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Verfasst: 04.05.2011 23:12
von Der Pilgrim
Vierzehntes Kapitel: Wie die beiden Naturen die Person des Mittlers bilden.


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Wenn es nun heißt: „das Wort ward Fleisch“ — so ist das nicht so zu verstehen, als ob das Wort in Fleisch verwandelt oder mit dem Fleisch vermischt worden sei. Es geschah vielmehr, weil es sich aus dem Schoße der Jung frau heraus einen Tempel ersehen, in dem es Wohnung nehmen sollte, weil er, der Sohn Gottes, zum Menschensohn geworden ist, und zwar nicht durch Ver mischung des Grundwesens, sondern durch die Einheit der Person. Diese Ver bindung und Einigung der Gottheit mit der menschlichen Natur aber ist — wie wir behaupten — von solcher Art, daß jede Natur vollkommen behält, was ihr zu­gehört, und daß doch aus diesen zweien der eine Christus geworden ist. Sollen wir etwas nennen, das vielleicht diesem erhabenen Geheimnis vergleich bar wäre, so könnte man am ehesten den Menschen selber betrachten: er besteht auch aus zwei Grundwesen; und doch ist dabei keines mit dem anderen derart ver mischt, daß es etwa seine Eigenart verlöre! Denn die Seele ist nicht der Leib, und der Leib ist nicht die Seele. Deshalb kann man von der Seele manches sagen, was vom Leibe in keiner Weise gelten kann, und wiederum auch manches vom Leibe, was unter keinen Umständen auf die Seele zutrifft; auch vom ganzen Men schen läßt sich vieles aussagen, was man weder auf die Seele für sich allein, noch auf den Leib ohne Verschiebung des Inhalts anwenden kann! Endlich kann man Eigenschaften der Seele auf den Leib und Eigenschaften des Leibes auf die Seele übertragen — und doch ist der Mensch, der aus Leib und Seele besteht, einer und nicht mehrere. Redet man so vom Menschen, so ergibt sich einerseits, daß er eine Person ist, die sich aus zwei verbundenen Teilen zusammensetzt, daß aber andererseits zwei verschiedene Naturen da sind, die jene Person bilden. Auf diese Weise redet die Schrift auch von Christus. Sie schreibt ihm einmal das zu, was man seinem Wesen nach notwendig auf die menschliche Natur beziehen muß, zum anderen aber auch, was deutlich in besonderer Weise der Gottheit eigen ist, oft aber auch, was beiden Naturen gemeinsam ist, aber keiner an und für sich in besonderer Weise zukommt! Von dieser Vereinigung der Naturen, die in Christus stattfindet, spricht die Schrift mit Geflissentlichkeit so, daß sie die Eigenart der einen auch der anderen zuteilt; diese Art, von den Dingen zu lehren, nennen die alten Kirchenlehrer „wechselseitiges Teilhaben an den Eigenschaften“ (idiomaton koinonia, communicatio idiomatum).


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Diese Erwägungen hätten indessen wenig Bestand, wenn nicht klare Stellen der Heiligen Schrift vorkämen, die beweisen, daß diese Sätze nicht vom Menschen er sonnen sind. Da sagt Christus von sich selber: „Ehe denn Abraham ward, bin ich“ (Joh. 8,58) — das paßt offenkundig in keiner Weise auf die menschliche Natur. Ich weiß freilich sehr wohl, was hier die Irrgeister für Unsinn aufbringen, um diese Stelle zu mißdeuten: sie sagen: Christus sei in dem Sinne eher da als alle Zeiten, weil er ja im Ratschluß des Vaters und dann auch im Sinne der From men schon je und je als der Erlöser bekannt war. Aber er macht selbst einen deut lichen Unterschied zwischen dem Tage seiner Offenbarung und seinem ewigen Sein und Wesen und schreibt sich ausdrücklich die seit Anbeginn bestehende Herrschaft zu, die ihn weit über den Abraham erhebt; damit aber nimmt er unzweifelhaft göttliche Eigenart für sich in Anspruch. Paulus nennt ihn „den Erstgeborenen vor allen Kreaturen“, der vor allem war und „durch den alles geschaffen ist“ (Kol. 1,15f.). Er selbst redet von der „Klarheit, die ich bei dir hatte, ehe die Welt war . .“ (Joh. 17,5). Er erklärt: „Mein Vater wirket bisher, und ich wirke auch“ (Joh. 5,17). Auch diese Aussagen können sich ebensowenig auf den Menschen beziehen wie die zuerst genannte; wir müssen sie also ganz sicher in besonderer Weise der Gottheit zuschreiben. Aber andererseits heißt er der „Knecht“ des Vaters (Jes. 42,1 und öfters); wir lesen: „Und er nahm zu an Alter, Weisheit und Gnade bei Gott und den Men schen“ (Luk. 2,52). Er selbst sagt: „Ich suche nicht meine Ehre …“ (Joh. 8,50). Er weiß nach seiner eigenen Aussage den jüngsten Tag nicht (Mark. 13,32). Er er klärt: „Die Worte, die ich rede, die rede ich nicht von mir selbst …“ (Joh. 14,10). Er tut auch nicht seinen eigenen Willen (Joh. 6,38). Man hat ihn gesehen und betastet (Luk. 24,39). Dies alles gehört allein der menschlichen Na tur zu! Denn als Gott kann er nicht wachsen, als Gott handelt er in allem aus sich selbst, als Gott ist ihm nichts verborgen, als Gott tut er stets seinen eigenen Willen, als Gott ist er nicht sichtbar, nicht betastbar! Und doch macht er diese Aussagen nicht von seiner menschlichen Natur allein (abgetrennt von sei ner „Person“), sondern er bezieht sie auf sich (als „Person“), da sie zu seiner Mittlerperson gehören! Das „wechselseitige Teilhaben an den Eigenschaften“ finden wir zum Beispiel in dem Wort des Paulus: „(Die Gemeinde), welche er (Gott!) durch sein eigen Blut erworben hat!“ (Apg. 20,28), oder auch in seinem Satz: „Sonst hätten sie den Herrn der Herrlichkeit nicht gekreuzigt!“ (1. Kor. 2,8). Dahin gehört es auch, wenn Johannes von dem „Worte des Lebens“ spricht, „das … unsere Hände betastet haben …“ (1. Joh. 1,1). Denn Gott hat gewiß kein Blut, er ist gewiß nicht leidensfähig, er wird nicht mit Händen betastet. Aber Christus, der ja wahrer Gott und wahrer Mensch war, hat am Kreuze für uns sein Blut vergossen, und deshalb wird das, was er nach seiner menschlichen Natur voll bracht hat, zugleich auch von der göttlichen Natur ausgesagt, gewiß uneigent lich, aber wahrhaftig nicht ohne Grund! Ähnlich ist es auch mit der Stelle 1. Johannes 3,16, wo wir hören, Gott habe „sein Leben für uns gelassen“. Auch hier wird eine Eigentümlichkeit der menschlichen Natur zugleich der anderen zu teil gegeben. Auf der anderen Seite sagt Christus während seines Erdenwandels: „Und niemand fährt gen Himmel, denn der vom Himmel herniedergekommen ist, nämlich des Menschen Sohn, welcher im Himmel ist!“ (Joh. 3,13). Er war doch ganz gewiß damals nach dem Menschen und in seinem Fleisch, das er an genommen hatte, nicht im Himmel. Aber er war ja Gott und Mensch zu gleich — und wegen der Einung und wechselseitigen Gemeinsamkeit der Naturen konnte er der einen zuschreiben, was eigentlich der anderen gehörte!


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Aber am klarsten wird das Wesen Christi an den Stellen beschrieben, die von beiden Naturen zugleich sprechen. Solche finden sich in großer Zahl, be sonders im Johannesevangelium. Man kann es z.B. weder ausschließlich der Gott heit, noch in besonderer Weise der Menschheit, sondern muß es beiden zugleich zu schreiben, wenn es dort heißt, Christus habe vom Vater die Vollmacht zur Sün denvergebung empfangen (Joh. 1,29; Matth. 9,6), oder die Vollmacht, aufzuerwecken, wen er will (Joh. 5,21), oder auch, Gerechtigkeit, Heiligkeit und Se ligkeit auszuteilen, oder auch: er sei zum Richter gesetzt über Lebendige und Tote, er solle geehrt werden wie der Vater (Joh. 5,21ff.). In gleicher Richtung geht es, wenn er „das Licht der Welt“ (Joh. 8,12; 9,5), der „gute Hirte“, die „einzige Tür“ (Joh. 10,9.12) oder auch der „rechte Weinstock“ (Joh. 15,1) heißt. Denn das waren die besonderen Vorrechte, mit denen Gottes Sohn, als er im Fleische ge offenbart wurde, ausgerüstet war; er hatte sie schon vor Anbeginn der Welt mit dem Vater zusammen ausgeübt, wenn auch auf andere Weise und in anderer Hin sicht, und diese Vorrechte hätten einem Menschen, der nichts gewesen wäre als ein Mensch, nie zuteil werden können! In gleichem Sinne wird man es auch zu ver stehen haben, wenn Paulus schreibt, Christus werde nach dem Gericht „das Reich Gott und dem Vater“ überantworten (1. Kor. 15,24). Das Reich des Sohnes Gottes ist ganz gewiß ohne Anfang und kann auch kein Ende nehmen. Aber er hat sich unter der Niedrigkeit des Fleisches verborgen, hat sich selbst entäußert und Knechtsgestalt angenommen, hat alle Herrlichkeit seiner göttlichen Majestät niedergelegt und ist dem Vater bis zum Letzten gehorsam gewesen (Phil. 2,8) — aber dann ist er nach Voll endung dieser Gehorsamstat mit Ruhm und Ehre gekrönt (Hebr. 2,9) und zu höchster Herrschaft erhoben worden (Phil. 2,10), so daß sich nun vor ihm alle Knie beugen sollen; und so wird er dereinst seinen herrlichen Namen und die Ehren krone, alles, was ihm der Vater gegeben hat, auch dem Vater zu Füßen legen, „auf daß Gott sei alles in allen“ (1. Kor. 15,28). Denn wozu hat ihm der Vater Macht und Herrschaft gegeben, als daß er uns durch ihn regiere? Ähnlich muß man es auch verstehen, wenn uns die Schrift sagt, daß er zur Rechten des Vaters sitzt (Röm. 8,34 u.a.). Das währt aber nur eine Zeitlang, nämlich bis wir Gott gegen wärtig schauen dürfen. Hier haben einige von den Alten einen unentschuldbaren Irr tum begangen: sie haben Christi Stellung als Mittler nicht richtig beachtet und darum den ursprünglichen Sinn fast der ganzen Lehre von Christus, wie sie uns im Johannesevangelium entgegentritt, verdunkelt, sich selber aber in mancherlei Fall stricke verwickelt. Wir wollen es also als Schlüssel zum rechten Verständnis dieser Dinge festhalten: Aussagen, die das Amt des Mittlers betreffen, dürfen nie auf die göttliche oder auch auf die menschliche Natur für sich allein bezogen wer den. Christus wird also herrschen, bis er als Weltenrichter hervortreten wird; d.h. er vereinigt uns nach dem Maß unserer Schwachheit mit dem Vater. Sind wir aber der himmlischen Herrlichkeit teilhaftig geworden, schauen wir Gott, wie er ist — dann hat Christus sein Mittleramt endgültig vollendet, dann hört er auf, der Ab gesandte des Vaters zu sein, dann wird er wieder in den Besitz der Herrlichkeit treten, die er bei dem Vater hatte, ehe der Welt Grund gelegt war! Allein in diesem Sinne paßt auch der Name „Herr“ auf die Person Christi, nämlich nur insofern, als er ja eine Mittlerstellung zwischen Gott und uns einnimmt. Hierhin gehört das Wort des Paulus: „Es ist ein Gott, von welchem alle Dinge, und ein Herr, durch welchen alle Dinge!“ (1. Kor. 8,6); denn dem Herrn ist vom Vater die zeitliche Herrschaft aufgetragen, bis wir seine göttliche Majestät von Angesicht zu Angesicht schauen dürfen: dann gibt er sein Herrschaftsamt dem Vater zurück; aber das bedeutet dann keine Schmälerung seiner Herrlichkeit, nein, sie leuchtet dann noch strahlender hervor! Dann ist Gott auch nicht mehr das Haupt Christi; denn die Gottheit Christi, die uns jetzt noch wie unter einem Vor hang verhüllt wird, leuchtet dann in ihrem eigenen Glanz!

