6. Es wird meiner Seele lang, zu wohnen bei denen, die den Frieden hassen. Ach ja, lange, lang genug, zu lange schon lebte er wie in der Verbannung unter solchen Barbaren. Friedensstifter sind ein Segen, aber Menschen, die den Frieden hassen, sind ein Fluch. Bei solchen auch nur eine Nacht zu weilen, ist gefährlich; aber bei ihnen wohnen zu müssen, ist schrecklich. Wörtlich heißt es: bei dem Friedenshasser. Luthers Übersetzung wird, wie allgemein angenommen, den Sinn richtig wiedergeben. Doch könnten immerhin des Dichters Gedanken auch, wie wir es in manchen anderen Psalmen sehen, zu einem besonderen Friedensstörer hinüberschweifen. Er hatte genug von ihm und schmachtete danach, solche Gesellschaft verlassen zu können. Vielleicht hatte der Psalmist den Charakter des Mannes nicht gleich durchschaut, eben weil es ein Betrüger war; und als er seine Gesinnung erkannte, da fand er sich vielleicht außerstande, ihn von sich abzuschütteln, und war somit genötigt, ihn um sich zu dulden. Männer wie Doeg, Saul, Ahitophel und die beiden Söhne der Zeruja kommen uns in den Sinn - diese letztgenannten zwar nicht als Feinde, wohl aber als heißblütige Krieger, die David oft zu stark waren (2. Samuel 3,39; 16,10; 19,23). Welche Veränderung war das doch für den Mann Gottes, weg von der Stille der Schafweide zu der Unruhe und dem Ränkespiel des Hoflebens und dem Getümmel und den Leidenschaften des Krieges! Wie muss er sich oft danach gesehnt haben, das Zepter niederzulegen und den Krummstab des Hirten wieder zur Hand nehmen zu können. Die Zeit, die er mit streitsüchtigen Geistern zusammenwohnte, dünkte ihn lang, zu lange, und er ertrug es nur, weil er es eben ertragen musste.
7. Ich halte Frieden, buchstäblich: Ich bin Friede, ich begehre Frieden, halte Frieden, suche Frieden zu stiften, kurz, bin ganz Friede. Aber wenn ich (nur) rede, so fangen sie Krieg an. Meine freundlichsten Worte selbst reizen sie; sofort ziehen sie das Schwert. Mit nichts kann man es ihnen recht machen; bin ich still, so halten sie mich für griesgrämig, und tue ich den Mund auf, so fangen sie sofort an, zu kritteln und zu widersprechen. Mögen solche, die in kampflustiger Gesellschaft wohnen, sich zum Troste daran erinnern, dass sowohl David als auch Davids Herr Trübsal gleicher Art erduldet haben. Es ist der Heiligen Los, dass sie selbst unter ihren eigenen Hausgenossen Feinde finden. Noch andere außer David haben bei den wilden Tieren hausen (Mk. 1,13) und mit ihnen kämpfen (1. Kor. 15,32) müssen, und nicht Daniel allein ist in einer Löwengrube gewesen. Indessen mögen alle, die in stillen Friedenshütten weilen dürfen, für solche Ruhe herzlich danken. Deus nobis haec otia fecit: Gott hat sie uns geschenkt. Sei es unser Bestreben, niemals anderen ein Leid zu bereiten, wovor wir selber gnädig beschützt worden sind.
Erläuterungen und Kernworte
Zum ganzem Psalm. Es ist eine schmerzliche, aber nützliche Lehre, die uns dieser erste der Pilgerpsalmen gibt, dass nämlich alle, die sich entschlossen zeigen, den Geboten Gottes zu gehorchen und sein Wohlgefallen zu suchen, darauf gefasst sein müssen, Widerstand und Schmähungen zu erfahren. Das erlebten auch diese wahrhaftigen Anbeter der alten Zeit, wenn sie sich anschickten, zum Tempel hinauszuziehen, um dort dem HERRN zu nahen. Sie fanden sich bei ihren Vorbereitungen überwacht von feindseligen Augen, und auf ihrem Wege zum Bethause verfolgten sie die Schmähungen und Verdächtigungen gehässiger Zungen. Aber ihre Zuflucht ist bei dem, dem ihre Anbetung gilt; und in der festen Überzeugung, dass er seine Diener niemals im Stiche lassen kann, schauen sie durch die düstern Wolken der üblen Nachreden gläubig auf zu seinem Throne und erflehen sich den Beistand, von dem sie gewiss sind, dass alle seine Kinder ihn stets dort finden werden. O HERR, in dieser meiner Not errette meine Seele! Robert Nisbet 1863.
Die Festbesucher waren im Begriff, ihr Haus zu verlassen, und falsche Zungen lieben es, die Abwesenden anzugreifen. Auch waren sie im Begriff, sich der Schar der übrigen Pilger anzuschließen; wie leicht konnte da in der Erregung des Gesprächs ihre eigene Zunge von der Wahrheit abweichen! Aus dem ganzen Psalm spricht ein tiefes Sehnen nach Frieden; und wann wäre wohl in dieser Welt voll Hader und Verwirrung dies Verlangen nicht zeitgemäß? Kann es uns wundern, wenn ein Israelit, in dessen Herzen ein tiefes Sehnen nach Ruhe und Frieden war, in dem Augenblick, da er sich aufmachte, um zum Tempel zu ziehen, in den Ruf ausbrach: "O nur wieder einmal heraus aus alledem, wenigstens für eine kleine Weile! O heraus aus all der fieberhaften Aufregung und Spannung, heraus aus dem eitlen Getümmel, dem Wirrwar und Lärm und Hader der Welt! O lass mich eine Weile ausruhen und mich erquicken in deinem Heiligtum, in der geweihten Freistatt meines Gottes! Ja, o du Gott des Friedens, gewähre mir deinen Frieden, wenn ich anbete in deiner heiligen Gegenwart, und lass mich, wenn ich in die Welt zurückkehre, sie besser wiederfinden oder wenigstens mich ein besseres, geduldigeres Herz für die Pflichten und den Kampf in der Welt heimbringen." S. Cox 1874.
V. 1. Ich rufe zu dem HERRN in meiner Not. Es ist kein besserer Meister, beten zu lehren, denn die Not. Dies habe ich in Erfahrung, dass ich nimmer so wohl bete, als in Trübsalen. Dies ist das scharfe Gewürze, welches auch in David den Hunger und die Begierde zu beten erwecket hat, wie er sagt Ps. 18,7: So ich in Trübsalen bin, rufe ich zu Gott. M. Luther 1531.
