Regelmäßige Lesung aus der Schatzkammer Davids von Spurgeon

Lehrfragen in Theorie und Praxis - also alles von Bibelverständnis über Heilslehre und Gemeindelehre bis Zukunftslehre

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Jörg
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Psalm 119

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41.
HERR, lass mir deine Gnade widerfahren,
deine Hilfe nach deinem Wort,
42.
dass ich antworten möge meinem Lästerer;
denn ich verlasse mich auf dein Wort.
43.
Und nimm ja nicht von meinem Munde das Wort der Wahrheit;
denn ich hoffe auf deine Rechte.
44.
Ich will dein Gesetz halten allerwege,
immer und ewiglich.
45.
Und ich wandele fröhlich;
denn ich suche deine Befehle.
46.
Ich rede von deinen Zeugnissen vor Königen
und schäme mich nicht
47.
und habe Lust an deinen Geboten,
und sie sind mir lieb,
48.
und hebe meine Hände auf zu deinen Geboten, die mir lieb sind,
und rede von deinen Rechten.


In diesen Versen drückt sich vor allem eine heilige Furcht aus. Der Mann Gottes zittert bei dem Gedanken, der HERR könnte ihm seine Huld entziehen. Durch die ganzen acht Vers zieht sich die eine Bitte: Ach bleibe mit deiner Gnade bei mir; und die Gründe, mit denen er seine Bitte stützt, sind solcher Art, wie sie sich nur einem von brennender Gottesliebe erfüllten Herzen darbieten.

41. HERR, lass mir deine Gnade widerfahren, wörtlich: Und mögen über mich kommen deine Gnaden. Er begehrt Gnade geradeso wie Unterweisung, denn er fühlt sich ebenso schuldig wie unwissend. Er braucht viel Gnade und verschiedenartige Gnade, daher (nach dem Grundtext) die Mehrzahl: Gnaden. Und göttliche Gnadenerweisungen hat er nötig, nicht nur menschliche Huld; darum sagt er: deine Gnade. Es war ihm, als sei der Weg für diese manchmal versperrt; darum bittet er, Gott möge selber die Hindernisse hinwegräumen, so dass seine Gnadenerweisungen über ihn kommen können. Der da sprach: Es werde Licht, kann ebenso die Gnade hervor- und durchbrechen lassen. Und diese Gnade, möge sie nicht nur an andern ihren Reichtum erweisen, sondern auch mirwiderfahren! HERR, deine Feinde kommen über mich, um mich zu schmähen (V. 42); möge da auch deine Gnade kommen, um mich zu schützen. Anfechtungen und Trübsale mehren sich, und Mühsale und Leiden aller Art dringen auf mich ein; da lass, HERR, deine Gnaden in noch größerer Zahl durch die gleiche Tür und zu der gleichen Stunde eintreten, denn du bist ja doch mein gnadenreicher Gott!

Deine Hilfe oder dein Heil (Luther 1524). Das ist der Kern und die Krone aller Gnadenerweisungen des HERRN, die Erlösung von allem Übel, dem zeitlichen wie dem ewigen. Beachten wir, dass das Wort hier, wo es zum ersten Mal in unserem Psalm vorkommt, in Verbindung mit dem Wort Gnade steht. Schon die Alten wussten von keinem andern Heil, als aus Gnaden. Indem der Psalmist sagt: dein Heil, schreibt er alle Hilfe dem HERRN allein zu. Welche Fülle von Gnaden ist doch in dem durch Christum uns gewordenen Heile enthalten! Gnade ist es, die uns verschont hat, als wir noch nicht daran dachten, uns zu bekehren, und vorbereitend in uns wirkte. Dann kommt die Gnade, die uns beruft, uns aus dem Todesschlafe weckt, bekehrt, rechtfertigt, die Sünde vergibt. Und wie mannigfaltiger Gnadenerweisungen bedarf es, um den Gläubigen sicher zur Herrlichkeit zu führen. Das Heil des HERRN ist in der Tat eine Anhäufung von an Zahl unberechenbaren, an Wert unschätzbaren, in ihrer Wirksamkeit unaufhörlichen, an Dauer ewigen Gnadenerweisungen. Ehre und Preis ohne Ende sei dafür dem Gott aller Gnade dargebracht.

Nach deinem Wort. Im Worte ist uns der Weg des Heils dargelegt, das Heil selbst wird uns in dem Wort verheißen, und es wird in unserm Herzen gewirkt durch das Wort, so dass nach jeder Richtung das Heil in Christo Jesu sich mit dem Worte ganz in Übereinstimmung befindet. Der Psalmist hatte das Wort Gottes lieb, er sehnte sich aber danach, das in ihm enthaltene Heil aus persönlicher Erfahrung zu kennen; es genügte ihm nicht, in der Schrift zu forschen, er begehrte ihren Inhalt zu erleben. Der Acker der Heiligen Schrift war ihm ein teurer Besitz um des köstlichen Schatzes willen, den er darin entdeckt hatte. Ihm war es nicht genug, Kapitel und Vers zu wissen; was er bedurfte, waren Gnade und Heil.
Beachten wir: Im ersten Vers des fünften Abschnittes (V. 33) bat der Psalmdichter, Gott möge ihn sein Wort halten lehren; hier hingegen bittet er Gott, sein Wort zu halten. Dort verlangte er, zu dem Gott der Gnade zu kommen; hier begehrt er, dass die Gnaden Gottes zu ihm kommen mögen. Dort flehte er um Gnade, um im Glauben beharren zu können; hier trachtet er, das Ende seines Glaubens davonzubringen, nämlich der Seelen Seligkeit.

42. Dass ich antworten möge meinem Lästerer. Und das gibt eine Antwort, auf die nichts zu erwidern ist. Wenn Gott unser Flehen gnadenvoll erhört, indem er uns seine Hilfe, sein Heil zuteil werden lässt, dann sind wir auch alsbald bereit, auf die Einwürfe der Ungläubigen, die Witzeleien der Zweifelsüchtigen und die Hohnreden der Verächter die gebührende Antwort zu geben. Es ist höchst wünschenswert, dass den Lästerern entgegengetreten werde; darum dürfen wir auch erwarten, dass der HERR seinem Volke Hilfe und Erlösung angedeihen lassen werde, um ihm so eine Waffe in die Hand zu geben, womit es seine Widersacher schlagen kann. Wenn diejenigen, die uns schmähen, damit auch Gott schmähen, dann dürfen wir ihn bitten, dass er uns helfe, damit wir sie durch sichere Beweise seiner Gnade und Treue zum Schweigen bringen.

Denn ich verlasse mich auf dein Wort. Sein Glaube zeigte sich daran, dass er mitten in der Trübsal guter Zuversicht war, und er macht dies als Grund geltend, warum ihm geholfen werden sollte, dass er durch gnädige Erfahrung der Hilfe Gottes die Lästerungen zurückschlagen könne. Der Glaube ist’s, worauf wir uns stützen, wenn wir Gnade und Heil suchen; der Glaube an den HERRN, der in seinem Worte zu uns geredet hat. "Ich verlasse mich auf dein Wort", das ist ein Selbstbekenntnis von hohem Wert; denn wer das in Wahrheit bezeugen kann, der hat Macht empfangen, ein Kind Gottes zu werden (Joh. 1,12) und damit der Erbe unzählbarer Gnaden. Gott sieht das gläubige Vertrauen eines Menschen mehr an als irgendetwas anderes, das in ihm ist; denn es hat dem HERRN gefallen, den Glauben zu erwählen als die offene Hand, die er mit seinen Gnaden und seinem Heile füllen will. Schmäht uns jemand um unseres Gottvertrauens willen, so treten wir ihm mit mächtigen Beweisgründen entgegen, indem wir nachweisen, dass Gott seine Verheißungen gehalten, unsere Gebete erhört und unsere Notdurft erfüllt hat. Selbst die ärgsten Zweifler müssen sich vor der Beweiskraft der Tatsachen beugen.
In diesem zweiten Vers der Gruppe legt der Psalmist ein Bekenntnis seines Gottvertrauens und seiner Glaubenserfahrung ab. Das Gleiche tut er in den entsprechenden Versen der nächsten Abschnitte, siehe V. 50.58.66.74. Ein selber innerlich herangereifter Diener des Wortes könnte in diesen Versen wohl aus der Erfahrung geschöpften Stoff für eine ganze Reihe von Predigten finden.


43. Und nimm ja nicht von meinem Munde das Wort der Wahrheit. Entziehe mir nicht, indem du mir deine Hilfe versagst, die Möglichkeit, für dich einzutreten gegenüber den Lästerern; denn wie vermöchte ich fernerhin dein Wort zu verkündigen, wenn ich die Erfahrung machte, dass es mich im Stich lässt? Das scheint uns der Gedankengang an dieser Stelle zu sein. Es kann nicht zu einem freudigen Auftun des Mundes kommen, wenn wir das Wort der Wahrheit nicht selber in unserem Leben als Kraft erfahren, und wir werden klüger daran tun zu schweigen, wenn unser Zeugnis nicht durch den Urteilsspruch unserer eigenen inneren Erfahrungsgewissheit bestätigt wird. Bei der Bitte unseres Verses können wir aber auch andere Fälle ins Auge fassen, die uns ebenfalls unfähig machen, in dem Namen des HERRN zu sprechen, so z. B. wenn wir in offenbare Sünden fallen würden oder wenn wir unter starkem seelischen Druck darniederliegen, wenn wir aufs Krankenlager gestreckt sind und wohl gar auch die Gedanken sich umnachten, ferner wenn Gott uns nicht eine Tür des Wortes auftut (Kol. 4,3), wenn wir für unsere Gedanken und Gefühle keinen Ausdruck finden können oder aber für unsere Worte keine offenen Ohren finden. Jeder Prediger, der mit seinem ganzen Herzen das Evangelium verkündigt hat, wird bei dem Gedanken, es könnte ihm dieses Amt genommen werden, von Schrecken erfüllt werden, es wird sein inbrünstiges Flehen sein, dass ihm ein wenn auch noch so bescheidener Anteil an dem heiligen Zeugendienste gelassen werde, und die Sonntage, da er zum Schweigen verurteilt ist, werden ihm als Tage der Verbannung und Züchtigung erscheinen.

Denn ich hoffe auf deine Rechte oder Gerichte. Er erwartet, dass Gott ins Mittel treten und seine Sache führen werde, so dass er dann zuversichtlich von des HERRN Treue zeugen könne. Gott selber ist der Urheber unserer Hoffnungen, darum dürfen wir ihn unbedenklich anflehen, sie zu erfüllen. Die Gerichte der göttlichen Vorsehung entspringen aus seinem Worte; was er in der Schrift sagt, das führt er in seiner Regierung aus. Wir dürfen daher danach ausschauen, dass er sich in Erfüllung seiner Drohungen und Verheißungen machtvoll erweisen werde, und werden in dieser Zuversicht nicht zu Schanden werden.
Gottes Diener werden bisweilen um der Sünden ihrer Herde willen von Gott zum Schweigen verurteilt; dann ziemt es ihnen, den HERRN anzuflehen, dass solches Gericht aufgehoben werde. Weit leichter wäre es für sie, Krankheit und Armut erdulden zu müssen, als dass der Leuchter des Evangeliums von seiner Stätte weggestoßen wird und die Schafe rettungslos dem Verderben überlassen werden. Der HERR bewahre uns, die wir seine Diener sind, davor, die Werkzeuge solcher Gerichte sein zu müssen. Lasst uns gleich dem Psalmisten eine hoffnungsfreudige Zuversicht zu Gott hegen, damit wir diese im Gebet ihm vorhalten können, wenn er droht, unsere Lippen zu verschließen.
Am Ende dieses Verses spricht der Psalmist aus, wie er zu dem Worte Gottes innerlich steht, und das ist eine gemeinsame Eigentümlichkeit vieler dritter Vers der Abschnitte. Vergleiche V. 35.43.51.59.67.83.99 usw. Diese Verse würden eine treffliche Reihe von Betrachtungen darbieten.

44. Ich will dein Gesetz halten allerwege,immer und ewiglich. Nichts bindet einen Menschen innerlich fester an den Gehorsam, als wenn er die Wahrheit des Wortes Gottes in Gestalt von Gnadenerweisungen und heilvoller Hilfe (V. 41) erfahren darf. Nicht nur tut uns die Treue des HERRN den Mund auf gegen seine Feinde (V. 42), sie beugt unsere Herzen auch unter seine Furcht und macht unsere Verbindung mit ihm immer inniger und unlösbarer. Große Gnadenerfahrungen erwecken in uns eine unaussprechliche Dankbarkeit, die, eben weil sie in der Zeit nicht ihren gebührenden Ausdruck zu finden vermag, die ganze Ewigkeit mit ihren Lobgesängen zu erfüllen verspricht. Einem Herzen, das von Dank gegen den HERRN glüht, wird auch das "allerwege immer und ewiglich" unseres Verses nicht überschwänglich erscheinen. Freilich, Gottes Gnade allein kann uns fähig machen, seine Gebote so ohne Unterbrechung und ohne Aufhören zu halten. Die ewige Liebe muss uns ewiges Leben verleihen, daraus wird dann ewiger Gehorsam entspringen. Es gibt kein anderes Mittel, unser Beharren in der Heiligkeit zu verbürgen, als wenn das Wort der Wahrheit in uns bleibt, wie David darum bat.

Wenn Gott uns seine heilvolle Gnade widerfahren lässt (V. 41), dann werden wir zu beidem befähigt: unseren ärgsten Feind zum Schweigen zu bringen (V. 42) und unseren besten Freund zu verherrlichen (V. 43). Die Gnade ist zu allem dienlich. In ihrer Kraft können wir die Hölle besiegen und mit dem Himmel traute Gemeinschaft pflegen, auf die Lästerungen gebührend antworten und das Gesetz des HERRN halten allerwege,immer und ewiglich.
Noch ein anderer Gedanke bietet sich uns hier dar. Der Psalmist begehrt sowohl durch öffentliches Zeugnis vom HERRN (V. 43) als auch in seinem persönlichen Wandel (V. 44) Gottes Willen zu erfüllen und dadurch das Band immer fester zu knüpfen, das ihn auf ewig mit dem HERRN verbindet. Es ist ja kein Zweifel, dass gerade das Bekennen des HERRN mit dem Munde uns selber eine große Stärkung ist, wenn es in Kraft der Gnade geschieht; wir erkennen uns gebunden durch das, was unser Mund bezeugt hat, und fühlen, dass ein Zurückweichen unmöglich ist.
Wer sich nur nach dem, was er fühlt, richtet, der verliert Christus. (Martin Luther)

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Psalm 119

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45. Und ich wandele fröhlich (wörtlich: und ich will mich ergehen in weitem Raum); denn ich suche deine Befehle. Die Heiligen Gottes erblicken in der Heiligkeit keinen drückenden Zwang. Der Geist des HERRN ist ein freudiger, williger Geist; er macht die Menschen frei und macht sie stark, jedem Versuch, sie wieder unter das Joch der Knechtschaft zu bringen, zu widerstehen. Der Weg der Heiligkeit ist kein mühseliger Sklavenpfad durch afrikanische Todesland, sondern eine wohlgebahnte königliche Heerstraße für freie Leute, die fröhlich aus dem Diensthause Ägyptens nach dem gelobten Land der Ruhe ziehen. Gottes erlösende Gnade lehrt uns die Befehle seines Wortes lieben und bringt uns dadurch zu einer seligen inneren Ruhe; und je mehr wir nach Vollendung unseres Gehorsams streben, um so völligere Befreiung von jeder Art innerer Beengung und geistlicher Knechtschaft werden wir erfahren dürfen. Es hatte in Davids Leben eine Zeit gegeben, wo er in schmähliche Unfreiheit geraten war, weil er aus vermeintlicher Klugheit krumme Wege eingeschlagen hatte. (Siehe 1. Samuel 27 ff.) Er täuschte den Philisterkönig Achis so beharrlich, dass er, um das zu verbergen, zu grausamen Handlungen gezwungen war, und er muss sich in seiner so unnatürlichen Stellung als Verbündeter der Philister und Anführer der Leibwache ihres Königs äußerst unglücklich gefühlt haben. Musste er da nicht fürchten, dass bei diesen krummen Wegen der Falschheit, auf die er geraten war, die Wahrheit nicht mehr auf seiner Zunge sein könne? Da hat er gewiss zu dem HERRN gerufen, ihn irgendwie aus dieser unwürdigen Lage zu befreien, und wenn auch die Weise, wie der HERR ihn dort erhörte, für ihn sehr demütigend war, der Strick war doch zerrissen und er war davon los.

Der Vers ist mit dem vorhergehenden eng verknüpft. Er beginnt (wie im Grundtext sämtliche Vers dieser Gruppe) mit "und". Dies Wort ist gleichsam ein Haken, um ihn an den 44. Vers anzuhängen. Er enthält eine weitere von den Wohltaten, die der Psalmist von der Bewährung der göttlichen Gnade erhofft. Der Mann Gottes hat schon eine ganze Reihe dieser Gnaden aufgezählt: das Überwinden seiner Feinde (V. 42), die Kraft, Zeugnis abzulegen (V. 43), das Beharren in der Heiligkeit (V. 44), und jetzt spricht er seinen Wunsch und seine Zuversicht aus, unbeengt und fröhlich zu wandeln. Ist Freiheit überhaupt einem wackeren Manne nächst dem Leben das köstlichste Gut, so noch viel mehr die innere Freiheit, die der Psalmist hier meint. Indem er sagt: "Ich will wandeln", weist er damit auf das stetige Voranschreiten hin, und "in weitem Raum ": als einer, der aller Knechtschaft entronnen, der durch keine Furcht vor feindlichen Überfällen behindert, durch keine Bürden bedrückt durch weites, offenes Land seine Straße zieht. Solche Freiheit von allem Zwange wäre gefährlich für einen, der sich selber suchte und nach der Befriedigung seiner Gelüste trachtete; wem aber der Wille Gottes das eine und letzte Endziel seines Strebens ist, der bedarf keiner beengenden Fessel. Einen Mann, der von sich sagen kann: "Ich suche deine Befehle", brauchen wir nicht in enge Schranken einzuzwängen. - Beachten wir, dass er in dem vorigen Vers gesagt hatte, er wolle das Gesetz des HERRN halten, hier aber vom Suchen der Befehle Gottes spricht. Will er damit nicht sagen, dass er gehorsam sein wolle in allen Stücken, soweit er das Gebot schon erkenne, aber auch sich stets bestreben wolle, den Willen Gottes noch besser kennen zu lernen? Ist das nicht der Weg, um zur höchsten Freiheit zu gelangen, wenn wir allezeit danach ringen, Gottes Sinn zu erkennen und ihm gleichgestaltet zu werden? Die das Gesetz halten, gerade sie werden es auch "suchen" und danach trachten, es immer mehr zu halten.

46. Ich rede (oder: will reden) von deinen Zeugnissen vor Königen und schäme mich nicht (oder: und will mich nicht schämen). Darin erweist sich auch seine innere Freiheit. Furchtlos tritt er den Mächtigen, selbst den stolzesten und gewalttätigsten, gegenüber. David musste, als er in der Verbannung war, je und dann vor Königen stehen, und hernach, da er selbst die Krone trug, lernte er die Geneigtheit der Menschen, Gewissen und Glauben dem höfischen Glanz und der Staatsklugheit zu opfern, genügend kennen; sein fester Entschluss aber war es, sich von solchem freizuhalten. Bei ihm sollte auch die Staatskunst geheiligt sein, und was er tun konnte, das sollte geschehen, um die Fürsten der Völker wissen zu lassen, dass der HERR allein der Herrscher ist über die Nationen. Als einer, der selber ein König war, wollte er zu Königen reden von dem König aller Könige. Er sagt: "Ich will reden"; die Klugheit hätte ihm vielleicht Zurückhaltung geboten, sein Wandel und sein ganzes Verhalten seien ja schon Zeugnis genug, und es sei doch besser, nicht auf religiöse Dinge zu sprechen zu kommen in Gegenwart von fürstlichen Personen, die andere Götter verehrten und damit Recht zu tun glaubten. Wohl hatte er in sehr geziemender Weise, ehe er diesen Entschluss kundtat, schon in Betreff seines Wandels Gelübde ausgesprochen (V. 44.45); aber er macht sich seinen frommen Wandel nicht zu einem Entschuldigungsgrund für sündhaftes Schweigen, sondern fügt hinzu: Ich will reden.


David nimmt volle religiöse Freiheit in Anspruch und ist darauf bedacht, von diesem Recht gebührend Gebrauch zu machen: er bekennt frei heraus, was er glaubt, selbst in der vornehmsten Gesellschaft. In dem aber, was er redete, war er beflissen, sich streng an Gottes Wort zu halten; er sagt: Ich rede von deinen Zeugnissen. Es gibt keinen Gesprächsgegenstand, der diesem zu vergleichen wäre, und keine bessere Art, ihn zu behandeln, als indem man sich eng an die Schrift anschließt und sich in ihren Gedankengängen und ihrer Sprache bewegt. Das große Hindernis, das uns abhält, von geistlichen Dingen in jedem Kreis zu reden, ist die Scham; aber der Psalmist gelobt: und will mich nicht schämen. Es ist ja wahrlich darin nichts, dessen wir uns zu schämen hätten, und es gibt keine Entschuldigung für solche Scham; dennoch sind viele Menschen stumm wie das Grab, aus Furcht, sie könnten bei irgendjemand anstoßen. Und doch, wer sind sie, vor denen wir so zaghaft sind? Sind sie nicht, selbst wenn sie Kronen tragen, doch nur Geschöpfe unseresgleichen? Wenn Gott aber seine Gnade in uns wirken lässt, dann schwindet bald alle Feigheit. Wer für Gott und in Gottes Kraft redet, der schämt sich nicht und braucht sich nicht zu schämen, weder wenn er zu sprechen anhebt, noch während des Sprechens, noch hernach, und selbst wenn er vor Königen spräche; denn das, wovon er redet, ziemt sich für Könige, ist notwendig für Könige und heilsam für Könige wie für alle Menschen. Und wenn Könige dem Zeugnis widerstreben, so mögen wir uns wohl für sie schämen, niemals aber unseres Herrn, der uns gesandt hat, niemals seiner Botschaft, niemals des Zweckes, zu dem wir von ihm gesandt sind.

47. Und habe Lust an deinen Geboten, und sie sind mir lieb. Auf Freimut folgt Freude. Wenn wir unsere Pflicht erfüllt haben, finden wir darin einen großen Lohn. Hätte der Psalmist vor den Königen nicht für seinen Gebieter geredet, so würde er nur mit Scheu an das Gesetz haben denken können, das er hintangesetzt hatte; nachdem er aber für seinen Herrn aufgetreten war, empfand er in seinem Innern eine wohltuende, fröhliche Befriedigung, wenn er über Gottes Wort nachsann. Sei dem Gebot gehorsam, so wirst du es lieb gewinnen; nimm das Joch auf dich, du wirst im Tragen erfahren, dass es leicht ist, und süße Ruhe wird über deine Seele kommen. Er hatte vom Gesetz geredet, aber dadurch war er desselben nicht müde geworden, sondern er sann auch in stiller Zurückgezogenheit darüber nach. Nachdem er zu andern davon geredet, hatte er für sich selber sein Ergötzen an dem Wort des Lebens; er predigte, und dann ging er in die Einsamkeit seines Kämmerleins, um sich neue Kraft zu holen, indem er sich abermals an der köstlichen Wahrheit labte. Mochte er, wenn er redete, andere vergnügen oder nicht, er hatte jedenfalls seine Lust, wenn er das Wort des HERRN in seinem Herzen bewegte. Er bezeugt es ausdrücklich, dass ihm des HERRN Gebote lieb seien, und dies Bekenntnis erklärt uns, warum sie ihm solche Freude bereiteten; denn wo unsere Liebe ist, da ist auch unsere Lust.


Der Psalmist suchte sein Ergötzen nicht an der Könige Höfen, in ihnen sah er vielmehr Orte, wo Versuchung zu falscher Scham drohte; dagegen in der Heiligen Schrift fühlte er sich zu Hause, da war es ihm wohl ums Herz, und sie war ihm eine Quelle der höchsten Freude. Es wundert uns nicht, dass er gelobte, das Gesetz zu halten allerwege (V. 44), da er es so liebte. Wie sagt doch Jesus? "Wer mich liebt, der wird mein Wort halten." (Joh. 14,23.) Und es ist ganz begreiflich, dass der Psalmist von fröhlichem Wandeln und furchtlosem Bekennen sprechen konnte (V. 45.46). Wahre Liebe ist immer fröhlich und freimütig. Die Liebe ist des Gesetzes Erfüllung. Wo die Liebe zum Gesetz Gottes im Herzen regiert, da muss das Leben ein reich gesegnetes sein. HERR, lass deine Gnade mächtig über uns kommen, dass wir dein Wort und deine Wege lieb haben und an ihnen unseres Herzens Lust finden.
Der ganze 119. Psalm ist durchdrungen von dem Wohlgeruch der Liebe zum göttlichen Wort; doch ist hier zum ersten Mal die Liebe ausdrücklich genannt. Und zwar hier in Verbindung mit Lust, in V. 165 mit großem Frieden. Alle die Verse, in welchen diese Liebe zum Worte bezeugt wird (V. 47.48.97.113.119.127.140.159.163.165.167), sind besonderer Beachtung wert.

48. Und hebe meine Hände auf zu deinen Geboten, die mir lieb sind. Er streckt sich aus nach der Vollkommenheit, so weit er nur kann, in der Hoffnung, sie eines Tages zu erreichen. Und wenn je die Hände ihm ermattet niedersinken, will er sich aus der Erschlaffung aufrichten und ermuntern durch die Aussicht, Gott durch seinen Gehorsam zu verherrlichen, und will es durch seine Gebärde feierlich bezeugen, dass er allem, was sein Gott befohlen hat, von Herzen beistimmt. Der Ausdruck "Ich hebe meine Hände auf" ist vielsinnig, und ohne Zweifel wollte der Dichter alles damit sagen, was wir darin finden können, und noch mehr dazu. Abermals bezeugt er seine Liebe zu Gottes Wort; treue Liebe will sich kundtun, sie ist ein Feuer, dessen Flammen sich nicht verbergen lassen. Es ist nur natürlich, dass er sich nach einem Gesetz ausstreckte, an dem er seine Lust hatte, gerade wie ein Kind die Hand ausstreckt nach einer Gabe, die es sehnlich begehrt. Und wenn uns eine solch liebens- und begehrenswerte Sache, wie es die Heiligkeit ist, vor Augen gehalten wird, so ziemt es uns, uns mit unserem ganzen Wesen ihr entgegenzustrecken, und bis das ganz geschehen, sollten wir wenigstens unsere Hände betend nach ihr ausstrecken. Wo heilige Hände und ein heiliges Herz vorangehen, da folgt ganz gewiss auch einst der ganze Mensch nach.