Verfasst: 06.05.2011 13:14
von Der Pilgrim
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Wenn der Leser diese Beobachtungen recht anwendet, so lösen sich damit viele verwickelte Knoten. Es ist wirklich merkwürdig, wie sehr ungelehrte und sogar einigermaßen kundige Leute an solchen Ausdrücken Anstoß nehmen, die sich offenbar auf Christus beziehen, ihnen aber weder auf seine Gottheit noch auf seine Mensch heit recht zu passen scheinen: sie achten eben nicht darauf, daß diese Bezeichnungen sich auf seine (unteilbare) Person, in der er sich als Gott und Mensch offen bart hat, und auf sein Mittleramt beziehen. Dabei kann man immer wieder wahrnehmen, wie gut diese einzelnen Bezeichnungen zusammenklingen, wenn sie nur einen verständigen Ausleger finden, der diese hohen Geheimnisse mit der gebühren den Ehrerbietung durchforscht (vergleiche Augustin, Handbüchlein an Laurentius, 36). Aber es ist ja nichts, was tolle, fanatische Geister nicht durcheinanderwerfen! Sie nehmen die Eigenschaften der menschlichen Natur her — und wollen damit die Gottheit bestreiten, und umgekehrt benutzen sie die Eigenschaften der göttlichen Natur, um Christus die wahre Menschheit abzusprechen! Und was über beide Na turen zugleich gesagt wird und also keiner für sich allein zugesprochen werden kann, das benutzen sie, um beide zu bestreiten! Das heißt aber nun nichts anderes als dies: man spricht Christus die Menschheit ab, weil er Gott ist, und man nimmt ihm die Gottheit, weil er Mensch ist: er ist also im Endergebnis weder Gott, noch Mensch, weil er Mensch und Gott ist! Wir aber halten Christus, weil er Gott und Mensch ist und die beiden Na turen in ihm geeint, aber nicht vermischt sind, für unseren Herrn und den Sohn Gottes — auch nach seiner menschlichen Natur, freilich nicht um ihretwillen! Deshalb wollen wir nichts mit dem Irrtum des Nestorius zu tun haben: der wollte die beiden Naturen voneinander scheiden, statt sie bloß zu unterscheiden, und dadurch kam er zu der Wahnidee eines sozusagen doppelten Christus. Dagegen erhebt die Heilige Schrift mit klarer Stimme Einspruch; denn da wird der, der von der Jungfrau Maria geboren wurde, Sohn Gottes genannt (Luk. 1,32), und die Mutter heißt „Mutter unseres Herrn“ (Luk. 1,43). Ebensosehr müssen wir uns vor dem Wahn des Eutyches hüten: wir würden uns sonst zwar bemühen, die Einheit der Person möglichst deutlich auszudrücken, aber dabei beide Naturen um ihre Eigenheit bringen. Wir haben ja schon eine große Zahl von Schriftstellen angeführt, in denen Christi Gottheit von seiner Menschheit unterschieden wird, und es gibt überall in der Schrift auch noch weitere, so daß man in dieser Hinsicht selbst den zanksüchtigsten Menschen den Mund stopfen kann. Ich will auch gleich noch einiges anfügen, das dieses Phantasiegebilde besser zerstören kann, vorerst mag uns eine einzige Stelle genügen: Christus nennt seinen Leib einen Tempel (Joh. 2,19) — das hätte er gar nicht sagen können, wenn in ihm die Gottheit nicht für sich allein (vom Leibe unterschieden) ihre Wohnstatt gehabt hätte! Es war recht, daß Nestorius in der Synode zu Ephesus und dann später auch Eutyches in den Synoden zu Konstantinopel und Chalcedon verdammt wurde; denn man darf die beiden Naturen in Christus weder vermischen, noch vonein ander trennen.


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Aber zu unseren Zeiten ist nun ein ebenso gefährliches Ungeheuer aufgetreten, nämlich Michael Servet. Der ersetzt den Sohn Gottes durch ein Gebild, das aus Gottes Wesen, dem Geiste, dem Fleisch und drei ungeschaffenen Elementen zusam mengesetzt sein soll! Zunächst stellt er die Behauptung auf, Christus sei nur darum und nur insofern der Sohn Gottes, als er durch den Heiligen Geist aus der Jungfrau Maria geboren sei. Der Zweck dieses arglistigen Satzes ist der: er will die Unterscheidung der beiden Naturen beiseite schieben, und dann soll Christus irgend etwas sein, das aus Gott und Mensch zusammengemischt, aber weder Gott noch Mensch wäre! Vor allem will er mit seinem ganzen Verfahren auf den Satz hinaus, Gott hätte vor der Offenbarung Christi im Fleische bloß Schattenbilder in sich ge tragen, und diese Schattenbilder seien erst dann zu Wahrheit und Wirkung ge langt, als jenes „Wort“, das Gott für diese Ehre ausersehen hatte, Gottes Sohn zu sein — anfing! Nun behaupten wir aber, daß der Mittler, der von der Jungfrau Maria geboren ist, wahrhaftig Gottes Sohn sei. Auch hätte ja der Mensch Christus nicht der Spie gel der unausdenkbaren Gnade Gottes sein können, wenn ihm nicht die Würde eigen gewesen wäre, vermöge deren er der eingeborene Sohn Gottes war und hieß! Aber dabei muß denn doch die in der Kirche übliche Ausdrucksweise un bedingt festgehalten werden: Christus heißt der Sohn Gottes, weil er als das Wort, das vom Vater vor aller Zeit gezeugt ward, in personhafter Einung menschliche Natur angenommen hat. Der Ausdruck „personhafte Einung“ (unio hypostatica) ist von den Alten verwendet worden, weil es sich hier um die Vereini gung der zwei Naturen zu einer Person handelt. Der Begriff ist zur Abwehr der Wahnidee des Nestorius in Gebrauch gekommen: der bildete sich nämlich ein, der Sohn Gottes wohne dergestalt im Fleische, daß er doch nicht selbst Mensch würde. Nun wirft Servet uns vor, wir erdächten uns einen zwiefachen Sohn Gottes, weil wir sagen, das ewige Wort sei schon der Sohn Gottes gewesen, bevor die Fleischwerdung eintrat — und dabei sagen wir damit doch nur: er ist im Fleische geoffenbart worden! Wenn er bereits Gott war, ehe er Mensch wurde, so wurde er doch mit der Menschwerdung kein neuer Gott! Ebensowenig ist es wider sinnig, wenn wir sagen: der Sohn Gottes, der gewiß durch ewige Zeugung bereits der Sohn war, der ist nun im Fleische erschienen! Das zeigen ja auch die Worte des Engels an Maria: „Das Heilige, das von dir geboren wird, wird der Sohn Gottes genannt werden“ (Luk. 1,35). Das bedeutet doch: der Name des Sohnes, der unter dem Gesetz einigermaßen verborgen war, der soll nun hochbe rühmt und allbekannt werden! Dazu stimmt auch das Wort des Paulus: „Weil wir denn durch Christus Kinder Gottes sind, so rufen wir frei und zuversichtlich: ‚Abba, lieber Vater’“ (Röm. 8,15; dem Sinne nach zitiert). Sind aber nicht auch in alter Zeit die heiligen Väter zu den Kindern Gottes gezählt worden? Ganz gewiß: auf ihr Kindesrecht haben sie sich gestützt, wenn sie Gott als ihren Vater anriefen! Aber seitdem Gottes eingeborener Sohn in die Welt gekommen ist, da ist diese Vatereigenschaft Gottes deutlicher bekannt geworden, und Paulus rechnet das zu den besonderen Vorrechten, die uns Christi Reich bringt! Aber dabei ist freilich fest zuhalten: Gott hat sich niemals — Engeln oder Menschen gegenüber! — als Va ter erzeigt, als allein im Blick auf seinen eingeborenen Sohn! Insbesondere sind die Menschen, die ja durch ihre eigene Ungerechtigkeit Gott verhaßt sind, nur durch gnädige Annahme Kinder Gottes; denn Christus ist von Natur Gottes Sohn! Hier wendet nun Servet ohne Grund ein, diese gnädige Annahme sei davon abhängig, daß Gott bei sich beschlossen hatte, einen Sohn zu haben; aber es handelt sich hier nicht um die Vorbilder — also etwa um die äußere Darstellung der Ver söhnung im Tieropfer! —, sondern um die Sache selber: und da gilt der Satz, daß die Väter nicht tatsächlich Gotteskinder hätten werden können, wenn ihre An nahme in die Kindschaft nicht in ihrem Haupte begründet gewesen wäre; wollte man also dem Haupte absprechen, was doch die Glieder alle besitzen (nämlich wirkliche Kindschaft), so wäre das einfach sinnlos! Ja, ich gehe noch weiter: Die Schrift nennt auch die Engel Gottes Söhne (Ps. 82,6); diese ihre hohe Würde war von der künftigen Erlösung nicht abhängig; und trotzdem mußte ihnen Chri stus in der Ordnung vorgesetzt sein, um sie in die Gemeinschaft mit dem Vater zu bringen. Ich will das in Kürze wiederholen und auf die Menschen anwenden. Engel und Menschen waren schon in der ursprünglichen Schöpfung dazu geschaffen, daß Gott ihr gemeinsamer Vater sei — denn Paulus hat doch wohl recht, wenn er sagt, Christus sei je und je das Haupt, der „Erstgeborene vor allen Kreaturen“, der Inhaber der Herrschaft über alles gewesen (Kol. 1,15)! Ist das aber wahr, so glaube ich auch mit vollem Recht folgern zu müssen, daß Christus schon vor Er schaffung der Welt Gottes Sohn gewesen ist!


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Hätte — wenn ich mich so ausdrücken soll — die Sohneseigenschaft Christi ihren Anfang erst mit seiner Offenbarung im Fleische gehabt, so müßte sich daraus er geben, daß er auch hinsichtlich seiner menschlichen Natur (Gottes) Sohn ge wesen sei. Servet und andere Schwarmgeister haben nun die Meinung, Christus sei als der im Fleisch Erschienene der Sohn Gottes, weil er ohne das Fleisch diesen Namen gar nicht tragen könnte. Sie sollen mir nun aber sagen, ob er nun nach bei den Naturen und in beider Hinsicht der Sohn sei. Das schwatzen sie tatsächlich — aber Paulus lehrt doch ganz anders! Ich gebe freilich auch meinerseits zu, daß Christus in seiner menschlichen Gestalt Sohn genannt wird; aber das geschieht nicht in dem Sinne, wie die Gläubigen diesen Titel tragen, eben durch Adoption und aus Gnaden, sondern er ist wahrhaft und von Natur der Sohn und darum von einzigartiger Stellung, er ist der einige Sohn, und das hebt ihn über alle anderen hinaus! Gewiß läßt Gott auch uns, die wir zu neuem Leben wiedergeboren sind, den Namen „Gotteskinder“ zuteil werden, aber wahrer und eingeborener Sohn heißt Christus allein. Er ist aber nur darum in so großer Schar von Brüdern von ein zigartiger Würde, weil er von Natur innehat, was wir als Geschenk empfangen! Diese Ehre aber bezieht sich auf die ganze Person des Mittlers: der, der von der Jungfrau Maria geboren ist, der sich am Kreuze dem Vater zum Opfer hingab, der ist in Wahrheit und im eigentlichen Sinne Gottes Sohn. Er ist es freilich vermöge seiner Gottheit, wie es Paulus deutlich lehrt: „Paulus … ausgesondert, zu predigen das Evangelium Gottes, welches er zuvor verheißen hat … von sei nem Sohn, der geboren ist von dem Samen Davids nach dem Fleisch, und kräftig erwiesen ein Sohn Gottes …“ (Röm. 1,1-4; in Auswahl). Er nennt ihn also ausdrücklich „Sohn Davids nach dem Fleisch“ — und erklärt dann noch beson ders, er sei „als Sohn Gottes … erwiesen“. Damit will er doch nur andeuten, daß diese Würde von etwas anderem abhängt als vom Fleische selber! Denn in demselben Sinne, in dem er sagt, Christus habe gelitten „in der Schwachheit“, sei aber auf erstanden „aus der Kraft Gottes“ (2. Kor. 13,4; Calvin sagt: „des Geistes“), so macht er auch hier zwischen beiden Naturen einen Unterschied. Wie also Christus — das müssen uns die Gegner gestehen! — von seiner Mutter das bekommt, was ihm das Recht gibt, Davids Sohn zu heißen, so hat er vom Vater jene Würde emp fangen, nach der er Gottes Sohn heißt, und diese Würde ist von seiner mensch lichen Natur durchaus verschieden. So gibt ihm die Heilige Schrift einen doppelten Namen: sie nennt ihn bald Gottes, bald des Menschen Sohn. Über die Bezeichnung „Menschensohn“ kann es keinen Streit geben: er heißt nach dem hebräischen Sprachgebrauch „Menschen“sohn, weil er von Adam abstammt. Auf der anderen Seite behaupte ich: er trägt den Titel „Gottes Sohn“ um seiner Gottheit, seines ewigen Wesens willen; denn man muß ja den Ausdruck „Gottes Sohn“ in derselben Weise auf seine Gottheit beziehen, wie wir die Bezeichnung „Menschensohn“ auf seine Menschheit bezogen! Auch müssen wir uns hier noch einmal an die angeführte Stelle aus dem Römerbrief erinnern: da hören wir, daß der, welcher nach dem Fleisch aus dem Samen Davids geboren ward, als Sohn Gottes erwiesen sei nach der Kraft Gottes; das ist aber genau so gemeint, wie wir es sonstwo lesen: „… aus welchen Christus herkommt nach dem Fleisch, welcher ist Gott, hochgelobet in Ewigkeit!“ (Röm. 9,5). An beiden Stellen (Röm. 1 und Röm. 9) wird also zwi schen beiden Naturen ein deutlicher Unterschied gemacht. Wie will man aber dann leugnen, daß Christus nach seiner Gottheit Gottes Sohn, nach seiner Menschheit Menschensohn ist?

