aber sagt Paulus von der Krankheit aus, von der hier die Rede ist! Wir haben aber auch aus dem Gesetz einen sicheren Beweis, mit dessen Hilfe wir die vorliegende Frage kurz zu lösen vermögen. Da wird uns nämlich befohlen, Gott zu lieben von ganzem Herzen, ganzer Seele und aus allen unseren Kräften (Deut. 6,5; Matth. 22,37). Es sollen also alle Bereiche unserer Seele von der Liebe zu Gott mit Beschlag belegt sein, und deshalb leistet diesem Gebot ganz sicher kein Mensch Genüge, der nur den geringsten Reiz in sein Herz dringen läßt oder auch überhaupt einen Gedanken in seinem Inneren zulassen kann, der ihn von der Liebe zu Gott wegführte und der Eitelkeit preisgäbe! Wie? Sind es etwa keine Kräfte der Seele, wenn wir von plötzlichen Regungen berührt werden, sie mit unseren Sinnen ergreifen und im Gemüt einen Vorsatz fassen? Eröffnen diese unsere Fähigkeiten aber eitlen und bösen Gedanken den Zugang zu sich, so zeigen sie damit doch, daß sie in solchem Maße noch ohne die Liebe zu Gott sind! Wenn also jemand nicht zugeben will, daß alle Begierden des Fleisches Sünden sind, und daß diese Krankheit des Begehrens, die man „Zunder“ nennt, geradezu der Brunnquell der Sünde ist, – so muß er notwendig leugnen, daß die Übertretung des Gesetzes Sünde ist.
III,3,12
Es könnte aber vielleicht jemandem ungereimt erscheinen, daß auf diese Weise allgemein sämtliche Begierden, die sich natürlicherweise im Menschen regen, verdammt würden; er könnte sagen, sie seien uns doch von Gott, dem Urheber der Natur, eingepflanzt. Ich antworte darauf: ich verdamme keineswegs die Begehrungen, die Gott in das Wesen des Menschen mit der ersten Schöpfung eingeprägt hat und die deshalb auch nur mit dem Menschsein des Menschen zusammen entwurzelt werden können; ich wende mich ausschließlich gegen die maßlosen und ungezähmten Regungen, die mit Gottes Ordnung im Streit liegen. Aber aus der Bosheit unserer Natur heraus sind alle unsere Anlagen mit Lastern durchsetzt und verderbt, so daß in allem unserem Tun immer wieder Unordnung und Unmäßigkeit an den Tag tritt; da nun unsere Begehrungen von dieser Zuchtlosigkeit nicht getrennt werden können, so behaupte ich, daß sie verderbt sind. Ich kann auch das Wichtigste kurz zusammenfassen: Ich lehre, daß alle Begierden des Menschen böse sind und erkläre sie für der Sünde schuldig, und zwar nicht, sofern sie natürlich sind, sondern sofern sie ordnungswidrig sind; das sind sie aber, weil aus der verderbten, befleckten Natur nichts Reines und Lauteres hervorgehen kann. Von dieser Lehre ist Augustin nicht so weit entfernt, wie es den Anschein hat. Er hatte zwar eine mehr als billige Scheu vor der üblen Nachrede, mit der ihn die Pelagianer zu belästigen trachteten, und darum vermeidet er zuweilen auch das Wort „Sünde“ (An Bonifacius, I,13,27; III,3,5). Aber er schreibt doch auch, in den Heiligen bleibe das Gesetz der Sünde, aufgehoben werde in ihnen allein die Schuld; damit zeigt er ganz deutlich, daß er von meiner Anschauung nicht weit ab ist.
III,3,13
Ich will aber noch einige weitere Äußerungen beibringen, aus denen seine Anschauung noch klarer werden wird. So schreibt er in seinem zweiten Buche gegen Julian: „Dies Gesetz der Sünde ist durch die geistliche Wiedergeburt vergeben, aber es bleibt im sterblichen Fleische bestehen. Vergeben ist es, weil in dem Sakrament, durch welches die Gläubigen wiedergeboren werden (nämlich der Taufe!), die Schuld gelöst ist; es bleibt aber zugleich, weil es ja die Lüste bewirkt, gegen welche auch die Gläubigen zu streiten haben“ (Gegen Julian, II,3,5). Oder: „Das Gesetz der Sünde also, das auch ein so großer Apostel in seinen Gliedern trug, wird in der Taufe vergeben, aber nicht etwa beendet“ (Ebenda II,4,8). Oder auch: „Dieses Gesetz der Sünde, das zwar in uns bleibt, dessen Schuld aber in der Taufe gelöst ist, hat Ambrosius ‘Ungerechtigkeit’ genannt; denn es ist in der Tat ‘ungerecht’, wenn ‘das Fleisch gelüstet wider den Geist’” (Ebenda II,5,12). Ähnlich auch: „Die Sünde ist tot, was die Schuld anlangt, in der sie uns gefangen hielt; aber bis sie durch vollkommenes Begrabensein gänzlich geheilt ist, leistet sie selbst in ihrem Tode noch Widerstand“ (Ebenda II,9,32). Noch klarer drückt er sich im fünften Buche (gegen Julian) aus: „Die Blindheit des Herzens ist Sünde, kraft deren man nicht an Gott glaubt; sie ist zugleich Strafe für die Sünde, mit der das hoffärtige Herz in gerechter Züchtigung bestraft wird, und sie ist zugleich Ursache der Sünde, da der Irrtum des blinden Herzens sich in Taten auswirkt. Genau dementsprechend ist auch die Begierde des Fleisches, gegen die der gute Geist „gelüstet“, einerseits Sünde, weil ihr der Ungehorsam gegen die Herrschaft des Geistes innewohnt, sie ist anderseits auch Strafe für die Sünde, weil sie die Vergeltung für die Schuld und den Ungehorsam des Menschen darstellt, und sie ist zugleich Ursache der Sünde, weil wir ihr innerlich zustimmen und so abfallen, und weil wir ja schon von Geburt an mit ihr besudelt sind“ (Gegen Julian V,3, 8). Hier nennt also Augustin die böse Begierde unzweideutig „Sünde“; denn hier hat er den Irrtum der Pelagianer bereits niedergeworfen und die Wahrheit zum Siege geführt, deshalb hat er hier weniger Scheu vor der bösen Nachrede seiner Gegner! Ganz ähnlich ist es auch in der 41. Johannespredigt, in der Augustin ohne den Blick auf einen Gegner seines Herzens Meinung frei ausspricht: „Wenn du im Fleische dem Gesetz der Sünde dienst, so mache es nach dem Wort des Apostels: ‘So lasset nun die Sünde nicht herrschen in eurem sterblichen Leibe, ihr Gehorsam zu leisten in seinen Lüsten’ (Röm. 6,12). Er sagt: Lasset sie nicht herrschen, nicht aber: lasset sie nicht sein. Denn solange du lebst, ist die Sünde notwendig in deinen Gliedern, nur soll ihr die Herrschaft genommen werden: es soll nicht mehr geschehen, was sie befiehlt!“ (Predigt 41 zum Johannesevangelium). Wer nun behauptet, die böse Lust sei keine Sünde, der beruft sich gern auf das Wort des Jakobus: „Danach, wenn die Lust empfangen hat, gebiert sie die Sünde“ (Jak. 1,15). Aber das läßt sich ohne Mühe zurückweisen; denn wenn wir nicht begreifen, daß er hier allein von den bösen Werken oder den sogenannten Tatsünden redet, dann wird auch der böse Wille für uns nicht als Sünde gelten. Tatsächlich bezeichnet er die Freveltaten und bösen Werke als Ausgeburten der Begierde und belegt sie mit dem Wort „Sünde“, aber daraus folgt doch keineswegs, daß das Begehren etwa keine böse Sache oder daß es vor Gott nicht verdammlich wäre.
III,3,14
Heutzutage haben sich nun gewisse Wiedertäufer an Stelle der geistlichen Wiedergeburt irgendeine tolle Schwärmerei erdacht: nach ihrer Einbildung sollen die Gotteskinder bereits in den Stand der Unschuld zurückversetzt sein; sie brauchen sich also keinerlei Mühe mehr darum zu machen, wie sie die Lüste des Fleisches zähmen, nein, sie brauchen sich nur der Führung des Geistes hinzugeben, unter dessen Antrieb es kein Abirren mehr gibt! Man sollte nicht glauben, daß ein menschlicher Verstand auf einen derartigen Wahnsinn verfallen könnte, wenn sie ihre Lehre nicht offen und stolz ausplauderten. Es ist wirklich eine Ungeheuerlichkeit; aber die Wiedertäufer erleiden damit die gerechte Strafe für ihre gotteslästerliche Vermessenheit, daß sie es unternommen haben, Gottes Wahrheit in Lüge zu verkehren. Soll denn wirklich aller Unterschied zwischen Schändlich und Ehrenhaft, Gerecht und Ungerecht, Gut und Böse, Tugend und Laster ein Ende haben? Die Wiedertäufer sagen: „Das ist ein Unterschied, der aus dem Fluch über Adam stammt, von dem uns Christus freigemacht hat!“ Das heißt also: zwischen Hurerei und Zucht, Lauterkeit und Verschlagenheit, Wahrheit und Lüge, Billigkeit und räuberischer Habgier soll kein Unterschied mehr sein! Da sagen sie nun aber: „Laß doch diese unnütze Furcht fahren; der Geist wird dir schon nichts Böses befehlen, du mußt dich nur sicher und unerschrocken seinem Antrieb hingeben!“ Wer wollte sich bei solchen Ungeheuerlichkeiten nicht entsetzen! Und doch ist es unter denen, die, durch den wahnsinnigen Drang der Lust verblendet, den gesunden Menschenverstand verloren haben (sensum communem exuerunt), eine ganz alltägliche Weltweisheit! Ich frage nur: Was ist das für ein Christus, den sie uns vormachen, was ist das für ein Geist, den sie ausspeien? Wir kennen nämlich nur den einen Christus und seinen einen Geist, den die Propheten einst gerühmt haben, den uns das Evangelium als den Erschienenen predigt – aber von dem hören wir nichts dergleichen! Denn dieser Geist ist nicht der Schirmherr von Mord und Hurerei, Trunkenheit, hoffärtigem Wesen, Streit, Habgier und Betrug; er wirkt vielmehr Liebe, Keuschheit, Einfachheit, Bescheidenheit, Frieden, Mäßigung und Wahrheit! Er ist nicht ein Taumelgeist, der unbesonnen Hals über Kopf durch Recht und Unrecht hindurch vorstürmt, sondern er ist voll Weisheit und Verstand und unterscheidet damit Recht und Unrecht nach Gebühr voneinander! Er stachelt keinen Menschen zu ruchlosem, unbändigem Mutwillen auf, sondern macht einen scharfen Unterschied zwischen Erlaubt und Unerlaubt und lehrt uns so, Maß und Mäßigung zu halten. Aber wozu soll ich mir weiter Mühe machen, diesen ungeheuerlichen Wahnwitz zu widerlegen? Für den Christen ist der Geist des Herrn kein tobendes Gespenst, das er im Traum empfinge oder aus anderer Leute Träumerei herbekäme, sondern er sucht fromm in der Schrift, um diesen Geist kennenzulernen. Da aber finden wir zweierlei von ihm gesagt. Wir hören erstens, daß er uns zur Heiligung gegeben ist: er soll uns von aller Unreinigkeit und Befleckung reinigen und zum Gehorsam gegenüber der Gerechtigkeit Gottes führen. Dieser Gehorsam aber kann nur bestehen, wenn wir unsere Begierden zähmen und unterwerfen; die Schwärmer wollen dagegen diesen Begierden die Zügel schießen lassen! Zweitens hören wir, daß diese Reinigung durch die Heiligung des Geistes doch so vor sich geht, daß wir noch von viel Lastern und großer Schwachheit beherrscht werden, solange wir von der Last unseres Leibes eingeschlossen sind. So sind wir noch weit von der Vollkommenheit entfernt und müssen deshalb Tag für Tag etwas weiterschreiten; wir sind in allerlei Laster verstrickt und müssen deshalb alle Tage gegen sie kämpfen. Daraus folgt, daß wir alle Faulheit, alle fleischliche Sicherheit von uns werfen und mit innerster Anspannung auf der Wacht liegen müssen, damit wir nicht in Unvorsichtigkeit von der Tücke unseres Fleisches hintergangen werden. Wir sollen gewiß nicht glauben, wir könnten weiter vorwärtskommen, als der Apostel Paulus: der aber wurde doch von einem Engel des Satans gequält (2. Kor. 12,7), damit „die Kraft in der Schwachheit sich vollende“ (2. Kor. 12,9; nicht Luthertext), und er macht uns nichts vor, wenn er uns den Widerstreit zwischen Fleisch und Geist in seinem eigenen Fleische vor die Augen stellt! (Röm. 7,6ff.).
Simon W.
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III,3,15
Der Apostel zählt nun bei der Beschreibung der Buße mit gutem Grunde sieben Regungen auf, die als deren Ursachen, Wirkungen oder auch Bestandteile zu gelten haben, nämlich „Fleiß“ oder Besorgnis, „Verantwortung, Zorn, Furcht, Verlangen, Eifer, Rache“ (2. Kor. 7,11). Es darf dabei nicht widersinnig erscheinen, daß ich nicht genau zu entscheiden wage, ob (und wieweit) hier Ursachen oder Wirkungen der Buße erscheinen; es läßt sich nämlich beides zur Erörterung stellen. Man kann auch sagen, daß es sich hier um Regungen handelt, die mit der Buße verbunden sind. Aber man kann auch unter Übergehung dieser Fragen die Absicht des Apostels feststellen, und deshalb wollen wir uns mit einer schlichten Erläuterung zufrieden geben. Er sagt also zuerst, daß die göttliche Betrübnis den „Fleiß“ wirkt. Denn wer ein ernstliches Mißfallen an sich selber empfindet, weil er gegen seinen Gott gesündigt hat, der wird zugleich zu Fleiß und Achtsamkeit angetrieben, um sich gänzlich aus des Teufels Stricken herauszuwinden und sich vor seinen Nachstellungen besser in acht zu nehmen, damit er nur ja nicht hernach der Leitung durch den Heiligen Geist verlustig gehe und sich von der fleischlichen Sicherheit übermannen lasse. Dann folgt bei Paulus die „Verantwortung“. „Verantwortung“ bedeutet an dieser Stelle nicht etwa soviel wie „Verteidigung“, als ob also der Sünder seine Verfehlung leugnete oder seine Schuld zu verkleinern suchte, um Gottes Gericht zu entgehen; es besagt hier vielmehr soviel wie „Reinigung“, die sich auf Abbitte und nicht auf das Vertrauen zur eigenen Sache gründet. Es geht jetzt wie bei Kindern, die nicht abtrünnig sind: wenn sie ihre Abirrungen erkennen und gestehen, so bitten sie doch um Vergebung; damit das nun recht geschehe, bezeugen sie auf alle mögliche Weise, daß sie die Ehrfurcht, die ihren Eltern zukommt, keineswegs von sich getan haben; kurz, sie entschuldigen sich nicht etwa, um gerecht und unschuldig dazustehen, sondern allein, um Vergebung zu erlangen! Dann redet Paulus vom „Zorn“: der Sünder ist innerlich grimmig gegen sich selbst, rechtet mit sich selbst, zürnt sich selbst, wenn er seine Verkehrtheit und seine Undankbarkeit gegen Gott bedenkt. Unter „Furcht“ versteht der Apostel jenes Erzittern, das jedesmal in unser Herz dringt, wenn wir erkennen, was wir verschuldet haben und wie schrecklich Gottes strenger Zorn gegen den Sünder ist. Denn dann kommt notwendig eine furchtbare Unruhe qualvoll über uns: sie erzieht uns zur Demut und macht uns zugleich für die Folgezeit vorsichtiger. So entsteht also aus der Furcht wiederum der „Fleiß“, die Besorgnis, von der wir oben sprachen; da merken wir, wie eng alle diese Regungen miteinander zusammenhängen. Unter „Verlangen“ scheint mir der Apostel die eifrige Erfüllung der auf uns liegenden Pflichten und die freudige Bereitwilligkeit zum Gehorsam zu verstehen, zu der uns ja am meisten die Erkenntnis unserer Verfehlungen anreizen muß. Hierher gehört auch der „Eifer“, den Paulus gleich anschließend nennt. Er bedeutet einen feurigen Ernst, der uns entzündet, wenn in uns gleich Stacheln die Frage aufkommt: Was habe ich getan? Wohin wäre ich versunken, wenn mir Gottes Erbarmen nicht zu Hilfe gekommen wäre? Am Schluß erscheint dann die „Rache“. Je strenger wir nämlich gegen uns selbst sind und je schärfer wir unsere Sünde an uns strafen, desto eher dürfen wir hoffen, einen gnädigen und barmherzigen Gott zu haben. Ist unsere Seele wirklich vom Schrecken vor Gottes Gericht geängstet, so kann sie gar nicht anders, als auch ihrerseits „Rache“ zu nehmen, indem sie an sich selbst Strafe übt. Die Frommen wissen es wahrlich selber, was für Strafen Beschämung, innere Erschütterung, Seufzen, Selbstverurteilung und all die übrigen Regungen sind, die aus ernster Erwägung der Sünde hervorgehen. Wir wollen indessen bedenken, daß es Maß zu halten gilt, damit uns die Traurigkeit nicht gar verschlinge; denn nichts liegt dem erschrockenen Gewissen näher, als in Verzweiflung zu versinken. Das ist denn auch eine der Künste, die der Satan anwendet, wenn er einen Menschen um der Furcht Gottes willen am Boden liegen sieht: er läßt ihn tiefer und tiefer in den Schlund der Traurigkeit versinken, damit er sich nie wieder erhebe. Gewiß kann die Furcht, die uns zur Demut führt und die von der Hoffnung auf Vergebung nicht weicht, niemals zu groß sein. Aber wir sollen uns doch nach der Weisung des Apostels vorsehen, daß der Sünder, der sich quält und sich darüber selber mißfällt, nicht von allzugroßer Furcht niedergedrückt werde und dabei „matt werde und ablasse“ (Hebr. 12,3). Denn auf diese Weise würden wir ja vor Gott, der uns durch die Buße zu sich ruft, fliehen! Sehr fruchtbringend ist in dieser Hinsicht die Ermahnung, die uns Bernhard von Clairvaux gibt: „Der Schmerz um die Sünde ist notwendig, sofern er nicht ohne Unterlaß währt. Deshalb rate ich: laßt zuweilen auch einmal die qualvolle und schmerzliche Erinnerung an eure Wege beiseiteliegen und lenkt eure Schritte in die weite Ebene der fröhlichen Besinnung auf Gottes Wohltaten! Laßt uns Honig unter den Wermut mischen, damit seine heilsame Bitterkeit, wenn wir sie mit Süßigkeit vermischt und so gemildert trinken, uns das Heil wirklich zu geben vermag! Und wenn ihr über euch selber in Demut nachdenkt, so denkt zugleich auch über den Herrn nach seiner Güte!“
III,3,16
Jetzt können wir auch begreifen, welche Früchte die Buße hervorbringt: es sind die uns aufgetragenen Werke der Frömmigkeit gegen Gott, der Liebe zu den Menschen, und es ist außerdem die Heiligkeit und Reinheit in unserem ganzen Leben. Je mehr Eifer überhaupt ein Mensch daran wendet, sein Leben nach der Regel des Gesetzes Gottes zu prüfen, desto gewissere Zeichen seiner Buße legt er an den Tag. Wenn uns daher der Heilige Geist zur Buße mahnt, so weist er uns bald auf die einzelnen Gebote des Gesetzes, bald auch auf die Pflichten der zweiten Tafel hin. An anderen Stellen macht er es freilich auch so, daß er zunächst die Unreinigkeit im Grunde des Herzens selbst verdammt, uns dann aber auch äußere Zeichen angibt, durch die die Lauterkeit unserer Buße deutlich werden soll. Ein Bild hiervon will ich dem Leser bald vor Augen führen, wenn ich zur Beschreibung des christlichen Lebens komme. Ich will hier nicht die Zeugnisse aus den Propheten alle aufführen, in denen sie teils die Torheit verspotten, in der man Gott mit Zeremonien zu versöhnen trachtet, und zeigen, daß das doch lauter Possenspiel ist, teils auch deutlich machen, daß die äußere Reinheit des Lebens nicht das Hauptstück der Buße ist, weil ja Gott das Herz ansieht. Wer auch nur einigermaßen in der Schrift bewandert ist, der wird ja auch ohne fremde Unterweisung ganz aus sich heraus erkennen: wo wir es mit Gott zu tun haben, da wird nur dann etwas ausgerichtet, wenn wir mit der innersten Regung des Herzens beginnen. Es gibt eine Stelle bei Joel, die nicht wenig dazu dienen kann, auch andere Stellen recht zu verstehen: „Zerreißt eure Herzen und nicht eure Kleider!“ (Joel 2,13). Beides ist auch kurz in den Worten des Jakobus ausgedrückt: „Reiniget die Hände, ihr Sünder, und machet eure Herzen keusch, ihr Wankelmütigen!“ (Jak. 4,8). Was uns hier im ersten Gliede gezeigt wird, ist wesentlich eine sich ergebende Folge; die Quelle und der Ursprung tritt uns dann aber im zweiten Gliede entgegen: die verborgene Unreinigkeit soll abgetan werden, damit Gott im Herzen selbst ein Altar errichtet werde. Aber es gibt doch auch bestimmte äußere Übungen, die uns, jedem für sich allein, als Mittel dienen sollen, uns zu demütigen oder unser Fleisch zu zähmen, und die andererseits öffentlich den Zweck haben, die Buße zu bezeugen (2. Kor. 7,11). Diese äußeren Übungen aber fließen aus jener „Rache“, von der Paulus (2. Kor. 7,11) redet; denn es ist einem geängsteten Geiste eigen, in Trauer zu gehen, unter Seufzen und Tränen zu leben, allen Glanz, allen Prunk zu meiden und allen Vergnügungen abzusagen. Ja, wer da weiß, ein wie großes Übel die Widerspenstigkeit unseres Fleisches ist, der sucht alle Mittel, um sie in Schranken zu halten. Und wer es recht bedenkt, wie schlimm es ist, Gottes Gerechtigkeit verletzt zu haben, der kann nicht ruhen, bis er in Demut Gott die Ehre gegeben hat. Dergleichen Übungen erwähnen die alten Kirchenschriftsteller oft, wenn sie von den Früchten der Buße sprechen. Sie begründen freilich die Kraft der Buße durchaus nicht auf diese Übungen; aber der Leser muß es mir nicht übelnehmen, wenn ich ausspreche, was ich denke: jene Alten scheinen mir doch ganz gewiß auf diese Dinge mehr Gewicht zu legen, als es recht ist. Wenn man es richtig überlegt, so wird man mir, das hoffe ich, darin beistimmen, daß sie in doppelter Hinsicht über das rechte Maß hinausgegangen sind. Dadurch, daß sie erstens jene leibliche Übung so stark betonten und sie so gewaltig rühmten, erreichten sie zwar, daß das Volk sie wirklich mit großem Eifer annahm, aber sie verdunkeln damit gewissermaßen das, was doch von weit größerer Bedeutung sein muß. Zweitens gingen sie bei ihrer Forderung nach äußerlichen Kasteiungen immerhin schärfer vor, als es die Sanftmut der Kirche zuläßt. Das muß an anderer Stelle noch behandelt werden.