Und rede von deinen Rechten, Grundtext: und will sinnen über deine Rechte. Über Gottes Sinn und Gedanken, in seinem Worte geoffenbart, nachzusinnen kann er nie müde werden. Untertanen, die ihren König lieben, wünschen mit den Verordnungen ihres Herrschers vertraut zu sein; denn es ist ihnen ein herzliches Anliegen, ihn nicht etwa aus Unwissenheit zu kränken. Gebet mit aufgehobenen Händen und stilles, hingegebenes Sinnen mit gen Himmel gewandten Augen, daraus muss köstliche Frucht hervorgehen. Bei einem Manne, der also sich nach dem, das droben ist, emporstreckt und sich zugleich so tief ins Wort hinein versenkt, ist schon die Bitte des 41. Verses in Erfüllung gegangen: Gottes heilvolle Gnade ist mächtig über ihn gekommen. Wenn die Gnade auf uns niederströmt, so werden unsere Hände sich nach oben ausstrecken; wenn Gott unser gnädig gedenkt, werden wir gewiss auch sein gedenken. Selig, wer so mit aufgehobenen Händen dasteht, aufgehoben, um den Segen zu empfangen, und aufgehoben, um dem Gebot zu gehorchen; er wird nicht vergeblich auf den HERRN harren.

Erläuterungen und Kernworte


V. 41-48. Das achtfache w (U): Er bittet um die Gnade rechten und furchtlos freudigen Bekenntnisses.

41. Und überkommen mögen mich deine Gnaden,
Dein Heil gemäß deiner Zusage.
42. Und Rede stehen werd’ ich meinem Schmäher,
Denn ich vertraue auf dein Wort.
43. Und entziehe nicht meinem Munde das Wort der Wahrheit gänzlich,
Denn auf deine Rechte harre ich.
44. Und ich möchte beobachten dein Gesetz beständig,
Auf immer und ewig,
45. Und möchte einhergehen auf weitem Raum,
Denn nach deinen Ordnungen frag ich
46. Und will reden von deinen Zeugnissen vor Königen
Und werde nicht zu Schanden werden.
47. Und ich werde mich ergötzen an deinen Geboten,
Die ich lieb gewonnen,
48. Und aufheben meine Hände zu deinen Geboten
Und über deine Satzungen sinnen.
Prof. Franz Delitzsch † 1890.

Dieser ganze Abschnitt ist aus Bitten und Bekenntnissen zusammengesetzt. Die beiden Bitten stehen V. 41.43. Die übrigen sechs Vers enthalten Bekenntnisse oder Gelöbnisse. Beachten wir dies. Einer der Unterschiede zwischen Gottesfürchtigen und Gottfremden ist ja der: Alle Menschen begehren gute Gaben von Gott; die Gottlosen wollen aber nur empfangen, ohne dafür wieder zu geben, ja ohne auch nur eine Verpflichtung hierzu zu fühlen. Ihre Gebete können nicht wirksam sein, weil sie aus der Selbstliebe, nicht aus Gottesliebe entspringen. Wenn aber die Gottesfürchtigen Gutes vom HERRN begehren, danken sie ihm, wenn sie es empfangen haben, und gebrauchen diese Gaben zur Ehre dessen, der sie gespendet. Sie lieben ihr eigenes Selbst nicht um dieses willen, sondern um des HERRN willen, und wenn sie etwas von ihm haben wollen, so geschieht dies zu dem einen Zwecke, dadurch in seinem Dienst umso tüchtiger und geschickter zu werden. Das müssen wir im Auge behalten, denn es ist ein klares Zeichen, an dem man die echte Frömmigkeit von ihren Nachahmungen unterscheiden kann. William Cowper † 1619.
Wer sich nur nach dem, was er fühlt, richtet, der verliert Christus. (Martin Luther)

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Erläuterungen und Kernworte


V. 41. HERR, lass mir deine Gnaden widerfahren. Lass sie zu mir kommen. Wohl ist der Weg von dir zu mir durch Sünden und allerlei Schlimmes versperrt, aber die Gnade vermag alles Hindernde zu beseitigen und sich Zugang zu verschaffen oder aber sich einen neuen Weg zu bahnen. Lass sie mir widerfahren, lass sie mir folgen, wie David an anderer Stelle sagt: Gutes und Barmherzigkeit werden mir folgen mein Leben lang. Und sie haben ihn gefunden, sie werden auch uns zu finden wissen, trotz der Berge von Sünde, die dazwischen liegen. Thomas Manton † 1677.

Diener des Wortes und die es werden wollen mögen sich durch dieses Gebet des Psalmisten daran erinnern lassen, dass sie nicht nur andern den wahren Weg zur ewigen Seligkeit zu predigen haben, sondern dass sie mit ernstlichem Gebet zu Gott rufen müssen, auf dass sie selbst der göttlichen Gnaden teilhaftig werden und bleiben. Dem Apostel Paulus war das ein Anliegen von größter Wichtigkeit, dass er nicht den anderen predige und selbst verwerflich werde. Salomon Geßner † 1605.

Deine Hilfe. Nicht irgendwelche Hilfe ist es, die der Knecht Gottes begehrt, sondern solche Hilfe, die Gott nach seinem Wohlgefallen auf eine heilige Weise wirkt. Und wie das Wort der Verheißung die Richtschnur für unsere Bitten ist, so ist es auch ein Unterpfand für das Verheißene und muss festgehalten werden, bis die Erfüllung kommt. David Dickson† 1662.

V. 42. Dass ich antworten möge. Ja, denn dann werde ich stets eine Antwort bereit haben für meine Lästerer. So beantwortete der Herr Jesus die Vorschläge des Versuchers fast allein mit Worten der Schrift, und in den meisten Fällen wird die beste Erwiderung auf Angriffe auf religiösem Gebiet ein Schriftwort selbst sein. Auch ein Ungelehrter, dessen ganzes Wissen aus der Bibel geschöpft ist, kann sehr wohl die spitzfindigen Einwürfe eines gelehrten Zweiflers zum Schweigen bringen; und wer einfältigen Geistes und reinen Herzens ist, ohne eine andere Waffe als das Wort Gottes, zeigt sich oft besser gerüstet als der, dem alles Rüstzeug der Schulweisheit zu Gebot steht. Vgl. Eph. 6,17. Alb. Barnes † 1870.

V. 43. Auch aus dem Munde des Petrus, der ein Bild der ganzen Kirche ist, ist das Wort der Wahrheit nicht gänzlich genommen worden, denn er hat wohl zur Zeit aus Furcht verleugnet, aber mit Tränen hat er bereut und Buße getan, und als Bekenner ist er später gekrönt worden. [Negavit timore turbatus, flendo est reparatus, confitendo est coronatus, eine der bei Augustin so beliebten assonierenden Antithesen.] So spricht also der ganze Leib Christi, d. i. die gesamte christliche Kirche, und zwar entweder, indem an diesem ganzen Leib, obwohl die meisten verleugnet haben, doch die Starken zurückgeblieben sind, die bis zum Tode für die Wahrheit streiten, oder indem von denen, die verleugnet hatten, viele wieder zu Gnaden angenommen worden sind, und so ist von ihrem, der Kirche, Munde das Wort der Wahrheit nicht gänzlich genommen worden. Aurelius Augustinus † 430.

Das Wort wird vom Munde genommen, wenn Gott zu dem Gottlosen spricht: "Was verkündigst du meine Rechte"
(Ps. 50,16.) Selbst die Beredsamkeit muss verstummen, wenn das Gewissen nicht rein ist. Die Vögel unter dem Himmel kommen und nehmen das Wort von deinem Munde, wie sie den Samen des Wortes vom Wege weg holten, also dass er nicht aufging und Frucht brachte. Ambrosius † 397.

Manchmal scheuen wir uns, für den Heiland das Wort zu ergreifen, um uns nicht dem Vorwurfe der Heuchelei auszusetzen. Ein anderes Mal schämen wir uns zu sprechen, weil es an dem einzig dringenden Beweggrund fehlt, der Liebe Christi. Und so geschieht es, dass das Wort von unserem Munde genommen wird. Oft hätten wir gerne ein Wort zugunsten der bedrängten Kinder des HERRN geredet und konnten keines finden, so dass die Erinnerung an solch kostbare verlorene Gelegenheiten uns wohl zu dem Gebete veranlassen mag: Nimm ja nicht von meinem Munde das Wort der Wahrheit. Nimm es nicht bloß nicht aus meinem Herzen, sondern lass es auch bereit sein in meinem Munde, bereit, meinen Herrn und Meister zu bekennen. Mancher von uns kennt den schmerzlichen Zwiespalt, in den uns weltliche Gewohnheiten und weltlicher Umgang bringen können, wenn ein Mangel an geistiger Selbständigkeit uns verhindert hat, kühn für die Sache unseres Gottes aufzutreten. Wir meinen vielleicht, unser Schweigen mit angeborener Schüchternheit oder wohlüberlegter Vorsicht entschuldigen zu können, aber in vielen Fällen ist es doch nur ein Vorwand, mit dem wir uns selbst betrügen, um die wahre Ursache unserer Zurückhaltung zu verdecken: den Mangel an Ergreifung der Gnade Gottes. Charles Bridges † 1869.

Denn ich hoffe auf deine Rechte. Nicht ohne Ursache spricht David dieses Bekenntnis aus, denn dies lässt uns die Kraft des göttlichen Worten empfinden, wenn wir zugleich mit ihm die Hoffnung haben, welche vom Glauben abhängt. Es ist wahr, dass Gott seinem Volke die Hand gereicht hatte, als er es aus Ägyptenland führte, um es in sein Erbteil zu bringen, das er ihm verheißen hatte. Aber das Volk hält sich nicht zu seinem Gotte; darum muss diese Verheißung zunichte werden, nämlich in Bezug auf sie, die Ungläubigen. Gott aber gibt sie nicht auf; er findet ein neues, wunderbares Mittel, das den Menschen ganz unbekannt war, um das doch durchzuführen, was er gesagt hatte. Aber das gereichte denen nicht zum Vorteile, die ungläubig waren, denn siehe, sie sind ausgeschlossen von solcher Wohltat; sie sind des Erbes beraubt, das ihnen verheißen war. Wenn wir also wollen, dass Gott seine Hand über uns halte, dass er uns seine Kraft spüren lasse und wir die Früchte seiner Verheißungen schmecken, so müssen wir daraus lernen, dass es durchaus nötig ist, dass sie in unsere Herzen gepflanzt seien, dass wir mit David sprechen können: HERR, ich hoffe auf deine Rechte. Aber dieses Wort "Rechte" bedeutet nichts anderes als die Lehre, die im Gesetz Gottes enthalten ist. Und wenn der Psalmist auch noch so verschiedene Wörter gebraucht, er meint doch immer dasselbe. Jean Calvin † 1564.

V. 44. Ich will dein Gesetz halten allerwege, immer und ewiglich. Diese Häufung der Ausdrücke ist nicht bedeutungslos. 1) Sie zeigt, was für eine schwierige Sache die rechte Ausdauer ist. Wenn die Gläubigen nicht fest beharren im Widerstand gegen die Versuchungen, werden sie bald vom rechten Wege abkommen; deshalb bindet David Herz und Willen mit festem Bande. Und wir müssen jetzt und immerdar bis ans Ende ebenso tun. 2) David drückt damit die Stärke, die Gewaltsamkeit seiner Empfindung aus. Wer von einer Sache stark ergriffen ist, der pflegt auch, sich so eindringlich wie möglich darüber auszudrücken. So Paulus, Eph. 1,19. Thomas Manton † 1677.

Wenn du das Wort der Wahrheit nicht von meinem Munde nimmst, so werde ich dein Gesetz allerwege halten, ja in Ewigkeit und in die Ewigkeit der Ewigkeiten (semper, in saeculum et in saeculum saeculi). Dieses Gesetz sollte man hier verstehen, von welchem der Apostel sagt: So ist nun die Liebe des Gesetzes Erfüllung (Röm. 13,10). Dieses Gesetz ist es, das von den Heiligen, von deren Munde das Wort der Wahrheit nicht genommen wird, das ist, von der Kirche Christi selbst gehalten wird, nicht nur aus dieser Zeit, d. h. bis diese Zeit vollendet ist, sondern auch auf die andere, welche die Ewigkeit genannt wird. Denn wir werden die Vorschriften des Gesetzes dort nicht erhalten wie hier, um sie zu halten; sondern wir werden die ganze Vollendung, die Fülle des Gesetzes, wie ich gesagt habe, halten, ohne alle Furcht zu sündigen, denn wir werden Gott nur umso völliger lieben, wenn wir ihn gesehen haben; und ebenso unseren Nächsten, weil Gott dann sein wird alles in allen, und es werden keine argwöhnischen Gedanken über unsere Nächsten mehr in uns Platz finden können, wo keiner dem anderen verborgen sein wird. Aurelius Augustinus † 430.

V. 45. Ich wandele fröhlich (wörtlich: im weiten Raume, ungehindert, frei), denn ich suche deine Befehle. Wenn die Schrift sagt, dass ein Mensch, der vom Heiligen Geiste regiert wird, nicht unter dem Gesetz stehe, so meint sie damit nicht eine Freiheit, dass er nun straflos sündigen dürfe, sondern dass er nun fröhlich und frei ist, weil ihn der Geist Gottes gelehrt hat, das zu lieben, was sein Gesetz vorschreibt, und er nicht länger das Bewusstsein hat, unter einem Zwange zu stehen. Das Gesetz treibt ihn nicht mehr, der Geist regiert ihn. Es gibt einen Zustand, meine Brüder, wo wir Gott erkennen, aber nicht Gott in Christo lieben. Das ist der Zustand, wo wir das Gute, das Vollkommene bewundern, aber nicht imstande sind, es zu vollbringen, ein Zustand, in welchem die Liebe zum Guten zu nichts führt, sondern in einem bloßen fruchtlosen Wünschen verläuft. Es ist ein natürlicher Zustand, da wir unter dem Gesetze stehen und noch nicht zur Liebe Christi bekehrt sind. Es gibt aber noch einen anderen Zustand, wenn Gott sein Gesetz in unsere Herzen schreibt, durch Liebe statt durch Furcht. Der eine Zustand ist der: Ich kann, ich darf nicht tun, was ich möchte, der andere aber: Ich wandele fröhlich, denn ich suche deine Befehle. Fr. W. Robertson † 1853.

V. 46. In diesem Vers werden wir vor vier Verfehlungen gewarnt: Erstens vor unzeitgemäßem Schweigen: Ich rede; zweitens vor zwecklosem, unnützem Geschwätz: von deinen Zeugnissen; drittens vor feiger Menschenfurcht: vor Königen; viertens vor falscher Scham: Ich schäme mich nicht. - Nach H. Moller † 1639.

Ich rede von deinen Zeugnissen vor Königen und schäme mich nicht. Motto zu der von Melanchthon ausgearbeiteten und von "etlichen Fürsten und Städten" dem Kaiser Karl V. am 25. Juni 1530 auf dem Reichstag zu Augsburg überantworteten Bekenntnisschrift, der Augsburgischen Konfession. -

Die gottesfürchtigsten Männer sind auch stets die kühnsten und unerschrockensten gewesen. So Nehemia, Daniel und seine drei Freunde und alle heiligen Propheten und Apostel. Der Gottlose flieht, und niemand jagt ihn, der Gerechte aber ist getrost wie ein junger Löwe (Spr. 28,1). Die Gottesfurcht machte Daniel kühn wie einen Löwen, so dass er selbst Löwen zu bändigen vermochte. Luther war ein Mann von großer Heiligkeit und großer Kühnheit, der der ganzen Welt entgegentrat, und als der Kaiser ihn nach Worms vorgeladen hatte und seine Freunde ihm abrieten, erwiderte er: "Ich will hinein ziehen, wenn gleich soviel Teufel darin wären als Ziegel auf den Dächern." Und ein anderes Mal, da ihm und seinen Anhängern große Gefahr von den Gegnern drohte, tat er die beherzte, ja heldenmütige Äußerung. "So kommet und lasset uns miteinander den 46. Psalm singen, und mögen sie ihr Ärgstes an uns tun." Der englische Bischof Latimer war in der Finsternis und Verderbtheit seiner Zeit eine Leuchte der Heiligkeit und dabei ein Mann voll Mut und Unerschrockenheit, denn er wagte es, dem Könige Heinrich VIII. als Neujahrsgabe ein Neues Testament zu übersenden, eingehüllt in ein Tuch, auf welchem die Worte aufgezeichnet standen: Die Hurer und Ehebrecher wird Gott richten. Th. Brooks † 1680.

V. 47. Und habe Lust an deinen Geboten, und sie sind mir lieb. Der berühmte griechische Weise Aristoteles, der Lehrer Alexanders des Großen, befragt, welchen Nutzen er aus der Philosophie gezogen habe, erwiderte: "Ich habe gelernt, ohne Zwang zu tun, was andere aus Furcht vor Strafe tun." Und Aristippus, ein anderer griechischer Philosoph, sagte: "Wenn die Gesetze verloren gingen, so müssten wir doch alle so leben wie jetzt, wo sie noch in Wirksamkeit sind." Zwei Aussprüche, denen auch wir, die wir die höhere Weisheit des Evangeliums kennen, nur beistimmen können. Aber ein größerer Lehrer als diese beiden hat gesagt: "Wer mich liebt, der wird mein Wort halten." (Joh. 14,23.) James Millard Neale † 1866.

V. 48. Und hebe meine Hände auf zu deinen Geboten: ihnen gehorsam zu sein. 1. Mose 14,22. W. Kay 1871.

Ich will jedes Schlachtopfer und Brandopfer bringen, welches das Gesetz verlangt, ich will Bitte und Gebet vor dich bringen und aufheben heilige Hände ohne Zorn und Zweifel. Adam Clarke † 1832.

Unter den Geboten, die ihm lieb sind, versteht er ja das Wort Gottes überhaupt, aber der hier gebrauchte Ausdruck ist doch bedeutungsvoll. Es gibt ja Teile des göttlichen Wortes, die auch den weltlich Gesinnten lieb sind. Da sind alle die Verheißungen; da kommen sie alle gern und wollen zugreifen und erklären, dass sie solche lieb haben. Es ist auch ganz klar, warum; denn es ist Lust und Vorteil und Gewinn und Nutzen dabei zu finden. Aber eine fromme Seele sieht nicht allein auf die Verheißungen, sondern auch auf die Gebote. Der rechte Christ sieht in Christo nicht bloß den Heiland und Erlöser, sondern auch den Herrn und Meister. Merke auch: Es heißt "deine Gebote", ganz allgemein, also alle deine Gebote ohne Ausnahme; sonst können ja auch Weltmenschen einzelne Gebote lieb haben, wenn sie sie nach ihrem Belieben aussuchen dürfen. Rich. Holdsworth † 1649.
Wer sich nur nach dem, was er fühlt, richtet, der verliert Christus. (Martin Luther)

Jörg
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Psalm 119

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49.
Gedenke deinem Knechte an dein Wort,
auf welches du mich lässest hoffen.
50.
Das ist mein Trost in meinem Elende;
denn dein Wort erquickt mich.
51.
Die Stolzen haben ihren Spott an mir;
dennoch weiche ich nicht von deinem Gesetz.
52.
HERR, wenn ich gedenke, wie du von der Welt her gerichtet hast,
so werde ich getröstet.
53.
Ich bin entbrannt über die Gottlosen,
die dein Gesetz verlassen.
54.
Deine Rechte sind mein Lied
in dem Hause meiner Wallfahrt.
55.
HERR, ich gedenke des Nachts an deinen Namen
und halte dein Gesetz.
56.
Das ist mein Schatz,
dass ich deine Befehle halte.




Die nun folgenden acht Vers handeln von dem Trost des göttlichen Wortes. Und zwar erfleht der Psalmist zunächst als erste und wichtigste dieser Tröstungen Gottes Erfüllung seiner Zusage. Dann wird uns gezeigt, wie das Wort uns in Anfechtungen aufrecht erhält und gegen den Hohn der Welt so unempfindlich macht, dass das feindselige Verhalten der Gottlosen, statt uns zur Nachgiebigkeit gegen ihre Ansprüche und Forderungen zu bewegen, vielmehr in uns Entrüstung und Abscheu vor ihrer Sünde hervorruft. Wir sehen sodann, wie die Schrift den Himmelspilgern süße Lieder für ihre Wanderschaft darreicht und herrlichen Stoff zum Nachdenken für schlaflose Stunden. Der Schluss hebt nochmals besonders hervor, dass all diese Glückseligkeit, all dieser Trost nur aus dem Worte Gottes entspringt.

49. Gedenke deinem Knechte an dein Wort. Der Psalmdichter bittet nicht um eine neue Verheißung, sondern um Erfüllung des längst ihm verbrieften Wortes. Er ist dankbar, dass er eine so gnadenreiche und zuverlässige Zusage empfangen hat, er ergreift sie mit seinem ganzen Herzen und bittet den HERRN, nun auch danach an ihm zu handeln. Nicht sagt er: "Gedenke daran, wie ich dir gedient habe", sondern: "Gedenke des Wortes, das du deinem Knecht geredet hast". Die Worte, welche irdische Herren zu ihren Knechten reden, sind nicht immer derart, dass die Knechte wünschen, ihre Herren möchten sich derselben genau erinnern; denn die Herren sehen dann meist vor allem die Mängel und Fehler des getanen Werks, sofern dieses dem gegebenen Befehl nicht ganz entspricht. Wir aber, die wir dem besten aller Meister dienen, haben gar kein Verlangen, dass eines seiner Worte dahinfalle, da der HERR sich der von ihm gegebenen Befehle in so gütiger Weise erinnert, dass er uns die Gnade verleiht, in deren Kraft wir ihnen zu gehorchen vermögen, und damit ein Gedenken an seine Verheißungsworte verbinden wird, also dass unsere Herzen erquickt werden.

Der Psalmist sorgt sich nicht etwa, das Gedächtnis möchte den HERRN im Stich lassen, sondern er benutzt die Verheißung zur Unterstützung seiner Bitte, und er tut das in der Form, wie der Mensch redet, wenn er einen andern überreden will. Wenn der HERR der Verfehlungen seines Knechtes gedenkt und sie ihm vor Augen stellt, so ruft der Reuige: HERR, gedenke an dein Wort der Vergebung, und gedenke darum nicht mehr meiner Übertretungen und Sünden! Es liegt eine Fülle tiefer Bedeutung in dem Wort "Gedenke", wenn es an Gott gerichtet wird; es wird in der Heiligen Schrift oft in der rührendsten Weise angewendet und eignet sich trefflich für bekümmerte Gotteskinder. Der Psalmist z. B. ruft einmal aus: Gedenke, HERR, dem David an alle seine Leiden.
(Ps. 132,1.) Und Hiob seufzte: Ach, dass du meiner gedächtest. (Hiob 14,13.) In dem uns hier vorliegenden Falle ist das Gebet ebenso persönlich wie die Bitte des Schächers: "Herr, gedenke an mich", denn der Nachdruck liegt hier auf dem Wort: deinem Knechte. Es nützte uns ja nichts, ob der Verheißung auch für alle andern Menschen gedacht würde, wenn sie sich an uns nicht bestätigte; aber das hat keine Not, denn der HERR hat noch niemals einer einzigen Verheißung einem einzigen Gläubigen gegenüber vergessen.

Auf welches du mich lässest hoffen (oder: dieweil du mir Hoffnung machtest). Der Gedanke ist, dass Gott, der ihm die Gnade verliehen, seine Hoffnung auf die Verheißung zu setzen, diese Hoffnung gewiss nicht täuschen werde. Er kann uns nicht veranlasst haben, grundlose Erwartungen zu hegen. Wenn wir auf sein Wort hin hoffen, so haben wir festen Boden unter den Füßen; es ist unmöglich, dass unser gnadenreicher Herr uns durch Vorspiegelung falscher Hoffnungen zum Besten haben sollte. Die Hoffnung, die sich verzieht, ängstet das Herz, darum die Bitte, der HERR möchte doch sofort seines Versprechens gedenken. Weil wir des HERRN sind und uns bemühen, an sein Wort zu denken, indem wir ihm folgen, dürfen wir sicher sein, dass er seiner Knechte nicht vergessen und seine Verheißungen erfüllen wird.
Dieser Vers ist ein Gebet der Liebe, die sich nach liebendem Gedenken sehnt, der Demut, die sich ihrer geringen Bedeutung bewusst und die eben darum besorgt ist, sie könnte übersehen werden, der bußfertigen Gesinnung, die bei dem Gedanken zittert, dass ihre Sündenschuld die Verheißung unwirksam machen könnte; er ist ein Gebet des sehnsüchtigen Verlangens nach dem verheißenen Segen, ein Gebet der heiligen Zuversicht, die weiß, dass alles, was das Herz bedarf, in dem Worte Gottes beschlossen ist. Wenn der HERR seiner Verheißung nur gedenkt, so ist das Verheißene schon so gut wie in unseren Händen.