Sieh den Vorteil der Trübsal! Ja selig sind, die da Leid tragen, die da trauern, während sie den langen Weg hinaufziehen von dem Galiläa der Heiden in dieser niederen Welt zu dem himmlischen Jerusalem, der heiligen Stadt der Auserwählten Gottes droben. J. W. Burgon 1859.
Die Zeitwörter stehen in der Form der Vergangenheit (Ich rief, er erhörte mich), aber sie beziehen sich nicht ausschließlich auf Vergangenes. Frühere und gegenwärtige Erfahrung vereinigen sich hier miteinander. Aus der Vergangenheit schöpft der Psalmist Ermutigung für die Gegenwart. J. J. St. Perowne 1868.
V. 2. HERR, errette meine Seele von den Lügenmäulern, von den falschen Zungen. Eine zügellose Zunge ist ein vehiculum Diaboli, ein Gefährt des Teufels, darauf er im Triumph einherfährt. R. Greenham († 1591) beschreibt die Zunge gut in Gegensätzen: "Sie ist ein Stückchen Fleisch, gering an Größe, aber mächtig an Kraft. Sie ist weich, aber schlüpfrig, ist gar leicht beweglich und fällt doch so schwer, berührt sanft und verwundet doch so scharf, geht schnell heraus, brennt aber heftig und dringt tief ein, darum heilen die Wunden, die sie schlägt, nicht schnell. Leicht geht sie aus, aber sie findet es keineswegs leicht, wieder heimzukehren, und ist sie einmal mit Hilfe von des Satans Blasebalg entzündet, so brennt sie wie das Feuer der Hölle." Eine unbändige Zunge schreitet immer vom Bösen zum Schlimmeren fort; sie beginnt mit Unverstand, fährt fort mit Ungestüm und endet mit Unheil und Tollheit. Vergl. Pred. 10,13. Die Juden in Jerusalem fingen den Wortstreit mit dem Herrn Jesus, Joh. 8, mit Behauptungen an (Wir sind Abrahams Same usw.), gingen aber bald zu Lästerungen über (Sagen wir nicht recht, dass du ein Samariter bist und hast den Teufel) und endeten mit Grausamkeit (Da hoben sie Steine auf, dass sie auf ihn würfen), Joh. 8,33.48.59. Darin zeigt sich vornehmlich auch die Niederträchtigkeit der bösen Zunge, dass sie die hasst, die sie verletzt hat (Spr. 26,28 Grundtext), wie auch das Sprichwort sagt: Generis humani est odisse quem laeseris. Edward Reyner † 1670.
In dem Tröpfchen, das aus dem Stachel des kleinsten Insektes oder den Brennhaaren der Nessel in die Haut eindringt, ist der Kraftauszug eines Giftes enthalten, so fein, dass das Mikroskop es kaum entdecken kann, und doch so kräftig, dass es das Blut erhitzen, den ganzen Körper in einen Fieberzustand bringen und den Menschen Tag und Nacht in ruhelose Qual versetzen kann. So ist es auch oft mit den Worten der Afterredner. F. W.Robertson † 1853.
Regelmäßige Lesung aus der Schatzkammer Davids von Spurgeon
Moderatoren: Der Pilgrim, Anton, Peter01
Psalm 120
Erläuterungen und Kernworte
V. 3. Wiewohl der Psalmist mit einer guten Nachricht angefangen, wie ihn seine Not ins Gebet getrieben, und wie es nicht ohne Erhörung geblieben (V. 1 f.), klagt er doch hernach beweglich, wie viel ihm die Versuchung von bösen Zungen zu schaffen gemacht und wie sich sein Pilgrimssinn in ein so ernstliches Heimweh treibe (V. 3-7). Ohne Kampf geht das Überwinden des Bösen mit Gutem freilich nicht ab, und wenn man sich schon selbst zusprechen will: "Was ist’s dann, was kann dir die falsche Zunge tun? ", so bricht doch die Empfindlichkeit immer wieder wie eine nicht gründlich geheilte Wunde auf, bis Gebet und dessen Erhörung, Hoffnung, jene Häuser des Friedens in der verheißenen Ruhe zu erreichen, als Balsam darein fließt und gründlich heilet. Karl H. Rieger † 1791.
V. 3.4. Der Sinn des dritten Verses und dementsprechend auch des folgenden ist höchst streitig. Die Auffassung richtet sich je nach der Beantwortung folgender drei Fragen: 1) Was ist als Subjekt zu "wird geben" anzunehmen, Jahve (oder etwa ein unbestimmtes persönliches Subjekt, "man",) oder die falsche Zunge? 2) Wer ist mit "dir" angeredet - die falsche Zunge oder Jahve oder der unter der falschen Zunge Leidende (Luther)? 3) Enthält V. 4 eine Antwort auf die Frage V. 3 oder eine nähere Beifügung zu "Zunge" (Luther)? Aus der verschiedenen Zusammenstellung der Antworten auf diese drei Fragen ergibt sich eine Menge verschiedener Auffassungen, die alle ihre Vertreter gefunden haben. Nur einige dieser Auffassungen seien angeführt. - Nimmt man die falsche Zunge als Subjekt (was möglich ist, obwohl Zunge im Hebr. Femininum, da das maskuline NtI"yi als flexionslos vorausgehendes Prädikat erklärbar ist), so kann entweder (mit Luther) der Dichter seiner eigenen Seele die Frage vorlegen - oder aber man fasst Jehovah als angeredet auf, so z. B. Bäthgen, der sagt: Der Sinn des Verses wird erläutert durch Hiob 10,3, wo der gequälte Hiob an Gott die Frage richtet: "Hast du gut davon, dass ... du zu dem Plan des Gottlosen leuchtest?" Dann wäre V. 4 die sarkastische Antwort auf diese sarkastische Frage: Die scharfen Pfeile und glühenden (brandstiftenden) Kohlen der Lügner, die Gott in den Seinen treffen, sind alles, was die Frevler Gott dafür bieten, dass er sie duldet. Oder man kann, in beiden Fällen, V. 4 (nicht als eine Antwort auf V. 3, sondern) als eine appositionelle Aussage über die falsche Zunge auffassen, in welchem Falle im Deutschen mit Luther zur Klarheit zu ergänzen ist: Sie, die ist wie ... - Viele Ausleger (schon Theodoret) halten es jedoch mit der auch von Spurgeon oben gegebenen Auffassung, wonach die lügnerische Zunge (oder der Lügenredner) angeredet ist und in der Frage und Antwort V. 3.4 die Androhung der göttlichen Strafe an die Lügner enthalten ist. Die Ausdrucksweise V. 3 wäre dann aus der gewöhnlichen Schwurformel (1. Samuel 3,17 usw.) hervorgegangen. Bei dieser Fassung lässt sich auch das K:lf als Femininform (statt als männl. Pausalform) festhalten, und der Wechsel von Kfl: und K:lf erklärt sich glatt in der von uns in der Übersetzung angedeuteten Weise.- James Millard
V. 4. Ginster, rotem, Genista Raetem Forsk, ist der ansehnlichste Strauch in den Wüsten Arabiens, der häufig in Tälern und Wasserbecken wächst, von mäßiger Höhe, mit dünnen, gekerbten, einander gegenüberstehenden Zweigen (wie Ruten), einfachen Blättern, kleinen weißen Blüten und länglichrunden, schotenähnlichen Früchten, welche zwei Reihen Samenkörner enthalten. Die Wurzel ist ungemein bitter und kann nur bei der größten Dürftigkeit als Nahrung dienen (Hiob 30,4). Sie wird gewöhnlich zur Feuerung gebraucht, und nur daran will De Wette in der Stelle Ps. 120,4 gedacht wissen. Anders Forskal, der sagt, der Strauch knistere beim Brennen wie der Wacholder. Allein es ist im Psalm von Ginsterkohlen die Rede. Wenn sich nun erweisen ließe, dass diese lange fortglimmen (Ursini), so wäre jene Vergleichung dem Sinne nach übereinstimmend mit dem arabischen Dichtern sehr geläufigen "Er hat mir Gadhakohlen ins Herz gelegt". Dass der Ginsterstrauch eine gute Kohle gebe, erhellt aus Burckhardt’s Reisen. G. B. Winer 1847.