III,3,17
Es gibt nun aber wirklich Leute, die von der Tatsache, daß sie an mehreren Stellen der Schrift, insbesondere bei Joel (2,12) Weinen und Fasten und (Sitzen in der) Asche nennen hören, gleich dazu übergehen, in Fasten und Weinen das wesentlichste Stück der Buße zu erblicken. Das ist ein Irrwahn, den ich hier beheben muß. Wenn uns gesagt wird, daß wir uns von ganzem Herzen zum Herrn bekehren sollen, wenn wir hören, daß wir nicht unsere Kleider, sondern unsere Herzen zerreißen sollen, so macht dies das eigentliche Wesen der Buße aus. Weinen aber und Fasten werden nicht etwa als beständige und notwendige Auswirkungen der Buße hinzugefügt, sondern sie ergeben sich unter besonderen Umständen. Joel hatte geweissagt, daß den Juden die furchtbarste Zerstörung drohte, und er riet ihnen nun, dem Zorn Gottes zuvorzukommen, und zwar nicht allein durch Umkehr, sondern auch durch offenbare Bezeugungen ihrer Bekümmernis. Wie sich nämlich ein Angeklagter mit ungeschorenem Barte, mit ungekämmtem Haar, in dunklem Trauergewand zu demütigen pflegt, um bei seinem Richter Barmherzigkeit zu erlangen, so sollten auch die Juden, die ja als Angeklagte vor Gottes Gericht geführt wurden, Gott in solch jämmerlicher Gewandung bitten, von seiner Strenge zu lassen. Nun waren wohl freilich Sack und Asche mehr jener Zeit angemessen; Weinen und Fasten dagegen würde auch bei uns sicherlich ein sehr angemessener Brauch sein, sooft uns der Herr mit Unglück oder Not zu drohen scheint. Denn wenn er eine Gefahr sich zeigen läßt, so läßt er uns damit kundwerden, daß er sich zur Strafe bereitet und gleichsam wappnet. Der Prophet hat nun den Seinen kurz zuvor angekündigt, daß über ihre Freveltaten eine strenge Untersuchung eintreten würde; wenn er sie nun zu Weinen und Fasten, das heißt also zur Traurigkeit von Angeklagten, ermahnt, so tut er durchaus recht daran. Auch heutzutage würden die Hirten der Kirche, wenn sie sähen, daß über den Häuptern der Ihrigen ein Unheil drohte, keineswegs übel daran tun, wenn sie sie dazu aufriefen, zu Fasten und Weinen zu eilen; nur müßten sie immerzu mit noch größerem Eifer und noch ernstlicherer Mühe auf die Hauptsache dringen, nämlich, daß es die Herzen zu zerreißen gilt und nicht die Kleider. Es steht außer Zweifel, daß zur Buße nicht immer das Fasten gehört, sondern daß dies für besondere Notzeiten bestimmt ist. Christus gibt ihm deshalb seinen Platz neben der Traurigkeit: er spricht die Apostel von der Verpflichtung zum Fasten los, bis sie seine Gegenwart verloren haben und damit verwaist sind und in Traurigkeit leben müssen (Matth. 9,15). Dabei rede ich indessen vom öffentlichen Fasten. Denn das Leben der Frommen soll dermaßen mit Nüchternheit und Mäßigkeit untermischt sein, daß in seinem ganzen Lauf fortwährend ein gewisses Fasten an den Tag tritt. Da nun aber diese ganze Angelegenheit bei der Behandlung der kirchlichen Zucht aufs neue zur Sprache kommen wird, so will ich sie hier nur knapp berühren.
Der Apostel zählt nun bei der Beschreibung der Buße mit gutem Grunde sieben Regungen auf, die als deren Ursachen, Wirkungen oder auch Bestandteile zu gelten haben, nämlich „Fleiß“ oder Besorgnis, „Verantwortung, Zorn, Furcht, Verlangen, Eifer, Rache“ (2. Kor. 7,11). Es darf dabei nicht widersinnig erscheinen, daß ich nicht genau zu entscheiden wage, ob (und wieweit) hier Ursachen oder Wirkungen der Buße erscheinen; es läßt sich nämlich beides zur Erörterung stellen. Man kann auch sagen, daß es sich hier um Regungen handelt, die mit der Buße verbunden sind. Aber man kann auch unter Übergehung dieser Fragen die Absicht des Apostels feststellen, und deshalb wollen wir uns mit einer schlichten Erläuterung zufrieden geben. Er sagt also zuerst, daß die göttliche Betrübnis den „Fleiß“ wirkt. Denn wer ein ernstliches Mißfallen an sich selber empfindet, weil er gegen seinen Gott gesündigt hat, der wird zugleich zu Fleiß und Achtsamkeit angetrieben, um sich gänzlich aus des Teufels Stricken herauszuwinden und sich vor seinen Nachstellungen besser in acht zu nehmen, damit er nur ja nicht hernach der Leitung durch den Heiligen Geist verlustig gehe und sich von der fleischlichen Sicherheit übermannen lasse. Dann folgt bei Paulus die „Verantwortung“. „Verantwortung“ bedeutet an dieser Stelle nicht etwa soviel wie „Verteidigung“, als ob also der Sünder seine Verfehlung leugnete oder seine Schuld zu verkleinern suchte, um Gottes Gericht zu entgehen; es besagt hier vielmehr soviel wie „Reinigung“, die sich auf Abbitte und nicht auf das Vertrauen zur eigenen Sache gründet. Es geht jetzt wie bei Kindern, die nicht abtrünnig sind: wenn sie ihre Abirrungen erkennen und gestehen, so bitten sie doch um Vergebung; damit das nun recht geschehe, bezeugen sie auf alle mögliche Weise, daß sie die Ehrfurcht, die ihren Eltern zukommt, keineswegs von sich getan haben; kurz, sie entschuldigen sich nicht etwa, um gerecht und unschuldig dazustehen, sondern allein, um Vergebung zu erlangen! Dann redet Paulus vom „Zorn“: der Sünder ist innerlich grimmig gegen sich selbst, rechtet mit sich selbst, zürnt sich selbst, wenn er seine Verkehrtheit und seine Undankbarkeit gegen Gott bedenkt. Unter „Furcht“ versteht der Apostel jenes Erzittern, das jedesmal in unser Herz dringt, wenn wir erkennen, was wir verschuldet haben und wie schrecklich Gottes strenger Zorn gegen den Sünder ist. Denn dann kommt notwendig eine furchtbare Unruhe qualvoll über uns: sie erzieht uns zur Demut und macht uns zugleich für die Folgezeit vorsichtiger. So entsteht also aus der Furcht wiederum der „Fleiß“, die Besorgnis, von der wir oben sprachen; da merken wir, wie eng alle diese Regungen miteinander zusammenhängen. Unter „Verlangen“ scheint mir der Apostel die eifrige Erfüllung der auf uns liegenden Pflichten und die freudige Bereitwilligkeit zum Gehorsam zu verstehen, zu der uns ja am meisten die Erkenntnis unserer Verfehlungen anreizen muß. Hierher gehört auch der „Eifer“, den Paulus gleich anschließend nennt. Er bedeutet einen feurigen Ernst, der uns entzündet, wenn in uns gleich Stacheln die Frage aufkommt: Was habe ich getan? Wohin wäre ich versunken, wenn mir Gottes Erbarmen nicht zu Hilfe gekommen wäre? Am Schluß erscheint dann die „Rache“. Je strenger wir nämlich gegen uns selbst sind und je schärfer wir unsere Sünde an uns strafen, desto eher dürfen wir hoffen, einen gnädigen und barmherzigen Gott zu haben. Ist unsere Seele wirklich vom Schrecken vor Gottes Gericht geängstet, so kann sie gar nicht anders, als auch ihrerseits „Rache“ zu nehmen, indem sie an sich selbst Strafe übt. Die Frommen wissen es wahrlich selber, was für Strafen Beschämung, innere Erschütterung, Seufzen, Selbstverurteilung und all die übrigen Regungen sind, die aus ernster Erwägung der Sünde hervorgehen. Wir wollen indessen bedenken, daß es Maß zu halten gilt, damit uns die Traurigkeit nicht gar verschlinge; denn nichts liegt dem erschrockenen Gewissen näher, als in Verzweiflung zu versinken. Das ist denn auch eine der Künste, die der Satan anwendet, wenn er einen Menschen um der Furcht Gottes willen am Boden liegen sieht: er läßt ihn tiefer und tiefer in den Schlund der Traurigkeit versinken, damit er sich nie wieder erhebe. Gewiß kann die Furcht, die uns zur Demut führt und die von der Hoffnung auf Vergebung nicht weicht, niemals zu groß sein. Aber wir sollen uns doch nach der Weisung des Apostels vorsehen, daß der Sünder, der sich quält und sich darüber selber mißfällt, nicht von allzugroßer Furcht niedergedrückt werde und dabei „matt werde und ablasse“ (Hebr. 12,3). Denn auf diese Weise würden wir ja vor Gott, der uns durch die Buße zu sich ruft, fliehen! Sehr fruchtbringend ist in dieser Hinsicht die Ermahnung, die uns Bernhard von Clairvaux gibt: „Der Schmerz um die Sünde ist notwendig, sofern er nicht ohne Unterlaß währt. Deshalb rate ich: laßt zuweilen auch einmal die qualvolle und schmerzliche Erinnerung an eure Wege beiseiteliegen und lenkt eure Schritte in die weite Ebene der fröhlichen Besinnung auf Gottes Wohltaten! Laßt uns Honig unter den Wermut mischen, damit seine heilsame Bitterkeit, wenn wir sie mit Süßigkeit vermischt und so gemildert trinken, uns das Heil wirklich zu geben vermag! Und wenn ihr über euch selber in Demut nachdenkt, so denkt zugleich auch über den Herrn nach seiner Güte!“
III,3,16
Jetzt können wir auch begreifen, welche Früchte die Buße hervorbringt: es sind die uns aufgetragenen Werke der Frömmigkeit gegen Gott, der Liebe zu den Menschen, und es ist außerdem die Heiligkeit und Reinheit in unserem ganzen Leben. Je mehr Eifer überhaupt ein Mensch daran wendet, sein Leben nach der Regel des Gesetzes Gottes zu prüfen, desto gewissere Zeichen seiner Buße legt er an den Tag. Wenn uns daher der Heilige Geist zur Buße mahnt, so weist er uns bald auf die einzelnen Gebote des Gesetzes, bald auch auf die Pflichten der zweiten Tafel hin. An anderen Stellen macht er es freilich auch so, daß er zunächst die Unreinigkeit im Grunde des Herzens selbst verdammt, uns dann aber auch äußere Zeichen angibt, durch die die Lauterkeit unserer Buße deutlich werden soll. Ein Bild hiervon will ich dem Leser bald vor Augen führen, wenn ich zur Beschreibung des christlichen Lebens komme. Ich will hier nicht die Zeugnisse aus den Propheten alle aufführen, in denen sie teils die Torheit verspotten, in der man Gott mit Zeremonien zu versöhnen trachtet, und zeigen, daß das doch lauter Possenspiel ist, teils auch deutlich machen, daß die äußere Reinheit des Lebens nicht das Hauptstück der Buße ist, weil ja Gott das Herz ansieht. Wer auch nur einigermaßen in der Schrift bewandert ist, der wird ja auch ohne fremde Unterweisung ganz aus sich heraus erkennen: wo wir es mit Gott zu tun haben, da wird nur dann etwas ausgerichtet, wenn wir mit der innersten Regung des Herzens beginnen. Es gibt eine Stelle bei Joel, die nicht wenig dazu dienen kann, auch andere Stellen recht zu verstehen: „Zerreißt eure Herzen und nicht eure Kleider!“ (Joel 2,13). Beides ist auch kurz in den Worten des Jakobus ausgedrückt: „Reiniget die Hände, ihr Sünder, und machet eure Herzen keusch, ihr Wankelmütigen!“ (Jak. 4,8). Was uns hier im ersten Gliede gezeigt wird, ist wesentlich eine sich ergebende Folge; die Quelle und der Ursprung tritt uns dann aber im zweiten Gliede entgegen: die verborgene Unreinigkeit soll abgetan werden, damit Gott im Herzen selbst ein Altar errichtet werde. Aber es gibt doch auch bestimmte äußere Übungen, die uns, jedem für sich allein, als Mittel dienen sollen, uns zu demütigen oder unser Fleisch zu zähmen, und die andererseits öffentlich den Zweck haben, die Buße zu bezeugen (2. Kor. 7,11). Diese äußeren Übungen aber fließen aus jener „Rache“, von der Paulus (2. Kor. 7,11) redet; denn es ist einem geängsteten Geiste eigen, in Trauer zu gehen, unter Seufzen und Tränen zu leben, allen Glanz, allen Prunk zu meiden und allen Vergnügungen abzusagen. Ja, wer da weiß, ein wie großes Übel die Widerspenstigkeit unseres Fleisches ist, der sucht alle Mittel, um sie in Schranken zu halten. Und wer es recht bedenkt, wie schlimm es ist, Gottes Gerechtigkeit verletzt zu haben, der kann nicht ruhen, bis er in Demut Gott die Ehre gegeben hat. Dergleichen Übungen erwähnen die alten Kirchenschriftsteller oft, wenn sie von den Früchten der Buße sprechen. Sie begründen freilich die Kraft der Buße durchaus nicht auf diese Übungen; aber der Leser muß es mir nicht übelnehmen, wenn ich ausspreche, was ich denke: jene Alten scheinen mir doch ganz gewiß auf diese Dinge mehr Gewicht zu legen, als es recht ist. Wenn man es richtig überlegt, so wird man mir, das hoffe ich, darin beistimmen, daß sie in doppelter Hinsicht über das rechte Maß hinausgegangen sind. Dadurch, daß sie erstens jene leibliche Übung so stark betonten und sie so gewaltig rühmten, erreichten sie zwar, daß das Volk sie wirklich mit großem Eifer annahm, aber sie verdunkeln damit gewissermaßen das, was doch von weit größerer Bedeutung sein muß. Zweitens gingen sie bei ihrer Forderung nach äußerlichen Kasteiungen immerhin schärfer vor, als es die Sanftmut der Kirche zuläßt. Das muß an anderer Stelle noch behandelt werden.
III,3,17
Es gibt nun aber wirklich Leute, die von der Tatsache, daß sie an mehreren Stellen der Schrift, insbesondere bei Joel (2,12) Weinen und Fasten und (Sitzen in der) Asche nennen hören, gleich dazu übergehen, in Fasten und Weinen das wesentlichste Stück der Buße zu erblicken. Das ist ein Irrwahn, den ich hier beheben muß. Wenn uns gesagt wird, daß wir uns von ganzem Herzen zum Herrn bekehren sollen, wenn wir hören, daß wir nicht unsere Kleider, sondern unsere Herzen zerreißen sollen, so macht dies das eigentliche Wesen der Buße aus. Weinen aber und Fasten werden nicht etwa als beständige und notwendige Auswirkungen der Buße hinzugefügt, sondern sie ergeben sich unter besonderen Umständen. Joel hatte geweissagt, daß den Juden die furchtbarste Zerstörung drohte, und er riet ihnen nun, dem Zorn Gottes zuvorzukommen, und zwar nicht allein durch Umkehr, sondern auch durch offenbare Bezeugungen ihrer Bekümmernis. Wie sich nämlich ein Angeklagter mit ungeschorenem Barte, mit ungekämmtem Haar, in dunklem Trauergewand zu demütigen pflegt, um bei seinem Richter Barmherzigkeit zu erlangen, so sollten auch die Juden, die ja als Angeklagte vor Gottes Gericht geführt wurden, Gott in solch jämmerlicher Gewandung bitten, von seiner Strenge zu lassen. Nun waren wohl freilich Sack und Asche mehr jener Zeit angemessen; Weinen und Fasten dagegen würde auch bei uns sicherlich ein sehr angemessener Brauch sein, sooft uns der Herr mit Unglück oder Not zu drohen scheint. Denn wenn er eine Gefahr sich zeigen läßt, so läßt er uns damit kundwerden, daß er sich zur Strafe bereitet und gleichsam wappnet. Der Prophet hat nun den Seinen kurz zuvor angekündigt, daß über ihre Freveltaten eine strenge Untersuchung eintreten würde; wenn er sie nun zu Weinen und Fasten, das heißt also zur Traurigkeit von Angeklagten, ermahnt, so tut er durchaus recht daran. Auch heutzutage würden die Hirten der Kirche, wenn sie sähen, daß über den Häuptern der Ihrigen ein Unheil drohte, keineswegs übel daran tun, wenn sie sie dazu aufriefen, zu Fasten und Weinen zu eilen; nur müßten sie immerzu mit noch größerem Eifer und noch ernstlicherer Mühe auf die Hauptsache dringen, nämlich, daß es die Herzen zu zerreißen gilt und nicht die Kleider. Es steht außer Zweifel, daß zur Buße nicht immer das Fasten gehört, sondern daß dies für besondere Notzeiten bestimmt ist. Christus gibt ihm deshalb seinen Platz neben der Traurigkeit: er spricht die Apostel von der Verpflichtung zum Fasten los, bis sie seine Gegenwart verloren haben und damit verwaist sind und in Traurigkeit leben müssen (Matth. 9,15). Dabei rede ich indessen vom öffentlichen Fasten. Denn das Leben der Frommen soll dermaßen mit Nüchternheit und Mäßigkeit untermischt sein, daß in seinem ganzen Lauf fortwährend ein gewisses Fasten an den Tag tritt. Da nun aber diese ganze Angelegenheit bei der Behandlung der kirchlichen Zucht aufs neue zur Sprache kommen wird, so will ich sie hier nur knapp berühren.
Simon W.
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III,3,18
Dies aber will ich hier doch noch einfügen: wenn man den Begriff „Buße“ auf das äußerliche Bekenntnis (der Sünde) überträgt, so gibt man ihm einen uneigentlichen Sinn und biegt ihn von der ursprünglichen Bedeutung, die ich oben dargelegt habe, ab. Denn es handelt sich dann ja nicht eben um die Bekehrung zu Gott, sondern vielmehr um ein Bekenntnis der Schuld und die Bitte um Erlassung der Strafe und der Schuld. Tun wir Buße im Sack und in der Asche, so bedeutet das nichts anderes, als daß wir bezeugen, daß wir uns selbst mißfallen, wenn uns Gott um unserer schweren Missetaten willen zürnt (Matth. 11,21; Luk. 10,13). Es handelt sich hier um ein öffentliches Bekenntnis, in welchem wir uns selbst vor den Engeln und vor der Welt verurteilen und so Gottes Gericht zuvorkommen. So spricht es Paulus aus, indem er die Trägheit solcher Leute straft, die sich in ihren Sünden gefallen: „Denn so wir uns selber richteten, so würden wir nicht gerichtet“ (1. Kor. 11,31). Aber es ist nicht immer erforderlich, daß wir Menschen öffentlich zu Mitwissern und Zeugen unserer Reue machen; dagegen ist es ein Stück der wahren Buße, das unter keinen Umständen fehlen darf, daß wir Gott insonderheit (unsere Sünde) bekennen. Denn es wäre vollkommen widersinnig, daß uns Gott Sünden verziehe, in denen wir uns selbst schmeicheln und die wir heuchlerisch verhehlen, damit er sie nicht an den Tag bringe. Wir sollen auch nicht bloß unsere täglich begangenen Sünden bekennen, sondern ein schwererer Fall soll uns weiterführen und uns Dinge ins Gedächtnis rufen, die schon lange begraben schienen. So schreibt es uns David an seinem Beispiel vor. Er ist innerlich betroffen durch die Beschämung über seine letztgeschehene Freveltat, und da treibt er seine Selbstprüfung zurück bis zum Mutterleibe, und er erkennt an, daß er schon damals verderbt und von der Unreinigkeit des Fleisches befleckt war (Ps. 51,7). Das tut er nicht, um seine Schuld abzuschwächen – wie es ja viele machen, die sich im Haufen der Sünder verbergen, andere mit sich in die gleiche Schuld verstricken und so Straflosigkeit zu erlangen trachten. Ganz anders David: er macht in seiner Aufrichtigkeit seine Schuld noch größer, weil er ja, seit seiner frühesten Kindheit verderbt, nicht aufgehört hat, Böses auf Böses zu häufen. Auch noch an einer anderen Stelle übt er solche Prüfung seines vergangenen Lebens, indem er Gottes Barmherzigkeit für die Sünden seiner Jugend erfleht (Ps. 25,7). Es ist ja auch gewiß: erst dann beweisen wir, daß uns alle Gleichgültigkeit ausgetrieben ist, wenn wir unsere bösen Werke beweinen und Gott um Befreiung von der Last bitten, unter der wir seufzen. Es ist noch zu bemerken, daß die Buße, die wir nach Gottes Weisung allezeit üben sollen, etwas anderes ist, als jene, die Menschen, welche ganz besonders schändlich gesündigt, in zügellosem Mutwillen der Sünde sich hingegeben oder in irgendwelcher Abtrünnigkeit Gottes Joch abgeworfen haben, gewissermaßen vom Tode erweckt. Wenn die Schrift nämlich zur Buße mahnt, so spricht sie von ihr oftmals gleichsam als dem Übergang oder der Auferweckung vom Tode zum Leben; und wenn sie berichtet, daß das Volk Buße getan habe, so versteht sie darunter, daß es vom Götzendienst und anderem grobem Frevel bekehrt worden sei. Aus diesem Grunde kündigt Paulus auch den Sündern Traurigkeit an, „die nicht Buße getan haben für Unreinigkeit und Hurerei und Unzucht …“ (2. Kor. 12,21). Diesen Unterschied (zwischen der allgemeinen Verpflichtung zur Buße und dem Bußruf an einzelne Sünder) müssen wir genau beachten, damit wir nicht etwa, wenn wir hören, daß einzelne zur Buße gerufen werden, in lässige Sicherheit versinken – als ob uns die Abtötung des Fleisches nichts mehr anginge. Nein, die Sorge um diese Abtötung des Fleisches können wir gar nicht beiseitelassen: daran hindern uns die bösen Begierden, die uns immerfort kitzeln, und die Laster, die immer wieder ausschlagen. Die besondere Buße (specialis poenitentia), die nur von einzelnen erfordert wird, die der Teufel von der Furcht Gottes weggerissen und in verderbliche Fesseln geschlagen hat, hebt also die gewöhnliche (ordinaria poenitentia) nicht auf, in der wir uns um der Verderbnis unserer Natur willen unser ganzes Leben lang mühen müssen.
