Regelmäßige Lesung aus der Schatzkammer Davids von Spurgeon

Lehrfragen in Theorie und Praxis - also alles von Bibelverständnis über Heilslehre und Gemeindelehre bis Zukunftslehre

Moderatoren: Der Pilgrim, Anton, Peter01

Jörg
Moderator
Beiträge: 2972
Registriert: 04.04.2008 07:47
Wohnort: Essen im Ruhrpott

Psalm 120

Beitrag von Jörg »

6. Es wird meiner Seele lang, zu wohnen bei denen, die den Frieden hassen. Ach ja, lange, lang genug, zu lange schon lebte er wie in der Verbannung unter solchen Barbaren. Friedensstifter sind ein Segen, aber Menschen, die den Frieden hassen, sind ein Fluch. Bei solchen auch nur eine Nacht zu weilen, ist gefährlich; aber bei ihnen wohnen zu müssen, ist schrecklich. Wörtlich heißt es: bei dem Friedenshasser. Luthers Übersetzung wird, wie allgemein angenommen, den Sinn richtig wiedergeben. Doch könnten immerhin des Dichters Gedanken auch, wie wir es in manchen anderen Psalmen sehen, zu einem besonderen Friedensstörer hinüberschweifen. Er hatte genug von ihm und schmachtete danach, solche Gesellschaft verlassen zu können. Vielleicht hatte der Psalmist den Charakter des Mannes nicht gleich durchschaut, eben weil es ein Betrüger war; und als er seine Gesinnung erkannte, da fand er sich vielleicht außerstande, ihn von sich abzuschütteln, und war somit genötigt, ihn um sich zu dulden. Männer wie Doeg, Saul, Ahitophel und die beiden Söhne der Zeruja kommen uns in den Sinn - diese letztgenannten zwar nicht als Feinde, wohl aber als heißblütige Krieger, die David oft zu stark waren (2. Samuel 3,39; 16,10; 19,23). Welche Veränderung war das doch für den Mann Gottes, weg von der Stille der Schafweide zu der Unruhe und dem Ränkespiel des Hoflebens und dem Getümmel und den Leidenschaften des Krieges! Wie muss er sich oft danach gesehnt haben, das Zepter niederzulegen und den Krummstab des Hirten wieder zur Hand nehmen zu können. Die Zeit, die er mit streitsüchtigen Geistern zusammenwohnte, dünkte ihn lang, zu lange, und er ertrug es nur, weil er es eben ertragen musste.

7. Ich halte Frieden, buchstäblich: Ich bin Friede, ich begehre Frieden, halte Frieden, suche Frieden zu stiften, kurz, bin ganz Friede. Aber wenn ich (nur) rede, so fangen sie Krieg an. Meine freundlichsten Worte selbst reizen sie; sofort ziehen sie das Schwert. Mit nichts kann man es ihnen recht machen; bin ich still, so halten sie mich für griesgrämig, und tue ich den Mund auf, so fangen sie sofort an, zu kritteln und zu widersprechen. Mögen solche, die in kampflustiger Gesellschaft wohnen, sich zum Troste daran erinnern, dass sowohl David als auch Davids Herr Trübsal gleicher Art erduldet haben. Es ist der Heiligen Los, dass sie selbst unter ihren eigenen Hausgenossen Feinde finden. Noch andere außer David haben bei den wilden Tieren hausen (Mk. 1,13) und mit ihnen kämpfen (1. Kor. 15,32) müssen, und nicht Daniel allein ist in einer Löwengrube gewesen. Indessen mögen alle, die in stillen Friedenshütten weilen dürfen, für solche Ruhe herzlich danken. Deus nobis haec otia fecit: Gott hat sie uns geschenkt. Sei es unser Bestreben, niemals anderen ein Leid zu bereiten, wovor wir selber gnädig beschützt worden sind.

Erläuterungen und Kernworte

Zum ganzem Psalm. Es ist eine schmerzliche, aber nützliche Lehre, die uns dieser erste der Pilgerpsalmen gibt, dass nämlich alle, die sich entschlossen zeigen, den Geboten Gottes zu gehorchen und sein Wohlgefallen zu suchen, darauf gefasst sein müssen, Widerstand und Schmähungen zu erfahren. Das erlebten auch diese wahrhaftigen Anbeter der alten Zeit, wenn sie sich anschickten, zum Tempel hinauszuziehen, um dort dem HERRN zu nahen. Sie fanden sich bei ihren Vorbereitungen überwacht von feindseligen Augen, und auf ihrem Wege zum Bethause verfolgten sie die Schmähungen und Verdächtigungen gehässiger Zungen. Aber ihre Zuflucht ist bei dem, dem ihre Anbetung gilt; und in der festen Überzeugung, dass er seine Diener niemals im Stiche lassen kann, schauen sie durch die düstern Wolken der üblen Nachreden gläubig auf zu seinem Throne und erflehen sich den Beistand, von dem sie gewiss sind, dass alle seine Kinder ihn stets dort finden werden. O HERR, in dieser meiner Not errette meine Seele! Robert Nisbet 1863.

Die Festbesucher waren im Begriff, ihr Haus zu verlassen, und falsche Zungen lieben es, die Abwesenden anzugreifen. Auch waren sie im Begriff, sich der Schar der übrigen Pilger anzuschließen; wie leicht konnte da in der Erregung des Gesprächs ihre eigene Zunge von der Wahrheit abweichen! Aus dem ganzen Psalm spricht ein tiefes Sehnen nach Frieden; und wann wäre wohl in dieser Welt voll Hader und Verwirrung dies Verlangen nicht zeitgemäß? Kann es uns wundern, wenn ein Israelit, in dessen Herzen ein tiefes Sehnen nach Ruhe und Frieden war, in dem Augenblick, da er sich aufmachte, um zum Tempel zu ziehen, in den Ruf ausbrach: "O nur wieder einmal heraus aus alledem, wenigstens für eine kleine Weile! O heraus aus all der fieberhaften Aufregung und Spannung, heraus aus dem eitlen Getümmel, dem Wirrwar und Lärm und Hader der Welt! O lass mich eine Weile ausruhen und mich erquicken in deinem Heiligtum, in der geweihten Freistatt meines Gottes! Ja, o du Gott des Friedens, gewähre mir deinen Frieden, wenn ich anbete in deiner heiligen Gegenwart, und lass mich, wenn ich in die Welt zurückkehre, sie besser wiederfinden oder wenigstens mich ein besseres, geduldigeres Herz für die Pflichten und den Kampf in der Welt heimbringen." S. Cox 1874.

V. 1. Ich rufe zu dem HERRN in meiner Not. Es ist kein besserer Meister, beten zu lehren, denn die Not. Dies habe ich in Erfahrung, dass ich nimmer so wohl bete, als in Trübsalen. Dies ist das scharfe Gewürze, welches auch in David den Hunger und die Begierde zu beten erwecket hat, wie er sagt Ps. 18,7: So ich in Trübsalen bin, rufe ich zu Gott. M. Luther 1531.

Sieh den Vorteil der Trübsal! Ja selig sind, die da Leid tragen, die da trauern, während sie den langen Weg hinaufziehen von dem Galiläa der Heiden in dieser niederen Welt zu dem himmlischen Jerusalem, der heiligen Stadt der Auserwählten Gottes droben. J. W. Burgon 1859.

Die Zeitwörter stehen in der Form der Vergangenheit (Ich rief, er erhörte mich), aber sie beziehen sich nicht ausschließlich auf Vergangenes. Frühere und gegenwärtige Erfahrung vereinigen sich hier miteinander. Aus der Vergangenheit schöpft der Psalmist Ermutigung für die Gegenwart. J. J. St. Perowne 1868.

V. 2. HERR, errette meine Seele von den Lügenmäulern, von den falschen Zungen. Eine zügellose Zunge ist ein vehiculum Diaboli, ein Gefährt des Teufels, darauf er im Triumph einherfährt. R. Greenham († 1591) beschreibt die Zunge gut in Gegensätzen: "Sie ist ein Stückchen Fleisch, gering an Größe, aber mächtig an Kraft. Sie ist weich, aber schlüpfrig, ist gar leicht beweglich und fällt doch so schwer, berührt sanft und verwundet doch so scharf, geht schnell heraus, brennt aber heftig und dringt tief ein, darum heilen die Wunden, die sie schlägt, nicht schnell. Leicht geht sie aus, aber sie findet es keineswegs leicht, wieder heimzukehren, und ist sie einmal mit Hilfe von des Satans Blasebalg entzündet, so brennt sie wie das Feuer der Hölle." Eine unbändige Zunge schreitet immer vom Bösen zum Schlimmeren fort; sie beginnt mit Unverstand, fährt fort mit Ungestüm und endet mit Unheil und Tollheit. Vergl. Pred. 10,13. Die Juden in Jerusalem fingen den Wortstreit mit dem Herrn Jesus, Joh. 8, mit Behauptungen an (Wir sind Abrahams Same usw.), gingen aber bald zu Lästerungen über (Sagen wir nicht recht, dass du ein Samariter bist und hast den Teufel) und endeten mit Grausamkeit (Da hoben sie Steine auf, dass sie auf ihn würfen), Joh. 8,33.48.59. Darin zeigt sich vornehmlich auch die Niederträchtigkeit der bösen Zunge, dass sie die hasst, die sie verletzt hat (Spr. 26,28 Grundtext), wie auch das Sprichwort sagt: Generis humani est odisse quem laeseris. Edward Reyner † 1670.