Verfasst: 06.05.2011 23:45
von Der Pilgrim
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Aber unsere Gegner versuchen doch mit großem Geschrei, ihren Irrtum zu verteidigen. Sie weisen nämlich zunächst auf den Satz hin, Gott habe „seines eigenen Sohnes nicht verschonet …“ (Röm. 8,32). Auch verweisen sie darauf, daß der Engel die Weisung gegeben habe, den vom Weibe Geborenen „Sohn des Höchsten“ zu nennen. Aber damit sie nun über solch haltlosem Einwurf nicht in Hochmut geraten, wollen wir doch ein wenig miteinander überlegen, was denn nun diese Schlußfolgerung taugt. Besteht der Satz zu Recht, daß der Sohn Gottes erst mit der Empfängnis seinen Anfang genommen habe, weil ja der, der empfangen war, „Sohn“ genannt wurde — so ergibt sich weiter: er ist auch erst Wort ge wesen, seitdem er im Fleische offenbart ist — wie ja auch Johannes von dem „Wort des Lebens“ redet, das seine „Hände betastet“ haben! (1. Joh. 1,1). Ich erinnere nun aber an das Wort des Propheten: „Und du Bethlehem im Lande Juda, die du klein bist unter den Tausenden in Juda, aus dir soll mir kommen der Herzog, der über mein Volk Israel Herr sei, welches Ausgang von Anfang und von Ewigkeit her gewesen ist!“ (Micha 5,1). Was wollen sie nun zur Auslegung dieser Stelle sagen, wenn sie bei ihrer obigen Beweisführung bleiben wollen? Ich habe bereits deutlich ausgesprochen, daß wir unsererseits nicht daran denken, dem Nestorius zuzustimmen, der sich einen zwiefachen Christus ersonnen hat. Denn wir lehren, daß uns Christus durch brüderliche Vereinigung mit sich zusammen zu Kindern Gottes macht, weil er ja im Fleische, das er von uns Menschen nahm, doch Gottes eingeborener Sohn war. Deshalb nennt es auch Augustin sehr richtig einen herrlichen Erweis der besonderen Gnade Gottes, daß Christus als Mensch eine Ehre empfangen hat, die er sich eben als Mensch nicht verdienen konnte. Denn Christus wurde bereits seit Mutter leibe auch dem Menschen nach mit der herrlichen Würde geziert, der Sohn Gottes zu sein. Aber trotzdem bedeutet diese Einheit der Person nicht etwa eine Vermischung, die der Gottheit Christi ihr Eigensein entrisse! Denn daß das ewige Wort Gottes einerseits und Christus, nachdem in ihm die beiden Na turen zu einer Person geeint sind, anderseits den Titel „Gottes Sohn“ in verschiedener Beziehung tragen — das ist ebensowenig sinnwidrig wie die Tatsache, daß er bald Gottes, bald des Menschen Sohn heißt, je nach der gerade obwaltenden Beziehung! Servet bringt noch eine andere Schmähung vor, die uns aber ebenso wenig aus macht: er sagt, Christus hieße vor seiner Erscheinung im Fleische niemals „Sohn Gottes“, außer in bildlicher Rede. Gewiß, unter dem Gesetz gab es nur dunkle An deutungen von ihm; aber wir haben ja bereits gezeigt: er war nur deshalb ewiger Gott, weil er das vom ewigen Vater gezeugte Wort war, und dieser Name (Sohn Gottes, ewiger Gott) kommt der Person des Mittlers, die er annahm, nur zu, weil er Gott ist, im Fleische geoffenbart; auch würde Gott nicht von Anbeginn her der Vater heißen, wenn da nicht die gegenseitige Beziehung zu dem Sohn wäre, von dem alle Verwandtschaft und Vaterschaft herkommt im Himmel und auf Erden (Eph. 3,15). Daraus ergibt sich nun sofort, daß er auch schon unter dem Gesetz und den Propheten, als der Name „Gottes Sohn“ in der Gemeinde noch nicht allbekannt war, der Sohn Gottes gewesen ist. Geht der Streit aber einzig um den Namen „Gottes Sohn“, so möchte ich doch auch auf Salomo verweisen: er redet von der unermeßlichen Hoheit Gottes und behauptet dann, der Sohn Gottes sei ebenso un begreiflich wie Gott selber: „Nenne mir seinen Namen, wenn du kannst, oder nenne mir den Namen seines Sohnes…“ (Spr. 30,4; nicht Luthertext). Ich weiß wohl, daß streitsüchtige Leute dieses Schriftzeugnis nicht ausreichend finden werden; ich will mich auch selbst nicht besonders darauf stützen; aber eins zeigt es doch zur Genüge: die Leute, welche Christus nur insofern für den Sohn Gottes halten wollen, als er Mensch geworden ist, sind boshafte Lästermäuler! Auch haben ja selbst die ältesten kirchlichen Schriftsteller die von uns vertretene Lehre ein stimmig völlig klar ausgesprochen; und deshalb ist es lächerlich und unverschämt zugleich, wenn man mir den Irenäus oder den Tertullian entgegenzuhalten wagt, die doch beide klar bezeugen, der, welcher hernach sichtbar im Fleische erschien, sei schon zuvor unsichtbar der Sohn Gottes gewesen.


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Scheußliche Ungeheuerlichkeiten hat also Servet aufeinandergehäuft, und es wer den vielleicht nicht alle seine Gesinnungsgenossen alles unterschreiben, was er sagt. Aber wenn man diese Leute, die den Sohn Gottes nur in dem Fleischgewordenen anerkennen wollen, zu genaueren Äußerungen zwingt, so werden sie auch gleich zuge stehen, Christus sei der Sohn Gottes nur deshalb, weil er im Leibe der Jung­frau Maria von dem Heiligen Geiste empfangen worden ist. In dieser Weise haben in alter Zeit ja auch die Manichäer behauptet, der Mensch empfange seine Seele dadurch, daß Gott sie auf ihn übergehen ließe: weil sie nämlich lasen, Gott habe dem Adam „einen lebendigen Odem in seine Nase“ gegeben (Gen. 2,7). Den Namen „Sohn“ verstehen sie dann dermaßen genau, daß sie keinerlei Unterscheidung zwischen den „Naturen“ mehr übriglassen, sondern wirr durcheinander kläffen, der Mensch Christus sei Gottes Sohn, weil er eben nach seiner menschlichen Natur aus Gott geboren sei. So wird denn die ewige Zeugung der Weisheit, von der Salomo redet (Jes. Sir. 24,14), abgelehnt, und die Gottheit des Mittlers wird unbeachtet gelassen — oder an die Stelle des Menschen tritt ein Gespenst! Es wäre schon der Mühe wert, noch weitere tolle Wahnideen des Servet hier zu widerlegen, mit denen er sich und andere getäuscht hat — gerade dies Beispiel sollte dem frommen Leser eine Warnung sein, sich nicht von der Nüchternheit und Be scheidenheit in der Lehre abbringen zu lassen! Aber ich glaube, daß es doch hier überflüssig wäre, weil ich darüber ein besonderes Buch geschrieben habe. Die Lehre des Servet hat also zum Kernpunkt den Satz: der Sohn Gottes war im Anfang eine Idee, ein Gedanke; und er war schon damals dazu bestimmt, einst ein Mensch zu werden, der nun dem Wesen nach Gottes Ebenbild wäre. Als „Wort“ Gottes erkennt Servet also nur einen äußeren Schein an. Die Zeugung des Sohnes versteht Servet so: Gott habe seit Anbeginn den Willen gezeugt, den Sohn zu zeugen, und dieser Wille habe sich dann auch tatsächlich an der Kreatur selbst erwiesen. Auf diese Weise vermischt Servet Geist und Wort, weil Gott (nach seiner Meinung) das unsichtbare Wort und den Geist in Fleisch und Seele einge senkt haben soll. So tritt bei ihm denn auch die bildhafte Vorstellung Christi an die Stelle der Zeugung; freilich ist dann nach seiner Meinung dieser Sohn, der dazu mal bloß schattenhaft abgebildet war, endlich durch das Wort — das er als „Samen“ wirksam denkt! — gezeugt worden. Daraus folgt dann eigentlich: Schweine und Hunde sind auch Gottes Kinder, weil ja auch sie aus dem ursprünglichen Samen des Wortes Gottes geschaffen sein sollen! Denn er läßt Christus zwar aus drei ungeschaffenen Grundstoffen gebildet sein — was bei ihm soviel heißen will wie: aus Gottes Wesen gezeugt sein — aber Christus ist nur indem Sinne der Erstgeborene vor allen Kreaturen, daß auch etwa den Steinen eine gewisse wesentliche Gott heit eignet — nur eben nach ihrem eigenen Grad! Er will natürlich den Eindruck vermeiden, als streite er nun Christus seine Gottheit ab; deshalb behauptet er, Christi Fleisch sei mit Gott eines Wesens; oder er sagt auch, das Wort sei dadurch Mensch geworden, daß das Fleisch in Gott verwandelt worden sei! Er kann unter seinen Voraussetzungen Christus nur dann für den Sohn Gottes halten, wenn sein Fleisch aus Gottes Wesen herkommt und in göttliches Wesen ver wandelt wird — auf diese Weise aber macht er eben die ewige Person des Wortes zunichte und entreißt uns den Davidssohn, der uns als Erlöser verheißen war. Das wiederholt er öfters: der Sohn sei zwar von Gott geboren, nämlich in Gottes Wissen und Erwählung — aber dann sei er endlich Mensch geworden aus jenem Stoff, der im Anfang bei Gott in den drei Elementen sichtbar gewesen, dann in jenem ersten, ursprünglichen Licht der Welt wie auch in der Wolken- und Feuer säule in Erscheinung getreten sei! Es würde zu weit führen, wenn ich jetzt auch noch zeigen wollte, wie toll er sich zuweilen selbst widerspricht. Jedenfalls mag der Leser aus dieser zusammenfassenden Darstellung entnommen haben, wie über den zweideutigen Schlichen dieses unsaube ren Menschen jede Heilshoffnung zugrunde geht. Denn wenn das Fleisch selber die Gottheit ist, so ist es nicht mehr deren Tempel. Auch kann doch keiner unser Erlöser sein als der, der aus Abrahams und Davids Samen kommt und wirklich nach dem Fleisch Mensch geworden ist. Verkehrt ist es deshalb auch, wenn Servet mit solchem Eifer auf das Wort bei Johannes verweist: „Das Wort ward Fleisch …“; denn dieses Wort, das dem Irrtum des Nestorius so scharf entgegensteht, leistet auf der anderen Seite auch der gottlosen Phantasterei, wie sie Eutyches aufgebracht hat, keinerlei Vorschub: Der Evangelist wollte ja nur die Einheit der Person in den beiden Naturen betonen!

Verfasst: 08.05.2011 08:03
von Joschie
Fünfzehntes Kapitel: Wollen wir wissen, wozu Christus vom Vater gesandt ward und was er uns gebracht hat, so müssen wir vornehmlich sein dreifaches Amt, das prophetische, königliche und priesterliche, betrachten.


II,15,1

Mit Recht betont Augustin, die Ketzer möchten zwar den Namen Christi predigen — aber sie ständen dennoch nicht auf dem gleichen Fundament wie die Gläubigen; dieses Fundament sei der Kirche allein zu eigen; ja, wenn man sorg fältig erwäge, was alles gemeint sei, wenn man von Christus spreche, so lebe Chri stus bei ihnen nur dem Namen nach, aber nicht tatsächlich (Handbüchlein an Laurentius, 5). So ist es heutzutage mit den Papisten. Gewiß führen sie den „Sohn Gottes“, den „Erlöser der Welt“ stets im Munde; sie lassen sich jedoch an dem leeren Namen genügen, nehmen ihm aber alle Kraft und Würde, und deshalb gilt von ihnen tatsächlich das Wort des Paulus: sie halten sich nicht „an dem Haupt“ (Kol. 2,19). Soll also der Glaube in Christus wirklich den festen Grund alles Heils finden, soll er ganz auf ihm ruhen, so muß der Grundsatz gelten: das Amt, das ihm der Vater vertraut hat, umfaßt drei Aufgaben. Er ist uns nämlich zum Propheten, zum König und zum Priester gesetzt. Aber es wäre nun auch wenig nütze, wenn man bloß diese drei Begriffe festhielte: man muß auch wissen, was sie sollen und wozu sie uns gut sind. Denn sie werden auch von den Papisten ausge sprochen, aber ohne innere Beteiligung und ohne große Frucht: man hat eben dort keine Ahnung davon, was jede dieser Lobpreisungen bedeutet. Wie ich bereits sagte, hat Gott in ununterbrochener Reihe einen Propheten nach dem anderen gesandt und sein Volk nie ohne die heilsame Lehre gelassen, hat ihm nie vorenthalten, was zum Heil genügte. Aber trotzdem sind die Frommen je und je der Gewißheit gewesen, erst von dem Kommen des Messias sei das volle Licht der Er kenntnis zu erhoffen. Diese Überzeugung ist sogar zu den Samaritanern durchge drungen, die doch die wahre Verehrung Gottes nie gekannt haben. Das geht aus dem Worte des Weibes am Jakobsbrunnen hervor: „Wenn der Messias kommen wird, so wird er’s uns alles lehren“ (Joh. 4,25). Das haben aber die Juden nicht einfach selbst ausgedacht, sondern sie wußten es aus klaren Offenbarungsworten Gottes, und deshalb glaubten sie es. Da ist von besonderer Wichtigkeit das Wort des Jesaja: „Siehe, ich habe ihn den Leuten zum Zeugen gestellt, zum Fürsten und Gebieter den Völkern“ (Jes. 55,4). So wird er auch schon vorher als Bote und Ausleger des großen Rates Gottes bezeichnet (Jes. 9,5). Auch der Apostel spricht es ähnlich aus: er preist die Vollkommenheit der Lehre des Evangeliums und sagt: „Nachdem vor Zeiten Gott manchmal und mancherlei Weise geredet hat zu den Vätern durch die Propheten, hat er am letzten in diesen Tagen zu uns geredet durch seinen Sohn …“ (Hebr. 1,1f.). Das gemeinsame Amt der Propheten war aber doch, die Kirche in der Erwartung zu halten und sie zugleich zu stärken bis zum Kommen des Mittlers; und so klagten die Gläubigen zur Zeit der Zerstreuung, daß ihnen diese von Gott geordnete Wohltat entzogen war: „Unsere Zeichen sehen wir nicht, und kein Prophet Predigt mehr, und keiner bei uns weiß, wie lange!“ (Ps. 74,9). Als dann aber die Ankunft Christi näher gerückt war, da wurde dem Daniel eine Zeit angegeben, in der die Gesichte und der Prophet selbst ihre Versiegelung finden sollten (Dan. 9,24). Das geschah nicht nur zur Sicherung des Ansehens jener Weissagung, die gerade in Rede stand, sondern auch, damit die Gläubigen eine Zeitlang die Propheten mit Geduld entbehren könnten, in der Gewißheit, daß nun aller Offenbarungen Erfüllung und Beschluß vor der Tür stand!


