Die Berliner Erklärung von 1909 und die Heiligungsbewegung!

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Die Berliner Erklärung von 1909 und die Heiligungsbewegung!

Beitrag von Joschie »

Hallo Ihr!
Eigentlich hatte ich geplant das Thema "Berliner Erklärung von 1909" im Thread "Weichenstellung in der Kirchen/Dogmengeschichte" aufzugreifen.
In der letzten Zeit tauchten in mehreren Threads, Fragen zu den Geistesgaben und zur Geistestaufe auf. Im persönlichen Austausch mit anderen Nutzern, wurde auch öfter die "Berliner Erklärung von 1909" benutzt, um den eigenen Standpunkt besser zu untermauern.Ich möchte folgendes Vorrausschicken:Ich bin nach meiner Bekehrung glaubensmäßig in einer landeskirchlichen Gemeinschaft (Gnadauer Verband) groß geworden.Dort wurde auch öfter die Berliner Erklärung erwähnt um vor Zungenreden und der Pfingstbewegung (Geist von unten) zu warnen.Selbst bei einem Bibelkurs 1986 wurde die Berliner Erklärung genannt, mit denselben Argumenten, gelesen haben wir sie nicht, aus dem einfachen Grund, da sie einfach nicht vorlag.Am Ende der 80iger Jahre, war in einem Dorf in der Nähe öfter mal Lobpreisgottesdienst. Da bin ich auch mit einem Bruder oft hingefahren.Dadurch entstanden bei uns Fragen wegen den Geistesgaben, diese wurde immer mit der B.E. beantwortet, wie oben genannt.Das Parodoxe daran war, das die Charismatiker/Pfingstler später genau so schablonenhaft geantwortet haben, das die Berliner Erklärung an vielen Dingen Schuld ist, weil sich danach der Heilige Geist aus Deutschland zurückgezogen hat.Beide Seiten haben ein in dieser Frage ausgesprochenes Schwarz-Weiß-Denken.Ich konnte das alles nicht richtig einordnen und saß so zwischen allen Stühlen,bis mir ein Bruder mal den Rat gab, die "Berliner Erklärung von 1909" ganz durchzulesen und besonders den Punkt 4 zu beachten.Danach merkte ich erst wie sehr beide Seiten heute die "Berliner Erklärung von 1909" verkürzen, in dem Sie sie nur auf die Geistesgaben reduzieren und andere wichtige Sachverhalte oft total ignorieren, besonders die Lehre vom reinen Herzen.Genau hier ist man bei dem springenden Punkt, um die "Berliner Erklärung von 1909" richtig zu verstehen, muss man beachten, sie hat einen langen geschichtlichen Vorlauf, der unter dem Begriff "Heiligungsbewegung" bekannt ist.Ich hoffe durch das Aufzeigen und Beleuchten der geschichtlichen Zusammenhänge, ein besseres Verständnis für die Berliner Erklärung entstehen wird.
:arrow: Sollte ihr Fragen zur "Berliner Erklärung" haben stellt sie bitte bei Biblische Lehrthemen

:arrow: Jetzt erstmal der Text von der "Berliner Erklärung von 1909"
Berliner Erklärung 1909
1. Wir sind nach ernster gemeinsamer Prüfung eines umfangreichen und zuverlässigen Materials vor dem Herrn zu folgendem Ergebnis gekommen:

a) Die Bewegung steht im untrennbaren Zusammenhang mit der Bewegung von Los Angeles, Christiana, Hamburg, Kassel, Großalmerode. Die Versuche, diesen Zusammenhang zu leugnen, scheitern an den vorliegenden Tatsachen.

b) Die sogen. Pfingstbewegung ist nicht von oben, sondern von unten; sie hat viele Erscheinungen mit dem Spiritismus gemein. Es wirken in ihr Dämonen, welche, vom Satan mit List geleitet, Lüge und Wahrheit vermengen, um die Kinder Gottes zu verführen. In vielen Fällen haben sich die sogen. "Geistbegabten" nachträglich als besessen erwiesen.

c) An der Überzeugung, dass diese Bewegung von unten her ist, kann die persönliche Treue und Hingebung einzelner führender Geschwister nicht irre machen, auch nicht die Heilungen, Zungen, Weissagungen usw., von denen die Bewegung begleitet ist. Schon oft sind solche Zeichen mit ähnlichen Bewegungen verbunden gewesen, z.B. mit dem Irvingianismus, ja selbst mit der "christl. Wissenschaft" (Christian Science) und dem Spiritismus.

d) Der Geist dieser Bewegung bringt geistige und körperliche Machtwirkungen hervor; dennoch ist es ein falscher Geist. Er hat sich als solcher entlarvt. Die hässlichen Erscheinungen wie Hinstürzen, Gesichtszuckungen, Zittern, Schreien, widerliches, lautes Lachen usw. treten auch diesmal in Versammlungen auf. Wir lassen dahingestellt, wie viel davon dämonisch, wie viel hysterisch oder seelisch ist, gottgewirkt sind solche Erscheinungen nicht.

e) Der Geist dieser Bewegung führt sich durch das Wort Gottes ein, drängt es aber in den Hintergrund durch sogen. "Weissagungen". Vgl. 2. Chron. 18, 18-22. Überhaupt liegt in diesen Weissagungen eine große Gefahr; nicht nur haben sich in ihnen handgreifliche Widersprüche herausgestellt, sondern sie bringen da und dort Brüder und ihre ganze Arbeit in sklavische Abhängigkeit von diesen "Botschaften". In der Art ihrer Übermittlung gleichen die letzteren den Botschaften spiritistischer Medien. Die Übermittler sind meist Frauen. Das hat an verschiedenen Punkten die Bewegung dahin geführt, dass gegen die klaren Weissagungen der Schrift Frauen, sogar junge Mädchen, leitend im Mittelpunkt stehen.

2. Eine derartige Bewegung als von Gott geschenkt anzuerkennen, ist uns unmöglich. Es ist natürlich nicht ausgeschlossen, dass in den Versammlungen die Verkündigung des Wortes Gottes durch die demselben innewohnende Kraft Früchte bringt. Unerfahrene Geschwister lassen sich durch solche Segnungen des Wortes Gottes täuschen. Diese ändern aber an dem Lügencharakter der ganzen Bewegung nichts. (Vergl. 2. Kor. 11, 3.4.14)

3. Die Gemeinde Gottes in Deutschland hat Grund, sich tief zu beugen darüber, dass diese Bewegung Aufnahme finden konnte. Wir alle stellen uns wegen unserer Mängel und Versäumnisse, besonders auch in der Fürbitte, mit unter dies Schuld. Der Mangel an biblischer Erkenntnis und Gründung, an heiligem Ernste und Wachsamkeit, eine oberflächliche Auffassung von Sünde und Gnade, von Bekehrung und Wiedergeburt, eine willkürliche Auslegung der Bibel, die Lust an neuen aufregenden Erscheinungen, die Neigung zu Übertreibungen, vor allem aber auch Selbstüberhebung, das alles hat dieser Bewegung die Wege geebnet.

4. In Besonderheit aber ist die unbiblische Lehre vom sogen. "reinen Herzen" für viele Kreise verhängnisvoll und für die sogen. Pfingstbewegung förderlich geworden. Es handelt sich dabei um den Irrtum, als sei die "innewohnende Sünde" in einem begnadigten und geheiligten Christen ausgerottet. Wir halten fest an der Wahrheit, dass der Herr die Seinigen vor jedem Straucheln und Fallen bewahren will und kann (1. Thess. 5, 23; Jud. 24.25; Heb. 13, 21) und dass dieselben Macht haben, durch den Heiligen Geist über die Sünde zu herrschen. Aber ein "reines Herz", das darüber hinausgeht, auch bei gottgeschenkter, dauernder Bewahrung mit Paulus demütig sprechen zu müssen: "Ich bin mir selbst nichts bewusst, aber dadurch bin ich nicht gerechtfertigt", empfängt der Mensch überhaupt auf Erden nicht. Auch der gefördertste Christ hat sich zu beugen vor Gott, der allein Richter ist über den wahren Zustand der Herzen, vgl. 1. Kor. 4, 4. "Wenn wir sagen, dass wir keine Sünde haben, so verführen wir uns selbst, und die Wahrheit ist nicht in uns", 1. Joh. 1, 8.

In Wahrheit empfängt der Gläubige in Christo ein fleckenlos gereinigtes Herz, aber die Irrlehre, dass das Herz in sich einen Zustand der Sündlosigkeit erreichen könnte, hat schon viele Kinder Gottes unter den Fluch der Unaufrichtigkeit gegenüber der Sünde gebracht, hat sie getäuscht über Sünden, die noch in ihrer Gedankenwelt, in ihren Versäumnissen oder in ihrem Zurückbleiben hinter den hohen Geboten Gottes in ihrem Leben liegen. Es kann nicht genug ermahnt werden, für die Sünde ein Auge sich zu bewahren, welches nicht getrübt ist durch eine menschlich gemachte Heiligung oder durch eine eingebildete Lehre von der Hinwegnahme der Sündennatur. Mangelnde Beugung über eigene Sünde verschließt den Weg zu neuen Segnungen und bringt unter den Einfluss des Feindes. Traurige Erfahrungen in der Gegenwart zeigen, dass da, wo man einen Zustand von Sündlosigkeit erreicht zu haben behauptet, der Gläubige dahin kommen kann, dass er nicht mehr fähig ist, einen Irrtum zuzugeben, geschweige denn zu bekennen. Eine weitere traurige Folge falscher Heiligungslehre ist die mit ihr verbundene Herabsetzung des biblischen, gottgewollten ehelichen Lebens, indem man mancherorts den ehelichen Verkehr zwischen Frau und Mann als unvereinbar mit wahrer Heiligung hinstellt, vgl. 1. Mose 1,28 und Eph. 5, 31.

5. In der sogen. Pfingstbewegung steht in Deutschland P. Paul als Führer vor der Öffentlichkeit. Er ist zugleich der Hauptvertreter der vorstehend abgewiesenen unbiblischen Lehren. Wir lieben ihn als Bruder und wünschen ihm und der Schar seiner Anhänger in Wahrheit zu dienen. Es ist uns ein Schmerz, gegen ihn öffentlich Stellung nehmen zu müssen. An Aussprachen mit ihm und an Ermahnungen im engeren und weiteren Brüderkreis hat es nicht gefehlt. Nachdem alles vergeblich war, müssen wir nun um seinet- und der Sache Gottes willen hiermit aussprechen: Wir, die unterzeichnenden Brüder, können ihn als Führer und Lehrer in der Gemeinde Jesu nicht mehr anerkennen. Wir befehlen ihn in Liebe, Glaube und Hoffnung der zurechtbringenden Gnade des Herrn.

6. Wir glauben, dass es nur ein Pfingsten gegeben hat (Apg. 2). Wir glauben an den Heiligen Geist, welcher in der Gemeinde Jesu bleiben wird in Ewigkeit, vgl. Joh. 14, 16. Wir sind darüber klar, dass die Gemeinde Gottes immer wieder erneute Gnadenheimsuchungen des Heiligen Geistes erhalten hat und bedarf. Jedem einzelnen gilt die Mahnung des Apostels: "Werdet voll Geistes!" Eph. 5, 18. Der Weg dazu ist und bleibt völlige Gemeinschaft mit dem gekreuzigten, auferstandenen und erhöhten Herrn. In ihm wohnt die Fülle des Geistes leibhaftig, aus der wir nehmen Gnade um Gnade. Wir erwarten nicht ein neues Pfingsten; wir warten auf den wiederkommenden Herrn.

Wir bitten hiermit alle unsere Geschwister um des Herrn und seiner Sache willen, welche Satan verderben will: Haltet euch von dieser Bewegung fern! Wer aber von euch unter die Macht dieses Geistes geraten ist, der sage sich los und bitte Gott um Vergebung und Befreiung. Verzaget nicht in den Kämpfen, durch welche dann vielleicht mancher hindurchgehen wird. Satan wird seine Herrschaft nicht leichten Kaufes aufgeben. Aber seid gewiss: Der Herr trägt hindurch! Er hat schon manchen frei gemacht und will euch die wahre Geistesausrüstung geben.

Unsere feste Zuversicht in dieser schweren Zeit ist diese: Gottes Volk wird aus diesen Kämpfen gesegnet hervorgehen! Das dürft auch ihr, liebe Geschwister, euch sagen, die ihr erschüttert vor den Tatsachen steht, vor welche unsere Worte euch stellen. Der Herr wird den Einfältigen und Demütigen Licht geben und sie stärken und bewahren.

Wir verlassen uns auf Jesum, den Erzhirten. Wenn jeder dem Herrn und seinem Worte den Platz einräumt, der ihm gebührt, so wird er das Werk seines Geistes, das er in Deutschland so gnadenreich angefangen hat, zu seinem herrlichen, gottgewollten Ziele durchführen. Wir verlassen uns auf ihn, der das spricht: "Meine Kinder und das Werk meiner Hände lasset mir anbefohlen sein!" (Jes. 45, 11 - wörtlich übersetzt)

Berlin, den 15 September 1909

Unterschrieben hatten:

Bähren, Hannover; Bartsch, Charlottenburg; Blecher; A. Dallmeyer; Broda, Gelsenkirchen; Dolmann; Engel, Neurode; Evers, Rixdorf; Frank, Hamburg; Grote, Oberfischbach; Hermann, Berlin; Heydorn; Huhn, Freinwalde; Ihloff; Jörn, Berlin; Kmitta; Knippel; Köhler, Berlin; Graf Korff; Kühn, Gr. Lichterfelde; Lammert, Berlin; Lohe; K. Mascher; Fr. Mascher, Lehe; Meister, Waldenburg; Merten, Elberfeld; Michaelis; v. Patow; Rohrbach; v. Rotkirch; Rudersdorf, Düsseldorf; Ruprecht, Herischdorf; Sartorius; Scharwächter; Schiefer, Neukirchen; Schopf, Witten; Schrenk; Schütz, Berlin; Schütz, Rawitsch; Seitz; Simoleit, Berlin; Stockmayer; v. Thiele-Winckler; Thiemann; v. Treskow; v. Thümmler; M. Urban; Urbschat, Hela; Vasel; v. Viebahn; Wächter, Frankfurt; Wallraff, Berlin; Warns, Berlin; Wittekindt; Wüsten, Görlitz; v. Zastrow, Gr. Breesen. Zustimmungen wurden erbeten an Wittekindt in Wernigerode.
Das Pferd wird gerüstet für den Tag des Kampfes, aber der Sieg kommt von dem HERRN. Spr. 21,31

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Die Heiligungsbewegung in England

Beitrag von Joschie »

Die Berliner Erklärung von 1909 und die Heiligungsbewegung!
Das die Berliner Erklärung von 1909 eine Weichenstellung für den deutschsprachigen Raum war, ist heute eigentlich Konsens.Bei der Beurteilung der Berliner Erklärung, gehen die Meinungen sehr weit auseinander, für die einen war es eine schmerzhafte aber notwendige Korrektur, für die anderen, ein folgenreiches Fehlurteil. Was bei dem Lesen der Beurteilungen auffällt ist, das sehr selten die Vorgeschichte der Berliner Erklärung Beachtung findet.Diese Vorgeschichte ist die Heiligungs-
bewegung in England und Deutschland.