In dem Tröpfchen, das aus dem Stachel des kleinsten Insektes oder den Brennhaaren der Nessel in die Haut eindringt, ist der Kraftauszug eines Giftes enthalten, so fein, dass das Mikroskop es kaum entdecken kann, und doch so kräftig, dass es das Blut erhitzen, den ganzen Körper in einen Fieberzustand bringen und den Menschen Tag und Nacht in ruhelose Qual versetzen kann. So ist es auch oft mit den Worten der Afterredner. F. W.Robertson † 1853.
Wer sich nur nach dem, was er fühlt, richtet, der verliert Christus. (Martin Luther)

Jörg
Moderator
Beiträge: 2972
Registriert: 04.04.2008 07:47
Wohnort: Essen im Ruhrpott

Psalm 120

Beitrag von Jörg »

Erläuterungen und Kernworte


V. 3. Wiewohl der Psalmist mit einer guten Nachricht angefangen, wie ihn seine Not ins Gebet getrieben, und wie es nicht ohne Erhörung geblieben (V. 1 f.), klagt er doch hernach beweglich, wie viel ihm die Versuchung von bösen Zungen zu schaffen gemacht und wie sich sein Pilgrimssinn in ein so ernstliches Heimweh treibe (V. 3-7). Ohne Kampf geht das Überwinden des Bösen mit Gutem freilich nicht ab, und wenn man sich schon selbst zusprechen will: "Was ist’s dann, was kann dir die falsche Zunge tun? ", so bricht doch die Empfindlichkeit immer wieder wie eine nicht gründlich geheilte Wunde auf, bis Gebet und dessen Erhörung, Hoffnung, jene Häuser des Friedens in der verheißenen Ruhe zu erreichen, als Balsam darein fließt und gründlich heilet. Karl H. Rieger † 1791.

V. 3.4. Der Sinn des dritten Verses und dementsprechend auch des folgenden ist höchst streitig. Die Auffassung richtet sich je nach der Beantwortung folgender drei Fragen: 1) Was ist als Subjekt zu "wird geben" anzunehmen, Jahve (oder etwa ein unbestimmtes persönliches Subjekt, "man",) oder die falsche Zunge? 2) Wer ist mit "dir" angeredet - die falsche Zunge oder Jahve oder der unter der falschen Zunge Leidende (Luther)? 3) Enthält V. 4 eine Antwort auf die Frage V. 3 oder eine nähere Beifügung zu "Zunge" (Luther)? Aus der verschiedenen Zusammenstellung der Antworten auf diese drei Fragen ergibt sich eine Menge verschiedener Auffassungen, die alle ihre Vertreter gefunden haben. Nur einige dieser Auffassungen seien angeführt. - Nimmt man die falsche Zunge als Subjekt (was möglich ist, obwohl Zunge im Hebr. Femininum, da das maskuline NtI"yi als flexionslos vorausgehendes Prädikat erklärbar ist), so kann entweder (mit Luther) der Dichter seiner eigenen Seele die Frage vorlegen - oder aber man fasst Jehovah als angeredet auf, so z. B. Bäthgen, der sagt: Der Sinn des Verses wird erläutert durch Hiob 10,3, wo der gequälte Hiob an Gott die Frage richtet: "Hast du gut davon, dass ... du zu dem Plan des Gottlosen leuchtest?" Dann wäre V. 4 die sarkastische Antwort auf diese sarkastische Frage: Die scharfen Pfeile und glühenden (brandstiftenden) Kohlen der Lügner, die Gott in den Seinen treffen, sind alles, was die Frevler Gott dafür bieten, dass er sie duldet. Oder man kann, in beiden Fällen, V. 4 (nicht als eine Antwort auf V. 3, sondern) als eine appositionelle Aussage über die falsche Zunge auffassen, in welchem Falle im Deutschen mit Luther zur Klarheit zu ergänzen ist: Sie, die ist wie ... - Viele Ausleger (schon Theodoret) halten es jedoch mit der auch von Spurgeon oben gegebenen Auffassung, wonach die lügnerische Zunge (oder der Lügenredner) angeredet ist und in der Frage und Antwort V. 3.4 die Androhung der göttlichen Strafe an die Lügner enthalten ist. Die Ausdrucksweise V. 3 wäre dann aus der gewöhnlichen Schwurformel (1. Samuel 3,17 usw.) hervorgegangen. Bei dieser Fassung lässt sich auch das K:lf als Femininform (statt als männl. Pausalform) festhalten, und der Wechsel von Kfl: und K:lf erklärt sich glatt in der von uns in der Übersetzung angedeuteten Weise.- James Millard

V. 4. Ginster, rotem, Genista Raetem Forsk, ist der ansehnlichste Strauch in den Wüsten Arabiens, der häufig in Tälern und Wasserbecken wächst, von mäßiger Höhe, mit dünnen, gekerbten, einander gegenüberstehenden Zweigen (wie Ruten), einfachen Blättern, kleinen weißen Blüten und länglichrunden, schotenähnlichen Früchten, welche zwei Reihen Samenkörner enthalten. Die Wurzel ist ungemein bitter und kann nur bei der größten Dürftigkeit als Nahrung dienen (Hiob 30,4). Sie wird gewöhnlich zur Feuerung gebraucht, und nur daran will De Wette in der Stelle Ps. 120,4 gedacht wissen. Anders Forskal, der sagt, der Strauch knistere beim Brennen wie der Wacholder. Allein es ist im Psalm von Ginsterkohlen die Rede. Wenn sich nun erweisen ließe, dass diese lange fortglimmen (Ursini), so wäre jene Vergleichung dem Sinne nach übereinstimmend mit dem arabischen Dichtern sehr geläufigen "Er hat mir Gadhakohlen ins Herz gelegt". Dass der Ginsterstrauch eine gute Kohle gebe, erhellt aus Burckhardt’s Reisen. G. B. Winer 1847.

Hier (im Wadi Kinnah) fanden wir mehrere Beduinen damit beschäftigt, Reisig zu sammeln, das sie zu Holzkohlen brennen für den Markt von Kairo. Sie ziehen für diesen Zweck die dicken Wurzeln des Retamstrauchs, Genista Raetem, vor, der hier in Menge wächst. J. L. Burckhardt † 1817.

Jüdische Ausleger verstanden (irrtümlich) unter dem Retam den Wacholder. Im Midrasch findet sich eine merkwürdige Erzählung. Zwei Männer saßen in der Wüste unter einem Wacholderstrauch nieder und sammelten Reisig davon, womit sie sich ihr Mahl kochten. Nach Verlauf eines Jahres kamen sie wieder an diese Stelle, wo die Asche noch vorhanden war. Indem sie die Bemerkung machten, dass es nun zwölf Monate her sei, seit sie hier sich ein Feuer gemacht, gingen sie sorglos über den Aschenstaub und verbrannten sich die Füße an den Kohlen, die noch nicht ausgelöscht waren, sondern tief unter der Asche noch fortglimmten. H. T. Armfield 1874.

V. 5. Die Araber, zu denen die Kedarener gehören, sind von Natur diebisch und betrügerisch, und es kommt vor, dass die gleichen Leute, die des Nachts bei den Beduinen mit aller Gastfreundschaft Aufnahme gefunden, andern Tags, wenn sie sich aus ihrem Gebiet entfernt haben, von ihnen überfallen und ausgeplündert werden. Und nicht nur räubern sie Fremde aus und überfallen sie fast jeden, der ihnen wehrlos begegnet, sondern sie liegen auch fast beständig miteinander im Kampfe und erfüllen somit wörtlich die alte Weissagung 1. Mose 16,12. Th. Shaw † 1751.

V. 7. Ich halte (wörtl. bin) Frieden usw. Jesus war ein Mann des Friedens. Er kam in die Welt als der Friedebringer und ward schon bei seiner Geburt als solcher gefeiert. Er lebte, um Frieden zu machen durch das Blut seines Kreuzes, und als er im Begriff war, aus der Welt zu gehen, sprach er zu seinen Jüngern: Den Frieden lasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch. Als er von dem Tode erstanden war und seinen Jüngern zum ersten Mal erschien, sprach er zu ihnen: Friede sei mit euch. Er ist der Friedensstifter, der Heilige Geist der Friedenbringer. Sein Evangelium ist das Evangelium des Friedens; es enthält den Frieden Gottes, der höher ist denn alle Vernunft. Dennoch hasste und verabscheute ihn der größte Teil des jüdischen Volkes und ruhte nicht, bis es seinen Tod erreicht hatte. Ein Vorbild von diesem Friedefürsten war David mit seiner Friedensliebe und all der Feindschaft, die er von Saul und anderen erfuhr. Sam. E. Pierce † 1829.

Gute Menschen lieben den Frieden, beten darum, suchen ihn, halten darüber und geben alles darum, außer ihr gutes Gewissen. Ich möchte, sagte einst Henry Ruffner († 1861), eine Stunde brüderlicher Liebe wahrlich nicht um eine ganze Ewigkeit des Wettstreits hergeben. C. H. Spurgeon 1890.