III,3,19
Wenn es wahr ist – und das steht doch ganz deutlich fest! -, daß das ganze Evangelium wesentlich zwei Stücke umfaßt, nämlich Buße und Vergebung der Sünden, dann müssen wir auch ganz klar sehen, daß der Herr die Seinen eben dazu aus Gnaden rechtfertigt, daß er sie zugleich durch die Heiligung seines Geistes zu wahrer Gerechtigkeit neugestalte. Johannes, der Bote, der vor dem Angesicht Christi her gesandt wurde, um seine Wege zu bereiten (Matth. 11,10), der hat gepredigt: „Tut Buße, denn das Himmelreich ist nahe herbeigekommen:“ (Matth. 3,2). Wenn er zur Buße rief, so ermahnte er damit die Menschen, zu erkennen, daß sie Sünder waren und daß all ihr Wesen und Tun vor dem Herrn verdammt war, damit sie die Abtötung ihres Fleisches und die neue Wiedergeburt im Geiste von ganzem Herzen begehrten. Wenn er aber zugleich das Reich Gottes ankündigte, so rief er die Menschen damit zum Glauben; denn unter dem Reiche Gottes, das nach seiner Lehre „nahe herbeigekommen“ war, verstand er die Vergebung der Sünden, das Heil, das Leben und überhaupt alles, was wir in Christus gewinnen; deshalb lesen wir auch bei den anderen Evangelisten: „Johannes kam und predigte die Taufe der Buße zur Vergebung der Sünden“ (Mark. 1,4; Luk. 3,3). Was heißt das aber anders, als daß die Menschen, unter der Last ihrer Sünden bedrückt und ermattet, zum Herrn sich bekehren und die Hoffnung auf die Vergebung und das Heil gewinnen sollten? So hat auch Christus seine Reden damit angefangen: „Das Reich Gottes ist herbeigekommen. Tut Buße und glaubet an das Evangelium:“ (Mark. 1,15). Damit erklärt er zunächst, daß in ihm die Schatzkammern der Barmherzigkeit Gottes erschlossen sind, dann fordert er Buße und dann endlich das zuversichtliche Vertrauen auf Gottes Verheißungen. Wenn er also den ganzen Inhalt des Evangeliums kurz zusammenfassen wollte, so sagte er: „Also mußte Christus leiden und auferstehen von den Toten … und predigen lassen in seinem Namen Buße und Vergebung der Sünden …“ (Luk. 24,46. 47). Das haben auch die Apostel nach Christi Auferstehung verkündigt: Christus ist von Gott „erhöht … zu geben Israel Buße und Vergebung der Sünden“ (Apg. 5,31). Die Verkündigung der Buße im Namen Christi geschieht, wenn die Menschen durch die Lehre des Evangeliums vernehmen, daß all ihre Gedanken, ihre Regungen, ihre Vorsätze verderbt und sündig sind und daß sie deshalb notwendig neu geboren werden müssen, wenn sie in Gottes Reich eingehen wollen. Die Verkündigung der Sündenvergebung geschieht, wenn der Mensch gelehrt wird, daß Christus uns „gemacht ist“ zur Erlösung, zur Gerechtigkeit, zum Heil und zum Leben (1. Kor. 1,30, aber nicht genaues Zitat), daß wir in seinem Namen aus Gnaden vor Gottes Auge gerecht und unschuldig dastehen. Diese zwiefache Gnade wird im Glauben ergriffen, wie ich an anderer Stelle dargelegt habe; da nun aber der Glaube im eigentlichen Sinne an Gottes Güte hängt, aus der heraus wir die Vergebung der Sünden empfangen, so war es erforderlich, ihn von der Buße sorglich zu unterscheiden.
III,3,20
Nun öffnet uns der Haß gegen die Sünde, der ja der Anfang der Buße ist, den ersten Zugang zur Erkenntnis Christi; Christus offenbart sich allein elenden, geängstigten Sündern, die da seufzen, die sich abmühen, die beladen sind, die hungern und dürsten, die unter Schmerz und Jammer daniederliegen (Jes. 61,1; Matth. 11,5; Luk. 4,18). Ist es aber so, dann müssen wir uns eben nach dieser Buße ausstrecken, in ihr unser Leben lang uns üben, in ihr bis ans Ende beharren, wenn wir in Christus bleiben wollen. Denn er ist gekommen, die Sünder zu rufen – aber zur Buße! (Matth. 9,13). Er ist gekommen, um die Unwürdigen zu segnen – aber dazu, „daß ein jeglicher sich bekehre von seiner Bosheit“! (Apg. 3,26; 5,31). Die Schrift ist voll von Sprüchen dieser Art. Wo also Gott die Vergebung der Sünden anbietet, da pflegt er durchweg zugleich die Umkehr zu fordern. Er gibt damit zu verstehen, daß seine Barmherzigkeit für den Menschen Ursache zur Umkehr sein soll. So spricht er: „Haltet das Recht und tut Gerechtigkeit; denn mein Heil ist nahe …“ (Jes. 56,1). Oder: „Zion wird ein Erlöser kommen und denen, die sich bekehren von den Sünden in Jakob …“ (Jes. 59,20). Oder auch: „Suchet den Herrn, solange er zu finden ist, rufet ihn an, solange er nahe ist. Der Gottlose lasse von seinem Wege und der Übeltäter seine Gedanken und bekehre sich zum Herrn, so wird er sich sein erbarmen …“ (Jes. 55,6. 7). Oder endlich: „So tut nun Buße und bekehret euch, daß eure Sünden vertilgt werden!“ (Apg. 3,19). Dabei ist jedoch zu bemerken, daß die Hinzusetzung dieser Bedingung nicht etwa soviel bedeutet, als ob unsere Reue die Grundlage wäre, auf der wir uns die Vergebung verdienen könnten. Nein, der Herr hat eben dazu beschlossen, sich der Menschen zu erbarmen, daß sie ihre Sünde bereuen, und er zeigt ihnen in jener Bedingung die Richtung, die sie einnehmen müssen, wenn sie Gnade erlangen wollen. Solange wir nun also in dem Gefängnis unseres Leibes unsere Wohnstatt haben, sollen wir beständig mit den Lastern unserer verderbten Natur im Streite liegen, ja mit unserem ganzen natürlichen Sinn. Platon sagt gelegentlich – unter anderem vor allem an vielen Stellen im „Phaidon“ -, das ganze Leben eines Philosophen bestehe im Bedenken des Todes. Noch viel richtiger können wir sagen: das Leben eines Christenmenschen ist eine beständige, eifrige Übung darin, das Fleisch zu töten, bis es ganz gestorben ist und der Geist Gottes in uns die Herrschaft gewonnen hat. Nach meiner Überzeugung ist deshalb der am weitesten fortgeschritten, der es am besten gelernt hat, sich selbst zu mißfallen – freilich nicht etwa, um in diesem Sumpfe stecken zu bleiben und nicht weiter vorwärtszukommen, sondern vielmehr, um zu Gott hinzueilen, zu ihm zu seufzen, damit er als ein Mensch, der in Christi Tod und Leben eingeleibt ist, all sein Trachten auf beständige Buße richte. Bei einem Menschen, der wirklich von echtem Haß gegen die Sünde ergriffen ist, kann es ja gar nicht anders sein. Denn es hat nie ein Mensch die Sünde gehaßt, ohne daß ihn zuvor die Liebe zur Gerechtigkeit erfaßt hätte. Diese Ansicht war die allerschlichteste und sie schien mir dementsprechend auch mit der Wahrheit der Heiligen Schrift am besten übereinzustimmen.
Dies aber will ich hier doch noch einfügen: wenn man den Begriff „Buße“ auf das äußerliche Bekenntnis (der Sünde) überträgt, so gibt man ihm einen uneigentlichen Sinn und biegt ihn von der ursprünglichen Bedeutung, die ich oben dargelegt habe, ab. Denn es handelt sich dann ja nicht eben um die Bekehrung zu Gott, sondern vielmehr um ein Bekenntnis der Schuld und die Bitte um Erlassung der Strafe und der Schuld. Tun wir Buße im Sack und in der Asche, so bedeutet das nichts anderes, als daß wir bezeugen, daß wir uns selbst mißfallen, wenn uns Gott um unserer schweren Missetaten willen zürnt (Matth. 11,21; Luk. 10,13). Es handelt sich hier um ein öffentliches Bekenntnis, in welchem wir uns selbst vor den Engeln und vor der Welt verurteilen und so Gottes Gericht zuvorkommen. So spricht es Paulus aus, indem er die Trägheit solcher Leute straft, die sich in ihren Sünden gefallen: „Denn so wir uns selber richteten, so würden wir nicht gerichtet“ (1. Kor. 11,31). Aber es ist nicht immer erforderlich, daß wir Menschen öffentlich zu Mitwissern und Zeugen unserer Reue machen; dagegen ist es ein Stück der wahren Buße, das unter keinen Umständen fehlen darf, daß wir Gott insonderheit (unsere Sünde) bekennen. Denn es wäre vollkommen widersinnig, daß uns Gott Sünden verziehe, in denen wir uns selbst schmeicheln und die wir heuchlerisch verhehlen, damit er sie nicht an den Tag bringe. Wir sollen auch nicht bloß unsere täglich begangenen Sünden bekennen, sondern ein schwererer Fall soll uns weiterführen und uns Dinge ins Gedächtnis rufen, die schon lange begraben schienen. So schreibt es uns David an seinem Beispiel vor. Er ist innerlich betroffen durch die Beschämung über seine letztgeschehene Freveltat, und da treibt er seine Selbstprüfung zurück bis zum Mutterleibe, und er erkennt an, daß er schon damals verderbt und von der Unreinigkeit des Fleisches befleckt war (Ps. 51,7). Das tut er nicht, um seine Schuld abzuschwächen – wie es ja viele machen, die sich im Haufen der Sünder verbergen, andere mit sich in die gleiche Schuld verstricken und so Straflosigkeit zu erlangen trachten. Ganz anders David: er macht in seiner Aufrichtigkeit seine Schuld noch größer, weil er ja, seit seiner frühesten Kindheit verderbt, nicht aufgehört hat, Böses auf Böses zu häufen. Auch noch an einer anderen Stelle übt er solche Prüfung seines vergangenen Lebens, indem er Gottes Barmherzigkeit für die Sünden seiner Jugend erfleht (Ps. 25,7). Es ist ja auch gewiß: erst dann beweisen wir, daß uns alle Gleichgültigkeit ausgetrieben ist, wenn wir unsere bösen Werke beweinen und Gott um Befreiung von der Last bitten, unter der wir seufzen. Es ist noch zu bemerken, daß die Buße, die wir nach Gottes Weisung allezeit üben sollen, etwas anderes ist, als jene, die Menschen, welche ganz besonders schändlich gesündigt, in zügellosem Mutwillen der Sünde sich hingegeben oder in irgendwelcher Abtrünnigkeit Gottes Joch abgeworfen haben, gewissermaßen vom Tode erweckt. Wenn die Schrift nämlich zur Buße mahnt, so spricht sie von ihr oftmals gleichsam als dem Übergang oder der Auferweckung vom Tode zum Leben; und wenn sie berichtet, daß das Volk Buße getan habe, so versteht sie darunter, daß es vom Götzendienst und anderem grobem Frevel bekehrt worden sei. Aus diesem Grunde kündigt Paulus auch den Sündern Traurigkeit an, „die nicht Buße getan haben für Unreinigkeit und Hurerei und Unzucht …“ (2. Kor. 12,21). Diesen Unterschied (zwischen der allgemeinen Verpflichtung zur Buße und dem Bußruf an einzelne Sünder) müssen wir genau beachten, damit wir nicht etwa, wenn wir hören, daß einzelne zur Buße gerufen werden, in lässige Sicherheit versinken – als ob uns die Abtötung des Fleisches nichts mehr anginge. Nein, die Sorge um diese Abtötung des Fleisches können wir gar nicht beiseitelassen: daran hindern uns die bösen Begierden, die uns immerfort kitzeln, und die Laster, die immer wieder ausschlagen. Die besondere Buße (specialis poenitentia), die nur von einzelnen erfordert wird, die der Teufel von der Furcht Gottes weggerissen und in verderbliche Fesseln geschlagen hat, hebt also die gewöhnliche (ordinaria poenitentia) nicht auf, in der wir uns um der Verderbnis unserer Natur willen unser ganzes Leben lang mühen müssen.
III,3,19
Wenn es wahr ist – und das steht doch ganz deutlich fest! -, daß das ganze Evangelium wesentlich zwei Stücke umfaßt, nämlich Buße und Vergebung der Sünden, dann müssen wir auch ganz klar sehen, daß der Herr die Seinen eben dazu aus Gnaden rechtfertigt, daß er sie zugleich durch die Heiligung seines Geistes zu wahrer Gerechtigkeit neugestalte. Johannes, der Bote, der vor dem Angesicht Christi her gesandt wurde, um seine Wege zu bereiten (Matth. 11,10), der hat gepredigt: „Tut Buße, denn das Himmelreich ist nahe herbeigekommen:“ (Matth. 3,2). Wenn er zur Buße rief, so ermahnte er damit die Menschen, zu erkennen, daß sie Sünder waren und daß all ihr Wesen und Tun vor dem Herrn verdammt war, damit sie die Abtötung ihres Fleisches und die neue Wiedergeburt im Geiste von ganzem Herzen begehrten. Wenn er aber zugleich das Reich Gottes ankündigte, so rief er die Menschen damit zum Glauben; denn unter dem Reiche Gottes, das nach seiner Lehre „nahe herbeigekommen“ war, verstand er die Vergebung der Sünden, das Heil, das Leben und überhaupt alles, was wir in Christus gewinnen; deshalb lesen wir auch bei den anderen Evangelisten: „Johannes kam und predigte die Taufe der Buße zur Vergebung der Sünden“ (Mark. 1,4; Luk. 3,3). Was heißt das aber anders, als daß die Menschen, unter der Last ihrer Sünden bedrückt und ermattet, zum Herrn sich bekehren und die Hoffnung auf die Vergebung und das Heil gewinnen sollten? So hat auch Christus seine Reden damit angefangen: „Das Reich Gottes ist herbeigekommen. Tut Buße und glaubet an das Evangelium:“ (Mark. 1,15). Damit erklärt er zunächst, daß in ihm die Schatzkammern der Barmherzigkeit Gottes erschlossen sind, dann fordert er Buße und dann endlich das zuversichtliche Vertrauen auf Gottes Verheißungen. Wenn er also den ganzen Inhalt des Evangeliums kurz zusammenfassen wollte, so sagte er: „Also mußte Christus leiden und auferstehen von den Toten … und predigen lassen in seinem Namen Buße und Vergebung der Sünden …“ (Luk. 24,46. 47). Das haben auch die Apostel nach Christi Auferstehung verkündigt: Christus ist von Gott „erhöht … zu geben Israel Buße und Vergebung der Sünden“ (Apg. 5,31). Die Verkündigung der Buße im Namen Christi geschieht, wenn die Menschen durch die Lehre des Evangeliums vernehmen, daß all ihre Gedanken, ihre Regungen, ihre Vorsätze verderbt und sündig sind und daß sie deshalb notwendig neu geboren werden müssen, wenn sie in Gottes Reich eingehen wollen. Die Verkündigung der Sündenvergebung geschieht, wenn der Mensch gelehrt wird, daß Christus uns „gemacht ist“ zur Erlösung, zur Gerechtigkeit, zum Heil und zum Leben (1. Kor. 1,30, aber nicht genaues Zitat), daß wir in seinem Namen aus Gnaden vor Gottes Auge gerecht und unschuldig dastehen. Diese zwiefache Gnade wird im Glauben ergriffen, wie ich an anderer Stelle dargelegt habe; da nun aber der Glaube im eigentlichen Sinne an Gottes Güte hängt, aus der heraus wir die Vergebung der Sünden empfangen, so war es erforderlich, ihn von der Buße sorglich zu unterscheiden.
III,3,20
Nun öffnet uns der Haß gegen die Sünde, der ja der Anfang der Buße ist, den ersten Zugang zur Erkenntnis Christi; Christus offenbart sich allein elenden, geängstigten Sündern, die da seufzen, die sich abmühen, die beladen sind, die hungern und dürsten, die unter Schmerz und Jammer daniederliegen (Jes. 61,1; Matth. 11,5; Luk. 4,18). Ist es aber so, dann müssen wir uns eben nach dieser Buße ausstrecken, in ihr unser Leben lang uns üben, in ihr bis ans Ende beharren, wenn wir in Christus bleiben wollen. Denn er ist gekommen, die Sünder zu rufen – aber zur Buße! (Matth. 9,13). Er ist gekommen, um die Unwürdigen zu segnen – aber dazu, „daß ein jeglicher sich bekehre von seiner Bosheit“! (Apg. 3,26; 5,31). Die Schrift ist voll von Sprüchen dieser Art. Wo also Gott die Vergebung der Sünden anbietet, da pflegt er durchweg zugleich die Umkehr zu fordern. Er gibt damit zu verstehen, daß seine Barmherzigkeit für den Menschen Ursache zur Umkehr sein soll. So spricht er: „Haltet das Recht und tut Gerechtigkeit; denn mein Heil ist nahe …“ (Jes. 56,1). Oder: „Zion wird ein Erlöser kommen und denen, die sich bekehren von den Sünden in Jakob …“ (Jes. 59,20). Oder auch: „Suchet den Herrn, solange er zu finden ist, rufet ihn an, solange er nahe ist. Der Gottlose lasse von seinem Wege und der Übeltäter seine Gedanken und bekehre sich zum Herrn, so wird er sich sein erbarmen …“ (Jes. 55,6. 7). Oder endlich: „So tut nun Buße und bekehret euch, daß eure Sünden vertilgt werden!“ (Apg. 3,19). Dabei ist jedoch zu bemerken, daß die Hinzusetzung dieser Bedingung nicht etwa soviel bedeutet, als ob unsere Reue die Grundlage wäre, auf der wir uns die Vergebung verdienen könnten. Nein, der Herr hat eben dazu beschlossen, sich der Menschen zu erbarmen, daß sie ihre Sünde bereuen, und er zeigt ihnen in jener Bedingung die Richtung, die sie einnehmen müssen, wenn sie Gnade erlangen wollen. Solange wir nun also in dem Gefängnis unseres Leibes unsere Wohnstatt haben, sollen wir beständig mit den Lastern unserer verderbten Natur im Streite liegen, ja mit unserem ganzen natürlichen Sinn. Platon sagt gelegentlich – unter anderem vor allem an vielen Stellen im „Phaidon“ -, das ganze Leben eines Philosophen bestehe im Bedenken des Todes. Noch viel richtiger können wir sagen: das Leben eines Christenmenschen ist eine beständige, eifrige Übung darin, das Fleisch zu töten, bis es ganz gestorben ist und der Geist Gottes in uns die Herrschaft gewonnen hat. Nach meiner Überzeugung ist deshalb der am weitesten fortgeschritten, der es am besten gelernt hat, sich selbst zu mißfallen – freilich nicht etwa, um in diesem Sumpfe stecken zu bleiben und nicht weiter vorwärtszukommen, sondern vielmehr, um zu Gott hinzueilen, zu ihm zu seufzen, damit er als ein Mensch, der in Christi Tod und Leben eingeleibt ist, all sein Trachten auf beständige Buße richte. Bei einem Menschen, der wirklich von echtem Haß gegen die Sünde ergriffen ist, kann es ja gar nicht anders sein. Denn es hat nie ein Mensch die Sünde gehaßt, ohne daß ihn zuvor die Liebe zur Gerechtigkeit erfaßt hätte. Diese Ansicht war die allerschlichteste und sie schien mir dementsprechend auch mit der Wahrheit der Heiligen Schrift am besten übereinzustimmen.
Simon W.