Einleitung

:arrow: Für viele ist die Heiligungsbewegung "Terra incognita" und darüber braucht man sich auch nicht wirklich wundern, da selbst in Standardwerken wie Armin Sierszyn, "2000 Jahre Kirchengeschichte"Band 1-4 die Heiligunsbewegung gerade auf 4 Seiten erwähnt wird.In dem "Kompendium der Kirchengeschichte" von Karl Heussi sucht man einen Eintrag zur Heilungsbewegung ebenso vergeblich.Auch in dem Wörterbuch Kirchen/Dogmengeschichte von Denzler/Andresen und in der Kirchengeschichte von Bihlmeyer/Tüchle Band1-3, gibt es keinen einzigen Eintrag über die Heiligungsbewegung.Es wurde mit Recht festgestellt, das die Geschichte der Heiligungsbewegung ein Stiefkind der Kirchen/Dogmengeschichte und der Theologie ist.

:arrow: Stephan Holthaus beschreibt im Vorwort seines umfangreichen Werks Heil – Heilung – Heiligung. Die Geschichte der deutschen Heiligungs- und Evangelisationsbewegung (1874-1909) den enormen Einfluss, den diese religiöse Strömung ausübte. Folgender Tatbestand wird dabei summarisch genannt:
… große Teile des heutigen Protestantismus verdanken dieser Heiligungs- und Evangelisationsbewegung Wesentliches. So liegen z.B. die Ursprünge des weltweiten Evangelikalismus, dessen Anhänger heute auf 400 Millionen geschätzt werden, in eben dieser Heiligungs und Evangelisatins- bewegung. Unzählige wachsende Kirchen, die in den letzten 150 Jahren entstanden sind,entstammen diesen Wurzeln,so z.B. die Pfingstbewegung. Insbesondere viele Kirchen der Dritten Welt erhielten von den Ausläufern der Heiligungs undEvangelisationsbewegung ihre entscheidenden Impulse.Aber auch die heutige kirchliche Situation in Deutschland ist ohne die damalige Erneuerungsbewegung nicht zu verstehen.Die Heiligungs und Evangelisationsbewegung gabe entscheidende Anstöße zur Gründung der
„Deutschen Gemeinschaftsbewegung. Viele Landes- und Freikirchen erhielten durch sie wichtige Impulse. Darüber hinaus lassen sich die größten Missionsgesellschaften Deutschlands und der Schweiz auf die Evangelisationsbewegung zurückführen, ebenso viele bekannte Evangelisationswerke. Große missionarische Kampagnen wie die Evangelisationen Billy Grahams und die Großveranstaltung „Pro Christ― standen und stehen in Kontinuität mit entsprechenden Vorläufern. Bekannte sozialdiakonische Werke in Deutschland entstanden durch die Heiligungs und Evangelisations- bewegung. Viele der heutigen freien theologischen Ausbildungsstätten sind Frucht dieser Bewegung. Und nicht zuletzt finden sich die „Heilslieder dieser Bewegung bis heute in evangelischen Gesangbüchern.Sucht man jedoch in der Theologischen Realenzyklopädie, dem aus 36 Bände und rund 28.000 Seiten bestehenden Nachschlagewerke für Theologie und Religionswissenschaft, einen Artikel zum Stichwort „Heiligungsbewegung―, so findet man lediglich einen Verweis auf die „Gemeinschaftsbewegung―. Doch ihr Einfluss auf den Protestantismus ist, wie wir nun wissen, in der Neuen und Alten Welt viel umfassender gewesen, als eine kurze, befruchtende Einwirkung auf die deutschsprachigen Gemeinschaften in der zweiten Hälfte des 19.Jahrhunderts. Ein Blick auf die statistische Entwicklung der globalen Christenheit gibt einen Hinweis auf die Bedeutung dieser "Mutterbewegung , aus der sich eine Vielzahl von Bewegungsfamilien entwickelt haben, zu denen die Keswickbewegung,das Pfingstlertum und die Charismatik zählen.

1.Die Heiligungsbewegung in England.
1.1.Die Wegbereiter der Heiligungsbewegung in England


:arrow: Die Wurzeln der späteren Heiligungsbewegung liegen in der Theologie des Begründers des Methodismus John Wesley (1703-1791). Wesley veröffentlichte 1767 seine Gedanken über den Perfektionismus unter dem Titel „Plain Account on Christian Perfection“. In diesem Werk behauptete er, daß der Christ zu einem Zustand der Sündlosigkeit kommen könnte. John Wesley hatte gelehrt, dass der Christ nach der Rechtfertigungserfahrung durch einen längeren Prozess im Glauben weiter fortschreiten könne bis zur Stufe der „Christlichen Vollkommenheit“, d.h. dem Unterlassen jeder bewussten willentlichen Sünde.So lehrte Wesley u.a.‚ daß die Rechtfertigung die Voraussetzung für die Heiligung sei, die man anstreben sollte. Das Ziel der christlichen Vollkommenheit sei, einen Zustand frei von bösen Gedanken und Neigungen zu erreichen. „Man könnte die Werke des Fleisches trotz aller in der Rechtfertigung geschenkten Gnade nicht ausrotten. Wir können es bestimmt nicht, bis daß es unserem Gott gefallen mag, ein zweites Mal zu sprechen: ‚Sei rein!‘ dann erst ist der Aussatz gereinigt,ist die bös Wurzel derfleischliche Sinn, zerstört!“Diese Auffassungen Wesleys führten zu einer bedauerlichen und heftigen Auseinandersetzung und schließlich zum Bruch mit Zinzendorf Zinzendorf und den Herrnhutem, denen Wesley so viel zu verdanken hatte. N. von Zinzendorf hatte Wesley deutlich geschrieben , was er von der „christlichen Vollkommenheit“ hielt: „Wir glauben, daß die Sünde in unseren Gliedern bleibt, daß sie aber nicht über uns herrschen kann, weil es so in der Schrift steht. Der größte Heilige kann morgen der größte Sünder sein, wenn er sich etwas auf seine Heiligkeit einbildet.“Da John Wesley aber kein systematischer, sondern mehr ein praktischer Theologe war, der nüchtern, demütig und aufrichtig genug war, seine Überzeugung nicht starr festzuhalten und jedem aufzudrängen, kam es zu seinen Lebzeiten in der Frage der „Vollkommenheit“ nicht zu schwärmerischen Auswüchsen. Aber nach ihm griffen Männer seine Gedanken auf und entwickelten daraus Lehren vom „zweiten Segen“ und „höheren Leben“.In den 1830er Jahren wurde diese wesleyanische Heiligungslehre in den USA immer populärer,wobei sehr unterschiedliche Ansichten darüber vertreten wurden,wie man die Stufe der vollkommenen Heiligung erreichen kann, ob allein durch Gottes Gnade oder durch bewusste Willensanstrengung, ob in einem langsamen Prozess oder durch ein plötzliches Erlebnis,der"Geistestaufe".

:arrow: Dieser sogenannte Perfektionismus wurde in den 30er Jahren des 19. Jahrhunderts in Amerika aufgenommen und von einigen Heiligungspredigern vertreten. Hier war es vor allem der Evangelisten Charles G. Finney, der die Lehre Wesleys aufnahm und ab 1836 das „höhere christliche Leben“ predigte.1835 nahm Finney eine Berufung als Professor am Oberlin-Predigerseminar in Ohio an, von wo aus er Vorträge über Erweckung hielt und sich von Gott gedrängt fühlte, die Heiligungsfrage zu behandeln.„Angesichts des Schwächezustandes der christlichen Kirche,wie er mir in meiner Evangelisationsarbeit entgegengetreten war, drängte sich mir die Frage auf, Ob es nicht doch eine höhere Stufe christlicher Erfahrung gäbe, als sie die Gemeinde Gottes bisher gekannt habe, und ob nicht im Evangelium Verheißungen zur Befestigung und Vertiefung des Glaubenslebens vorhanden seien.Ich kannte wohl die Anschauungen der Methodisten über Heiligung, konnte mich diesen aber nicht anschließen, da mir das Gefühlsleben dabei eine viel zu große Rolle zu spielen schien und somit die Gefahr der Selbsttäuschung nahe lag. Um so eifriger forschte ich in der Heiligen Schrift und las alles, was mir über diesen Gegenstand zu Händen kam, bis ich die völlige Gewißheit hatte, das es das Vorrecht aller Kinder Gottes sei, nicht immer zwischen Fallen und Aufstehen hin und her zu schwanken sondern gemäß den Verheißungen des Neuen Testamentes in Gerechtigkeit und Heiligkeit zu wandeln, die vor Gott gefällig sei. Dies veranlaßte mich, in der Kirche von Broadway zweimal über ‚christliche Vollkommenheit‘ zu predigen...“ Hatte Wesley also von einer zweiten entscheidenden Erfahrung gesprochen, so prägte Finney wohl als einer der ersten den Begriff der „Geistestaufe“ als einer Erfahrung nach der Wiedergeburt. Eine zweite Heiligungsbewegung brach zur gleichen Zeit im amerikanischen Methodismus auf. Phoebe Palmer und Sarah Lankford heilten 1835 Heiligungsversammlungen in New York ab, die großen Zulauf hatten. Auch bei Ihnen gab es nur ein Thema: Wie erreichen wir ein hingegebenes, sündenfreies Leben? Im Gegensatz zu Finney sprach man hier auch von einer „Geistestaufe“um den sündlosen Zustand zu ereichen Führer dieser zweiten Gruppe wurde später William Boardman, der 1858 sein berühmtes Buch The Higher Christian Life veröffentlichte.

:idea: Bei Lesen dieser Zeilen sollte man in Betracht ziehen, dass einige Begriffe die im Text erscheinen heute eine andere Wertigkeit haben als damals. :idea:
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Beitrag von Joschie »

:arrow: Bei so einem komplexen Thema wie die Heiligungsbewegung läst es sich nicht verhindern das sich Daten und Fakten öfter wiederholen, ich bitte für dieses Sachverhalt um Verständniss.

:arrow: Die Heiligungsbewegung ist keine homogene Einheit.Sie hat in ihrer Entwicklung, man spricht auch von Wellen verschiedenste Impulse und Lehraussagen aufgenommen.Dieses ist bei der Betrachtung und Beurteilung der Heiligungsbewegung zu beachten.Ursprünglich entwickelte sich die Heiligungsbewegung aus dem Wesleyanischen Methodismus und dem Quäkertum und führte ihrerseits wiederum zu einer Fülle von Tochterbewegungen, die das Anliegen der Mutterbewegung bewahrten oder auch in bestimmten Lehrpunkten und Verhaltensformen veränderten

:arrow: Ab 1850 wurde die Heiligungsbewegung zu einer der dominantesten Kräfte in der dynamischen Christianisierung Nordamerikas. Dies wurde dadurch möglich, dass die Zweite Grosse Erweckung die Lehre und Praxis dieser Bewegung aufnahm. Doch nicht nur das quantitative Wachstum der Christenheit durch neue Impulse für die Evangelisation und die Weltmission in Nordamerika hängt mit den fruchtbaren Impulsen dieser Bewegung zusammen. Führende Protagonisten der Heiligungsbewegung wie Charles G. Finney machten verschiedene soziale Reformen wie Sklavenbefreiung, Koedukation, Feminismus, Prohibition, Gleichberechtigung der Rassen usw. zu bedeutenden ethischen Themen in der sich im 19. Jahrhundert entwickelnden amerikanischen Gesellschaft. Das zentrale Anliegen der Heiligungsbewegung bestand also nicht nur darin, die Gesinnung der Kirchgänger zu heiligen, sondern auch die allgemeine Gesellschaft von Grund auf nach biblisch-ethischen Massstäben zu reformieren. Ein Beispiel für diese Dynamik sind die rebellischen Studenten von Lane, die ihr konservatives theologisches Seminar verliessen, weil ihnen dort jede Äusserung zum Thema Sklaverei verboten wurde. Sie fanden Aufnahme am neu gegründeten Oberlin College, das nicht nur offen gegen die Sklaverei Stellung nahm, sondern den sündlosen Perfektionismus, die Anti-Saloon League, neue Ernährungstheorien und weitere damals aktuelle Anliegen förderte. Die erste Ordination einer Frau zum geistlichen Dienst ist ebenso auf das Oberlin College und die Heiligungsbewegung zurückzuführen, wie die bemerkenswerte Karriere der ehemaligen Sklavin und Waschfrau Amanda Smith zur weltweit reisenden Evangelistin. Die Entstehung der Heilsarmee aus der Heiligungsbewegung mit ihren sozial-ethischen Dienstzweigen und der Gleichstellung von Männern und Frauen im Offiziersdienst, zeigt den damaligen Stand der Überzeugungen.

:arrow: Die Heiligungsbewegung
Die Heiligungsbewegung ist wohl die entscheidenste Wurzel der Pfingstbewegung.Die erste Welle der Heiligungsbewegung geht auf John Wesley zurück. Wesley veröffentlichte 1767 seine Gedanken über den Perfektionismus unter dem Titel „Plain Account on Christian Perfection“. In diesem Werk behauptete er, daß der Christ zu einem Zustand der Sündlosigkeit kommen könnte. Diese „höhere Stufe des Christseins“,das " Siegesleben in Christus“, sei durch eine besondere Hingabe und durch ernste Nachfolge erreichbar. Dieser sogenannte Perfektionismus wurde in den 30er Jahren des 19. Jahrhunderts in Amerika aufgenommen und von einigen Heiligungspredigern vertreten.Hier war es vor allem der Evangelist Charles Finney, der die Lehre Wesleys aufnahm und ab 1836 das „höhere christliche Leben“ predigte.