Homiletische Winke

V. 1.
Zum HERRN rief ich usw. 1) Eine Erinnerung dreifacher Art: an Not, Gebet und Errettung. 2) Dreifache Frucht derselben: Sie belebt meine Hoffnung, macht mich inbrünstig im Bitten und erweckt mich zu Dankbarkeit.
V. 2.
Ungerecht Verleumdete haben vielerlei Trost. 1) Das Bewusstsein ihrer Unschuld. 2) Die Erfahrungswahrheit, dass Lügen meist ein kurzes Dasein haben, ihren eigenen Herren schlagen, und es oft nur geduldig zu warten gilt, da die Rechtfertigung mit der Zeit von selber kommt. 3) Die Seligpreisung im Leiden, Mt. 5,11. 4) Gottes Verheißung der Bewahrung in den Leiden und 5) der Errettung aus denselben und der Rächung aller Verleumdungen. - Nach Robert Nisbet 1863.
Ein Gebet wider die Verleumdung. Wir sind der Gefahr der Verleumdung ausgesetzt. Käme sie über uns, so würde sie uns schwere Unbill und großes Herzeleid bereiten. Dennoch kann niemand als der HERR selbst uns vor ihr schützen oder aus ihr erretten.
V. 3.
1) Was tut der Verleumder andern? 2) Was tut er sich selbst? 3) Was wird Gott mit ihm tun?
V. 4.
Die Natur und die Strafe der Verleumdung.
1) Die Zunge ist schärfer als ein Pfeil. a) Sie schießt heimlich. b) Sie hat eine giftige Spitze. c) Sie ist aufs feinste geglättet mit scheinbarer Freundlichkeit. d) Sie zielt auf den zartesten, verwundbarsten Teil. 2) Die Zunge ist verderblicher als Feuer. Die bösen Gerüchte, die sie aufbringt, laufen schneller als Feuer. Sie verderben, was von anderem Feuer nicht angegriffen werden kann, und sind schwerer zu löschen als Feuer. George Rogers 1890.
V. 5.
Schlimme Wohnungsnot. Nur Gottlose können sich unter Gottlosen heimisch fühlen. Müssen wir neben oder unter ihnen wohnen, so ist das eine schmerzliche Prüfung. Und doch kann es nützlich sein, a) für sie, b) für uns selbst - denn es stellt unsere Tugenden auf die Probe, enthüllt das Innerste unseres Wesens, schlägt unseren Hochmut nieder, treibt uns ins Gebet und vertieft in uns das rechte Heimweh.
1) Nur Böse haben Freude an der Gesellschaft der Bösen. 2) Nur weltlich Gesinnte haben Freude an der Gesellschaft von Weltkindern. 3) Nur Gerechte haben Freude an der Gesellschaft Gerechter. George Rogers 1890.
V. 6.7.
1) Unleidliche Gesellschaft (V. 6). 2) Bewundernswertes Verhalten (V. 7a). 3) Trotzdem sehr unerwünschte Folgen (V. 7b).
V. 7.
Der Gottselige hat Frieden, hält Frieden, ist ganz Friede und wird ewig Frieden haben.
1) Frömmigkeit und Friede gehören zusammen; so auch 2) Gottlosigkeit und Unfriede. George Rogers 1890.
Wer sich nur nach dem, was er fühlt, richtet, der verliert Christus. (Martin Luther)

Jörg
Moderator
Beiträge: 2972
Registriert: 04.04.2008 07:47
Wohnort: Essen im Ruhrpott

Psalm 121

Beitrag von Jörg »

PSALM 121 (Auslegung & Kommentar)

Überschrift

Dieser Psalm trägt keine andere Überschrift als die: (Ein Lied im höhern Chor, oder:) Ein Wallfahrtslied. Betrachten wir ihn als Stufenlied im geistlichen Sinn, so finden wir ihn mehrere Stufen höher als seinen Vorgänger; denn er spricht zu uns von dem Frieden des Hauses Gottes und von der über uns wachenden Fürsorge des HERRN, während der Psalm 120 den Mangel an Frieden in der Welt beklagte, in der der Gottselige noch weilen muss, und auch die boshaften Angriffe, denen er da von verleumderischen Zungen ausgesetzt sei. In jenem Psalm blickten die Augen des Dichters mit brennendem Schmerz um sich her, hier schauen sie voll freudiger Hoffnung aufwärts. Gott der treue Menschenhüter, diese in unseren Bibeln übliche Überschrift des Psalms prägen wir uns gerne ein; enthält sie doch das immer wiederkehrende Stichwort des Psalmes (Hüter, behüten). Stünde der Psalm nicht unter den Wallfahrtsliedern, so würden wir ihn als einen Kriegergesang ansehen, trefflich geeignet als Abendlied eines gottseligen Helden, der sich am Abend vor der Schlacht in seinem Zelt damit zur Ruhe niederlegt. Doch ebenso trefflich eignet sich der Psalm als Pilgerlied, wie er denn wohl in unzähligen Häusern von Gotteskindern je und je gelesen oder gesungen wird, wenn der Hausvater oder eines seiner Lieben zu einer Reise aufbricht. Das stufenmäßige Aufsteigen, das Gesenius und andere an manchen dieser "Stufenpsalmen" nachgewiesen haben, tritt in diesem Liede besonders auffallend hervor (siehe die Vorbemerkungen S. 6); es steigt auch geistlich immer höher auf zu der höchsten Höhe zuversichtlichen Vertrauens.

Auslegung

1.
Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen,
von welchen mir Hilfe kommt.
2.
Meine Hilfe kommt von dem HERRN,
der Himmel und Erde gemacht hat.
3.
Er wird deinen Fuß nicht gleiten lassen,
und der dich behütet, schläft nicht.
4.
Siehe, der Hüter Israels
schläft noch schlummert nicht.
5.
Der HERR behütet dich,
der HERR ist dein Schatten über deiner rechten Hand,
6.
dass dich des Tages die Sonne nicht steche
noch der Mond des Nachts.
7.
Der HERR behüte dich vor allem Übel,
er behüte deine Seele.
8.
Der HERR behüte deinen Ausgang und Eingang
von nun an bis in Ewigkeit.



1. Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen, von welchen mir Hilfe kommt. Es ist klug, zum Starken um Stärke aufzuschauen. Leute, die in den Niederungen wohnen, sind manchen Übeln unterworfen, für die es keine Heilung gibt, als durch einen Aufenthalt in Höhenluft, und sie tun wohl, wenn sie die schlaffe Bequemlichkeit abschütteln und sich zu einer tüchtigen Bergfahrt entschließen. Unten im Tal fielen gar manche in alten Zeiten den Plünderern zur Beute, und das sicherste Mittel, diesen zu entrinnen, war, in die festen Burgen auf den Bergen zu fliehen. Oft schauten wohl die Siechen oder wehrlose, der Plünderung ausgesetzte Leute, ehe sie wirklich hinaufstiegen, sehnsuchtsvoll auf zu den Bergen: Ach, wären wir doch schon droben! Der Gottesmann, der dies auserlesene kleine Lied gedichtet hat, schaute hinweg von den Verleumdern, die ihn nach dem Psalm 120 so quälten, auf zu dem HERRN, der von seiner erhabenen Höhe alles sah und bereit war, seinem so übel behandelten Knechte Hilfe herab zu senden. Hilfe kommt Gottes Kindern nur von oben, vergeblich würden sie sich anderwärts danach umsehen. So lasst uns denn unsere Augen aufheben voll Hoffnung und Erwartung, voll Verlangen und Vertrauen. Der Satan wird sich bemühen, unsere Augen auf unsere Sorgen und Kümmernisse gerichtet zu halten, damit wir beunruhigt und entmutigt werden. Umso fester sei unser Entschluss, aus- und aufzuschauen, denn von da droben winkt uns ein erfreulicher Anblick, und wer seine Augen zu den ewigen Hügeln erhebt, dem wird bald auch der Mut sich heben. Der ewige Vorsatz Gottes, die göttlichen Vollkommenheiten, die unwandelbaren Verheißungen, der Bund, so fest geordnet in allen Stücken und sicher in jeder Beziehung, die Vorsehung, die Erwählung und die erprobte Treue des HERRN - das sind die Berge, zu denen wir unsere Augen aufheben müssen, denn von daher muss unsere Hilfe kommen. Wir sind entschlossen, uns nicht fesseln und die Augen verbinden zu lassen, sondern sie fest und unentwegt in die Höhe zu richten.

Oder ist der Satz als Frage zu fassen? Die Sprachgelehrten sagen uns allerdings, dass nur die Übersetzung berechtigt sei: Woher wird mir Hilfe kommen? Verschiedenerlei Gedanken können dieser Frage zugrunde liegen. Fühlt der Dichter, dass auch die höchsten Örter der Erde ihm keine Zuflucht geben können vor den Gefahren und Leiden, die ihn bestürmen? Oder weist er etwa den Gedanken von sich, unter den tapferen Bergbewohnern sich nach Hilfstruppen umzusehen, die zu seinem Banner eilen würden? Oder denkt er, was das Nächstliegende zu sein scheint, bei den Bergen an die Höhen, die Jerusalem umgeben? Jedenfalls enthält der nächste Vers die Antwort, indem er klar zeigt, von woher alle Hilfe kommen muss.

2. Meine Hilfe kommt von dem HERRN, der Himmel und Erde gemacht hat. Was wir brauchen, ist Hilfe, mächtige, wirksame, dauernde Hilfe, eine Hilfe, die sich in Nöten erprobt und nie versagt. Wie wohl sind wir daran, dass wir sie in unserem Gott haben! Unsere Hoffnung steht auf Jehovah, denn unsere Hilfe kommt von ihm. Die Hilfe ist schon unterwegs und wird unfehlbar zur rechten Zeit eintreffen; denn es wurde noch nie gehört, dass er, der sie sendet, damit zu spät gekommen wäre. Der Ewige, der alles erschaffen hat, ist jeder Not, jeder Anforderung gewachsen. Himmel und Erde stehen ihm zur Verfügung, der sie ins Dasein gerufen hat; darum lasst uns uns freuen und fröhlich sein über unseren Helfer, der keine Schranken kennt. Er würde eher Himmel und Erde zugrunde gehen lassen, als zulassen, dass sein Volk zugrunde gehe, und eher werden selbst die ewigen Berge zerbersten, die uralten Hügel sinken, als dass er versagen sollte, dessen Pfade von Ewigkeit her sind (Hab. 3,6). Wir müssen über Himmel und Erde hinweg aufblicken zu dem, der sie beide gemacht hat; denn eitel ist es, auf die Kreatur zu trauen, und einzig vernünftig, auf den Schöpfer seine Hoffnung zu setzen.