Hier (im Wadi Kinnah) fanden wir mehrere Beduinen damit beschäftigt, Reisig zu sammeln, das sie zu Holzkohlen brennen für den Markt von Kairo. Sie ziehen für diesen Zweck die dicken Wurzeln des Retamstrauchs, Genista Raetem, vor, der hier in Menge wächst. J. L. Burckhardt † 1817.
Jüdische Ausleger verstanden (irrtümlich) unter dem Retam den Wacholder. Im Midrasch findet sich eine merkwürdige Erzählung. Zwei Männer saßen in der Wüste unter einem Wacholderstrauch nieder und sammelten Reisig davon, womit sie sich ihr Mahl kochten. Nach Verlauf eines Jahres kamen sie wieder an diese Stelle, wo die Asche noch vorhanden war. Indem sie die Bemerkung machten, dass es nun zwölf Monate her sei, seit sie hier sich ein Feuer gemacht, gingen sie sorglos über den Aschenstaub und verbrannten sich die Füße an den Kohlen, die noch nicht ausgelöscht waren, sondern tief unter der Asche noch fortglimmten. H. T. Armfield 1874.
V. 5. Die Araber, zu denen die Kedarener gehören, sind von Natur diebisch und betrügerisch, und es kommt vor, dass die gleichen Leute, die des Nachts bei den Beduinen mit aller Gastfreundschaft Aufnahme gefunden, andern Tags, wenn sie sich aus ihrem Gebiet entfernt haben, von ihnen überfallen und ausgeplündert werden. Und nicht nur räubern sie Fremde aus und überfallen sie fast jeden, der ihnen wehrlos begegnet, sondern sie liegen auch fast beständig miteinander im Kampfe und erfüllen somit wörtlich die alte Weissagung 1. Mose 16,12. Th. Shaw † 1751.
V. 7. Ich halte (wörtl. bin) Frieden usw. Jesus war ein Mann des Friedens. Er kam in die Welt als der Friedebringer und ward schon bei seiner Geburt als solcher gefeiert. Er lebte, um Frieden zu machen durch das Blut seines Kreuzes, und als er im Begriff war, aus der Welt zu gehen, sprach er zu seinen Jüngern: Den Frieden lasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch. Als er von dem Tode erstanden war und seinen Jüngern zum ersten Mal erschien, sprach er zu ihnen: Friede sei mit euch. Er ist der Friedensstifter, der Heilige Geist der Friedenbringer. Sein Evangelium ist das Evangelium des Friedens; es enthält den Frieden Gottes, der höher ist denn alle Vernunft. Dennoch hasste und verabscheute ihn der größte Teil des jüdischen Volkes und ruhte nicht, bis es seinen Tod erreicht hatte. Ein Vorbild von diesem Friedefürsten war David mit seiner Friedensliebe und all der Feindschaft, die er von Saul und anderen erfuhr. Sam. E. Pierce † 1829.
Gute Menschen lieben den Frieden, beten darum, suchen ihn, halten darüber und geben alles darum, außer ihr gutes Gewissen. Ich möchte, sagte einst Henry Ruffner († 1861), eine Stunde brüderlicher Liebe wahrlich nicht um eine ganze Ewigkeit des Wettstreits hergeben. C. H. Spurgeon 1890.
Homiletische Winke
V. 1.
Zum HERRN rief ich usw. 1) Eine Erinnerung dreifacher Art: an Not, Gebet und Errettung. 2) Dreifache Frucht derselben: Sie belebt meine Hoffnung, macht mich inbrünstig im Bitten und erweckt mich zu Dankbarkeit.
V. 2.
Ungerecht Verleumdete haben vielerlei Trost. 1) Das Bewusstsein ihrer Unschuld. 2) Die Erfahrungswahrheit, dass Lügen meist ein kurzes Dasein haben, ihren eigenen Herren schlagen, und es oft nur geduldig zu warten gilt, da die Rechtfertigung mit der Zeit von selber kommt. 3) Die Seligpreisung im Leiden, Mt. 5,11. 4) Gottes Verheißung der Bewahrung in den Leiden und 5) der Errettung aus denselben und der Rächung aller Verleumdungen. - Nach Robert Nisbet 1863.
Ein Gebet wider die Verleumdung. Wir sind der Gefahr der Verleumdung ausgesetzt. Käme sie über uns, so würde sie uns schwere Unbill und großes Herzeleid bereiten. Dennoch kann niemand als der HERR selbst uns vor ihr schützen oder aus ihr erretten.
V. 3.
1) Was tut der Verleumder andern? 2) Was tut er sich selbst? 3) Was wird Gott mit ihm tun?
V. 4.
Die Natur und die Strafe der Verleumdung.
1) Die Zunge ist schärfer als ein Pfeil. a) Sie schießt heimlich. b) Sie hat eine giftige Spitze. c) Sie ist aufs feinste geglättet mit scheinbarer Freundlichkeit. d) Sie zielt auf den zartesten, verwundbarsten Teil. 2) Die Zunge ist verderblicher als Feuer. Die bösen Gerüchte, die sie aufbringt, laufen schneller als Feuer. Sie verderben, was von anderem Feuer nicht angegriffen werden kann, und sind schwerer zu löschen als Feuer. George Rogers 1890.