50. Das ist mein Trost in meinem Elende, denn dein Wort erquickt mich, oder: dass dein Wort mich neubelebt hat. Man kann den Sinn verschieden fassen. Entweder: Dein Wort ist mein Trost, oder: Dass dein Wort mich neubelebt hat, ist mein Trost. Oder er will sagen, dass die Hoffnung, die Gott ihm geschenkt hat (V. 49), sein Trost sei, denn Gott habe ihn damit erquickt. Was aber auch der genaue Sinn der Worte sein mag, so viel ist gewiss, dass der Psalmist im Elend war, in großer Not und Betrübnis, und zwar in ganz persönlich ihn betreffender, denn er nennt sie sein Elend. In dieser Prüfung hatte er Trost gefunden, und zwar ebenfalls ganz für ihn selbst bestimmten Trost, denn das Wörtlein mein steht auch bei diesem Wort, und endlich wusste er auch genau, was sein Trost war, woher dieser stammte, denn er spricht: Das ist mein Trost. Der Mammonsdiener klopft auf seinen Geldsack und spricht: "Das ist mein Trost", der Verschwender weist auf seine Lustbarkeiten hin und ruft: "Das ist mein Trost", der Trinker schwingt sein Glas und singt. "Das ist mein Trost"; aber der Mann, dessen Hoffnung auf dem HERRN, seinem Gott, steht, fühlt die Leben spendende Kraft des Wortes Gottes und bezeugt: "Das ist meinTrost". Wie Paulus sagt: Ich weiß, wem ich Glauben geschenkt habe. (2. Tim. 1,12) Trost, Ermutigung und Aufheiterung sind zu allen Zeiten etwas Erwünschtes, aber in Zeiten der Trübsal sind sie wie ein Licht, das da scheint an einem dunklen Ort. Manche Menschen wissen in solchen Zeiten nicht, wo sie Trost finden, nicht so aber die Gläubigen, denn ihr Herr hat ihnen gesagt: Ich will euch trösten (Jes. 66,13).

Das Wort tröstet uns oft dadurch, dass es die Kraft unseres inneren Lebens erhöht. Wird das Herz erquickt, so wird der ganze Mensch froh gestimmt und belebt. Oft ist der allerkürzeste Weg, zum Trost zu gelangen, der, dass wir neu uns dem HERRN weihen und unser geistliches Leben dadurch gekräftigt wird. Können wir die Nebel nicht zerstreuen, dann mag es das Beste sein, dass wir in die Höhe steigen, um so über die Nebel zu kommen. Kümmernisse und Leiden, die uns ganz zu Boden drücken, wenn wir todmüde sind, werden zu bloßen Kleinigkeiten, wenn frische Lebenskraft in unseren Adern strömt. Oft ist so unser Gemüt durch die erquickende Gnade des HERRN aufgerichtet worden, und das wird wieder geschehen, denn der Tröster ist noch bei uns. Er, der der Trost Israels ist, lebt immerdar, und der Gott des Friedens selbst ist unser Vater. Wenn wir auf unser vergangenes Leben zurückblicken, so finden wir wenigstens einen Grund zu trostreicher Zuversicht: Das Wort Gottes hat uns lebendig gemacht und am Leben erhalten. Wir waren tot, aber wir sind es nicht mehr. Und daraus ziehen wir den guten Schluss, dass der HERR, wenn er uns verderben wollte, uns sicher nicht zum Leben gerufen hätte. Wären wir nur verächtliche Heuchler, wie die Gottlosen in ihrer Anmaßung sagen (vergl. V. 51), so würde er uns nicht mit seiner Gnade erquickt, uns durch sein Verheißungswort neubelebt haben. Erfahrungen der Erquickung vom HERRN sind eine Quelle köstlichen Trostes.
Siehe, wie dieser Vers hernach (V. 107) in ein Gebet verwandelt wird: HERR, erquicke mich nach deinem Wort. Frühere Erfahrungen lehren uns, wie wir zu beten haben, und reichen uns Gründe dar, auf die wir uns in unserem Gebet stützen können.

51. Die Stolzen haben ihren Spott an mir. Hochmütige Menschen mögen Kinder der Gnade nicht leiden; sie scheuen sie und verbergen diese Furcht unter erkünstelter Verachtung. Gegenüber dem Psalmisten äußerte sich ihre Abneigung in Spott, und zwar waren sie darin sehr frech und hartnäckig, denn der Grundtext heißt: Die Übermütigen spotten mein gar sehr. Wenn sie eine Unterhaltung brauchten, so musste David dafür herhalten, weil er Gottes Diener war. Es müssen sonderbare Augen sein, denen der Frommen Glaube als eine Posse, die Gottesfurcht als eine Komödie erscheint; doch kommt es leider immer wieder vor, dass Menschen, die nichts weniger als geistreich sind, einen großen Heiterkeitserfolg erzielen, wenn sie einen Frommen verspötteln. Alberne Sünder machen Gottesfürchtige zum Spielball ihrer blöden Witze. Welch unbändiges Gelächter gibt’s, wenn sie von einem treuen Mitglied des "frommen Vereins" ein Zerrbild entwerfen! Sie amüsieren sich ganz köstlich, wenn sie über die Bemühungen der Jünger Jesu, ein gottseliges Leben zu führen, witzeln können, und der Abscheu der Gotteskinder vor der Sünde liefert ihnen Stoff zu endlosen Ausfällen über die Engherzigkeit und Heuchelei der Mucker und Betschwestern. Musste ein David Spott und Verachtung erfahren, so dürfen wir nicht erwarten, frei auszugehen. Das Geschlecht der Stolzen ist noch sehr zahlreich auf Erden, und wo sie einen Frommen von Not und Trübsal heimgesucht finden, sind sie unedel und unbarmherzig genug, sich über ihn lustig zu machen. Es liegt in der Natur des Sohnes der Magd, den Sohn der Freien zu verspotten und zu verfolgen.
(Gal. 4,29.)

Dennoch weiche ich nicht von deinem Gesetz. So schossen die Spötter also doch fehl: über ihn lachen konnten sie; aber ihn herumbringen nicht. Auch nicht im kleinsten Stücke ließ sich der Gottesmann von dem, was er für recht erkannt hatte, abbringen, ja er verlangsamte nicht einmal seinen Schritt. Viele würden in solchen Anfechtungen wankend geworden sein, ja gar manche sind tatsächlich abgewichen, nicht aber der Psalmist. Es heißt den Toren zu viel Ehre erweisen, wenn man ihnen auch nur um Haaresbreite nachgibt. Ihr Lachen und Wüten kann uns nichts anhaben, wenn wir ihm nur keine Beachtung schenken, so wenig der Mond unter den Hunden zu leiden hat, die ihn anbellen. Gottes Gesetz ist die wohlgebahnte Straße, auf der wir in Frieden und Sicherheit wandeln, und Leute, die uns durch ihren Spott davon weglocken wollen, meinen es sicher nicht gut mit uns.
Aus dem 61. Vers ersehen wir, dass der Psalmist sich durch den Raub seiner Güter ebenso wenig vom Rechten abbringen ließ wie durch den hässlichen Spott. Auch V. 157 zeigt uns, dass die vielen Verfolger und Widersacher des Gottesmannes mit all ihren Versuchen, ihn von Gottes Wegen abzuwenden, zu Schanden wurden.


52. HERR, wenn ich gedenke, wie du von der Welt her gerichtet hast, so werde ich getröstet. Vorher hatte er den HERRN gebeten, sein zu gedenken (V. 49); nun gedenkt er selber des HERRN und seiner Gerichte. Wenn wir in der Gegenwart keine Entfaltungen der göttlichen Macht wahrnehmen können, so tun wir wohl, auf das, was aus früheren Zeiten urkundlich berichtet ist, zurückzugehen; denn weil der HERR allezeit derselbe ist, beweisen diese alten Geschichten genauso viel, als wenn sie der letzten Gegenwart angehörten. Wahren Trost können wir nur in Gottes Walten für Wahrheit und Recht finden, und da die Geschichten der alten Zeiten voll sind von Beispielen solchen göttlichen Eingreifens, so ist es uns sehr nützlich, wenn wir dieselben gründlich kennen. Dazu können wir, wenn wir in vorgerückten Jahren stehen, auf die göttlichen Führungen in unserem eigenen früheren Leben zurückschauen, und diese sollten wir wahrlich nie vergessen oder auch nur einen Augenblick uns aus den Gedanken kommen lassen. Es ist eine richtige und unanfechtbare Schlussfolgerung: Er, der sich ehedem seinem Volke, das auf ihn harrte, so mächtig erwiesen hat, ist der unwandelbare Gott; darum dürfen auch wir auf Erlösung von ihm rechnen. Das Hohnlachen der Stolzen wird uns nicht anfechten, wenn wir daran gedenken, wie der HERR mit ihren Vorgängern in längst vergangenen Zeiten verfahren ist. Er vernichtete sie in der Sintflut, machte sie beim Turmbau zu Schanden, ersäufte sie im Schilfmeer, ließ Feuer und Schwefel auf sie regnen und vertrieb sie aus ihrem Kanaan; zu allen Zeiten hat er die Hoffärtigen seinen Arm fühlen lassen und sie wie Töpfergerät zerschmissen. Gern genießen wir selber in aller Stille demütigen Herzens die Gnade Gottes; doch sind wir auch in Zeiten der Verfolgung und Verspottung nicht ohne Trost, denn dann nehmen wir unsere Zuflucht zu Gottes Gerechtigkeit und bringen uns in Erinnerung, wie er der Spötter spottet: Aber der im Himmel wohnt, lachet ihrer, und der Allherr spottet ihrer. (Ps. 2,4.)

Wiewohl der Psalmist gar sehr unter dem Hohn zu leiden hatte, ließ er sich doch nicht dadurch verzagt machen, sondern fasste im Gegenteil frischen Mut. Er wusste, dass zu erfolgreichem Wirken im Dienst des HERRN und zur Ausdauer unter Verfolgung guter Mut nötig ist, darum suchte er Trost. Um diesen zu gewinnen, hielt er sich aber nicht so sehr an die milde, freundliche als vielmehr an die strenge Seite von Gottes Weise, mit den Menschen zu verfahren, und verweilte namentlich bei seinen Gerichten. Wenn wir selbst in Gottes strenger Gerechtigkeit labenden Honig entdecken können, wieviel mehr werden wir in seiner Liebe und Gnade Erquickung finden! Wie völlig muss ein Mensch mit Gott in Frieden leben, der nicht nur aus seinen Verheißungen, sondern auch aus seinen Gerichten Trost zu schöpfen vermag! Selbst die furchtbaren Taten Gottes bergen für die Gläubigen Ermutigung in sich, denn diese wissen, dass nichts so sehr der Allgemeinheit von Gottes Geschöpfen zum Besten dient, als dass sie von einer starken Hand regiert werden, die das Recht walten lässt. Der Gerechte hat das Schwert dieses Herrschers nicht zu fürchten, das nur den Bösen ein Schrecken ist. Wenn dem Gottesfürchtigen von Menschen Unrecht und Kränkung widerfährt, so findet er seinen Trost in der Tatsache, dass es einen Richter über die ganze Welt gibt, der seinen Auserwählten Recht schaffen und alle Unbill dieser verkehrten Zeiten wieder gutmachen wird.
Wer sich nur nach dem, was er fühlt, richtet, der verliert Christus. (Martin Luther)

Jörg
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53. Ich bin entbrannt über die Gottlosen, die dein Gesetz verlassen. Zornglut erfasste ihn über ihr Tun und Treiben sowie über den Hochmut und Übermut, der sie dazu verleitete, und Entsetzen über die Strafe, die sie unfehlbar dafür treffen musste. Wenn er der früheren Gerichte Gottes gedachte, ward er von Schauder erfasst über das Schicksal der Gottlosen; und wahrlich, er hatte alle Ursache dazu. Ihr höhnisches Lachen hatte ihm nicht viel Not gemacht, aber die gewisse Voraussicht ihres Verderbens bekümmerte ihn tief. Wahrheiten, über die sie sich lustig machten, waren ihm fürchterlicher Ernst. Er musste sehen, wie sie sich von Gottes Gesetz völlig abwandten wie von einem außer Gebrauch gekommenen Wege, der mit Gras bewachsen ist, weil ihn niemand mehr begeht. Und dieses Verlassen des Gesetzes erweckte in ihm die peinlichsten Empfindungen; er erschrak über ihre Gottfeindlichkeit, entsetzte sich über ihre Vermessenheit, ward beängstigt durch die Erwartung ihres plötzlichen Sturzes, von Schauder erfüllt bei dem Gedanken an ihr ewiges Los.

Man vergleiche hierzu die Vers 126 und 158 und beachte, wie viel zartes Empfinden sich bei alledem bemerkbar macht. Gerade diejenigen, die am festesten an die Ewigkeit der Höllenstrafen glauben, trauern auch am meisten über das schreckliche Los der Gottlosen. Es ist kein Zeichen eines besonders tiefen Mitgefühls, wenn man seine Augen verschließt gegen die Schrecken, die die unbußfertigen Sünder erwarten. Das echte Mitleid zeigt sich viel mehr in dem Bestreben, Seelen zu retten, als darin, alles augenblicklich Unangenehme beiseite zu lassen. Möchten wir doch alle mehr Bekümmernis empfinden bei dem Gedanken an das Los, das der Gottlosen harrt im unauslöschlichen Feuer. Die beliebte Weise, diese Dinge zu behandeln, ist, dass man sie sich aus dem Sinn schlägt oder sich weiß macht, es werde wohl nicht so schlimm sein; aber das ist nicht der Standpunkt, den ein treuer Knecht des HERRN einnehmen kann.

54. Deine Rechte sind mein Lied in dem Hause meiner Wallfahrt. Gleich den Erzvätern wusste David sehr wohl, dass er hienieden nicht eine bleibende Stätte hatte, sondern nur unterwegs war als ein Pilgrim, der ein besseres Vaterland suchte
(Hebr. 11,13-16). Aber das war ihm ein Grund nicht zum Seufzen, sondern zum Singen. Er sagt hier nichts von seinen Pilgerbeschwerden und -klagen, sondern spricht von frohen Wallfahrtsliedern. Selbst der Palast, in dem er wohnte, war ihm nur das Haus seiner Wallfahrt, die Herberge, in der er zu kurzer Rast weilte. Wenn die Leute nach langer Wanderung zur gastlichen Herberge kommen, dann singen sie gerne; das tat auch dieser fromme Herbergsgast, er stimmte seine Zionslieder an, besang die Rechtsordnungen des großen Königs. Gottes Gebote waren ihm so wohlbekannt wie die Volksgesänge seiner irdischen Heimat, und sie waren seinem Ohre wohllautend und seinem Herzen lieblich. Glücklich die Seele, die ihre Freude an Gottes Befehlen findet, der der Gehorsam eine Erholung, ein Genuss ist. Wenn die Religion in Musik gesetzt wird, dann geht es mit ihr munter voran. Können wir auf den Wegen des HERRN singen, so zeigt das, dass wir mit ganzem Herzen dabei sind. Unsere Lieder sind Wallfahrtslieder, Stufenpsalmen, mit denen wir uns auf dem beschwerlichen Anstieg nach Zion erquicken; doch sind sie solcher Art, dass wir sie noch in der Ewigkeit fortsingen können, denn die Rechte des HERRN sind es, wovon man auch im Himmel noch "im höhern Chore" singt.
Gottes Heiligen ist die Sünde ein Grauen (V. 53), die Heiligkeit aber lieblicher Wohlklang. Die Gottlosen gehen dem Gesetz scheu aus dem Wege, die Gerechten singen davon. Und da unsere Lieder so gar anders lauten als die, mit denen die Stolzen die Frommen verhöhnen (V. 51), so dürfen wir erwarten, dereinst in einen ganz andern Chor eingereiht zu werden und an einem Orte singen zu dürfen, der von dem ihren weit entfernt ist.

55. HERR, ich gedenke des Nachts an deinen Namen. Zur Zeit, da andere schlafen, wache ich, um, HERR, an dich zu denken, an deine Person, deine Taten, deinen Bund, deinen Namen, das ist, dein geoffenbartes Wesen. So sehr war sein Herz auf den lebendigen Gott gerichtet, dass er selbst mitten in der Nacht aufwachte, um sich in ihn zu versenken. Das waren Davids "Nachtgedanken"1, und wenn sie nicht "Sonnige Erinnerungen" waren, so doch Erinnerungen an die Sonne der Gerechtigkeit. Wohl uns, wenn wir aus der Erinnerung Trost zu schöpfen vermögen, so dass wir mit dem Psalmisten sagen können: Weil ich dich frühe kennen gelernt habe, brauche ich nur an das zu gedenken, was deine Gnade mir bisher gewesen ist, so wird mein Herz getröstet. Wir sollen den Namen Gottes heiligen; wie kann dies aber geschehen, wenn er unserem Gedächtnis entschwindet?
Und halte dein Gesetz. Sein stilles Sinnen wurde ihm zu einer Kraftquelle der Heiligung; sein nächtliches Gedenken regelte sein Tun am Tage. Denn wie das, was wir am Tage getan, oft unsere nächtlichen Träume erzeugt, so wirken auch wiederum die Gedanken der Nacht häufig auf unsere Handlungen am Tage ein. Wenn wir den Namen Gottes nicht in unserem Gedächtnis bewahren, so werden wir auch nicht das Gesetz Gottes in unserem Tun und Lassen bewahren. Ist das Herz vergesslich, so wird auch das Leben nachlässig sein.

Wenn wir die lärmenden Gesänge der Zecher durch die Stille der Nacht hallen hören, so ist uns das ein sicheres Zeichen, dass solche Gottes Gesetz nicht halten; ebenso ist das stille nächtliche Sinnen der Frommen ein Kennzeichen, dass ihnen der Name Gottes teuer ist. Aus den Liedern, die es singt, können wir auf den Charakter eines Volkes schließen, ebenso aber auch auf den des einzelnen Menschen. Bei dem Gerechten sind seine Lieder sowie das, worüber er sinnt, womit sich sein Geist in stillen Stunden beschäftigt, ein Merkmal seiner Liebe zu Gott. Mag er singen oder stille sinnen, er ist des HERRN. Selig der Mann, dessen Nachtgedanken vom Licht der Ewigkeit erfüllt sind; sein wird der HERR gedenken, wenn die Nacht des Todes über ihn hereinbricht. Lieber Leser, sind deine Gedanken, wenn Finsternis dich umgibt, dennoch voll Licht, weil sie von Gott erfüllt sind? Ist sein Name der selbstverständliche Gegenstand deiner Abendbetrachtungen? Ist das der Fall, dann wird es auch seinen Schein auf deine Morgen- und Tagesstunden werfen. Oder ist dein Sinn von den eitlen Sorgen und Freuden dieser Welt hingenommen? Dann ist es kein Wunder, dass auch dein Leben nicht so ist, wie es sein sollte. Durch Zufall gelangt niemand zur Heiligung. Wenn wir für den Namen Jehovahs keinen Raum in unserem Sinnen und Denken haben, so werden wir auch seiner Gebote nicht eingedenk sein; denken wir im Verborgenen nicht an ihn, so werden wir ihm auch nicht in unserem öffentlichen Wandel Gehorsam leisten.

56. Dieser Vers wird auf zweierlei Weise aufgefasst. Man kann (mit Kautzsch z. B.) übersetzen: Solches ward mir zuteil, denn ich habe deine Gebote beobachtet. Dann blickt der Vers auf das Vorhergehende zurück. Der Psalmist hatte solchen Trost, solche Gemeinschaft mit Gott auch in seinem nächtlichen Sinnen, solch süße Lieder im Hause seiner Wallfahrt, solchen Mut den Feinden gegenüber, solche Hoffnung auf die Erfüllung der Verheißung, weil er mit Ernst und Eifer die Gebote Gottes bewahrt und sich bestrebt hatte, nach ihnen zu handeln. Wohl haben wir keinen Lohn für unsere Werke zu empfangen, aber doch haben diese einen Lohn in sich. Gar mancher Trost, manche Befriedigung der Seele wird nur durch einen sorgsamen Lebenswandel erlangt, und wir können dann in Wahrheit sagen: Das ist ein Schatz, den ich gewonnen habe, weil ich deine Gebote hielt. Doch mag der Vers (mit vielen Auslegern) auch folgendermaßen übersetzt werden: Dies ist mir zuteil geworden, nämlich dass ich deine Gebote beobachte. Andern ist anders beschieden, sagt Delitzsch, z. B. viel Wein und Korn (Ps. 4,8); ihm das eine Notwendige, welches das gute Teil ist (Lk. 10,42). In diesem Sinn übersetzt ja auch Luther: Das ist mein Schatz, dass ich deine Befehle halte. Selig, wer also sprechen kann!
Dieser Vers bildet einen passenden Abschluss zu dem ganzen Abschnitt, denn er unterstützt mächtig die Bitte, womit der Abschnitt begonnen. Der Psalmist war sich dessen bewusst, dass sein Herz darauf gerichtet war, Gottes Ordnungen zu wahren; darum konnte er freimütig den HERRN bitten, seine Verheißungen zu halten. Ähnlich entspricht auch das "Ich gedenke" V. 55 der Bitte "Gedenke du".

Erläuterungen und Kernworte

V. 49-56. Das achtfache z (S). Gottes Wort ist seine Hoffnung und sein Trost bei aller Verhöhnung, und wenn er über die Abtrünnigen sich ereifert, ist Gottes Wort seine Beruhigung.

49. Sei eingedenk des Wortes an deinen Knecht,
Darob dass du mich hoffen heißest.
50. Sei dies mein Trost in meinem Elend,
Dass dein Wort mich neubelebt hat.
51. Spottsüchtig sind Übermütige mir begegnet -
Von deinem Gesetze bin ich nicht abgewichen.
52. Sooft ich dachte deiner Rechte von Ur(zeiten) her, Jahve,
Da tröstete ich mich.
53. Seid heiß ergriff mich Unmut ob der Frevler,
Die dein Gesetz verlassen.
54. Süße Lieder sind mir deine Satzungen
Im Hause meiner Pilgrimschaft.
55. Spät in der Nacht deines Namens, Jahve, gedenkend,
Hielt ich Treue deinem Gesetze.
56. So ist beschieden mir:
Dass ich deine Ordnungen wahre.
Prof. Franz Delitzsch † 1890.

V. 49. Gedenke deinem Knechte an dein Wort. Wenn wir im Worte Gottes auf eine Verheißung stoßen, so sollen wir sie in Gebet verwandeln. Gottes Verheißungen sind Schuldscheine, die wir ihm getrost vorhalten dürfen. Gott freut sich, wenn wir mit ihm ringen um seine Versprechungen. HERR, du hast das und das Versprechen gegeben, du kannst doch nicht dich selbst, deine eigene Wahrheit verleugnen! Du kannst ja nicht aufhören, Gott zu sein; doch könntest du ebenso wohl dies tun, als dein Versprechen, d. i. dich selbst, verleugnen. HERR, ich erinnere dich an dein eigenes Versprechen, auf welches du selbst mich hast hoffen lassen; denn du hast gemacht, dass ich auf dich traue, und keiner wird zu Schanden, der dein harret! Richard Sibbes † 1635.

Gedenke des Wortes an deinen Knecht. (Wörtl.) Das ist ein Ausdruck, der wohl erwogen zu werden verdient, da es sehr wenige Menschen gibt, die, wenn es sich um das Wort Gottes handelt, erkennen, dass es sich an sie selbst wendet; und doch ist ohne solche Erkenntnis alles wertlos. Wir können hundertmal in der Bibel lesen, aber wir werden doch nie an den Verheißungen Gottes Gefallen finden oder doch ihrer nie gewiss werden, wenn wir nicht erkannt haben, dass Gott gerade zu uns redet, dass wir es sind, die er seine Barmherzigkeit und seine Vaterliebe erfahren lassen will. Wenn wir die göttlichen Verheißungen so als in der Luft schwebend auffassen, als ob Gott geredet habe und wir wüssten nicht, zu wem, was können wir dann daraus für uns entnehmen? Darum so lasset uns wohl beachten, wie in diesem Vers David die erhaltenen Verheißungen auf sich selber bezieht. Er sagt: HERR, du hast nicht zu diesem oder jenem geredet, weiß nicht zu wem; ich zweifle vielmehr nicht, dass du mir hast erklären wollen, dass ich teilhaftig sei aller der Güter, die du deinen Gläubigen verheißen hast. Jean Calvin † 1564.

Auf welches du mich lässest hoffen. Lasst uns des eingedenk sein, erstlich, dass die uns gewordenen Verheißungen von Gottes freier Gnade kommen; weiter dass der Glaube, der die Bedingung der Erfüllung der Verheißung ist, ebenfalls von ihm kommt, nicht von uns, Gottes Gabe ist er; und zum Dritten, dass die Glaubensgründe, mit denen der HERR uns in der Gewissheit unserer Erlösung befestigt, auch von ihm her genommen sind, nicht aus uns. William Cowper † 1619.


Fußnote
1. Night Thoughts, Titel eines Werkes des engl. Dichters Edward Young. Dieses Werk, das gleich bei seinem Erscheinen (1741) Aufsehen erregte, hat in der englischen und deutschen Literatur lange Zeit eine größere Rolle gespielt, als ihm seiner Bedeutung nach wohl zukam. - E. R.
Wer sich nur nach dem, was er fühlt, richtet, der verliert Christus. (Martin Luther)

Jörg
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Erläuterungen und Kernworte


V. 50. Mein Christ, preise Gott, dass er sein Wort nicht nur geschrieben, sondern auch in dein Herz gegraben und wirksam gemacht hat. Kannst du bezeugen, dass es von göttlicher Eingebung ist, weil du seine erquickende, lebendig machende Kraft erfahren hast? O freie Gnade, dass Gott sein Wort ausgesandt hat, um dich zu heilen, ja dich! Dass dieselbe Schrift, die andern ein toter Buchstabe, dir ein Geruch zum Leben ist! Thomas Manton † 1677.

V. 51. Die Stolzen haben ihren Spott an mir. Zu allen Zeiten haben die Heiligen Gottes hierüber klagen müssen. So litt der Psalmist unter dem Hohn der Freigeister. Hiob wurde verlacht von denen, die jünger waren als er, deren Väter er verachtet hätte, sie zu stellen unter seine Schafhunde (Hiob 30,1). Josef ward ein Träumer gescholten, Paulus ein Lotterbube, Christus selbst ein Samariter und in verächtlichem Sinne der Zimmermann genannt. Michal war zwar unfruchtbar, doch hat sie viele Kinder, die das Wesen und Tun der Heiligen verhöhnen. Weltlich gesinnte Leute erblicken in allen Äußerungen der Frömmigkeit nichts als Schwärmerei und Verrücktheit; die Frömmigkeit ist ihnen zuwider. Thomas Adams 1614.