3. Er wird deinen Fuß nicht gleiten lassen. Wiewohl die Pfade des Lebens gefährlich und beschwerlich sind, werden wir doch festen Schrittes vorwärts wandeln, denn der Ewige wird unseren Fuß nicht wanken lassen; und was er nicht zulässt, wie sollte uns das widerfahren? Wenn aber unser Fuß also behütet wird, so mögen wir gewiss sein, dass auch unser Haupt und unser Herz werden bewahrt werden. Manche Ausleger (z. B. Hupfeld, Moll) fassen nach Hieronymus die Worte als einen Gebetswunsch auf: Möge er nicht wanken lassen deinen Fuß. Die in Gottes Wort uns so vielfach verheißene Bewahrung sollte uns allerdings beständig ein Gegenstand des Gebetes sein. Und wir dürfen mit der Gewissheit der Erhörung beten; denn die Gott zu ihrem Hüter haben, sind vor allen Gefahren ihres Weges sicher. Diese Gewissheit des Glaubens scheint wohl eher der eigentliche Sinn des Grundtextes zu sein, den danach Bäthgen und Keßler so schön übersetzen: Er kann deinen Fuß nicht wanken lassen. Der Dichter gibt leidenschaftlich seiner Gewissheit Ausdruck, dass das schlechterdings unmöglich sei. Das Wanken des Fußes wird in der Schrift häufig als Bild des Unglücks gebraucht (z. B. Ps. 38,17; 66,9). In den Bergen und Schluchten Palästinas, wo ein einziger Fehltritt in so große Gefahr stürzen kann, ist das buchstäbliche Bewahrtwerden des Fußes eine große Sache; auf den schlüpfrigen Wegen eines versuchungs- und trübsalreichen Lebens aber ist es eine Gnade von ganz unschätzbarem Wert, wenn wir aufrecht erhalten werden, denn ein falscher Schritt kann da erst recht zum gefährlichsten Sturze führen. Dass wir uns aufrecht halten und mit gleichmäßigen Schritten den vorgeschriebenen Weg verfolgen, ist ein Segen, den Gott allein geben kann, der ferner der göttlichen Hand würdig und unseres immerwährenden Dankes wert ist. Und der dich behütet, schläft nicht, oder (siehe oben): Dein Hüter kann nicht schlummern! Wir würden uns nicht einen Augenblick auf den Füßen halten, wenn unser Führer einschliefe. Wir bedürfen ihn Tag und Nacht; nicht einen Schritt können wir sicher tun, es sei denn unter der Hut seines treuen Auges. Welch köstliche Worte gerade für ein Pilgerlied! Gott ist der Geleitsmann und Leibwächter seiner Heiligen. Ob Gefahren ringsum wachen, sind wir dennoch sicher, denn auch er, der uns erhält, ist wach und wird nicht zulassen, dass wir unversehens von ihnen überfallen und zum Sturz gebracht werden. Unsern Gott übermannt keine Müdigkeit, keine Erschöpfung lässt ihn in Schlaf sinken, seine wachsamen Augen schließen sich nie.
Wer sich nur nach dem, was er fühlt, richtet, der verliert Christus. (Martin Luther)

Jörg
Moderator
Beiträge: 2972
Registriert: 04.04.2008 07:47
Wohnort: Essen im Ruhrpott

Psalm 121

Beitrag von Jörg »

4. Siehe, der Hüter Israels schläft noch schlummert nicht. Die so tröstliche Wahrheit muss wiederholt werden, sie ist zu inhaltsreich, als dass sie mit einer Zeile abgetan werden könnte. Was der vorige Vers (mit l)a) als Überzeugung des Sängers gerühmt hat, wird hier (durch )Æl) mit Nachdruck als feststehende Tatsache verkündigt. Es wäre gut, wenn wir stets dem Psalmisten nachahmten und bei auserlesenen Wahrheiten ein wenig verweilten, um in Ruhe den Honig aus ihnen zu saugen. Welch herrlicher Gottesname ist das: Der Hüter Israels, und wie köstlich der Gedanke, dass keinerlei Art von Bewusstlosigkeit je ihn beschleichen kann, weder der tiefe Schlaf noch ein leichter Schlummer. Er wird nie den leisen Dieb ins Haus brechen lassen; er wacht stets und nimmt schnell den Feind wahr, der sich heranschleichen will. Das ist eine Tatsache, die unserer Verwunderung wohl wert ist, ein Gegenstand für unsere aufmerksame Betrachtung; deshalb ist das Wort Siehe! als Hinweis da aufgestellt. Israel verfiel wohl in Schlaf, aber sein Gott war wach. Jakob-Israel hatte bei Lus weder Mauern noch Bettumhang noch Leibwächter um sich; aber der HERR war an dem Ort, ob Jakob es auch nicht wusste, darum war der schutz- und wehrlose Mann mitten unter den Kanaanitern so sicher wie in einer festen Burg. Im hohen Alter nannte er Gott mit dem erquickenden Namen: "Der Gott, der mein Hirte gewesen ist mein Leben lang bis auf diesen Tag" (1. Mose 48,15). Vielleicht hatte der Psalmdichter diesen Ausspruch des Erzvaters im Sinne. Welch reiche Bedeutung liegt in dem Worte hüten: er hütet uns, wie ein reicher Mann seine Schätze verwahrt, wie ein Feldherr mit seiner Besatzung die Stadt hält, wie die königliche Leibwache das Haupt ihres Fürsten schirmt. Es mag wert sein, darauf hinzuweisen, dass der dritte Vers von dem HERRN als dem persönlichen Hüter des Einzelnen redete, während Jehovah hier als der Hüter aller geschildert wird, die zu dem auserwählten Volke gehören, das den Namen Israel trägt. Eine Gnade, die einem einzelnen Heiligen erwiesen wird, ist ein Pfand des für alle bestimmten Segens. Wohl den Pilgrimen, die diesen Psalm als Geleitsbrief haben; sie mögen den ganzen langen Weg zu der himmlischen Stadt ohne Furcht wandeln.

5. Der HERR behütet dich, oder wörtlich: Jehovah ist dein Hüter. Welch reiche Goldader funkelt unserem Glauben aus diesen Worten entgegen; ja ein ganzer Barren Goldes liegt vor uns, der, zu Münze geprägt und mit des Königs Namen geeicht, für alle Kosten hinreichen wird, die uns auf der Wanderung von unserem Geburtsort auf Erden bis zu unserer ewigen Ruhestatt im Himmel erwachsen mögen. Wie herrlich der, von dem hier geredet wird, Jehovah, der Ewige, Große, Freie, und er lässt sich herab, in eigener Person den mühevollen Dienst auf sich zu nehmen: Der HERR ist dein Hüter! Wir hören ferner, wer der Bevorzugte ist, dem diese Hut zugutekommt: Du selbst, dein Hüter ist er! Und wir entnehmen endlich noch dem Worte die unumstößliche Gewissheit, dass diese Wohltat auch heute, zu dieser Stunde, in Kraft ist: Jehovah ist dein Hüter. Können, dürfen wir uns die göttliche Erklärung zueignen? Dann mögen wir rüstig, ohne auch nur eine Anwandlung von Furcht, vorwärts, aufwärts pilgern, hin nach dem Jerusalem, das droben ist; ja dann können wir auch durch das Tal der Todesschatten wandern, ohne ein Unglück zu fürchten.

Der HERR ist dein Schatten über deiner rechten Hand. Schatten gibt Schutz vor brennender Hitze und blendendem Lichte. Zuviel auch des Besten können wir Sterbliche nicht vertragen; selbst die göttliche Freigebigkeit muss herabgestimmt und beschattet, muss unserer Schwäche angepasst werden. Das tut der HERR, uns zuliebe. Er wird einen Schild vor uns hertragen und unseren rechten Arm beschirmen, mit dem wir gegen den Feind fechten; das Glied, das am meisten Arbeit hat, wird den meisten Schutz genießen. Wenn die Mittagssonne ihre sengenden Strahlen auf unser Haupt fallen lässt, wird der HERR, Jehovah selber, ins Mittel treten, um uns zu überschatten, und er wird das in der ehrendsten Weise tun, indem er als unser Geleitsmann uns zur Rechten1 wandelt und also unsere Rechte schirmt und uns Ruhe fürs Herz und Sicherheit gegen alle Angriffe bietet. "Der HERR zu deiner Rechten wird zerschmettern die Könige." (Ps. 110,5.) Wie verschieden ist dies von dem Lose der Gottlosen, die den Satan zu ihrer Rechten stehen haben (Ps. 109,6), und derer, von welchen Mose gesagt (4. Mose 14,9): Es ist ihr Schutz (wörtlich: ihr Schatten) von ihnen gewichen. Gott ist uns so nahe wie unser eigener Schatten, und wir sind darum so sicher, als wenn wir Engel wären.

6. Dass dich des Tages die Sonne nicht steche noch der Mond des Nachts. Niemand als der HERR kann uns vor solch mächtigen Gewalten schirmen. Die beiden Lichter, Sonne und Mond, regieren den Tag und die Nacht, und unter beider Herrschaft werden wir in gleicher Sicherheit, sei es arbeiten, sei es ruhen. Ohne Zweifel haben Tag und Nacht, Licht und Finsternis ihre Gefahren, aber in beiden und vor beiden sollen wir bewahrt werden - im buchstäblichen Sinne vor übermäßiger Hitze und verderblicher Kälte, im übertragenen Sinne vor irgendwelchen schädlichen Wirkungen, die uns z. B. aus diesen oder jenen Lehren, seien sie glanzvoll oder trübe, zustoßen könnten, im geistlichen Sinne vor den Gefahren des Wohlergehens wie des Unglücks, und im Blick auf das Ende ewig vor dem uns überwältigenden, blendenden Lichtglanz der himmlischen Herrlichkeit wie vor dem niederdrückenden Einfluss so schrecklicher Ereignisse, wie es das Jüngste Gericht und der Weltbrand sein werden. Aus Tag und Nacht setzt sich die Zeit zusammen; so wird also der allezeit gegenwärtige Schutz nie aufhören. Man kann alle Übel auf Erden unter Sonne und Mond einordnen; vermag keines von diesen uns verderblich zu treffen, so sind wir in der Tat sicher. Gott hat für seine Auserwählten keine neue Sonne, keinen andern Mond geschaffen, sie führen ihr Dasein unter den gleichen äußeren Umständen wie andere; aber die Macht, sie schädlich zu treffen, sie zu stechen, ist, sofern es sie betrifft, den zeitlichen Dingen und Kräften genommen. Die Geliebten Gottes werden durch die Gewalten, die den Zustand der Erde regieren, gesegnet und bereichert, nicht beschädigt; ihnen gibt der HERR "edle Früchte von der Sonne und edle reife Früchte der Monde" (5. Mose 33,14), während er zugleich alle Qual und Gefahr der mittäglichen Hitze wie der nächtlichen Dünste, der blendenden Glut wie des lähmenden Frostes von ihnen wegnimmt.