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III,3,21
Daß ferner die Buße ein einzigartiges Geschenk Gottes ist, das ist nach meiner Meinung aus der bisherigen Darlegung so deutlich geworden, daß eine längere Erörterung nicht erneut vonnöten ist. Deshalb lobt und bewundert die Kirche Gottes Gnadengabe, daß er „auch den Heiden Buße gegeben” hat zum Heil (Apg. 11,18). Und Paulus befiehlt dem Timotheus Geduld und Sanftmut gegenüber den Ungläubigen und sagt: „Ob ihnen Gott dermaleinst Buße gebe … und sie wieder nüchtern würden aus des Teufels Strick …“ (2. Tim. 2,25f.). Gewiß stellt Gott fest, daß er die Bekehrung aller Menschen will, und er läßt seine Ermahnungen unterschiedslos an alle ergehen; daß sie aber zur Wirkung kommen, das hängt von dem Geiste der Wiedergeburt ab. Es wäre uns ja auch leichter, einen Menschen zu erschaffen, als aus eigenen Kräften eine bessere Natur anzunehmen. Deshalb heißen wir auch mit vollem Recht hinsichtlich des ganzen Geschehens der Wiedergeburt „Gottes Werk, geschaffen … zu guten Werken, zu welchen er uns zuvor bereitet hat, daß wir darin wandeln sollen“ (Eph. 2,10). Wen Gott aus dem Verderben herausreißen will, den macht er durch den Geist der Wiedergeburt lebendig. Das bedeutet nicht, daß etwa die Buße im eigentlichen Sinne die Ursache unseres Heils wäre; nein, es kommt daher, daß sie, wie wir bereits gesehen haben, vom Glauben und von der Barmherzigkeit Gottes nicht zu trennen ist; so bezeugt es ja auch Jesaja: „… Zion wird ein Erlöser kommen und denen, die sich bekehren von den Sünden in Jakob …“ (Jes. 59,20). Es steht freilich fest: Überall, wo die Furcht Gottes im Schwange geht, da ist der Heilige Geist zum Heil des Menschen wirksam gewesen. Deshalb fassen es bei Jesaja auch die Gläubigen, die darüber klagen und jammern, daß Gott sie verlassen habe, als Zeichen ihrer Verwerfung auf, daß Gott ihr Herz habe verstocken lassen (Jes. 63,17). Und auch der Apostel, der die Abtrünnigen von der Hoffnung auf das Heil ausschließen will, fügt als Grund noch hinzu: „Es ist unmöglich“, sie „wiederum zu erneuern zur Buße“ (Hebr. 6,4.6). Wenn nämlich Gott die Menschen erneuert, die er nicht verlorengehen lassen will, so gibt er damit ein Zeichen seiner väterlichen Gunst und zieht sie gewissermaßen mit den Strahlen seines hellen und freundlichen Angesichts zu sich; auf der anderen Seite aber trifft er die Verworfenen, deren gottloses Wesen unvergebbar ist, mit dem Wetterstrahl der Verstockung. Diese Art der Vergeltung kündigt der Apostel denen an, die mutwillig abfallen, die vom Glauben an das Evangelium weichen und auf diese Weise mit Gott ihr Spiel treiben, seine Gnade verächtlich von sich stoßen und Christi Blut für unrein achten und mit Füßen treten, (Hebr. 10,26-31) ja, soviel an ihnen ist, „den Sohn Gottes wiederum kreuzigen“ (Hebr. 6,6). Damit schneidet er nicht allen mutwilligen Sünden die Hoffnung auf Vergebung ab, wie einige Leute das meinen, die in verkehrter Weise hart sind. Nein, er lehrt, daß der Abfall keinerlei Entschuldigung verdient und daß es deshalb nicht verwunderlich ist, daß Gott mit unerbittlicher Strenge solche lästerliche Verachtung seiner Majestät rächt. Er sagt: „Es ist unmöglich, die, so einmal erleuchtet sind und geschmeckt haben die himmlische Gabe und teilhaftig geworden sind des Heiligen Geistes und geschmeckt haben das gütige Wort Gottes und die Kräfte der zukünftigen Welt, – wo sie abfallen, wiederum zu erneuern zur Buße, als die … den Sohn Gottes wiederum kreuzigen und für Spott halten“ (Hebr. 6,4-6). Ebenso sagt er an anderer Stelle: „Denn so wir mutwillig sündigen, nachdem wir die Erkenntnis der Wahrheit empfangen haben, haben wir fürder kein anderes Opfer mehr für die Sünden, sondern ein schreckliches Warten des Gerichts …“ (Hebr. 10,26ff.). Dies sind auch die Stellen, aus deren falschem Verständnis heraus vorzeiten die Novatianer zu ihrem Unsinn gekommen sind. Auf der anderen Seite gab es fromme Männer, die sich an der Härte dieser Aussagen stießen und die von da aus zu der Ansicht gelangt sind, der Hebräerbrief sei unecht – obwohl er doch in jeder Hinsicht den apostolischen Geist wirklich verspüren läßt. Wir haben aber hier nur mit solchen Leuten zu streiten, die diesen Brief anerkennen; da ist es nun aber leicht zu zeigen, wie rein gar nichts die angegebenen Sprüche zur Unterstützung ihres Irrtums beitragen. Zunächst muß doch der Apostel notwendig mit seinem Meister einig gehen; und dieser versichert, daß jede Sünde und Lästerung vergeben werden wird, außer der Sünde wider den Heiligen Geist, die weder in dieser Welt, noch in der zukünftigen vergeben wird (Matth. 12,31f.; Mark. 3,28f.; Luk. 12,10). Mit dieser einzigen Ausnahme hat sich auch der Apostel ganz sicher begnügt – es sei denn, daß wir ihn zum Widersacher der Gnade Christi machen wollten! Daraus aber ergibt sich, daß keiner einzelnen Sünde die Vergebung versagt wird, mit Ausnahme der einzigen, die aus hoffnungsloser Raserei herkommt und nicht der Schwachheit zugeschrieben werden kann und die es ganz deutlich offenbart, daß der betreffende Mensch vom Teufel besessen ist.
III,3,22
Um dies aber näher zu entfalten, müssen wir fragen, was denn jener furchtbare Frevel sei, der keine Vergebung finden soll. Augustin versteht darunter gelegentlich den verbohrten Starrsinn, den ein Mensch bis zu seinem Tode beibehält, und zugleich den gänzlichen Mangel des Vertrauens auf die Vergebung. Aber diese Ansicht paßt nicht genug zu den Worten Christi. Christus sagt, es würde diese Sünde „in dieser Welt“ nicht vergeben werden. Wenn das nicht ohne Sinn sein soll, so muß diese Sünde in diesem Leben begangen werden können. Stimmt dagegen die Ansicht des Augustin, so kann diese Sünde nur ganz getan werden, wenn der Mensch in ihr bis zu seinem Tode verharrt. Andere sagen, die Sünde wider den Heiligen Geist bestehe darin, daß man einen Bruder um die ihm widerfahrene Gnade beneide; aber ich vermag nicht einzusehen, woher man diese Anschauung haben will. Ich will aber eine rechte Deutung hierhersetzen; habe ich diese mit zuverlässigen Schriftzeugnissen begründet, so erledigen sich die anderen alle von selbst. Ich verstehe es also folgendermaßen: Wider den Heiligen Geist sündigt der, der von dem Glanz der göttlichen Wahrheit dermaßen getroffen ist, daß er sich nicht mehr mit Unwissenheit entschuldigen kann – und der dann doch dieser Wahrheit in absichtlicher Bosheit sich widersetzt, und zwar einzig und allein, um ihr Widerstand zu leisten. Christus will ja selbst erläutern, was er gesagt hat, und setzt deshalb gleich hinzu: „Wer etwas redet wider des Menschen Sohn, dem wird es vergeben; aber wer etwas redet wider den Heiligen Geist, dem wird’s nicht vergeben …“ (Matth. 12,32; Mark. 3,29; Luk. 12,10). Matthäus setzt hier (nach einer freilich nicht zuverlässigen Lesart) für Lästerung des Geistes „Geist der Lästerung“. Wie kann nun aber jemand den Sohn schmähen, ohne damit zugleich den Heiligen Geist zu treffen? Das ist zweifellos dann der Fall, wenn jemand Gottes Wahrheit noch nicht kennt und sich unwissend an ihr stößt, wenn jemand Christus unwissend lästert, aber zugleich doch so gesinnt ist, daß er Gottes Wahrheit nicht auslöschen wollte, wenn sie ihm offenbar wäre, und daß er den, den er als den Christus des Herrn erkennte, auch nicht mit einem einzigen Worte verletzen wollte; um wen es so steht, der sündigt wider den Vater und wider den Sohn. Solcher Art Leute gibt es heute viel: sie verfluchen die Lehre des Evangeliums auf das allerschändlichste – und doch wären sie bereit, sie von ganzem Herzen hochzuhalten, wenn sie erkennten, daß es die Lehre des Evangeliums wäre. Wer nun aber in seinem Gewissen davon überführt ist, daß es Gottes Wort ist, was er von sich weist und bekämpft, und wer dabei trotzdem nicht aufhört, es zu bestreiten, von dem heißt es: er lästert gegen den Heiligen Geist; denn er streitet gegen die Erleuchtung, die doch das Werk des Heiligen Geistes ist. Solcher Menschen gab es unter den Juden einige: sie vermochten dem Geist, der durch Stephanus redete, nicht zu widerstehen – und doch widerstanden sie mit Absicht! (Apg. 6,10). Nun ist es freilich außer Zweifel, daß viele von ihnen vom Eifer um das Gesetz dazu hingerissen wurden; aber augenscheinlich gab es auch solche unter ihnen, die in böser Gottlosigkeit gegen Gott selber wüteten, das heißt: gegen die Lehre, von der sie sehr wohl wußten, daß sie von Gott war. Von derselben Art waren auch die Pharisäer selbst, gegen die der Herr sich so scharf wendet: um die Kraft des Heiligen Geistes zunichte zu machen, belegten sie sie verleumderisch mit dem Namen des Beelzebub (Matth. 9,34; 12,24). Da ist also der „Geist der Lästerung“ am Werk, wo die Vermessenheit des Menschen mit voller Absicht zur Schmähung des Namens Gottes sich hinreißen läßt. Das deutet auch Paulus an: er sagt, ihm sei „Barmherzigkeit widerfahren“, weil er das, was ihn sonst der Gnade des Herrn unwürdig gemacht hätte, „unwissend” und „im Unglauben“ getan hätte (1. Tim. 1,13). Stand also neben dem Unglauben die Unwissenheit, so bewirkte das, daß Paulus Vergebung erlangte; daraus folgt aber: tritt zum Unglauben das Wissen hinzu, so ist für Vergebung kein Raum mehr.
III,3,23
Wenn man nun genau zusieht, so wird man merken, daß der Apostel (im Hebräerbrief) nicht von einem einzelnen Fall oder zweien redet, sondern von dem allgemeinen Abfall, in welchem die Verworfenen das Heil von sich stoßen. Es handelt sich um Leute, von denen Johannes in seinem ersten Briefe erklärt, sie seien von den Auserwählten ausgegangen, ohne indessen von ihnen zu sein (1. Joh. 2,19). Daß sie nun Gott unversöhnlich finden, nimmt nicht wunder. Denn der Apostel wendet sich gegen solche, die sich einbildeten, ihren Weg zur christlichen Religion zurückfinden zu können, wenn sie auch einmal von ihr abgefallen wären. Diese Leute ruft er von ihrer falschen, gefährlichen Meinung zurück und sagt ihnen, was auch in höchstem Maße Wahrheit ist: Wer Christi Gemeinschaft mit Wissen und Willen von sich geworfen hat, dem steht kein Rückweg zu ihr offen. Das gilt aber nun nicht einfach von solchen Menschen, die in zuchtlosem Mutwillen ihres Lebens das Wort Gottes übertreten, sondern von solchen, die des Wortes ganze Lehre mit voller Absicht verwerfen. Die Worte „Abfallen“ und „Sündigen“ (Hebr. 6,6; 10,26) hat man also falsch aufgefaßt; die Novatianer verstehen unter „Abfallen“ folgendes: es hat jemand aus dem Gesetz des Herrn die Lehre empfangen, daß er nicht stehlen und nicht ehebrechen soll – und er läßt doch nicht vom Diebstahl und vom Ehebruch. Ich behaupte dagegen: in dem Wort „Abfallen“ (in Hebr. 6,6) ist ein stillschweigender Gegensatz mitbeschlossen; darin wird alles noch einmal aufgenommen, was zu dem vorher Gesagten (Hebr. 6,4f.) im Gegensatz steht (d. h. also: Abfall ist das Nein zu all den Gaben, die der Gläubige nach Hebr. 6,4f. empfangen hat!). So ist also hier nicht von irgendeiner besonderen Freveltat die Rede, sondern von der allgemeinen Abwendung von Gott und sozusagen der Abtrünnigkeit des ganzen Menschen, wenn der Apostel also vom Abfall solcher Menschen spricht, „so einmal erleuchtet sind und haben geschmeckt die himmlische Gabe und teilhaftig geworden sind des Heiligen Geistes und geschmeckt haben das gütige Wort Gottes und die Kräfte der zukünftigen Welt“ (Hebr. 6,4f.), so haben wir darunter Leute zu verstehen, die das Licht des Geistes in bewußter Gottlosigkeit ausgelöscht, das Schmecken der himmlischen Gabe verachtet, sich von der Heiligung des Geistes entfremdet und das Wort Gottes und die Kräfte der zukünftigen Welt mit Füßen getreten haben. Um diese klare Bewußtheit solchen gottlosen Wesens noch deutlicher zum Ausdruck zu bringen, fügt er nachher an der anderen Stelle ausdrücklich das Wörtchen „mutwillig“ (Hebr. 10,26) hinzu. Er sagt da: „So wir mutwillig sündigen, nachdem wir die Erkenntnis der Wahrheit empfangen haben, haben wir fürder kein anderes Opfer mehr für die Sünden“ (Hebr. 10,26). Damit leugnet er nicht etwa, daß Christus ein beständiges Opfer ist, um die Sünden der Heiligen zu sühnen – er setzt ja im ganzen Briefe auseinander, wie es um Christi Priestertum beschaffen sei, und da gibt er jener Tatsache sehr ausführlich Ausdruck! -; hier aber sagt er, daß, wenn man von diesem Opfer abgewichen ist, sonst keines mehr bleibt. Solches Abweichen vom Opfer Christi aber geschieht, wenn man in voller Absicht die Wahrheit des Evangeliums ableugnet.
Daß ferner die Buße ein einzigartiges Geschenk Gottes ist, das ist nach meiner Meinung aus der bisherigen Darlegung so deutlich geworden, daß eine längere Erörterung nicht erneut vonnöten ist. Deshalb lobt und bewundert die Kirche Gottes Gnadengabe, daß er „auch den Heiden Buße gegeben” hat zum Heil (Apg. 11,18). Und Paulus befiehlt dem Timotheus Geduld und Sanftmut gegenüber den Ungläubigen und sagt: „Ob ihnen Gott dermaleinst Buße gebe … und sie wieder nüchtern würden aus des Teufels Strick …“ (2. Tim. 2,25f.). Gewiß stellt Gott fest, daß er die Bekehrung aller Menschen will, und er läßt seine Ermahnungen unterschiedslos an alle ergehen; daß sie aber zur Wirkung kommen, das hängt von dem Geiste der Wiedergeburt ab. Es wäre uns ja auch leichter, einen Menschen zu erschaffen, als aus eigenen Kräften eine bessere Natur anzunehmen. Deshalb heißen wir auch mit vollem Recht hinsichtlich des ganzen Geschehens der Wiedergeburt „Gottes Werk, geschaffen … zu guten Werken, zu welchen er uns zuvor bereitet hat, daß wir darin wandeln sollen“ (Eph. 2,10). Wen Gott aus dem Verderben herausreißen will, den macht er durch den Geist der Wiedergeburt lebendig. Das bedeutet nicht, daß etwa die Buße im eigentlichen Sinne die Ursache unseres Heils wäre; nein, es kommt daher, daß sie, wie wir bereits gesehen haben, vom Glauben und von der Barmherzigkeit Gottes nicht zu trennen ist; so bezeugt es ja auch Jesaja: „… Zion wird ein Erlöser kommen und denen, die sich bekehren von den Sünden in Jakob …“ (Jes. 59,20). Es steht freilich fest: Überall, wo die Furcht Gottes im Schwange geht, da ist der Heilige Geist zum Heil des Menschen wirksam gewesen. Deshalb fassen es bei Jesaja auch die Gläubigen, die darüber klagen und jammern, daß Gott sie verlassen habe, als Zeichen ihrer Verwerfung auf, daß Gott ihr Herz habe verstocken lassen (Jes. 63,17). Und auch der Apostel, der die Abtrünnigen von der Hoffnung auf das Heil ausschließen will, fügt als Grund noch hinzu: „Es ist unmöglich“, sie „wiederum zu erneuern zur Buße“ (Hebr. 6,4.6). Wenn nämlich Gott die Menschen erneuert, die er nicht verlorengehen lassen will, so gibt er damit ein Zeichen seiner väterlichen Gunst und zieht sie gewissermaßen mit den Strahlen seines hellen und freundlichen Angesichts zu sich; auf der anderen Seite aber trifft er die Verworfenen, deren gottloses Wesen unvergebbar ist, mit dem Wetterstrahl der Verstockung. Diese Art der Vergeltung kündigt der Apostel denen an, die mutwillig abfallen, die vom Glauben an das Evangelium weichen und auf diese Weise mit Gott ihr Spiel treiben, seine Gnade verächtlich von sich stoßen und Christi Blut für unrein achten und mit Füßen treten, (Hebr. 10,26-31) ja, soviel an ihnen ist, „den Sohn Gottes wiederum kreuzigen“ (Hebr. 6,6). Damit schneidet er nicht allen mutwilligen Sünden die Hoffnung auf Vergebung ab, wie einige Leute das meinen, die in verkehrter Weise hart sind. Nein, er lehrt, daß der Abfall keinerlei Entschuldigung verdient und daß es deshalb nicht verwunderlich ist, daß Gott mit unerbittlicher Strenge solche lästerliche Verachtung seiner Majestät rächt. Er sagt: „Es ist unmöglich, die, so einmal erleuchtet sind und geschmeckt haben die himmlische Gabe und teilhaftig geworden sind des Heiligen Geistes und geschmeckt haben das gütige Wort Gottes und die Kräfte der zukünftigen Welt, – wo sie abfallen, wiederum zu erneuern zur Buße, als die … den Sohn Gottes wiederum kreuzigen und für Spott halten“ (Hebr. 6,4-6). Ebenso sagt er an anderer Stelle: „Denn so wir mutwillig sündigen, nachdem wir die Erkenntnis der Wahrheit empfangen haben, haben wir fürder kein anderes Opfer mehr für die Sünden, sondern ein schreckliches Warten des Gerichts …“ (Hebr. 10,26ff.). Dies sind auch die Stellen, aus deren falschem Verständnis heraus vorzeiten die Novatianer zu ihrem Unsinn gekommen sind. Auf der anderen Seite gab es fromme Männer, die sich an der Härte dieser Aussagen stießen und die von da aus zu der Ansicht gelangt sind, der Hebräerbrief sei unecht – obwohl er doch in jeder Hinsicht den apostolischen Geist wirklich verspüren läßt. Wir haben aber hier nur mit solchen Leuten zu streiten, die diesen Brief anerkennen; da ist es nun aber leicht zu zeigen, wie rein gar nichts die angegebenen Sprüche zur Unterstützung ihres Irrtums beitragen. Zunächst muß doch der Apostel notwendig mit seinem Meister einig gehen; und dieser versichert, daß jede Sünde und Lästerung vergeben werden wird, außer der Sünde wider den Heiligen Geist, die weder in dieser Welt, noch in der zukünftigen vergeben wird (Matth. 12,31f.; Mark. 3,28f.; Luk. 12,10). Mit dieser einzigen Ausnahme hat sich auch der Apostel ganz sicher begnügt – es sei denn, daß wir ihn zum Widersacher der Gnade Christi machen wollten! Daraus aber ergibt sich, daß keiner einzelnen Sünde die Vergebung versagt wird, mit Ausnahme der einzigen, die aus hoffnungsloser Raserei herkommt und nicht der Schwachheit zugeschrieben werden kann und die es ganz deutlich offenbart, daß der betreffende Mensch vom Teufel besessen ist.
