Hallo José,
das Stichwort mit der "Muttergottes" ist ein gutes Beispiel, um deutlich zu machen, warum ich mich mit Deinen pauschalen Aussagen ("unbiblisch") schwer tue.
Du schreibst:
Bei dem Konzil in Ephesus ging es z.B. auch um Maria als Gottesgebärerin. Das öffnete die Tür dazu, dass Maria auch als Mutter Gottes verehrt wurde
1. Der Titel
theotokos (Gottesgebärerin) wurde eingeführt, um eine
christologische Wahrheit festzuhalten. In Jesus ist Gott wahrhaft Mensch geworden. Jesus Christus ist wahrer Mensch und wahrer Gott. Es hat immer (bis heute) Menschen gegeben, die sich mit diesem Gedanken schwer tun und ihn ablehnen. Der heilige, reine Gott kann sich nicht eins machen mit dem Menschen. Aber genau das ist Gottes Weg, den er gewählt hat und wie er ihn uns in der Schrift verkündet. Er wurde wahrhaft von einer Frau geboren. Der Titel „Gottesgebärerin”, volkstümlich „Mutter Gottes” oder „Gottesmutter” ist also in erster Linie eine Feststellung über Jesus.
2. Der Titel „Gottesmutter” ist eben keine katholische Eigentümlichkeit, wie du zu glauben scheinst. Der Konzilsbeschluss wird von den meisten Kirchen als Glaubensgut anerkannt, er ist keine katholische Sonderlehre. Die Orthodoxen verehren Maria ganz selbstverständlich als
theotokos. Luther hat in seiner Predigt zum Magnificat (Lk 1,46–55) geschrieben:
„Darum hat man in einem Wort alle ihre Ehre begriffen, so man sie Gottes Mutter nennet. Es kann niemand Größeres von ihr noch zu ihr sagen, wenn er gleich so viel Zeugen hätte wie Laub und Gras, Sterne am Himmel und Sand im Meer ist. Es will auch im Herzen bedacht sein, was das sei, Gottes Mutter sein.” (Martin Luther: Das Magnificat verdeutscht und ausgelegt [1521]. Martin Luther: Gesammelte Werke, S. 3566). In der Konkordienformel, einer der Bekenntnisschriften der Lutheraner, wird ausdrücklich erklärt:
„Daher gläuben, lehren und bekennen wir, daß Maria nicht ein bloßen, pur lautern Menschen, sondern den wahrhaftigen Sohn Gotten empfangen und geboren hab: darum sie auch recht die Mutter Gottes genennet wird und auch wahrhaftig ist.” (
Concordien-Formel (1577). VIII. Von der Person Christi, Nr. 7).
Es handelt sich also mitnichten um katholisches Eigengut. Wenn du solches suchst, müssen wir uns beispielsweise über das Papstamt unterhalten, das ist in der Tat katholische Sonderlehre. Nicht aber die
theotokos. Dann muss man aber so ehrlich sein und einen Großteil Deiner eingangs aufgeführten Punkte wegstreichen.
Es ist vielmehr so, dass ein Teil der Christen die Bezeichnung
Gottesgebärerin bejaht, ein anderer Teil nicht. Die Trennlinie verläuft mitnichten zwischen Katholiken und dem Rest der Christenheit.
Wenn aber Christen über jetzt gut 1500 Jahre diese Lehre als wahr und wichtig erkennen, dann muss man das ja noch nicht für sich auch so sehen. Aber man sollte doch zumindest zugestehen, dass diese Leute auch etwas Grips haben, die Bibel kennen, den Heiligen Geist empfangen haben und beten und auf Gott hören. Wenn sie dann zu anderen Erkenntnissen als man selbst kommt, sollte man das einfach so stehen lassen. Gott ist größer!