7. Der HERR behüte dich, oder wird dich behüten vor allem Übel. Immer wieder durch den ganzen Psalm erklingt dasselbe schöne Wort. Gott behütet die Seinen nicht nur zu jeder bösen Zeit, sondern auch vor allen schlimmen Einflüssen und Wirkungen des Bösen, ja vor allem Bösen selbst. Hier haben wir eine weitreichende Zusage gnädiger Beschirmung; alles schließt sie ein, nichts ist ausgenommen. Die Fittiche des Ewigen breiten sich mächtig über die Seinen und schützen sie vor allen Übeln, den großen und den kleinen, zeitlichen und ewigen. Der Vers enthält eine zwiefache gar köstliche persönliche Beziehung: Jehovah behütet den Gläubigen, nicht durch Hilfsmittel, sondern in höchsteigener Person; und der diesen Schutz Genießende wird ebenfalls sehr bestimmt persönlich bezeichnet durch das "dich" - nicht etwa nur unser Besitz oder unser Name wird beschirmt, sondern der Mensch selbst. Um das noch mit verstärkter Kraft als wirklich und persönlich zu bezeichnen, wird noch ein Satz hinzugefügt: Er (behüte, besser:) wird behüten deine Seele. Das ist rechte Behütung: wird die Seele behütet, so ist alles behütet. Die Bewahrung des Höheren schließt die des Geringeren ein, soweit es für den Hauptzweck von Bedeutung ist. Der Kern soll erhalten bleiben, und damit dies geschehe, wird auch die Schale erhalten werden. Gott allein kann die Seele bewahren. Sie wird behütet vor der Herrschaft der Sünde, vor der Ansteckung durch Irrtum, der erdrückenden Macht der Verzweiflung, der aufblähenden Gewalt des Stolzes; behütet vor dem Einfluss der Welt, der Macht des Fleisches und der Gewalt des Teufels; erhalten für große, heilige Zwecke; bewahrt in der Liebe Gottes; behalten für das ewige Reich und die ewige Herrlichkeit. Was kann einer Seele Schaden zufügen, die in des HERRN Hut steht?


8. Der HERR behüte, oder wird behüten deinen Ausgang und Eingang von nun an bis in Ewigkeit. Am Morgen, wenn wir zur Arbeit ausgehen, und des Abends, wenn wir heimkommen, um zu ruhen, wird der HERR schützend über uns walten. In der Jugend, da wir ins Leben hinaustreten, und am Lebensende, wenn wir in die stille Kammer des Todes einkehren, sollen wir die gleiche Bewahrung erleben. Unsere Aus- und Eingänge stehen unter einem Schutze. Dreimal tönt es uns in diesen beiden Schlussversen entgegen: Der HERR wird dich behüten, als versiegelte die Heilige Dreieinigkeit das Wort, um es gewiss zu machen. Müssen nicht alle unsere Befürchtungen, von diesen drei Pfeilen zu Tode getroffen, dahinsinken? Welche Besorgnis sollte diese dreifältige Verheißung wohl überleben können? Die uns hier zugesagte Bewahrung ist eine ewige; sie beginnt von nun an und dauert bis in Ewigkeit. Die ganze Gemeinde des HERRN ist hiermit der ewigen Sicherheit versichert, die endgültige Bewahrung der Heiligen und die glorreiche Unsterblichkeit der Gläubigen gewährleistet. Unter dem sicheren Geleit einer solchen Verheißung können wir unsere Pilgerschaft ohne Furcht fortsetzen und ohne Grauen in den Kampf ziehen. Niemand ist so sicher wie der, der in Gottes Hut steht, niemand so in Gefahr wie der, der sich in eigener Kraft sicher dünkt. Beim Aus- und Eingehen gibt es besondere Gefahren, da wir bei jeder Wendung dem Feind eine neue Seite zuwenden; aber gerade für diese schwachen Punkte ist eine besondere Sicherung bereit. Der Ewige selber wird über unserer Tür wachen, wenn wir sie vor uns auf- oder hinter uns zumachen, und diesen gnädigen Dienst wird er versehen, solange es noch einen einzigen Menschen gibt, der auf ihn traut, solange noch irgendeine Gefahr übrig ist, kurzum, solange die Zeit währt. Gepriesen sei der Hüter Israels, der uns unter diesem Namen so besonders teuer geworden ist, seit die zunehmende Erkenntnis unserer Schwäche uns tiefer denn je empfinden lässt, wie sehr wir der Bewahrung bedürfen. Seiner treuen Hut möchten wir auch den Leser befehlen von nun an bis in Ewigkeit.




Fußnote
1. So kann man auch, mit den Meisten, übersetzen: zu deiner rechten Hand. Schatten dann gleich Schutz, wie 4. Mose 14,9.
Wer sich nur nach dem, was er fühlt, richtet, der verliert Christus. (Martin Luther)

Jörg
Moderator
Beiträge: 2972
Registriert: 04.04.2008 07:47
Wohnort: Essen im Ruhrpott

Psalm 121

Beitrag von Jörg »

Erläuterungen und Kernworte


Zum ganzen Psalm. Die gesamte Redeweise des Psalms gibt die Annahme an die Hand, dass hier ein Reiselied im eigentlichsten Sinne des Wortes vorliegt. Der wandernde Pilger blickt den Bergen entgegen, die sein Reiseziel sind (V. 1); gerade ihm muss viel daran liegen, dass sein Fuß sicher schreite (V. 3). Wenn er sich in der Fremde dem Schlaf überlassen muss, so ist es ihm eine Beruhigung, dass sein Gott nicht schlummert (V. 3.4). Die Beschwerden der Reise bei Tage und ihre Gefahren bei Nacht sind ihm wohlbekannt (V. 6), aber unter Jahves Schutz wird er sicher und wohlbehalten den Hinweg und den Heimweg zurücklegen können (V. 8). Es kann kaum einem Zweifel unterliegen, dass der Psalm von vornherein dieser Situation entstammt und nicht etwa erst späterhin von Wallfahrern benutzt worden ist. Lic. H. Keßler 1899.

V. 1. Nach der gewöhnlichen Übersetzung wäre die Hilfe, die der Sänger von den Bergen hofft, keine andere als die, welche er nachher die Hilfe vom HERRN nennt. Liest man dagegen (mit Venema, Ewald) auch die erste Hälfte von V. 1 fragend: "Soll ich meine Augen zu den Bergen heben? Woher kommt mir die Hilfe?", so hat man daran zu denken, wie die in Festungen Eingeschlossenen in die Ferne nach Hilfe ausblicken (Nah. 2,1), die dann zunächst über die Bergspitzen her wahrgenommen wird, und der Sänger tadelt sich selbst, dass er nach dieser irdischen Hilfe aussehe, um desto stärker den Gedanken hervortreten zu lassen, dass er an dem, welcher alle Dinge gemacht hat, seinen einzigen Beistand kenne. Prof. August Tholuck 1843.

Auch neben dem Glauben an die Vorsorge Gottes kann man doch zuweilen seine Augen aufheben zu diesem oder jenem Berge und rechnen, da und dorten könnte und sollte die Hilfe kommen, bis der Glaube ganz durchbricht und sagt: Meine Hilfe kommt, und zwar vom HERRN, vom HERRN ganz allein; und dabei erfährt man freilich Gottes Treue und Macht in Abwendung des Bösen und in Bescherung alles Guten im Großen und Kleinen. Schatten über deiner rechten Hand scheint eine Kleinigkeit zu sein. Aber wir sind eben Leute danach, denen eine Kleinigkeit zu schaffen machen und denen hingegen eine Hilfe darin sehr gelegen kommen kann. Man denke nur an Jonas Kürbis.

Gott hat schon vor dem Lauf der Zeiten
Der Seinen Wohl gar wohl bedacht
Und alle ihre Kleinigkeiten
In Christo selig ausgemacht
Bis auf ein Haar von ihrem Haupt;
Wohl dem, der’s bis aufs kleinste glaubt.
Karl Heinrich Rieger † 1791.

Ich hebe meine Augen auf usw. Auch in den Nöten des geängsteten Gewissens schaue stets empor zu dem gnadenreichen Gott, damit deine Seele fest bleibe. Denn wenn du den Blick abwärts auf dich selbst richtest, wirst du nur solches wahrnehmen, was deine Angst vermehrt, unzählige Sünden und der guten Taten wenige, dazu alle unvollkommen. Nicht auf deinen Glauben, sondern auf Gottes Glaubwürdigkeit, auf seine Treue musst du dich verlassen. Richtest du die Augen niederwärts auf dich selbst, um den großen Abstand zu betrachten zwischen dem, was du verdienst, und dem, dessen du bedarfst, so ist das genug, um zu bewirken, dass du schwindlig wirst, ins Schwanken kommst und in den Abgrund der Verzweiflung taumelst. Darum hebe stets deine Augen auf zu den Bergen, von welchen dir Hilfe kommt, und besieh dir nie das tiefe Tal deiner Unwürdigkeit, es sei denn, um deinen Stolz niederzuschlagen, wenn du dich zur Vermessenheit versucht fühlst. Thomas Fuller † 1661.