III,3,22
Um dies aber näher zu entfalten, müssen wir fragen, was denn jener furchtbare Frevel sei, der keine Vergebung finden soll. Augustin versteht darunter gelegentlich den verbohrten Starrsinn, den ein Mensch bis zu seinem Tode beibehält, und zugleich den gänzlichen Mangel des Vertrauens auf die Vergebung. Aber diese Ansicht paßt nicht genug zu den Worten Christi. Christus sagt, es würde diese Sünde „in dieser Welt“ nicht vergeben werden. Wenn das nicht ohne Sinn sein soll, so muß diese Sünde in diesem Leben begangen werden können. Stimmt dagegen die Ansicht des Augustin, so kann diese Sünde nur ganz getan werden, wenn der Mensch in ihr bis zu seinem Tode verharrt. Andere sagen, die Sünde wider den Heiligen Geist bestehe darin, daß man einen Bruder um die ihm widerfahrene Gnade beneide; aber ich vermag nicht einzusehen, woher man diese Anschauung haben will. Ich will aber eine rechte Deutung hierhersetzen; habe ich diese mit zuverlässigen Schriftzeugnissen begründet, so erledigen sich die anderen alle von selbst. Ich verstehe es also folgendermaßen: Wider den Heiligen Geist sündigt der, der von dem Glanz der göttlichen Wahrheit dermaßen getroffen ist, daß er sich nicht mehr mit Unwissenheit entschuldigen kann – und der dann doch dieser Wahrheit in absichtlicher Bosheit sich widersetzt, und zwar einzig und allein, um ihr Widerstand zu leisten. Christus will ja selbst erläutern, was er gesagt hat, und setzt deshalb gleich hinzu: „Wer etwas redet wider des Menschen Sohn, dem wird es vergeben; aber wer etwas redet wider den Heiligen Geist, dem wird’s nicht vergeben …“ (Matth. 12,32; Mark. 3,29; Luk. 12,10). Matthäus setzt hier (nach einer freilich nicht zuverlässigen Lesart) für Lästerung des Geistes „Geist der Lästerung“. Wie kann nun aber jemand den Sohn schmähen, ohne damit zugleich den Heiligen Geist zu treffen? Das ist zweifellos dann der Fall, wenn jemand Gottes Wahrheit noch nicht kennt und sich unwissend an ihr stößt, wenn jemand Christus unwissend lästert, aber zugleich doch so gesinnt ist, daß er Gottes Wahrheit nicht auslöschen wollte, wenn sie ihm offenbar wäre, und daß er den, den er als den Christus des Herrn erkennte, auch nicht mit einem einzigen Worte verletzen wollte; um wen es so steht, der sündigt wider den Vater und wider den Sohn. Solcher Art Leute gibt es heute viel: sie verfluchen die Lehre des Evangeliums auf das allerschändlichste – und doch wären sie bereit, sie von ganzem Herzen hochzuhalten, wenn sie erkennten, daß es die Lehre des Evangeliums wäre. Wer nun aber in seinem Gewissen davon überführt ist, daß es Gottes Wort ist, was er von sich weist und bekämpft, und wer dabei trotzdem nicht aufhört, es zu bestreiten, von dem heißt es: er lästert gegen den Heiligen Geist; denn er streitet gegen die Erleuchtung, die doch das Werk des Heiligen Geistes ist. Solcher Menschen gab es unter den Juden einige: sie vermochten dem Geist, der durch Stephanus redete, nicht zu widerstehen – und doch widerstanden sie mit Absicht! (Apg. 6,10). Nun ist es freilich außer Zweifel, daß viele von ihnen vom Eifer um das Gesetz dazu hingerissen wurden; aber augenscheinlich gab es auch solche unter ihnen, die in böser Gottlosigkeit gegen Gott selber wüteten, das heißt: gegen die Lehre, von der sie sehr wohl wußten, daß sie von Gott war. Von derselben Art waren auch die Pharisäer selbst, gegen die der Herr sich so scharf wendet: um die Kraft des Heiligen Geistes zunichte zu machen, belegten sie sie verleumderisch mit dem Namen des Beelzebub (Matth. 9,34; 12,24). Da ist also der „Geist der Lästerung“ am Werk, wo die Vermessenheit des Menschen mit voller Absicht zur Schmähung des Namens Gottes sich hinreißen läßt. Das deutet auch Paulus an: er sagt, ihm sei „Barmherzigkeit widerfahren“, weil er das, was ihn sonst der Gnade des Herrn unwürdig gemacht hätte, „unwissend” und „im Unglauben“ getan hätte (1. Tim. 1,13). Stand also neben dem Unglauben die Unwissenheit, so bewirkte das, daß Paulus Vergebung erlangte; daraus folgt aber: tritt zum Unglauben das Wissen hinzu, so ist für Vergebung kein Raum mehr.
III,3,23
Wenn man nun genau zusieht, so wird man merken, daß der Apostel (im Hebräerbrief) nicht von einem einzelnen Fall oder zweien redet, sondern von dem allgemeinen Abfall, in welchem die Verworfenen das Heil von sich stoßen. Es handelt sich um Leute, von denen Johannes in seinem ersten Briefe erklärt, sie seien von den Auserwählten ausgegangen, ohne indessen von ihnen zu sein (1. Joh. 2,19). Daß sie nun Gott unversöhnlich finden, nimmt nicht wunder. Denn der Apostel wendet sich gegen solche, die sich einbildeten, ihren Weg zur christlichen Religion zurückfinden zu können, wenn sie auch einmal von ihr abgefallen wären. Diese Leute ruft er von ihrer falschen, gefährlichen Meinung zurück und sagt ihnen, was auch in höchstem Maße Wahrheit ist: Wer Christi Gemeinschaft mit Wissen und Willen von sich geworfen hat, dem steht kein Rückweg zu ihr offen. Das gilt aber nun nicht einfach von solchen Menschen, die in zuchtlosem Mutwillen ihres Lebens das Wort Gottes übertreten, sondern von solchen, die des Wortes ganze Lehre mit voller Absicht verwerfen. Die Worte „Abfallen“ und „Sündigen“ (Hebr. 6,6; 10,26) hat man also falsch aufgefaßt; die Novatianer verstehen unter „Abfallen“ folgendes: es hat jemand aus dem Gesetz des Herrn die Lehre empfangen, daß er nicht stehlen und nicht ehebrechen soll – und er läßt doch nicht vom Diebstahl und vom Ehebruch. Ich behaupte dagegen: in dem Wort „Abfallen“ (in Hebr. 6,6) ist ein stillschweigender Gegensatz mitbeschlossen; darin wird alles noch einmal aufgenommen, was zu dem vorher Gesagten (Hebr. 6,4f.) im Gegensatz steht (d. h. also: Abfall ist das Nein zu all den Gaben, die der Gläubige nach Hebr. 6,4f. empfangen hat!). So ist also hier nicht von irgendeiner besonderen Freveltat die Rede, sondern von der allgemeinen Abwendung von Gott und sozusagen der Abtrünnigkeit des ganzen Menschen, wenn der Apostel also vom Abfall solcher Menschen spricht, „so einmal erleuchtet sind und haben geschmeckt die himmlische Gabe und teilhaftig geworden sind des Heiligen Geistes und geschmeckt haben das gütige Wort Gottes und die Kräfte der zukünftigen Welt“ (Hebr. 6,4f.), so haben wir darunter Leute zu verstehen, die das Licht des Geistes in bewußter Gottlosigkeit ausgelöscht, das Schmecken der himmlischen Gabe verachtet, sich von der Heiligung des Geistes entfremdet und das Wort Gottes und die Kräfte der zukünftigen Welt mit Füßen getreten haben. Um diese klare Bewußtheit solchen gottlosen Wesens noch deutlicher zum Ausdruck zu bringen, fügt er nachher an der anderen Stelle ausdrücklich das Wörtchen „mutwillig“ (Hebr. 10,26) hinzu. Er sagt da: „So wir mutwillig sündigen, nachdem wir die Erkenntnis der Wahrheit empfangen haben, haben wir fürder kein anderes Opfer mehr für die Sünden“ (Hebr. 10,26). Damit leugnet er nicht etwa, daß Christus ein beständiges Opfer ist, um die Sünden der Heiligen zu sühnen – er setzt ja im ganzen Briefe auseinander, wie es um Christi Priestertum beschaffen sei, und da gibt er jener Tatsache sehr ausführlich Ausdruck! -; hier aber sagt er, daß, wenn man von diesem Opfer abgewichen ist, sonst keines mehr bleibt. Solches Abweichen vom Opfer Christi aber geschieht, wenn man in voller Absicht die Wahrheit des Evangeliums ableugnet.
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III,3,24
Manche Leute meinen nun, es sei allzu hart und der Freundlichkeit Gottes völlig fremd, daß Menschen, die ihre Zuflucht dazu nähmen, Gottes Barmherzigkeit anzurufen, gänzlich von aller Vergebung ausgeschlossen werden sollten. Doch dies läßt sich leicht klarstellen. Der Apostel behauptet ja gar nicht, daß diesen Menschen die Vergebung verweigert werden würde, wenn sie sich zu dem Herrn bekehren sollten; er leugnet jedoch durchaus, daß sie sich überhaupt noch zur Buße aufmachen könnten: sie sind ja um ihrer Undankbarkeit willen bereits durch Gottes gerechtes Gericht mit ewiger Blindheit geschlagen. Dem steht nicht im Wege, daß der Apostel in diesem Zusammenhang nachher das Beispiel des Esau heranzieht, der unter Tränen und Wehklagen vergebens versuchte, das verlorene Erstgeburtsrecht wiederzuerlangen. Ebensowenig steht dem das Drohwort des Propheten entgegen: „Ich wollte auch nicht hören, da sie riefen …“ (Sach. 7,13). Denn mit derartigen Ausdrücken wird nicht etwa die wahre Bekehrung oder die wahre Anrufung Gottes beschrieben, sondern vielmehr jene Angst der Gottlosen, in der sie, in die äußerste Not hineinverstrickt, gezwungenermaßen auf das blicken, was sie zuvor so sicher von sich gewiesen haben, nämlich eben dies, daß sie einzig und allein in der Hilfe des Herrn etwas Gutes empfangen können. Eben diese Hilfe des Herrn aber rufen sie nicht eigentlich an, sondern sie seufzen darüber, daß sie ihnen entzogen ist. Wenn der Prophet vom „Rufen“ (Sach. 7,13) und der Apostel von „Tränen“ (Hebr. 12,17) redet, so meinen sie nämlich beide das gleiche: diese namenlose Not, die die Gottlosen aus ihrer Verzweiflung heraus empfinden und die sie brennt und quält. Das letztere sollten wir uns schon sehr genau merken; denn sonst würde Gott ja mit sich selber in Widerspruch geraten: hat er doch durch den Propheten sagen lassen, sobald sich der Gottlose bekehre, werde er ihm gnädig sein (Ez. 18,21ff.). Es ist doch auch, wie ich bereits dargelegt habe, gewiß, daß der Sinn des Menschen nur dadurch zum Besseren gewandelt wird, daß Gottes Gnade ihm zuvorgekommen ist. Auch hinsichtlich der Anrufung wird Gottes Verheißung niemals trügen; aber diese blinde Qual, die die Verworfenen zerreißt, würde doch nur uneigentlich als Bekehrung oder als Anrufung Gottes bezeichnet werden können, diese Qual, die daraus entsteht, daß sie wohl sehen, sie müßten Gott suchen, um Heilung von ihren Nöten zu finden – und doch den Zugang zu ihm fliehen!
III,3,25
Wenn nun der Apostel bestreitet, daß Gott durch erheuchelte Buße versöhnt werden könne, so erhebt sich aber die Frage, wieso denn Ahab Vergebung erlangt und die ihm angedrohte Strafe von sich abgewandt habe (1. Kön. 21,28f.). Aus dem weiteren Verlauf seines Lebens geht doch ganz klar hervor, daß er dabei bloß von plötzlicher Angst erschüttert war. Gewiß, er legte einen Sack um, er bestreute sich mit Asche, er setzte sich auf die Erde (1. Kön. 21,27) und, wie es von ihm bezeugt wird, er demütigte sich vor Gott – aber es war ja doch ein Geringes, die Kleider zu zerreißen, wenn das Herz unterdessen verhärtet und von Bosheit geschwellt blieb! Trotzdem gewahren wir, daß sich Gott zur Güte bewegen läßt. Ich beantworte diese Frage so: zuweilen erfahren die Heuchler tatsächlich eine Zeitlang solche Schonung, aber doch so, daß Gottes Zorn immerfort auf ihnen ruht; und dies geschieht nicht um ihrer selbst willen, sondern als öffentliches Beispiel. Was hat auch Ahab selbst für einen Nutzen davon gehabt, daß ihm die Strafe gemildert wurde? Doch einzig den, daß er sie nicht verspürte, solange er auf Erden lebte! So hat Gottes Fluch, wenn auch verborgen, seine feste Wohnstatt in seinem Hause gehabt, er selbst aber ist in das ewige Verderben gefahren. Das gleiche ist auch an Esau zu bemerken: er mußte sich zwar eine Abweisung gefallen lassen, aber auf seine Tränen hin wurde ihm doch ein zeitlicher Segen gewährt (Gen. 27,40; Calvin nennt Gen. 27,18f.). Aber nach Gottes Offenbarungswort konnte das geistliche Erbe nur bei einem der Brüder ruhen; wurde also Esau übergangen und Jakob erwählt, so schloß diese Verwerfung das Erbarmen Gottes aus; nur dieser eine Trost blieb ihm als einem fleischlich gesinnten Menschen noch übrig, daß er sich an der „Fettigkeit der Erde“ und am „Tau des Himmels“ weiden sollte (Verwechslung mit dem an Jakob erteilten Segen Gen. 27,28). Hier können wir auch verstehen, was es bedeutet, wenn ich oben sagte, dies müsse als Beispiel für andere Menschen dienen: wir sollen lernen, um so eifriger unser Sinnen und Trachten darauf zu richten, rechtschaffene Buße zu tun; denn es steht außer jedem Zweifel, daß Gott gern bereit ist, denen zu vergeben, die sich wahrhaftig und von Herzen zu ihm bekehren: seine Güte wird auch ganz Unwürdigen zuteil, wenn sie nur ein wenig erkennen lassen, daß sie sich selbst mißfallen. Das gleiche Beispiel aber lehrt uns auch, welch ein schreckliches Gericht alle Halsstarrigen zu erwarten haben, die es für lauter Spiel halten, Gottes Drohungen mit schamloser Frechheit und ehernem Herzen zu verschmähen und für nichts zu achten. Auf diese Weise hat Gott den Kindern Israels gar oft die Hand gereicht, um ihrer Not ein Ende zu machen, obwohl ihr Schreien erheuchelt und ihr Sinn zerteilt und treulos war, wie er ja auch in einem Psalm klagt, daß sie gar bald zu ihrer vorigen Lebensart sich zurückwandten (Psalm 7S,36ff. 57). Durch solche freundliche Güte wollte er sie also zu ernstlicher Bekehrung leiten – oder aber sie unentschuldbar machen. Denn wenn er auch eine Zeitlang die Strafe nachläßt, so legt er sich damit kein bleibendes Gesetz auf; nein, er wendet sich zu Zeiten nur mit um so größerer Strenge gegen die Heuchler und verdoppelt die Strafen, damit daraus deutlich werde, wie sehr ihm die Heuchelei zuwider ist. Aber, wie gesagt, er zeigt auch gewisse Beispiele seiner freundlichen Geneigtheit zur Vergebung; dadurch sollen die Frommen dazu ermuntert werden, ihr Leben zu bessern, und es soll zugleich der Hochmut derer um so schärfer verdammt werden, die in ihrer Halsstarrigkeit wider den Stachel locken.
Viertes Kapitel: Alles, was sich die Klüglinge in ihren Schulen von der Buße zusammenschwatzen, ist sehr weit von der Reinheit des Evangeliums entfernt. Hier ist auch von der Beichte und der Genugtuung zu sprechen
III,4,1
Jetzt komme ich dazu, die Lehre der Klüglinge, der Scholastiker, von der Buße einer näheren Betrachtung zu unterziehen. Ich will mich dabei so kurz fassen, wie es eben angeht; denn ich habe nicht im Sinne, alles durchzugehen, um dies Buch, das ich doch gern als zusammenfassendes Lehrbuch einrichten möchte, nicht ins Ungemessene wachsen zu lassen. Die Scholastiker haben diesen Fragenkreis, obwohl er an sich keineswegs verwickelt ist, in so viele Bände eingewickelt, daß man nicht eben leicht herauskommen kann, wenn man sich auch nur wenig in ihren Dreck hineinbegibt. Zunächst also: bei ihrem Versuch, die Buße zu beschreiben, zeigen sie mit voller Klarheit, daß sie nie und nimmer begriffen haben, was überhaupt darunter zu verstehen ist. Sie ziehen nämlich einige Aussprüche aus den Büchern der alten Kirchenlehrer heran – die die Kraft der Buße überhaupt nicht zum Ausdruck bringen. So zum Beispiel: Buße tun bedeutet, die vergangenen Sünden zu beweinen und dergleichen nicht zu begehen, was man einst beweinen müßte (Diese erste Umschreibung findet sich bei Gregor I. und ist mitgeteilt bei Petrus Lombardus, Sentenzen IV,14,1). Oder man zieht den Satz heran: Buße tun bedeutet: die vergangenen bösen Werke beklagen und wiederum dergleichen nicht begehen, was zu beklagen ist. (Dieser zweite Satz steht bei [Pseudo-]Ambrosius und ist verwertet bei Petrus Lombardus, Sentenzen IV,14,1 und im Decretum Gratiani II, Von der Buße 3,1). Oder man verwendet als dritten Satz: die Buße ist gewissermaßen eine schmerzhafte Rache, bei der der Mensch an sich selber das straft, was er zu seinem eigenen Schmerz begangen hat. (Stammt von [Pseudo-] Augustin, Von der wahren und der falschen Buße, 8,22 und ist aufgenommen im Decretum Gratiani II, von der Buße 3,4). Zum vierten nimmt man auf die Erklärung Bezug: die Buße ist ein Schmerz im Herzen und eine Bitterkeit in der Seele, um der bösen Werke willen, die einer begangen oder denen er zugestimmt hat. (Von [Pseudo-]Ambrosius, verwendet im Decretum Gratiani II, von der Buße,1,39). Wir wollen nun zugeben, daß diese Erklärungen von den Kirchenvätern ganz gut ausgesprochen sind – obwohl ein zänkischer Mensch auch dies unschwer bestreiten könnte! -; aber diese Sätze hatten doch gar nicht den Zweck, die Buße zu definieren, sondern die Kirchenväter wollten damit bloß die Ihrigen ermahnen, nicht von neuem in die Übeltaten zu verfallen, aus denen sie herausgerissen waren! Wollte man alle Aussprüche dieser Art in Begriffsbestimmungen verwandeln, so müßte man mit dem gleichen Recht auch andere noch zufügen. So sagt Chrysostomus (Predigt von der Buße 7,1): „Die Buße ist eine Arznei, welche die Sünde auslöscht, eine Gabe, die uns vom Himmel geschenkt ist, eine wundersame Kraft, sie ist eine Gnade, welche die Kraft der Gesetze überwindet.“ Nun müssen wir aber weiterhin bemerken, daß die Lehre, die die Scholastiker an jene Kirchenväterzitate anschließen, wesentlich übler ist, als jene (angeblichen) Begriffsbestimmungen selbst. Sie haben sich nämlich dermaßen in äußerliche Übungen hineinverbissen, daß man aus ihren unermeßlichen Bänden nichts anderes entnehmen kann als dies: die Buße sei Zucht und harte Übung, die teils dazu diene, das Fleisch zu zähmen, teils auch dazu, die Laster mit Züchtigung zu strafen. Über die innere Erneuerung des Sinnes, welche die wahre Besserung des Lebens mit sich bringt herrscht ein merkwürdiges Schweigen! Von der Zerknirschung (contritio) und der Niedergeschlagenheit (attritio) ist zwar sehr viel bei ihnen die Rede; sie quälen die Seelen mit gar vielen Zweifeln, richten auch viel Mühsal und Angst an; aber wenn sie dann eben den Eindruck erweckt haben, als hätten sie das Herz im Tiefsten verwundet, dann besprengen sie es leicht mit ihren Zeremonien – und die ganze Bitterkeit ist geheilt! Wenn sie nun die Buße dermaßen scharfsinnig definiert haben, dann teilen sie sie ein, und zwar in Zerknirschung des Herzens (contritio cordis), Bekenntnis mit dem Munde (Beichte, confessio oris) und Genugtuung mit Werken (satisfactio operis) (Sentenzen IV,16,1, Decretum Gratiani II, von der Buße 1,40). Aber diese Einteilung ist ebensowenig gedanklich in Ordnung, wie die zuvor gegebene Definition. Und dabei wollen sie doch den Eindruck erwecken, als ob sie ihr ganzes Leben mit der Aufstellung von Schlußfolgerungen zugebracht hätten! Nun könnte aber jemand hergehen und aus ihrer Begriffsbestimmung Schlußfolgerungen ziehen – so muß man es doch nach der bei den Dialektikern anerkannten Methode machen! -; er könnte sagen: es ist doch möglich, daß ein Mensch seine vorher begangenen Sünden beweint und solche Taten, die zu beweinen sind, nicht begeht, daß er seine vergangenen bösen Werke beklagt und solche, die zu beklagen wären, nicht begeht, daß er solche Sünden an sich straft, über die er Schmerz empfindet, weil er sie begangen hat – und zwar das alles, ohne mit dem Munde zu bekennen! Was wollen die Scholastiker dann machen, um ihre Einteilung aufrechtzuerhalten? Wenn dieser betreffende Mensch wirklich Buße tun kann, ohne mit dem Munde zu bekennen, so kann es doch offenbar auch eine Buße ohne dies „Bekenntnis mit dem Munde“ geben! Nun könnten sie darauf antworten, jene Einteilung bezöge sich auf die Buße, sofern sie ein Sakrament sei. Oder sie könnten auch sagen, man müsse sie als Beschreibung der Buße in ihrem vollendeten Zustand verstehen – den sie doch mit ihrer Umschreibung gar nicht umfassen! Aber daraus ergibt sich gegen mich gar keine Anklage: sie müssen es sich schon selber zuschreiben, weil sie eben die Buße nicht reiner und klarer bestimmen! Ich beziehe jedenfalls in meinem groben Verstand bei jeder Sache, über die man redet, alles auf die gegebene Begriffsbestimmung selbst; denn sie ist der Angelpunkt und die Grundlage der ganzen Erörterung. Aber wir wollen den Scholastikern diese magisterliche Freiheit durchgehen lassen und nun dazu übergehen, die einzelnen Stücke der Ordnung nach zu betrachten. Dabei übergehe ich freilich ohne Beachtung mancherlei Dinge als gottloses Geschwätz, die sie mit großem Stolz als Geheimnisse an den Mann bringen wollen. Aber das tue ich nun nicht etwa aus Unwissenheit. Es würde mir wirklich nicht schwer fallen, all das zu widerlegen, von dem sie scharfsinnig und tief zu reden vermeinen. Ich würde mich aber schämen, den Leser fruchtlos mit dergleichen Unsinnigkeiten zu ermüden. Daß sie tatsächlich über unbekannte Dinge schwatzen, das ist aus den Fragen, die sie aufbringen und verhandeln und in die sie sich jämmerlich verwirren, leicht zu erkennen. So fragen sie, ob Gott die Buße über eine einzige Sünde wohlgefällig sei, wenn man in den anderen halsstarrig verharre. Oder: ob die Strafen, die uns Gott schickte, als Genugtuung gelten könnten. Oder: ob man die Buße für die Todsünden wiederholen könnte. Im letzten Punkt stellen sie in ihrer Bosheit und Unfrömmigkeit den Satz auf, die tägliche Buße bezöge sich allein auf die „läßlichen“ Sünden. Mit grobem Irrtum martern sie sich auch betreffs der Äußerung des Hieronymus, die Buße sei die zweite Planke, die uns nach dem Schiffbruch (zur Rettung) gegeben würde; da zeigen sie, daß sie noch nie von ihrem tollen Irrwahn erwacht sind, um auch nur von fern den tausendsten Teil ihrer Sünden zu empfinden.