:arrow: Eine zweite Heiligungsbewegung brach zur gleichen Zeit im amerikanischen Methodismus auf. Phoebe Palmer und Sarah Lankford hielten 1835 Heiligungsversammlungen in New York ab, die großen Zulauf hatten. Auch bei Ihnen gab es nur ein Thema: Wie erreichen wir ein hingegebenes, sündenfreies Leben? Im Gegensatz zu Finney sprach man hier auch von einer „Geistestaufe“, um den sündlosen Zustand zu erreichen. Führer dieser zweiten Gruppe wurde später William Boardman, der 1858 sein berühmtes Buch The Higher Christian Life veröffentlichte.

:arrow: Erst ab 1873/74 gelangte die Heiligungsbewegung nach Europa.Ausschlaggebend war ein amerikanischer Fabrikant mit seiner Frau, das Ehepaar Robert Pearsall und Hanna Whitall Smith. 1874 organisierten sie in Oxford, 1875 dann in Brighton große Heiligungskonferenzen mit Tausenden von Teilnehmern aus ganz Europa. Ein Jahr später gründete man in Keswick in England eine jährliche Konferenz, um den Funken der Heiligung wach zu halten. Deshalb wurde die ganze Bewegung in England auch „Keswick-Bewegung“ genannt. Smith war weniger radikal als Palmer und Boardman. Er sprach nur von der „Unterdrückung des Sündigenmüssens“, nicht von der Befreiung von der Sünde. Wie dem auch sei: die Bedeutung der beiden Konferenzen von Oxford und Brighton kann nicht hoch genug eingeschätzt werden. Es ging eine Welle der Hingabe und Heiligung durch Europa. Aber nicht nur Europa: von Keswick wurde der Funke der Heiligungsbewegung in die ganze Welt getragen. Moody, der zur gleichen Zeit in England evangelisierte, wurde sofort für die Sache gewonnen. Ebenso Hudson Taylor, der große Chinamissionar, dessen Theologie ohne die eigenen Heiligungserfahrung nicht zuverstehen ist.Reuben Archer Torrey muß hier ebenso genannt werden wie F.B.Meyer dessen Heiligungsbücher weltweit verbreitet wurden.
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Die Heiligunsbewegung bis 1873

Beitrag von Joschie »

Die Heiligunsbewegung bis 1873

:arrow: 1735 ging John Wesley(1703-1791) mit seinem Bruder, für zwei Jahre als Missionar nach Georgia. Auf der Überfahrt nach Amerika schloss er sich einer Gruppe der Herrnhuter Brüdergemeinde um Nikolaus Ludwig Graf von Zinzendorf an.Bei seinem Aufenthalt in der nordamerikanischen Kolonie Georgia, lernte er nicht nur die singefreudigen Herrnhuter kennen, sondern auch die von Halle ( August Hermann Francke), geprägten Salzburger Emigranten. Wesleys genau datierte Bekehrung 1738, erfolgte in einem herrnhutischen Kreis, in London, während der Vorlesung von Luthers berühmter Vorrede zum Römerbrief.John Wesley kannte auch die Bücher von August Hermann Francke, da diese ins Englische übersetzt wurden. In der Theologie von John Wesley, flossen verschiedene Elemente aus der protestantisch-pietistischen Theologie ein.
John Wesley, veröffentlichte 1767 seine Gedanken über den Perfektionismus, unter dem Titel „Plain Account on Christian Perfection“. In diesem Werk behauptete er, daß der Christ zu einem Zustand der Sündlosigkeit kommen könnte.

:arrow: In den 1830er Jahren, wurde diese wesleyanische Heiligungslehre in den USA immer populärer, wobei sehr unterschiedliche Ansichten darüber vertreten wurden, wie man die Stufe der vollkommenen Heiligung erreichen kann, ob allein durch Gottes Gnade oder durch bewusste Willensanstrengung, ob in einem langsamen Prozess oder durch ein plötzliches Erlebnis der „Geistestaufe“.Als prägende Persönlichkeit, wirkte Charles Finney (1792-1875). Mit Asa Mahan (1800-1889) zusammen, begründete er die Oberlin-Theologie, welche die Heiligung als zweite Stufe nach der Rechtfertigung beschrieb (ähnlich wie Wesley). Damit wurde er wesentlicher Impulsgeber, der amerikanischen Heiligungsbewegung.

:arrow: Eine zweite Heiligungsbewegung brach zur gleichen Zeit im amerikanischen Methodismus auf. Phoebe Palmer und Sarah Lankford hielten 1835 Heiligungsversammlungen in New York ab, die großen Zulauf hatten. Auch bei Ihnen gab es nur ein Thema: Wie erreichen wir ein hingegebenes, sündenfreies Leben? Im Gegensatz zu Finney sprach man hier auch von einer „Geistestaufe“, um den sündlosen Zustand zu erreichen. Führer dieser zweiten Gruppe wurden später William Boardman(1810-1886).In seinem weit verbreiteten Buch, "The Higher Christian Life" (1858), vertrat William Boardman die Ansicht, dass es bei der Heiligung nicht um eine völlige Ausrottung von inneren sündigen Neigungen geht, sondern allein um das ständige Bleiben in Jesus. Boardman wurde der Förderer des Ehepaars Robert Pearsall Smith (1827-1898) und Hannah Whitall Smith (1832-1911), die sich der Heiligungsbewegung angeschlossen hatten und mit ihm zusammen für die Heiligungslehren warben.

:arrow: In den USA kam es nach dem Bürgerkrieg 1865, zu den ersten großen konfessionsübergreifenden Heiligungsversammlungen. Diese Heiligungsbewegung organisierte sich 1867, in der „National Camp Meeting Association for the Promotion of Holiness“, sie führte zur Erneuerung vieler bestehender Denominationen und schließlich auch zu neuen Kirchengründungen (Gemeinde Gottes, Kirche des Nazareners, Heilsarmee, usw.).

Zusammenfassung:
:arrow: Die Heiligungsbewegung ist zwischen 1840 und 1850 in den methodistischen Kirchen Amerikas entstanden.Sie propagierte besonders John Wesleys Lehre, von der völligen Heiligung ("entire sanctification") und der christlichen Vollkommenheit ("Christian perfection").Was bei Wesley noch christologisch verankert war, verselbstständigte sich im Zug der großen amerikanischen "camp meeting revival", zu eigenständigen Schwerpunkten der Verkündigung, die den ganzen Akzent auf die Notwendigkeit und Möglichkeit christlicher Heiligung legten.
:arrow: Die "Rechtfertigung des Sünders" wurde nur noch als eine erste Stufe des christlichen Glaubensweges begriffen, die ohne die zweite Stufe der persönlichen Anstrengung, unter Mitwirkung des Heiligen Geistes, stark abgewertet wurde. Die aus der Verschiebung der reformatorischen Glaubenslehre entstehenden Probleme, in Fragen der Heilgewissheit, haben zu Ausdifferenzierung nicht nur in Lehrfragen, sondern auch zu Richtungsbildungen geführt.
:arrow: Charles Finney, begründete mit Asa Mahan, (1800-1889) die Oberlin-Theologie, dort entwickelte Finney seine radikale Form des Perfektionismus.
:arrow: Die Evangelisationsbewegung (Charles Finney und sein Pragmatismus) und das Quäkertum beeinflussten auch die Heiligungsbewegung.
Das Pferd wird gerüstet für den Tag des Kampfes, aber der Sieg kommt von dem HERRN. Spr. 21,31

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Bis zu den Tagen von Oxford und Brighton!

Beitrag von Joschie »

Bis zu den Tagen von Oxford und Brighton!

:arrow: Zu den prägensten Leute in der Heiligungsbewegung in England gehörten William Edwin Boardman, Robert und Hannah Whitall Smith. Diese wurden maßgeblich von Asa Mahan (1800-1889) und von den Schwester Sarah Lankford (1806-1896) und Phoebe W. Palmer (1807-74) beeinflußt, Asa Mahan (1800-1889) begründete er zusammen mit Finney die Oberlin-Theologie, welche die Heiligung als zweite Stufe nach der Rechtfertigung beschrieb. Damit wurde er wesentlicher Impulsgeber der amerikanischen Heiligungsbewegung.


:arrow: Robert Pearsall Smith wurde am 1. Februar 1827 in eine Quäkerfamilie in Philadelphia geboren. Er arbeitete zunächst als Vertreter für die Whitall-Tatum Glasfabrik in Glasstown (Pennsylvania) und heiratete im Juni 1851 Hannah Whitall, die Tochter des Fabrikbesitzers. Gemeinsam hatten sie sechs Kinder, 1865 zog die Familie nach Milville, wo Robert Pearsall Smith die Direktion der dortigen Zweigfabrik übernahm.In dieser Zeit kam es unter den Arbeitern der Fabrik zu einer religiösen Erweckung durch methodistische Heiligungsprediger, was schließlich auch beim Ehepaar Smith im Jahr 1867 zu dem Erlebnis einer "Taufe mit dem Heiligen Geist" führte. Sie gelangten dadurch zu der Überzeugung einer möglichen "Heiligung durch den Glauben", d.h. einer tiefgreifenden und dauerhaften Überwindung von sündigen
Verhaltensweisen, was sie in dem einflussreichen Buch "Holiness through Faith" (1870) beschrieben. Die Smiths schlossen sich nun William Edwin Boardman (1810–1886) an, dem Begründer der Heiligungsbewegung und Verfasser des Buches The Higher Christian Life (1858). Als dieser nach England übersiedelte, folgten ihm die Smiths im Jahr 1873, wo sie gemeinsam auf Heiligungskonferenzen als Redner auftraten. Kurze Zeit nach der Konferenz wurde Smith allerdings mit dem Vorwurf konfrontiert, er habe in einem seelsorgerlichen Gespräch die unbiblische Geheimlehre einer spürbaren Verlobung mit Jesus vertreten und außerdem die betreffende Dame sexuell belästigt. Smith stritt Letzteres ab und sagte sich auch von seiner Sonderlehre los.Die Vorwürfe wurden letztlich nie geklärt, aber den Smiths wurde dadurch jede weitere Wirksamkeit in Europa unmöglich gemacht.Da er vom Leitungskomitee der Brightoner Konferenz zur Aufgabe jeder weiteren Lehrtätigkeit in England gedrängt wurde. Robert Pearsall Smith kehrte im Herbst 1875 als gebrochener und depressiver Mann wieder nach Germantown bei Philadelphia zurück. In der Folgezeit sagte er sich schließlich ganz vom christlichen Glauben los. Smith hatte keine theologischer Bildung, war aber theologisch beeinflusst, folgende Einflüsse sind zu erkennen.
Katholische Mystik: Seine Frau H.W.Smith las die katholischen Mystiker und entdeckte, wie man durch den Willen, und durch totale Hingabe, ganz zu Gott hinzukommen kann. R.P.Smith beweist in seinen Aussagen an der Konferenz diesen Einfluss, als er sagt: „Fénélon sagt richtig: Die Religion liegt im Willen. Die Gefühle kommen und gehen; aber mit dem Willen kannst du immer in Gott bleiben“ (R.P.Smith 1875:103).
Quietistischer Einfluss der Quäker: Smith wurde durch seine Frau, die aus Quäkerkreisen kam, für die quietistischen Gedanken gewonnen. Seine Frau schreibt: „Durch dies alles habe ich die Ueberzeugung gewonnen, dass die Quäker eine Gemeinschaft zur Förderung des inneren Lebens sein sollten. Ihre Aufgabe war zu einer engeren Verbindung mit Gott zu führen und zu einem Leben beständigen Vertrauens auf ihn“ (H.W.Smith 1910:203).
Methodistischer Einluss: Smith besuchte schon früh die Versammlungen der Methodisten und erkannte, dass die Liebe Christi eingewurzelt sein muss. Er hat dies zuerst im Glauben erfasst, und später auf sehr emotionale Art erlebt. Er entdeckte eine besondere Erfüllung des Geistes, den zweiten Segen „second blessing“, was er als Geistestaufe verstand. Seine Frau nannte es die „Erkenntnis der Wahrheit“, nämlich, dass Jesus alle Macht der Sünde gebrochen hatte, und dass der Glaube daran in ihn eingepflanzt wurde (H.W.Smith 1910:207).(Stefan Fuchser)




:arrow: Hannah Whitall Smith (1832-1911 ) Hannah Whitall Smith stammte aus einer Glasfabrikantenfamilie in der Tradition der Quäker.1851 heiratete sie Robert Pearsall Smith (1827–1898) und wurde mit ihm gemeinsam um 1867 für die methodistisch geprägte Heiligungsbewegung gewonnen. Daraufhin veröffentlichte sie 1870 den Bestseller The Christian's Secret of a Happy Life (Das Geheimnis eines glücklichen Christenlebens). Das Ehepaar Smith schloss sich William Edwin Boardman (1810–1886) an, dessen Buch The Higher Christian Life (1858) als Standardwerk der Heiligungsbewegung galt. 1874 siedelte Whitall Smith mit ihrer Familie nach England über, wo sie ihren Mann auf großen Konferenzen in Oxford und Brighton unterstützte. Für Aufsehen sorgten dabei ihre Auftritte als glänzende Rednerin, nicht nur vor Frauen, sondern auch vor Männern, was bis dahin im Christentum kaum vorkam. Hannah Whitall Smith setzte sich in der Folgezeit für die öffentliche Lehrtätigkeit von Frauen ebenso ein wie für das Frauenwahlrecht. Ebenfalls im Jahr 1874 wurde sie Mitbegründerin der Woman’s Christian Temperance Union, die gegen Alkoholmissbrauch kämpfte. Zwischen 1875 und 1888 kehrten die Smiths wieder in die USA zurück. Hannah zog sich nun aus der aktiven Unterstützung der Heiligungsbewegung zurück. Auch Hannah Whitall Smith engagierte sich in den 1890er Jahren für die Frauenrechtsbewegung, sie blieb aber ebenso eine gefragte Rednerin in christlichen Kreisen. Im Jahr 1903 veröffentlichte sie ihre Autobiographie The Unselfishness of God And How I Discovered It. Darin legt sie unter anderem dar, wie sie zu der Überzeugung einer Allaussöhnung gekommen ist. Hannah Whitall Smith wurde von ganz verschiedenen Richtungen theologisch beeinflusst: Hanna W.Smith ist in quäkerischen Anschauungen aufgewachsen. Manches hat sie davon später abgestreift, wie die Enge in der Kleidung, Stellung zur Kunst und dgl., anderes aber hat sie zeitlebens fest gehalten, wie die geistliche Auslegung der Bibel, die verhältnismäßige Unwichtigkeit kirchlicher Gebräuche und Bekenntnisse, die Gleichberechtigung der Frau in Gemeinde und Predigtamt. Schon als ihr mit 16 Jahren die Größe Gottes aufging und sie nun diesen Gott suchte, aber infolge ihrer Quäkererziehung, meinte warten zu sollen auf das "innere Licht", litt sie darunter, dass sie gar nicht dazu kommen konnte, Buße in sich zu fühlen und nur endlos ermüdende Wartezeit vor sich Auftauchen zu sehen. Sie entwickelte eine Abneigung gegen alles gefühlsmäßige. Sie wurde darin durch Berührung mit Darbysten bestärkt. Wenig sympatisch war ihr an ihren neuen Freunden, die Betonung der Ehre Gottes. Durch Betrachten von Jes. 53,11 bekam sie die Erleuchtung, dass Gott durch Christus jedes menschliche Wesen schließlich retten werde. Durch die ihr von den Quäkern bekannten allegorischen Auslegung der Bibel, fand sie die Wiederbringungslehre überall in der Bibel. Es war für sie die Rückkehr zum Quäkergedanken von dem Schöpfer als dem Vater aller. Die Scheidung von Darby und Wiederannäherung an das Quäkertum wurde für sie zugleich die Vorbereitung zum Anschluß an die
Heiligungsbewegung. Unzufrieden mit ihrem Christenstand, in dem einzelne Siege mit vielen häufigen Niederlagen abwechseln, führten dazu, dass sie viele Gedanken der Quäker, Fenelon und Mad. Guyon verstärkt aufnahmen. Hinzu kam der verstärkte Kontakt zu einer kleinen Methodistenversammlung. Dieses alles führte zur Lehre des siegreichen Lebens, dazu auch das Buch von Hannah Whitall Smith "Das Geheimnis eines glücklichen Christenlebens".(Paul Fleisch)