Zu den Bergen. Darüber kann kein Zweifel sein, dass wir uns in Palästina in einem der Berglande Asiens befinden. Das ist umso beachtenswerter, als die Israeliten die einzige damals in der Welt vorhandene zivilisierte Nation waren, die in einem gebirgigen Lande wohnte. Das Volk der Hebräer ragte über die andern alten Staaten in beidem, in sittlicher wie in geographischer Hinsicht, empor. Von der arabischen Wüste bis nach Hebron geht es beständig aufwärts, und von dieser Höhe gibt es nirgendwo einen bedeutenden Abfall, außer nach dem Jordantal, der Ebene Jesreel und dem Küstenstrich. Von seinem Bergheiligtum aus schaute Israel gleichsam über die Welt. Nach diesen Bergen des heiligen Landes hin hoben die in der babylonischen Ebene in der Verbannung lebenden Israeliten ihre Augen auf als dem Orte, woher ihre Hilfe kommen musste. Arth. P. Stanley † 1881.

V. 3 ff. Eine große praktische Schwierigkeit bei dem Reisen im Morgenland ist die, einen Hüter zu finden, der auch wirklich die ganze Nacht wach bleibt. Die Ermüdung derer, die im Wachen treu sind, und ihr Sehnen nach dem Tagesanbruch während der langsam dahinschleichenden einsamen Stunden der Finsternis dient dem Psalmdichter einmal zu einem malerisch schönen Bilde des Glaubensharrens in der Nacht der Leiden: Meine Seele wartet auf den HERRN, sehnsüchtiger als Wächter auf den Morgen, als Wächter auf den Morgen! (Ps. 130,6). Das gewöhnlich hierzulande angewandte Mittel, um sich die pflichtmäßige Wachsamkeit des Wächters zu sichern, ist dies, dass man von dem Manne verlangt, dass er alle Viertelstunden laut rufe oder einen gewissen Pfiff hören lasse. Aber trotz Vorkehrungen ist es dennoch gar oft der Fall, dass der Mietling, sobald sich der Schlaf auf das ermüdete Lager gesenkt hat, sich ebenfalls auf den Boden legt, sich in seinen Mantel hüllt und, unbekümmert um das ihm anvertraute Amt oder von Müdigkeit überwältigt, sich völlig seiner Neigung zum Schlafe überlässt. Welch ein Zeugnis von Gottes Herablassung und Treue und wie ermutigend ist doch, gerade im Lichte dieser Tatsachen betrachtet, die Zusicherung der nimmer ablassenden Fürsorge des HERRN, wie sie uns in diesem Psalm geschildert wird. Während der Dienst des Hüters zu allen Zeiten einen bezeichnenden Zug im morgenländischen Leben bildet (z. B. in den Weinbergen), sind seine Dienste vielleicht noch nötiger als sonst, wenn man durchs Land reist. Sobald das Reiselager auf fremdem Gebiete für die Nacht aufgeschlagen wird, ist es eine unbedingte Notwendigkeit, sich an die nächste Behörde zu wenden um einen Nachtwächter, ehe man sich sicher zur Ruhe legen kann. Da nun dieser 121. Psalm, eines der "Stufenlieder", wahrscheinlich dazu verfasst war, um auf dem Wege nach Jerusalem als Pilgerlied gesungen zu werden, war er besonders bedeutsam durch seine Hinweisung auf den treuen Hüter in der Nacht. James Neil 1882.

Als jemand Alexander den Großen fragte, wie er doch, rings von Gefahren umgeben, so ruhig schlafen könne, erwiderte er: "Parmenius wacht ja!" O wie sicher können die schlafen, über die er wacht, der nicht schläft noch schlummert! -
Eine arme Frau kam einst, so lautet ein orientalisches Geschichtchen, zum Sultan und begehrte Entschädigung für einen Verlust an Eigentum. "Wie ist der Verlust denn entstanden?" fragte der Kaiser. "Ich schlief ein", war die Antwort, "und da drang ein Räuber in meine Wohnung ein". "Ja, warum bist du denn auch schlafen gegangen?" "Ich schlief ruhig ein, weil ich glaubte, du wärest wach!" Der Sultan hatte an der Antwort des Weibes eine solche Freude, dass er Befehl gab, ihr den Schaden zu ersetzen. Was aber von den menschlichen Regierungen nur stark bildlich genommen wahr ist, dass sie niemals schlummern, das ist im vollkommensten Sinne wahr von Gottes Regierung. Wir können ohne Gefahr schlafen, weil unser Gott allezeit wach ist. Wir sind sicher, weil er nie schlummert. Der Erzvater Jakob schaute ein herrliches Bild von der unablässigen Fürsorge Gottes in der Nacht nach der Flucht von seines Vaters Hause. Der einsame Wanderer schlief da am Boden, mit einem Steine als Kopfkissen und dem Firmament als Betthimmel. Da ward ihm das wunderbare Gesicht von der Leiter, die von der Erde bis zum Himmel reichte und an der die Engel Gottes auf- und niederstiegen. Und er hörte Jehovah zu ihm sprechen: Siehe, ich bin mit dir und will dich behüten überall, wo du hinziehst. Diese Verheißung, dem Stammvater gegeben, dürfen auch seine Nachkomme sich im Glauben aneignen. Schon Aben-Ezra weist auf jenes Gesicht als die Grundstelle des Psalmes hin. N. Mac-Michael 1860.


V. 4. Es ist sehr notwendig, dass der Hüter Israels nicht schlafe noch schlummere, denn auch der Feind, der Israel bedrängt, schläft noch schlummert nicht. Wie der eine um uns besorgt ist, dass uns kein Schaden geschehe, so ist der andere darauf bedacht, uns zu fällen und zu verderben, und all seine Bemühungen gehen dahin, dass, wer einmal abgewichen ist, niemals wieder zurecht komme. Bernhard von Clairvaux † 1153.

Schläft noch schlummert nicht. In den beiden Zeitwörtern ist an sich keine Steigerung, wie manche gemeint haben. Seiner ursprünglichen Bedeutung nach ist das erste das stärkere Wort, es kommt in Psalm 76,6 sogar vom Todesschlafe vor. An unserer Stelle ist kein wirklicher Unterschied zwischen beiden Ausdrücken, die Verstärkung liegt nur in der Häufung. J. J. St. Perowne 1868.
Wer sich nur nach dem, was er fühlt, richtet, der verliert Christus. (Martin Luther)

Jörg
Moderator
Beiträge: 2972
Registriert: 04.04.2008 07:47
Wohnort: Essen im Ruhrpott

Psalm 121

Beitrag von Jörg »

Erläuterungen und Kernworte


V. 4. Eine Schildwache kann auf ihrem Posten einschlafen durch Nachlässigkeit oder vor Übermüdung; der Steuermann kann am Ruder vom Schlaf überwältigt werden, ja selbst einer Mutter kann es begegnen, dass sie an dem Bette ihres kranken Kindes einschlummert; aber Gott gerät nie in Erschöpfung, wird niemals müde, ist niemals unachtsam. Er schließt seine Augenlider nie, dass er die Lage seines Volkes vergäße oder die Bedürfnisse seiner Geschöpfe. Albert Barnes † 1870.

Vor einer Reihe von Jahren befehligte ein Kapitän ein Schiff, das zwischen Liverpool und New York fuhr. Auf einer dieser Reisen hatte er seine Familie mit auf dem Schiff. In einer Nacht, als alles ruhig im Schlafe lag, erhob sich unversehens ein Sturm und fegte über das Wasser her, bis er an das Schiff stieß und dies plötzlich auf die Seite legte, alles, was irgend beweglich war, übereinander werfend und zerschmetternd, so dass die Passagiere erschreckt aus dem Schlafe fuhren. Alle gerieten in große Angst, da sie sich so plötzlich in Gefahr sahen; manche sprangen aus ihren Kojen und kleideten sich an, um für das Schlimmste bereit zu sein. Das kleine Töchterchen des Kapitäns, das eben acht Jahre alt war, erwachte natürlich mit den andern und fragte erschreckt: "Was ist los?" Man sagte ihm, ein Windstoß habe das Schiff getroffen. "Ist Vater auf Deck?" fragte sie. "Ja, Vater ist auf Deck." Da ließ sich die Kleine ohne alle Furcht wieder auf ihr Kissen sinken, und wenige Augenblicke später schlief sie süß trotz Wind und Wogen. The Biblical Treasury1873.

V. 4.5. Der Hüter Israels (V. 4) ist auch dein Hüter (V. 5). Die gleiche Weisheit, die gleiche Macht, die gleichen Verheißungen, die über der Gemeinde im Ganzen walten, sind auch in Kraft zur Bewahrung des einzelnen Gläubigen. Der Hirte der Herde ist der Hirte jedes einzelnen Schafes und wird darauf achten, dass auch nicht eines, auch von den Kleinen, verloren gehe. (Vergl. Joh. 17,12.) Matthew Henry † 1714.

V. 5. Dein Hüter, dein Schatten. Die Namen Gottes sind der Kraft nach Verheißungen. Wenn Gott sich Sonne, Schild, Burg, Hort, unser Teil und Erbe nennen lässt, wenn Christus sich das Licht der Welt, das Brot des Lebens, den Weg, die Wahrheit und das Leben nennt, wenn der Heilige Geist der Geist der Wahrheit, der Heiligkeit, der Herrlichkeit, der Gnade, des Flehens genannt wird oder der versiegelnde, Zeugnis gebende Geist, so darf der Glaube aus diesen Namen ebenso viel wie aus ausdrücklichen Verheißungen folgern. Heißt der HERR eine Sonne, dann wird er mich erwärmen, beleben, erfreuen usw. Heißt er ein Schatten, dann wird er mich schirmen, laben usw. David Clarkson † 1686.

Der Schatten kann eigentlich gemeint sein, wie ein Baum oder ein Fels vor den glühenden Strahlen der Sonne und der Gefahr des Sonnenstiches schützt. Man kann auch an die in den heißen Ländern herrschende Sitte denken, dass man über vornehmen Damen, namentlich aber auch über Häuptlingen und Fürsten, einen schirmartigen Fächer von Federn oder Blättern hält. Sehr oft aber steht das Wort Schatten in der Schrift abgelöst von seiner ursprünglichen Bedeutung einfach für Schutz. Vergl. 4. Mose 14,9; Jes. 30,2; Jer. 48,45 (Grundtext). Der Beschützer steht zur rechten Hand. James Anderson 1847.