Manche Leute meinen nun, es sei allzu hart und der Freundlichkeit Gottes völlig fremd, daß Menschen, die ihre Zuflucht dazu nähmen, Gottes Barmherzigkeit anzurufen, gänzlich von aller Vergebung ausgeschlossen werden sollten. Doch dies läßt sich leicht klarstellen. Der Apostel behauptet ja gar nicht, daß diesen Menschen die Vergebung verweigert werden würde, wenn sie sich zu dem Herrn bekehren sollten; er leugnet jedoch durchaus, daß sie sich überhaupt noch zur Buße aufmachen könnten: sie sind ja um ihrer Undankbarkeit willen bereits durch Gottes gerechtes Gericht mit ewiger Blindheit geschlagen. Dem steht nicht im Wege, daß der Apostel in diesem Zusammenhang nachher das Beispiel des Esau heranzieht, der unter Tränen und Wehklagen vergebens versuchte, das verlorene Erstgeburtsrecht wiederzuerlangen. Ebensowenig steht dem das Drohwort des Propheten entgegen: „Ich wollte auch nicht hören, da sie riefen …“ (Sach. 7,13). Denn mit derartigen Ausdrücken wird nicht etwa die wahre Bekehrung oder die wahre Anrufung Gottes beschrieben, sondern vielmehr jene Angst der Gottlosen, in der sie, in die äußerste Not hineinverstrickt, gezwungenermaßen auf das blicken, was sie zuvor so sicher von sich gewiesen haben, nämlich eben dies, daß sie einzig und allein in der Hilfe des Herrn etwas Gutes empfangen können. Eben diese Hilfe des Herrn aber rufen sie nicht eigentlich an, sondern sie seufzen darüber, daß sie ihnen entzogen ist. Wenn der Prophet vom „Rufen“ (Sach. 7,13) und der Apostel von „Tränen“ (Hebr. 12,17) redet, so meinen sie nämlich beide das gleiche: diese namenlose Not, die die Gottlosen aus ihrer Verzweiflung heraus empfinden und die sie brennt und quält. Das letztere sollten wir uns schon sehr genau merken; denn sonst würde Gott ja mit sich selber in Widerspruch geraten: hat er doch durch den Propheten sagen lassen, sobald sich der Gottlose bekehre, werde er ihm gnädig sein (Ez. 18,21ff.). Es ist doch auch, wie ich bereits dargelegt habe, gewiß, daß der Sinn des Menschen nur dadurch zum Besseren gewandelt wird, daß Gottes Gnade ihm zuvorgekommen ist. Auch hinsichtlich der Anrufung wird Gottes Verheißung niemals trügen; aber diese blinde Qual, die die Verworfenen zerreißt, würde doch nur uneigentlich als Bekehrung oder als Anrufung Gottes bezeichnet werden können, diese Qual, die daraus entsteht, daß sie wohl sehen, sie müßten Gott suchen, um Heilung von ihren Nöten zu finden – und doch den Zugang zu ihm fliehen!
III,3,25
Wenn nun der Apostel bestreitet, daß Gott durch erheuchelte Buße versöhnt werden könne, so erhebt sich aber die Frage, wieso denn Ahab Vergebung erlangt und die ihm angedrohte Strafe von sich abgewandt habe (1. Kön. 21,28f.). Aus dem weiteren Verlauf seines Lebens geht doch ganz klar hervor, daß er dabei bloß von plötzlicher Angst erschüttert war. Gewiß, er legte einen Sack um, er bestreute sich mit Asche, er setzte sich auf die Erde (1. Kön. 21,27) und, wie es von ihm bezeugt wird, er demütigte sich vor Gott – aber es war ja doch ein Geringes, die Kleider zu zerreißen, wenn das Herz unterdessen verhärtet und von Bosheit geschwellt blieb! Trotzdem gewahren wir, daß sich Gott zur Güte bewegen läßt. Ich beantworte diese Frage so: zuweilen erfahren die Heuchler tatsächlich eine Zeitlang solche Schonung, aber doch so, daß Gottes Zorn immerfort auf ihnen ruht; und dies geschieht nicht um ihrer selbst willen, sondern als öffentliches Beispiel. Was hat auch Ahab selbst für einen Nutzen davon gehabt, daß ihm die Strafe gemildert wurde? Doch einzig den, daß er sie nicht verspürte, solange er auf Erden lebte! So hat Gottes Fluch, wenn auch verborgen, seine feste Wohnstatt in seinem Hause gehabt, er selbst aber ist in das ewige Verderben gefahren. Das gleiche ist auch an Esau zu bemerken: er mußte sich zwar eine Abweisung gefallen lassen, aber auf seine Tränen hin wurde ihm doch ein zeitlicher Segen gewährt (Gen. 27,40; Calvin nennt Gen. 27,18f.). Aber nach Gottes Offenbarungswort konnte das geistliche Erbe nur bei einem der Brüder ruhen; wurde also Esau übergangen und Jakob erwählt, so schloß diese Verwerfung das Erbarmen Gottes aus; nur dieser eine Trost blieb ihm als einem fleischlich gesinnten Menschen noch übrig, daß er sich an der „Fettigkeit der Erde“ und am „Tau des Himmels“ weiden sollte (Verwechslung mit dem an Jakob erteilten Segen Gen. 27,28). Hier können wir auch verstehen, was es bedeutet, wenn ich oben sagte, dies müsse als Beispiel für andere Menschen dienen: wir sollen lernen, um so eifriger unser Sinnen und Trachten darauf zu richten, rechtschaffene Buße zu tun; denn es steht außer jedem Zweifel, daß Gott gern bereit ist, denen zu vergeben, die sich wahrhaftig und von Herzen zu ihm bekehren: seine Güte wird auch ganz Unwürdigen zuteil, wenn sie nur ein wenig erkennen lassen, daß sie sich selbst mißfallen. Das gleiche Beispiel aber lehrt uns auch, welch ein schreckliches Gericht alle Halsstarrigen zu erwarten haben, die es für lauter Spiel halten, Gottes Drohungen mit schamloser Frechheit und ehernem Herzen zu verschmähen und für nichts zu achten. Auf diese Weise hat Gott den Kindern Israels gar oft die Hand gereicht, um ihrer Not ein Ende zu machen, obwohl ihr Schreien erheuchelt und ihr Sinn zerteilt und treulos war, wie er ja auch in einem Psalm klagt, daß sie gar bald zu ihrer vorigen Lebensart sich zurückwandten (Psalm 7S,36ff. 57). Durch solche freundliche Güte wollte er sie also zu ernstlicher Bekehrung leiten – oder aber sie unentschuldbar machen. Denn wenn er auch eine Zeitlang die Strafe nachläßt, so legt er sich damit kein bleibendes Gesetz auf; nein, er wendet sich zu Zeiten nur mit um so größerer Strenge gegen die Heuchler und verdoppelt die Strafen, damit daraus deutlich werde, wie sehr ihm die Heuchelei zuwider ist. Aber, wie gesagt, er zeigt auch gewisse Beispiele seiner freundlichen Geneigtheit zur Vergebung; dadurch sollen die Frommen dazu ermuntert werden, ihr Leben zu bessern, und es soll zugleich der Hochmut derer um so schärfer verdammt werden, die in ihrer Halsstarrigkeit wider den Stachel locken.
Viertes Kapitel: Alles, was sich die Klüglinge in ihren Schulen von der Buße zusammenschwatzen, ist sehr weit von der Reinheit des Evangeliums entfernt. Hier ist auch von der Beichte und der Genugtuung zu sprechen
III,4,1
Jetzt komme ich dazu, die Lehre der Klüglinge, der Scholastiker, von der Buße einer näheren Betrachtung zu unterziehen. Ich will mich dabei so kurz fassen, wie es eben angeht; denn ich habe nicht im Sinne, alles durchzugehen, um dies Buch, das ich doch gern als zusammenfassendes Lehrbuch einrichten möchte, nicht ins Ungemessene wachsen zu lassen. Die Scholastiker haben diesen Fragenkreis, obwohl er an sich keineswegs verwickelt ist, in so viele Bände eingewickelt, daß man nicht eben leicht herauskommen kann, wenn man sich auch nur wenig in ihren Dreck hineinbegibt. Zunächst also: bei ihrem Versuch, die Buße zu beschreiben, zeigen sie mit voller Klarheit, daß sie nie und nimmer begriffen haben, was überhaupt darunter zu verstehen ist. Sie ziehen nämlich einige Aussprüche aus den Büchern der alten Kirchenlehrer heran – die die Kraft der Buße überhaupt nicht zum Ausdruck bringen. So zum Beispiel: Buße tun bedeutet, die vergangenen Sünden zu beweinen und dergleichen nicht zu begehen, was man einst beweinen müßte (Diese erste Umschreibung findet sich bei Gregor I. und ist mitgeteilt bei Petrus Lombardus, Sentenzen IV,14,1). Oder man zieht den Satz heran: Buße tun bedeutet: die vergangenen bösen Werke beklagen und wiederum dergleichen nicht begehen, was zu beklagen ist. (Dieser zweite Satz steht bei [Pseudo-]Ambrosius und ist verwertet bei Petrus Lombardus, Sentenzen IV,14,1 und im Decretum Gratiani II, Von der Buße 3,1). Oder man verwendet als dritten Satz: die Buße ist gewissermaßen eine schmerzhafte Rache, bei der der Mensch an sich selber das straft, was er zu seinem eigenen Schmerz begangen hat. (Stammt von [Pseudo-] Augustin, Von der wahren und der falschen Buße, 8,22 und ist aufgenommen im Decretum Gratiani II, von der Buße 3,4). Zum vierten nimmt man auf die Erklärung Bezug: die Buße ist ein Schmerz im Herzen und eine Bitterkeit in der Seele, um der bösen Werke willen, die einer begangen oder denen er zugestimmt hat. (Von [Pseudo-]Ambrosius, verwendet im Decretum Gratiani II, von der Buße,1,39). Wir wollen nun zugeben, daß diese Erklärungen von den Kirchenvätern ganz gut ausgesprochen sind – obwohl ein zänkischer Mensch auch dies unschwer bestreiten könnte! -; aber diese Sätze hatten doch gar nicht den Zweck, die Buße zu definieren, sondern die Kirchenväter wollten damit bloß die Ihrigen ermahnen, nicht von neuem in die Übeltaten zu verfallen, aus denen sie herausgerissen waren! Wollte man alle Aussprüche dieser Art in Begriffsbestimmungen verwandeln, so müßte man mit dem gleichen Recht auch andere noch zufügen. So sagt Chrysostomus (Predigt von der Buße 7,1): „Die Buße ist eine Arznei, welche die Sünde auslöscht, eine Gabe, die uns vom Himmel geschenkt ist, eine wundersame Kraft, sie ist eine Gnade, welche die Kraft der Gesetze überwindet.“ Nun müssen wir aber weiterhin bemerken, daß die Lehre, die die Scholastiker an jene Kirchenväterzitate anschließen, wesentlich übler ist, als jene (angeblichen) Begriffsbestimmungen selbst. Sie haben sich nämlich dermaßen in äußerliche Übungen hineinverbissen, daß man aus ihren unermeßlichen Bänden nichts anderes entnehmen kann als dies: die Buße sei Zucht und harte Übung, die teils dazu diene, das Fleisch zu zähmen, teils auch dazu, die Laster mit Züchtigung zu strafen. Über die innere Erneuerung des Sinnes, welche die wahre Besserung des Lebens mit sich bringt herrscht ein merkwürdiges Schweigen! Von der Zerknirschung (contritio) und der Niedergeschlagenheit (attritio) ist zwar sehr viel bei ihnen die Rede; sie quälen die Seelen mit gar vielen Zweifeln, richten auch viel Mühsal und Angst an; aber wenn sie dann eben den Eindruck erweckt haben, als hätten sie das Herz im Tiefsten verwundet, dann besprengen sie es leicht mit ihren Zeremonien – und die ganze Bitterkeit ist geheilt! Wenn sie nun die Buße dermaßen scharfsinnig definiert haben, dann teilen sie sie ein, und zwar in Zerknirschung des Herzens (contritio cordis), Bekenntnis mit dem Munde (Beichte, confessio oris) und Genugtuung mit Werken (satisfactio operis) (Sentenzen IV,16,1, Decretum Gratiani II, von der Buße 1,40). Aber diese Einteilung ist ebensowenig gedanklich in Ordnung, wie die zuvor gegebene Definition. Und dabei wollen sie doch den Eindruck erwecken, als ob sie ihr ganzes Leben mit der Aufstellung von Schlußfolgerungen zugebracht hätten! Nun könnte aber jemand hergehen und aus ihrer Begriffsbestimmung Schlußfolgerungen ziehen – so muß man es doch nach der bei den Dialektikern anerkannten Methode machen! -; er könnte sagen: es ist doch möglich, daß ein Mensch seine vorher begangenen Sünden beweint und solche Taten, die zu beweinen sind, nicht begeht, daß er seine vergangenen bösen Werke beklagt und solche, die zu beklagen wären, nicht begeht, daß er solche Sünden an sich straft, über die er Schmerz empfindet, weil er sie begangen hat – und zwar das alles, ohne mit dem Munde zu bekennen! Was wollen die Scholastiker dann machen, um ihre Einteilung aufrechtzuerhalten? Wenn dieser betreffende Mensch wirklich Buße tun kann, ohne mit dem Munde zu bekennen, so kann es doch offenbar auch eine Buße ohne dies „Bekenntnis mit dem Munde“ geben! Nun könnten sie darauf antworten, jene Einteilung bezöge sich auf die Buße, sofern sie ein Sakrament sei. Oder sie könnten auch sagen, man müsse sie als Beschreibung der Buße in ihrem vollendeten Zustand verstehen – den sie doch mit ihrer Umschreibung gar nicht umfassen! Aber daraus ergibt sich gegen mich gar keine Anklage: sie müssen es sich schon selber zuschreiben, weil sie eben die Buße nicht reiner und klarer bestimmen! Ich beziehe jedenfalls in meinem groben Verstand bei jeder Sache, über die man redet, alles auf die gegebene Begriffsbestimmung selbst; denn sie ist der Angelpunkt und die Grundlage der ganzen Erörterung. Aber wir wollen den Scholastikern diese magisterliche Freiheit durchgehen lassen und nun dazu übergehen, die einzelnen Stücke der Ordnung nach zu betrachten. Dabei übergehe ich freilich ohne Beachtung mancherlei Dinge als gottloses Geschwätz, die sie mit großem Stolz als Geheimnisse an den Mann bringen wollen. Aber das tue ich nun nicht etwa aus Unwissenheit. Es würde mir wirklich nicht schwer fallen, all das zu widerlegen, von dem sie scharfsinnig und tief zu reden vermeinen. Ich würde mich aber schämen, den Leser fruchtlos mit dergleichen Unsinnigkeiten zu ermüden. Daß sie tatsächlich über unbekannte Dinge schwatzen, das ist aus den Fragen, die sie aufbringen und verhandeln und in die sie sich jämmerlich verwirren, leicht zu erkennen. So fragen sie, ob Gott die Buße über eine einzige Sünde wohlgefällig sei, wenn man in den anderen halsstarrig verharre. Oder: ob die Strafen, die uns Gott schickte, als Genugtuung gelten könnten. Oder: ob man die Buße für die Todsünden wiederholen könnte. Im letzten Punkt stellen sie in ihrer Bosheit und Unfrömmigkeit den Satz auf, die tägliche Buße bezöge sich allein auf die „läßlichen“ Sünden. Mit grobem Irrtum martern sie sich auch betreffs der Äußerung des Hieronymus, die Buße sei die zweite Planke, die uns nach dem Schiffbruch (zur Rettung) gegeben würde; da zeigen sie, daß sie noch nie von ihrem tollen Irrwahn erwacht sind, um auch nur von fern den tausendsten Teil ihrer Sünden zu empfinden.
Simon W.
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III,4,2
Ich möchte aber, daß der Leser darauf achtet: hier wird nicht um einen Eselsschatten gestritten, sondern es geht um die allerernsteste Sache, die es gibt, nämlich um die Vergebung der Sünden. Wenn die Scholastiker zur Buße drei Stücke erfordern, nämlich die Zerknirschung des Herzens, die Beichte mit dem Munde und die Genugtuung mit dem Werk, dann stellen sie damit die Lehre auf, daß diese Stücke auch zur Erlangung der Sündenvergebung nötig seien! Wenn es aber in der ganzen Religion etwas gibt, das wir unbedingt wissen müssen, so gilt es sicherlich, dies zu erkennen und recht festzuhalten, auf welche Weise, nach was für einem Gesetz, unter welcher Bedingung, wie leicht oder wie schwer man Vergebung der Sünden erlangen kann. Wenn diese Erkenntnis nicht klar und gewiß feststeht, so kann das Gewissen nie und nimmer Ruhe finden, keinen Frieden mit Gott, kein Vertrauen und keine Sicherheit haben, sondern es muß immerzu zittern und unstät sein, es lebt in der Hitze und in der Drangsal, es wird gequält und erschreckt, es haßt den Anblick Gottes und flieht vor ihm. Hängt nun aber die Vergebung der Sünden von den Bedingungen ab, welche die Scholastiker daran knüpfen, so gibt es nichts Jämmerlicheres und Verzweifelteres als uns Menschen. Will ein Mensch Vergebung erlangen, so schreibt man ihm als erstes Stück die Zerknirschung (contritio) vor, und zwar verlangt man die „schuldige“ Zerknirschung, also echte und vollständige. Unterdessen aber geben die Scholastiker keinerlei Auskunft darüber, wann denn nun jemand gewiß sein könne, daß er diese Zerknirschung in dem erforderten Ausmaß geleistet habe. Ich bin zwar durchaus der Überzeugung, daß man ernstlich und mit Fleiß darauf dringen soll, daß der Mensch seine Sünden bitterlich beweine und sich dadurch im Mißfallen an ihnen und im Haß gegen sie stärke. Denn das ist eine Traurigkeit, „die niemand gereut“, eine Traurigkeit, die Buße zur Seligkeit wirkt (2. Kor. 7,10). Aber wo ein so bitterer Schmerz verlangt wird, daß er der Größe der Schuld entspricht, und wo man die Zuversicht auf Vergebung nach der Bitterkeit dieses Schmerzes abwägend bemessen will – da werden die armen Gewissen jämmerlich gemartert und geplagt: sie sehen, wie man ihnen die „schuldige“ Zerknirschung über ihre Sünden auferlegt, – aber sie erreichen das erforderte Maß nicht in der Weise, daß sie bei sich selbst zu dem Urteil gelangen könnten, sie hätten nun vollbracht, was sie schuldig waren. Sagt man uns aber, wir sollten nur tun, soviel wir vermöchten, so fallen wir doch stets in die gleiche Not zurück; denn wann wird ein Mensch es wagen dürfen, sich selber zuzusichern, er habe nun alle seine Kraft daran gewandt, die Sünde zu beklagen? Hat nun also das Gewissen lange mit sich selbst im Kampf gelegen, hat es sich in langwierigem Streite gequält, so findet es am Ende doch keinen Hafen, in dem es ruhen könnte, nein, um sich wenigstens an irgendeinem Stück zu erleichtern, ringt es sich den Schmerz ab und preßt es sich Tränen heraus, um damit seine Zerknirschung vollkommen zu machen!
III,4,3
Wenn man mir nun aber sagt, ich erhöbe eine falsche Beschuldigung gegen die Scholastiker, so soll man doch herkommen und mir einen einzigen Menschen zeigen, den die Lehre von einer solchen Zerknirschung nicht entweder zur Verzweiflung getrieben – oder der nun nicht dem Gericht Gottes statt des wahren Schmerzes einen erheuchelten entgegengebracht hätte. Auch ich habe an einer Stelle gesagt, daß die Vergebung der Sünden einem Menschen niemals ohne die Buße widerfahre; denn nur erschrockene, vom Bewußtsein ihrer Sünden innerlich verwundete Menschen können in Lauterkeit Gottes Erbarmen erflehen. Aber ich habe doch gleich hinzugesetzt, daß die Buße nicht etwa die Ursache der Sündenvergebung ist. Dabei habe ich jener Seelenmarter ein Ende bereitet, die in der Forderung bestand, man müsse die tatsächlich schuldige Reue leisten. Nach unserer Lehre soll der Sünder nicht seine Zerknirschung anschauen, auch nicht seine Tränen, sondern er soll beide Augen einzig und allein auf die Barmherzigkeit des Herrn richten. Ich habe nur daran erinnert, daß Christus die „Mühseligen und Beladenen“ zu sich ruft, daß er gekommen ist, „das Evangelium zu verkündigen den Armen“, „zu heilen die zerstoßenen Herzen, zu predigen den Gefangenen, daß sie los sein sollen …“, daß er gekommen ist, um die Gebundenen frei auszuführen und die Trauernden zu trösten! (Matth. 11,28; Jes. 61,1f.; Luk. 4,18). Damit sollten die Pharisäer ausgeschlossen werden, die in ihrer Gerechtigkeit so satt sind, daß sie ihre Armut gar nicht merken, und die stolzen Verächter, die vor dem Zorn Gottes sich sicher fühlen und keine Arznei gegen ihre Bosheit suchen. Denn diese Menschen sind nicht mühselig und nicht beladen, sie sind weder zerstoßenen Herzens, noch gebunden, noch gefangen. Es ist aber ein großer Unterschied, ob man den Menschen lehrt, er solle die Vergebung der Sünden mit rechter und vollkommener Buße – die der Sünder doch nie und nimmer zustande bringt! – verdienen, oder ob man ihn unterweist, nach Gottes Barmherzigkeit zu hungern und zu dürsten, um ihm durch die Erkenntnis seines Jammers seinen Durst, seine Müdigkeit, seine Gebundenheit vor Augen zu führen und ihm zugleich zu zeigen, wo er Erfrischung, Ruhe und Freiheit suchen soll, kurz, ihn zu lehren, daß er in seiner Demut Gott die Ehre gebe!