V. 52. HERR, wenn ich gedenke, wie du von der Welt her gerichtet hast, so werde ich getröstet. Er gedachte daran, dass am Anfang Adam wegen seiner Übertretung des göttlichen Gebotes aus dem Paradiese getrieben ward; dass Kain, verdammt durch den göttlichen Urteilsspruch, den Preis für sein brudermörderisches Verbrechen bezahlte; dass Henoch, wegen seiner Gottesfurcht gen Himmel aufgenommen, dem Gifte irdischer Verderbtheit entging; dass Noah, wegen seiner Gerechtigkeit der Überwinder der Sintflut, der einzige Überlebende des Menschengeschlechtes ward; dass Abraham um seines Glaubens willen den Samen seiner Nachkommenschaft über die ganze Erde ausbreitete; dass Israel um seines geduldigen Ertragens von Trübsal willen ein ganzes Volk mit dem Zeichen seines eigenen Namens weihte; dass David selbst um seiner Frömmigkeit willen die königliche Würde übertragen erhielt und seinen älteren Brüdern vorgezogen wurde. Ambrosius † 397.

Hier drängt sich eine Gewissensfrage auf: Wie konnte David durch die Erinnerung an Gottes Gerichte getröstet werden? Es ist doch ein grausames Vergnügen, sich über das Verderben anderer zu freuen. Steht nicht geschrieben: Wer sich über eines andern Unglück freut, wird nicht ungestraft bleiben? (Spr. 17,5) Darauf lässt sich verschiedenes antworten. Einmal umfassen die Gerichte Gottes beide Seiten seiner vergeltenden Gerechtigkeit, die Erlösung der Frommen sowohl wie die Bestrafung der Gottlosen. Die Freude über das Erstere nun erregt keine Bedenken; aber auch die Strafen, die die Gottlosen befallen, können und dürfen den Frommen freuen, sofern durch die Strafe der Reiz zur Sünde, der in der Straflosigkeit liegt, vermindert wird. Wenn den Gottlosen Gnade widerfährt, so lernen sie nicht Gerechtigkeit (Jes. 26,10). Aber wo dein Recht im Lande geht, so lernen die Bewohner des Erdbodens Gerechtigkeit (V. 9). Ferner wird den Anfeindungen der Gottlosen, ihren Verfolgungen, ihrer Verführung, den Schlingen, die sie den Frommen legen, durch ihre Strafe ein Ende gemacht. So hört die Bedrückung der Heiligen auf, und die Kirche Christi, das Reich Gottes kann sich ungehindert ausbreiten. Die Freude, die der Psalmist hier äußert und von der häufig in der Schrift die Rede ist (vergl. Spr. 11,10; Ps. 52,7.8; und im N.T. Lk. 1,47.51.52; Off. 18,20), ist die Freude über Gottes Gerechtigkeit. Wir dürfen uns freuen und Trost und Genugtuung finden in der Offenbarung von Gottes Gerechtigkeit, die der Gerechtigkeit und Wahrheit den Sieg über das Böse und die Lüge verliehen. Thomas Manton † 1677.

V. 53. Ich bin entbrannt über die Gottlosen, die dein Gesetz verlassen. Wenn wir die Menschen sich so weit von Gott entfernen sehen, dass sie sogar offenen Krieg gegen ihn unternehmen, dann ist es sehr schwer, dass wir nicht ganz grimmig und wild darüber werden. Und was haben wir dabei zu tun? Es genügt keineswegs, dass wir den Gottlosen in ihrer Bosheit nicht folgen, dass wir uns ihnen nicht anschließen, um ihre Mitschuldigen zu sein, sondern wir müssen entbrannt sein über sie in Abscheu, wenn wir sehen, da sie wider Gott streiten. Denn das ist doch etwas ganz Ungeheuerliches, dass sterbliche Menschen sich wider ihren Schöpfer erheben und Krieg führen. Jean Calvin † 1564.

Ich habe Blicke in die Zukunft tun dürfen, ich habe etwas von der Seligkeit der Frommen geschaut, habe mich gesehnt, an ihrem seligen Stande teilnehmen zu dürfen, und habe die tröstliche Gewissheit, dass mir dies dereinst in Gnaden zuteilwerden wird. Aber, welche Schauer ergreifen mich, wenn ich an die Ewigkeit derer denke, die ohne Christum sind, die im Irrtume leben und ihre falschen Hoffnungen mit ins Grab nehmen. Das Bild war so schrecklich, dass ich es nicht ertragen konnte; mein ganzes Innere sträubte sich dagegen, und ich rief aus (tiefer ergriffen von dem Sinne dieser Worte als je zuvor): Wer ist unter uns, der bei der ewigen Glut wohne? David Brainerd † 1747.

V. 54. Deine Rechte sind mein Lied. Gottes Satzungen sind seine Lieder, die ihn geistig laben, die Beschwerden der Wanderung versüßen und seine Schritte messen und beflügeln. Prof. Franz Delitzsch † 1890.

Warum doch wird alles, was wie Wärme, Begeisterung aussieht, in religiösen Dingen mit dem Namen Schwärmerei gebrandmarkt? Beim Dichter, beim Musiker, beim Gelehrten, beim Liebhaber, ja auch beim Geschäftsmanne findet man solch warmen Eifer am Platze, ja sehr wünschenswert. Warum also wird das auf dem Gebiete der Angelegenheiten unserer Seele vergessen, Angelegenheiten, die vor allen anderen eine völlige Hingabe des Geistes verlangen und verdienen? Soll ein Gefangener in Frohlocken ausbrechen, wenn ihm seine Freiheit verkündet wird, und der losgesprochene Sünder sollte aus seinem Gefängnis treten, ungerührt, ohne Äußerungen des Dankes und der Freude? Nein! Ihr sollt in Freuden ausziehen und in Frieden geleitet werden. Berge und Hügel sollen vor euch her frohlocken mit Ruhm, und alle Bäume auf dem Felde mit den Händen klatschen (Jes. 55,12). Soll der zum Tode verurteilte Verbrecher aufs tiefste ergriffen werden, wenn an Stelle der Hinrichtung ihm völlige Begnadigung zuteil wird, und der begnadigte Sünder soll in gefühllosem Schweigen verharren? Nein! Nun wir denn sind gerecht geworden durch den Glauben, so haben wir Frieden mit Gott durch unseren Herrn Jesus Christ, durch welchen wir auch den Zugang haben im Glauben zu dieser Gnade, darinnen wir stehen, und rühmen uns der Hoffnung der zukünftigen Herrlichkeit, die Gott geben soll. Nicht allein aber das, sondern wir rühmen uns auch der Trübsale ..., nicht allein aber das, sondern wir rühmen uns auch Gottes, durch welchen wir nun die Versöhnung empfangen haben (Röm. 5,1-3.11). - Wanderer pflegen sich durch Gesang den langen Weg zu verkürzen. Wenn sie dreimal im Jahre von den äußersten Grenzen ihres Landes nach Jerusalem kamen um anzubeten, hatten die Israeliten eigens für diese Gelegenheiten bestimmte Lieder, die sie unterwegs sangen. Und von den Gerechten heißt es: Also werden die Erlösten des HERRN wiederkehren und gen Zion kommen mit Jauchzen, und ewige Freude wird auf ihrem Haupte sein (Jes. 51,11). W. Jay † 1853.

In dem Hause meiner Wallfahrt. Damit meint David sein ganzes Erdenleben. So bekannten sich auch Jakob vor Pharao und Abraham und Isaak als Fremdlinge Zeit ihres Lebens. Und die Christen nennt Petrus ebenfalls Fremdlinge und Pilgrime. Ach welche Torheit, seinen Sinn auf das Diesseits zu richten, da uns Gott doch berufen hat, Bürger des Himmels zu sein! Der Gedanke, dass unsere irdischen Häuser doch nur Herbergen sind, kann uns großen Trost gewähren. Die frommen Israeliten ertrugen die Knechtschaft in Ägypten leichter im Gedanken an ihre bevorstehende Erlösung. Welch ein trostloser Zustand, wenn das Haus unserer Knechtschaft ein Haus für die Ewigkeit wäre. Aber Gott sei gepriesen, unser Vaterhaus ist droben im Himmel, und die Wohnungen, die wir hienieden eine nach der andern innehaben, das sind nur Wanderherbergen. Selig sind, die da Heimweh haben, die sich stets als Fremde fühlen in ihrem Hause, ihrem Bette, ja in ihrem Leibe, die daheim sind nur beim Herrn. William Cowper † 1619.

V. 55. Des Nachts gedenke ich an deinen Namen, und darum halte ich auch des Tages dein Gesetz. Matthew Henry † 1714.

Dieser Vers enthält ein neues Bekenntnis seiner Liebe zum Worte Gottes. Wir sehen darin zuerst die Aufrichtigkeit seiner Gesinnung. Er war gottesfürchtig nicht nur in der Öffentlichkeit, sondern auch in seinen vier Wänden. Einsame Andacht ist eines der sichersten Merkmale echter Frömmigkeit. Die Heuchelei veranlasst die Menschen oft, in der Öffentlichkeit eine Rolle zu spielen, die ihrem Wesen fremd ist; das ist beim Gebet im Kämmerlein nicht der Fall. Entweder wirst du, wenn dir Gebet und Bibellesen keine Gewissenssache ist, sie ganz unterlassen, wo dich kein Menschenauge sehen kann, oder aber, wenn du wirklich fromm bist, wirst du auch, wo dich niemand sieht, dein Herz vor Gott bringen und suchen, dass er sein Wohlgefallen daran habe. Weiter aber zeigt uns dies auch die brennende Glut seiner Frömmigkeit, denn so wie er an anderer Stelle es beteuert, dass er das Wort mehr liebe als alle Speise, so beteuert er hier, dass er eine nächtliche Ruhe aufgebe, um über dem Worte Gottes nachzusinnen. Heute aber ist der Eifer bei denen, die sich nach Christi Namen nennen, so erkaltet, dass selten einer von ihnen seinen Überfluss, geschweige denn seine notwendige Ruhe und Erholung aus Liebe zum Worte Gottes drangeben würde. William Cowper † 1619.

Wenn du des Abends dein Gebet mit den Deinen gesprochen hast, dann magst du ganz allein für dich dein eigenes Gebet hinzufügen, das soll niemand auf der Welt hören, weil es ein Geheimnis ist; das allergrößte Geheimnis, das man hat, das ist das Geheimnis, das man mit dem lieben Gott hat. James Millard Sick.

Da nun der Leib sein Tagewerk vollendet,
Mein Geist sich auch zu seinem Werke wendet,
Zu beten an, zu lieben inniglich,
Im stillen Grund, mein Gott, zu schauen dich.
Die Dunkelheit ist da, und alles schweiget;
Mein Geist vor dir, o Majestät, sich beuget.
Ins Heiligtum, ins Dunkle kehr ich ein.
HERR, rede du, lass mich ganz stille sein.
Gerhard Tersteegen † 1769.

Pastor Harms von Hermannsburg pflegte am Tag des Herrn neun Stunden lang seiner Gemeinde zu predigen, zu lehren und zu beten. Und dann, wenn er geistig ganz erschöpft war und er unter körperlichen Schmerzen erbebte und halb tot war vor Verlangen nach Ruhe, dann vermochte er keinen Schlaf zu finden. Aber er pflegte zu sagen, dass er gerne die ganze Nacht in der Dunkelheit und Stille daliege und an Jesum denke. Die Nacht lösche alles andere aus seinen Gedanken und lasse seinen Geist frei für den Verkehr mit dem einen, den seine Seele am innigsten liebe und der seinen müden Jünger während seiner Nachtwachen besuche und stärke. So haben Gottes Kinder oft Stunden seltener Gemeinschaft mit dem HERRN in der Einsamkeit der Verbannung, im Düster der Kerkerzelle, in der lebenslangen Nacht der Blindheit erfahren dürfen, zu Zeiten, da alle Stimmen und Äußerungen von der Welt her völlig abgeschnitten waren, da die Seele ganz allein mit ihrem Gotte gelassen war. March 1880.

Und halte dein Gesetz, wohl unvollkommen, aber doch aufrichtig, von ganzem Herzen, aus einem Gefühle der Liebe und Dankbarkeit heraus und nur im Gedanken an die Ehre und den Ruhm Gottes, ohne eigennützige, versteckte Zwecke. J. Gill † 1771.

V. 56. Solches ward mir zuteil, weil ich deine Gebote gehalten habe. (And. Übersetzung.) Wie die Sünde selber Strafe der Sünde ist und der Gottlose immer schlimmer wird, so ist die Gottesfurcht Lohn der Gottesfurcht. Der rechte Gebrauch unserer Gaben und Fähigkeiten stärkt und mehrt dieselben, und wer in der Frömmigkeit erst einen Anfang gemacht hat, wird mit fernerem Wachstum in der Frömmigkeit gesegnet. Davids fromme Übungen hielten ihm den HERRN, seinen Gott, im Gedächtnis, und sein Gedenken an Gott machte ihn immer gottesfürchtiger und frömmer. William Cowper † 1619.

Ein ähnlicher Gedanke findet sich auch bei den Rabbinern ausgesprochen: Der Lohn für ein Gebot ist ein Gebot, oder: Ein Gebot zieht ein Gebot nach sich. Das will sagen: Wer das eine Gebot hält, dem gewährt Gott, gleichsam als Belohnung, die Fähigkeit, ein anderes, schwierigeres Gebot zu halten. Und das Gegenteil davon drückt ein anderer Rabbinerausspruch aus: Der Lohn einer Sünde ist eine neue Sünde, oder: Übertretung zieht Übertretung nach sich. Simon de Muis † 1647.
Wer sich nur nach dem, was er fühlt, richtet, der verliert Christus. (Martin Luther)

Jörg
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Psalm 119

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57.
Ich habe gesagt HERR, das soll mein Erbe sein,
dass ich deine Worte halte.
58.
Ich flehe vor deinem Angesichte von ganzem Herzen;
sei mir gnädig nach deinem Wort.
59.
Ich betrachte meine Wege
und kehre meine Fuße zu deinen Zeugnissen.
60.
Ich eile und säume mich nicht,
zu halten deine Gebote.
61.
Der Gottlosen Rotte beraubt mich;
aber ich vergesse deines Gesetzes nicht.
62.
Zur Mitternacht stehe ich auf, dir zu danken
für die Rechte deiner Gerechtigkeit.
63.
Ich halte mich zu denen, die dich fürchten
und deine Befehle halten.
64.
HERR, die Erde ist voll deiner Güte;
lehre mich deine Rechte.




In diesem Abschnitt tritt besonders hervor, mit welcher Innigkeit der Psalmist Gott selbst erfasst. Er eignet sich ihn im Glauben an als sein Teil (siehe zu V. 57), erfleht herzinniglich seine Gunst (V. 58), kehrt sich ganz ihm und seinem Worte zu (V. 59), tröstet und erquickt sich an ihm (V. 61.62), sucht Gemeinschaft mit seinem Volke (V. 63) und sehnt sich nach immer tieferer Erfahrung seiner Gnade (V. 64). - Man beachte, wie eng sich der erste Vers dieser Gruppe an den letzten der vorigen anschließt.

57. Wir übersetzen: Mein Teil ist der HERR! oder nach den LXX: Mein Teil bist du, o HERR! Der Dichter steht da, in ehrfürchtiges Staunen versunken, dass der große, herrliche Herr ganz sein eigen ist. Und wahrlich, sein Herz mag wohl anbetend überwallen, denn welcher Schatz reicht an diesen hinan, an Jehovah selbst? David war oft dabei gewesen, wenn die Kriegsbeute verteilt wurde, und hatte die Sieger über ihr jauchzen hören. Hier ist er es selbst, der in Frohlocken ausbricht, da er seinen Anteil ergreift: den HERRN selbst hat er sich erwählt, der soll sein Teil sein, das teure Kleinod, das er sich zu eigen nimmt. Gleich den Leviten erkor er Gott zu seinem Erbteil und ließ um diesen Preis andern gerne die Schätze, nach denen ihr Herz begehrte. Das ist ein reiches und ein dauerndes Erbe; denn es schließt alles andere in sich, ja mehr als alles, was die Kreatur, was Himmel und Erde bieten können, und es überdauert alles. Und doch erwählt kein Mensch es für sich selber, es sei denn, dass Gott ihn zuerst erwählt und ihn erneuert habe. Welcher Mensch, der wahrhaft weise ist, könnte auch nur einen Augenblick zögern, wenn der ewige Gott, der Herr aller Güter und Inbegriff alles Guten, ihm dargeboten wird, dass er ihn als sein eigen erwähle? Der Psalmist griff ohne Besinnen zu und erfasste das unschätzbare Gut. Und er erlaubt sich hier, dem HERRN selbst seine Besitzansprüche vor Augen zu halten, richtet sich sein freudiger Ausruf doch (nach der Auffassung der LXX) unmittelbar an Gott, indem er ihn kühn sein Eigentum nennt. Wiewohl er unter so vielem wählen konnte, da er ja ein König war, dem alles zur Verfügung stand, ist er doch nicht einen Augenblick unschlüssig, sondern wendet allen Schätzen dieser Welt den Rücken und erklärt aufs bestimmteste, dass Jehovah selbst sein Teil sei, das er erwähle.

Ich habe gesagt (d. h. mir vorgenommen, gelobt), dass ich deine Worte halten will.(Grundtext) Nicht immer können wir mit Freude zurückblicken auf das, was wir gesagt haben; aber in diesem Falle hatte David ein weises und gutes Wort geredet. Er hatte erklärt, was er erwähle; dass er das Wort des HERRN allem Reichtum der Weltkinder vorziehe. Es war sein fester Entschluss, die Worte seines Gottes zu halten, sie als seinen kostbaren Schatz zu bewahren und zu beobachten, und wie er vordem dies feierlich vor dem Angesicht des HERRN selbst erklärt hatte, so bekennt er sich hier durch dies Gelübde gebunden. Jesus sagt: "Wer mich liebt, der wird mein Wort halten" (Joh. 14,23), und er hätte dazu als Beispiel dies Bekenntnis des Psalmisten anführen können; denn eben seine Liebe zu Gott als dem, der sein Teil war, führte den Psalmdichter dazu, Gottes Worte zu halten. David warf sich dem HERRN ebenso als seinem König zu Füßen, wie er ihn als sein Teil und Erbe umschlang. Er war sich seines Anrechts an Gott gewiss, darum war er auch ganz entschieden in seinem Gehorsam gegen ihn. Volle Gewissheit des Heils ist ein mächtiger Antrieb zur Heiligung, eine Quelle, aus der sie kräftig hervorsprudelt. Die ureigenen Worte Gottes sollen wir im Herzen und Leben bewahren; denn ob sie Lehre, Verheißung oder Gebot enthalten, in jedem Falle sind sie vom höchsten Wert. Wenn das Herz entschlossen ist, diese Worte zu halten, und es seinen Entschluss vor Gott beurkundet hat, dann ist es wohlgerüstet gegen alle Versuchungen und Prüfungen, die ihm bevorstehen; denn mit Gott als seinem Teil und Erbe muss es ihm unter allen Umständen wohlgeraten.

58. Ich flehe dich (wörtl. dein Angesicht) an (suche deine Gunst) von ganzem Herzen.(Grundtext) Die volle Gewissheit, den HERRN zu eigen zu besitzen, macht das Gebet nicht überflüssig, sondern drängt uns vielmehr dazu. Wer da weiß, dass Gott sein Gott ist, der wird auch sein Angesicht suchen, voll Verlangens, dass es sich ihm huldvoll zuwende. Gottes Gunst ist das heißeste Begehren frommer Seelen; das Leuchten seines Antlitzes gibt uns einen Vorgeschmack des Himmels. O dass wir uns an ihm immer erfreuten! Wie einer, der um sein Leben fleht, so inbrünstig und herzinniglich bat der Mann Gottes hier um einen Strahl der Freundlichkeit aus dem Angesicht des HERRN. Solches Flehen darf der Erhörung gewiss sein; was uns so aus dem Herzen geht, das findet sicherlich seinen Weg zum Herzen Gottes. Das ganze Füllhorn der göttlichen Huld schüttet sich aus über die, die von ganzem Herzen Gottes Segnungen begehren.

Sei mir gnädig nach deinem Wort. Gottes Gunst hat er erfleht, und zwar weiß er, dass diese nur als Gnade, aus lauter Erbarmen, ihm zuteilwerden kann; denn was sonst er noch sein mag, vor allem andern ist er ein Sünder. Er begehrt nichts über die Verheißung hinaus; er bittet nur um solche Gnade, wie das Wort sie enthüllt und ihm verbürgt. Und was mehr hätte er auch begehren oder wünschen können? Gott hat in seinem Worte eine so unendliche Fülle von Gnade geoffenbart, dass es uns schlechterdings unmöglich wäre, eine noch reichere Fülle auszudenken. Siehe, wie der Psalmist in den beiden Versteilen so ganz sich an die Gnade klammert; sich auf ein Verdienst zu berufen, fällt ihm nicht im Traume ein. Er verlangt nicht, sondern fleht; denn er fühlt seine Unwürdigkeit. Er verharrt in seiner Stellung als Bittender, wiewohl er weiß, dass er in seinem Gotte alles besitzt. Gott ist sein Teil, und doch bittet er um die huldvolle Zuwendung seines Angesichts. Nicht einen Augenblick kommt ihm der Gedanke in den Sinn, je anders vor Gott treten zu können, denn als ein Unwürdiger, aber ein begnadigter Unwürdiger. Seinem Herzen entquillt das "Gott, sei mir gnädig" ebenso demütig und dringend, wie wenn er noch als zitternder Büßer von ferne stände. Die Glaubensgewissheit macht uns kühn im Bitten, nie aber lehrt sie uns ohne Gebet auskommen, nie gibt sie uns das Recht, anders denn als Bettler an der Tür der Barmherzigkeit zu stehen.

59. Ich betrachte meine Wege und kehre meine Füße zu deinen Zeugnissen. (Man kann V. 59 bis V. 61 auch im Imperfekt übersetzen.) Die Betrachtung des göttlichen Wortes hatte ihn auf die Betrachtung seines eigenen Lebens geführt, und dies rief eine ganz gewaltige Umwälzung bei ihm hervor. Er war zum Wort gegangen, nun ging er in sich und machte sich auf und kam zu seinem Vater. Stille Einkehr ist der Anfang der Bekehrung; erst denken wir, dann lenken wir um. Wenn das Herz erst seine bösen Wege bereut, dann sind die Füße leicht auf den guten Weg gebracht; aber ohne ernstes, tiefes Nachdenken wird es nie zu wahrer Reue kommen. Viele Leute haben eine Abneigung gegen alles Denken, und besonders zuwider ist es ihnen, wenn sie über ihre Wege nachdenken sollen, weil diese das nur schlecht ertragen. Die Wege Davids waren auch nicht immer und überall so gewesen, wie er es hätte wünschen müssen; seine Gedanken über sie wurden somit verdunkelt von schmerzvoller Reue. Aber er blieb nicht bei fruchtlosem Klagen stehen, sondern ging mit Ernst an eine wirkliche Besserung; er wandte sich ab von allem, was vor dem HERRN nicht taugte, und wandte sich hin zu den Zeugnissen seines Gottes, voll Verlangens, wiederum mit voller Gewissheit die Huld seines himmlischen Freundes zu genießen. Ein Tor handelt, ohne zu denken; der Faule begnügt sich mit müßigem Denken, ohne zu handeln. Erst sorgfältig denken und wägen, dann aber auch frisch handeln, das ist das Richtige. Der Psalmdichter hatte um Zuwendung der göttlichen Huld, um neue Erfahrung der seligen Gemeinschaft mit Gott gefleht; nun beweist er die Aufrichtigkeit seines Begehrens durch erneuerten Gehorsam. Wenn wir im Finstern wandeln und uns von Gott verlassen fühlen, dann werden wir am besten tun, nicht so sehr über unsere Trübsale als über unsere Wege nachzudenken. Wenn wir auch den Gang der göttlichen Vorsehung nicht zu ändern vermögen, so können wir doch unseren Gang, unsere Wege ändern, und tun wir das, dann werden die Dinge sich bald zum Guten wenden. Sind unsere Füße erst zurechtgebracht zu heiligem Wandel, dann wird unser Herz auch bald zurechtgebracht sein zu Friede und Freude im Heiligen Geist. Gott kehrt sich eilends zu den Seinen, wenn sie sich zu ihm kehren; ja er hat sein Antlitz ihnen schon huldreich zugewandt, wenn sie anfangen, ihre Wege zu überdenken und ihre Füße heimwärts zu lenken.

60. Ich eile und säume mich nicht, zu halten deine Gebote. Er hat es sehr eilig, auf die königliche Heerstraße zurückzukommen, von der er abgewichen war, und nun im Dienst seines Königs auf diesem Wege voranzuschreiten. Eile in der reuigen Umkehr und Hurtigkeit im Gehorsam sind zwei treffliche Dinge. Wie oft stürzen wir mit Hast in die Sünde; ach, dass wir noch eilfertiger wären, zu gehorchen! In der Sünde zögernd verweilen, heißt tiefer in die Sünde versinken; mit dem Gehorsam zaudern, heißt tatsächlich die Gebote brechen. Es ist ein böses Ding, wenn wir zögernden Schrittes hintennach kommen, wo Gottes Gebot befolgt sein will. Eine heilige muntere Hurtigkeit sollte im Dienste Gottes noch viel mehr von uns geübt werden. Sie wird in uns gewirkt durch den Geist des HERRN, und die vorhergehenden Verse sagen uns, wie es dazu kommt. Wir werden dazu gebracht, unsere Irrwege zu erkennen und zu bereuen, wir finden uns getrieben, auf den rechten Weg zurückzukehren, und dann erfasst uns der Eifer, die verlorene Zeit möglichst wieder einzuholen, indem wir mit höchster Beschleunigung voraneilen in treuer Erfüllung der Gebote.