:arrow: Exkurs Inneres Licht: Zentrales Konzept in der Quäker-Theologie. Zentrale Aussage ist, dass sich Christus in jedem Menschen offenbart. Also dass jeder Mensch in einem inneren Zwiegespräch mit Christus kommen kann und soll und dass das der Schlüssel zur Gnade und letztlich zur Erlösung ist. George Fox sagte einmal: „Du wirst sagen, Christus sagt dies und die Apostel sagen jenes, aber was kannst Du selber sagen? Bist Du ein Kind des Lichtes und bist Du im Licht gewandelt und kommt das, was du sagst, in deinem Innern von Gott?"
Im Zentrum des Quäkerglaubens steht die Vorstellung des „Inneren Lichtes”. Sie besagt, dass etwas von Gottes Geist und von Gottes Kraft in jeder menschlichen Seele zu finden ist: „Das von Gott in jedem Menschen”. Wir sind der Ansicht, dass wahre Religion nicht aus Büchern oder vorgegebenen Gebeten, Worten oder Ritualen gelernt werden kann. Wir glauben an eine fortgesetzte Offenbarung von Gottes Willen in der Gegenwart. Wir weigern uns daher, die Bibel alleine zum endgültigen Kriterium für die richtige Lebensgestaltung und die wahre Lehre zu machen". Quäker haben erfahren, dass Gott durch das Innere Licht allen Menschen Zugang zur Wahrheit gibt, und wir wissen, dass kein Buch diese lebendige Erfahrung ersetzen kann, und die Kenntnis von Bibelstellen keine Antwort (aber vielleicht ein Begleiter) ist, wenn wir gefragt werde.(Religiöse Gesellschaft)




:arrow: Vom 29. August-7. September 1874 organisierten und leiteten das Ehepaar Smith das "Oxford Union Meeting for the Promotion of Scriptural Holiness" mit 1500 Teilnehmern. Hieran nahmen auch eine Reihe von späteren Führern der deutschen Gemeinschaftsbewegung teil, wie z.B. Carl Heinrich Rappard, Otto Stockmayer und Theodor Jellinghaus. Diese luden Smith zu einer Vortragsreise durch Deutschland und die Schweiz ein. Vom 29.5.-7.6.1875 fand eine zweite Heiligungskonferenz in Brighton statt, an der es unter den 8000 Besuchern auch 200 deutsche Teilnehmer gab (darunter auch der später einflussreiche Evangelist Elias Schrenk und der Missiologe Gustav Warneck!). Die Kraft der Bewegung lag weniger in einer neuartigen Lehre als in dem Eindruck des praktisch gelebten Glaubens der Redner. Gerade angesichts mancher eingefahrener und traditionsbeladener Verhältnisse in der Heimat waren viele deutsche Pfarrer beeindruckt.

Literatur:
Stefan Fuchser:Carl Heinrich Rappard und die Heiligungsbewegung
Paul Fleisch: Die Heiligungsbewegung, TVG Brunnen 2003 (Nachdruck);
Karl Heinz Voigt: Die Heiligungsbewegung zwischen methodistischer Kirche und Landeskirchlicher Gemeinschaft. Die „Triumphreise“ von Robert Pearsall Smith im Jahre 1875 und ihre Auswirkungen auf die zwischenkirchlichen Beziehungen. R. Brockhaus Verlag, Wuppertal 1996
Smith, H.W 1910. Die Selbstlosigkeit Gottes und wie ich sie entdeckte, Kober-Spittler Verlag Basel.
Religiöse Gesellschaft der Freunde (Quäker)
Das Pferd wird gerüstet für den Tag des Kampfes, aber der Sieg kommt von dem HERRN. Spr. 21,31

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Joschie
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Die Heiligungsbewegung kommt über England nach Deutschland.

Beitrag von Joschie »

Die Heiligungsbewegung kommt über England nach Deutschland


Robert Pearsall Smith schrieb 1870 das einflussreiche Buch "Holiness through Faith" und reiste 1873 zu einem Kuraufenthalt nach Europa. Als sich seine Gesundheit festigte, begann er in England, Irland und Frankreich 3-4-tägige Meetings abzuhalten. Auf Wunsch einiger Studenten in Cambridge fand im Juli 1874 ein Heiligungstreffen mit ungefähr 150 Personen auf dem Privatgelände Broadlands Park unter der geistlichen Leitung der Ehepaare Boardman und Smith statt, bei dem man beschloss, die dortigen geistlichen Erfahrungen einem größeren Personenkreis nahe zu bringen. Deshalb veranstaltete man vom 29.8.-7.9.1874 in Oxford das Oxford Union Meeting for the Promotion of Scriptural Holiness, eine Heiligungskonferenz mit 1500 Teilnehmern, an der auch ca. 20 deutsche und schweizer Theologen teilnahmen (darunter Rappard, Stockmayer und Jellinghaus). Carl Heinrich Rappard (1837-1909), der Leiter der Pilgermission St. Chrischona, der an den "Segenstagen von Oxford" die Erfahrung der Heiligung durch den Glauben gemacht hatte, trug die Anliegen der Bewegung in die Schweiz und nach Süddeutschland, indem er Versammlungen im Stil der Oxford-Konferenz abhielt, Schriften von Smith in deutscher Sprache publizierte und die Heiligungszeitschrift "Des Christen Glaubensweg" publizierte. Damit bereitete er eine fünfwöchige Vortragsreise Smiths im April/Mai 1875 quer durch Deutschland und die Schweiz vor, die für viel Aufsehen vor allem im Landeskirchlichen Bereich sorgte. Smith predigte vor Tausenden von Zuhörern in Berlin, Basel, Stuttgart, Karlsruhe, Frankfurt und im Wuppertal, wurde von Dr. Friedrich Wilhelm Baedeker übersetzt und von dem Methodisten Ernst Gebhardt musikalisch unterstützt. Vom 29.5.-7.6.1875 fand eine zweite Heiligungskonferenz in Brighton statt, an der es unter den 8000 Besuchern auch 200 deutsche Teilnehmer gab (darunter auch der später einflussreiche Evangelist Elias Schrenk und der Missiologe Gustav Warneck!). Die Kraft der Bewegung lag weniger in einer neuartigen Lehre als in dem Eindruck des praktisch gelebten Glaubens der Redner. Gerade angesichts mancher eingefahrener und traditionsbeladener Verhältnisse in der Heimat waren viele deutsche Pfarrer beeindruckt. Die fünfwöchige Vortragsreise ging wurde als die „Triumphreise“ Pearsall Smiths in Deutschland bezeichnet. Die wichtigsten Persönlichkeiten der deutsch-sprachigen Heiligungsbewegung waren Carl Heinrich Rappard (1837-1909), Otto Stockmayer (1838-1917), Theodor Jellinghaus (1841-1913) und Freiherr Julius von Gemmingen (1838-1912). Dogmatiker der deutschen Heiligungsbewegung war Theodor Jellinghaus. 1880 veröffentlichte er das wichtigste Buch der deutschen Heiligungsbewegung: „Das völlige, gegenwärtige Heil durch Christum.“ Dieses umfangreiche Werk, das bis 1903 in fünf Auflagen erschienen ist, vertritt im Sinne von Oxford/Keswick eine moderate Heiligungstheologie. Es lehnt auf der einen Seite Luthers „Zugleich gerecht und Sünder" auf der anderen Seite aber auch einen Perfektionismus ab. Zentrum der Heiligungsbewegung wurde Blankenburg in Thüringen, wo sich ab 1886 ihre Vertreter in den jährlichen Allianzversammlungen trafen.
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Joschie
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Die Vorgeschichte zur B.E. Teil.1

Beitrag von Joschie »

Hallo Ihr!
Der Verlauf der Kirchengeschichte wird oft so dargestellt, als ob es immer ein klares lineares zeitliches Geschehen ist und man die verschiedenen Bewegungen und Ereignisse immer in einer direkten zeitlichen Tabelle darstellen könnte. Als Beispiel dazu: 1700 Bewegung 1, 1710 Bewegung 2, 1711 Bewegung 3 usw.(Bewegungen und Ereignisse lassen sich als Begriff synonym austauschen).Dieses gilt aber nur für einige Abschnitte der Kirchengeschichte, aber bei weitem nicht für alle Epochen der Kirchengeschichte. Es kam viel öfter zu Interaktionen von Personen und Bewegungen in der Kirchengeschichte, als wie es oft heute von uns wahrgenommen wird. Um die Ereignisse, die zur Berliner Erklärung geführt haben besser einordnen zu können, sollte man dieses stets im Hinterkopf behalten. Ab 1800 wurde das geistliche Leben in Deutschland von mehreren verschiedenen Strömungen und Bewegungen angeregt und befruchtet. Die verschiedenen Strömungen sind:
-Erweckungsbewegung im deutschen Sprachraum
-Erweckungsbewegung im englischen Sprachraum
-Heiligungsbewegung
-Evangelisationsbewegung
-Gemeinschaftsbewegung
-Brüderbewegung
-Freie evangelische Gemeinde
-Albury-Konferenzen