III,4,4
Das zweite Stück ist die Beichte. Da ist nun stets großer Zwist zwischen den kirchlichen Rechtsgelehrten und den scholastischen Theologen gewesen. Die Theologen behaupteten, die Beichte werde uns durch Gottes Gebot befohlen; die Rechtsgelehrten bestritten das und behaupteten, sie werde bloß durch kirchliche Satzungen geboten. In diesem Streit ist nun die ungeheuerliche Unverfrorenheit der Theologen offenbar geworden: alle Schriftstellen, die sie zur Unterstützung ihrer Sache herangezogen haben, die haben sie auch verdreht und mit Gewalt entstellt. Aber sie sahen doch, daß sie nicht einmal auf diese Weise ihre Wünsche durchsetzen konnten; und da sind einige von ihnen, die für ganz besonders scharfsinnig gelten wollten, auf den Ausweg verfallen, die Beichte sei ihrem eigentlichen Wesen nach dem göttlichen Recht entsprungen, ihre Gestalt aber habe sie dann aus dem menschlich gesetzten Recht empfangen. So machen es auch die größten Narren unter den Rechtsgelehrten: sie beziehen die gerichtliche Vorladung auf das göttliche Recht, weil es nämlich heißt: „Adam, wo bist du?“ Auch die gerichtliche Verantwortung des Angeklagten entnehmen sie dem göttlichen Recht, und zwar, weil Adam in der Weise solcher Verantwortung gesagt habe: „Das Weib, das du mir gegeben hast …“ (Gen. 3,9.12). Dabei behaupten sie dann weiter, die Gestalt der gerichtlichen Ladung und Verantwortung sei aus dem bürgerlichen Recht heraus gegeben! Aber wir wollen nun zusehen, mit welchen Beweismitteln die Scholastiker ihre Behauptung begründen, die Beichte – ob ohne „Gestalt“ oder in ihrer „Gestalt“ – sei Gottes Gebot. Zunächst (1.) sagen sie: der Herr hat die Aussätzigen zu den Priestern geschickt! (Matth. 8,4; Luk. 5,14; 17,14). Wieso – hat er sie denn zur Beichte dahin geschickt? Wer hat denn jemals sagen hören, die levitischen Priester seien zum Beichtehören eingesetzt gewesen? (Deut. 17,8f.). Nun, so nimmt man also seine Zuflucht zur heimlichen Deutung, zur Allegorie. Man sagt: nach dem Gesetz Moses war es den Priestern aufgetragen, zwischen Aussatz und Aussatz zu unterscheiden (Lev. 14,2f.); die Sünde ist aber geistlicher Aussatz – also ist es Sache der Priester, über sie zu urteilen! Ehe ich darauf antworte, frage ich im Vorbeigehen: wenn diese Schriftstelle die Priester zu Richtern über den geistlichen Aussatz macht, warum ziehen sie dann die Feststellung des natürlichen, fleischlichen Aussatzes an sich? Es heißt freilich mit der Schrift ein Spiel treiben, wenn man sagt: Die Schrift überträgt den levitischen Priestern die Feststellung des Aussatzes – das ist eine Sache, die wir für uns in Anspruch nehmen müssen! Die Sünde ist nun aber geistlicher Aussatz – also wollen wir auch die sein, die über die Sünde urteilen! Jetzt will ich meine Antwort geben: Wenn das priestertum auf jemand anders übertragen ist, so muß notwendig das ihm gegebene Gesetz auch auf jemand anders übertragen werden (Hebr. 7,12: „Wo das Priestertum verändert wird, da muß auch das Gesetz verändert werden!“) Nun ist aber alles Priestertum auf Christus übertragen, in ihm erfüllt und zu seinem Ende gekommen. Auf ihn allein ist also auch jedwedes Recht und jedwede Ehre des Priestertums übergegangen. Wenn die Scholastiker dermaßen auf Allegorien versessen sind, so sollen sie sich dies einzige Priestertum Christi vor Augen stellen und seinen Richtstuhl mit dem freien Urteil über alle Dinge überhäufen; das werden wir dann leicht ertragen. – Zudem ist ihre Allegorie auch deshalb unbrauchbar, weil sie ein rein politisches Gesetz zu den Zeremonien hinüberzieht. Weshalb schickt denn nun Christus die Aussätzigen zu den Priestern? Doch offenbar deshalb, damit die Priester ihm nicht schmähend vorwerfen konnten, er verletze das Gesetz; denn dies schrieb ja dem, der vom Aussatz geheilt war, vor, er solle sich dem Priester zeigen, seine Opfergabe darbringen und damit entsühnt werden. Christus heißt nun die geheilten Aussätzigen zu tun, was das Gesetz befahl. „Gehet hin und zeiget euch den Priestern und opfert die Gabe, die Mose im Gesetz befohlen hat, zu einem Zeugnis über sie“ (Matth. 8,4 und Parallelen; dort steht aber alles in der Einzahl; ferner ähnlich Luk. 17,14). Dies Wunderzeichen sollte den Priestern auch wirklich zu einem Zeugnis werden: sie hatten diese Männer für aussätzig erklärt – und sie mußten sie jetzt geheilt sprechen. Wurden sie damit nicht, ob sie wollten oder nicht, zu Zeugen der Wundertaten Christi? Christus läßt sie sein Wunder untersuchen, und sie können es nicht leugnen; weil sie sich aber doch abwenden, so ist dies Werk ein Zeugnis über sie. So sagt er auch an anderer Stelle: „Es wird gepredigt werden das Evangelium … in der ganzen Welt, zu einem Zeugnis über alle Völker …“ (Matth. 24,14). Ebenso: „Und man wird euch vor Fürsten und Könige führen …, zum Zeugnis über sie …“ (Matth. 10,18), das heißt also: damit sie im Gericht Gottes um so kräftiger überführt werden. Wenn nun unsere Gegner lieber mit Chrysostomus einig sein wollen: auch er lehrt, Christus habe das um der Juden willen getan, damit er nicht als Verächter des Gesetzes gelte (Predigt vom kanaanäischen Weibe, 9). Freilich scheue ich mich, in so klarer Sache das zustimmende Zeugnis eines Menschen heranzuziehen. Christus sagt doch selber, daß er den Priestern ihr gesetzliches Recht unangetastet überlasse – und dabei waren sie geschworene Feinde des Evangeliums, die immer darauf aus waren, ihr Geschrei gegen es zu erheben, wenn man ihnen nicht das Maul gestopft hätte! Wollen also die papistischen Opferpriester diesen Rechtsbesitz wahren, so sollen sie auch offen zugestehen, daß sie auf die Seite derer gehören, die man mit Gewalt zum Schweigen bringen muß, damit sie Christus nicht schmähen! Denn Christi wahre Diener geht dies nichts an!
Ich möchte aber, daß der Leser darauf achtet: hier wird nicht um einen Eselsschatten gestritten, sondern es geht um die allerernsteste Sache, die es gibt, nämlich um die Vergebung der Sünden. Wenn die Scholastiker zur Buße drei Stücke erfordern, nämlich die Zerknirschung des Herzens, die Beichte mit dem Munde und die Genugtuung mit dem Werk, dann stellen sie damit die Lehre auf, daß diese Stücke auch zur Erlangung der Sündenvergebung nötig seien! Wenn es aber in der ganzen Religion etwas gibt, das wir unbedingt wissen müssen, so gilt es sicherlich, dies zu erkennen und recht festzuhalten, auf welche Weise, nach was für einem Gesetz, unter welcher Bedingung, wie leicht oder wie schwer man Vergebung der Sünden erlangen kann. Wenn diese Erkenntnis nicht klar und gewiß feststeht, so kann das Gewissen nie und nimmer Ruhe finden, keinen Frieden mit Gott, kein Vertrauen und keine Sicherheit haben, sondern es muß immerzu zittern und unstät sein, es lebt in der Hitze und in der Drangsal, es wird gequält und erschreckt, es haßt den Anblick Gottes und flieht vor ihm. Hängt nun aber die Vergebung der Sünden von den Bedingungen ab, welche die Scholastiker daran knüpfen, so gibt es nichts Jämmerlicheres und Verzweifelteres als uns Menschen. Will ein Mensch Vergebung erlangen, so schreibt man ihm als erstes Stück die Zerknirschung (contritio) vor, und zwar verlangt man die „schuldige“ Zerknirschung, also echte und vollständige. Unterdessen aber geben die Scholastiker keinerlei Auskunft darüber, wann denn nun jemand gewiß sein könne, daß er diese Zerknirschung in dem erforderten Ausmaß geleistet habe. Ich bin zwar durchaus der Überzeugung, daß man ernstlich und mit Fleiß darauf dringen soll, daß der Mensch seine Sünden bitterlich beweine und sich dadurch im Mißfallen an ihnen und im Haß gegen sie stärke. Denn das ist eine Traurigkeit, „die niemand gereut“, eine Traurigkeit, die Buße zur Seligkeit wirkt (2. Kor. 7,10). Aber wo ein so bitterer Schmerz verlangt wird, daß er der Größe der Schuld entspricht, und wo man die Zuversicht auf Vergebung nach der Bitterkeit dieses Schmerzes abwägend bemessen will – da werden die armen Gewissen jämmerlich gemartert und geplagt: sie sehen, wie man ihnen die „schuldige“ Zerknirschung über ihre Sünden auferlegt, – aber sie erreichen das erforderte Maß nicht in der Weise, daß sie bei sich selbst zu dem Urteil gelangen könnten, sie hätten nun vollbracht, was sie schuldig waren. Sagt man uns aber, wir sollten nur tun, soviel wir vermöchten, so fallen wir doch stets in die gleiche Not zurück; denn wann wird ein Mensch es wagen dürfen, sich selber zuzusichern, er habe nun alle seine Kraft daran gewandt, die Sünde zu beklagen? Hat nun also das Gewissen lange mit sich selbst im Kampf gelegen, hat es sich in langwierigem Streite gequält, so findet es am Ende doch keinen Hafen, in dem es ruhen könnte, nein, um sich wenigstens an irgendeinem Stück zu erleichtern, ringt es sich den Schmerz ab und preßt es sich Tränen heraus, um damit seine Zerknirschung vollkommen zu machen!
III,4,3
Wenn man mir nun aber sagt, ich erhöbe eine falsche Beschuldigung gegen die Scholastiker, so soll man doch herkommen und mir einen einzigen Menschen zeigen, den die Lehre von einer solchen Zerknirschung nicht entweder zur Verzweiflung getrieben – oder der nun nicht dem Gericht Gottes statt des wahren Schmerzes einen erheuchelten entgegengebracht hätte. Auch ich habe an einer Stelle gesagt, daß die Vergebung der Sünden einem Menschen niemals ohne die Buße widerfahre; denn nur erschrockene, vom Bewußtsein ihrer Sünden innerlich verwundete Menschen können in Lauterkeit Gottes Erbarmen erflehen. Aber ich habe doch gleich hinzugesetzt, daß die Buße nicht etwa die Ursache der Sündenvergebung ist. Dabei habe ich jener Seelenmarter ein Ende bereitet, die in der Forderung bestand, man müsse die tatsächlich schuldige Reue leisten. Nach unserer Lehre soll der Sünder nicht seine Zerknirschung anschauen, auch nicht seine Tränen, sondern er soll beide Augen einzig und allein auf die Barmherzigkeit des Herrn richten. Ich habe nur daran erinnert, daß Christus die „Mühseligen und Beladenen“ zu sich ruft, daß er gekommen ist, „das Evangelium zu verkündigen den Armen“, „zu heilen die zerstoßenen Herzen, zu predigen den Gefangenen, daß sie los sein sollen …“, daß er gekommen ist, um die Gebundenen frei auszuführen und die Trauernden zu trösten! (Matth. 11,28; Jes. 61,1f.; Luk. 4,18). Damit sollten die Pharisäer ausgeschlossen werden, die in ihrer Gerechtigkeit so satt sind, daß sie ihre Armut gar nicht merken, und die stolzen Verächter, die vor dem Zorn Gottes sich sicher fühlen und keine Arznei gegen ihre Bosheit suchen. Denn diese Menschen sind nicht mühselig und nicht beladen, sie sind weder zerstoßenen Herzens, noch gebunden, noch gefangen. Es ist aber ein großer Unterschied, ob man den Menschen lehrt, er solle die Vergebung der Sünden mit rechter und vollkommener Buße – die der Sünder doch nie und nimmer zustande bringt! – verdienen, oder ob man ihn unterweist, nach Gottes Barmherzigkeit zu hungern und zu dürsten, um ihm durch die Erkenntnis seines Jammers seinen Durst, seine Müdigkeit, seine Gebundenheit vor Augen zu führen und ihm zugleich zu zeigen, wo er Erfrischung, Ruhe und Freiheit suchen soll, kurz, ihn zu lehren, daß er in seiner Demut Gott die Ehre gebe!
III,4,4
Das zweite Stück ist die Beichte. Da ist nun stets großer Zwist zwischen den kirchlichen Rechtsgelehrten und den scholastischen Theologen gewesen. Die Theologen behaupteten, die Beichte werde uns durch Gottes Gebot befohlen; die Rechtsgelehrten bestritten das und behaupteten, sie werde bloß durch kirchliche Satzungen geboten. In diesem Streit ist nun die ungeheuerliche Unverfrorenheit der Theologen offenbar geworden: alle Schriftstellen, die sie zur Unterstützung ihrer Sache herangezogen haben, die haben sie auch verdreht und mit Gewalt entstellt. Aber sie sahen doch, daß sie nicht einmal auf diese Weise ihre Wünsche durchsetzen konnten; und da sind einige von ihnen, die für ganz besonders scharfsinnig gelten wollten, auf den Ausweg verfallen, die Beichte sei ihrem eigentlichen Wesen nach dem göttlichen Recht entsprungen, ihre Gestalt aber habe sie dann aus dem menschlich gesetzten Recht empfangen. So machen es auch die größten Narren unter den Rechtsgelehrten: sie beziehen die gerichtliche Vorladung auf das göttliche Recht, weil es nämlich heißt: „Adam, wo bist du?“ Auch die gerichtliche Verantwortung des Angeklagten entnehmen sie dem göttlichen Recht, und zwar, weil Adam in der Weise solcher Verantwortung gesagt habe: „Das Weib, das du mir gegeben hast …“ (Gen. 3,9.12). Dabei behaupten sie dann weiter, die Gestalt der gerichtlichen Ladung und Verantwortung sei aus dem bürgerlichen Recht heraus gegeben! Aber wir wollen nun zusehen, mit welchen Beweismitteln die Scholastiker ihre Behauptung begründen, die Beichte – ob ohne „Gestalt“ oder in ihrer „Gestalt“ – sei Gottes Gebot. Zunächst (1.) sagen sie: der Herr hat die Aussätzigen zu den Priestern geschickt! (Matth. 8,4; Luk. 5,14; 17,14). Wieso – hat er sie denn zur Beichte dahin geschickt? Wer hat denn jemals sagen hören, die levitischen Priester seien zum Beichtehören eingesetzt gewesen? (Deut. 17,8f.). Nun, so nimmt man also seine Zuflucht zur heimlichen Deutung, zur Allegorie. Man sagt: nach dem Gesetz Moses war es den Priestern aufgetragen, zwischen Aussatz und Aussatz zu unterscheiden (Lev. 14,2f.); die Sünde ist aber geistlicher Aussatz – also ist es Sache der Priester, über sie zu urteilen! Ehe ich darauf antworte, frage ich im Vorbeigehen: wenn diese Schriftstelle die Priester zu Richtern über den geistlichen Aussatz macht, warum ziehen sie dann die Feststellung des natürlichen, fleischlichen Aussatzes an sich? Es heißt freilich mit der Schrift ein Spiel treiben, wenn man sagt: Die Schrift überträgt den levitischen Priestern die Feststellung des Aussatzes – das ist eine Sache, die wir für uns in Anspruch nehmen müssen! Die Sünde ist nun aber geistlicher Aussatz – also wollen wir auch die sein, die über die Sünde urteilen! Jetzt will ich meine Antwort geben: Wenn das priestertum auf jemand anders übertragen ist, so muß notwendig das ihm gegebene Gesetz auch auf jemand anders übertragen werden (Hebr. 7,12: „Wo das Priestertum verändert wird, da muß auch das Gesetz verändert werden!“) Nun ist aber alles Priestertum auf Christus übertragen, in ihm erfüllt und zu seinem Ende gekommen. Auf ihn allein ist also auch jedwedes Recht und jedwede Ehre des Priestertums übergegangen. Wenn die Scholastiker dermaßen auf Allegorien versessen sind, so sollen sie sich dies einzige Priestertum Christi vor Augen stellen und seinen Richtstuhl mit dem freien Urteil über alle Dinge überhäufen; das werden wir dann leicht ertragen. – Zudem ist ihre Allegorie auch deshalb unbrauchbar, weil sie ein rein politisches Gesetz zu den Zeremonien hinüberzieht. Weshalb schickt denn nun Christus die Aussätzigen zu den Priestern? Doch offenbar deshalb, damit die Priester ihm nicht schmähend vorwerfen konnten, er verletze das Gesetz; denn dies schrieb ja dem, der vom Aussatz geheilt war, vor, er solle sich dem Priester zeigen, seine Opfergabe darbringen und damit entsühnt werden. Christus heißt nun die geheilten Aussätzigen zu tun, was das Gesetz befahl. „Gehet hin und zeiget euch den Priestern und opfert die Gabe, die Mose im Gesetz befohlen hat, zu einem Zeugnis über sie“ (Matth. 8,4 und Parallelen; dort steht aber alles in der Einzahl; ferner ähnlich Luk. 17,14). Dies Wunderzeichen sollte den Priestern auch wirklich zu einem Zeugnis werden: sie hatten diese Männer für aussätzig erklärt – und sie mußten sie jetzt geheilt sprechen. Wurden sie damit nicht, ob sie wollten oder nicht, zu Zeugen der Wundertaten Christi? Christus läßt sie sein Wunder untersuchen, und sie können es nicht leugnen; weil sie sich aber doch abwenden, so ist dies Werk ein Zeugnis über sie. So sagt er auch an anderer Stelle: „Es wird gepredigt werden das Evangelium … in der ganzen Welt, zu einem Zeugnis über alle Völker …“ (Matth. 24,14). Ebenso: „Und man wird euch vor Fürsten und Könige führen …, zum Zeugnis über sie …“ (Matth. 10,18), das heißt also: damit sie im Gericht Gottes um so kräftiger überführt werden. Wenn nun unsere Gegner lieber mit Chrysostomus einig sein wollen: auch er lehrt, Christus habe das um der Juden willen getan, damit er nicht als Verächter des Gesetzes gelte (Predigt vom kanaanäischen Weibe, 9). Freilich scheue ich mich, in so klarer Sache das zustimmende Zeugnis eines Menschen heranzuziehen. Christus sagt doch selber, daß er den Priestern ihr gesetzliches Recht unangetastet überlasse – und dabei waren sie geschworene Feinde des Evangeliums, die immer darauf aus waren, ihr Geschrei gegen es zu erheben, wenn man ihnen nicht das Maul gestopft hätte! Wollen also die papistischen Opferpriester diesen Rechtsbesitz wahren, so sollen sie auch offen zugestehen, daß sie auf die Seite derer gehören, die man mit Gewalt zum Schweigen bringen muß, damit sie Christus nicht schmähen! Denn Christi wahre Diener geht dies nichts an!
Simon W.
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III,4,5
(2.) Das zweite Beweisstück entnehmen die Scholastiker der gleichen Quelle: nämlich der Allegorie. Als ob Allegorien viel wert wären, wenn es darum geht, eine Kirchenlehre zu begründen! Aber wir wollen sie meinethalben gelten lassen – ich könnte gar beweisen, daß ich solche Allegorien mit größerem Glanz in Anspruch nehmen kann als sie selber! Sie sagen also: der Herr hat seinen Jüngern aufgetragen, den Lazarus, den er auferweckt hatte, von seinen Leintüchern loszumachen und ihn gehen zu lassen (Joh. 11,44). Da ist nun schon gleich eine Lüge dabei: es steht nirgendwo zu lesen, daß der Herr diesen Auftrag seinen Jüngern gegeben habe, und es ist auch viel wahrscheinlicher, daß er das zu den Juden sagt, die dabei stehen. So soll das Wunder noch deutlicher werden und jedem Verdacht, es könnte Betrug sein, entzogen werden; Christi Kraft sollte noch heller erstrahlen, weil er ja ohne jede Berührung, rein durch sein Wort Tote erweckte! Ich verstehe es wirklich so: der Herr wollte den Juden jeden Argwohn unmöglich machen und wollte deshalb, daß sie selbst den Stein fortwälzten, den Verwesungsgeruch wahrnähmen, die deutlichen Zeichen des Todes bemerkten, daß sie selbst sähen, wie Lazarus allein durch die Kraft des Wortes sich erhob und daß sie selbst den Lebendigen als erste berührten. Das ist auch die Meinung des Chrysostomus. (Sie steht tatsächlich in einer dem Chrysostomus fälschlich zugeschriebenen Schrift: Gegen Juden, Heiden und Ketzer). Ich will aber einmal zugeben, dies Wort sei wirklich an die Jünger gerichtet. Was haben jedoch die Scholastiker davon für Vorteil? Der Herr hätte danach den Aposteln die Macht zum Lösen gegeben. Wieviel passender und richtiger wären diese Worte in heimlicher Deutung doch so zu verstehen, wenn wir sagten: Gott hat seine Gläubigen unterweisen wollen, die, welche er auferweckt hat, nun auch loszumachen; das bedeutet: sie sollen die Sünden, die er doch vergessen hat, nicht wieder ins Gedächtnis rufen, sie sollen die Menschen, die er losgesprochen hat, nicht wieder als Sünder verdammen, sie sollen nicht verurteilen, was er doch vergeben hat, sie sollen nicht hart und streng auf Strafe sinnen, wo er doch barmherzig ist und gerne verschont! Es kann uns nichts so sehr zur Vergebung bewegen, wie das Beispiel des Richters, der da droht, er werde gegen die, welche allzu hart und unmenschlich vorgehen, unversöhnlich sein! – So, nun sollen die Scholastiker hingehen und ihre heimlichen Deutungen an den Mann zu bringen versuchen!