So bedauerliche Fehltritte und Irrwege ein Mensch auch machen mag, ist er aufrichtigen Herzens, so wird doch in ihm wahre Lebenskraft genug bleiben, um ihn mit feurigem Eifer zum Gehorsam aus Liebe zu Gott zu erfüllen, wenn sein Herz durch Gottes Gnadenheimsuchungen wieder erquickt und gestärkt wird. Der Psalmist hatte Gottes Huld erfleht, und als die Gnade ihn erreichte, ward er voll Inbrunst und Eifer, in Gottes Wegen zu wandeln. Er hatte diese immer lieb gehabt, daher entfaltete er nun, da die Gnade in ihn einströmte, solch lebhaften, freudigen Gehorsam. Zweifach beschleunigte er seine Schritte; denn erstens eilte er, und zweitens widerstand er jeder Versuchung, sich durch dies oder jenes aufhalten zu lassen: er säumte sich nicht. Auf diese Weise machte er rasche Fortschritte und konnte viel ausrichten in seines Herren Dienst, und also erfüllte er das Gelübde, das er im V. 57. ausgesprochen: Ich habe gesagt, dass ich deine Worte halten will. Die Befehle, denen nachzukommen er es so eilig hatte, waren aber, merken wir es uns wohl, nicht Verordnungen der Menschen, sondern Gebote des Allerhöchsten. Viele beeifern sich, den Vorschriften der Sitte, dem Gebot der Mode, den Ansprüchen der Gesellschaft zu entsprechen, sind aber im Dienste Gottes träge und saumselig. Ist es nicht eine himmelschreiende Schande, dass man im Menschendienst nicht eifrig genug sein kann, Gottes Werk aber ungetan bleibt oder aber mit schläfriger Nachlässigkeit behandelt wird?
Wer sich nur nach dem, was er fühlt, richtet, der verliert Christus. (Martin Luther)

Jörg
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61. Der Gottlosen Rotte beraubt mich. Vorhin hatten sie ihn verspottet (V. 51), jetzt plündern sie ihn aus. Menschen, die ohne Gott dahinleben, werden immer schlechter, so dass sie von Hohn zu Gewalttaten übergehen. Dass sie so schamlos frech wurden, kam zum guten Teil daher, dass sie sich miteinander verbunden hatten; die Menschen wagen, wenn sie zu mehreren sind, vieles, was zu unternehmen ihnen einzeln nie in den Sinn kommen würde. Wenn viele Feuerbrände zueinander geworfen werden, so ist nicht zu sagen, welch eine Feuersbrunst es geben mag. - Es scheint demnach, dass dieser eine Knecht Gottes von ganzen Banden böser Menschen angegriffen wurde; feige genug waren sie dazu! Und weil sie ihn leider nicht töten konnten, so beraubten sie ihn wenigstens. Des Satans Hunde ängstigen und quälen die Heiligen, wenn sie sie nicht zerreißen können. Die Feinde Davids taten ihr Äußerstes: erst zischten die Nattern, dann stachen sie. Weil sie mit ihren Worten des Hohnes ihn nicht unterkriegen konnten, so schlugen sie drein. Wie oft haben doch im Laufe der Zeiten die Gottlosen die Frommen ausgeplündert, und wie oft haben die Gerechten den Raub ihrer Güter mit Freuden erduldet!

Aber ich vergesse deines Gesetzes nicht. Recht so! Weder das Gefühl erlittenen Unrechts, noch der Kummer über seine Verluste, noch auch seine Versuche, sich zu verteidigen, vermochten ihn von Gottes Wegen abzubringen. Er tat nicht Unrecht, um Unrecht abzuwenden, nicht Böses, um Böses zu vergelten. Er trug Gottes Gesetz im Herzen, darum konnte keine noch so starke Gemütsbewegung ihn von der Befolgung desselben abwendig machen. Er hätte sich wohl vergessen, sich zur Leidenschaft hinreißen lassen können, wenn er des Gesetzes vergessen hätte; so aber war er bereit, zu vergeben und das erlittene Unrecht zu vergessen, denn sein Herz war ganz vom Worte Gottes hingenommen. Seinen köstlichsten Schatz hatte die Rotte der Gottlosen ihm doch nicht rauben können; seine Gottseligkeit und seinen Frieden mussten sie ihm lassen.
Der Sinn des Grundtextes ist übrigens wohl etwas anders: Die Stricke1 der Gottlosen umgeben mich. Das Bild ist vom Jäger entnommen, der das Wild mit seinem Netz umgarnt, dass kein Entrinnen möglich ist. Man vergleiche das ähnliche Bild Ps. 18,6. Aber ob sie ihn auch mit Verlockungen und Drohungen zu fangen suchten, ihn von allen Seiten einengten und ihm jeden Ausweg verschlossen, der Gottesmann blieb dennoch innerlich frei, sein reines Gewissen durfte sich der Verheißungen getrösten, und wacker blieb er bei seinem Entschlusse, an den Geboten seines Gottes festzuhalten. Alle ihre Stricke konnten Gott nicht von ihm und ihn nicht von Gott fernhalten. Das ist echte Gottseligkeit, die die Probe besteht. Manch einer ist wohl fromm in guten Tagen und wenn er in einem frommen Kreis lebt; dieser Mann war und blieb ein Heiliger, auch als er von den Gottlosen und ihren Ränken umringt war.

62. Zur Mitternacht stehe ich auf, dir zu danken für die Rechte deiner Gerechtigkeit (oder: für deine gerechten Rechtssprüche). Nicht Furcht vor der räuberischen Rotte weckte ihn aus dem Schlummer; nicht um sein Haus zu bewachen, erhob er sich von seinem Lager, sondern um seinen Gott zu loben. Die Mitternacht ist ja die Stunde für Diebe und Einbrecher, und Banden von Räubern waren in der Tat um den Psalmisten her; aber nicht mit ihnen beschäftigten sich seine Gedanken, diese waren vielmehr weit weg und hoch über dem allem, bei seinem Herrn und Gott. Nicht die Sorge um das, was jene ihm stehlen könnten, sondern der Gedanke an das, was er seinem Gott geben sollte und wollte, erfüllte sein Herz. Ist die Dankbarkeit nicht ein köstlich Ding, da sie sogar die Furcht aus dem Herzen treibt und für das Lobpreisen Raum schafft? Danksagung verwandelt die Nacht in Tag und heiligt alle Stunden der Anbetung Gottes. Dem wahrhaft Geweihten läuten die Betglocken allezeit.

Der Psalmist achtete dabei auch auf die äußere Haltung. Er blieb nicht im Bette liegen, da er sein Dankgebet vor Gott bringen wollte. Welche Stellung der Körper beim Beten einnimmt, daran liegt ja an sich nicht viel, aber immerhin ist es nicht bedeutungslos, und du tust darum wohl, auch auf dies Äußerliche zu achten, soweit es deine Andacht unterstützt und es der geziemende Ausdruck deines Eifers und deiner Demut ist. Viele knien, ohne zu beten, andere beten, ohne zu knien; das Beste bleibt doch: knien und beten. So auch hier: es wäre kein Verdienst dabei gewesen, aufzustehen, ohne zu danken, und es wäre keine Sünde gewesen, wenn der Psalmist Gott gedankt hätte, ohne dabei sein Lager zu verlassen; aber aufstehen und danken, das war eine glückliche Verbindung. Und die Zeit, die er wählte, war ausnehmend geeignet, war sie doch so ruhig und einsam, und zugleich bewies sie, wie ernst er es nahm, welcher Eifer, Gott zu loben, sein Herz erfüllte. Um Mitternacht war er ungesehen und ungestört, und diese Stunde gehörte ihm ganz, denn er brach die Zeit an seinem Schlafe ab; so konnte ihm niemand den Vorwurf machen, dass er um seiner privaten Andachtsübungen willen seine öffentlichen Pflichten versäume. Zu Mitternacht endet der alte Tag und beginnt ein neuer; somit war es sehr geziemend, diese ernsten Augenblicke dem Verkehr mit dem HERRN zu weihen. Um die Wende der Nacht wandte er sich zu seinem Gott. Er hatte für so viele Gnadenerweisungen zu danken, die der HERR ihm verliehen. Auch lag ihm ohne Zweifel das Bekenntnis des 57. Verses in dem Sinn: "Der HERR ist mein Teil", und wenn etwas einen Menschen mitten in der Nacht zum Singen bringen kann, dann ist es gewiss dieses selige Bewusstsein.

An der Gerechtigkeit der Rechtsordnungen des Königs aller Könige erfreute sich das Herz dieses gottseligen Mannes. Manchem ist schon der bloße Gedanke an Gottes Gerechtigkeit verhasst; solche Gesinnung ist so weit entfernt wie ein Pol vom andern von der Denkungsart des Psalmdichters, der die Gerechtigkeit Gottes bewunderte und anbetete und bei dem Gedanken an die Rechtssprüche des Richters aller Welt von Dank und Freude erfasst wurde. Man könnte unter den "Rechten" auch die Gerichte Gottes verstehen. Siehe V. 52. Auch diese sind dem Freunde Gottes ein Gegenstand der dankenden Anbetung. Ohne Zweifel denkt der Psalmist aber, nach dem ganzen Zusammenhang des Psalms, vor allem an die geschriebenen Rechte Gottes, die auf die mancherlei Seiten unseres sittlichen Verhaltens Bezug haben. In der Tat können sämtliche Gebote Gottes in diesem Lichte betrachtet werden; sie alle sind Entscheidungen des obersten Schiedsrichters über Recht und Unrecht. Der Psalmist war von diesen begeistert. Mit Paulus konnte er sagen: Ich habe Lust an Gottes Gesetz nach dem inwendigen Menschen. (Röm. 7,22) Und weil er am Tage nicht genügend Zeit finden konnte, um sich nach Herzenslust in die Worte göttlicher Weisheit zu vertiefen und Gott dafür gebührend zu preisen, so opferte er einen Teil seines Schlafes, um seiner Dankbarkeit für solch ein Gesetz und einen solchen Gesetzgeber Ausdruck zu verleihen.
Dieser Vers stellt gegenüber dem 52. einen Fortschritt dar und enthält überdies den Hauptgedanken von V. 55. Wiewohl unser Dichter sich in der gleichen Tonleiter bewegt, ist seine Musik doch von unendlicher Mannigfaltigkeit. Zahllos sind die Gebilde, die man aus nur wenigen Haupt- und Lebens-Wahrheiten zusammenstellen kann.

63. Ich halte mich zu denen, die dich fürchten. Seine Nächte verbrachte dieser heilige Mann mit seinem Gott, und seine Tage mit Gottes Volk. Menschen, die selber Gott fürchten, lieben auch die andern, die Gott fürchten, und sind nicht wählerisch in ihrer Gesellschaft, sofern die Gefährten nur wirklich Gottesfürchtige sind. David war ein König, doch war er ein Genosse aller derer (wie hier wörtlich steht), die den HERRN fürchteten, mochten sie gering oder vornehm, arm oder reich sein. Er bewies es im täglichen Leben, dass er an die Gemeinschaft der Heiligen glaubte. Und wie er um der Gemeinsamkeit der Herzensgesinnung willen die äußeren Unterschiede von Stand und Bildung nicht zu trennenden Schranken werden ließ, so erwählte er auch nicht nur etliche hervorragende Heilige zu seinen Gefährten, die nicht so weit fortgeschrittenen Gläubigen gewöhnlichen Schlages links liegen lassend. Nein, er freute sich, auch mit denen Gemeinschaft pflegen zu dürfen, die erst den Anfang der Weisheit in Gestalt der Furcht des HERRN erfasst hatten; er setzte sich gerne mit ihnen auf die untersten Bänke in der Schule des Glaubens. Sein Blick war auf die innere Stellung der Menschenkinder, auf die Gottesfurcht gerichtet; aber allerdings erwartete er dann auch bei denen, die er zu seinem Verkehr zuließ, als Frucht dieser verborgenen Richtung des Herzens Frömmigkeit des Wandels zu sehen; darum fügt er hinzu: und (die) deine Befehle halten. Wenn sie des HERRN Gebote halten wollten, so wollte auch der Knecht des HERRN mit ihnen Gemeinschaft halten.


Der Psalmist war dafür bekannt, dass er es allezeit mit den wahrhaft Frommen hielt, er war ein Puritaner von echtem Schrot und Korn; die losen Leute hassten ihn darum, und die Freigeister verachteten ihn ohne Zweifel, weil er solche so gar nicht standesgemäße Gesellschaft pflegte mit ganz geringen Männern und Frauen, mit solch unmodischen, strenggläubigen Leuten. Aber der Mann Gottes war weit davon entfernt, sich seiner Genossen zu schämen; im Gegenteil, er macht sich einen Ruhm daraus, seine innige Verbindung mit ihnen öffentlich zu bekennen, mögen die Feinde darüber sagen was sie wollen. Er fand beides, Freude und Nutzen, Vergnügen und Segen, in heiligem Umgang; er wurde selber besser, indem er sich zu den Guten gesellte, und fand sich geehrt durch solch ehrenvolle Gesellschaft. Wie denkst du darüber, mein Leser?


Hast du Freude an der Gemeinschaft der Heiligen? Fühlst du dich zu Hause unter den Gottesfürchtigen? Wenn ja, dann magst du aus dieser Tatsache Schlüsse sehr tröstlicher Art ziehen. Vögel vom gleichen Gefieder scharen sich zusammen, denn gleich und gleich gesellt sich gern. Sage mir, mit wem du umgehst, so sage ich dir, wer du bist. Leute, die Gott nicht vor Augen haben, suchen selten die Gesellschaft der Frommen; sie ist ihnen zu langweilig und zu streng. Trösten wir uns dessen, dass wir, wenn der Tod uns von hinnen scheiden lässt, zu der Gesellschaft gehen werden, zu der wir gehören, und dass diejenigen, die auf Erden Gottes Heilige lieb gehabt haben, auch im Himmel ihnen werden zugezählt werden.
In dem siebenten Vers der I-Gruppe (V. 79) findet sich eine Parallele zu dem vorliegenden. Aber im Ganzen werden die Ähnlichkeiten, die in den früheren Versen manchmal so auffällig waren, nun allmählich unmerklicher. Vielleicht darf man sagen, dass je mehr sich der Gedankeninhalt vertieft, desto weniger auf die künstliche äußere Form Gewicht gelegt wird.


Fußnote
1. Es ist interessant, da der Doppelsinn Band = Strick, Fessel, und Bande = Verbindung von Menschen, Rotte, nicht nur unseren germanischen und romanischen Sprachen gemeinsam ist, sondern auch im Hebräischen sich findet. Doch ist die Bedeutung Genossenschaft im Hebr. nur für den Singular belegbar, und zwar mit 1. Samuel 10,5.10, wo sie im guten Sinn (von einem Prophetenhaufen, vergl. unser "Musikbande") vorkommt. Der hier im Hebr. stehende Plural wird daher Stricke zu übersehen sein. Die Übers. Luthers und der engl. Bibel "Rotte" geht auf d. Chald. und Hieronymus zurück; sie wird von Dr. Zunz festgehalten, ist aber sonst allgemein aufgegeben. - Das Zeitwort bedeutet jedenfalls umgeben hier im Sinne von festhalten.
Wer sich nur nach dem, was er fühlt, richtet, der verliert Christus. (Martin Luther)

Jörg
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Psalm 119

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64. HERR, die Erde ist voll deiner Güte. David hatte oft in die Verbannung gehen müssen, aber aus dem Reich der Gnade hatte man ihn nicht treiben können, denn er fand die Welt überall von der Güte und Gnade Gottes erfüllt. In Wüsten hatte er umherwandern und sich in Höhlen und Klüften verbergen müssen, aber auch dort hatte er die Freundlichkeit seines Gottes schmecken und sehen dürfen. Er hatte erkennen gelernt, dass die Liebe Jehovahs weit hinaus reichte über die Grenzen des Landes der Verheißung und das Volk des Bundes; und in diesem Vers gibt er einem weitherzigen Gottesbegriff Ausdruck, wie man ihn so selten bei dem Juden unserer Zeit findet. Wie köstlich ist doch für uns die Gewissheit, dass nicht nur Gottes Güte reicht, soweit die Wolken gehen, also über die ganze Erde hin, sondern dass eine solche Fülle der Güte über die Erde ausgegossen ist, dass sie derselben voll ist. Kein Wunder, dass der Psalmist, der ja wusste, dass der HERRN sein Teil war (V. 57), auch seinen Anteil an dieser Güte zu empfangen hoffte und so zu der Bitte ermutigt war: Lehre mich deine Rechte. Das erschien ihm als etwas vom Höchsten, was er von Gottes Gnade erfahren konnte: von Gott selbst und in Gottes eigenem Gesetz unterwiesen zu werden. Sicherlich wird der, der das Weltall mit seiner Huld erfüllt, solche Bitte seinem eigenen Kinde nicht abschlagen. Lasst auch uns dies Begehren dem Allerbarmer vorlegen, wir werden die Erhörung erfahren.

Der erste der acht Vers dieser Gruppe war durchdrungen von seliger Gewissheit der Gemeinschaft mit dem HERRN und von fester Entschlossenheit; dieser letzte fließt über von dem Bewusstsein der Fülle des göttlichen Reichtums und der völligen Abhängigkeit des Psalmisten von Gott. Das mag uns ein Beispiel sein, dass die volle Heilsgewissheit weder den Gebetsgeist dämpft noch die Demut beeinträchtigt. Ja wir würden nicht Unrecht haben, wenn wir geradezu sagten, dass sie zur Demut führe und zum Gebet antreibe. "Du bist mein Teil, o HERR", darauf folgt ganz richtig: "Lehre mich deine Befehle"; denn der Erbe eines großen Besitzes muss doch gründlich unterwiesen und wohl erzogen werden, damit sein Auftreten seinem Stande entspreche. Was für Jünger sollten wir doch eigentlich sein, deren Erbteil der HERR der Heerscharen ist! Wer Gott zu seinem Teil hat, der verlangt auch danach, ihn zum Lehrer zu haben. Zudem sind diejenigen, die entschlossen sind zu gehorchen, auch am eifrigsten, sich unterweisen zu lassen. "Ich habe gesagt, dass ich deine Worte halten will", dies Wort findet eine schöne Fortsetzung in der Bitte: "Lehre mich deine Rechte". Wer ein Gesetz zu erfüllen bestrebt ist, der ist auch darauf bedacht, alle seine Einzelbestimmungen und die besondere Fälle berücksichtigenden Entscheidungen und Verordnungen kennen zu lernen, damit er nicht etwa aus Unkenntnis fehle. Wem es nicht ein ernstes Anliegen ist, vom HERRN selber gelehrt zu werden, der hat auch nie den aufrichtigen Entschluss gefasst, heilig zu leben.


Erläuterungen und Kernworte

V. 57-64. Das achtfache x (Ch): Gottes Wort zu verstehen und zu halten, das ist sein Teil, der Gegenstand seines unablässigen Bittens und Dankens, die höchste Gnade, die ihm widerfahren kann.

57. HErr! Mein Teil bist du,
Ich gedenke zu beobachten deine Worte.
58. Herzinniglich fleh ich dich an:
Sei mir hold nach deiner Zusage.
59. Hin und her bedenkend meine Wege
Kehrt’ ich meine Füße zu deinen Zeugnissen.
60. Hastig und ohne Zaudern schicke ich mich an,
Zu beobachten deine Gebote.
61. Herum sind um mich Frevlerstricke -
Dein Gesetz vergess’ ich nicht.
62. Halbnachts stehe ich auf, zu danken dir
Ob der Rechte deiner Gerechtigkeit.
63. Hinzu zu allen, die dich fürchten, gesell’ ich mich,
Und zu denen, die deine Ordnungen beobachten.
64. HErr, deiner Gnade ist voll die Erde,
Deine Satzungen lehre mich!
Prof. Franz Delitzsch † 1890.

Wir mögen diesen Versen acht Kennzeichen des wirklich bekehrten Menschen entnehmen: 1) Er hat Gott zu seinem Teil erwählt (V. 57a). 2) Er ist entschlossen, seinen Glauben durch Gehorsam zu betätigen (V. 57b). 3) Wenn er Gott betrübt hat, ruht er nicht, bis er wieder mit ihm versöhnt ist (V. 58). 4) Er prüft sich ernstlich selbst und legt ab, was ihn vom HERRN fern hält (V. 59.60). 5) Er erträgt freudig Verfolgung um seines Glaubens willen (V. 61). 6) Statt in Trübsal zu klagen, preist er Gott (V. 62). 7) Er sucht die Gemeinschaft der Frommen (V. 63). 8) Er bleibt nicht stehen, sondern strebt nach immer weiterer Erkenntnis und Besserung (V. 64b). David Dickson † 1662.

V. 57. Aus dem unterschiedlichen Verbinden und Trennen der Wörter sind vier Übersetzungen entstanden. 1) Nach der (berichtigten) Akzentuation (siehe d. Ausgabe von Bär) gehört hwhy yqlx zusammen; ytrm) wird dann (trotz Rebia) zum Folgenden zu ziehen sein. Also: Mein Teil ist der HERR; ich habe gesagt (d. h. mir vorgenommen, vergl. 1. Kön. 5,19), deine Worte zu halten. 2) Da aber auch ytrm) einen Trenner hat, teilen andere, z. B. Stier, so: Mein Teil ist der HERR, habe ich gesagt; dass ich deine Worte halte. - LXX und Vulg. dagegen nehmen HERR als Vokativ: 3) Die LXX übersetzen: Mein Teil bist du, o HERR; ich habe gesagt, deine Worte zu halten. Allerdings ist die Anrede im Psalm üblich; aber das Du ist eingetragen. 4) Die Vulg. (und danach Luther): Mein Teil, o HERR, ist, habe ich gesagt, zu halten deine Worte. Diese der Masora widersprechende Auffassung wird z. B. von Kautzsch und Bäthgen beibehalten, und man kann nicht leugnen, dass es der Richtung des Psalms, bei aller Wärme der Liebe zum HERRN, entspricht, das, was in andern Psalmen vom HERRN selbst ausgesagt wird (Ps. 16,5; 73,26), auf das Gesetz zu übertragen. - James Millard

Der HERR ist mein Teil. Luther gibt jedem Christen den Rat, alle Versuchungen und Verführungen mit dem kurzen Worte zurückzuweisen: Christianus sum ich bin ein Christ; und ich möchte jedem Christen anempfehlen, allen Versuchungen mit dem kurzen Worte zu begegnen: Der HERR ist mein Teil. O mein Christ, wenn Satan oder Welt dich mit weltlichen Ehren versuchen, sprich: Der HERR ist mein Teil; wenn sie dich mit Reichtum verlocken wollen, so sprich: Der HERR ist mein Teil; wenn sie dich mit Auszeichnungen und Gunst der Großen verführen wollen, so sprich: Der HERR ist mein Teil. Und wenn diese verfolgungssüchtige Welt dich bedroht mit dem Verluste von Hab und Gut, so sprich: Der HERR ist mein Teil; wenn sie dich bedroht mit dem Verluste deiner Freunde, so sprich: Der HERR ist mein Teil; und wenn sie dich bedroht mit dem Verluste deines Lebens, so sprich: Der HERR ist mein Teil. O Mensch, wenn der Satan zu dir träte mit einem Apfel, wie einst zu Eva, oder mit der Frucht des Weinstockes, wie zu Noah, oder mit köstlichen Gewändern, wie zu Gehasi, oder mit einer Stange Goldes, wie zu Achan, oder mit dreißig Silberlingen, wie zu Judas, so sprich: Der HERR ist mein Teil. Thomas Brooks † 1680.

Das muss ein ganz besonders anspruchsvoller, wählerischer Geselle sein, dem Gott nicht genügt, und es muss ein ganz besonderer Narr sein, dem die Welt genügt. Thomas LeBlanc † 1669.

Ich habe gesagt, dass ich deine Worte halten will. Dies führt er an als Beweis für das, was er vorher gesagt hat. Viele werden ja mit David sprechen: Der HERR ist mein Teil, aber worauf es hier ankommt ist: Wie beweisen sie dies? Wenn Gott wirklich ihr Teil wäre, würden sie ihn lieben, und wenn sie ihn liebten, so würden sie sein Wort lieben und es zur Richtschnur ihres Lebens machen. William Cowper † 1619.

V. 58. Ich flehe vor deinem Angesicht von ganzem Herzen. Beten ist eine Sache des Herzens. (Est pectus quod facit disertum, das Herz macht bereit, auch zum Beten.) Gott höret und erhöret das Herz, ohne dass der Mund dabei ist, aber nicht den Mund, ohne dass das Herz dabei ist. Walter Marshall † 1690.

Nach deinem Wort. Das Wort Gottes ist ein dreifaches, das Wort des Gebotes, das Wort der Drohung und Strafe und das Wort der Verheißung. Und wenn schon ein Christ natürlich jene beiden erstgenannten nicht verachten darf, so wird er sich doch an das letztere, das Wort der Verheißung, halten, sobald er sich im Worte göttlichen Trost und Erquickung sucht, denn die Verheißungen sind des Christen großer Freibrief für den Himmel. Jegliche Tröstung und Stärkung und Erquickung muss sich auf Verheißungen der Schrift stützen, sonst ist es nur unberechtigte Einbildung. Die Verheißungen sind pabulum fidei, anima fidei, Nahrung des Glaubens und Seele des Glaubens. Und wie der Glaube das Leben des Christen, so sind die Verheißungen das Leben des Glaubens, und der Glaube ist tot, den keine Verheißungen beleben. Wie die Verheißungen unnütz sind, wenn der Glaube fehlt, um sie sich anzueignen, so ist auch der Glaube unnütz, wenn die Verheißung fehlt, an die er sich halten kann. Edmund Calamy † 1666.

V. 59. Ich betrachtete meine Wege und kehrte meine Füße zu deinen Zeugnissen. Wie fein und doch so erhaben ist hier der Übergang von der Ursache, der Betrachtung, zur Wirkung, der Umkehr. Ich betrachtete meine Wege; aber weiter sagt uns der Psalmist nichts. Er spricht nicht davon, dass er nach Prüfung seiner Wege die Torheit und Gefährlichkeit der Sünde, die Niedrigkeit ihrer Vergnügungen, das Gift ihrer Freuden eingesehen, dass er nach Erforschung von Gottes Gesetz erkannt habe, dass dasselbe, das ihm vorher nur als streng, starr und Schrecken erregend erschienen war, doch nur eitel Liebe und Güte sei. Nichts von alledem. Es heißt ganz unvermittelt weiter: Und kehrte meine Füße zu deinen Zeugnissen. Eine kraftvollere und edlere Ausdrucksweise kann ich mir nicht vorstellen; denn damit deutet er aufs nachdrücklichste an, dass es ganz überflüssig sei, ein Wort über den Eindruck zu verlieren, den er bei Betrachtung seiner Wege von denselben erhalten. William Dunlop † 1720.