:arrow: Erweckungsbewegung: Da Deutschland um 1815 noch kein Nationalstaat war, sondern aus einer Vielzahl von Territorien bestand, entwickelte sich auch die Erweckung nicht als gesamtdeutsche Bewegung, sondern in sehr unterschiedlichen regionalen Formen.
1.Allgäu - Eine der ersten Erweckungen in Deutschland finden wir im Allgäu. Im Gegensatz zu allen anderen Erweckungsgebieten spielte sie sich innerhalb der katholischen Kirche ab. Beeinflusst von dem katholischen Bischof Johann Michael Sailer (1751-1832) versammelten sich seit 1794 Priester im Seeger Kreis und entwickelten einen evangelischen Rechtfertigungsglauben. Zu diesem Kreis gehörte Martin Boos (1762-1825) und Johann Baptista Gossner (1773-1858). Die Erweckung griff bis nach München über und wurde durch Kontakte zu anderen Erweckungsgebieten vertieft.
2.Württemberg - Württemberg war seit Bengel und Oetinger schon vielfältig erwecklich geprägt. Um 1826 kam es dann zu einem neuen Aufbruch durch den jungen Pfarrer Ludwig Hofacker (1798-1828), der in nur zwei von Krankheiten gezeichneten Jahren bis zu seinem frühen Tod eine starke Bewegung auslöste. Eine große Bußbewegung entstand auch durch die Verkündigung von Johann Christoph Blumhardt (1805-80) der als Pfarrer von Möttlingen einen jahrelangen Kampf um das Heil und die Heilung der Frau Gottliebin Dittus führte und dann ab 1852 in Bad Boll ein geistliches Sanatorium führte. Er dichtete das Lied: "Das Jesus siegt bleibt ewig ausgemacht!"
3.Baden - In der katholischen Dorfgemeinde im Wurmtal südlich von Pforzheim wirkte der Priester Aloyis Henhöfer (1789-1862). Unter dem Einfluss der Allgäuer Erweckung bekehrte er sich in jungen Jahren zum Evangelium und verließ mit seiner gesamten Gemeinde die katholische Kirche. Auch Henhöfer wandte sich immer wieder gegen den toten Rationalismus seiner Tage und predigte die Gnade Gottes. Der Fabrikant Carl Mez aus Freiburg hat ebenfalls die Erweckung in Baden unterstützt und später auf Elias Schrenk gewirkt, den er in seiner Firma anstellte.
4.Franken - In Nordbayern konnte sich die Erweckungsbewegung zuallerst festsetzen. Von Nürnberg und Erlangen aus wirkten viele Pfarrer und Prediger im erwecklichen Sinne. Der reformierte Theologieprofessor Christian Krafft (1784-1845) sammelte die Erlanger Kreise um sich. Zunächst arbeiteten in diesen Kreisen Lutheraner, Reformierte, Herrnhuter und Katholiken zusammen, später wurde die Erweckung jedoch unter Wilhelm Löhe (1808-72) und seinem Zentrum in Neuendettelsau streng lutherisch. Die gesamte Landeskirche in Bayern stellte sich geschlossen zu Luther und seiner Theologie, besonders unter dem Oberkonsistorialpräsident Adolf Harleß (1806-79). Neben der starken missionarischen und diakonischen Ausprägung der Kirche entwickelte sich an der Universität Erlangen eine beispiellose Schule erwecklicher Theologie, die so genannte Erlanger Theologie (Hofmann, Frank, Delitzsch, Zahn, Ihmels, Elert, Althaus, usw.).
5.Hessen - In Hessen kam es zu keiner wirklichen Erweckungsbewegung. In Marburg wirkte der Theologe August Vilmar (1800-68), der sich vehement gegen den Rationalismus und seine Bibelkritik wandte. Aber auch seine Theologie blieb im lutherischen Konfessionalismus stecken und brachte keine wirkliche geistliche Erneuerung.
6.Siegerland - In Verbindung mit der Erweckung im Wuppertal stand auch die siegerländische Erweckung, angestoßen durch den Tersteegianer Heinrich Weisgerber und dem Gerbermeister Tillmann Siebel (1804-75). Auch Weisgerber und Siebel waren echte Originale in ihrer Verkündigung. Die bekehrten Kreise schlossen sich in Gemeinschaften zusammen, welche durch Reiseprediger versorgt wurden. Der Siegerländer Gemeinschaftsverband einte so die zerstreut lebenden Neubekehrten. Er ging später in die Gemeinschaftsbewegung ein.
7.Niederrhein und Wuppertal - Der Niederrhein war schon seit Tersteegens Zeiten stark pietistisch beeinflusst. In Kaiserswerth bei Düsseldorf gründete Theodor Fliedner mit seiner Frau 1836 das erste deutsche Diakonissenhaus! Der Schwerpunkt der Erweckung verlagerte sich aber nach dem Wuppertal, einem Ort von verschiedenen religiösen Gegensätzen. Besonders die dortige reformierte Gemeinde unter der Verkündigung von Gottfried Daniel Krummacher (1774-1837) und Hermann Friedrich Kohlbrügge (1803-75) wuchs rasch durch die Verkündigung der freien Gnade im reformierten Sinne. Aber auch manche Freikirchen nahmen im Wuppertal ihren Anfang. Carl Brockhaus (1822- 99) gründete gegen 1850 die deutschen Brüderversammlungen, Hermann Heinrich Grafe 1854 die Freien evangelischen Gemeinden.
8.Minden-Ravensberg - Die Erweckungsbewegung beeinflusste auch ärmere Bevölkerungsschichten. Hierfür steht die Erweckung von Minden-Ravensberg, die durch den Pastor Johann Heinrich Volkening (1796-1877) angestoßen wurde. Auch Volkening versuchte, als einflussreicher Kirchenmann die Kanzeln seines Bezirkes mit gläubigen Pfarrern zu besetzen, was ihm auch bald gelang. Er legte Wert auf die Ausbildung von Posaunenchören. Seit Leitvers lautete: "Gerettetsein gibt Rettersinn.â€?
9.Bremen - Ein weiteres Zentrum der Erweckung wurde die Stadt Bremen. Hier wirkte der reformierte Pastor Gottfried Menken (1768-1831). Menken wurde durch seine scharfe Kritik an der Aufklärung und der Französischen Revolution bekannt. Er konnte ausrufen: "Alle Revolutionen sind gegen das Reich Gottes." In der Aufklärung konnte er nur einen Kult der Menschenvergötterung erkennen. Seine Antwort war ein ausgeprägter Biblizismus mit der Überzeugung von der Irrtumslosigkeit des Gotteswortes.
10. Hamburg - Hier kam es nicht zu einer durchgreifenden Erweckungsbewegung, trotzdem wurde die Stadt von kleinen Konventikelkreisen im erwecklichen Sinne geprägt. Matthias Claudius und sein Schwiegersohn Friedrich Christoph Perthes konnten ebenso eine kleine Schar um sich sammeln wie Johann Gerhard Oncken, der Vater des deutschen Baptismus. Innerhalb der Landeskirche in Hamburg war auch der Pfarrer Rautenberg durch die Erweckungsbewegung angestoßen worden, eine erste Sonntagschule zu gründen. Auch der Vater der inneren Mission, Johann Heinrich Wichern, kam aus Hamburg. Er sah die Not der Großstädte und plädierte für soziale Hilfen der Kirchen. Die Gründung des "Rauhen Hauses" bildete den Anfang für viele andere missionarisch-diakonische Bemühungen der Inneren Mission.
11.Schleswig-Holstein - Auslöser der Erweckung wurde hier der so genannte Emkendorfer Kreis um die Gebrüder Reventlow. Sie wollten der Aufklärung an der Universität in Kiel widerstehen und setzten sich für die Berufung eines bibeltreuen Theologen ein. 1814 wurde dann August Twesten als theologischer Professor nach Kiel berufen und konnte dort die Aufklärung zurückdrängen. Ihm zur Seite stand der Pastor Claus Harms (1778-1855), der 1817 95 Thesen zur Situation der Kirche verfasste, die den Thesen Luthers in nichts nachstanden. Er beklagte darin die zersetzende Tendenz der Aufklärungstheologie und forderte von den Kirchenleitungen einen radikalen Kurswechsel. Als Prediger hatte er wegen seiner volkstümlichen Redeweise eine große Zuhörerschaft.
12.Berlin - Die Berliner Erweckten waren durch die Herrnhuter Bewegung des Grafen von Zinzendorf beeinflusst. Der Prediger der Böhmischen Bethlehemsgemeinde, Johannes Jänicke, gründete eine Missionsschule und war mit den englischen Evangelikalen eng verbunden. Ein reges Sozialwerk schuf der Baron Ernst von Kottwitz (1757-1843). Ein besonderes Charakteristikum der Berliner Erweckung lag darin, dass sie die hohen Gesellschaftsschichten erreichte. In Berlin ansässige Adelige wie von Bethmann-Hollweg und von Thadden wurden erweckt, ebenso König Friedrich Wilhelm IV. Zur Erweckung hielten sich auch der Alttestamentler Ernst Wilhelm Hengstenberg und der Minister Ludwig von Gerlach, beides überzeugte Lutheraner. Seit 1820 predigten für vier Jahrzehnte größtenteils bekehrte Prediger in Berlins Kirchen und Gemeinden.
13.Pommern - Aus adeligen Kreisen in Berlin wurde die Erweckung auch nach Pommern getragen. Die Versammlungen der Brüder Below waren so stark besucht, dass die Polizei eingriff und sie kurzerhand verbot. Daraufhin versammelte man sich heimlich in Wäldern und Scheunen. Die Adeligen und Bauern trafen sich auf dem Gut von Adolf von Thadden (1796-1882), dessen Trieglaffer Konferenzen das Zentrum der Erweckungsprediger in Pommern wurde. Auch Bismarckbekehrte sich unter seinem Einfluss. Gustav Knak (1806-1878), seit 1834 Pastor in Wusterwitz, galt als der herausragende Prediger der pommerschen Erweckungsbewegung. Er organisierte besondere Missionsfeste, die das Interesse an der Äußeren Mission festigten und die Erweckung wach hielten.
14.Hannover/ Lüneburg - Neben dem Liederdichter Philipp Spitta (1801-1859) bestimmte Pastor Ludwig Harms (1808-65) in Hermannsburg die hannoversche Erweckungsbewegung der. Er predigte evangelistisch und betonte die Äußere Mission. Hermannsburg wurde zum geistlichen Zentrum für die Lüneburger Heide und darüber hinaus. 1849 wird das heute noch bestehende Hermannsburger Missionswerk gegründet. Ludwig Harms wollte die Erweckung innerhalb der Kirche halten und betonte sehr stark die lutherischen Bekenntnisse.
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Joschie
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Erweckungsbewegung im englischen Sprachraum bis 1760

Beitrag von Joschie »

Die ersten Erweckungen werden schon im 16. Jahrhundert in England und Schottland berichtet, wo puritanische Prediger unter dem Einfluss von Calvin um die Erneuerung der Staatskirche bemüht waren. Die ersten Prediger hielten schon vor 1550 Freiversammlungen ab und riefen Menschen zu Bekehrungen auf, die sich dann teilweise schon recht spektakulär ereigneten. In England war im 17. Jahrhundert die Universität von Cambridge zeitweilig in fester Hand der Puritaner, welche eine Schule von Predigern ausbildete, die in den kommenden Jahrzehnten in England, Schottland und Irland zahlreiche regionale Erweckungen auslösten. Die bedeutendsten Autoren, die im 16. und 17. Jahrhundert dieses Thema ausführlich behandelten waren Robert Fleming (1630–1694) mit seinem Werk The Fulfilling of the Scripture, Jonathan Edwards (1703–1758) mit mehreren Werken und John Gillies (1712–1796) mit seiner Abhandlung »Historical Collections Relating to Remarcable Periods of Success of the Gospel«.Nach der puritanischen Ära war die Erweckungsbewegung geprägt vom wesleyanischen Methodismus, initiiert von John und Charles Wesley im anglikanischen Kontext in Großbritannien, und das Great Awakening in den amerikanischen Kolonien unter der theologischen Führung von Jonathan Edwards und George Whitefield im reformiert-kongregationalistischen Umfeld. Trotz der unterschiedlichen Ausgangssituationen hatten beide Bewegungen viel gemeinsam: öffentliche Predigten, oft unter freiem Himmel, persönliche Bekehrung der Einzelnen, Integration der Bekehrten in übersichtliche Gruppen, Reform des persönlichen und sozialen Lebens.

-John Wesley (* 17. Juni-†28. Juni 1703 in Epworth, North Lincolnshire; † 2. März 1791 in London) war ein englischer Erweckungsprediger, der auch in Nordamerika tätig war, und einer der Begründer der methodistischen Bewegung.Nach dem Besuch in Herrnhut entwickelte er eine intensive evangelistische Tätigkeit, beginnend als Open-Air-Prediger in Kingswood und Bristol, wo er den Bergarbeitern vor ihren Kohleminen predigte. Aus seinen peinlich genau geführten Tagebüchern ist ersichtlich, dass er unermüdlich von Stadt zu Stadt, von Dorf zu Dorf ritt und täglich vier bis fünf Predigten hielt. Dies blieb so bis zu seinem Tod – er soll insgesamt 40.000 Predigten gehalten haben, oft vor Tausenden von Zuhörern. Der Inhalt war: Buße, Sündenvergebung, Heilsgewissheit, Wiedergeburt unter Betonung von Christi Heilstat.

-George Whitefield * 16. Dezember 1714 in Gloucester, England; † 30. George Whitefield wurde als Sohn eines Gastwirts-Ehepaars in Gloucester, England, geboren. Da sein Vater schon zwei Jahre nach seiner Geburt starb, wuchs George ohne väterliches Vorbild in der Gastwirtschaft seiner verwitweten Mutter auf. Er besuchte die Lateinschule und ging mit 18 nach Oxford, wo er sich zum Priester ausbilden ließ. Dort lernte er die Brüder John und Charles Wesley im Holy Club kennen. Im Frühjahr 1735 bekehrte er sich und noch im selben Jahr gründete er die erste Methodist Society in Gloucester. Im Juni 1736 wurde Whitefield zum Diakon ordiniert. Wenig später begann er als rastloser Prediger zu wirken (30.000 Predigten), wobei er für seine lautstarke Stimme bekannt wurde. Aber das, was seine Reden so unwiderstehlich machte, war ihr Inhalt. Whitefield war ein Mann, der von jenen Lehren durchdrungen war, die man auf Englisch seit dem goldenen Jahrhundert der Puritaner gerne »the Doctrines of Grace – die Lehren der Gnade « nennt. Diese Lehren besagen, daß die Errettung nicht an Eigenschaften oder Taten der Erretteten, sondern an der Gnade des Retters liegt. Sie sagt, daß alles Heil von Gott und Seinem Willen und nicht vom Menschen und dessen Willen abhängt. Sie lehren, daß das Werk der Errettung ganz Gottes Werk ist, nicht teilweise das Werk Gottes und teilweise das Werk des Menschen. Mit den Reformatoren und mit den Puritanern war Whitefield davon überzeugt, daß nur diese Wahrheiten Gott alle Ehre für Sein Tun geben; sie machen Ihn groß und den Menschen klein, und sie unterwerfen den Erretteten dem Gnadenwillen dieses Gottes..

-Jonathan Edwards (* 5. Oktober 1703-† 22. März 1758 in Princeton (New Jersey)) war ein neuenglischer kongregationalistischer Prediger, Missionar und eine wichtige Persönlichkeit in der Erweckungsbewegung des First Great Awakening.Am 15. Februar 1727 wurde Jonathan Edwards ordiniert, um von seinem Großvater Solomon Stoddard die Leitung der kongregationalistischen Kirchgemeinde in Northampton (Massachusetts) zu übernehmen. Am 29. Oktober 1727 wurde Neuengland von einem heftigen Erdbeben erschüttert, das Tote, Verletzte und viele zerstörte Häuser verursachte. Die Kolonisten strömten darauf in die Kirchen. Jonathan Edwards beschreibt die Leute in seiner Gegend als gleich nüchtern wie in ganz Neuengland, in derc Zeit von Jonathan Edwards Dienstes, gab es die Erweckung 1734/35 und die Erweckung1740/41. Aus„Viele, die sich selber als christuslos einschätzten, schienen erweckt zu werden, aus Angst davor, Gott könnte sich aus dem Land zurückziehen und wir der Irrlehre und korrupten Prinzipien hingegeben würden und damit die Möglichkeit, Errettung zu erhalten, vertan sei. Viele, welche ein wenig an der Wahrheit der Lehre gezweifelt hatten, wurden belehrt, und sie hatten infolgedessen Angst über ihre Zweifel in der Art, dass es an ihnen zu ihrem ewigen Schaden vorbeigehen könnte. Und sie machten den Eindruck, mit viel Betroffenheit und Engagiertheit, den nötigen Weg einzuschlagen, um von Gott angenommen zu werden.“
aus=Jonathan Edwards: A Narrative of Surprising Conversions 1736

David Brainerd (* 20. April 1718 in Haddam (Connecticut); † 9. Oktober 1747 in Northampton (Massachusetts). Im Alter von 21 Jahren begann er ein Studium an der Yale University, das er aber nach drei Jahren durch einen Verweis von der Universität beenden musste. Dünn, bleich und kränklich. Ein äußerlich völlig unbrauchbarer Mann für den harten Dienst eines Pioniermissionars. Aber nicht für unseren starken Gott!!! Ein junger amerikanischer Missionar unter nordamerikanischen Indianerstämmen (hauptsächlich in Delaware, New Jersey), der im 18.Jahrhundert lebte. Brainerd konnte trotz inbrünstigem Dienst nur wenige Bekehrungen vorweisen, dennoch wurde sein Leben zur großen Ermutigung vieler anderer großer Missionare, wie z.B. William Carey oder Jim Elliot. Er hinterließ ein wunderschönes Tagebuch über seine innigsten Gedanken, seinen persönliches Glauben, seine Kämpfe sowie seine Arbeit unter den Indianern, die er aus tiefstem Herzen liebte. Über seine ganze Zeit als Missionar hinweg, litt Brainerd unter Tuberkulose. Diese Krankheit verursachte auch seinen frühen Tod mit bereits 29 Jahren. Trotz seiner Hingabe zu Gott und seinen Mitmenschen, fühlte Brainerd sich – besonders in seinen letzten Lebensjahren – sehr einsam und wurde von Depressionen heimgesucht. Dennoch lehnte er alle Angebote, das Missionsfeld zu verlassen und als Gemeindepastor zu arbeiten, ab. Er verspürte eine solch tiefe Sehnsucht mit den Indianern das Evangelium über Jesus Christus zu teilen, dass er alle Schwierigkeiten gerne dulden wollte. Einmal schreibt er nach einem Sonntagmorgen Gottesdienst:
“Ich hatte Freimut, Liebe und Inbrunst, als ich meine armen Leute ansprach. Ich sehnte mich danach, dass Gott ihr Herz erfreift und sie geistlich lebendig macht. Und ich hatte ihnen in der Tat so viel zu sagen, dass ich nicht wusste, wie ich meine Rede beenden sollte.”
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Zeittafel Erweckungen!