V. 6. An das Bild vom Schatten schließt sich die Tröstung V. 6. Schlagen (hebr.) bedeutet von der Sonne: verderblich treffen (Jes. 49,10), die Pflanze, so dass sie verdorrt (Ps. 102,5), den Kopf (Jona 4,8), so dass die Symptome des Sonnenstichs oder des Hitzschlags (2. Könige 4,19; Judith 8,2 f.) sich einstellen, der Krankheit, welche ärztlich Solar-Ohnmacht und in hochgradigen Fällen Insolation genannt wird. Die Übertragung des Wortes auf den Mond ist nicht zeugmatisch. Auch die Mondstrahlen können unerträglich werden, die Augen krankhaft affizieren und (besonders in den Äquatorialgegenden) tödliche Hirnentzündung bewirken. Belege aus neueren Reisewerken finden sich bei Ewald. Prof. Franz Delitzsch † 1890.

Das Mondlicht übt hierzulande auf die Augen eine überaus schädliche Wirkung aus, noch schlimmer als die Sonne, was ich eines Nachts, als ich im Schlaf dem Mondschein ausgesetzt war, sehr unliebsam erfuhr, so dass ich seither mich sorgfältig davor hüte. John Carne (Briefe aus dem Orient) 1826.

Unter dem wolkenlosen Himmel des Orients, wo der Mond mit solch außerordentlicher Klarheit leuchtet, findet man den Mondschein äußerst gefährlich. Die Eingeborenen, die so viel im Freien schlafen, sind sehr darauf bedacht, Kopf und Angesicht wohl zu verhüllen. Es ist über allen Zweifel erwiesen, dass der Mond ebenso gut wie die Sonne "stechen" kann und vorübergehende Blindheit hervorruft oder sogar krampfhafte Verzerrung der Gesichtszüge. Die Seeleute sind von der Tatsächlichkeit dieser Gefahr sehr überzeugt, und ein Marineoffizier berichtet, er habe oft, als er in den Tropen fuhr, gesehen, wie die Befehlshaber von Schiffen junge Leute aufgeweckt hätten, die im Mondlicht in Schlaf gefallen waren. Ja er sei selber mehr als einmal Zeuge gewesen von den Wirkungen des Mondstiches, dass z. B. der Mund seitlich verzogen oder das Augenlicht eine Zeit lang geschädigt worden sei. Er war der Ansicht, dass schließlich, wenn man lange dem Mondschein ausgesetzt sei, der Verstand ernstlich angegriffen werden könne. Man hat auch wohl vermutet, dass Kranke, die an Fieber leiden, von diesem Trabanten unserer Erde beeinflusst würden, und die Eingeborenen von Indien behaupten stets, es gehe mit solchen Kranken besser oder schlechter je nach den Wechseln des Mondes. E. W. in The Biblical Treasury 1873.

V. 7.8. Wie Rechtskundige, wenn sie eine wichtige Urkunde aufsetzen, oft mit einer allgemeinen Wendung schließen, um jeder Möglichkeit zu begegnen, dabei von dem Gedanken ausgehend, es könnte hernach gefolgert werden, dies oder jenes, was nicht ausdrücklich eingeschlossen, sei mit Bedacht ausgelassen, so schließt der Psalm auch, nach den besonderen Verheißungen V. 3-6, mit allgemeinen Sätzen, die die Verheißung des göttlichen Schutzes auf alles und jedes, auf alle nur denkbaren Fälle, auf das ganze Leben nach allen seinen Seiten und auf die Zeit und die Ewigkeit ausdehnen. Nach N. Mac-Michael 1860.

Von den schädlichen Einflüssen der Naturumgebung erweitert sich die Verheißung V. 7. und V. 8 nach allen Seiten. Jahve, sagt sich der Dichter, wird dich behüten vor allem Übel, welcherlei Art es auch sei und woher immer es drohe; er wird behüten deine Seele und also dein Leben nach innen wie nach außen; er wird behüten dein Aus- und Eingehen, d. i. deinen Handel und Wandel (5. Mose 28,6 und öfters), also: allüberall und allseits, und das von jetzt an bis in Ewigkeit, wobei der Gedanke nahe liegt, dass das Leben desjenigen keinen Abbruch erleiden kann, der unter so allgemeinem und unbegrenztem Schutze der ewigen Liebe steht. Prof. Franz Delitzsch † 1890.

V. 8. Von nun an bis in Ewigkeit. Er hat mich nicht bisher so sorgsam geführt, um mich nun an der Himmelspforte im Stich zu lassen. Adoniram Judson † 1850.

Homiletische Winke

V. 1.
Das Fenster, offen gegen Jerusalem (Dan. 6,11). 1) Die Berge, zu denen wir unsere Augen aufheben. 2) Die Hilfe, nach der wir ausschauen. 3) Die Augen, mit denen wir dahin sehen.
Woher kommt mir Hilfe? (Grundtext) Eine hochwichtige Frage; denn 1) ich bedarf der Hilfe, und zwar in hohem Maße, in mancherlei Weise, beständig, auch in diesem Augenblicke. 2) In den meisten Richtungen kann ich nicht nach ihr ausschauen, denn die Menschen sind ohnmächtig, wankelmütig oder gar feindselig usw. 3) Ich muss aufwärts blicken, zu der Vorsehung, zu der Gnade, zu meinem Gott.
V. 2.
Der Schöpfer, der Helfer der Geschöpfe.
1) Gott ist der Seinen Hilfe. 2) Er hilft ihnen in dem Maße, wie sie sich seiner Hilfe bedürftig fühlen. 3) Sein Helfen ist nie vergeblich; kommt diese Hilfe doch nicht von der Erde noch von den Himmeln, sondern von dem HERRN, der Himmel und Erde gemacht hat. (Jes. 40,26-31.) George Rogers 1890.
V. 3a.
Die Bewahrung unseres Wandels die besondere Sorge dessen, der uns das Leben gegeben.
V. 3.
Trost für den Wanderer auf den gefährlichen Wegen (dem mauvais pas) des Lebens. Wir haben einen Führer bei uns, der alles kennt und alles kann, der niemals schläft, sondern unveränderlich ist an Treue und Macht.
V. 3b.
1) Des HERRN Fürsorge ist, so umfassend sie ist, doch stets persönlich. Der Hüter des ganzen Israel behütet auch dich. Gott müht sich um jeden Einzelnen, handelt mit jedem besonders. a) Das ist schon in seiner Fürsorge für seine Gemeinde eingeschlossen, denn diese besteht ja aus Persönlichkeiten. b) Es ist begründet in unserer Religion, die eine persönliche Sache ist. c) Wir werden in der Schrift dessen versichert, durch Beispiele und Verheißungen. Er hat mich geliebt usw. d) Es bestätigt sich in der Erfahrung. 2) Die Fürsorge des HERRN ist unermüdlich. Der dich behütet, schläft nicht. Er ist a) nie mit unserer Lage unbekannt, b) nie dagegen gleichgültig, c) niemals des Helfens müde. Wir meinen wohl manchmal, er schlafe, aber das sind unsere törichten Gedanken. Fred. J. Benskin 1882.
V. 4.
1) Der Argwohn: Gott schläft! 2) Die Abweisung. 3) Die hierin eingeschlossene gegenteilige Wahrheit: Er ist stets auf uns bedacht, um uns zu helfen und uns zu segnen.
Er hütet Israel 1) mit schärfster Wachsamkeit als sein kostbares Eigentum, 2) mit zarter Liebe als seine auserkorene Braut, 3) mit behutsamer Vorsicht wie seinen Augapfel. Dan. Featley † 1645.
Jehovah der Hüter Israels. 1) Die Segnungen, die in diesem Namen eingeschlossen sind. 2) Die Bedürfnisse, denen er entspricht. 3) Die Ämter, auf die der Name hinweist: Hirte, König, Gatte, Vater usw. 4) Das Verhalten, zu dem er uns veranlasst.
V. 5.
Der HERR behütet dich, nicht Engel usw. 1) Er ist dazu imstande. Sein ist unendliche Weisheit, Macht usw. 2) Er hat es übernommen. 3) Er hat es getan. 4) Er wird es tun, wird dich bewahren in seiner Liebe, in seinem Bunde, als Schaf seiner Herde, als sein Kind, sein kostbares Eigentum, seinen Augapfel usw. Fred. J. Benskin 1882.
V. 5b.
Gott ist uns so nahe und von uns so untrennbar wie unser Schatten.
V. 4-8.
Der HERR behütet dich 1) wachsam: er schläft noch schlummert nicht; 2) in jeder Hinsicht: deinen Ausgang und Eingang, vor allem Übel; 3) beständig: des Tages, des Nachts, von nun an bis in Ewigkeit; 4) persönlich: dich; Israel. Fred. J. Benskin1882.
V. 6.
Auch die gewaltigsten Mächte dürfen unter Gottes Obwalten denen, die ihm vertrauen, nicht schaden, müssen ihnen vielmehr dienen.
1) Gottes Wort erlöst uns von aller abergläubischen Furcht; 2) es gibt uns Zusagen, die uns mit heiterer Zuversicht erfüllen.
V. 7.
1) Gott selbst wirkt in der Vorsehung. 2) Seine Vorsehung geht auf den Einzelnen persönlich. 3) Sie richtet sich besonders auf den Mittelpunkt unserer Persönlichkeit, unsere Seele.
V. 8.
Wer? Der HERR. Was wird er? Dich behüten. Wann? Deine Ausgänge und Eingänge, von nun an. Wie lange? Bis in Ewigkeit. Und ich? Ich will meine Augen aufheben usw.
1) Wandelbares: Ausgang und Eingang. 2) Unwandelbares: Der HERR wird dich behüten.
Wer sich nur nach dem, was er fühlt, richtet, der verliert Christus. (Martin Luther)