Betrachtete. Das hier im Grundtexte gebrauchte Zeitwort hat (namentlich in dem Piel, welches hier steht) die Bedeutung: eingehend, planmäßig, ernstlich, eindringlich, wissbegierig über etwas nachsinnen. Das tat der Gottesmann in Bezug auf sein ganzes Tun und Handeln. Aber dann fing er ein neues Blatt seiner Lebensgeschichte an und richtete seinen Wandel genauer als bisher nach den Geboten. Mein Christ, du musst ebenso wohl ausblicken nach dem, was du sein sollst, als zurückblicken auf das, was du bist. Thomas Brooks † 1680.

Ich betrachte meine Wege. Übe du nur recht eifrig dieses Werk ernstlicher Selbstprüfung. Wenn du täglich Rechenschaft von dir selbst fordertest, dann würden die Wirkungen der göttlichen Gnade bei dir immer mehr zur Geltung kommen können. Der berühmte heidnische Philosoph Seneka, der Lehrer des Kaisers Nero, fragte seinen Schüler Sextius: Welches Übel hast du heute gebessert? Welcher Sünde hast du Widerstand geleistet? Und wir haben das Beispiel des HERRN selber, der jeden Tag ansah, was er gemacht hatte (1. Mose 1). Und in Israel sollte der Mensch, der sich verunreinigt hatte, seine Kleider in der Abendstunde waschen (3. Mose 15; 4. Mose 19). Thomas Manton † 1677.

Und kehre meine Füße zu deinen Zeugnissen. Philipp Henry macht zu dieser Stelle die Bemerkung, dass der große Umschwung in unserem Herzen und Leben in der Abkehr von allen anderen Dingen hinweg und hin zum Worte Gottes bestehe. Die Bekehrung führt uns zu Gottes Wort, das ist der Prüfstein, an dem wir uns selber, unseren Zustand, unsere Wege, unsere Neigungen, unsere Anschauungen, unsere Gewohnheiten in ihrem Werte erkennen; es ist gleichsam der Spiegel, vor dem wir uns beschauen, wie es bei Jak. 1,23heißt, es ist unsere Regel, nach der wir einhergehen sollen (Gal. 6,16), das Feuer, das unsere Herzen brennen macht (Lk. 24,32), die Speise, an der wir uns nähren (Jer. 15,16), das Schwert, mit dem wir kämpfen (Eph. 6), unser Berater in allen Zweifeln (Ps. 119,24), der Becher voll stärkenden Weines, unser reiches, köstliches Erbteil. C. H. Spurgeon 1890.
Wer sich nur nach dem, was er fühlt, richtet, der verliert Christus. (Martin Luther)

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Erläuterungen und Kernworte


V. 60. Ich eile und säume mich nicht, zu halten deine Gebote. Es gibt mehr als ein Sprichwort, das die Mahnung enthält, zweimal zu überlegen, ehe man einmal handelt. Aber auf religiösem Gebiete gilt das nicht. Unser Vers steht in engem Anschluss an den vorhergehenden: Ich betrachte meine Wege und kehre meine Füße zu deinen Zeugnissen. Dann sagt er: Ich warte nicht, um mir die Sache noch einmal zu überlegen. Es kann in Sachen der Religion zu einer geradezu ins ewige Verderben stürzenden Gewohnheit werden, sich Zeit zur Überlegung zu nehmen. Darum eile und säume dich nicht. Henry Melvill † 1871.

Hüte dich vor dem Säumen und Hinausschieben von einem Tage zum andern; vor der Ausrede: Das hat auch ein andermal Zeit; erst will ich die Erde recht genießen, dann kann ich noch immer früh genug für den Himmel sorgen. Wenn ich das nur in meinem letzten Lebensjahre, im letzten Monat des letzten Jahres, in der letzten Woche des letzten Monats besorge, so genügt es. O hüte dich vor solchem Säumen. Dieses Hinausschieben der Buße hat schon Tausende von Seelen ins Verderben gestürzt; fliehe mit Angst und Zittern diesen Abgrund, in den schon so viele gestürzt, diese Klippe, an der schon so viele Schiffbruch gelitten haben. James Nalton 1664.

Die Septuaginta gibt diese Stelle so wieder: h(toima/sqhn kai/ ou)k e)tara/cqhn, Ich war bereit und ließ mich nicht abschrecken, schreckte nicht zurück. Und in der Tat ist neben unserer natürlichen Unentschlossenheit dies ein häufiger Grund der Verzögerung: wir lassen uns von allerlei Befürchtungen abwendig machen; und wenn Gott uns seinen Willen kundgetan hat, dann meinen wir, zuwarten zu müssen, bis ruhigere oder für solches Unternehmen günstigere Zeiten eingetreten sind, oder bis unsere Geschäfte sich in geeigneterem Stande befinden. David säumte sich nicht. Wenn wir nicht geradezu nein sagen wollen, dann säumen, dann zaudern wir. Es ist nicht an der Zeit, ich habe jetzt keine Zeit, wendet der Sünder ein. Ich mag nicht, so heißt es in Wirklichkeit. Die zum Hochzeitsmahle Geladenen beschönigten ihre Absage mit allerlei Ausreden (Mt. 22). Zaudern ist so gut wie Neinsagen, denn wenn man willig wäre, brauchte man keine Entschuldigungen. Um lästig drängende Gläubiger loszuwerden, versprechen wir ihnen Zahlung zu einem späteren Zeitpunkte, obwohl wir genau wissen, dass dann unsere Verhältnisse nur noch aussichtsloser sein werden; es geschieht auch nur, um Aufschub zu gewinnen. Ebenso ist auch dieses Zögern und den HERRN Hinhalten nur eine nichtige Ausflucht. Das ist eben der Jammer: einem fleischlichen Herzen kommt Gott stets ungelegen. Teufel waren es, die da sprachen: Bist du hergekommen, uns zu quälen, ehe denn es Zeit ist? (Mt. 8,29) Das Gute ist einem fleischlichen Herzen eine Qual und kommt ihm stets ungelegen. Aber sicherlich ist es stets die beste, geeignetste Zeit, wenn das Wort sich deinem Herzen aufdrängt mit unwiderstehlicher Überzeugungskraft und Klarheit, wenn Gott kommt, mit dir zu handeln um das, was zu deinem ewigen Frieden dienen soll. Thomas Manton † 1677.

Säumen. Das gleiche hebräische Wort wird von Lots Zögern, 1. Mose 19,16, gebraucht. William Kay 1871.

V. 61. Der Gottlosen Rotte. Um sich in ihrem bösen Tun gegenseitig zu bestärken, schließen sich die Gottlosen zusammen zu Banden und Rotten, aber das soll ihnen keinen Nutzen, uns keinen Schaden bringen. Die Menschen, die den Turm von Babel erbauten, die Moabiter, Ammoniter, Ägypter, die sich wider das Volk Gottes verschworen, sie sind nur ein Beweis dafür, dass es den Bösen nichts hilft, wenn sich auch alle Hände zusammen täten (Spr. 11,21); sie werden der Strafe nicht entgehen. Die Gottlosen sind wie ein Reisighaufen dem Feuer gegenüber; so dicht er auch aufgetürmt ist, es kann höchstens den Brand verstärken, nie aber ihn eindämmen oder ersticken. William Cowper† 1619.

Der Gottlosen Rotte beraubt mich. Darauf sprach Christ, der Zionspilger, zu seinem Gefährten: Da kommt mir in den Sinn, was mir von einer Begebenheit erzählt wurde, die sich mit einem Manne hierherum zutrug. Der Name dieses Mannes war Kleinglaube, doch war er ein guter Mann, und er wohnte in der Stadt Aufrichtig. Die Sache war folgende: Beim Eingang dieser Gasse mündet ein Gässchen, das von dem Breitewegtore herkommt und das Totemannsgässchen heißt, wegen der Mordtaten, die dort ständig begangen werden. Als nun dieser Kleinglaube, so wie wir jetzt, als Pilger dahinzog, setzte er sich zufällig dort nieder und schlief ein. Nun traf es sich zu jener Zeit, dass durch das Totemannsgässchen drei handfeste Schelme daherkamen, die hießen Schwachherz, Misstrauen und Schuld, drei Brüder; als diese Kleinglaube erblickten, kamen sie eilig herbeigelaufen. Eben war der gute Mann von seinem Schlafe erwacht und erhob sich gerade, um seine Wanderschaft fortzusetzen. Da kamen sie alle auf ihn los und hießen ihn mit drohenden Worten stehen bleiben. Da wurde Kleinglaube kreidebleich und hatte weder Kraft, sich zu wehren, noch zu fliehen. Dann sprach Schwachherz: Gib deinen Beutel her! Da er aber das nicht gleich tat, denn er wollte nicht gern sein Geld verlieren, sprang Misstrauen auf ihn zu, fuhr mit der Hand in seine Tasche und zog einen Beutel mit Geld hervor. Da schrie er: Diebe, Diebe. Auf dieses hin versetzte Schuld mit einer großen Keule, die er in der Hand hatte, dem Kleinglaube einen Schlag über den Kopf, so dass er zu Boden stürzte und blutüberströmt dalag, wie einer, der am Verbluten ist. Aber die Stelle, wo er seine Kleinodien verborgen hatte, durchsuchten sie nicht. So behielt er diese; aber wie ich hörte, war der Brave doch sehr niedergeschlagen über seinen Verlust, denn die Räuber hatten den größten Teil seines Reisegeldes erwischt. Was sie aber nicht bekommen hatten, das waren, wie gesagt, seine Kleinodien; auch war ihm noch ein wenig Kleingeld geblieben, aber kaum genug, um bis ans Ende seiner Reise auszureichen. Ja, wenn ich recht berichtet bin, war er sogar genötigt, auf der weiteren Reise zu betteln, um sein Leben zu fristen, denn seine Kleinodien wollte er nicht verkaufen. Aber trotzdem, und trotz allem, was er sonst tat, um sich durchzuhelfen, musste er den Rest des Weges oft mit leerem Magen zurücklegen. - Pilgerreise von John Bunyan † 1688.

V. 62. Zur Mitternacht stehe ich auf, dir zu danken. Diese Übung kann ja nicht zu einem Gebote gemacht werden, aber man wird doch darinnen manches sehr Beachtenswerte finden können.
1) Das Feuer von Davids Andacht, sein ernstliches Verlangen, Gott zu danken, so dass er zu Mitternacht aufsteht, da die meisten Menschen schlafen. Was anderen Leuten den Schlaf raubt, sind irdische Sorgen, erlittene Kränkungen, ein böses Gewissen; den Psalmisten lässt sein Bedürfnis, Gott zu loben, nicht schlafen. Und dazu, zum Loben und Danken, gibt es keine unpassende Stunde. Unser Herr Jesus Christus verbrachte ganze Nächte im Gebete (Lk. 6,12) und es wird uns als Zustand der höchsten Vollendung und Seligkeit geschildert, dass die ungezählte Schar in weißen Kleidern vor dem Stuhle Gottes ihm diene Tag und Nacht (Off. 7,15).
2) Davids Aufrichtigkeit, die sich in dem Verborgensein zeigt. Er bekennt sich zu seinem HERRN, da er keine Zeugen hat, um Mitternacht, zu einer Stunde, da von einem Zur-Schau-Tragen nicht die Rede sein konnte, ganz entsprechend der Mahnung des Heilandes vom Gebet im Kämmerlein und seiner eigenen Übung; wie z. B. in Mk. 1,35 berichtet ist.
3) Davids sorgfältiges Auskaufen der Zeit. Diese war ihm sehr kostbar; wir hören auch an vielen anderen Stellen, wie er die Nachtstunden zur Einkehr und Selbstprüfung benutzt, wie er in der Frühe zum HERRN ruft, und siebenmal des Tages ihn lobt. Wir dürfen doch nicht mit unserer Frömmigkeit so geizen und mit ängstlicher Genauigkeit nur gerade soviel anwenden, als wir eben zum Seligwerden nötig zu haben glauben. Ach, wieviel Zeit haben wir im Grunde doch jeden Tag übrig; wenn wir doch diese dem HERRN schenken wollten!
4) Davids Beispiel lehrt uns auch die Übungen der Gottseligkeit höher schätzen als unser leibliches Behagen. Das Wort Gottes ist ihm süßer als alle Speise, das Loben und Danken wichtiger als seine Nachtruhe. Müssen wir uns in unserer Sinnlichkeit da nicht beschämt fühlen? 5) Trotz des Alleinseins die große Ehrfurcht und Ehrerbietung. David erhob nicht nur seine Seele in frommer Andacht, er stand aus seinem Bette auf, um seine Knie zu beugen. Auch bei dem allerverborgensten Gebete versäume nicht, die äußeren Formen der Andacht zu wahren. Thomas Manton † 1677.

Gewiss hatte er den HERRN gepriesen in den Vorhöfen seines Hauses, und doch tut er es jetzt noch in der Stille seines Kämmerleins. Das Kirchengehen entbindet uns nicht von der Pflicht des Gebetes im Verborgenen. Matthew Henry † 1714.

V. 63. Ich halte mich zu denen, die dich fürchten. Gleichgesinnte finden sich schnell zusammen. Knechte eines Herrn werden, wenn sie treue Knechte sind, zusammenhalten und nicht mit den Knechten seines Feindes gemeinsame Sache machen. Wenn einer eine weite oder gefahrvolle Reise vorhat, so erkundigt er sich nach Reisegefährten, die dasselbe Ziel haben wie er. Um andere Reisende kümmert er sich nicht; aber jenen schließt er sich an und ist froh über ihre Gesellschaft. Wir Menschen sind alle Reisende, aber mit verschiedenen Wegen, mit verschiedenen Bestimmungsorten. So richtet sich die Wahl der Reisegefährten nach dem gemeinschaftlichen Wege und Ziele. Entweder handelt es sich um den breiten Weg des Fleisches oder um den schmalen Weg des Geistes, hinauf zum Himmel oder hinab zur Hölle. Ein Gottloser wird nicht die Gesellschaft derer suchen, die einen anderen Weg gehen, ein Frommer wird keinen Gefallen an der Gemeinschaft jener finden, die in entgegengesetzter Richtung wandern. Mögen auch zwei miteinander wandeln, sie seien denn eins untereinander (Amos 3,3)? George Swinnock † 1673.

Wie schön und gut wäre es doch, wenn die Großen und Mächtigen dieser Erde auch so denken, sprechen und tun wollten: Ich halte mich zu allen, die dich fürchten. Aber die Eigenliebe herrscht bei den meisten Menschen, wir lieben die Reichen und verachten die Armen und halten also dafür, dass der Glaube an Jesum Christum, unseren Herrn der Herrlichkeit, Ansehen der Person leide (Jak. 2,1). Demgegenüber ist die Allgemeinheit des Ausspruches bemerkenswert. Vergl. Eph. 1,15: Nachdem ich gehört habe von eurer Liebe zu allen Heiligen - zu den Geringen so gut wie zu den Vornehmsten, zu den Schwachen wie zu den Starken. "Er schämt sich nicht, sie Brüder zu heißen" (Hebr. 2,11). Thomas Manton † 1677.

V. 64. HERR, die Erde ist voll deiner Güte; lehre mich deine Rechte. Es ist, als ob David hier sagen wollte: HERR, du breitest deine Güte aus über alle deine Geschöpfe; wir sehen die Tiere, die von deiner Barmherzigkeit gespeist werden, wir sehen die Bäume blühen, die Erde grünen, deine Güte ergießt sich über das Höchste und das Niedrigste, wie solltest du deinen Kindern nicht Gutes tun? Ich gehöre zur Zahl derer, die dich anrufen und die ihr Vertrauen auf dich setzen. Und da du dich doch gegen alle Geschöpfe so gütig beweisest, wirst du mich nicht im Stich lassen. Jean Calvin † 1564.
Wer sich nur nach dem, was er fühlt, richtet, der verliert Christus. (Martin Luther)

Jörg
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Psalm 119

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65.
Du tust Gutes deinem Knechte,
HERR, nach deinem Wort.
66.
Lehre mich heilsame Sitten und Erkenntnis;
denn ich glaube deinen Geboten.
67.
Ehe ich gedemütigt ward, irrte ich;
nun aber halte ich dein Wort.
68.
Du bist gütig und freundlich;
lehre mich deine Rechte.
69.
Die Stolzen erdichten Lügen über mich;
ich aber halte von ganzem Herzen deine Befehle.
70.
Ihr Herz ist dick wie Schmer;
ich aber habe Lust an deinem Gesetze.
71.
Es ist mir lieb, dass du mich gedemütigt hast,
dass ich deine Rechte lerne.
72.
Das Gesetz deines Mundes ist mir lieber
denn viel tausend Stück Gold und Silber.




In dieser Gruppe, deren Vers mit dem Buchstaben T beginnen, ist fünfmal als Anfangswort das Wort tob, gut, gewählt, das überhaupt dem Abschnitt sein besonderes Gepräge gibt. Es sind Erfahrungszeugnisse, die die Güte Gottes, sein gnädiges Walten und die Köstlichkeit seines Wortes rühmen. Namentlich bezeugt der Psalmist auch zweimal, wie heilsam ihm die Trübsal gewesen, und rühmt die Güte Gottes, die ihn gezüchtigt habe. Der V. 65 ist gleichsam der Text zu dem Ganzen.

65. Du hast (Grundtext) Gutes getan deinem Knechte, HERR, nach deinem Wort. Das ist die Summa seines Lebens, und wahrlich auch des unsern. Der Psalmdichter spricht vor dem HERRN dies Urteil seines Herzens aus; er kann nicht schweigen, er muss seiner Dankbarkeit in der Gegenwart Jehovahs, seines Gottes, Ausdruck verleihen. In dem 64. Vers hatte der Psalmist die Allgüte Gottes gepriesen, die sich überall auf Erden offenbart; von da ist es ein leichter, angenehmer Schritt zu dem Bekenntnis, wie diese selbe Güte auch gegen uns persönlich gewaltet. Ist es schon etwas Großes, dass Gott sich überhaupt mit solch unbedeutenden und sündigen Wesen abgibt, die auch nicht den geringsten Anspruch auf seine Beachtung haben, so ist es vollends anbetungswürdig, dass er so gnädig an uns handelt, uns so erstaunlich viel Gutes tut. Beim Rückblick müssen wir schon jetzt bekennen und werden es einst in noch volleren Tönen rühmen: Er hat alles wohlgemacht! Diese Regel kennt keine Ausnahme. In den Führungen seiner Vorsehung wie in seiner erlösenden Gnade erstrahlt seine Güte; ja, ob er uns Glück und Gedeihen oder Kreuz und Trübsal geschickt, immer hat er uns Gutes getan. Und von uns ist es wohlgetan, das auch vor dem HERRN auszusprechen, dass wir erkennen und empfinden, wie er an uns freundlich und treulich gehandelt hat; denn solch Lob ist lieblich und schön. Diese Freundlichkeiten des HERRN sind uns jedoch nicht zufällig, nicht willkürlich zuteil geworden; er hat es verheißen, also an uns zu handeln, und hat es getan nach seinem Wort. Es ist köstlich, wenn wir so in lieblichen Erfahrungen das Wort des HERRN sich an uns erfüllen sehen; das macht uns die Heilige Schrift gar teuer und erfüllt uns mit inbrünstiger Liebe zu dem, der dies einzigartige Buch uns gegeben. Wir könnten auch von zwei göttlichen Büchern reden, dem Buch der Verheißungen und dem Buch der göttlichen Führungen; das eine liegt vollendet vor uns, während unser Gott an dem andern noch immer schreibt. Aber beide stimmen genau überein; was wir wie in Stein gemeißelt auf den Seiten des geistdurchhauchten Bibelwortes lesen, das finden wir wieder auf den Blättern unserer Lebensgeschichte.


Es mag wohl Zeiten gegeben haben, wo wir nicht meinten, dass es sich also herausstellen werde. Aber diesen unseren Unglauben bereuen wir jetzt, nun wir die Güte des HERRN gegen uns mit Augen sehen und erkennen, wie treulich er seinem Worte gemäß an uns gehandelt hat; und wir fühlen uns fortan verbunden, einen festeren Glauben an Gott und sein Wort zu bekunden. Ja, wir empfinden es tief: Sein Wort ist wahr, sein Werk ist klar; er hat wohl geredet und wohlgetan. Er ist der beste aller Meister; denn einem sehr ungeschickten und unnützen Knechte gegenüber hat er sich so liebreich und wohltätig erwiesen. Muss uns das seinen Dienst nicht immer lieber machen? Wir können den Satz nicht umkehren und sagen, dass wir unserem Herrn Gutes erwiesen haben; denn wenn wir alles getan hätten, was uns befohlen ist, so sind wir doch nur unnütze Knechte, die ihrem Herrn ewig dafür dankbar bleiben müssen, dass er sie seines Dienstes würdigt. Er aber hat sehr gütig an uns gehandelt, denn er gibt uns schöne, liebe Arbeit, ein köstlich Werk (1. Tim. 3,1), fürstlichen Unterhalt von seinem eigenen Tische, liebevolle Ermunterung und reichen Lohn. Es ist ein Wunder, dass er uns nicht längst fortgeschickt oder wenigstens unsere Bezüge geschmälert und ein strengeres Verfahren gegen uns eingeschlagen hat; stattdessen haben wir uns noch nie über harte Behandlung zu beklagen gehabt, sondern es ist uns bisher in allen Stücken solch zarte Rücksicht und Sorgfalt zuteil geworden, als ob wir Muster des vollkommensten Gehorsams gewesen wären. Wir haben unser täglich Brot gehabt, und wohl oft noch ein Übriges, die gehörige Kleidung ist uns auch immer geworden, und sein Dienst hat uns aus niederem Stande erhoben und uns fröhlich gemacht, als wären wir Könige. Ich wüsste nicht, worüber wir klagen sollten; nein, nur zu danken finden wir, zu danken in seliger Anbetung des Herzens, zu danken mit freudiger Hingabe aller Kräfte zu seinem Dienst.

66. Lehre mich gutes Urteil (Grundtext) und Erkenntnis. Wiederum bittet er um Belehrung wie in V. 64, und wie dort stützt sich seine Bitte auf Gottes Huld. Dass Gott ihm Gutes erwiesen hat (V. 65), das gibt ihm den Mut, um ein gutes Urteil, wörtl. "Güte des Geschmacks", um rechte Einsicht und Erkenntnis zu bitten, damit er des HERRN Güte recht würdigen könne und sich vor dem Bösen hüten. Die Wohlverständigkeit, die Fähigkeit, Gutes und Übles zu unterscheiden und das Gute herauszufühlen, es gleichsam zu schmecken, ist ein Gut, das der Gottesfürchtige dringend bedarf und sehnlich begehrt; zugleich aber auch eines, das der HERR sehr bereit ist, uns zu verleihen. Der Psalmdichter fühlte wohl, dass er oft in seinem Urteil gefehlt hatte, namentlich auch in feinem Urteil über die Führungen des HERRN in seinem Leben; aus Mangel an Einsicht hatte er die züchtigende Hand seines himmlischen Vaters oft missverstanden. Deshalb bittet er jetzt darum, besser unterwiesen zu werden, da er erkannt hat, wie Unrecht er seinem Gott oft mit seinen vorschnellen Schlüssen getan. Er will gewiss sagen: HERR, du hast mir immer Gutes erwiesen, auch wo ich dich für hart und streng hielt; o lass dir’s gefallen, mir mehr Einsicht zu geben, damit ich nicht wieder so übel von dir, meinem Herrn, denke! Die Erkenntnis unserer Irrtümer und das Bewusstsein unserer Unwissenheit sollte uns zu gelehrigen Schülern machen. Wir sind nicht fähig, richtig zu urteilen, ist unsere Erkenntnis doch in so betrübendem Maße unzuverlässig und mangelhaft. Wenn der HERR selbst uns Erkenntnis lehrt, dann kommen wir zu guter Einsicht, anders nicht. Der Heilige Geist allein kann uns mit Licht erfüllen und unser Verständnis von aller Voreingenommenheit befreien und schärfen. Darum lasst uns mit heißem Begehren nach seiner Belehrung verlangen; ist es doch so dringend zu wünschen, dass wir an Wissen und Verstand nicht mehr Kinder seien.

Denn ich glaube deinen Geboten. Sein Herz war in der rechten Verfassung; darum durfte er hoffen, dass auch sein Kopf zurechtkommen werde. Er hatte Glauben, darum zweifelte er nicht, dass er auch Weisheit empfangen werde. Es war ihm zur festen Überzeugung geworden, dass die Gebote der Schrift Gottes Gebote und darum gerecht, weise, gütig und heilsam seien. Er glaubte an die Möglichkeit der Heiligung, und solcher Glaube ist keine geringe Gnadenwirkung in der Seele; darum schaute er nach weiteren Betätigungen der göttlichen Gnade aus. Wer den Geboten glaubt, der ist der rechte Mann dazu, sowohl die Lehren als die Verheißungen der Schrift zu verstehen. Wenn wir bei dem Rückblick auf unsere Fehlgriffe und unsere Unwissenheit doch noch das Bewusstsein haben, dass wir die Vorschriften des göttlichen Willens herzlich lieben, dann haben wir guten Grund zu der Hoffnung, dass wir Christi Jünger sind und er uns lehren und aus uns Leute von gutem Urteil und gesunder Erkenntnis machen wird. Ein Mann, der durch Erfahrung zu unterscheiden gelernt hat und also ein Mensch von gesunder, reifer Urteilskraft geworden ist, ist ein wertvolles Glied für eine Gemeinde und kann vielen andern zur wahrhaften Erbauung auf dem rechten Grunde dienen. Mögen alle, die gerne recht nützliche Leute werden möchten, sich die Bitte dieses Verses zu eigen machen: Lehre mich gutes Urteil und Erkenntnis.