V. 5.
Schlimme Wohnungsnot. Nur Gottlose können sich unter Gottlosen heimisch fühlen. Müssen wir neben oder unter ihnen wohnen, so ist das eine schmerzliche Prüfung. Und doch kann es nützlich sein, a) für sie, b) für uns selbst - denn es stellt unsere Tugenden auf die Probe, enthüllt das Innerste unseres Wesens, schlägt unseren Hochmut nieder, treibt uns ins Gebet und vertieft in uns das rechte Heimweh.
1) Nur Böse haben Freude an der Gesellschaft der Bösen. 2) Nur weltlich Gesinnte haben Freude an der Gesellschaft von Weltkindern. 3) Nur Gerechte haben Freude an der Gesellschaft Gerechter. George Rogers 1890.
V. 6.7.
1) Unleidliche Gesellschaft (V. 6). 2) Bewundernswertes Verhalten (V. 7a). 3) Trotzdem sehr unerwünschte Folgen (V. 7b).
V. 7.
Der Gottselige hat Frieden, hält Frieden, ist ganz Friede und wird ewig Frieden haben.
1) Frömmigkeit und Friede gehören zusammen; so auch 2) Gottlosigkeit und Unfriede. George Rogers 1890.
V. 3. Wiewohl der Psalmist mit einer guten Nachricht angefangen, wie ihn seine Not ins Gebet getrieben, und wie es nicht ohne Erhörung geblieben (V. 1 f.), klagt er doch hernach beweglich, wie viel ihm die Versuchung von bösen Zungen zu schaffen gemacht und wie sich sein Pilgrimssinn in ein so ernstliches Heimweh treibe (V. 3-7). Ohne Kampf geht das Überwinden des Bösen mit Gutem freilich nicht ab, und wenn man sich schon selbst zusprechen will: "Was ist’s dann, was kann dir die falsche Zunge tun? ", so bricht doch die Empfindlichkeit immer wieder wie eine nicht gründlich geheilte Wunde auf, bis Gebet und dessen Erhörung, Hoffnung, jene Häuser des Friedens in der verheißenen Ruhe zu erreichen, als Balsam darein fließt und gründlich heilet. Karl H. Rieger † 1791.
V. 3.4. Der Sinn des dritten Verses und dementsprechend auch des folgenden ist höchst streitig. Die Auffassung richtet sich je nach der Beantwortung folgender drei Fragen: 1) Was ist als Subjekt zu "wird geben" anzunehmen, Jahve (oder etwa ein unbestimmtes persönliches Subjekt, "man",) oder die falsche Zunge? 2) Wer ist mit "dir" angeredet - die falsche Zunge oder Jahve oder der unter der falschen Zunge Leidende (Luther)? 3) Enthält V. 4 eine Antwort auf die Frage V. 3 oder eine nähere Beifügung zu "Zunge" (Luther)? Aus der verschiedenen Zusammenstellung der Antworten auf diese drei Fragen ergibt sich eine Menge verschiedener Auffassungen, die alle ihre Vertreter gefunden haben. Nur einige dieser Auffassungen seien angeführt. - Nimmt man die falsche Zunge als Subjekt (was möglich ist, obwohl Zunge im Hebr. Femininum, da das maskuline NtI"yi als flexionslos vorausgehendes Prädikat erklärbar ist), so kann entweder (mit Luther) der Dichter seiner eigenen Seele die Frage vorlegen - oder aber man fasst Jehovah als angeredet auf, so z. B. Bäthgen, der sagt: Der Sinn des Verses wird erläutert durch Hiob 10,3, wo der gequälte Hiob an Gott die Frage richtet: "Hast du gut davon, dass ... du zu dem Plan des Gottlosen leuchtest?" Dann wäre V. 4 die sarkastische Antwort auf diese sarkastische Frage: Die scharfen Pfeile und glühenden (brandstiftenden) Kohlen der Lügner, die Gott in den Seinen treffen, sind alles, was die Frevler Gott dafür bieten, dass er sie duldet. Oder man kann, in beiden Fällen, V. 4 (nicht als eine Antwort auf V. 3, sondern) als eine appositionelle Aussage über die falsche Zunge auffassen, in welchem Falle im Deutschen mit Luther zur Klarheit zu ergänzen ist: Sie, die ist wie ... - Viele Ausleger (schon Theodoret) halten es jedoch mit der auch von Spurgeon oben gegebenen Auffassung, wonach die lügnerische Zunge (oder der Lügenredner) angeredet ist und in der Frage und Antwort V. 3.4 die Androhung der göttlichen Strafe an die Lügner enthalten ist. Die Ausdrucksweise V. 3 wäre dann aus der gewöhnlichen Schwurformel (1. Samuel 3,17 usw.) hervorgegangen. Bei dieser Fassung lässt sich auch das K:lf als Femininform (statt als männl. Pausalform) festhalten, und der Wechsel von Kfl: und K:lf erklärt sich glatt in der von uns in der Übersetzung angedeuteten Weise.- James Millard
V. 4. Ginster, rotem, Genista Raetem Forsk, ist der ansehnlichste Strauch in den Wüsten Arabiens, der häufig in Tälern und Wasserbecken wächst, von mäßiger Höhe, mit dünnen, gekerbten, einander gegenüberstehenden Zweigen (wie Ruten), einfachen Blättern, kleinen weißen Blüten und länglichrunden, schotenähnlichen Früchten, welche zwei Reihen Samenkörner enthalten. Die Wurzel ist ungemein bitter und kann nur bei der größten Dürftigkeit als Nahrung dienen (Hiob 30,4). Sie wird gewöhnlich zur Feuerung gebraucht, und nur daran will De Wette in der Stelle Ps. 120,4 gedacht wissen. Anders Forskal, der sagt, der Strauch knistere beim Brennen wie der Wacholder. Allein es ist im Psalm von Ginsterkohlen die Rede. Wenn sich nun erweisen ließe, dass diese lange fortglimmen (Ursini), so wäre jene Vergleichung dem Sinne nach übereinstimmend mit dem arabischen Dichtern sehr geläufigen "Er hat mir Gadhakohlen ins Herz gelegt". Dass der Ginsterstrauch eine gute Kohle gebe, erhellt aus Burckhardt’s Reisen. G. B. Winer 1847.
Hier (im Wadi Kinnah) fanden wir mehrere Beduinen damit beschäftigt, Reisig zu sammeln, das sie zu Holzkohlen brennen für den Markt von Kairo. Sie ziehen für diesen Zweck die dicken Wurzeln des Retamstrauchs, Genista Raetem, vor, der hier in Menge wächst. J. L. Burckhardt † 1817.