II,15,2

Nun müssen wir weiter bedenken, daß der Name „Christus“, der „Gesalbte“, all diese drei Ämter umfaßt. Denn unter dem Gesetz sind, wie wir wissen, Propheten wie Priester wie Könige mit dem heiligen Öl gesalbt worden. Deshalb wurde dem verheißenen Mittler auch der Name Messias (= der Gesalbte = Christus) beige legt. Ich bin zwar — wie ich bereits darlegte — der Ansicht, daß bei dieser Bezeich nung „Messias“ in besonderer Weise an das königliche Amt gedacht war; aber auch die prophetische und priesterliche Salbung behalten ihre Würde und dürfen von uns nicht übersehen werden. Christi prophetische Salbung findet sich bei Jesaja erwähnt: „Der Geist des Herrn, Herrn ist über mir, darum daß er mich gesalbt hat, … zu predigen den Elenden, die zerbrochenen Herzen zu verbinden, zu ver kündigen den Gefangenen die Freiheit … zu verkündigen ein angenehmes Jahr des Herrn …“ (Jes. 61,1f.). Wir sehen, daß er durch den Geist gesalbt war, um ein Herold und Zeuge der Gnade des Vaters zu sein; und dieses Zeugenamt war nicht das sonst gewohnte: der Prophet wird von den übrigen Lehrern, mit deren Amt er etwas gemeinsam hat, unterschieden. Auf der anderen Seite müssen wir darauf achten: Christus empfing diese Salbung nicht für sich allein, damit er recht das Amt des Lehrers ausüben könnte, sondern für seinen ganzen Leib (die Gemeinde), damit in der immerwährenden Verkündigung des Evangeliums die Kraft des Geistes sich entsprechend auswirke. Dabei ist es ganz gewiß, daß durch die vollkommene Lehre, die er gebracht hat, aller Prophetie ein Ende gemacht ist; wer sich also mit dem Evangelium nicht zufrieden geben will und allerlei Fremdartiges darannäht, der schmälert das Ansehen Christi und seiner Lehre. Denn die Stimme, die vom Himmel zu ihm geschah: „Dies ist mein lieber Sohn, den sollt ihr hören!“ (Matth. 17,5 vgl. Matth. 3,17), diese Stimme hat ihn über alle anderen unendlich hinausge hoben! Dann ist freilich diese Salbung vom Haupte aus auch den Gliedern zuge kommen, wie es Joel vorhergesagt hatte: „Und eure Söhne sollen weissagen, und eure Töchter Gesichte sehen“ (Jo. 3,1; nicht Luthertext). Etwa den gleichen Sinn hat es, wenn Paulus schreibt, Christus sei uns gegeben zur Weisheit (1. Kor. 1,30) oder „in ihm“ seien „verborgen alle Schätze der Weisheit und der Erkenntnis“ (Kol. 2,3). Denn außer ihm ist nichts zu wissen nütze, und wer sein Wesen im Glauben ergriffen hat, der hat alle Güter des Himmels in ihrer ganzen Fülle um faßt! Deshalb schreibt Paulus auch an anderer Stelle: „Ich hielt mich nicht dafür, daß ich etwas wüßte unter euch, denn allein Jesum Christum, den Gekreuzigten!“ (1. Kor. 2,2). Das ist völlig wahr: denn es ist uns von Gott aus verwehrt, über die Einfalt des Evangeliums hinausgehen zu wollen. Die prophetische Würde, wie sie Christus innehat, soll uns also auch zu der Einsicht führen, daß in der Lehre, wie er sie uns gegeben hat, alle Weisheit in vollkommener Fülle beschlossen ist.


II,15,3

Ich komme jetzt zum Königsamt Christi. Es ist aber vergebens, darüber ein Wort zu verlieren, wenn die Leser sich nicht zuvor daran mahnen lassen, daß es geist licher Natur ist. Denn erst dann läßt sich davon reden, wozu es dient und was es uns zuteil werden läßt, erst dann kann von seiner ganzen Kraft und Ewigkeit die Rede sein. Diese Ewigkeit schreibt bei Daniel der Engel der Person Christi zu (Dan. 2,44); und bei Lukas redet mit Recht wiederum ein Engel von der Ewig keit des Heils, das dem Volk geschenkt wird! Aber auch diese Ewigkeit ist von doppelter Art und Beziehung: sie erstreckt sich einerseits auf die ganze Kirche, anderseits ist sie jedem einzelnen Gliede der Kirche eigen. Zu der ersten Be ziehung weist uns das Psalmwort: „Ich habe einmal dem David geschworen bei meiner Heiligkeit, und ich werde nicht lügen: Sein Same soll ewig sein, und sein Stuhl vor mir wie die Sonne, wie der Mond soll er ewiglich erhalten sein, und wie der Zeuge in den Wolken gewiß sein“ (Ps. 89,36-38; Anfang nicht Luthertext). Hier verheißt Gott offenbar, daß er durch die Hand seines Sohnes allezeit seiner Kirche Schutz und Beistand sein will. Nirgendwo anders als nur in Christus kommt diese Weissagung zu wahrer Erfüllung; denn die Würde des Davidsreiches zerfiel ja bald nach Salomos Tode zum größten Teil, und es ist zur Schande für das Haus David einem nicht dazu berufenen Menschen übertragen worden, bis es schließlich immer mehr abnahm und endlich traurig, jämmerlich zugrunde ging! — Den gleichen Sinn hat auch der Ausruf des Jesaia: „Wer will seines Lebens Länge (seine Ge schlechter) ausreden?“ (Jes. 53,8). Er redet davon, wie Christus den Tod überwin den werde, und dabei schließt er ihn mit seinen Gliedern zusammen. Wenn wir also hören, daß Christus mit ewiger Macht ausgerüstet wird, so müssen wir immer daran denken, daß hier von dem Schutz die Rede ist, der die Kirche immerdar be wahren soll, so daß sie mitten in allen wirbelnden Erschütterungen, denen sie je und je ausgesetzt ist, mitten in allen schweren, furchtbaren Stürmen, die sie un zählige Male zu erdrücken drohen, doch unversehrt bleiben wird! So verlacht auch David den Trotz der Feinde, die Gottes und seines Gesalbten Joch von sich werfen wollen: er spricht es aus, daß die Könige und Völker vergebens toben, weil „der, der im Himmel wohnet“, immer noch stark genug ist, um ihrem Ansturm zu wider stehen (Ps. 2,3f.); und damit gibt er den Gläubigen die Gewißheit, daß die Kirche immerdar wird erhalten bleiben, und ermuntert sie zu fröhlicher Hoffnung, wenn sie die Kirche bedrückt sehen. In diesem Sinne spricht der Psalmist auch an anderer Stelle, und zwar im Namen Gottes: „Setze dich zu meiner Rechten, bis daß ich meine Feinde zum Schemel deiner Füße lege!“ (Ps. 110,1); da will er uns sagen: es mögen zwar viele und mächtige Feinde sich verschworen haben, um der Kirche den Garaus zu machen, aber ihre Kräfte sind doch nicht ausreichend, um jenen unabänderlichen Ratschluß Gottes zu erschüttern, nach welchem er seinen Sohn zum ewigen König gesetzt hat! Deshalb kann der Teufel mit aller Macht der Welt die Kirche, die auf die ewige Herrschaft Christi gegründet ist, niemals zugrunde richten. Aber diese Ewigkeit des Königreichs Christi hat auch für jeden einzelnen große Bedeutung: sie soll in uns die Hoffnung auf die selige Unsterblichkeit be gründen und stärken. Denn was irdisch ist und zu dieser Welt gehört, das ist, wie wir sehen, zeitlich, ja es fällt leicht dahin; so hat denn Christus, um unsere Hoff nung auf den Himmel zu richten, es deutlich zugesagt: „Mein Reich ist nicht von dieser Welt“ (Joh. 18,36). Wenn wir überhaupt — jeder von uns! — davon hören, daß Christi Reich geistlich ist, so kann dies in uns die Hoffnung auf ein besseres Leben erwecken; und was jetzt von Christi Hand geschützt wird, soll für die Ewigkeit die reife Frucht dieser Gnade fröhlich erwarten!

Verfasst: 08.05.2011 23:11
von Der Pilgrim
II,15,4

Ich sagte oben: wir können die Kraft und den Segen des Königsamts Christi nur dann erfassen, wenn wir bedenken, daß es geistlich ist. Das wird uns ja schon dadurch deutlich, daß wir unser Leben lang unter dem Kreuze zu ringen haben und unser Dasein jämmerlich und hart ist! Was sollte es uns helfen, daß wir unter der Herrschaft des himmlischen Königs vereint sind — wenn deren Früchte uns nicht außerhalb dieses Lebens zukämen? Deshalb wollen wir nie vergessen, daß jene Seligkeit, die uns in Christus verheißen wird, nicht etwa in irdischen Annehmlichkeiten besteht: es geht nicht darum, daß wir ein fröhliches und kampfloses Leben führen, reichen Besitz haben, von aller Not, allem Schaden unberührt bleiben und alle Vergnüglichkeit im Überfluß haben, an der das Fleisch Gefallen hat. Nein, es geht darum, daß uns das himmlische Leben zuteil wird! Und wie in diesem Leben der Wohlstand und das Wohlergehen eines Volkes davon abhängt, daß es einerseits ausreichenden Besitz und Frieden im Innern, andererseits sicheren Schutz nach außen hat, so daß es gegen alle äußere Gewalt gefeit ist, so rüstet auch Christus die Seinen reichlich mit allem aus, was zum ewigen Heil der Seele nötig ist, festigt sie auch mit seiner Kraft, daß sie unbesieglich dastehen gegen alle Anläufe geistlicher Feinde! So geschieht Christi Herrschen eher unsert- als seinetwegen, und zwar nach innen und außen. Denn wir sollen die Gaben des Geistes, die uns ja von Natur gänzlich abgehen, soweit es Gott für nützlich hält, in vollem Reichtum erhalten — und an diesen Erstlingen sollen wir erkennen, daß wir mit Gott in Gemeinschaft sind bis zur vollen Seligkeit! Dann aber sollen wir uns auf diese Kraft des Geistes kühnlich verlassen und nun nicht zweifeln, daß wir gegen Teufel und Welt und alles, was uns Schaden tun will, immerfort Sieger sein werden! Darauf zielt auch das Wort, das Jesus den Pharisäern entgegenhielt: das Reich Gottes sei inwendig in uns und komme deshalb nicht mit äußeren Gebärden! (Luk. 17,20f.). Wahrschein lich hatten die Pharisäer den Herrn, der sich für den König erklärte, von dem Gottes höchste Segnungen erwartet werden sollten, spöttisch aufgefordert, er solle doch seine Königszeichen vorweisen. Er aber will ihnen zeigen, daß sie nicht töricht bei äußerem Prunk stehenbleiben sollen — sie hingen ja ohnehin schon allzusehr am Irdischen! —, und deshalb weist er sie in ihr eigenes Gewissen hinein — denn das Reich Gottes ist ja „Gerechtigkeit und Friede und Freude in dem heiligen Geiste!“ (Röm. 14,17). Da hören wir nun in aller Kürze, was uns in Christi Königreich zuteil wird; denn es ist ja nicht irdisch und nicht fleischlich, dem allgemeinen Ver derben unterworfen, sondern es ist geistlich und führt uns zum ewigen Leben: so sollen wir denn in unserem Leben unter Elend und Mangel, unter Kälte und Ver achtung, unter Schmach und aller anderen Not fröhlich durchhalten und mit dem einen zufrieden sein, daß uns unser König nie verlassen wird, daß er uns nie seine Hilfe in unserer Not versagt, bis wir unseren Kampf durchkämpft haben und zum Triumph gerufen werden; denn das ist die Art seiner Herrschaft, daß er uns alles das wiederschenkt, was er selbst vom Vater empfangen hat. Weil er uns aber mit seiner Macht rüstet, mit Ehre und Ruhm krönt, mit allem Gut reichlich versorgt, darum haben wir mehr als genug Grund zum Rühmen, darum kann es uns nie an fröhlichem Vertrauen fehlen, so daß wir unerschrocken den Kampf mit Teufel, Sünde und Tod führen können! So sollen wir, mit seiner Gerechtigkeit umkleidet, alles Schmähen der Welt tapfer überwinden. Und wie er uns selber mit allen seinen Gaben reichlich überschüttet, so sollen auch wir ihm wiederum Frucht tragen zu seiner Ehre!