III,4,6
(3.) Jetzt kommen sie aber im Kampfe näher an uns heran: jetzt kämpfen sie nämlich mit Schriftzeugnissen, die nach ihrer Meinung ganz klar und deutlich sind! Sie ziehen die Tatsache heran, daß die Menschen, die zur Taufe des Johannes kamen, ihre Sünden bekannten (Matth. 3,6), und dann das Wort des Jakobus: „Bekenne einer dem anderen seine Sünde …“ (Jak. 5,16). Es ist nun nicht verwunderlich, wenn die Menschen, die sich taufen lassen wollten, ihre Sünden bekannten. Es heißt doch vorher, Johannes habe die Bußtaufe gepredigt, er habe mit Wasser getauft zur Buße. Wen sollte er da anders getauft haben als die, welche sich als Sünder bekannt hatten? Die Taufe ist das Merkzeichen der Sündenvergebung – und wer sollte zu solchem Zeichen zugelassen werden, als Sünder, die sich auch als solche bekannten? Sie bekannten also ihre Sünden, um getauft zu werden. Es hat auch seinen guten Grund, wenn Jakobus die Anweisung gibt, es solle einer dem anderen seine Sünde bekennen. Hätten die Gegner aber nur darauf geachtet, was auf diese Worte unmittelbar folgt, so hätten sie gemerkt, daß ihnen auch diese Stelle wenig Beistand leistet. Jakobus sagt nämlich: „Bekenne einer dem anderen seine Sünden und betet füreinander.“ Er verbindet also das gegenseitige Bekennen der Sünden mit der gegenseitigen Fürbitte. Soll man also allein den Priestern beichten, so soll man auch allein für sie beten. Was käme nun aber heraus, wenn man aus den Worten des Jakobus die Folgerung zöge, allein die Priester vermöchten zu beichten? Wenn er will, daß wir gegenseitig einander beichten- so redet er damit offenbar nur solche an, die auch der anderen Beichte zuhören vermögen! Er sagt doch: „einer dem anderen“, also gegenseitig, einander, jeder dem anderen, oder auch meinetwegen: wechselseitig! Solch wechselseitiges Beichten können aber nur solche Menschen üben, die auch ihrerseits in der Lage sind, Beichte zu hören! Wenn dieses Vorrecht aber allein den Priestern zukommt, so wollen wir auch ihnen allein die Aufgabe überlassen, zu beichten! Nun wollen wir aber dergleichen Possen beiseitelassen und vernehmen, was der Apostel wirklich meint. Das ist sehr einfach und klar: wir sollen einer dem anderen unsere Schwachheiten anvertrauen, um so gegenseitigen Rat, gegenseitiges Mitleiden und gegenseitigen Trost untereinander zu empfangen. Wenn wir dann gegenseitig um die Schwachheiten unserer Brüder wissen, dann sollen wir für sie zum Herrn beten. Was zieht man nun den Jakobus gegen uns heran? Wir legen doch gerade auf das Bekenntnis der Barmherzigkeit Gottes so großes Gewicht! Es kann aber kein Mensch Gottes Barmherzigkeit „bekennen“, der nicht zuvor seinen Jammer „bekannt“ hat! Ja, wir sagen frei heraus, der sei verflucht, der sich nicht vor Gott, vor seinen Engeln, vor der Kirche, ja vor allen Menschen als Sünder bekennt! Denn der Herr „hat alles beschlossen unter die Sünde“ (Gal. 3,22), „auf daß aller Mund gestopfet werde und alles Fleisch Gott schuldig sei“ (Röm. 3,19; nicht ganz Luthertext), er selbst aber allein gerechtfertigt und erhöht werde!
III,4,7
Mich verwundert aber doch, mit welcher Kühnheit sie zu behaupten wagen, die Beichte, von der sie reden, sei göttlicher Rechtssetzung (iuris divini). Ich gebe allerdings zu, daß sie seit sehr alter Zeit in Übung ist. Aber ich kann sehr leicht beweisen, daß diese Übung früher frei war. Auf jeden Fall ist nach dem Bericht ihrer eigenen Chroniken hinsichtlich der Beichte kein Gesetz und keine Satzung aufgestellt worden vor der Zeit des Papstes Innozenz III. – und das war der einhundertdreiundachtzigste Papst! Hätten die Papisten ein älteres Gesetz gehabt, so hätten sie dies ganz sicher für sich in Anspruch genommen und sich nicht mit der Satzung des Laterankonzils (von 1215) zufriedengegeben und damit selbst bei Kindern lächerlich gemacht. In anderen Sachen haben sie doch ohne Scheu gefälschte Beschlüsse zusammengeschmiedet, die sie den ältesten Konzilien zugeschrieben haben, um schon durch das verehrungswürdige Alter einfältigen Leuten die Augen zu blenden. In diesem Stück aber ist es ihnen nicht in den Sinn gekommen, derlei Betrug zu verüben. Es sind also nach ihrem eigenen Zeugnis noch nicht dreihundert Jahre verlaufen, seit Innozenz III. den Menschen diesen Strick um den Hals geworfen hat und die Beichte den Leuten als notwendig auferlegt worden ist. Aber wenn ich nun auch von der Zeit schweige, so macht schon die Barbarei der Worte jenes (Beicht-)Gesetz unglaubwürdig. Die guten Väter ordnen nämlich an, es solle jeder Mensch „von beiderlei Geschlecht“ (utriusque sexus) einmal im Jahre seinem eigenen Priester alle seine Sünden bekennen. Spottlustige Leute wenden nun witzig ein, dieses Gebot sei nur für Zwitter verbindlich (wegen der Formulierung „utriusque sexus“, von beiderlei Geschlecht), beziehe sich dagegen auf keinen Menschen, der einzig Mann oder Weib sei! Eine noch gröbere Torheit ist nun bei den Schülern jener Männer zum Vorschein gekommen: die können nicht erklären, was nun der „eigene Priester“ bedeuten solle! Was nun aber auch die gemieteten Zungendrescher des Papstes sich zusammenschreien mögen, so halten wir doch daran fest, daß Christus nicht der Urheber des Gesetzes ist, das die Menschen zwingt, ihre Sünden aufzuzählen, ja, daß seit der Auferstehung Christi zwölfhundert Jahre vergangen sind, ehe überhaupt ein solches Gesetz aufgestellt wurde. Wir halten daran fest, daß diese Tyrannei erst aufgekommen ist, als die Frömmigkeit und reine Lehre ausgelöscht war und sich die Scheinhirten bereits ohne Bedacht alle möglichen Freiheiten herausgenommen hatten. Es sind aber auch in den kirchlichen Geschichtsbüchern wie bei den anderen Schriftstellern der Alten Kirche klare Zeugnisse vorhanden, die uns lehren, daß es sich hier um eine bürgerliche Zuchtmaßnahme gehandelt hat, die von den Bischöfen eingerichtet worden ist, nicht aber um ein Gesetz, das Christus und die Apostel gegeben hätten. Ich will aus vielen nur ein einziges anführen, das ein heller Beweis dafür sein wird. Sozomenus (der Kirchengeschichtsschreiber) berichtet, daß diese Ordnung der Bischöfe in den Kirchen des Westens eifrig gehalten wurde, besonders in der Kirche zu Rom (Kirchengeschichte 7,16; Historia tripartita 9,35). Damit macht er deutlich, daß wir es hier nicht mit einer Einrichtung in allen Kirchen zu tun haben. Er erklärt aber weiter, es sei einer von den Priestern besonders dazu bestimmt gewesen, dieses Amt (nämlich das Hören der Beichte) zu verwalten. Damit widerlegt er zum Überfluß deutlich die Lüge der Scholastiker von der Schlüsselgewalt, die der ganzen Priesterschaft ohne Unterschied zu jener Übung (der Beichte) gegeben sein soll; denn die Amtsaufgabe des Beichtehörens kam ja nicht sämtlichen Priestern allgemein zu, sondern war die besondere Sache eines einzelnen, den der Bischof dazu ausgewählt hatte. Das ist der Priester, den man noch heutzutage an den Bischofskirchen „Beichtmeister“ nennt: der Mann, der die Untersuchung bei schweren Freveltaten und bei solchen Dingen hat, in denen die Strafe als Beispiel dienen soll. Dann bemerkt Sozomenus, die Sitte der Beichte habe auch in Konstantinopel bestanden, bis man eine Frau dabei ertappt habe, daß sie unter dem Schein, beichten zu wollen, mit dem dazu bestellten Diakonen Hurerei getrieben hatte. Angesichts dieser Freveltaten hat dann Nectarius, der Bischof dieser Kirche, ein nach seinem heiligen Wandel und nach seiner Bildung hochberühmter Mann, die Übung der Beichte abgeschafft. Hier, hier sollen nun die Esel die Ohren spitzen! Wäre die Ohrenbeichte ein Gesetz Gottes, wie hätte dann Nectarius wagen können, sie aufzuheben oder abzuschaffen? Will man einen Mann wie Nectarius, einen heiligen Mann Gottes, durch das Zeugnis aller Kirchenväter anerkannt, der Ketzerei und der Kirchenspaltung anklagen? Dann muß man aber das gleiche Verdammungsurteil über die Kirche von Konstantinopel fällen, denn diese hat nach der Behauptung des Sozomenus die Beichtsitte nicht nur eine Zeitlang aufgehoben, sondern sie sogar bis auf seine Zeit gänzlich abkommen lassen. Ja, man muß dann nicht nur die Kirche zu Konstantinopel, sondern überhaupt alle Kirchen des Ostens wegen Abfall in den Anklagezustand versetzen, weil sie ein – sofern die Scholastiker Recht haben! – unverletzliches Gesetz, das doch allen Christenmenschen auferlegt sein soll, außer Achtung gesetzt haben!
(2.) Das zweite Beweisstück entnehmen die Scholastiker der gleichen Quelle: nämlich der Allegorie. Als ob Allegorien viel wert wären, wenn es darum geht, eine Kirchenlehre zu begründen! Aber wir wollen sie meinethalben gelten lassen – ich könnte gar beweisen, daß ich solche Allegorien mit größerem Glanz in Anspruch nehmen kann als sie selber! Sie sagen also: der Herr hat seinen Jüngern aufgetragen, den Lazarus, den er auferweckt hatte, von seinen Leintüchern loszumachen und ihn gehen zu lassen (Joh. 11,44). Da ist nun schon gleich eine Lüge dabei: es steht nirgendwo zu lesen, daß der Herr diesen Auftrag seinen Jüngern gegeben habe, und es ist auch viel wahrscheinlicher, daß er das zu den Juden sagt, die dabei stehen. So soll das Wunder noch deutlicher werden und jedem Verdacht, es könnte Betrug sein, entzogen werden; Christi Kraft sollte noch heller erstrahlen, weil er ja ohne jede Berührung, rein durch sein Wort Tote erweckte! Ich verstehe es wirklich so: der Herr wollte den Juden jeden Argwohn unmöglich machen und wollte deshalb, daß sie selbst den Stein fortwälzten, den Verwesungsgeruch wahrnähmen, die deutlichen Zeichen des Todes bemerkten, daß sie selbst sähen, wie Lazarus allein durch die Kraft des Wortes sich erhob und daß sie selbst den Lebendigen als erste berührten. Das ist auch die Meinung des Chrysostomus. (Sie steht tatsächlich in einer dem Chrysostomus fälschlich zugeschriebenen Schrift: Gegen Juden, Heiden und Ketzer). Ich will aber einmal zugeben, dies Wort sei wirklich an die Jünger gerichtet. Was haben jedoch die Scholastiker davon für Vorteil? Der Herr hätte danach den Aposteln die Macht zum Lösen gegeben. Wieviel passender und richtiger wären diese Worte in heimlicher Deutung doch so zu verstehen, wenn wir sagten: Gott hat seine Gläubigen unterweisen wollen, die, welche er auferweckt hat, nun auch loszumachen; das bedeutet: sie sollen die Sünden, die er doch vergessen hat, nicht wieder ins Gedächtnis rufen, sie sollen die Menschen, die er losgesprochen hat, nicht wieder als Sünder verdammen, sie sollen nicht verurteilen, was er doch vergeben hat, sie sollen nicht hart und streng auf Strafe sinnen, wo er doch barmherzig ist und gerne verschont! Es kann uns nichts so sehr zur Vergebung bewegen, wie das Beispiel des Richters, der da droht, er werde gegen die, welche allzu hart und unmenschlich vorgehen, unversöhnlich sein! – So, nun sollen die Scholastiker hingehen und ihre heimlichen Deutungen an den Mann zu bringen versuchen!
III,4,6
(3.) Jetzt kommen sie aber im Kampfe näher an uns heran: jetzt kämpfen sie nämlich mit Schriftzeugnissen, die nach ihrer Meinung ganz klar und deutlich sind! Sie ziehen die Tatsache heran, daß die Menschen, die zur Taufe des Johannes kamen, ihre Sünden bekannten (Matth. 3,6), und dann das Wort des Jakobus: „Bekenne einer dem anderen seine Sünde …“ (Jak. 5,16). Es ist nun nicht verwunderlich, wenn die Menschen, die sich taufen lassen wollten, ihre Sünden bekannten. Es heißt doch vorher, Johannes habe die Bußtaufe gepredigt, er habe mit Wasser getauft zur Buße. Wen sollte er da anders getauft haben als die, welche sich als Sünder bekannt hatten? Die Taufe ist das Merkzeichen der Sündenvergebung – und wer sollte zu solchem Zeichen zugelassen werden, als Sünder, die sich auch als solche bekannten? Sie bekannten also ihre Sünden, um getauft zu werden. Es hat auch seinen guten Grund, wenn Jakobus die Anweisung gibt, es solle einer dem anderen seine Sünde bekennen. Hätten die Gegner aber nur darauf geachtet, was auf diese Worte unmittelbar folgt, so hätten sie gemerkt, daß ihnen auch diese Stelle wenig Beistand leistet. Jakobus sagt nämlich: „Bekenne einer dem anderen seine Sünden und betet füreinander.“ Er verbindet also das gegenseitige Bekennen der Sünden mit der gegenseitigen Fürbitte. Soll man also allein den Priestern beichten, so soll man auch allein für sie beten. Was käme nun aber heraus, wenn man aus den Worten des Jakobus die Folgerung zöge, allein die Priester vermöchten zu beichten? Wenn er will, daß wir gegenseitig einander beichten- so redet er damit offenbar nur solche an, die auch der anderen Beichte zuhören vermögen! Er sagt doch: „einer dem anderen“, also gegenseitig, einander, jeder dem anderen, oder auch meinetwegen: wechselseitig! Solch wechselseitiges Beichten können aber nur solche Menschen üben, die auch ihrerseits in der Lage sind, Beichte zu hören! Wenn dieses Vorrecht aber allein den Priestern zukommt, so wollen wir auch ihnen allein die Aufgabe überlassen, zu beichten! Nun wollen wir aber dergleichen Possen beiseitelassen und vernehmen, was der Apostel wirklich meint. Das ist sehr einfach und klar: wir sollen einer dem anderen unsere Schwachheiten anvertrauen, um so gegenseitigen Rat, gegenseitiges Mitleiden und gegenseitigen Trost untereinander zu empfangen. Wenn wir dann gegenseitig um die Schwachheiten unserer Brüder wissen, dann sollen wir für sie zum Herrn beten. Was zieht man nun den Jakobus gegen uns heran? Wir legen doch gerade auf das Bekenntnis der Barmherzigkeit Gottes so großes Gewicht! Es kann aber kein Mensch Gottes Barmherzigkeit „bekennen“, der nicht zuvor seinen Jammer „bekannt“ hat! Ja, wir sagen frei heraus, der sei verflucht, der sich nicht vor Gott, vor seinen Engeln, vor der Kirche, ja vor allen Menschen als Sünder bekennt! Denn der Herr „hat alles beschlossen unter die Sünde“ (Gal. 3,22), „auf daß aller Mund gestopfet werde und alles Fleisch Gott schuldig sei“ (Röm. 3,19; nicht ganz Luthertext), er selbst aber allein gerechtfertigt und erhöht werde!
III,4,7
Mich verwundert aber doch, mit welcher Kühnheit sie zu behaupten wagen, die Beichte, von der sie reden, sei göttlicher Rechtssetzung (iuris divini). Ich gebe allerdings zu, daß sie seit sehr alter Zeit in Übung ist. Aber ich kann sehr leicht beweisen, daß diese Übung früher frei war. Auf jeden Fall ist nach dem Bericht ihrer eigenen Chroniken hinsichtlich der Beichte kein Gesetz und keine Satzung aufgestellt worden vor der Zeit des Papstes Innozenz III. – und das war der einhundertdreiundachtzigste Papst! Hätten die Papisten ein älteres Gesetz gehabt, so hätten sie dies ganz sicher für sich in Anspruch genommen und sich nicht mit der Satzung des Laterankonzils (von 1215) zufriedengegeben und damit selbst bei Kindern lächerlich gemacht. In anderen Sachen haben sie doch ohne Scheu gefälschte Beschlüsse zusammengeschmiedet, die sie den ältesten Konzilien zugeschrieben haben, um schon durch das verehrungswürdige Alter einfältigen Leuten die Augen zu blenden. In diesem Stück aber ist es ihnen nicht in den Sinn gekommen, derlei Betrug zu verüben. Es sind also nach ihrem eigenen Zeugnis noch nicht dreihundert Jahre verlaufen, seit Innozenz III. den Menschen diesen Strick um den Hals geworfen hat und die Beichte den Leuten als notwendig auferlegt worden ist. Aber wenn ich nun auch von der Zeit schweige, so macht schon die Barbarei der Worte jenes (Beicht-)Gesetz unglaubwürdig. Die guten Väter ordnen nämlich an, es solle jeder Mensch „von beiderlei Geschlecht“ (utriusque sexus) einmal im Jahre seinem eigenen Priester alle seine Sünden bekennen. Spottlustige Leute wenden nun witzig ein, dieses Gebot sei nur für Zwitter verbindlich (wegen der Formulierung „utriusque sexus“, von beiderlei Geschlecht), beziehe sich dagegen auf keinen Menschen, der einzig Mann oder Weib sei! Eine noch gröbere Torheit ist nun bei den Schülern jener Männer zum Vorschein gekommen: die können nicht erklären, was nun der „eigene Priester“ bedeuten solle! Was nun aber auch die gemieteten Zungendrescher des Papstes sich zusammenschreien mögen, so halten wir doch daran fest, daß Christus nicht der Urheber des Gesetzes ist, das die Menschen zwingt, ihre Sünden aufzuzählen, ja, daß seit der Auferstehung Christi zwölfhundert Jahre vergangen sind, ehe überhaupt ein solches Gesetz aufgestellt wurde. Wir halten daran fest, daß diese Tyrannei erst aufgekommen ist, als die Frömmigkeit und reine Lehre ausgelöscht war und sich die Scheinhirten bereits ohne Bedacht alle möglichen Freiheiten herausgenommen hatten. Es sind aber auch in den kirchlichen Geschichtsbüchern wie bei den anderen Schriftstellern der Alten Kirche klare Zeugnisse vorhanden, die uns lehren, daß es sich hier um eine bürgerliche Zuchtmaßnahme gehandelt hat, die von den Bischöfen eingerichtet worden ist, nicht aber um ein Gesetz, das Christus und die Apostel gegeben hätten. Ich will aus vielen nur ein einziges anführen, das ein heller Beweis dafür sein wird. Sozomenus (der Kirchengeschichtsschreiber) berichtet, daß diese Ordnung der Bischöfe in den Kirchen des Westens eifrig gehalten wurde, besonders in der Kirche zu Rom (Kirchengeschichte 7,16; Historia tripartita 9,35). Damit macht er deutlich, daß wir es hier nicht mit einer Einrichtung in allen Kirchen zu tun haben. Er erklärt aber weiter, es sei einer von den Priestern besonders dazu bestimmt gewesen, dieses Amt (nämlich das Hören der Beichte) zu verwalten. Damit widerlegt er zum Überfluß deutlich die Lüge der Scholastiker von der Schlüsselgewalt, die der ganzen Priesterschaft ohne Unterschied zu jener Übung (der Beichte) gegeben sein soll; denn die Amtsaufgabe des Beichtehörens kam ja nicht sämtlichen Priestern allgemein zu, sondern war die besondere Sache eines einzelnen, den der Bischof dazu ausgewählt hatte. Das ist der Priester, den man noch heutzutage an den Bischofskirchen „Beichtmeister“ nennt: der Mann, der die Untersuchung bei schweren Freveltaten und bei solchen Dingen hat, in denen die Strafe als Beispiel dienen soll. Dann bemerkt Sozomenus, die Sitte der Beichte habe auch in Konstantinopel bestanden, bis man eine Frau dabei ertappt habe, daß sie unter dem Schein, beichten zu wollen, mit dem dazu bestellten Diakonen Hurerei getrieben hatte. Angesichts dieser Freveltaten hat dann Nectarius, der Bischof dieser Kirche, ein nach seinem heiligen Wandel und nach seiner Bildung hochberühmter Mann, die Übung der Beichte abgeschafft. Hier, hier sollen nun die Esel die Ohren spitzen! Wäre die Ohrenbeichte ein Gesetz Gottes, wie hätte dann Nectarius wagen können, sie aufzuheben oder abzuschaffen? Will man einen Mann wie Nectarius, einen heiligen Mann Gottes, durch das Zeugnis aller Kirchenväter anerkannt, der Ketzerei und der Kirchenspaltung anklagen? Dann muß man aber das gleiche Verdammungsurteil über die Kirche von Konstantinopel fällen, denn diese hat nach der Behauptung des Sozomenus die Beichtsitte nicht nur eine Zeitlang aufgehoben, sondern sie sogar bis auf seine Zeit gänzlich abkommen lassen. Ja, man muß dann nicht nur die Kirche zu Konstantinopel, sondern überhaupt alle Kirchen des Ostens wegen Abfall in den Anklagezustand versetzen, weil sie ein – sofern die Scholastiker Recht haben! – unverletzliches Gesetz, das doch allen Christenmenschen auferlegt sein soll, außer Achtung gesetzt haben!
Simon W.