67. Ehe ich gedemütigt ward (durch Leiden gebeugt war), irrte ich. Die Leiden wirken auf uns oft wie eine Dornenhecke, die die Schafe auf dem guten Weideplatz zurückhält; der Wohlstand hingegen ist wie eine Lücke im Gehege, durch die wir ausbrechen, um dann in die Irre zu gehen. Kann einer von uns sich auf eine Zeit besinnen, die ganz ohne Schwierigkeiten war, so wird er sich wahrscheinlich auch dessen erinnern, dass es damals mit dem geistlichen Leben bei ihm schwach bestellt war, dass es hingegen an starken Versuchungen nicht fehlte. Mag sein, dass manches Gotteskind ausruft: "O dass es mit mir wäre wie in jenen lichten Sommertagen, ehe die Trübsal über mich kam." (Vergl. Hiob 29,2-4 Grundtext) Aber solche Stoßseufzer sind in Wahrheit sehr unverständig und entspringen vielfach der fleischlichen Lust nach Wohlbehagen und einem bequemen, leichten Leben. Der geistliche Mensch, der das Wachsen in der Gnade über alles schätzt, wird Gott danken, dass jene gefährlichen Tage vorüber sind und das Wetter, wenn auch stürmischer, jetzt doch gesünder ist. Es ist gut, wenn der Mensch solches einsieht und ehrlich zugibt; vielleicht würde der Psalmist nie dahin gekommen sein, seine Irrwege zu erkennen und zu bekennen, wenn er nicht die Zuchtrute zu fühlen bekommen hätte. Und wir wollen ihm in dem demütigen Bekennen nachahmen, da wir ihm ohne Zweifel in den Verfehlungen und Irrwegen ähnlich geworden sind. Woher kommt es doch, dass ein wenig Wohlleben bei uns Menschenkindern so viel Unheil anrichtet? Können wir wirklich nie rasten, ohne zu rosten, nie satt werden, ohne das Maß zu verlieren, nie vorankommen in dieser Welt, ohne in Bezug auf die andere zurückzugehen? Was für schwache Geschöpfe müssen wir doch sein, dass wir nicht ein bisschen Wohlsein ertragen können! Wie niedrig gesinnte Wesen sind das doch, die den Reichtum der Güte Gottes in einen Anlass zum Sündigen verkehren!

Nun aber halte ich dein Wort. In einem Herzen, dem die Züchtigung zum Segen gereicht, ist offenbar die Gnade am Werk. Wirklich unfruchtbaren Boden zu pflügen ist verlorene Mühe. Wo kein geistliches Leben vorhanden ist, da wirkt auch die Trübsal keinen geistlichen Gewinn; wo aber das Herz gesund ist, da weckt die Heimsuchung das Gewissen, dass man seine Irrwege bekennt, und die Seele kehrt wieder zum Gehorsam zurück und bleibt nun unter dem Wort. Keine Geißel verwandelt einen Empörer in ein gehorsames Kind; dem rechten Kinde aber dient ein Streich mit der Rute zu entschiedener Besserung. Bei unserem Psalmdichter bewirkte die Arznei der Trübsal eine Veränderung: "aber", und zwar eine sofortige Veränderung: "nun", eine dauernde, weil innerliche Veränderung: "halte ich", eine auf Gott hin gewendete Veränderung: "dein Wort ". Vor seiner Demütigung ging er in der Irre, nun aber bleibt er in der Hürde des Wortes Gottes und findet da gute Weide für seine Seele. Das Leiden hielt ihn wie der Weidezaun die Schafe an dem Orte fest, wo es für ihn am besten war; es bewahrte ihn im Gehorsam, und nun bewahrte er Gottes Wort. Gar mannigfach ist der köstliche Nutzen des Leides, und ein Gewinn ist der, dass es unserer Neigung, dem HERRN davonzulaufen, einen Zaum anlegt und uns zur Heiligung antreibt.
Wer sich nur nach dem, was er fühlt, richtet, der verliert Christus. (Martin Luther)

Jörg
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68. Gut bist du und tust wohl. (Wörtl.) Selbst wenn er uns mit Trübsal heimsucht, ist Gott gut und handelt er gut an uns. Das ist das Bekenntnis der gereiften Erfahrung. Gott ist in seinem Wesen die Güte1 selbst, und seine Taten entsprechen seinem Wesen; aus der lauteren Quelle fließen nur reine Wasser. Gottes Güte ist nicht eine verborgene, untätige Kraft wie die Wärme im Eise; nein, er offenbart sein Wesen durch seine Handlungen, seine Menschenfreundlichkeit betätigt sich in Wohltaten. Wieviel Gutes er tut, kann keine Zunge ausreden, wie gut er ist, kein Herz ausdenken. Es ist sehr geziemend, den HERRN auf solche Weise anzubeten, wie es der Psalmist hier tut, nämlich durch Schilderung seines Wesens und Wirkens. Die Wirklichkeit zu Worte kommen lassen, das ist, wo es sich um Gott handelt, das beste Lob. Alles, was wir Gott an Ehre geben können, ist doch nur, dass wir die Strahlen seiner eigenen Herrlichkeit auf ihn zurückstrahlen lassen. Wir können von Gott nicht mehr Gutes aussagen, als was er in der Tat ist und tut. Wir glauben an seine Güte und geben ihm durch unseren Glauben die Ehre; wir bewundern seine Güte und verherrlichen ihn durch unsere Liebe; wir verkünden seine Güte und lobpreisen ihn durch dieses unser Zeugnis.

Lehre mich deine Rechte. Dieselbe Bitte wie in früheren Versen, z. B. V. 64.66, und auf der gleichen Grundlage, nämlich der Güte Gottes. Er betet: HERR, der du gut bist und gut handelst, wirke an meinem Herzen, auf dass auch ich gut sei und gut handle dank deiner Unterweisung. Der Gottesmann war ein Lernender, ein Schüler, und hatte am Lernen seine Freude; was er lernt, das schreibt er der Güte Gottes zu und hofft aus demselben Grunde, in der Schule Gottes bleiben und weiterlernen zu dürfen, bis er alles dessen, was ihm da gelehrt wird, auch völlig mächtig ist und es wohl anwenden, im täglichen Leben ausüben kann. Als Lehrbuch hatte er das Gesetzbuch des Königs und begehrte kein anderes. Er kannte die traurigen Folgen des Übertretens dieser Rechtsordnungen, und schwer erkaufte Erfahrung hatte ihn auf den Weg der Gerechtigkeit zurückgebracht. Darum erbat er sich als den denkbar größten Erweis der Güte Gottes, dass der HERR ihn eine völlige Kenntnis des Gesetzes lehren und ihn zu vollkommener Übereinstimmung seines Lebens mit diesem Gesetze erziehen möge. Wer es schmerzlich bereut, dass er das Wort nicht gehalten hat, der sehnt sich, darin unterwiesen zu werden, und wer sich darüber freuen darf, dass er durch Gottes Gnade das Wort zu halten gelernt hat, dem ist es wahrlich nicht ein weniger ernstes Anliegen, dass diese göttliche Unterweisung bei ihm fortgesetzt werde.

69. Die Stolzen erdichten Lügen über mich. Erst machten sie sich über ihn lustig (V. 51), dann raubten sie ihm seine Habe (V. 61), und nun suchen sie ihm seine Ehre zu rauben. Um seinen Ruf zu schädigen, griffen sie zu Lügen; denn wenn sie bei der Wahrheit bleiben wollten, konnten sie nichts wider ihn vorbringen. Das waren traurige Poeten, deren ganze Kunst im Erdichten von Lügen bestand. Sie fälschten die Wahrheit, wie die Falschmünzer das gute Geld. Im Hebräischen zeichnen die Worte nach Delitzsch ein sehr starkes Bild: sie schmierten dem Gottesmann Lügen an, dass sein wahres Wesen ganz unkenntlich wurde. Zum Lügen waren die Stolzen nicht zu stolz. Der Hochmut ist selbst in sich eine Lüge, und wenn ein vermessener Mensch Lügen redet, so redet er von seinem Eignen (Joh. 8,44). Die stolzen, selbstgefälligen, wider Gott sich übermütig auflehnenden Geister sind gewöhnlich die erbittertsten Gegner der Gerechten; sie neiden sie um ihren guten Ruf und sind darauf erpicht, ihn zu zerstören. Üble Nachrede ist eine wohlfeile und bequeme Waffe, wo es gilt, das Ansehen eines geachteten und verehrten Mannes zu vernichten, und wenn viele sich verschwören, um eine boshafte Verleumdung zusammenzudichten und zu verbreiten und die Lügen planmäßig zu vergrößern, da gelingt es ihnen fast immer, ihr Opfer schmerzlich zu verwunden, und an ihnen liegt es nicht, wenn sie ihn nicht ganz und gar umbringen. O welch ein schreckliches Gift ist es doch, das der Lügner im Munde hat! Wie manches glückliche Leben ist durch falsche Reden schon ganz verbittert worden, wie manchen edlen Mannes Ruf dadurch wie durch ein schleichendes, aber unabwendbar tödliches Gift vernichtet worden. Es ist unerträglich, es anhören zu müssen, wie gewissenlose Menschen auf des Teufels Amboss drauflos hämmern, um wieder eine neue Verleumdung zu schmieden. Die einzige Hilfe dagegen ist die köstliche Verheißung: Eine jegliche Waffe, die wider dich zubereitet wird, der soll es nicht gelingen; und alle Zunge, die sich wider dich setzt, sollst du im Gericht verdammen. Das ist das Erbe der Knechte des HERRN, und ihre Gerechtigkeit von mir, spricht der HERR. (Jes. 54,17.)

Ich aber halte (will halten) von ganzem Herzen deine Befehle. Meine einzige Sorge soll sein, mich um meine Pflichten zu kümmern und mich genau an die Befehle meines Herrn zu halten. Wenn der Schmutz, mit dem man uns bewirft, uns nur nicht die Augen verklebt oder tatsächlich unsere Rechtschaffenheit angreift, dann wird er uns wenig Schaden tun. Bewahren wir die Ordnungen des HERRN, so werden sie uns auch bewahren am Tage der Schmach und Verleumdung. Der Psalmist erneuert seinen Entschluss: "Ich will halten"; er fasst die Befehle aufs Neue ins Auge und bestärkt sich in der Gewissheit, dass es wirklich des HERRN Befehle sind: "deine Befehle", und er ermuntert sein ganzes Wesen zu diesem Werk: "von ganzem Herzen". Wenn Schmähungen und Verleumdungen uns zu desto entschlossenerem und gewissenhafterem Gehorsam treiben, dann dienen auch sie uns zum Besten. Lügen, die man uns anschleudert, können bewirken, dass wir uns desto treuer an die Wahrheit halten, und die Bosheit der Menschen kann unsere Liebe zu Gott vermehren. Versuchen wir es, mit Worten auf die Lügen zu antworten, so mögen wir in solchem Kampfe leicht den Kürzeren ziehen; ein heiliges Leben aber ist eine Widerlegung aller Verleumdungen, gegen die schlechterdings keiner aufkommen kann. Auch die größte Gehässigkeit wird schließlich zu Schanden, wenn wir ungeachtet aller Anfeindungen auf dem Pfad der Heiligung ruhig vorwärtsschreiten.

70. Ihr Herz ist dick wie Schmer. Sie lieben das Wohlleben, ich aber habe meine Freude an dir. Das sinnliche Genussleben hat diese Leute ganz fühllos gemacht; ihr Herz ist gegen alle Eindrücke der Wahrheit stumpf, wie mit dickem Schmer überzogen. Mich aber hast du vor solchem Geschick bewahrt durch deine züchtigende Gnade. Hochmütige Menschen werden fett in fleischlicher Üppigkeit, und dies macht sie nur immer stolzer und hochfahrender. Sie schwelgen im Glück und mästen ihr Herz an den Dingen dieser Zeit, bis sie ganz unverständig und unempfindlich, ganz verweichlicht und unbrauchbar werden. Ein Schmerbauch ist hässlich genug; aber ein Schmerherz ist abscheulich; das ist eine Feistigkeit, die den Menschen dumm und albern macht, und solche Herzverfettung führt unfehlbar zu Herzschwäche und Tod. Diese Menschen ersticken in ihrem eigenen Fett. Von ihnen sagt der englische Dichter Dryden († 1701).

Weh euch, in deren Seelen kein Himmelsfunke lebt,
Ihr Satten, Fetten, die ihr im Staube kriecht und klebt!

In solchem Zustand haben die Menschen nur noch Sinn für niedere Genüsse; man möchte sagen, dass ihr ganzes Dasein aufgeht, schwimmt und schmort im Fette des Wohllebens und der Schwelgerei. Weil sie nicht essen, um zu leben, sondern leben, um zu essen, und sich allezeit am Feisten ergötzen, wird ihr ganzes Wesen schließlich von dem, woran sie sich nähren, durchsetzt und darein verwandelt; ihre Knochen werden zu weichlichem Mark, ihre Muskeln zu schmierigem Fett.

Ich aber habe Lust an deinem Gesetze. Wieviel besser ist es doch, sich an dem Gesetz des HERRN zu ergötzen, als den sinnlichen Genüssen zu frönen! Das macht das Herz gesund und hält den Geist demütig. Keiner, der die Heiligkeit liebt, hat den mindesten Grund, die Kinder der Welt um ihr Wohlleben zu beneiden. Die Lust am Gesetz des HERRN erhebt und adelt, während alle Fleischeslust die geistigen Fähigkeiten lähmt und das Begehren nur auf das Gemeine richtet. Es ist und soll stets sein ein greller Unterschied zwischen dem Gläubigen und einem Knecht der Sinnenlust, und dieser Gegensatz tritt ebenso hervor in der Gesinnung der Herzen wie in dem äußeren Tun und Handeln: jener Herz ist dick wie Schmer, unser Herz hat seine Lust am Gesetze des HERRN. Was wir lieben, woran wir unsere Freude haben, das ist ein besserer Prüfstein unserer Sinnesart, als irgendetwas sonst; wie das Herz, so ist der Mensch. Der Psalmist ölte die Räder seines Lebens mit der Freude an Gottes Wort, nicht mit dem Schmer der Sinnlichkeit. Auch er wollte Vergnügen haben und hatte seine Lust, auch er begehrte auserlesene Speise und saß oft an einem herrlichen Festmahl - aber alle diese Lust und Freude fand er darin, dass er den Willen des HERRN, seines Gottes, tat. Wer an dem Gesetz seine Lust hat, dem ist Gehorsam Wonne. Wo Heiligkeit im Herzen regiert, da hat die Seele ihre Lust am Fetten (Jes. 55,2), und das ist mehr, als wenn der Bauch sich mit dem Schmer der Wollust füllt. Ist das Gesetz uns unser Ergötzen geworden, so schafft es in unseren Herzen etwas ganz anderes, ja das gerade Gegenteil von dem, was der Stolz hervorbringt. Wir werden von unserer Stumpfheit, Sinnlichkeit und Eigenwilligkeit geheilt und zu gelehrigen, empfänglichen und geistlich gerichteten Jüngern des Herrn gemacht. Wie sollten wir darauf bedacht sein, stets unter dem Einfluss des göttlichen Wortes zu leben, damit wir nicht unter das Gesetz der Sünde und des Todes fallen!


Fußnote
1. In der Auslegung Spurgeons (wie in der vorangestellten Übersetzung "Gut bist du") ist die bonitas, die sittliche Vortrefflichkeit, von der benignitas der Gütigkeit, nicht streng geschieden. Wir glauben, mit einem gewissen Recht. Cremer sagt (im bibl. - theol. Wörterbuch S. 3): Die Doppelseitigkeit des Begriffs gut (als vollendetes und Vollendung förderndes Sein) tritt auch in dem hebräischen bO+ hervor. In bO+ wird zuerst der wohltuende Eindruck hervorgehoben, der etwas macht und wodurch ihm eine hervorragende Bedeutung zukommt; sodann das Moment der Vollendetheit.
Wer sich nur nach dem, was er fühlt, richtet, der verliert Christus. (Martin Luther)

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71. Es ist mir lieb (wörtl.: es war mir gut, d. i. heilsam), dass du mich gedemütigt hast, dass ich deine Rechte lerne. Auch wenn die Leiden durch böse Menschen über ihn kamen, wurde doch schließlich alles durch Gottes Weisheit zu seinem Heil gelenkt. Mochten sie gedacht haben, es böse mit ihm zu machen, für den Psalmisten war es dennoch gut. Was immer seine Gedanken gewesen sein mögen, während er unter der Züchtigung litt, nun sie vorüber war, erkannte er, dass sie ihm zum Heil gereicht hatte. Den Stolzen war es nicht gut, dass es ihnen so wohl ging, denn ihre Herzen wurden dadurch fleischlich, dem Sinnlichen ergeben und für die Eindrücke der Wahrheit unempfindlich; dem Psalmisten aber wurde das Leiden ein Segen. Das Schlimmste, was uns von des Vaters Hand widerfahren kann, ist für uns noch besser als das Beste, was sein Zorn den Sündern gibt. Für die Gottlosen ist es übel, wenn sie frohlocken, und für die Frommen gut, wenn sie Leid tragen. Unzählige Segnungen sind uns aus Schmerz und Kummer erwachsen, unter andern auch diese, dass uns das Leiden zu einer Hochschule geworden ist, da wir Gottes Rechte lernten. Dass wir dazu gekommen sind, diese tiefer kennen zu lernen und genau zu beobachten, das verdanken wir den Streichen der Zuchtrute, die uns so schmerzlich trafen.


Wir haben den HERRN gebeten, uns gute Einsicht und Erkenntnis zu lehren (V. 66), und siehe, er hat unsere Bitte schon zu erfüllen angefangen. Fürwahr, er hat an uns wohl gehandelt (V. 68 Grundtext), denn er hat weislich mit uns verfahren. Wir sind gerade durch unsere Prüfungen vor der Unwissenheit jener, deren Herz dick wie Schmer ist, bewahrt geblieben, und das allein schon ist Grund genug zu beständiger Dankbarkeit. Mit Wohlleben gemästet zu werden ist nicht gut für die Stolzen; aber in der Wahrheit gelehrt zu werden in der Leidensschule, das ist gut für die Demütigen. Ohne Trübsal lässt sich nur wenig lernen. Wollen wir lernen, so müssen wir leiden; wie der Lateiner sagt: Experientia docet, Erfahrung ist der beste Lehrmeister. In die Erkenntnis der Rechte Gottes fährt man nicht mit stolzem Viergespann. Gottes Gebote liest man am besten mit tränenfeuchten Augen.

72. Das Gesetz deines Mundes. Eine schöne und ausdrucksvolle Bezeichnung des Wortes Gottes. Das Wort kommt aus Gottes eigenem Munde mit voller Frische und Kraft in unsere Seelen. Geschriebenes ist wie getrocknete Kräuter; das gesprochene Wort ist lebendig und hat gleichsam den frischen Tau an sich, wie das Gras auf der Wiese. Wir tun wohl daran, das Wort des HERRN so anzusehen, als wäre es eben frisch aus seinem Munde zu unseren Ohren geredet; ist es doch wahrlich nicht veraltet im Laufe der Jahre, sondern so jugendkräftig und gewiss, wie wenn es eben erst gesprochen wäre. Wir schätzen die Befehle der Heiligen Schrift erst richtig, wenn wir erkennen, dass sie von den Lippen unseres treuen Vaters im Himmel kommen. Derselbe Mund, der uns durch sein Wort ins Dasein rief, hat auch die Gebote ausgesprochen, nach denen wir dies unser Dasein einrichten sollen. Und aus welchem Munde hätten wohl je holdere Worte des Gesetzes kommen können, als aus dem Munde unseres Bundesgottes? Wahrlich, was aus solcher Quelle stammt, das mögen wir wohl schätzen über alle Schätze.

Das Gesetz deines Mundes ist mir lieber denn viel tausend Stück Gold und Silber. Wäre es ein Armer, der hier so spräche, dann würden die Besserwisser wohl bald von sauren Trauben reden; seien doch eben die Leute, die keine Reichtümer besitzen, immer am ersten bei der Hand, von diesen geringschätzig zu sprechen. Allein wir haben hier den Ausspruch eines Mannes vor uns, der Tausende sein eigen nannte und aus Erfahrung über beides urteilen konnte, über den Wert des Geldes sowohl wie über den Wert der göttlichen Wahrheit. Er spricht von großem Reichtum, er häuft das Geld zu Tausenden, er erwähnt die verschiedenen Arten desselben, Gold und Silber, und stellt dann das Wort Gottes dem allem gegenüber, nein, stellt es hoch darüber als etwas, das ihm viel teurer, nach seiner Schätzung etwas viel Besseres ist, ob auch die ganze Welt es nicht als das Bessere schätzt. Reichtum ist ja in gewissen Beziehungen gut, Gehorsam aber ist besser in jeder Hinsicht. Es mag ganz recht sein, auch auf die Güter dieses Lebens etwas zu halten; aber weit ratsamer ist es, viel auf das Gesetz des HERRN zu halten. Das Gesetz ist besser als Gold und Silber, denn dieses kann man uns stehlen, das Wort aber nicht. Die Reichtümer kriegen selbst Flügel und fliegen in alle Winde, das Wort des HERRN aber bleibt in Ewigkeit. Jene sind uns nutzlos in der Todesstunde, während gerade dann uns das Wort aus Gottes Munde am köstlichsten wird. Christen, die in der Schule Gottes gebildet sind, erkennen tief den Wert des göttlichen Wortes und sprechen mit Wärme davon, nicht nur in ihren Zeugnissen vor ihren Mitmenschen, sondern auch, wenn sie in ihrem Kämmerlein mit Gott reden. Es ist ein sicheres Kennzeichen eines Herzens, das Gottes Rechte gelernt hat, wenn der Mensch des HERRN Wort höher schätzt als allen irdischen Besitz, und es ist gleicherweise ein Kennzeichen einer begnadigten Seele, wenn ihr die Vorschriften der Heiligen Schrift so teuerwert sind wie die Verheißungen. Der HERR helfe auch uns dazu, das Gesetz seines Mundes so köstlich zu schätzen.
Merken wir noch darauf, wie dieser Abschnitt des Psalms von so vielem Guten redet. Gott tut Gutes (V. 65), die heilige Einsicht wird gut genannt (V. 66 Grundtext), Demütigung ist gut (V. 67), Gott selbst ist gut und handelt gut (V. 68), und nun zum Schlusse heißt das Gesetz nicht bloß gut, sondern besser als der beste Schatz. HERR, mache auch uns gut durch dein gutes Wort! Amen.


Erläuterungen und Kernworte

V. 65-72. Das achtfache + (T): Das gute Wort des gütigen Gottes ist alles Guten Quell; man lernt es auf dem Wege der Demut. Überblickt er sein Leben, so sieht er in allem, was ihm widerfahren, die gute, wohlmeinende Fügung des Gottes des Heils gemäß dem Heilsplan und der Heilsordnung seines Wortes.

65. Treulich hast du gehandelt an deinem Knechte,
Jahve, nach deinem Worte.
66. Taktvolles Urteil und Erkenntnis lehre mich,
Denn an deine Gebote glaub’ ich.
67. Tief in Irrtum war ich, bevor ich zu leiden hatte,
Und nun beobachte ich deine Aussage.
68. Traut bist du und traulich handelnd,
Lehre mich deine Satzungen.
69. Trug brauen wider mich Übermütige -
Ich wahre mit ganzem Herzen deine Ordnungen.
70. Talgig wie Schmer ist ihr Herz -
Ich hab’ an deinem Gesetze mein Ergötzen.
71. Taugsam war’s mir, dass ich mit Leiden belegt ward,
Damit ich lernte deine Satzungen.
72. Tausende Goldes und Silbers sind mir nicht so lieb,
Als das Gesetz deines Mundes.
Prof. Franz Delitzsch † 1890.


V. 65. Du tust Gutes deinem Knechte, HERR, nach deinem Worte. Der Ausdruck "nach deinem Wort" kehrt in unserem Psalm so häufig wieder, dass wir ihn leicht übersehen oder doch ihm keine tiefere Bedeutung beilegen. Aber hat Gott nach den gewöhnlichen Gedanken der Menschen dem David Gutes getan, was bedeuten dann solche Äußerungen wie in V. 8: Verlass mich nicht gänzlich! V. 25: Meine Seele liegt im Staube; V. 28: Ich gräme mich, dass mir das Herz verschmachtet; u. a. m. Und doch, trotz all seiner vielen Trübsalen kommt er zu diesem Ausspruch. Wie ist er zu verstehen? Gott tat ihm Gutes nach seinem Worte, d. h. er tat ihm das, was nach seinem Worte das Gute ist. Er ersparte ihm nicht allerlei Trübsal, aber er schickte ihm gerade diejenige, die er nötig hatte für seinen inneren Menschen, zu seinem wahren Heile. Und das fühlt er wohl, darum sagt er: Es ist mir gut, dass ich gezüchtigt ward, dass ich deine Rechte lerne (V. 71). Auch in dem Sinne war Gottes Tun seinem Worte gemäß, als es in Übereinstimmung war mit der Weise, wie Gott an allen seinen Kindern handelt, die alle gezüchtigt werden zu ihrem Heile. Ferner ist die Erfüllung eines Teiles der Bundeszusage Gottes, die wir augenblicklich erleben, uns ein Angeld, eine sichere Gewähr dafür, dass er den ganzen Bundesvertrag halten, sein Wort völlig erfüllen wird. Ja, HERR, dein Wort ist die Leuchte, die uns die Dinge im richtigen Lichte zeigt, und die erkennen lässt, dass denen, die dich lieben, alle Dinge zum Besten dienen müssen. Nach deinem Worte, das heißt ferner: in der Art und in dem Grade, wie es dein Wort ausspricht. Solche Auffassung des Ausdrucks gibt z. B. der Bitte im 58. Vers "Sei mir gnädig nach deinem Wort" einen ungeahnten Umfang. So auch: Erquicke mich, stärke mich nach deinem Wort, d. h. mit allem, was du verheißen, und in dem vollen Maße, wie du es verheißen. Und weiter die Bitten von V. 76.169.170, sie umfassen alles, was die Heilige Schrift überhaupt über diese Gegenstände enthält. M. B. Duncan † 1865.