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:arrow: Zur besseren Übersicht eine Zeittafel von Erweckungen!
Datum Ort Christlicher Leiter/ Prediger
:arrow: ab 1150 Italien und Europa Petrus Waldes und die Waldenser
:arrow: ab 1381 England und Schottland Wyclifs Prediger
:arrow: ab 1500 England, Schottland, Wales, Tschechien und Holland Verbreitung von Tyndales Neuem Testament und der Reformation. Jan Hus und Gerhard Groote
:arrow: 21.06.1630 Schottland: der Kirchhof von Shotts in Lanarkshire John Livingstone
:arrow: 1650 Erweckungsbewegung der Quäker (George Fox),
:arrow: 13.08.1727 Deutschland: Herrnhut, Sachsen Ludwig Graf von Zinzendorf
:arrow: 1730-1740 Amerika: Neuengland, Northampton usw. Jonathan Edwards u.a.
:arrow: ab 1730 England, Wales, Schottland und Amerika George Whitefield, Howell Harris, Daniel Rowland, John Wesley u.a.
:arrow: 16.05.1742 Schottland: Kilsyth James Robe u.a.
:arrow: 15.08.1742 Schottland: Cambuslang George Whitefield u.a.
:arrow: 1742 Schottland: Baldemock
:arrow: 1743 Amerika: Susquehannah-Indianer David Brainerd
:arrow: 1791 Wales: Bala Thomas Charles
:arrow: 1794 England: Sheffield John Moon und Alexander Mather
:arrow: 1798 Amerika: Connecticut und Massachusetts
:arrow: 1799 Cornwall: Penzance, Zennor, Walls, St. Ives
:arrow: 1800 Amerika: Kentucky
:arrow: 1805 Wales: Aberystwyth
:arrow: 1812-1844 Amerika Asahel Nettleton
:arrow: 1814 Cornwall: Redruth, Tuckingmill
:arrow: 1817 Wales: Beddgelert
:arrow: 1820-1870 Amerika Charles Finney
:arrow: 1824-1835 Schottland: Insel Lewis Andrew MacLeod
:arrow: 1828 Amerika: Savannah Daniel Baker
:arrow: ab 1830 England: Midlands James Caughey
:arrow: 1832 Amerika: Rhode Island
:arrow: 1832 China
:arrow: 1834: Erweckungsbewegung, Ursprung der Neuapostolischen Kirche(Edmund Irving),
:arrow: 23.07.1839 Schottland: Kilsyth William Chalmers Burns
:arrow: 1839 Schottland: Dundee William Chalmers Burns und Robert Murray M’Cheyne
:arrow: 1851-1854 Cornwall: Baldhu William Haslam
:arrow: 1858 Amerika: Charleston John Girardeau
:arrow: 1859-1860 Wales David Morgan u.v.a.
Schottland Brownlow North u.a.
Irland James McQuilkin u.a.
England Charles Spurgeon u.a.
:arrow: 1863-1871 Norfolk: Buckenham William Haslam
:arrow: ab 1880 Amerika Dwight Moody
:arrow: 1903-1904 Dänemark
:arrow: 1904/05 Erweckungsbewegung in Wales, Pfingstbewegung (Evan Roberts) etc.
:arrow: 1904 Südafrika: Fransch Hoek
:arrow: 1905 Indien: Assam
:arrow: 1905 Australien
:arrow: 1905 Norwegen Hans Hauge
:arrow: 1905 Edinburgh Joseph Kemp
:arrow: 1906 Indien: Dohnavur
:arrow: 1906 China
:arrow: 1907 Korea: Pjöngjang, danach das ganze Land
:arrow: 1910 Malawi
:arrow: 1921 Norfolk: Lowestoft und Great Yarmouth
Schottland: Fischerdörfer an der Ostküste
Douglas Brown und Jock Troup
:arrow: ab 1930 Ostafrika, bes. Uganda
:arrow: 1931 Wales: Aberavon Martyn Lloyd-Jones
:arrow: 1934-1939 Schottland: Insel Lewis
:arrow: 1937-1943 Äthiopien: Wallamo-Stämme
:arrow: 1938 Borneo: Lun-Bawang-Stamm
:arrow: 1939-1950 Indien: Madras Bakht Singh
:arrow: 1949 Schottland: Insel Lewis Duncan Campbell
:arrow: 1953 Borneo
:arrow: 1953 Kongo
:arrow: 1960-1970 Indonesien Peterus Octavianus
:arrow: 1960-1980 China
:arrow: 1973 Borneo
Die christliche Kirche hat in ihrer Geschichte aber noch viel mehr
Erweckungen als die hier aufgeführten erlebt. Die Heterogenität(„andersartig"] dieser historischen „Erweckungen“ läßt deutlich werden, daß durchaus nicht alle als positive Entwicklungen für die Kirche/Gemeinde angesehen werden können. Nicht selten kam es zu Fehlentwicklungen bzw. diversen Irrlehren.
Quellen: Iain H. Murray "Die Hoffnung der Puritaner" RVB-Verlag,
Brian Edwards "Erweckung! Ein Land von Gott erfasst" 3LVerlag, http://www.apologet.de/
Das Pferd wird gerüstet für den Tag des Kampfes, aber der Sieg kommt von dem HERRN. Spr. 21,31

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Joschie
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Die Evangelisationsbewegung in Deutschland

Beitrag von Joschie »

Die Evangelisationsbewegung in Deutschland

:arrow: Nachdem in den 1870er Jahren die geistliche Erneuerung in Deutschland sich hauptsächlich auf das Thema Heiligung konzentriert hatte, kam ab 1880 das Thema Evangelisation als zweiter Schwerpunkt hinzu, so dass die Gemeinschaftsbewegung schon bald auch als regelrechte Evangelisationsbewegung wahrgenommen wurde. Auch dafür kamen die entscheidenden Impulse wieder aus den USA, wo schon Charles Finney als Heiligungstheologe und Berufsevangelist beides integriert hatte.

:arrow: Die wichtigste Persönlichkeit der Evangelisationsbewegung war Dwight L. Moody (1837-1899). Er hatte in Chicago eine große CVJM-Arbeit begonnen, die er ab 1860 vollzeitlich ausübte. Seinen eigentlichen Durchbruch erlebte er jedoch in Großbritannien, wo er in den Jahren 1873-75 groß angelegte mehrwöchige Massenevangelisationen durchführte. Dabei wurde er von dem Sänger Ira Sankey begleitet, der die Botschaft musikalisch unterstützte. In den folgenden Jahren startete Moody auch in Irland und in den USA riesige Kampagnen, die in vielen Großstädten oft monatelang dauerten, und wahrscheinlich zu Millionen von Bekehrungen führten.
:arrow: Ab 1880 betonte Moody dann auch das Thema Heiligung noch stärker. Er lud seine Bekehrten zu speziellen Heiligungskonferenzen ein und organisierte ab 1886 Studentenkonferenzen in Mt. Hermon, bei denen zur totalen Hingabe für die Weltmission aufgerufen wurde.
:arrow: In Deutschland gab es vor 1875 zwar in vielen Kreisen der Inneren Mission ein evangelistisches Bewusstsein, welches sich aber nur in der Form äußerte, dass man durch ein vielfältiges Mühen versuchte, Einzelne wieder in das kirchliche Leben zu integrieren. Die großen Evangelisationserfolge Moodys in England ließen bei vielen nun die Sehnsucht wach werden, auch in Deutschland ähnliche Massenaufbrüche zu erleben. Nachdem Robert Pearsall Smith bei seiner Vortragsreise durch Deutschland im Frühjahr 1875 vor großen Versammlungen nicht nur zur Heiligung, sondern auch zur völligen Hingabe im Sinne einer ersten Bekehrung aufgerufen hatte, wuchs hier die Sehnsucht nach organisierter evangelistischer Arbeit in Deutschland.
:arrow: Der Bonner Theologieprofessor Theodor Christlieb (1833-1889) war der erste, der die konkreten Planungen vorantrieb. Er war davon überzeugt, dass die Evangelische Kirche vor allem auch deshalb freikirchlich-amerikanische Methoden integrieren muss, um der Abwanderung von Kirchenmitgliedern zu den Methodisten entgegen zu wirken. Deshalb holte er 1882 den deutschstämmigen amerikanischen Evangelisten Friedrich von Schlümbach (1842-1901) um in Berlin fünf Monate lang systematisch zu evangelisieren. Dadurch ermutigt wurde 1884 der Schwabe Elias Schrenk (1831-1913) als erster Berufsevangelist Deutschlands fest angestellt. Schrenk war Missionar in Afrika gewesen, musste diesen Dienst aber aus gesundheitlichen Gründen aufgeben. 1874/75 lebte er in England, wo er in der Begegnung mit Moody und Sankey endgültig zur Gewissheit kam, sich künftig der Evangelisation in Deutschland zu widmen. Er nahm auch an der Heiligungskonferenz in Brighton 1875 teil und hatte dort ein entscheidendes Heiligungserlebnis. Von 1884-1913 führte Schrenk in Deutschland nach Moodys Vorbild ca. 400 systematisch geplante Evangelisationen in meist säkularen Räumen durch, für die schon im Vorfeld intensiv durch Anzeigen, Plakate und Handzettel geworben wurde (was bis dahin in Deutschland unüblich war). Meistens dauerten die Evangelisationen 14 Tage, es gab ein "Rahmenprogramm, eine einstündige evangelistische Ansprache, und "Nachversammlungen".
:arrow: Zur Koordination der evangelistischen Bemühungen in Deutschland wurde 1886 auf Anregung von Theodor Christlieb der Deutsche Evangelisationsverein gegründet, der noch im gleichen Jahr eine eigene Ausbildungsstätte für Berufsevangelisten (die keine Pfarrer waren!) initiierte, die Evangelistenschule Johanneum (erst Bonn, dann Wuppertal).
Neben Schrenk traten bald andere deutschen Evangelisten, in erster Linie Samuel Keller, der eine immense literarische und evangelistische Tätigkeit entfaltete. Ferner ist der Chrischona-Absolvent und Begründer der Deutschen Zeltmission Jakob Vetter zu nennen, der 1902 mit groß angelegten Zelteinsätzen begann. Der bekannteste deutsche Evangelist in der Generation nach Schrenk wurde Ernst Modersohn (1870-1948). Die Erfolge der Evangelisationen führten zu vielen Versammlungen von Bekehrten, die zum größten Teil als Landeskirchliche Gemeinschaften organisiert wurden. Ähnliche Parallelentwicklungen gab es aber auch im freikirchlichen Bereich.
:arrow: Neben den Großevangelisationen entwickelten sich vielfältige Formen von evangelistischer Zielgruppenarbeit. Im Bereich der Jugendarbeit kam es 1883 in Berlin zur Gründung des ersten deutschen CVJM und 1894 zum ersten deutschen EC-Jugendbund in Bad Salzuflen. Insbesondere diese Bewegung des Jugendbunds für Entschiedenes Christentum (EC) prägte viele tausend Jugendliche mit der Theologie der Heiligungsbewegung. 1883 kam es auch zur Gründung des ersten Schülerbibelkreises und 1890 wurde die Deutsche Christliche Studentenvereinigung (DCSV) gegründet, was später in die Arbeit der heutigen SMD mündete. Daneben entstanden für vielerlei Berufsgruppen spezielle evangelistische Vereine (Postbeamte, Bäcker, Soldaten, Seemänner usw.).
Alle Evangelisten der Gemeinschaftsbewegung waren dabei überzeugte Anhänger der Heiligungsbewegung. Für sie waren "Seelenrettung" (Evangelisation) und "Seelenpflege" (Heiligung) eine untrennbare Einheit. Es galt der Grundsatz, dass jeder in der Heiligung lebende Christ sich automatisch auch als Evangelist versteht. Gelebte Heiligung sollte sich geradezu darin erweisen, dass man von Gott im evangelistischen Dienst gebraucht wurde. Nur aufgrund dieser evangelistischen Leidenschaft vieler Gemeinschaftsleute konnten die Massenevangelisationen überhaupt funktionieren, da so genügend Mitarbeiter für die Vorbereitung, Durchführung und Nacharbeit bereitstanden.
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Joschie
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Die Gemeinschaftsbewegung

Beitrag von Joschie »