Jüdische Ausleger verstanden (irrtümlich) unter dem Retam den Wacholder. Im Midrasch findet sich eine merkwürdige Erzählung. Zwei Männer saßen in der Wüste unter einem Wacholderstrauch nieder und sammelten Reisig davon, womit sie sich ihr Mahl kochten. Nach Verlauf eines Jahres kamen sie wieder an diese Stelle, wo die Asche noch vorhanden war. Indem sie die Bemerkung machten, dass es nun zwölf Monate her sei, seit sie hier sich ein Feuer gemacht, gingen sie sorglos über den Aschenstaub und verbrannten sich die Füße an den Kohlen, die noch nicht ausgelöscht waren, sondern tief unter der Asche noch fortglimmten. H. T. Armfield 1874.
V. 5. Die Araber, zu denen die Kedarener gehören, sind von Natur diebisch und betrügerisch, und es kommt vor, dass die gleichen Leute, die des Nachts bei den Beduinen mit aller Gastfreundschaft Aufnahme gefunden, andern Tags, wenn sie sich aus ihrem Gebiet entfernt haben, von ihnen überfallen und ausgeplündert werden. Und nicht nur räubern sie Fremde aus und überfallen sie fast jeden, der ihnen wehrlos begegnet, sondern sie liegen auch fast beständig miteinander im Kampfe und erfüllen somit wörtlich die alte Weissagung 1. Mose 16,12. Th. Shaw † 1751.
V. 7. Ich halte (wörtl. bin) Frieden usw. Jesus war ein Mann des Friedens. Er kam in die Welt als der Friedebringer und ward schon bei seiner Geburt als solcher gefeiert. Er lebte, um Frieden zu machen durch das Blut seines Kreuzes, und als er im Begriff war, aus der Welt zu gehen, sprach er zu seinen Jüngern: Den Frieden lasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch. Als er von dem Tode erstanden war und seinen Jüngern zum ersten Mal erschien, sprach er zu ihnen: Friede sei mit euch. Er ist der Friedensstifter, der Heilige Geist der Friedenbringer. Sein Evangelium ist das Evangelium des Friedens; es enthält den Frieden Gottes, der höher ist denn alle Vernunft. Dennoch hasste und verabscheute ihn der größte Teil des jüdischen Volkes und ruhte nicht, bis es seinen Tod erreicht hatte. Ein Vorbild von diesem Friedefürsten war David mit seiner Friedensliebe und all der Feindschaft, die er von Saul und anderen erfuhr. Sam. E. Pierce † 1829.
Gute Menschen lieben den Frieden, beten darum, suchen ihn, halten darüber und geben alles darum, außer ihr gutes Gewissen. Ich möchte, sagte einst Henry Ruffner († 1861), eine Stunde brüderlicher Liebe wahrlich nicht um eine ganze Ewigkeit des Wettstreits hergeben. C. H. Spurgeon 1890.
Homiletische Winke
V. 1.
Zum HERRN rief ich usw. 1) Eine Erinnerung dreifacher Art: an Not, Gebet und Errettung. 2) Dreifache Frucht derselben: Sie belebt meine Hoffnung, macht mich inbrünstig im Bitten und erweckt mich zu Dankbarkeit.
V. 2.
Ungerecht Verleumdete haben vielerlei Trost. 1) Das Bewusstsein ihrer Unschuld. 2) Die Erfahrungswahrheit, dass Lügen meist ein kurzes Dasein haben, ihren eigenen Herren schlagen, und es oft nur geduldig zu warten gilt, da die Rechtfertigung mit der Zeit von selber kommt. 3) Die Seligpreisung im Leiden, Mt. 5,11. 4) Gottes Verheißung der Bewahrung in den Leiden und 5) der Errettung aus denselben und der Rächung aller Verleumdungen. - Nach Robert Nisbet 1863.
Ein Gebet wider die Verleumdung. Wir sind der Gefahr der Verleumdung ausgesetzt. Käme sie über uns, so würde sie uns schwere Unbill und großes Herzeleid bereiten. Dennoch kann niemand als der HERR selbst uns vor ihr schützen oder aus ihr erretten.
V. 3.
1) Was tut der Verleumder andern? 2) Was tut er sich selbst? 3) Was wird Gott mit ihm tun?
V. 4.
Die Natur und die Strafe der Verleumdung.
1) Die Zunge ist schärfer als ein Pfeil. a) Sie schießt heimlich. b) Sie hat eine giftige Spitze. c) Sie ist aufs feinste geglättet mit scheinbarer Freundlichkeit. d) Sie zielt auf den zartesten, verwundbarsten Teil. 2) Die Zunge ist verderblicher als Feuer. Die bösen Gerüchte, die sie aufbringt, laufen schneller als Feuer. Sie verderben, was von anderem Feuer nicht angegriffen werden kann, und sind schwerer zu löschen als Feuer. George Rogers 1890.
V. 5.
Schlimme Wohnungsnot. Nur Gottlose können sich unter Gottlosen heimisch fühlen. Müssen wir neben oder unter ihnen wohnen, so ist das eine schmerzliche Prüfung. Und doch kann es nützlich sein, a) für sie, b) für uns selbst - denn es stellt unsere Tugenden auf die Probe, enthüllt das Innerste unseres Wesens, schlägt unseren Hochmut nieder, treibt uns ins Gebet und vertieft in uns das rechte Heimweh.
1) Nur Böse haben Freude an der Gesellschaft der Bösen. 2) Nur weltlich Gesinnte haben Freude an der Gesellschaft von Weltkindern. 3) Nur Gerechte haben Freude an der Gesellschaft Gerechter. George Rogers 1890.
V. 6.7.
1) Unleidliche Gesellschaft (V. 6). 2) Bewundernswertes Verhalten (V. 7a). 3) Trotzdem sehr unerwünschte Folgen (V. 7b).
V. 7.
Der Gottselige hat Frieden, hält Frieden, ist ganz Friede und wird ewig Frieden haben.
1) Frömmigkeit und Friede gehören zusammen; so auch 2) Gottlosigkeit und Unfriede. George Rogers 1890.