V. 66. Lehre mich heilsame Sitten und Erkenntnis. Das hebräische (von Luther mit Sitten wiedergegebene) Wort bedeutet eigentlich Geschmack. Die meisten Ausleger übersetzen es hier Urteil, Einsicht, was ungefähr das Gleiche bedeutet, aber doch nicht ganz. Der Geschmack ist etwas viel Unmittelbareres, als das erst auf mancherlei Erwägungen und Verstandestätigkeiten hervorgehende Urteil. Wir gebrauchen das Wort Geschmack mit Bezug auf die Wahrnehmung des Schönen auf dem Gebiete der Malerei, der Musik, der Kunst, überhaupt des Schönen, des Geziemenden; hier führt der gute Geschmack zur sofortigen Entscheidung, ohne lange Prüfung. Und in gleicher Weise besitzen die wahrhaft Frommen die Fähigkeit, die Schönheit der Heiligkeit im Worte Gottes, in Gottes Wesen, im Gesetz, im Evangelium, im Kreuze Christi, in dem Vorbilde, das uns der Herr und seine Heiligen gegeben, unmittelbar zu empfinden, zu schmecken. Es ist ihnen süßer als Honig und Honigseim. Sie schmecken und sehen, wie freundlich der HERR ist, sie schmecken das gütige Wort Gottes und die Kräfte der zukünftigen Welt. John Ryland † 1825.

In einer Abhandlung über die Befruchtung der Pflanzen durch Insekten macht der Naturforscher J. Lubbock (1878) auf die merkwürdige Fähigkeit der Unterscheidung von schönen und widerlichen Pflanzen aufmerksam, die gewisse Insekten betätigen. Die Bienen, sagt er, scheinen Gefallen an angenehmen Gerüchen und hellen, freundlichen Farben zu finden und suchen ausnahmslos solche Pflanzen auf, die auch den Menschen wohlgefallen. Wenn wir ihren Flug in einem Garten beobachten, so sehen wir, wie sie sich stets auf Rosen, Lawendel und allen solchen Blumen niederlassen, die durch ihre leuchtende Farbe oder ihren süßen Geruch erfreuen. Im ausgesprochenen Gegensatze hierzu ist das Benehmen der Fliegen, die stets eine Vorliebe für fahlgelbe oder trüb rötliche Farben und widerwärtige Gerüche zeigen. Die Biene ist ein Geschöpf von feinem, zart empfindendem Geschmack; die Fliege hingegen ist der Geier unter den Insekten, ihre Natur treibt sie zu solcher Pflanzennahrung, die nach Aas riecht. Setzt man zwei Teller in einiger Entfernung voneinander auf den Rasen, den einen etwa mit dem Stink- oder Gichtpilz (Phallus impudicus) gefüllt, den anderen mit ein paar Moosrosen, so wird man das verschiedene Verhalten der beiden Insektenarten sofort wahrnehmen. Der widrig riechende und hässliche Pilz wird sich schnell mit Fliegen bedecken, während die Bienen sich an die Rosen halten. Geradeso ist es auch mit den zwei Klassen, in die man die Menschen teilen kann, den Diesseits- und den Jenseitsmenschen. Während die geläuterten, geheiligten Triebe der einen auf das gerichtet sind, was wahrhaftig ist, was ehrbar, was gerecht, was keusch, was lieblich, was wohl lautet, haften die irdisch gerichteten, niedrigen Instinkte der anderen nur an Tod und Verwesung. Die emsige Biene fliegt nicht mit unfehlbarerer Sicherheit von einer lieblichen Blume zur anderen, als der Christ darauf bedacht ist, das aufzusuchen, was auf Erden an Schönem, Holdem, Gutem zu finden ist. Mit David bittet er: Lehre mich guten Geschmack; und ist etwa eine Tugend, ist etwa ein Lob, dem denkt er nach. James Neil 1879.
Wer sich nur nach dem, was er fühlt, richtet, der verliert Christus. (Martin Luther)

Jörg
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Erläuterungen und Kernworte


V. 66. Denn ich glaube deinen Geboten. Hier ist der Glaube auf einen sonst nicht gewöhnlich als solcher genannten Gegenstand bezogen. Wenn es hieße: "Ich glaube deinen Verheißungen" oder "Ich gehorche deinen Geboten", so wäre der Ausspruch ohne weiteres verständlich. Aber den Geboten glauben klingt dem gewöhnlichen Verstande ebenso widersprechend wie mit dem Ohre sehen oder mit dem Auge hören. Um dieser scheinbaren Ungereimtheit zu entgehen, nehmen manche Erklärer das Wort Gebote im allgemeineren Sinne, für das Wort Gottes überhaupt, so dass die Verheißungen mit einbegriffen oder eigentlich vornehmlich gemeint wären. Dem ist aber entgegen zu halten: Ganz gewiss gibt es ein Glauben an die Gebote, so gut wie an die Verheißungen. Wir müssen glauben, dass Gott ihr Urheber ist, dass sie also heilig, gerecht und gut sind, dass Gott diejenigen liebt, welche sie halten, und denen zürnt, die sie übertreten, und dass er seinem Gesetze schließlich zum vollen Siege verhelfen wird. Der Glaube an die Gebote muss ebenso lebendig sein wie der an die Verheißungen. Und wie der letztere nur dann lebendig zu nennen ist, wenn er unsere Herzen von den Eitelkeiten der Welt und des Fleisches abzuziehen vermag, dass wir das Glück suchen, das uns darinnen vorgehalten wird, so ist auch nur der Glaube an die Gebote der rechte, der uns dahin bringt, sie als unsere einzige Richtschnur anzuerkennen, als das einzige, was uns auf den Weg zum wahren Glücke zu leiten vermag. Thomas Manton † 1677.

V. 67. Ehe ich gedemütigt ward. Diese Übersetzung geht auf die LXX und Vulg. zurück. Im Hebräischen steht hier (sowie Ps. 116,10) eigentlich kein Passivum (hingegen wohl V. 71). Man übersetze etwa: Ehe ich (durch Leiden) gebeugt war, oder: Ehe ich die Leiden trug.Man kann dabei an Leiden aller Art denken. Albert Barnes † 1870.

Irrte ich, ging ich irre. Nicht dass er mit Vorbedacht, argen Herzens, in Verachtung der Gebote sich von Gott abgewandt hätte: das bestreitet er aufs entschiedenste (Ps. 18,22). Aber die Schwachheit des Fleisches, die Macht der Verderbnis und der Versuchungen, sehr viel auch eine natürliche Neigung zur Sorglosigkeit und Mangel an geistlicher Wachsamkeit brachten ihn vom rechten Wege ab, so dass er irre ging, ehe er es selbst recht merkte. Es ist das Sündigen aus Unwissenheit gemeint, von dem 3. Mose 5,17 die Rede ist. Dies geschah in der Zeit seines Glückes. Wenn er schon nicht wie Jesurun fett und übermütig geworden war, den Fels seines Heiles gering geachtet und verlassen hatte, in Versuchung und schädliche Lüste gefallen und vom Glauben abgewichen war und ihm selbst viel Schmerz gemacht hatte, konnte er aber doch nachlässig werden in seinem inneren Leben und in seinen religiösen Pflichten - ein Fall, der nur zu häufig vorkommt. John Gill † 1771.
Wohlergehen ist ein empfindlicherer und schärferer Prüfstein für den Charakter als Unglück, so wie eine Stunde Sommmersonnenhitze mehr Zersetzung bewirkt als der längste Wintertag. (Vergleiche Goethes geflügeltes Wort: Alles in der Welt lässt sich ertragen, nur nicht eine Reihe von schönen Tagen.) Eliza Cook geb. 1817.

Wie man dem Geflügel die Federn beschneidet, wenn es zu hoch und zu weit fliegen will, so nimmt uns auch Gott von unseren Reichtümern u. dgl. weg, damit wir nicht über unsere Grenzen hinausgreifen und uns zu viel auf solche Vorzüge einbilden. Otho Wermullerusum 1500.

Aus der unzählbaren Schar vor dem Throne Gottes und des Lammes vernehmen wir die Worte des Psalmisten: Ehe ich gedemütigt ward, irrte ich, nun aber halte ich dein Wort.Und viele sind darunter, die sprechen: Siehe, selig ist der Mensch, den Gott straft (Hiob 5,17). Der eine wird dir sagen, dass sein irdischer Misserfolg die Ursache, das Mittel zu seinem Vorankommen in dem himmlischen Berufe geworden, ein anderer, dass der Verlust aller Habe ihm den Gewinn des Einen, das alles umfasst, gebracht habe. Viele hat Gott heimgesucht mit leiblicher Blindheit, damit ihnen das Licht des Geistes aufgehe; viele, die ihr ganzes Leben hindurch unter allerlei körperlichen Leiden und Schwächen und Gebrechen haben seufzen müssen, haben dafür mit Freuden und Frohlocken die Gewissheit zukünftiger Herrlichkeit und Unsterblichkeit ergriffen. W. G. Lewis 1872.

V. 68. Du bist gut und handelst gut. (Grundtext) Uns wird ein guter Gott vor Augen gestellt, wir sollen uns nicht mit einem geringeren Ideal und Vorbild des Guten begnügen. Der jüdische Philosoph Philo, ein Zeitgenosse des Heilandes (geb. i. J. 30 v. Chr., † nach 40 n. Chr.), sagt: (O o}ntwj w)`n to` prw=ton a)gaqo/n, das wahrhaftige Wesen ist das erste Gute. Schon unser Wort Gott kommt ja auch von gut. Er ist seinem Wesen nach gut, und gut gegen andere. Gutsein ist bei uns eine erworbene, verliehene Eigenschaft, bei Gott hingegen ist das Gutsein sein Wesen. Bei einem vergoldeten Gefäße ist der Goldglanz eine an dem Gegenstand später angebrachte Eigenschaft, bei einem ganz goldenen Gefäße hingegen gehört der Glanz zum Stoff, zum Wesen des Ganzen. Gott ist unendlich gut; das Gutsein der Geschöpfe ist nur ein beschränktes, das unsere ist nur ein Tropfen gegen das Meer göttlichen Gutseins. Und Gott ist unveränderlich, unwandelbar gut, es gibt da kein Mehr oder Weniger. Der Mensch im Stande der Unschuld war peccabilis, sündenfähig, durch den Fall wurde er peccator, ein Sünder. Gott aber war von Anfang, ist und bleibt gut. Dies ist sein Wesen. Nun aber sein Tun: Er tut auch das Gute. Was Gott auf dem großen Schauplatz der Weltereignisse durch die Jahrtausende getan und gewirkt hat, war nur das Gute. Und zwar hat er sich selbst nicht unbezeugt gelassen, hat uns viel Gutes getan und vom Himmel Regen und fruchtbare Zeiten gegeben, unsere Herzen erfüllt mit Speise und Freude (Apg. 14,17). Auch dies ist uns als Vorbild hingestellt, damit auch unser ganzes Leben nichts sei als ein Vollbringen des Guten. Darum sollt ihr vollkommen sein, gleichwie euer Vater im Himmel vollkommen ist. Thomas Manton † 1677.

Du bist gütig und freundlich. Die gesegneten Früchte der Züchtigung als ganz besondere Beispiele der Güte des HERRN konnten den Psalmdichter wohl zu einer Erkenntnis seiner Allgüte in seinem Wesen sowohl als in seinem Wirken führen. Aber in kleingläubiger Übereilung verkennt ein schwaches Gemüt Gottes weise und gnädige Führungen und hält für einen Zornesblick, was dem Glaubensauge als ein liebevolles Lächeln erscheint. Charles Bridges † 1869.

V. 69. Die Stolzen. Der Glaube macht demütig, der Unglaube stolz. Der Glaube macht demütig, weil er uns unsere Sünde und ihre Strafe zeigt und dass wir nicht zu Gott gelangen können ohne die Vermittlung Christi, dass wir nichts Gutes vollbringen, das Böse nicht unvollbracht lassen können ohne die Wirkung der Gnade. Solange Menschen dies aber nicht erkannt haben, denken sie groß von sich und fahren hoch her. Darum sind alle Unwissenden, alle Ketzer, alle Weltmenschen so stolz. Wer sich unter die starke Hand Gottes gedemütigt hat, ist auch demütig vor Menschen; hingegen wer Gott verachtet, der verachtet auch seine Knechte. Richard Greenham † 1591.

Ich aber halte von ganzem Herzen deine Befehle. Lasst das Wort des HERRN kommen, lasst es kommen, und wenn wir tausend Nacken hätten, wir wollten sie alle unter das Joch seiner Gebote beugen. Aurelius Augustinus † 430.

V. 70. Ihr Herz ist fett wie Schmer - mein Herz hingegen ist ein mageres, ein hungriges Herz; aber meine Seele liebt dein Wort: ich habe Lust an deinem Gesetz. Ich habe nichts, um mein Herz zu füllen, als dein Wort und den Trost und die Stärkung, die ich daraus ziehe. Jener Herz hingegen ist fett von den Lüsten der Welt und des Fleisches, sie hassen das Wort. Einem vollen Magen ist die Speise zuwider, er kann sie nicht verdauen; so hassen auch die Bösen das Wort, es passt nicht zu ihren niedrigen Anschauungen, es dient ihren Lüsten nicht. William Fenner † 1640.

Ein namhafter Arzt, an den ich mich mit der Frage wandte, was unter einem verfetteten Herzen zu verstehen sei, erteilte mir folgende Auskunft. Es gibt zwei Formen von Herzverfettung; die eine ist von geringerer Bedeutung, kommt auch wohl selten vor, die andere hingegen ist bedenklich. Sie besteht darin, dass die Muskelfasern, aus denen die Herzwände gebildet sind und von denen die ganze Herztätigkeit abhängt, entarten und geradezu in Fett übergehen. Dadurch werden sie unfähig, die Bewegungen auszuführen, zu denen sie bestimmt sind, und mit der Zunahme der Entartung, der Ausdehnung derselben wird die Tätigkeit des Herzens immer schwächer, bis sie schließlich ganz aufhört. Meist führt das Leiden einen plötzlichen Tod herbei. Träges, üppiges Leben, Mangel an Bewegung sind vielfach die Ursache des Leidens. Es ist nicht durchaus notwendig mit geistiger Schwerfälligkeit und Trägheit verbunden, aber in den höheren Graden des Leidens ist das Herz tatsächlich wie Schmer, geradezu schmierig zu nennen. - Soviel von dem körperlichen Leiden. Aber stellt hier nicht der Psalmist ganz treffend und deutlich diejenigen, die ein sinnliches, den Lüsten ergebenes, lasterhaftes Leben führen, durch welches Leib und Seele unfähig gemacht werden für die Zwecke, zu denen sie bestimmt sind, stellt er diese nicht jenen Menschen gegenüber, die die Tatkraft besitzen, zu laufen in den Geboten des HERRN, denen es eine Lust ist, zu tun seinen Willen und nachzusinnen über seine Gebote? Da stehen sich gegenüber auf der einen Seite Gleichgültigkeit, Trägheit und Stumpfheit, auf der andern Tatkraft, Strammheit und geistiges Leben; Leib gegen Geist, ein zum Tier gewordener Mensch gegen einen Menschen, der das göttliche Ebenbild bewahrt. James Bennett 1881.
Wer sich nur nach dem, was er fühlt, richtet, der verliert Christus. (Martin Luther)

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Erläuterungen und Kernworte


V. 71. Es war mir gut, dass du mich demütigtest. (Wörtl.) Ich werde geheilt durch meine Krankheit, reich gemacht durch meine Armut, stark gemacht durch meine Schwäche, dass ich fast versucht wäre, mit dem heiligen Bernhard zu bitten: Irascaris mihi, Domine, O HERR, zürne mit mir! Denn wenn du mich nicht züchtigst, dann beachtest du mich nicht; wenn ich nichts Bitteres zu schmecken bekomme, so fehlt mir die Arznei; wenn du mich nicht züchtigst, so bin ich nicht dein Sohn. So war es mit dem Urenkel Davids, Manasse; da er in der Angst war, flehte er vor dem HERRN, seinem Gott. Selbst diesem König war das Eisen der Ketten und Bande köstlicher als sein Gold, der Kerker eine glücklichere Wohnstätte als sein Palast, Babylon eine heilsamere Schule als Jerusalem. Was für Toren sind wir doch, zu unseren Anfechtungen sauer zu sehen. So widerwärtig sie sein mögen, sind sie unsere besten Freunde. Sie sind allerdings nicht zu unserem Vergnügen, dafür aber zu unserem Heile da. Ihr Ausgang gibt ihnen Anspruch auf eine bereitwillige Aufnahme. Was liegt uns an der Bitterkeit des Heiltrankes, wenn er uns die Gesundheit wiedergibt! Abraham Wright † 1690.

Die Zuchtrute sprosst und blüht durch ein Gnadenwunder wie der Stab Aarons und bringt hervor die Früchte der Gerechtigkeit, welche die köstlichsten sind. Und es ist fürwahr ein herrlicher Anblick, wenn man einen Menschen sieht, der vom Bett schweren Siechtums aufgestanden oder sonst aus einem Ofen der Trübsal hervorgegangen ist, mehr den Engeln gleich an Reinheit, mehr Christo gleich, der da war heilig, unschuldig, unbefleckt, von den Sündern abgesondert, mehr Gott selbst ähnlich, da er viel eifriger der Gerechtigkeit nachstrebt auf allen seinen Wegen, viel, viel heiliger ist in allem seinem Tun und Lassen. Nathanael Vincent † 1697.

Es gibt Dinge, die gut sind, aber nicht angenehm, wie Kummer und Trübsal. Die Sünde ist angenehm, aber schädlich; Kummer ist nützlich, aber widerwärtig. Wie die Gewässer die klarsten sind, welche in Bewegung sind, so sind die Frommen am heiligsten, wenn sie in Anfechtung sind. Manche Christen gleichen Kindern, die nur so lange über ihren Aufgaben sitzen, wie man mit dem Stocke hinter ihnen steht. Und wohl wissen wir, dass der HERR gerade die süßesten Lehren oft durch die bitterste Trübsal einprägt. Manche, die sich nicht haben warnen lassen durch die Gerichte, die sie sehen, bessern sich durch die Gerichte, die sie zu fühlen bekommen. Das reinste Gold ist am geschmeidigsten. Die besten Klingen sind die, die am biegsamsten sind und doch nicht krumm bleiben. William Secker 1660.

Die Gottesfurcht besitzt eine wunderbare Fähigkeit, alle Dinge in Gegenstände des Trostes und der Freude zu verwandeln. Im Grunde gibt es für den Frommen keine bösen oder traurigen Verhältnisse. Sogar seine Betrübnisse führen zur Freude, seine Schwachheiten sind heilsam, sein Mangel macht ihn reicher, seine Schmach ist sein Schmuck, seine Lasten machen ihm das Leben leichter, die Pflichten sind ihm Vorrechte, sein Fallen hilft ihm immer weiter, und selbst seine Verfehlungen, indem sie Reue und Beschämung, Vorsicht und Wachsamkeit erzeugen, bessern ihn und sind ihm so zum Nutzen, während die Gottlosigkeit alle Verhältnisse stört, alles Gute schlecht und gemein macht, alle Annehmlichkeiten des Lebens verbittert und vernichtet. Isaak Barrow † 1677.

Dass ich deine Rechte lerne. Hier spricht der Psalmist nicht von dem Lernen, das durch das Hören oder Lesen von Gottes Wort geschieht, sondern von dem Lernen als einer Frucht der Erfahrung, indem er die Wahrheit und den Trost von Gottes Wort viel lebendiger und kräftiger in Not und Trübsal verspüren durfte, als er ohne das vermocht hätte, und indem ihn solche Trübsal gottseliger, weiser, frommer gemacht hatte. William Cowper † 1619.

Dass ich deine Rechte lerne. Wie das Glück die Augen der Menschen blendet, so macht das Unglück sie helle. Und wie die Salbe, welche die kranken Augen heilt, zuerst beißt und weh tut und zu Tränen reizt, hernach aber ist die Sehkraft schärfer, als sie vorher war, so peinigt auch die Trübsal die Menschen anfangs ganz absonderlich, aber dann erleuchtet sie die Augen des Geistes, dass er hernachmals viel verständiger, weiser und klüger ist. Denn Trübsal bringt Erfahrung, und Erfahrung bringt Weisheit. Otho Wermullerus um 1500.

V. 72. Das Gesetz deines Mundes ist mir lieber denn viel tausend Stück Gold und Silber.Dieses Buch Gottes ist höher zu schätzen als alle anderen Bücher. St. Gregor nannte die Heilige Schrift "das Herz und die Seele Gottes". Die Rabbinen sagen, ein Berg von Bedeutung schwebe über jedem Häkchen und Zeichen der Schrift. Das Gesetz des HERRN ist vollkommen (Ps. 19,8). Die Heilige Schrift ist die Bücherei des Heiligen Geistes, sie ist ein Lehrbuch göttlicher Wissenschaft. Die Schrift enthält die Credenda und die Agenda, das, was wir zu glauben, und das, was wir zu tun haben, sie kann uns unterweisen zur Seligkeit (2. Tim. 3,15). Sie ist der Maßstab für alles, was wahr ist, der Richter in allen Streitfragen, der Polarstern, der uns zum Himmel weist. Das Gebot ist eine Leuchte und das Gesetz ist ein Licht (Spr. 6,23). Die Schrift ist der Kompass, nach welchem das Steuer unseres Willens gelenkt werden soll, der Acker, in welchem Christus, der köstliche Schatz, verborgen liegt. Sie ist eine heilige Augensalbe, sie heilt und schärft die Augen, welche auf sie schauen; sie ist das Mittel, welches alle Leiden der Seele heilt. Die Blätter der Schrift sind wie die Blätter vom Holze des Lebens, welche dienen zur Gesundheit der Heiden (Off. 22,2). Die Schrift ist die Mutter und die Ernährerin der Gnade. Wie anders wird ein Bekehrter gezeugt als durch das Wort der Wahrheit? Wie anders wächst und gedeiht er als durch die lautere Milch des Wortes? (Jak. 1,18; 1. Petr. 2,2) Die Schrift ist der Leuchtturm, der uns zeigt, wie wir die Klippen der Sünde meiden können; sie ist das Gegenmittel gegen jeden Irrtum und Abfall, das zweischneidige Schwert, welches die alte Schlange zu verwunden vermag. Sie ist unser Bollwerk gegen den Ansturm der Lüste, der Turm Davids, daran die tausend Schilde unseres Glaubens hangen. (Hohelied 4,4). "Gottes Wort", sagt Luther, "ist ein Licht, das im Finstern scheinet, und leuchtet heller, denn die Sonne am Mittage, denn im Tode verlöschet nicht allein das Licht der Sonnen, sondern auch die Vernunft mit all ihrer Weisheit. Da leuchtet denn mit all ihrer Treue das Wort Gottes, eine ewige Sonne, welche allein der Glaube siehet und folget bis ins ewige, klare Leben." Darum so achtet es hoch, das Wort der Schrift, dann werdet ihr auch den rechten Nutzen daraus ziehen. Thomas Watson † 1690.

Das Wort Gottes muss uns näher stehen als unsere nächsten Angehörigen, muss uns teurer sein als unser Leben, köstlicher als unsere Freiheit, lieber als alles irdische Wohlleben. John Mason † 1694.

Die Schätze dieser Welt, Gold und Silber, werden erworben mit Mühe und Arbeit, bewahrt mit Sorgen, verloren mit Schmerzen. Es sind falsche Freunde, dann am weitesten von uns entfernt, wenn wir am nötigsten Beistand brauchen; das müssen alle Weltkinder in der Stunde des Todes erfahren. Wie dem Propheten Jona seine Kürbisstaude genommen wurde, und gerade in einer Zeit, wo er ihrer gegen die Sonne am meisten bedurft hätte, so geht es auch mit dem Trost der Weltmenschen. Ganz anders aber ist es, wenn man sich auf das Wort Gottes verlässt, wenn man diesem einen Platz in seinem Herzen einräumt, wie Maria tat; dieser Trost wird uns stets aufrecht halten, wenn alles andere auch uns im Stich lassen sollte. Und dies ist es, was uns reich macht in Gott, wenn nämlich unsere Seelen Schatzhäuser sind, angefüllt mit den Schätzen aus seiner Welt. Sollen wir uns für arm halten, weil Gold und Silber bei uns knapp sind? An ideo angelus pauper est, quia non habet jumenta? Ist ein Engel darum arm, weil er keine Viehherden hat? fragt Chrysostomus. Oder war Petrus etwa um deswillen arm zu nennen, weil er dem Gichtbrüchigen kein Silber und Gold zu geben hatte? Nein, denn er besaß einen Schatz der Gnade, unendlich viel köstlicher als jenes. Lasst das Gold und Silber den Kindern dieser Welt, es hat doch keinen Kurs in Kanaan, man nimmt es nicht in unserem himmlischen Vaterlande. Wenn wir dort etwas gelten wollen, so lasst uns reich machen unsere Seelen mit geistlichen Gaben, mit den Schätzen, die wir in reichster Fülle in den Goldgruben und Schatzkammern des Wortes Gottes finden. William Cowper † 1619.

Ihr Vornehmen, ihr vom Adel, lasst euch gesagt sein, was Hieronymus von einem jungen römischen Edelmanne, Nepotianus, erzählt, der durch lange und eifrige Betrachtung der Heiligen Schriften seine Brust zur Bibliothek Christi gemacht habe. Denkt an das, was von König Alphons erzählt wird, dass er die Heilige Schrift vierzehnmal durchgelesen habe, zusammen mit den Auslegungen, welche ihm damals zu Gebote standen. - Ihr Gelehrten, erinnert euch daran, dass von Cranmer und Ridley berichtet wird, sie hätten beide das Neue Testament auswendig gekonnt, dass Thomas a Kempis nirgends Ruhe gefunden nisi in angulo cum libello, als in einem Winkel mit diesem Buche, und dass der achtzigjährige Theodor Beza (der Freund und Mitarbeiter Calvins, † 1605) alle die Briefe des Apostels Paulus im griechischen Grundtexte auswendig gekonnt habe. - Ihr Weiber, vernehmt, was Hieronymus von der Paula, der Eustachia und anderen vornehmen Frauen erzählt, die in ganz hervorragendem Grade in der Heiligen Schrift bewandert waren. Edmund Calamy † 1666.
Wer sich nur nach dem, was er fühlt, richtet, der verliert Christus. (Martin Luther)

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