II,15,5

Deshalb ist seine Königssalbung nicht mit Öl und köstlicher Würze geschehen, sondern er heißt der Gesalbte Gottes, weil auf ihm der „Geist der Weis heit und des Verstandes, der Geist des Rates und der Stärke, der Geist der Er kenntnis und der Furcht des Herrn“ ruht (Jes. 11,2). Das ist das „Freudenöl“, mit dem er nach dem Wort des 45. Psalms gesalbt ist „mehr denn seine Gesellen“ (Ps. 45,8); wäre er nicht so herrlich und vollkommen, so wären wir alle arm und hung rig! Das ist ihm ja alles — wie ich schon sagte — nicht für sich allein (privatim) gegeben worden, sondern er soll eben seine Fülle den Hungernden und Durstigen über fließend zuteil werden lassen! Denn es kann von ihm gesagt werden, der Vater habe ihm den Geist nicht „nach dem Maß“ gegeben (Joh. 3,34), und der Grund ist der, daß wir aus seiner Fülle alle nehmen sollen Gnade um Gnade! (Joh. 1,16). Aus diesem Brunnquell strömt jene Gabe, deren Paulus gedenkt: „Einem jeglichen aber unter uns ist gegeben die Gnade nach dem Maß der Gabe Christi“ (Eph. 4,7). Hier mit ist wohl ausreichend bewiesen, was ich oben behauptete, nämlich das Reich Christi habe sein Wesen im Geiste und nicht in irdischem Ergötzen oder irdischem Prunk. Wollen wir also an diesem Reiche teilhaben, so müssen wir der Welt absagen. Ein sichtbares Zeichen dieser heiligen Salbung ist uns in der Taufe Christi gegeben: da kam der Heilige Geist über ihn in Gestalt einer Taube (Joh. 1,32; Luk. 3,22). Daß ich die Mitteilung des Geistes und seiner Gaben eine Salbung nenne (vgl. auch 1. Joh. 2,20.27), ist nicht neu und kann erst recht nicht wider sinnig erscheinen; denn nur von dorther wird uns Belebung zuteil, und besonders, was das himmlische Leben betrifft, so ist in uns kein Tröpflein Kraft, das uns nicht der Geist einflößte: er nahm in Christus seinen Sitz, damit uns von ihm aus die himmlischen Reichtümer zuströmten, deren wir gänzlich ermangeln. Weil aber die Gläubigen unter dem mächtigen Schutz ihres Königs unbesieglich dastehen, weil seine Reichtümer ihnen reichlich zuteil werden, darum heißen sie nicht ohne Grund Christen! Nun sagt freilich Paulus: „Danach das Ende, wenn er das Reich Gott und dem Vater überantworten wird … alsdann wird auch der Sohn selbst untertan sein …, daß Gott sei alles in allen“ (1. Kor. 15,24.28). Aber dieses Wort wider spricht der Ewigkeit des Reiches Christi, von der wir sprachen, in keiner Weise. Denn Paulus will nur sagen, daß die Gestaltung der Herrschaft Christi in ihrer voll endeten Herrlichkeit anders sein wird, als sie es jetzt ist. Der Vater hat dem Sohne alle Gewalt gegeben, um uns durch seine Hand zu lenken, zu erhalten, zu stärken, uns unter seinem Schutz zu beschirmen und uns Hilfe zu leisten. Solange wir also noch Pilgrime vor Gott sind, tritt Christus ins Mittel, um uns Schritt für Schritt zu fester Gemeinschaft mit Gott zu führen. Daß er zur Rechten des Vaters sitzt, be deutet sicherlich: er ist Gottes Statthalter, bei dem alle Befehlsgewalt liegt; denn Gott will in seiner Person sozusagen mittelbar seine Kirche regieren und schüt zen. So spricht es auch Paulus im ersten Kapitel des Epheserbriefs aus: da heißt es, Gott habe Christus „gesetzt zu seiner Rechten im Himmel“, damit er das „Haupt der Gemeinde“ sei, „welche da ist sein Leib“ (Eph. 1,20.22f.). In derselben Richtung geht es auch, wenn er lehrt: „Gott hat Christus einen Namen gegeben, der über alle Namen ist, daß in dem Namen Jesu sich beugen sollen aller … Knie … und alle Zungen bekennen sollen, daß er der Herr sei, zur Ehre Gottes, des Vaters!“ (Phil. 2,9-11). Denn auch mit diesen Worten preist der Apostel die Ordnung im Reiche Christi, die bei unserer gegenwärtigen Schwachheit notwendig ist. Deshalb folgert er aber mit Recht weiter: einst werde Gott von sich allein aus das einige Haupt der Kirche sein, weil dann Christi Werk zur Erhaltung und Verteidigung der Kirche vollendet ist. Aus dem gleichen Grunde heißt Christus in der Schrift auch durchweg der Herr, weil der Vater ihn uns zum Herrn gesetzt hat, um durch ihn seine Herrschaft über uns zu führen. Mögen auch vielerlei Herrschaften in der Welt ge rühmt werden, sagt Paulus, „so haben wir doch nur einen Gott, den Vater, von dem alle Dinge sind und wir zu ihm, und einen Herrn, Jesus Christus, durch wel chen alle Dinge sind und wir durch ihn!“ (1. Kor. 8,5f.). Daraus geht ganz richtig hervor: Er ist also derselbe Gott, der durch den Mund des Jesaja verkünden ließ, er sei der König und Gesetzgeber seiner Kirche! (Jes. 33,22). Denn er nennt gewiß alle seine Macht des Vaters Geschenk und Gabe; aber das bedeutet nichts anderes, als daß er in Gottes Auftrag und Namen die Herrschaft führt; denn er hat ja das Amt des Mittlers dazu angenommen, daß er aus des Vaters Schoß und unaus­denkbarer Herrlichkeit herabstieg, um sich zu uns zu nahen! Um so mehr ist es recht und billig, daß wir uns in Einmütigkeit aufmachen, ihm zu gehorchen und ihm nach seinem Wink mit höchstem Eifer zu dienen! Denn er hat zwar den Frommen gegenüber, die sich ihm gern unterwerfen, das Amt des Königs mit dem des Hirten vereinigt; aber wir hören auf der anderen Seite doch auch, daß er ein ehernes Zepter führt, um alle Widerspenstigen zu zerschlagen und zu Boden zu werfen wie irdene Gefäße! (Ps. 2,9). Wir hören auch, daß er der Richter der Heiden sein wird, „ein großes Schlagen unter ihnen zu tun“ und alles Hohe niederzuschlagen, das ihm widerstrebt! (Ps. 110,6). Dafür sieht man auch heute Beispiele; aber vor allem wird es am jüngsten Tage offenbar werden: und das wird dann auch eigentlich als die letzte Handlung in seinem Reiche zu gelten haben!

Verfasst: 09.05.2011 23:02
von Der Pilgrim
II,15,6

Jetzt will ich noch kurz von Christi priesterlichem Amt reden. Es hat sei nen Zweck und Nutzen darin, daß er ein reiner, von allem Makel freier Mittler ist, der uns durch seine Heiligkeit mit Gott versöhnt. Gottes gerechter Fluch aber hemmt den Zugang, und Gott als Richter ist voll Zürnens gegen uns; soll uns also der Hohepriester Gottes Wohlgefallen erwerben, seinen Zorn stillen, so muß er versöhnend ins Mittel treten. Dieses Amt wollte Christus erfüllen, und deshalb mußte er ein Opfer darbringen; denn auch unter dem Gesetz war es dem Hohen priester von Gott aus verwehrt, das Allerheiligste ohne Blut zu betreten. Die Gläubigen sollten eben wissen: gewiß ist der Hohepriester als Fürbitter für das Volk ins Mittel gestellt; aber Gott kann sich nicht gnädig erweisen, ohne daß die Sünden ge sühnt sind! Hierüber spricht sehr ausführlich der Verfasser des Hebräerbriefs vom siebenten bis gegen den Schluß des zehnten Kapitels. Der Hauptinhalt seiner Beweis führung ist der: Die Würde des Hohenpriestertums kommt allein Christus zu, der mit dem Opfer seines eigenen Todes unsere Schuld abgetan und für unsere Sünden genuggetan hat. Wie wichtig dies ist, ersehen wir aus jenem feierlichen Eidschwur Gottes, der ihn nie gereuen wird: „Du bist ein Priester in Ewigkeit nach der Ord nung Melchisedeks!“ (Ps. 110,4). Damit hat Gott ohne Zweifel den wichtigsten Punkt ganz klar festlegen wollen, an welchem, wie er ja wußte, unser Heil ganz hängt. Denn wir oder auch unsere Gebete haben ja keinen Zugang zu Gott, wenn nicht Christus als Hoherpriester unsere Sünden abwäscht und uns heiligt, für uns die Gnade erwirkt, von der uns sonst die Unreinigkeit unserer Übeltaten und Laster fernhält! Bei dem Tode Christi müssen wir also anheben, wenn die Wirkung und der Segen seines priesterlichen Amtes zu uns kommen soll. Hier ergibt sich aber auch, daß er ein ewiger Fürsprecher für uns ist: sein Eintreten für uns erwirkt uns Gottes Wohlgefallen. So kann der Fromme in sei nem Gewissen Freudigkeit zum Gebet gewinnen und Frieden haben; denn er ruht ja sicher auf Gottes Barmherzigkeit, und er darf ganz gewiß der Überzeugung leben, daß Gott Wohlgefallen an dem hat, was der Mittler geheiligt! Unter dem Gesetz mußte der Priester nach Gottes Befehl Tiere opfern; bei Christus ist es ganz an ders, ganz neu: er, der Hohepriester, ist selbst das Opfer. Denn es gab kein anderes Opfer, das für unsere Sünden hätte ausreichend eintreten können — und anderseits war doch auch keiner solcher Ehre wert, Gott seinen eingeborenen Sohn zum Opfer zu bringen. Nun trägt also Christus das Priesteramt, und er vollführt es nicht nur, um uns durch eine ewige Versöhnung Gottes Wohlgefallen und Freund lichkeit zu gewinnen, sondern auch um uns der gleichen Würde mit teilhaftig zu machen (Apok. 1,6). Denn wir sind zwar in uns befleckt; aber in ihm sind wir Priester, bringen wir uns selbst und alles, was wir sind und haben, Gott zum Opfer dar, haben wir freien Zugang zu dem Allerheiligsten im Himmel, so daß all unsere Opfer an Gebet und Lobpreis, die wir zu bringen haben, vor Gott ein guter Geruch sind! Das alles umfaßt Christi Wort: „Ich heilige mich selbst für sie“ (Joh. 17,19) — denn er hat uns, die wir sonst ekelhaft sind vor Gott, mit sich selber Gott dargebracht, und so sind wir, von Christi Heiligkeit umflossen, vor ihm rein und un tadelig, ja heilig, und finden so sein Wohlgefallen! Hierher gehört auch die Ver heißung über die Salbung des „Hochheiligen“, die sich bei Daniel findet (Dan. 9,24). Besonders müssen wir freilich auf den Gegensatz zwischen dieser Salbung und jener schattenhaften Vorbildung achten, die zur damaligen Zeit in Übung war: der Engel will also sagen, daß in der Person Christi die Schattenbilder ein Ende haben und das Priesteramt in seiner vollen Herrlichkeit erstrahlt. Um so entsetzlicher ist es aber, wenn sich Menschen in ihrem Dünkel mit Christi Priesteramt nicht zufrieden geben wollen und sich dann selbst in törichter Einbildung alle Tage vermessen, ihn neu zu opfern; dies versucht man heutzutage im Papsttum, wo die Messe als Op ferung Christi gilt!



Sechzehntes Kapitel: Wie Christus das Werk des Erlösers getan und uns das Heil erworben hat. Hier ist also vom Tode, von der Auferstehung und von der Himmelfahrt Christi die Rede.