Wer sich nur nach dem, was er fühlt, richtet, der verliert Christus. (Martin Luther)
Psalm 121
PSALM 121 (Auslegung & Kommentar)
Überschrift
Dieser Psalm trägt keine andere Überschrift als die: (Ein Lied im höhern Chor, oder:) Ein Wallfahrtslied. Betrachten wir ihn als Stufenlied im geistlichen Sinn, so finden wir ihn mehrere Stufen höher als seinen Vorgänger; denn er spricht zu uns von dem Frieden des Hauses Gottes und von der über uns wachenden Fürsorge des HERRN, während der Psalm 120 den Mangel an Frieden in der Welt beklagte, in der der Gottselige noch weilen muss, und auch die boshaften Angriffe, denen er da von verleumderischen Zungen ausgesetzt sei. In jenem Psalm blickten die Augen des Dichters mit brennendem Schmerz um sich her, hier schauen sie voll freudiger Hoffnung aufwärts. Gott der treue Menschenhüter, diese in unseren Bibeln übliche Überschrift des Psalms prägen wir uns gerne ein; enthält sie doch das immer wiederkehrende Stichwort des Psalmes (Hüter, behüten). Stünde der Psalm nicht unter den Wallfahrtsliedern, so würden wir ihn als einen Kriegergesang ansehen, trefflich geeignet als Abendlied eines gottseligen Helden, der sich am Abend vor der Schlacht in seinem Zelt damit zur Ruhe niederlegt. Doch ebenso trefflich eignet sich der Psalm als Pilgerlied, wie er denn wohl in unzähligen Häusern von Gotteskindern je und je gelesen oder gesungen wird, wenn der Hausvater oder eines seiner Lieben zu einer Reise aufbricht. Das stufenmäßige Aufsteigen, das Gesenius und andere an manchen dieser "Stufenpsalmen" nachgewiesen haben, tritt in diesem Liede besonders auffallend hervor (siehe die Vorbemerkungen S. 6); es steigt auch geistlich immer höher auf zu der höchsten Höhe zuversichtlichen Vertrauens.
Auslegung
1.
Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen,
von welchen mir Hilfe kommt.
2.
Meine Hilfe kommt von dem HERRN,
der Himmel und Erde gemacht hat.
3.
Er wird deinen Fuß nicht gleiten lassen,
und der dich behütet, schläft nicht.
4.
Siehe, der Hüter Israels
schläft noch schlummert nicht.
5.
Der HERR behütet dich,
der HERR ist dein Schatten über deiner rechten Hand,
6.
dass dich des Tages die Sonne nicht steche
noch der Mond des Nachts.
7.
Der HERR behüte dich vor allem Übel,
er behüte deine Seele.
8.
Der HERR behüte deinen Ausgang und Eingang
von nun an bis in Ewigkeit.
1. Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen, von welchen mir Hilfe kommt. Es ist klug, zum Starken um Stärke aufzuschauen. Leute, die in den Niederungen wohnen, sind manchen Übeln unterworfen, für die es keine Heilung gibt, als durch einen Aufenthalt in Höhenluft, und sie tun wohl, wenn sie die schlaffe Bequemlichkeit abschütteln und sich zu einer tüchtigen Bergfahrt entschließen. Unten im Tal fielen gar manche in alten Zeiten den Plünderern zur Beute, und das sicherste Mittel, diesen zu entrinnen, war, in die festen Burgen auf den Bergen zu fliehen. Oft schauten wohl die Siechen oder wehrlose, der Plünderung ausgesetzte Leute, ehe sie wirklich hinaufstiegen, sehnsuchtsvoll auf zu den Bergen: Ach, wären wir doch schon droben! Der Gottesmann, der dies auserlesene kleine Lied gedichtet hat, schaute hinweg von den Verleumdern, die ihn nach dem Psalm 120 so quälten, auf zu dem HERRN, der von seiner erhabenen Höhe alles sah und bereit war, seinem so übel behandelten Knechte Hilfe herab zu senden. Hilfe kommt Gottes Kindern nur von oben, vergeblich würden sie sich anderwärts danach umsehen. So lasst uns denn unsere Augen aufheben voll Hoffnung und Erwartung, voll Verlangen und Vertrauen. Der Satan wird sich bemühen, unsere Augen auf unsere Sorgen und Kümmernisse gerichtet zu halten, damit wir beunruhigt und entmutigt werden. Umso fester sei unser Entschluss, aus- und aufzuschauen, denn von da droben winkt uns ein erfreulicher Anblick, und wer seine Augen zu den ewigen Hügeln erhebt, dem wird bald auch der Mut sich heben. Der ewige Vorsatz Gottes, die göttlichen Vollkommenheiten, die unwandelbaren Verheißungen, der Bund, so fest geordnet in allen Stücken und sicher in jeder Beziehung, die Vorsehung, die Erwählung und die erprobte Treue des HERRN - das sind die Berge, zu denen wir unsere Augen aufheben müssen, denn von daher muss unsere Hilfe kommen. Wir sind entschlossen, uns nicht fesseln und die Augen verbinden zu lassen, sondern sie fest und unentwegt in die Höhe zu richten.
Oder ist der Satz als Frage zu fassen? Die Sprachgelehrten sagen uns allerdings, dass nur die Übersetzung berechtigt sei: Woher wird mir Hilfe kommen? Verschiedenerlei Gedanken können dieser Frage zugrunde liegen. Fühlt der Dichter, dass auch die höchsten Örter der Erde ihm keine Zuflucht geben können vor den Gefahren und Leiden, die ihn bestürmen? Oder weist er etwa den Gedanken von sich, unter den tapferen Bergbewohnern sich nach Hilfstruppen umzusehen, die zu seinem Banner eilen würden? Oder denkt er, was das Nächstliegende zu sein scheint, bei den Bergen an die Höhen, die Jerusalem umgeben? Jedenfalls enthält der nächste Vers die Antwort, indem er klar zeigt, von woher alle Hilfe kommen muss.
2. Meine Hilfe kommt von dem HERRN, der Himmel und Erde gemacht hat. Was wir brauchen, ist Hilfe, mächtige, wirksame, dauernde Hilfe, eine Hilfe, die sich in Nöten erprobt und nie versagt. Wie wohl sind wir daran, dass wir sie in unserem Gott haben! Unsere Hoffnung steht auf Jehovah, denn unsere Hilfe kommt von ihm. Die Hilfe ist schon unterwegs und wird unfehlbar zur rechten Zeit eintreffen; denn es wurde noch nie gehört, dass er, der sie sendet, damit zu spät gekommen wäre. Der Ewige, der alles erschaffen hat, ist jeder Not, jeder Anforderung gewachsen. Himmel und Erde stehen ihm zur Verfügung, der sie ins Dasein gerufen hat; darum lasst uns uns freuen und fröhlich sein über unseren Helfer, der keine Schranken kennt. Er würde eher Himmel und Erde zugrunde gehen lassen, als zulassen, dass sein Volk zugrunde gehe, und eher werden selbst die ewigen Berge zerbersten, die uralten Hügel sinken, als dass er versagen sollte, dessen Pfade von Ewigkeit her sind (Hab. 3,6). Wir müssen über Himmel und Erde hinweg aufblicken zu dem, der sie beide gemacht hat; denn eitel ist es, auf die Kreatur zu trauen, und einzig vernünftig, auf den Schöpfer seine Hoffnung zu setzen.