Die Gemeinschaftsbewegung

:arrow: Die Gemeinschaftsbewegung ist eine pietistische Aufbruchsbewegung, die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine Reihe evangelischer Landeskirchen in Deutschland und in der Schweiz erfasste. An vielen Orten führte dieser Aufbruch zur Entstehung von Gemeinschaftskreisen (Landeskirchliche Gemeinschaft), die heute in und neben den traditionellen Kirchen ein eigenständiges Gemeindeleben entwickelt haben.
:arrow: Nach ihrem Selbstverständnis wurzelt die Gemeinschaftsbewegung vor allem in der lutherischen Reformation. Auf Martin Luthers Vision einer kleinen, aber geistlich engagierten Gemeinschaft innerhalb der Landeskirche, wird immer wieder in den Geschichtsbüchern der Gemeinschaftsbewegung hingewiesen. Eine weitere Wurzel ist der Pietismus, der Luthers Vision unter dem Begriff der ecclesiola in ecclesia revitalisierte. Zur Gemeinschaftsbewegung gehören sowohl altpietistische Gemeinschaften, die vor allem in Baden-Württemberg beheimatet sind, als auch „neupietistische“ Gruppen, die ihre entscheidenden Impulse aus der Erweckungsbewegung der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts empfingen. Besonders zu nennen ist hier der Methodismus sowie die amerikanische Heiligungsbewegung. Als Erbin dieser verschiedenen Strömungen entwickelte die Gemeinschaftsbewegung ein alternatives Gemeindemodell, das auch Entkirchlichte sowie soziale Randgruppen anzog.
:arrow: Die Geschichte der Gemeinschaftsbewegung weist eine Fülle von Keimzellen auf. Fast zeitgleich entstanden im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts überall in Deutschland neupietistische Kreise, die sich anfangs zu Provinzialen Brüderräten und - nach einem vorläufigen Zusammenschluss von 1894 - sich 1897 zum Deutschen Komitee für evangelische Gemeinschaftspflege und Evangelisation, dem so genannten Gnadauer Verband zusammenschlossen.
:arrow: In den 1880er Jahren kam es allmählich zu einer organisatorischen Gestaltwerdung der Gemeinschaftsbewegung. Es entstanden im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts überall in Deutschland neupietistische Kreise, die sich anfangs zu Provinzialen Brüderräten und - nach einem vorläufigen Zusammenschluss von 1894 - sich 1897 zum Deutschen Komitee für evangelische Gemeinschaftspflege und Evangelisation, dem so genannten Gnadauer Verband zusammenschlossen.Nach vorbereitenden Sitzungen unter der Führung von Theodor Christlieb und Elias Schrenk wurde zu einer Pfingstkonferenz 1888 im Predigtsaal der Herrnhuter Brüdergemeinde von Gnadau bei Magdeburg eingeladen, um die innerkirchliche Erneuerung unter dem Blickwinkel der Themen Evangelisation und Heiligung zu stärken. Damit sollte unter anderem auch bewusst verhindert werden, dass die Heiligungsbewegung zu Abwanderungsbewegungen zu den Freikirchen führt. Alle zwei Jahre fanden nun diese "Gnadauer Pfingstkonferenzen" mit theologisch klärenden und richtungsweisenden Vorträgen statt (ab 1906 dann jährlich). 1891 begann man mit der Herausgabe des Monatsblattes Philadelphia, welches die bestehenden und neu entstehenden Gemeinschaftskreise miteinander verband. 1897 kam es schließlich zur offiziellen Gründung des Deutschen Verbandes für Gemeinschaftspflege und Evangelisation (kurz Gnadauer Verband) als Dachorganisation der mittlerweile vielfältig entstanden pietistischen Werke. Dabei war die deutsche Gemeinschaftsbewegung um die Jahrhundertwende durchaus kein homogenes Gebilde. Die innere Spannung entstand vor allem aus dem Gegensatz der beiden Hauptwurzeln der Bewegung, dem deutschen Altpietismus und der angelsächsischen Heiligungsbewegung. Erst ihre Verschmelzung brachte der Gemeinschaftsbewegung ihr eigenes Gepräge und unterschied sie von den Erweckungen vor 1870. Als kurze Beschreibung der eigenen Verhältnisbestimmung zur Kirche wurde im Laufe der Zeit die so genannte Christliebsche Formel zum geflügelten Wort: "In der Kirche, wenn möglich mit der Kirche, aber nicht unter der Kirche."
Ein großer Teil der Führer Gnadaus waren landeskirchliche Pfarrer; dennoch ergab sich eine viel größere Distanz zur verfassten Volkskirche als bisher. Offiziell dachten die allermeisten nicht daran, sich von der Kirche zu trennen, faktisch begann aber ein Weg zunehmender Verselbständigung der Gemeinschaftsarbeiten von den örtlichen Kirchengemeinden.

:arrow: In politischer Hinsicht legte sich der Großteil der Gemeinschaftsbewegung große Zurückhaltung auf. Allgemeiner Kulturpessimismus (oft dispensationalistisch motiviert) und Furcht, sich zu sehr mit weltlichen Angelegenheiten zu beschäftigen, standen im Hintergrund.

:arrow: Auch der Abstand zur Gegenwartskultur vergrößerte sich. Viele Kreise waren von prinzipieller Abgrenzung beherrscht, vor allem das Tanzen gewann Symbolcharakter, aber auch Alkohol und Tabak wurden oft prinzipiell abgelehnt. Man entfernte sich dadurch allerdings von der Lebenswelt der entkirchlichten Massen und es kam zu keinem evangelistischen Durchbruch.

:arrow: Zur Theologie bekamen die Gemeinschaftskreise zum allergrößten Teil überhaupt kein Verhältnis. Die Nähe zu positiv-konservativen Theologen wurde kaum gesucht. Ein so genannter "Eisenacher Bund" von gläubigen Theologieprofessoren versuchte seit 1902 vergeblich dem entgegenzusteuern. Auch die eigenen Ausbildungsstätten legten lange nur geringen Wert auf eine gründliche theologische Ausbildung. Theologiekritik konnte sich bis hin zu Aussagen wie "Alle Theologie ist Gift" steigern. Damit verloren die Gemeinschaftskreise endgültig die Verbindungen zu gläubigen Theologen in Kirche und Universität - unmittelbar vor Beginn der Pfingstbewegung.
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Joschie
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Die Brüderbewegung

Beitrag von Joschie »

Geschichte

:arrow: Irland und England
Keimzellen der Brüderbewegung waren mehrere kleine Kreise von Christen im irischen Dublin, die sich regelmäßig zum Bibelstudium und Abendmahl versammelten. Zentrum der Lehren war, dass Christen frei und unabhängig von Denominationen zusammenkommen, das Wort Gottes untersuchen, sich von der Welt absondern und gleichzeitig die Wiederkunft Jesu erwarten sollten. Die Zersplitterung der Christenheit in viele verschiedene Konfessionen lehnte man ab und hatte den Wunsch, der Einheit der Gläubigen, die vor Gott trotzdem bestehe (Eph 4,4 ), Ausdruck zu verleihen, indem man verwaltende Organisation so viel wie möglich aufgab und einfach als „lebendiger Organismus“ zusammenkam. Jeder überzeugte Christ war willkommen, von welcher Konfession er auch kam. Spätestens 1829 wagte man es in einem dieser Kreise, zu dem auch der Zahnarzt und spätere Missionar Anthony Norris Groves gehörte, erstmals auch das Abendmahl zu feiern, da es nicht an eine Institution gebunden sei. Groves war der Überzeugung, „daß Gläubige, die sich als Jünger Christi versammeln, frei seien, das Brot miteinander zu brechen, wie ihr Herr sie ermahnt habe“.[4] Bald fand auch der anglikanische Geistliche John Nelson Darby durch den Juristen John Gifford Bellett Kontakt zu diesem Kreis, der der Ursprung der Brüderbewegung werden sollte.

Innerhalb weniger Jahre entstanden auch in Großbritannien ähnliche Zusammenkünfte. Durch Benjamin Wills Newton kam Darby zusammen mit George Vicesimus Wigram, dem späteren Herausgeber von Konkordanzen zum biblischen Grundtext, nach Plymouth. Dort gab es einen evangelistisch tätigen Marineoffizier namens Percy Francis Hall, mit dem sie sich zusammenschlossen und im Januar 1832 ebenfalls eine Gemeinde gründeten. Plymouth wurde bald das Zentrum der Bewegung, weshalb die Brüderbewegung lange auch unter dem Namen „Plymouth Brethren“ bekannt war. Verschiedentlich gab es Anfeindungen von Seiten der kirchlichen Kreise.

Im Laufe der Zeit erlangte Darby großen Einfluss und wurde der informelle Führer der vor allem auf Heiligung und Absonderung bedachten Richtung der Brüderbewegung. Demgegenüber betonten Georg Müller und Henry Craik, die sich seit 1832 in der Bethesda-Kapelle im englischen Bristol versammelten, mehr die Aspekte Einheit, Mission und Diakonie. Während Darby die „philadelphische“ Gemeinde (Offb 3,7–13 ) jenseits aller christlichen Denominationen um den einen Tisch sammeln wollte, legten Müller und seine Gemeinde mehr Wert auf Begegnung und Zusammenarbeit mit aktiven Christen aus anderen Konfessionen. Beide Strömungen der Brüderbewegung blieben jedoch zunächst miteinander verbunden und tauschten sich im Verkündigungsdienst aus.

:arrow: Trennungen
Zum Bruch kam es im Jahr 1848 über die Frage der überörtlichen Verbindlichkeit von Gemeindeausschlüssen sowie um Newton und seine Lehren über die Leiden Christi. Die Brüder um Darby forderten eine enge Verbundenheit zwischen den Gemeinden, wozu auch die unbedingte Anerkennung der Beschlüsse anderer Gemeinden gehörte. Die Gemeinde in Bristol und in ihrem Gefolge auch viele andere schlossen sich dieser Sichtweise jedoch nicht an und billigten jeder Gemeinde das Recht zu, selbständig und unabhängig zu handeln. Außerdem zeigten sie sich im Gegensatz zu den Brüdern um Darby bereit, Christen anderer Kreise ohne besondere Prüfung zum Abendmahl zuzulassen, weshalb sie bald „offene Brüder“ genannt wurden; die Gemeinden, die Darbys Ansichten folgten, wurden demgegenüber als „geschlossene“ oder „exklusive Brüder“ bezeichnet. Diese Trennung existiert weltweit grundsätzlich bis heute.

Kurz vor und nach dem Tod Darbys (1882) wurden mehrere führende Persönlichkeiten des „geschlossenen“ Flügels (1881 William Kelly, 1884 Frederick William Grant, 1885 Clarence Esme Stuart) aus der Gemeinschaft ausgeschlossen und bildeten eigene Gruppen, die sich später größtenteils untereinander vereinigten oder in anderen Gruppen aufgingen. 1890 kam es zu einer weiteren Trennung über die Lehren von Frederick Edward Raven, die in England von der Mehrheit der „geschlossenen Brüder“, auf dem europäischen Kontinent aber nur von einer kleinen Minderheit akzeptiert wurden.

:arrow: Deutschland
Sowohl die „geschlossene“ als auch die „offene“ Brüderbewegung fand den Weg nach Deutschland.

„Geschlossene Brüder“ in Deutschland
Julius Anton Eugen von Poseck

Carl Brockhaus
Am Beginn der deutschen „geschlossenen“ Brüderbewegung stehen die Namen Julius Anton von Poseck und Carl Brockhaus. Der Düsseldorfer Jurist Poseck übersetzte ab 1849 Schriften John Nelson Darbys und anderer englischer „Brüder“ ins Deutsche und gründete ab 1851 im Rheinland auch Gemeinden nach englischem Vorbild. Der Elberfelder Lehrer Brockhaus war zunächst im Rahmen des Evangelischen Brüdervereins evangelistisch tätig, trat jedoch Ende 1852 mit einigen Mitarbeitern aus ihm aus und wurde zur führenden Persönlichkeit der deutschen „geschlossenen Brüder“. 1853 fand er Kontakt zu Darby, der Deutschland zwischen 1854 und 1878 achtmal besuchte.

Von Elberfeld aus verbreitete sich die Brüderbewegung schnell, zunächst im Bergischen Land, im Siegerland, im Dillkreis und im Wittgensteiner Land, wo Brockhaus an Kreise des Evangelischen Brüdervereins anknüpfen konnte. Brockhaus reiste jedoch auch darüber hinaus lehrend durch Deutschland, die Niederlande und die Schweiz, sodass an vielen Orten neue Gemeinden entstanden (z. T. unter Anfeindungen durch kirchliche Kreise). Um 1900 wurden in den „geschlossenen“ Versammlungen 20.000 Anhänger geschätzt.

Mit Darby und anderen Mitarbeitern gab Brockhaus die tendenziell wortkonkordante Elberfelder Bibelübersetzung heraus (NT 1855, Psalmen 1859, AT 1871).

Carl Brockhaus, der nach der Gründung seines Verlags in Elberfeld eine umfangreiche Belehrungs- und Erbauungsliteratur herausgab, galt innerhalb der „geschlossenen“ Brüderbewegung als der anerkannte „führende Bruder“. Sein Sohn Rudolf Brockhaus führte den Verlag im Sinne des Vaters weiter und bestimmte bis um das Jahr 1930 maßgeblich das Denken und Handeln der rund 700 „geschlossenen“ Brüderversammlungen in Deutschland.[5]

„Offene Brüder“ in Deutschland
Die Geschichte der deutschen „offenen Brüder“ begann in gewisser Weise bereits 1843 mit einem Besuch Georg Müllers in Stuttgart; später wurde auch eine Gemeinde in Tübingen gegründet. Größere Zahlen von „offenen“ Brüdergemeinden entstanden jedoch erst ab Ende des 19. Jahrhunderts. Die „offenen Brüder“ standen in Beziehung zu dem Evangelisten Friedrich Wilhelm Baedeker, der durch seine zahlreichen Missionsreisen zum entscheidenden Gemeindegründer der „offenen“ Brüderbewegung in West- und Osteuropa wurde. Die „offenen Brüder“ suchten auch in Deutschland die Begegnung und Zusammenarbeit mit anderen christlichen Kirchen und Gemeinschaften. Sie nahmen an Veranstaltungen der Evangelischen Allianz teil, engagierten sich im „Verband gläubiger Offiziere“ und waren Mitbegründer der Allianz-Bibelschule Berlin, des heutigen Forums Wiedenest im Oberbergischen.

Die Brüderbewegung im Dritten Reich
Am 13. April 1937 wurden die „geschlossenen“ Brüdergemeinden vom NS-Staat verboten, da man ihnen aufgrund ihrer starken Betonung der Absonderung von der Welt eine staatsfeindliche (und damit antinationalsozialistische) Haltung unterstellte (was auf die meisten aber nicht zutraf). Bereits im Mai 1937 konnte sich der größte Teil der „geschlossenen Brüder“ mit Erlaubnis der Behörden als Bund freikirchlicher Christen (BfC) neu organisieren. Diesem Bund, zu dessen Statuten ausdrücklich das Bekenntnis zum nationalsozialistischen Staat gehörte, traten im November 1937 auch die „offenen Brüder“ bei. 1942 vereinigte sich der BfC mit dem Bund der Baptisten zum Bund Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden in Deutschland (BEFG).[6]

Zwischen 5 und 12 % vor allem der „geschlossenen Brüder“ verweigerten sich sowohl dem BfC als auch dem BEFG und versammelten sich während der NS-Zeit im Untergrund.