II,16,1

Was wir bisher von Christus gesagt haben, muß alles auf einen Punkt be zogen werden: Wir, die wir in uns selber verdammt, tot und verloren sind, wir sollen bei ihm die Gerechtigkeit, die Befreiung, das Leben und das Heil suchen. So lehrt es uns ja auch der berühmte Satz des Petrus: „Es ist in keinem anderen Heil, ist auch kein anderer Name unter dem Himmel den Menschen gegeben, darinnen wir sollen selig werden!“ (Apg. 4,12). Daß er den Namen Jesus trug, geschah ja nicht absichtslos, aus Zufall oder aus menschlicher Willkür; sondern dieser Name wurde ihm von einem Engel vom Himmel als Boten des höchsten Ratschlusses Gottes zugetragen, und es wurde ja auch der Grund zugefügt: „Denn er wird sein Volk selig machen von ihren Sünden!“ (Matth. 1,21; Luk. 1,31). Diese Worte beweisen — wie ich bereits gesagt habe! — daß ihm das Amt des Erlösers dazu übertra gen ist, daß er unser Heiland sei! Und es wäre doch eine unvollständige Erlösung, wenn er uns nicht in stetem Weiterschreiten bis zum äußersten Ziel der Seligkeit hinleitete! Wenn wir also von ihm auch nur im geringsten uns abwenden, so schwin det allmählich unser Heil; denn es ruht ja allein in ihm: wer sich also nicht an ihn hält, der raubt sich selbst das Heil! Es ist wohl zu bedenken, was Bernhard sagt. Der Name Jesu ist nicht nur das Licht, sondern auch die Speise, er ist das Öl, ohne das alle Speise der Seele ohne Saft ist; er ist das Salz, ohne das alles, was uns vorgesetzt wird, keine Würze hat: er ist Honig im Munde, er ist ein schöner Klang im Ohr, er ist ein Jauchzen im Herzen, wie eine herrliche Arznei zu gleich; und all unser Reden ist Torheit, wenn nicht dieser Name daraus hervor klingt! (Bernhard, Predigten zum Hohen Liede, 15). Aber wir müssen hier fleißig darüber nachdenken, wie es denn gekommen ist, daß wir in ihm das Heil haben; denn wir sollen nicht nur gewiß sein, daß das Heil von ihm kommt, sondern auch fest ergreifen, was unserem Glauben Grund und Ge wißheit verschafft, und alles abweisen, was uns in dieser oder jener Richtung wegziehen könnte! Wer aber sich selbst wirklich erkennt und im Ernste erwägt, wer er eigentlich ist, der muß notwendig Gottes Zorn gegen sich heftig empfinden und sich deshalb ängstlich danach ausstrecken, ob und wie ihm vielleicht möchte Versöh nung zuteil werden. Denn es ist hier Genugtuung vonnöten; deshalb geht es um eine ungewöhnlich starke Gewißheit; denn Gottes Zorn bleibt unverändert auf dem Sünder lasten, bis er von der Schuld frei wird; Gott ist ja ein gerechter Richter, und er läßt sein Gesetz nicht ungestraft verletzen, sondern ist zu gerechter Vergeltung gerüstet!


II,16,2

Aber bevor wir weitergehen, müssen wir im Vorbeigehen der Frage nachsinnen, wie es sich denn miteinander vereinbaren läßt, daß Gott, der uns mit seinem Erbar men zuvorgekommen ist, uns doch feind ist, bis er in Christus mit uns versöhnt ist! Denn wie hätte er uns in seinem eingeborenen Sohne eine solch einzigartige Bürg schaft seiner Liebe zu uns geben können, wenn er uns nicht schon zuvor in freier Gnade freundlich gesinnt gewesen wäre? Hier entsteht also wirklich der Schein eines Widerspruchs, und ich muß also diesen Knoten zu lösen versuchen. Der Heilige Geist sagt es in der Schrift etwa so: Gott ist den Menschen feind gewesen, bis sie durch Christi Tod bei ihm wieder zu Gnaden gekommen sind (Röm. 5,10). Oder wir hören auch, der Mensch sei unter dem Fluch, bis seine Ungerechtigkeit durch Christi Opfertod gesühnt sei (Gal. 3,10.13), oder auch, er sei von Gott getrennt, bis dass bis dass in Christi Leib die Gemeinschaft wiederhergestellt sei (Kol. 1,21f.). Diese und ähnliche Sprüche sind unserem Verständnis angepaßt, damit wir besser erkennen, wie jämmerlich und notvoll unsere Lage ist außer Christus. Denn wenn es uns nicht mit klaren Worten gesagt würde, daß Gottes Zorn und Strafe und der ewige Tod auf uns gelegen, so würden wir weniger anerkennen, wie elend wir ohne Gottes Er barmen wären, und das Geschenk der Befreiung weniger zu schätzen wissen! Ich will ein Beispiel bilden. Es hört jemand: Wenn dich Gott, als du noch ein Sünder warst, so gehaßt und dich so von sich gestoßen hätte, wie du es verdient hättest, so wärest du jämmerlich zugrunde gegangen; aber Gott hat dich von sich aus und in freiem Er barmen in Gnaden angenommen, wollte dich nicht gänzlich verstoßen und rettete dich aus solcher Gefahr. Wer das hört, der wird gewiß davon innerlich betroffen, er wird auch zu einem gewissen Teil erwägen, was er also Gottes Erbarmen für Dank schuldig ist. Aber wenn er nun auf der anderen Seite hört, was die Schrift lehrt: Du bist durch die Sünde wirklich von Gott abgekommen, bist ein Erbe des Zorns, bist dem Fluch des ewigen Todes verfallen, ausgeschlossen von jeder Hoffnung auf das Heil, fremd aller Segnung Gottes, Sklave des Satans, Gefangener unter dem Joch der Sünde, schrecklichem Verderben ausgeliefert, ja, schon mitten darin! — dann aber ist Christus als Fürsprecher ins Mittel getreten und hat die Strafe auf sich genommen, hat gelitten, was nach Gottes gerechtem Urteil alle Sünder leiden mußten, hat all das Böse, das sie vor Gott verhaßt machte, mit seinem Blute ge sühnt; und nun ist durch dieses Sühnopfer dem Vater Genüge getan, durch diesen Fürsprecher sein Zorn besänftigt, auf diesem Grund der Friede Gottes mit den Men schen fest gegründet, nun ruht auf dieser Verbindung Gottes Wohlgefallen gegen uns! — ich sage, wenn der Mensch das hört, wird er nicht um so tiefer das alles zu Herzen nehmen, je deutlicher und lebendiger ihm vor Augen gestellt wird, wie groß die Not ist, aus der ihn Gott herausreißt? Kurz, wir sind ja von Natur gar nicht so beschaffen, daß wir nach dem Leben aus Gottes Barmherzigkeit recht ver langen und dafür genugsam danken können, wenn uns nicht zuvor der Schrecken vor dem Zorn Gottes und das Entsetzen vor dem ewigen Tode durch die Seele dringt und uns zu Boden wirft; und deshalb unterweist uns die göttliche Lehre der art, daß wir Gott als uns feindlich erblicken, seine Hand ausgereckt sehen, um uns zu verderben — aber doch nur, damit wir seine Freundlichkeit und seine Vaterliebe allein in Christus ergreifen!

Verfasst: 10.05.2011 23:00
von Der Pilgrim
II,17,2

Diesen Unterschied kann man auch aus sehr vielen Stellen der Schrift entneh men. „Also hat Gott die Welt geliebet, daß er seinen eingeborenen Sohn gab, auf daß alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden …“ (Joh. 3,16). Da steht Gottes Liebe an der ersten Stelle; denn sie ist ja der erste Grund und Ur sprung; erst dann folgt der Glaube an Christus: er ist also zweite, nach folgende Ursache. Wenn aber jemand daraus die Behauptung ableiten wollte, Christus wäre also bloß die formale Ursache, so würde er damit Christi Kraft weit über das Maß des Textes hinaus abschwächen. Denn wenn wir durch den Glau ben, der sich auf ihn gründet, die Gerechtigkeit erlangen, so liegt offenbar in ihm der Grund unseres Heils. Das wird auch durch viele Schriftstellen deutlich bewiesen. „Darin steht die Liebe, nicht daß wir Gott geliebt haben, sondern daß er uns geliebt hat und gesandt seinen Sohn zur Versöhnung für unsere Sünden“ (1. Joh. 4,10). Daraus geht ganz einleuchtend hervor: Gott hat, um jedes Hindernis wegzuräumen, das uns den Zugang zu seiner Liebe versperrte, bestimmt, daß wir in Christus mit ihm versöhnt werden sollten. Das Wort Versöhnung hat großes Gewicht: denn Gott hat uns zwar geliebt, aber auf unausdenkbare Weise trug er doch zugleich Zorn gegen uns, — bis er in Christus versöhnt wurde! Dahin gehören eine ganze Reihe von Schriftstellen: „Und derselbe ist die Versöhnung für unsere Sünden“ (1. Joh. 2,2). „Denn es ist das Wohlgefallen gewesen … dass … alles durch ihn versöhnt würde zu ihm selbst … damit er Frieden machte durch das Blut an seinem Kreuz durch sich selbst …“ (Kol. 1,19f.). „Gott war in Christo und versöhnte die Welt mit ihm selber und rechnete ihnen ihre Sünde nicht zu …“ (2. Kor. 5,19). „Er hat uns angenehm gemacht in dem Geliebten …“ (Eph. 1,6). „Und daß er beide versöhnte mit Gott … durch das Kreuz“ (Eph. 2,16). Der Sinn dieses Geheimnisses ist vor allem aus dem ersten Kapitel des Epheserbriefes zu er mitteln. Da lehrt Paulus zunächst, daß wir in Christus erwählt sind, und dann setzt er hinzu, wir hätten in ihm auch die Gnade erlangt (Eph. 1,4ff.). Gott hat uns zwar schon vor Grundlegung der Welt geliebt; aber seine Gnade hat uns erst darin recht umfangen, daß er, nachdem er durch Christi Blut versöhnt war, seine Liebe ganz erzeigt hat. Denn Gott ist ja der Quell aller Gerechtigkeit, und deshalb ist er dem Menschen gegenüber, solange der ein Sünder ist, notwendig Feind und Richter! Der Anfang der Liebe liegt also in der Gerechtigkeit; das spricht Paulus so aus: „Er hat den, welcher von keiner Sünde wußte, für uns zur Sünde gemacht, auf daß wir würden in ihm Gerechtigkeit Gottes“ (2. Kor. 5,21; nicht ganz Luther text). Damit zeigt er: wir haben durch Christi Sühnopfer Gerechtigkeit aus freier Gnade erlangt, so daß wir nun Gott wohlgefällig sind, die wir von Natur „Kinder des Zorns“ und durch die Sünde von ihm abgekommen sind. Jener Unterschied (jene Doppelheit zwischen Gottes Barmherzigkeit und Christi Verdienst) kommt auch an den Stellen zum Ausdruck, wo Christi Gnade mit Gottes Liebe verbunden erscheint; daraus folgt, daß er von dem Seinigen, das er erworben hat, uns mitgibt; denn es wäre ja unpassend, wenn man ihm sonst ohne den Vater, für sich allein den Lobpreis zuteil werden ließe, diese Gnade sei seine Gnade, und sie komme von ihm!


II,17,3

Daß uns aber Christus durch seinen Gehorsam wirklich die Gnade bei dem Vater erworben und verdient hat, geht aus sehr vielen Stellen der Schrift klar und zuverlässig hervor. Ich nehme als zugestanden dies an: Wenn Christus für unsere Sünden Genugtuung geleistet hat, wenn er die Strafe getragen hat, die wir ver dient hatten, wenn er mit seinem Gehorsam Gott versöhnt hat, wenn er, der Ge rechte, für uns Ungerechte gelitten hat, so hat er durch seine Gerechtigkeit uns das Heil erworben — oder, was dasselbe bedeutet: er hat es uns verdient! Nun sind wir aber nach dem Zeugnis des Paulus versöhnt, wir haben die Versöhnung durch seinen Tod empfangen! (Röm. 5,10f.). Versöhnung findet aber nur da statt, wo eine Beleidigung vorhergegangen ist. Der Sinn dieser Stelle ist also der: Gott, dem wir um unserer Sünde willen verhaßt waren, ist mit uns durch den Tod seines Sohnes versöhnt und uns jetzt gnädig. Dabei ist auch die Gegenüberstellung zu beachten, die Paulus kurz nach der angeführten Stelle folgen läßt: „Gleichwie durch eines Menschen Ungehorsam viele Sünder geworden sind, also auch durch eines Gehorsam werden viele Gerechte!“ (Röm. 5,19). Da ist der Sinn folgender: Wie wir durch die Sünde Adams von Gott abgekommen und zum Verder ben bestimmt sind, so werden wir durch Christi Gehorsam als Gerechte in Gna den angenommen. Daß Paulus sich sprachlich so ausdrückt, als ob diese Gerechtig keit erst in der Zukunft läge, schließt die Gegenwart dieser Gerechtigkeit nicht aus; das zeigt der Zusammenhang, in dem der Text steht. Denn kurz zuvor sagt er doch auch ohne die Zukunftsform: „Die Gabe aber hilft auch aus vielen Sünden zur Gerechtigkeit“ (Röm. 5,16).