3. Er wird deinen Fuß nicht gleiten lassen. Wiewohl die Pfade des Lebens gefährlich und beschwerlich sind, werden wir doch festen Schrittes vorwärts wandeln, denn der Ewige wird unseren Fuß nicht wanken lassen; und was er nicht zulässt, wie sollte uns das widerfahren? Wenn aber unser Fuß also behütet wird, so mögen wir gewiss sein, dass auch unser Haupt und unser Herz werden bewahrt werden. Manche Ausleger (z. B. Hupfeld, Moll) fassen nach Hieronymus die Worte als einen Gebetswunsch auf: Möge er nicht wanken lassen deinen Fuß. Die in Gottes Wort uns so vielfach verheißene Bewahrung sollte uns allerdings beständig ein Gegenstand des Gebetes sein. Und wir dürfen mit der Gewissheit der Erhörung beten; denn die Gott zu ihrem Hüter haben, sind vor allen Gefahren ihres Weges sicher. Diese Gewissheit des Glaubens scheint wohl eher der eigentliche Sinn des Grundtextes zu sein, den danach Bäthgen und Keßler so schön übersetzen: Er kann deinen Fuß nicht wanken lassen. Der Dichter gibt leidenschaftlich seiner Gewissheit Ausdruck, dass das schlechterdings unmöglich sei. Das Wanken des Fußes wird in der Schrift häufig als Bild des Unglücks gebraucht (z. B. Ps. 38,17; 66,9). In den Bergen und Schluchten Palästinas, wo ein einziger Fehltritt in so große Gefahr stürzen kann, ist das buchstäbliche Bewahrtwerden des Fußes eine große Sache; auf den schlüpfrigen Wegen eines versuchungs- und trübsalreichen Lebens aber ist es eine Gnade von ganz unschätzbarem Wert, wenn wir aufrecht erhalten werden, denn ein falscher Schritt kann da erst recht zum gefährlichsten Sturze führen. Dass wir uns aufrecht halten und mit gleichmäßigen Schritten den vorgeschriebenen Weg verfolgen, ist ein Segen, den Gott allein geben kann, der ferner der göttlichen Hand würdig und unseres immerwährenden Dankes wert ist. Und der dich behütet, schläft nicht, oder (siehe oben): Dein Hüter kann nicht schlummern! Wir würden uns nicht einen Augenblick auf den Füßen halten, wenn unser Führer einschliefe. Wir bedürfen ihn Tag und Nacht; nicht einen Schritt können wir sicher tun, es sei denn unter der Hut seines treuen Auges. Welch köstliche Worte gerade für ein Pilgerlied! Gott ist der Geleitsmann und Leibwächter seiner Heiligen. Ob Gefahren ringsum wachen, sind wir dennoch sicher, denn auch er, der uns erhält, ist wach und wird nicht zulassen, dass wir unversehens von ihnen überfallen und zum Sturz gebracht werden. Unsern Gott übermannt keine Müdigkeit, keine Erschöpfung lässt ihn in Schlaf sinken, seine wachsamen Augen schließen sich nie.
Überschrift
Dieser Psalm trägt keine andere Überschrift als die: (Ein Lied im höhern Chor, oder:) Ein Wallfahrtslied. Betrachten wir ihn als Stufenlied im geistlichen Sinn, so finden wir ihn mehrere Stufen höher als seinen Vorgänger; denn er spricht zu uns von dem Frieden des Hauses Gottes und von der über uns wachenden Fürsorge des HERRN, während der Psalm 120 den Mangel an Frieden in der Welt beklagte, in der der Gottselige noch weilen muss, und auch die boshaften Angriffe, denen er da von verleumderischen Zungen ausgesetzt sei. In jenem Psalm blickten die Augen des Dichters mit brennendem Schmerz um sich her, hier schauen sie voll freudiger Hoffnung aufwärts. Gott der treue Menschenhüter, diese in unseren Bibeln übliche Überschrift des Psalms prägen wir uns gerne ein; enthält sie doch das immer wiederkehrende Stichwort des Psalmes (Hüter, behüten). Stünde der Psalm nicht unter den Wallfahrtsliedern, so würden wir ihn als einen Kriegergesang ansehen, trefflich geeignet als Abendlied eines gottseligen Helden, der sich am Abend vor der Schlacht in seinem Zelt damit zur Ruhe niederlegt. Doch ebenso trefflich eignet sich der Psalm als Pilgerlied, wie er denn wohl in unzähligen Häusern von Gotteskindern je und je gelesen oder gesungen wird, wenn der Hausvater oder eines seiner Lieben zu einer Reise aufbricht. Das stufenmäßige Aufsteigen, das Gesenius und andere an manchen dieser "Stufenpsalmen" nachgewiesen haben, tritt in diesem Liede besonders auffallend hervor (siehe die Vorbemerkungen S. 6); es steigt auch geistlich immer höher auf zu der höchsten Höhe zuversichtlichen Vertrauens.
Auslegung
1.
Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen,
von welchen mir Hilfe kommt.
2.
Meine Hilfe kommt von dem HERRN,
der Himmel und Erde gemacht hat.
3.
Er wird deinen Fuß nicht gleiten lassen,
und der dich behütet, schläft nicht.
4.
Siehe, der Hüter Israels
schläft noch schlummert nicht.
5.
Der HERR behütet dich,
der HERR ist dein Schatten über deiner rechten Hand,
6.
dass dich des Tages die Sonne nicht steche
noch der Mond des Nachts.
7.
Der HERR behüte dich vor allem Übel,
er behüte deine Seele.
8.
Der HERR behüte deinen Ausgang und Eingang
von nun an bis in Ewigkeit.
1. Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen, von welchen mir Hilfe kommt. Es ist klug, zum Starken um Stärke aufzuschauen. Leute, die in den Niederungen wohnen, sind manchen Übeln unterworfen, für die es keine Heilung gibt, als durch einen Aufenthalt in Höhenluft, und sie tun wohl, wenn sie die schlaffe Bequemlichkeit abschütteln und sich zu einer tüchtigen Bergfahrt entschließen. Unten im Tal fielen gar manche in alten Zeiten den Plünderern zur Beute, und das sicherste Mittel, diesen zu entrinnen, war, in die festen Burgen auf den Bergen zu fliehen. Oft schauten wohl die Siechen oder wehrlose, der Plünderung ausgesetzte Leute, ehe sie wirklich hinaufstiegen, sehnsuchtsvoll auf zu den Bergen: Ach, wären wir doch schon droben! Der Gottesmann, der dies auserlesene kleine Lied gedichtet hat, schaute hinweg von den Verleumdern, die ihn nach dem Psalm 120 so quälten, auf zu dem HERRN, der von seiner erhabenen Höhe alles sah und bereit war, seinem so übel behandelten Knechte Hilfe herab zu senden. Hilfe kommt Gottes Kindern nur von oben, vergeblich würden sie sich anderwärts danach umsehen. So lasst uns denn unsere Augen aufheben voll Hoffnung und Erwartung, voll Verlangen und Vertrauen. Der Satan wird sich bemühen, unsere Augen auf unsere Sorgen und Kümmernisse gerichtet zu halten, damit wir beunruhigt und entmutigt werden. Umso fester sei unser Entschluss, aus- und aufzuschauen, denn von da droben winkt uns ein erfreulicher Anblick, und wer seine Augen zu den ewigen Hügeln erhebt, dem wird bald auch der Mut sich heben. Der ewige Vorsatz Gottes, die göttlichen Vollkommenheiten, die unwandelbaren Verheißungen, der Bund, so fest geordnet in allen Stücken und sicher in jeder Beziehung, die Vorsehung, die Erwählung und die erprobte Treue des HERRN - das sind die Berge, zu denen wir unsere Augen aufheben müssen, denn von daher muss unsere Hilfe kommen. Wir sind entschlossen, uns nicht fesseln und die Augen verbinden zu lassen, sondern sie fest und unentwegt in die Höhe zu richten.
Oder ist der Satz als Frage zu fassen? Die Sprachgelehrten sagen uns allerdings, dass nur die Übersetzung berechtigt sei: Woher wird mir Hilfe kommen? Verschiedenerlei Gedanken können dieser Frage zugrunde liegen. Fühlt der Dichter, dass auch die höchsten Örter der Erde ihm keine Zuflucht geben können vor den Gefahren und Leiden, die ihn bestürmen? Oder weist er etwa den Gedanken von sich, unter den tapferen Bergbewohnern sich nach Hilfstruppen umzusehen, die zu seinem Banner eilen würden? Oder denkt er, was das Nächstliegende zu sein scheint, bei den Bergen an die Höhen, die Jerusalem umgeben? Jedenfalls enthält der nächste Vers die Antwort, indem er klar zeigt, von woher alle Hilfe kommen muss.
2. Meine Hilfe kommt von dem HERRN, der Himmel und Erde gemacht hat. Was wir brauchen, ist Hilfe, mächtige, wirksame, dauernde Hilfe, eine Hilfe, die sich in Nöten erprobt und nie versagt. Wie wohl sind wir daran, dass wir sie in unserem Gott haben! Unsere Hoffnung steht auf Jehovah, denn unsere Hilfe kommt von ihm. Die Hilfe ist schon unterwegs und wird unfehlbar zur rechten Zeit eintreffen; denn es wurde noch nie gehört, dass er, der sie sendet, damit zu spät gekommen wäre. Der Ewige, der alles erschaffen hat, ist jeder Not, jeder Anforderung gewachsen. Himmel und Erde stehen ihm zur Verfügung, der sie ins Dasein gerufen hat; darum lasst uns uns freuen und fröhlich sein über unseren Helfer, der keine Schranken kennt. Er würde eher Himmel und Erde zugrunde gehen lassen, als zulassen, dass sein Volk zugrunde gehe, und eher werden selbst die ewigen Berge zerbersten, die uralten Hügel sinken, als dass er versagen sollte, dessen Pfade von Ewigkeit her sind (Hab. 3,6). Wir müssen über Himmel und Erde hinweg aufblicken zu dem, der sie beide gemacht hat; denn eitel ist es, auf die Kreatur zu trauen, und einzig vernünftig, auf den Schöpfer seine Hoffnung zu setzen.
3. Er wird deinen Fuß nicht gleiten lassen. Wiewohl die Pfade des Lebens gefährlich und beschwerlich sind, werden wir doch festen Schrittes vorwärts wandeln, denn der Ewige wird unseren Fuß nicht wanken lassen; und was er nicht zulässt, wie sollte uns das widerfahren? Wenn aber unser Fuß also behütet wird, so mögen wir gewiss sein, dass auch unser Haupt und unser Herz werden bewahrt werden. Manche Ausleger (z. B. Hupfeld, Moll) fassen nach Hieronymus die Worte als einen Gebetswunsch auf: Möge er nicht wanken lassen deinen Fuß. Die in Gottes Wort uns so vielfach verheißene Bewahrung sollte uns allerdings beständig ein Gegenstand des Gebetes sein. Und wir dürfen mit der Gewissheit der Erhörung beten; denn die Gott zu ihrem Hüter haben, sind vor allen Gefahren ihres Weges sicher. Diese Gewissheit des Glaubens scheint wohl eher der eigentliche Sinn des Grundtextes zu sein, den danach Bäthgen und Keßler so schön übersetzen: Er kann deinen Fuß nicht wanken lassen. Der Dichter gibt leidenschaftlich seiner Gewissheit Ausdruck, dass das schlechterdings unmöglich sei. Das Wanken des Fußes wird in der Schrift häufig als Bild des Unglücks gebraucht (z. B. Ps. 38,17; 66,9). In den Bergen und Schluchten Palästinas, wo ein einziger Fehltritt in so große Gefahr stürzen kann, ist das buchstäbliche Bewahrtwerden des Fußes eine große Sache; auf den schlüpfrigen Wegen eines versuchungs- und trübsalreichen Lebens aber ist es eine Gnade von ganz unschätzbarem Wert, wenn wir aufrecht erhalten werden, denn ein falscher Schritt kann da erst recht zum gefährlichsten Sturze führen. Dass wir uns aufrecht halten und mit gleichmäßigen Schritten den vorgeschriebenen Weg verfolgen, ist ein Segen, den Gott allein geben kann, der ferner der göttlichen Hand würdig und unseres immerwährenden Dankes wert ist. Und der dich behütet, schläft nicht, oder (siehe oben): Dein Hüter kann nicht schlummern! Wir würden uns nicht einen Augenblick auf den Füßen halten, wenn unser Führer einschliefe. Wir bedürfen ihn Tag und Nacht; nicht einen Schritt können wir sicher tun, es sei denn unter der Hut seines treuen Auges. Welch köstliche Worte gerade für ein Pilgerlied! Gott ist der Geleitsmann und Leibwächter seiner Heiligen. Ob Gefahren ringsum wachen, sind wir dennoch sicher, denn auch er, der uns erhält, ist wach und wird nicht zulassen, dass wir unversehens von ihnen überfallen und zum Sturz gebracht werden. Unsern Gott übermannt keine Müdigkeit, keine Erschöpfung lässt ihn in Schlaf sinken, seine wachsamen Augen schließen sich nie.
Wer sich nur nach dem, was er fühlt, richtet, der verliert Christus. (Martin Luther)