Das gleiche kann man bei der Frage nach der Sündenvergebung in der Taufe beobachten. Was Du als katholisch verwirfst, ist eine unterschiedliche Sichtweise in der Christenheit, die weit über die katholische Kirche hinausgeht. Nicht nur Luther und die Lutheraner, auch die Orthodoxen und die Anglikaner bekennen dies. Und selbst die Reformierten. Auf der Seite einer evangelisch-reformierten Gemeinde fand ich folgenden Satz aus einer Predigt über die Taufe: „Wenn wir getauft werden auf den Namen des Sohnes, bezeugt und besiegelt uns der Sohn, dass er uns in seinem Blut von allen unseren Sünden reinigt (1 Joh 1,7). Er macht uns eins mit sich selbst, mit seinem Tod und mit seiner Auferstehung, so dass wir von unseren Sünden befreit sind und Gott uns in Christus als gerecht ansieht (Röm 6,4; Kol 2,12).“ (Quelle:
Selbstständige Evangelisch-Reformierte Kirche Heidelberg, Die Lehre von der Taufe) — Wenn wir getauft werden, macht uns der Sohn eins mit sich selbst, so dass wir von unseren Sünden befreit sind. — Wir können lange über diese Streitfragen an sich diskutieren und werden voraussichtlich zu keinem gemeinsamen Ergebnis kommen. Das ist vielen aufrichtigen Christen vor uns nicht gelungen, warum sollte das jetzt anders sein? Aber wir können einander als Christen akzeptieren lernen, die unterschiedliche Auffassungen in theologischen Fragen haben und dennoch in tiefer Aufrichtigkeit demselben Herrn Jesus Christus dienen, denn wir sind alle von IHM in die Nachfolge berufen worden.
3. Die ganze Frage der Marienverehrung ist in der Hierarchie der Wahrheiten nicht gerade weit vorne. Niemand, auch kein katholischer Christ, muss auch nur ein Ave Maria oder einen Rosenkranz beten, um in den Himmel zu kommen. Wenn man es aber will, dann kann man es tun. Es gibt Regionen, in denen das sehr exzessiv praktiziert wird und andere, in denen in der katholischen Frömmigkeit Marien- und Heiligenverehrung fast keine Rolle spielt.
Ich will diese Thematik nicht Kleinreden, aber man sollte schon sehen, dass es keine zentrale Frage des christlichen Glaubens darstellt.
4. Wenn man sich mit diesen schwierigen Fragen näher befasst, lernt man eine Menge für sich selbst. So geht es zumindest mir. Gerade bei der Frage der „Gottesmutter” ist dein Verdikt „unbiblisch” schlicht falsch, denn es gibt dafür sogar einen biblischen Beleg, wie ich vor zwei Tagen bei der Beschäftigung mit der Frage aus Anlass dieses Threads erstmals festgestellt habe. Elisabeth begrüßt die schwangere Maria bekanntlich mit den Worten: „Und woher wird mir das zuteil, dass die Mutter meines Herrn zu mir kommt?” (Lk 1,43)
Die Mutter meines Herrn! Lukas bzw. Elisabeth verwenden genau den Ausdruck Herr – im Original
kyrios, der für Gott verwendet wird: „Mein Herr und mein Gott!” (Joh 20,28) Oder Offb 4,11: „Du bist würdig, o unser Herr und unser Gott, zu empfangen die Herrlichkeit und die Ehre und die Macht.” Die Mutter meines Herrn – die Mutter meines Gottes – die Mutter Gottes – die Gottesgebärerin.
Ich möchte diese Punkte deshalb besonders betonen, weil ich glaube, dass die Perspektive sonst völlig verrückt und an den Tatsachen vorbei geht. Wir können uns über viele einzelne Punkte streiten und die Diskussionen ausfechten, die Christen seit 500 Jahren und viel länger ausgefochten haben. Und wir werden wahrscheinlich zu demselben Ergebnis kommen: wir können uns nicht einigen.
Aber: wir können lernen, warum die einen nicht katholisch sind und es gut so ist und warum die anderen katholisch sind und es gut so ist. Denn Gott hält viele Wohnungen bereit. Auf diese Weise können wir gemeinsam Gott näher kommen.
Jesus spricht: Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben. (Joh 14,6)