II,17,4

Wenn ich übrigens sagte, durch Christi Verdienst sei uns die Gnade erworben, so verstehe ich das so: Wir sind durch sein Blut rein gemacht, und sein Tod tilgt als Genugtuung unsere Sünde aus: „Das Blut Jesu Christi … macht uns rein von aller Sünde!“ (1. Joh. 1,7). Das ist das Blut, „das vergossen wird zur Vergebung der Sünden“ (Matth. 26,28). Daß sein Blut vergossen ist, bringt uns die Wirkung, daß uns unsere Sünden nicht zugerechnet werden, und daraus ergibt sich wieder: dieses Lösegeld hat dem Gericht Gottes Genüge getan. Dahin gehört das Wort Jo hannes des Täufers: „Siehe, das ist Gottes Lamm, welches der Welt Sünde trägt!“ (Joh. 1,29). Denn damit stellt er Christus all den vom Gesetz erforderten Opfern gegenüber; er will zeigen, daß in ihm allein erfüllt ist, was jene Abbilder ange deutet hatten! Wir wissen, wie Mose hin und wieder sagt: die Übertretung wird getilgt, die Sünde ausgelöscht und vergeben werden (z.B. Lev. 16,34). Endlich lernen wir auch schon aus den Vorbildern des Alten Bundes die Kraft und Wirkung des Todes Christi sehr wohl kennen. Dies alles hat besonders der Verfasser des He bräerbriefs sehr deutlich auseinandergesetzt; er stellt dabei mit Recht den Grundsatz auf: „Ohne Blutvergießen geschieht keine Vergebung“ (Hebr. 9,22). Daraus zieht er den Schluß: „Christus ist einmal erschienen, die Sünde durch sein eigen Opfer wegzunehmen“ und „Er ist einmal geopfert, um vieler Sünden wegzunehmen“ (Hebr. 9,26.28). Zuvor sagt er aber: „Christus ist nicht durch der Böcke oder Käl ber Blut, sondern durch sein eigen Blut einmal in das Heilige eingegangen und hat eine ewige Erlösung erfunden“ (Hebr. 9,12). Er zieht daraus die Folgerung: „Denn so der Ochsen und der Böcke Blut … heiligt die Unreinen zu der leiblichen Reinigkeit, wieviel mehr wird das Blut Christi … unser Gewissen reinigen von den toten Werken …“ (Hebr. 9,13f.). Daraus ergibt sich deutlich: Wenn wir dem Opfer Christi die Kraft zu entsündigen, zu versöhnen, genugzutun nicht zuerkennen, so bedeutet das eine ungerechtfertigte Herabsetzung des Herrn! So fügt er denn auch hinzu: „Und darum ist er auch ein Mittler des Neuen Testaments, auf daß durch den Tod, der geschehen ist zur Erlösung von den Übertretungen, so unter dem ersten Testament waren, die, so berufen sind, das verheißene ewige Erbe empfangen“ (Hebr. 9,15). Besonders aber müssen wir auch der Vergleichung gedenken, die Paulus im Galaterbrief anwendet: „Er ward ein Fluch für uns!“ (Gal. 3,13). Denn es wäre überflüssig, ja widersinnig, daß Christus mit dem Fluch beladen worden ist — wenn er nicht dadurch, daß er die Strafe getragen hat, die andere verdient hatten, nun auch diesen die Gerechtigkeit erworben hätte! Deutlich ist auch das Zeugnis des Jesaja: „Die Strafe lag auf ihm, auf daß wir Frieden hätten, und durch seine Wun den sind wir geheilt“ (Jes. 53,5). Hätte Christus für unsere Sünden nicht Genug tuung geleistet, so könnte es doch auch nicht heißen, er hätte Gott versöhnt, indem er die Strafe auf sich nahm, die wir verdient hatten. Dem entspricht auch das Wort, das bei Jesaja später folgt: „…da er um der Missetat meines Volks willen geplagt war“ (Jes. 53,8; Calvin zitiert etwas anders, aber im gleichen Sinne). Dazu soll denn auch noch ein Wort des Petrus kommen, das keinerlei Zweifel übrigläßt: „Wel cher unsere Sünden selbst hinaufgetragen hat … an das Holz“ (1. Petr. 2,24). Nach diesen Worten ist die Last der Verdammnis, die auf uns lag, auf Christus geworfen worden!

Verfasst: 11.05.2011 23:01
von Der Pilgrim
II,17,5

Völlig klar haben es die Apostel auch verkündigt, daß Christus das Lösegeld dar gebracht hat, um uns damit von der Todesschuld loszukaufen. „Wir werden ohne Verdienst gerecht aus seiner Gnade durch die Erlösung, so durch Christum Jesum ge schehen ist, welchen Gott hat vorgestellt durch den Glauben zu einem Gnadenstuhl in seinem Blut …“ (Röm. 3,24f.). Hier preist Paulus die Gnade Gottes, weil er in dem Tode Christi das Lösegeld gegeben hat, und dann ermuntert er uns, zu seinem Blut unsere Zuflucht zu nehmen, um vor Gott Gerechtigkeit zu erlangen und getrost vor seinem Richterstuhl stehen zu können (besonders 3,25). Die gleiche Bedeutung hat das Wort des Petrus: „Und wisset, daß ihr nicht mit vergänglichem Silber oder Gold erlöst seid … sondern mit dem teuren Blut Christi als eines unschuldigen und unbefleckten Lammes“ (1. Petr. 1,18f.). Denn die Aufstellung dieses Gegensatzes (Gold und Silber — das Lamm!) hätte gar keinen Sinn, wenn Christus mit diesem Lösegeld nicht wirklich genuggetan hätte. So sagt ja auch Paulus: „Ihr seid teuer erkauft!“ (1. Kor. 6,20). Auch sein Wort: „Es ist … ein Mittler, …, der sich als Lösegeld selbst gegeben hat …“ (1. Tim. 2,5f.; nicht ganz Luthertext) hätte ja keinen Bestand, wenn nicht auf ihn die Strafe gelegt wäre, die wir verdient hat ten. An anderer Stelle will Paulus beschreiben, was die „Erlösung durch sein Blut“ sei, und da nennt er sie „die Vergebung der Sünden“ (Kol. 1,14); das heißt also: wir empfangen von Gott Rechtfertigung und Freispruch, weil jenes Blut eine völlige Genugtuung bedeutet. Dem entspricht dann auch die andere Stelle: „Er hat ausge tilgt die Handschrift, so wider uns war … und hat sie an das Kreuz geheftet …“ (Kol. 2,14). Da ist von jener Bezahlung, jenem Ausgleich die Rede, der uns von Schuld frei macht. Großes Gewicht haben auch die Worte des Paulus: „So durch das Gesetz die Gerechtigkeit kommt, so ist Christus vergeblich gestorben“ (Gal. 2,21). Daraus ist zu entnehmen, daß wir bei Christus suchen müssen, was das Gesetz ge währen würde, wenn es einer erfüllte, das heißt: daß wir durch Christi Gnade die Erfüllung der Verheißung erlangen, die Gott unseren Werken im Gesetz gegeben hat: „Wer das tut, der wird dadurch leben!“ (Lev. 18,5). Ebenso deutlich kommt das auch in seiner Rede in Antiochia zum Vorschein; da verkündigt er, durch den Glauben an Christus werde uns Rechtfertigung von alle dem zuteil, „wovon ihr nicht konntet im Gesetz Moses gerecht werden!“ (Apg. 13,38). Denn der Gehorsam gegenüber dem Gesetz ist die Gerechtigkeit, und deshalb hat uns Christus, der diese Last auf sich nahm und uns mit Gott derart versöhnt hat, als hätten wir das Gesetz erfüllt, unleugbar durch sein Verdienst Gottes Gnade erworben! In der selben Richtung geht auch das bekannte Wort aus dem Galaterbrief: „… da sandte Gott seinen Sohn … unter das Gesetz getan, auf daß er die, so unter dem Gesetz waren, erlösete“ (Gal. 4,4f.). Wozu ist er anders unter das Gesetz getan als dazu, daß er das zu leisten unternahm, was wir nicht zu schaffen vermochten, und uns auf diese Weise die Gerechtigkeit erwarb? Daher rührt diese Anrechnung der Gerech tigkeit ohne alle guten Werke, von der Paulus schreibt; jene Gerechtigkeit, die uns aus Gnaden zugerechnet wird, weil sie einzig in Christo sich findet (Röm. 4). Aus diesem Grunde heißt auch der Leib Christi unsere Speise (Joh. 6,55). Denn nur in ihm finden wir Grund und Kraft unseres Lebens. Aber diese Kraft kommt nur deshalb zu uns, weil der Sohn Gottes als Lösegeld um unserer Gerechtigkeit willen gekreuzigt worden ist! So sagt auch Paulus: „Er hat sich selbst dargegeben für uns als Gabe und Opfer, Gott zu einem süßen Geruch“ (Eph. 5,2). Und dannauch wieder: „Er ist um unserer Sünden willen dahingegeben und um unserer Ge rechtigkeit willen auferweckt“ (Röm. 4,25). Daraus ergibt sich, daß uns durch Christus nicht nur das Heil gegeben ist, sondern daß uns nun der Vater um seinetwillen gnä dig ist! Denn unzweifelhaft geht in ihm erst recht in Erfüllung, was einst Gott durch Jesaja in einem Bilde verkündigen ließ: „Ich will ihr aushelfen um meinetwillen und um meines Dieners David willen“ (Jes. 37,35). Dafür ist der Apostel der beste Zeuge; er spricht: „Die Sünden sind euch vergeben durch seinen Namen“ (1. Joh. 2,12). Da wird zwar Christi Name nicht ausdrücklich genannt; aber Johannes bezeich net ihn auch hier nach seiner Gewohnheit mit dem Wörtchen: „seinen“. In dem selben Sinne spricht sich der Herr auch selber aus: „Wie ich lebe um des Vaters willen, also wird, wer mich isset, auch leben um meinetwillen“ (Joh. 6,57; Calvin zi tiert ungenauer). Dazu stimmt auch das Wort des Paulus: „Euch ist gegeben, um Christi willen zu tun, daß ihr nicht allein an ihn glaubet, sondern auch um seinet willen leidet“ (Phil. 1,29).


II,17,6

Hier fragen nun Petrus Lombardus (Sentenzen III,18) und die Scholastiker, ob denn Christus auch für sich selbst ein Verdienst erworben habe. Aber diese Frage ist törichter Vorwitz — und ihre Bejahung eine vermessene Behauptung. War es denn nötig, daß der eingeborene Sohn Gottes zur Erde herabstieg, um sich selber etwas Neues zu erwerben? Gott selber aber löst das Geheimnis seines Ratschlusses und macht damit allem Fragen ein Ende. Es heißt nämlich durchaus nicht, der Vater habe bei den Verdiensten des Sohnes an diesen selbst gedacht, sondern er hat ihn ja in den Tod gegeben, hat ihn nicht verschonet, weil er die Welt liebgehabt! (Röm. 8,32.35.37). Hier muß man auf Prophetenworte wie die folgenden achten: „Uns ist ein Kind geboren …“ (Jes. 9,6). „Du, Tochter Zion, freue dich, siehe dein König kommt zu dir!“ (Sach. 9,9). Überflüssig und bedeutungslos wären im an deren Falle auch die hohen Worte, mit denen Paulus die Liebe Christi preist, näm lich daß er für seine Feinde gestorben sei! (Röm. 5,10). Er hat nicht an sich selbst gedacht und spricht das ja auch selber aus: „Ich heilige mich selbst für siel“ (Joh. 17,19). Da bezeugt er klar, daß er nichts für sich selbst sich verdienen will: er läßt die Frucht seiner Selbst-Heiligung den anderen zuteil werden. Und das ist gewiß ganz besonders wert, von uns immer beachtet zu werden: Christus hat sich so sehr dahingegeben, um uns das Heil zu erwerben, daß er sich selber dabei gewisser maßen vergessen hat. Verkehrt ist es auch, wenn die Scholastiker das Wort des Paulus für ihre Meinung mit Beschlag belegen: „Deshalb hat ihn auch Gott erhöhet und hat ihm einen Namen gegeben, der über alle Namen ist …“ (Phil. 2,9). Mit was für Verdiensten sollte ein Mensch dazu kommen, der Richter der Welt, das Haupt der Engel zu sein, Gottes höchste Gewalt innezuhaben, wie sollte er dazu kommen, daß ihm jene göttliche Majestät innewohnte, von der alle Kraft und Tugend der Menschen und Engel nicht den tausendsten Teil zu erreichen vermag? Die Lösung ist aber auch ganz leicht und klar: Paulus redet hier nicht davon, aus welchem Grunde Christus erhöht worden ist, sondern er zeigt, daß die Erhöhung die Folge der vor hergehenden Erniedrigung ist. So soll uns Christus als Beispiel dienen. Paulus will also hier nichts anderes sagen, als es an anderer Stelle geschieht: „Mußte nicht Christus solches leiden und zu seiner Herrlichkeit eingehen?“ (Luk. 24,26)

Verfasst: 12.05.2011 23:32
von Der Pilgrim
Drittes Buch: Auf welche Weise wir der Gnade Christi teilhaftig werden, was für Früchte uns daraus erwachsen und was für Wirkungen sich daraus ergeben


Erstes Kapitel: Was von Christus gesagt ist, das kommt uns durch das verborgene Wirken des Geistes zugute