Nachkriegszeit und heutige Situation in Deutschland

Versammlungsgebäude der „geschlossenen Brüder“ auf Borkum
Nach dem Zusammenbruch des Nationalsozialismus war die Versammlungsfreiheit wieder gewährleistet. Viele Mitglieder des BEFG (bald auch ganze Gemeinden) kehrten zu den „geschlossenen Brüdern“ zurück (diese Richtung wird bis heute als „alte Versammlung“ – umgangssprachlich „AV“ – bezeichnet). Andere, die dem Bund ebenfalls ohne innere Überzeugung beigetreten waren, wollten jedoch nicht wieder in die „Enge“ des „geschlossenen“ Brüdertums zurück und formierten sich 1949 zu einer dritten Gruppe, die als „bundesfreie Brüder“ oder „Freier Brüderkreis“ bekannt wurde. Dadurch schrumpften die Brüdergemeinden im BEFG zur kleinsten „Brüder“-Gruppe zusammen: Mitte der 1980er Jahre machten sie nur noch 18 % der Brüderbewegung in der damaligen BRD aus, während 45 % den „geschlossenen Brüdern“ und 37 % dem „Freien Brüderkreis“ zuzurechnen waren.[7]

Seit den 1990er Jahren trennten sich eine Reihe von „geschlossenen“ Gemeinden – teils freiwillig, teils gezwungenermaßen – von ihrer Gruppe und nahmen eine „offenere“ Position ein. Hintergrund waren vor allem Streitigkeiten über Ausschlussverfahren und über Fragen der Gastzulassung zum Abendmahl. So sind eine Reihe von sogenannten „blockfreien Brüdergemeinden“ entstanden.

Damit gibt es heute (wenn man von den zahlenmäßig unbedeutenden Raven-Brüdern und anderen Splittergruppen absieht) vier Gruppen von Brüdergemeinden in Deutschland:

Die „Bundesgemeinden“, die dem BEFG angehören und über VEF und Evangelische Allianz auch enge Beziehungen zu anderen Freikirchen haben und mit ihnen zusammenarbeiten. Historisch gesehen „offen“, geben diese Gemeinden „brüderspezifische“ Besonderheiten in Lehre und Praxis allmählich auf und nähern sich den übrigen evangelikalen Freikirchen an. Die Zahl der Gemeinden beläuft sich auf etwa 130 mit etwa 9000 Gliedern.
Die „bundesfreien Gemeinden“ („Freier Brüderkreis“) sind keinem übergeordneten Gemeindeverbund zugehörig, pflegen aber gute Beziehungen zu den Brüdergemeinden im BEFG und – je nach Gemeinde – auch mit anderen Freikirchen; teilweise arbeitet man in der Evangelischen Allianz mit. Bundesfreie Gemeinden vertreten typisch „offene“ Lehrgrundsätze. Es gibt rund 190 Gemeinden mit etwa 14.000 Gliedern.
Die „blockfreien Gemeinden“ sind ebenfalls keinem überörtlichen Verband angehörig, sie pflegen Beziehungen zu bundesfreien Gemeinden, jedoch keine Kontakte (mehr) mit „geschlossenen“ Gemeinden. Teilweise arbeiten sie in allianzorientierten Aktionen mit. Zu dieser Gruppe gehören etwa 60 Gemeinden mit etwa 4000 Gliedern.
Die „geschlossenen Versammlungen“ haben keine gemeindlichen Beziehungen zu Kirchen und Freikirchen, nur zu anderen „geschlossenen“ Versammlungen. Private Kontakte zu Gläubigen aus anderen Richtungen werden aber gepflegt. Die Mitarbeit in allianzorientierten Aktionen lehnen sie grundsätzlich ab; Abendmahlszulassungen von Gästen aus „nichtgeschlossenen“ Gemeinden werden selten praktiziert. Zurzeit gibt es etwa 205 Gemeinden mit etwa 16.000 Gliedern.
Seit etwa 1980 kommt es zunehmend zu Gemeindeneugründungen, die sich allgemein brüdergemeindlich orientieren. Diese Gemeinden haben meist keinen Bezug zur Geschichte der Brüderbewegung, stimmen aber in einem Großteil der Lehren mit den Brüdergemeinden überein und suchen in Konferenzen und Werken die Gemeinschaft mit ihnen. Zu den Werken, die solche Gemeindegründungen fördern, gehören die Deutsche Inland-Mission (DIM) und indirekt die Konferenz für Gemeindegründung (KfG). Gemeinden dieser Art gibt es inzwischen etwa 60 mit etwa 4000 Gliedern.

Lehre und Praxis
Im Lehrverständnis und im Gemeindeleben gehen die Brüdergemeinden in vielen Teilen mit anderen freikirchlichen Gruppierungen konform. Im Folgenden sollen daher nur die wesentlichen Unterschiede dargestellt werden.

Struktur
Viele Brüdergemeinden außerhalb des Bundes Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden lehnen festgeschriebene gemeindliche Organisationsstrukturen ab. Die Zeit der biblischen Gemeindeämter (insbesondere des Ältestenamtes) ist entsprechend ihrer dispensationalistischen Schau der Kirchengeschichte unwiederbringlich vorbei. Einer der Gründe: Es gibt keine Apostel mehr; nur sie konnten – so die Sicht einiger Brüdergemeinden – in das Ältestenamt berufen. Für die Gegenwart gelte allein das Wort Jesu: „Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich in ihrer Mitte“ (Mt 18,20 ). Über die Fragen des Gemeindelebens wird oft in sogenannten „Brüderstunden“ gesprochen, die diejenigen Brüder umfasst, die Verantwortung in der örtlichen Versammlung tragen. Bei den Beschlüssen wird Einmütigkeit angestrebt. „Bewährte“ und begabte Brüder werden von der Versammlung mit der Durchführung der Gesprächsergebnisse beauftragt.

Da im Bereich der Vermögens- und Immobilienverwaltung ein gewisses Maß an Organisation von staatlicher Seite vorgeschrieben ist, wird innerhalb vieler Brüdergemeinden ein Trägerverein gegründet, der die genannten Aufgaben übernimmt. Dieser Verein ist meist als gemeinnützig anerkannt und kann auch die erforderlichen Spendenquittungen ausstellen. Bei den bundesfreien Gemeinden ist die „Stiftung der Brüdergemeinden“ eine überregionale, betreuende Organisationsform.

Die überregionale Verbindung zwischen den einzelnen Ortsgemeinden wird vor allem durch mehrmals jährlich stattfindende Bibelkonferenzen gefördert. Bekannte Konferenzen der BEFG-Gemeinden waren/sind unter anderem die Berlin-Hamburger und die Köln-Elberfelder Konferenz; beim „Freien Brüderkreis“ ist es die Dillenburger Konferenz (seit 2016 in Haiger), bei den „geschlossenen Brüdern“ die Hückeswagener und die Dillenburger Konferenz. Im Jugendbereich erfreuen sich bei „offenen“ Brüdergemeinden die Wiedenester Konferenz zu Pfingsten und die 1954 als „Reher Jugendtag“ ins Leben gerufene, später „Dillenburger Jugendtage“ und seit 2017 „STEPS-Konferenz“ genannte Konferenz Anfang Mai großer Beliebtheit,[8] bei „geschlossenen“ Versammlungen die Jugendkonferenzen in Dillenburg-Frohnhausen an Pfingsten und Sankt Vith im April. Von mehreren Brüdergemeinden fest angestellte Reiseprediger tragen ebenfalls zur Vernetzung der Gemeinden und Vereinheitlichung der Lehre bei.

Taufe
In den deutschen Brüdergemeinden wird nahezu durchweg die Gläubigentaufe fälschlicherweise oft als Erwachsenentaufe bezeichnet – praktiziert. Hier entscheidet sich der Einzelne bewusst für den Glauben an Jesus Christus und meldet sich bei Brüdern seines Vertrauens, um getauft zu werden. Eine Ausnahme bilden lediglich die Raven-Brüder, die Säuglinge taufen, sofern sie einer Gemeindefamilie entstammen und ihre christliche Erziehung gewährleistet ist. Diese auf John Nelson Darby zurückgehende Taufpraxis (auch Haustaufe genannt) wird in Frankreich und in der französischsprachigen Schweiz auch von den „geschlossenen Brüdern“ geübt, während sie sich unter den deutschen „geschlossenen Brüdern“ nicht durchsetzen konnte.

Eine erfolgte Kindertaufe bei Gemeindemitgliedern wird in den meisten Gemeinden mit der Praxis der Gläubigentaufe anerkannt. Sich erneut taufen zu lassen (wie bei den Baptisten üblich) ist möglich, jedoch nicht erforderlich.

Die Taufe findet in einem größeren Becken statt, in dem der Täufling ganz untergetaucht wird. Diese Becken befinden sich häufig im Versammlungsraum der Gemeinde; die Taufe kann aber zum Beispiel auch im Schwimmbad, in einem offenen Gewässer oder in der Badewanne einer Privatwohnung vollzogen werden.

Abendmahl
Das allsonntägliche Abendmahl – die Brüdergemeinden bezeichnen es in Anlehnung an Apg 20,7 als „Brotbrechen“ – bildet traditionell das geistliche Zentrum des gemeindlichen Lebens. Sowohl in „offenen“ als auch in „geschlossenen“ Brüdergemeinden findet das Abendmahl üblicherweise jeden Sonntag in einer „ersten Stunde“ statt, die auch als „Anbetungsstunde“ bezeichnet wird. Sie ist der Predigt (sog. „zweite Stunde“) in der Regel vorgeschaltet. Die Gestaltung der Abendmahlsfeier unterliegt keiner festgeschriebenen Liturgie, hat jedoch oft folgende Elemente: Die Gemeinde versammelt sich um den Abendmahlstisch, auf dem sich Brot und Wein befinden. Die beiden Substanzen des Abendmahls werden als Zeichen des Todes Jesu Christi, aber auch als „Zeichen der Liebe Gottes“ verstanden. Nicht Menschen, sondern der Heilige Geist soll die Feier gestalten. Er bewegt nach Auffassung der „Brüder“ verschiedene Männer der Gemeinde, zur Gestaltung der Feier beizutragen. So werden in nicht festgelegter Reihenfolge freie Gebete gesprochen, gemeinsam zu singende Lieder vorgeschlagen und Bibeltexte gelesen, mitunter auch kurze Ausführungen dazu gemacht. Den Höhepunkt der Anbetungsstunde bildet das Brotbrechen an sich.

Am Abendmahl teilnehmen kann in vielen Brüdergemeinden nur, wer dazu zugelassen wurde. Dies setzt den persönlichen Glauben an Jesus Christus und ggf. ein Gespräch mit den Brüdern voraus, die den Betreffenden der Gemeinde vorschlagen. Gibt es keine Bedenken, darf der Betreffende am Brotbrechen teilnehmen. In „geschlossenen“ Gemeinden müssen auswärtige Abendmahlsteilnehmer beim erstmaligen Besuch ein Empfehlungsschreiben ihrer („geschlossenen“) Heimatgemeinde vorlegen oder zumindest glaubhaft versichern, dass sie auch dort am Brotbrechen teilnehmen.

„Offene“ Brüdergemeinden pflegen meist eine offene Abendmahlsgemeinschaft, zu der alle „wiedergeborenen“ Christen, auch anderer Konfessionen, eingeladen sind.

Predigt
Brüdergemeinden haben in der Regel keinen Pastor oder fest angestellten Prediger. Die Predigt halten Glieder der Gemeinde, die sich dazu in der Lage fühlen, ebenso wie Gastprediger. Es kommt selten vor, dass ein und derselbe Prediger an zwei aufeinanderfolgenden Sonntagen den Verkündigungsdienst versieht (kleine Gemeinden ausgenommen). Man möchte so dem biblischen Grundsatz der Vielfalt der Gaben und der Freiheit des Geistes entsprechen (1 Kor 14,26–33 ).[9] Außerdem verhindere die wechselnde Predigtverantwortung die Verengung der Verkündigung auf eine einseitige Lehre. In vielen Brüdergemeinden wird nicht vorher abgesprochen, wer den Predigtdienst versieht.

Stellung der Frau in der Gemeinde
In „geschlossenen“ Brüdergemeinden sowie in Teilen der „blockfreien“ Gemeinden und des „Freien Brüderkreises“ beteiligen sich Frauen in gottesdienstlichen Zusammenkünften nur am gemeinsamen Gesang, jedoch nicht am Predigtdienst oder am Gebet. Zur Begründung wird 1 Kor 14,33–34 (Schweigegebot) und 1 Tim 2,12 (Verbot der Leitung durch Frauen) herangezogen. In den Gottesdiensten der „geschlossenen“ Richtung wird der Unterschied zwischen den Geschlechtern auch noch durch eine getrennte Sitzordnung zum Ausdruck gebracht. Zudem tragen Frauen dort in Gottesdiensten und gottesdienstähnlichen Veranstaltungen aufgrund von 1 Kor 11,5–13 eine Kopfbedeckung.

In anderen Gemeinden beteiligen sich Frauen inzwischen auch an Gebet, Schriftlesung, Bibelauslegung und Bibelgesprächen. Besonders in den Gemeinden des BEFG ist eine immer stärker werdende Einbeziehung von Frauen in die Gottesdienstgestaltung festzustellen.

Äußeres Erscheinungsbild
Vor allem in „geschlossenen“ Kreisen wird darauf Wert gelegt, dass Frauen ein „bescheidenes Äußeres“ (1 Tim 2,9 ) zur Schau tragen.[10] Dazu gehört etwa der weitgehende Verzicht auf auffälligen Schmuck wie Ketten, Armreife und vor allem Ohrringe. Außerdem sollte das Haar nicht übermäßig gekürzt und die Kleidung nicht körperbetont sein. In der Vergangenheit wurde das Tragen „unweiblicher“ Kleidung – vor allem Hosen – weitestgehend abgelehnt; mittlerweile hat sich aber auch in den „geschlossenen“ Kreisen eine liberalere Ansicht zu diesem Thema durchgesetzt.

Für Männer existieren keine vergleichbaren Vorschriften. Allerdings wird auch in ihrem Fall „bescheidenes Äußeres“ vorausgesetzt und ein übermäßig auffallender Kleidungsstil nicht gerne gesehen; das „Problem“ auffälligen Schmucks existiert bei Männern hier nicht.

Einfluss
Darbys Vorstellungen von der Entrückung aller wahren Gläubigen vor der Großen Trübsal sind über die Brüderbewegung hinaus von vielen evangelikalen Theologen übernommen worden. Vom Gedankengut der Brüderbewegung beeinflusst ist u. a. die von Cyrus I. Scofield bearbeitete Scofield-Bibel, die das dispensationalistische Modell der Heilsgeschichte einer breiteren Öffentlichkeit bekannt machte.
Das Pferd wird gerüstet für den Tag des Kampfes, aber der Sieg kommt von dem HERRN. Spr. 21,31

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