Jörg
Moderator
Beiträge: 2972
Registriert: 04.04.2008 07:47
Wohnort: Essen im Ruhrpott

Psalm 122

Beitrag von Jörg »

PSALM 122 (Auslegung & Kommentar)

Überschrift

Der Überschrift nach ist dieser kurze, geistvolle Psalm ein Wallfahrtslied, bestimmt, von dem Volke beim Hinaufziehen zu den heiligen Festen gesungen zu werden, und von David verfasst. Er steht unter diesen Festpilgerliedern an dritter Stelle. Seinem Inhalte nach war er vornehmlich geeignet, in dem Augenblicke angestimmt zu werden, wenn die Pilger die Tore durchschritten hatten und ihre Füße die Stadt selbst betraten. Da war es sehr natürlich, gerade Jerusalem zu besingen und um Frieden und Wohlergehen für die Heilige Stadt zu flehen; war sie doch der gottesdienstliche Mittelpunkt Israels und der Ort, wo der HERR sich am Gnadenstuhl offenbarte. Die Stadt war zu Davids Zeiten noch nicht völlig ausgebaut; nehmen wir dennoch, der Überlieferung folgend, David als Verfasser an, so mag er im prophetischen Geiste so von ihr geschrieben haben, wie sie hernach in Salomos Zeit wurde. Die dichterische Freiheit erlaubt ja, von den Dingen nicht nur zu reden, wie sie sind, sondern wie sie, zur Vollkommenheit gelangt, sein werden. Jerusalem, "die Wohnstatt des Friedens", ist das Stichwort dieses Psalms; im hebräischen Wortlaut desselben finden sich manche schöne Anspielungen auf diesen Namen, wo der Friede auf die Stadt herabgefleht wird. Den Pilgern, die innerhalb der Mauern der Heiligen Stadt standen, diente alles um sie her zur Erklärung der Worte, die sie sangen. Eine Stimme leitete wohl den Gesang, "Ich freute mich", aber zehntausend Brüder und Freunde schlossen sich gewiss dem Vorsänger an und ließen die Worte in mächtigem Chore widerhallen.

Auslegung


1.
Ich freute mich über die, so mir sagten:
Lasset uns ins Haus des HERRN gehen!
2.
Unsre Füße stehen
in deinen Toren, Jerusalem.
3.
Jerusalem ist gebaut,
dass es eine Stadt sei, da man zusammenkommen soll,
4.
da die Stämme hinaufgehen,
die Stämme des HERRN,
wie geboten ist dem Volk Israel,
zu danken dem Namen des HERRN.
5.
Denn daselbst stehen die Stühle zum Gericht,
die Stühle des Hauses David.
6.
Wünschet Jerusalem Glück!
Es möge wohlgehen denen, die dich lieben!
7.
Es möge Friede sein in deinen Mauern
und Glück in deinen Palästen!
8.
Um meiner Brüder und Freunde willen
will ich dir Frieden wünschen.
9.
Um des Hauses willen des HERRN, unseres Gottes,
will ich dein Bestes suchen.



1. Ich freute mich über die, so mir sagten: Lasset uns ins Haus des HERRN gehen! Gute Kinder gehen gerne heim ins Vaterhaus und freuen sich, wenn ihre Brüder und Schwestern ihnen rufen, nach Hause zu kommen. Dem Psalmisten war die Anbetung Gottes Herzenssache, und es erfüllte ihn mit hoher Freude, wenn andere ihn einluden, dahin zu gehen, wohin sein Sehnen schon vorauseilte. Auch den Eifrigsten dient es zur Bestärkung in ihrem Eifer, wenn sie von treuen Brüdern zur Erfüllung heiliger Pflichten aufgemuntert werden. Das Wort der Anforderung lautete nicht: "Geh", sondern: "Lasst uns gehen"; so boten die Worte dem heiligen Sänger Grund zu zwiefacher Freude. Er freute sich darüber um der andern willen, und zwar sowohl darüber, dass sie selber zu gehen wünschten, als auch, dass sie den Freimut und die liebreiche Gesinnung hatten, andere zum Mitgehen einzuladen. Er wusste ja, es würde ihnen reichen Segen bringen; kein größeres Glück kann uns und unseren Freunden zuteilwerden, als wenn die Liebe zu dem Ort, da Gottes Ehre wohnt, aller Herzen erfüllt. Was für ein herrlicher Tag wird das sein, wenn viele aus allen Völkern sich aufmachen werden und sprechen: Kommt, lasst uns hinauf zum Berge des HERRN gehen und zum Hause des Gottes Jakobs, dass er uns lehre seine Wege und wir auf seiner Straße wandeln (Jes. 2,3; Micha 4,2).


Aber der Psalmist war auch froh um seiner selbst willen. Die Einladung ins Heiligtum war ihm lieb, der Gedanke, in Gemeinschaft mit andern zu den schönen Gottesdiensten im Hause des HERRN gehen zu dürfen, entzückte ihn, und auch das tat ihm wohl, dass andere so liebreich von ihm dachten, dass sie ihre Einladung auch an ihn richteten. Es gibt ja Leute, die sich durch solche Ansprache beleidigt gefühlt und geantwortet haben würden: "Kümmert euch um eure Sachen; was geht’s euch an, ob ich zum Gottesdienst gehe oder nicht?" So aber dachte David, der König, nicht, wiewohl er in höheren Würden war, als irgendeiner von uns, und es wahrlich weniger bedurfte, an seine religiösen Pflichten erinnert zu werden. Eine Lust, nicht eine Last war es ihm, wenn man in ihn drang, am feierlichen Gottesdienst teilzunehmen. Es machte ihm reine Freude, ins Haus des HERRN zu gehen, Freude, dies in heiliger Gesellschaft zu tun, und Freude, dass Brüder und Schwestern so freudig bereit waren, ihn unter sich zu haben. Vielleicht war er zuvor gerade traurig gewesen; aber dieser beglückende Plan heiterte sein Gemüt auf. Er spitzte die Ohren, wie man wohl sagt, wenn seines Vaters Haus nur erwähnt wurde. Ist es auch bei uns so? Macht es uns Freude, wenn andere uns zum Gottesdienst einladen oder uns ermuntern, uns der Gemeinde des HERRN anzuschließen? Dann werden wir auch einst mit Freuden den Ruf der himmlischen Geister vernehmen, wenn sie uns in das Haus Gottes laden, das nicht mit Händen gemacht ist, sondern ewig ist im Himmel.

Horch! es flüstert Engelchor!
Seele, Seele, komm empor!1

Erfreut es uns schon, wenn andere uns ins Vaterhaus zu kommen rufen, wie viel größer wird erst die Freude sein, wenn wir nun wirklich dahin eingehen! Wir lieben unseren Gott, darum lieben wir auch sein Haus, und mächtige Sehnsucht erfüllt uns, bald die Wohnstatt seiner ewigen Herrlichkeit zu erreichen. Ein betagtes Gotteskind ermunterte sich im Sterben mit diesem augenscheinlichen Beweis des Gnadenstandes, indem sie ausrief: "HERR, ich hatte (hienieden) lieb die Stätte deines Hauses und den Ort, da deine Ehre wohnt" und auf Grund dessen dann bat, dass sie nun in die heilige Gemeinschaft derer aufgenommen werde, die immerdar den König sehen in seiner Schöne. Die Freude, mit der schon der Gedanke, in Gottes Haus weilen zu dürfen, uns erfüllt, zeigt in der Tat an, welcher Gesinnung wir im Innersten sind, und sagt voraus, dass wir eines Tages glückselig uns im Vaterhause droben finden werden. Welch herrliches Sabbatlied ist doch dieser Psalm. Im Ausblick auf den Tag des Herrn und all das Liebliche und Heilige, das mit ihm verbunden ist, frohlockt unsere Seele. Wie schön aber passt er auch auf die Gemeinde, das geistliche Haus Gottes! Wie glücklich sind wir, wenn wir Scharen bereit sehen, sich dem Volke Gottes anzuschließen. Besonders der Hirte freut sich, wenn viele sich an ihn wenden mit der Bitte, sie an der Hand zu nehmen und in die Gemeinschaft der Jünger Jesu einzuführen. Nichts ist seinem Ohr erquickender als die bescheidene Bitte: Lass uns ins Haus des HERRN eingehen!

2. Unsre Füße stehen in deinen Toren, Jerusalem. Die Worte zeigen, dass die Pilger nun eben in die Umwallung der heiligen Stadt eingetreten sind und sich mit Wonne dieser Tatsache bewusst werden. Wenn wir wirklich in der Gemeinde des HERRN sind, so dürfen wir wohl darüber frohlocken. Stehen unsere Füße in Jerusalem, dann mag unser Mund wohl singen. Außerhalb der Tore der Gottesstadt ist lauter Gefahr und wird eines Tages nichts als Verderben herrschen; innerhalb der Tore aber ist lauter Sicherheit, Seligkeit, Friede und Freude und Herrlichkeit. Die Tore stehen uns offen, dass wir eingehen können, und schließen sich nur für unsere Feinde, dass sie uns nicht nachzugehen vermögen. Der HERR liebt die Tore Zions, und auch wir lieben sie, wenn wir uns innerhalb ihrer befinden. Welch köstliches Vorrecht, ein Bürger von Neu-Jerusalem zu sein! Warum sind wir so hoch bevorzugt? So mancher Füße laufen draußen dahin auf dem breiten Wege oder löcken wider den Stachel, werden von Schlingen festgehalten oder gleiten aus zu furchtbarem Fall; unsre Füße aber stehen, dank der göttlichen Gnade, und zwar in deinen Toren, Jerusalem - welch ehrenvoller Stand -, und werden dort bleiben immerdar - welch ehrenvolle Zukunft!

Fußnote
1. Aus des engl. Dichters A. Pope Ode "Lebenshauch, entquoll’n aus Gott."
Wer sich nur nach dem, was er fühlt, richtet, der verliert Christus. (Martin Luther)

Antworten