III,1,1

Jetzt müssen wir zusehen, wie denn jene Güter, die der Vater seinem eingeborenen Sohne anvertraut hat, zu uns kommen; denn er hat sie ihm ja nicht zum eigenen Gebrauch gegeben, sondern er soll damit die Bedürftigen und Armen reich machen. Da muß man zunächst festhalten: solange Christus außer uns bleibt und wir von ihm getrennt sind, ist alles, was er zum Heil der Menschheit gelitten und getan hat, für uns ohne Nutzen und gar ohne jeden Belang! Soll er uns also zuteil werden lassen, was er vom Vater empfangen hat, so muß er unser Eigentum werden und in uns Wohnung nehmen. Deshalb heißt er auch unser „Haupt“ (Eph. 4,15) und „der Erstgeborene unter vielen Brüdern“ (Röm. 8,29), deshalb heißt es auf der anderen Seite von uns, daß wir in ihn eingefügt werden (Röm. 11,17) und ihn „anziehen“ (Gal. 3,27); denn ich wiederhole, daß alles, was er besitzt, uns solange nichts angeht, als wir nicht mit ihm in eins zusammenwachsen. Es ist freilich wahr, daß wir dies durch den Glauben erreichen; aber wir sehen doch auch, daß nicht alle unterschiedslos die Gemeinschaft mit Christus ergreifen, die uns im Evangelium angeboten wird, und deshalb lehrt uns die Vernunft selbst, tiefer einzudringen und die Frage nach der verborgenen Wirksamkeit des Heiligen Geistes zu stellen; denn durch sie kommt es dazu, daß wir Christus und alle seine Güter genießen. Von der ewigen Gottheit und Wesenheit des Heiligen Geistes habe ich bereits gesprochen; wir müssen uns in diesem besonderen Lehrstück mit der Feststellung begnügen: Christus ist dergestalt in Wasser und Blut gekommen, daß der Heilige Geist von ihm zeugt, damit das Heil, das der Herr uns errungen hat, an uns nicht wirkungslos bleibe (1. Joh. 5,6). Denn wie uns drei Zeugen im Himmel genannt werden: der Vater, das Wort und der Geist, so auch drei auf Erden: Wasser, Blut und Geist (1. Joh. 5,7f.). Da kommt also das Zeugnis des Geistes beidemal vor, und das ist nicht umsonst geschehen; denn wir erfahren, daß es wie ein Siegel in unser Herz eingedrückt ist. So geschieht es, daß es uns die Abwaschung unserer Sünden und das Opfer Christi versiegelt. In diesem Sinne sagt auch Petrus, die Gläubigen seien erwählt „durch die Heiligung des Geistes, zum Gehorsam und zur Besprengung mit dem Blut Jesu Christi“ (1. Petr. 1,2). Mit diesen Worten will er uns lehren, daß unsere Seelen, damit Christus sein heiliges Blut nicht vergebens vergossen habe, durch die verborgene Besprengung, die der Geist an uns übt, mit diesem Blute gereinigt werden. Auch Paulus sagt deshalb an einer Stelle, wo er von der Reinigung und der Rechtfertigung redet, dies beides werde uns zuteil „durch den Namen Jesu Christi und durch den Geist unseres Gottes“ (1. Kor. 6,11). Ich fasse zusammen: der Heilige Geist ist das Band, durch das uns Christus wirksam mit sich verbindet. Hierhin gehört auch das, was ich im vorigen Buche über Christi Salbung gelehrt habe (II,15,2).



III,1,2

Damit nun dieser Sachverhalt, der ganz besonders wert ist, erkannt zu werden, um so deutlicher offenbar werde, müssen wir vor allem festhalten, daß Christus bei seinem Kommen in ganz besonderer Weise mit dem Heiligen Geiste ausgerüstet war: er sollte uns dadurch von der Welt absondern und zur Hoffnung auf das ewige Erbe sammeln. Daher heißt der Geist der „Geist der Heiligung“, weil er uns nicht bloß mit der allgemein wirkenden Kraft, wie sie an der Menschheit und auch an der ganzen übrigen Kreatur in Erscheinung tritt, belebt und erhalt, sondern weil er die Wurzel und der Same des himmlischen Lebens in uns ist. Deshalb rühmen die Propheten an dem Reiche Christi ganz besonders dies, daß dann der Heilige Geist sich in reicherer Fülle ergießen sollte. Vor allem bemerkenswert ist der Joelspruch. „An jenem Tage will ich von meinem Geist ausgießen über alles Fleisch“ (Joel 3,1; nicht Luthertext). Da scheint freilich der Prophet unter den Gaben des Geistes allein das Amt der Prophetie zu begreifen, aber unter diesem Bilde gibt er doch zu verstehen, daß Gott solche Menschen, die zuvor ohne jede Kunde und unberührt von der himmlischen Lehre waren, durch die Erleuchtung seines Geistes zu seinen Jüngern machen würde. Weil uns übrigens Gott, der Vater, um seines Sohnes willen mit dem Heiligen Geiste beschenkt und ihm doch zugleich alle Fülle anvertraut hat, so daß er also seine Güte und Freundlichkeit verwaltet und austeilt, – so heißt er bald der Geist des Vaters, bald der des Sohnes. „Ihr aber“, sagt Paulus, „seid nicht fleischlich, sondern geistlich, so anders Gottes Geist in euch wohnt. Wer aber Christi Geist nicht hat, der ist nicht sein“ (Röm. 8,9). Alsdann aber erweckt er in uns die Hoffnung auf völlige Erneuerung: „Derselbe, der Christum von den Toten auferweckt hat, der wird auch eure sterblichen Leiber lebendig machen um deswillen, daß sein Geist in euch wohnt“ (Röm. 8,11). Es liegt nämlich wirklich nichts Widersinniges darin, daß einerseits dem Vater das Lob für seine Gaben zukommt, deren Urheber er ja tatsächlich ist, und daß anderseits auch Christus daran der gleiche Anteil gegeben wird, weil bei ihm ja die Gaben des Geistes niedergelegt sind und er sie den Seinen zuteil werden läßt. So lädt er alle, die da dürsten, zu sich ein, daß sie trinken (Joh. 7,37). Und nach der Lehre des Paulus wird an jeden Einzelnen der Geist ausgeteilt „nach dem Maß der Gabe Christi“ (Eph. 4,7). Er heißt aber – das müssen wir uns vergegenwärtigen – Christi Geist nicht nur, insofern er als das ewige Wort Gottes in eben diesem Geiste mit dem Vater verbunden ist, sondern auch nach der Person des Mittlers; denn Christus wäre ja ohne Ausrüstung mit dieser Kraft vergebens zu uns gekommen. In diesem Sinne heißt Christus auch der zweite Adam, der uns vom Himmel gegeben ist „zum Geist, der da lebendig macht“ (1. Kor. 15,45). Hier vergleicht Paulus das besondere Leben, das der Sohn Gottes den Seinen einhaucht, damit sie mit ihm eins seien, mit dem natürlichen Leben, an dem auch die Verworfenen teilhaben. In gleicher Weise wünscht er den Gläubigen zunächst „die Gnade unseres Herrn Jesu Christi und die Liebe Gottes“, schließt aber dann sofort an: „und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes“ (2. Kor. 13,13); denn ohne diese wird keiner Gottes väterliche Güte und Christi Wohltat schmecken. Auch an anderer Stelle sagt Paulus: „Die Liebe Gottes ist ausgegossen in unser Herz durch den Heiligen Geist, welcher uns gegeben ist“ (Röm. 5,5).


III,1,3

Hier wird es nun dienlich sein, die Bezeichnungen zu vermerken, mit denen die Schrift den Heiligen Geist auszeichnet, wo von dem Anfang und auch von der ganzen Wiederherstellung unseres Heils die Rede ist. Er heißt da zunächst der „Geist der (Aufnahme in die) Kindschaft“; denn er ist uns der Zeuge des gnädigen Wohlwollens Gottes, mit dem uns Gott, der Vater, in seinem geliebten, eingeborenen Sohne umfaßt hat, um uns zum Vater zu werden; er erweckt und belebt in uns auch die Freudigkeit zum Gebet, ja er gibt uns selbst die Worte ein, so daß wir ohne Furcht rufen: „Abba, Vater!“ (Röm. 8,15; Gal. 4,6). Aus dem gleichen Grunde nennt ihn die Schrift das Unterpfand und Siegel unseres Erbes (2. Kor. 1,22); denn er macht uns, die wir in dieser Welt als Pilger wandern und gleich Toten sind, vom Himmel her lebendig, so daß wir gewiß sind: unser Heil ist unter Gottes treuer Wacht sicher geborgen; deshalb heißt er auch „Leben um der Gerechtigkeit willen“ (Röm. 8,10). Aber er macht uns ja auch durch seine verborgene Besprengung fruchtbar, um Triebe der Gerechtigkeit hervorzubringen: darum heißt er mehrfach „Wasser“, wie z.B. bei Jesaja: „Wohlan, alle, die ihr durstig seid, kommet her zum Wasser!“ (Jes. 55,1); ebenso: „Denn ich will meinen Geist ausgießen auf das Durstige und Ströme auf das Dürre“ (Jes. 44,3; nicht Luthertext). Dem entspricht auch das oben bereits angeführte Wort Christi: „Wen da dürstet, der komme zu mir:“ (Joh. 7,37). Daß der Heilige Geist als Wasser bezeichnet wird, kommt freilich zuweilen auch von seiner säubernden und reinigenden Kraft; so bei Ezechiel, wo der Herr „reines Wasser“ verheißt, um damit sein Volk von seinen „Unreinigkeiten“ zu „waschen“ (Ez. 36,25). Weil der Heilige Geist aber weiterhin die Menschen, die er mit der erquickenden Kraft seiner Gnade durchflutet hat, zu kräftigem Leben erneuert und darin erhält, so hat er auch den Namen „Öl“ oder „Salbung“ inne (1. Joh. 2,20.27). Auf der anderen Seite aber brennt und fegt er unsere sündigen Begierden beständig aus und entflammt wiederum unser Herz zur Liebe zu Gott und zum Trachten nach der Gottesfurcht: auf Grund dieser Wirkung heißt er mit Recht ein „Feuer“ (Luk. 3,16). Und schließlich wird er uns als „Quelle“ (Joh. 4,14) beschrieben, aus der uns alle himmlischen Reichtümer zuströmen, oder auch als die „ Hand Gottes“ (Apg. 11,21), durch die Gott seine Macht ausübt; denn wenn er uns mit seiner Kraft anhaucht, dann wirkt er göttliches Leben in uns, so daß wir nun nicht mehr von uns selber uns treiben lassen, sondern von seiner Führung und seinem Antrieb regiert werden: so ist alles Gute an uns Frucht seiner Gnade, ohne ihn aber sind unsere eigenen Gaben bloß Verstandesfinsternis und Herzensverkehrtheit! Jetzt haben wir zwar schon deutlich dargelegt, daß Christus sozusagen nutzlos für uns daliegt, bis unser Sinn sich auf seinen Geist richtet; denn es ist eine abgeschmackte Sache, wenn wir uns Christus in eitlem Spekulieren außerhalb, ja ferne von uns vorstellen! Er ist im Gegenteil, wie wir wissen, nur für die von Segen, deren „Haupt“ er ist (Eph. 4,15), für die er „der Erstgeborene unter vielen Brüdern“ ist (Röm. 8,29), kurz, die ihn „angezogen“ haben! (Gal. 3,27). Allein diese Verbindung mit ihm bringt es zustande, daß er, was uns betrifft, nicht umsonst unter dem Namen des Retters gekommen ist. Das ist auch der Sinn jener heiligen Ehe, durch die wir Fleisch von seinem Fleisch und Bein von seinem Bein (Eph. 5,30), ja, mit ihm gänzlich eins werden. Aber er vollzieht diese Einung mit uns einzig und allein durch den Heiligen Geist. Die Gnade und Kraft dieses Geistes macht uns auch zu seinen Gliedern, so daß er uns unter seiner Leitung zusammenhält und wir wiederum ihn besitzen!


III,1,4

Das vornehmste Werk des Heiligen Geistes aber ist der Glaube; auf ihn muß daher auch ein großer Teil der Aussagen bezogen werden, die uns da und dort zur Beschreibung seiner Kraft und seines Wirkens begegnen. Denn er führt uns allein durch den Glauben an das Licht des Evangeliums heran, wie ja Johannes lehrt, daß denen, die an Christus glauben, das Vorrecht geschenkt ist, Gottes Kinder zu werden, die nicht aus Fleisch und Blut, „sondern aus Gott geboren sind“ (Joh. 1,12. 13). Hier wird Gott Fleisch und Blut gegenübergestellt und damit klar behauptet, daß es ein übernatürliches Geschenk ist, wenn Menschen, die sonst ihrem Unglauben verfallen geblieben wären, Christus im Glauben annehmen. Ähnlich ist auch die Antwort, die Christus dem Petrus gab: „Fleisch und Blut hat dir das nicht offenbart, sondern mein Vater im Himmel“ (Matth. 16,17). Ich berühre das hier nur kurz, weil ich an anderer Stelle bereits ausführlicher davon gesprochen habe (II,2,18ff.). Ähnlich ist übrigens auch das Wort des Paulus, der von den Ephesern sagt: „Ihr seid versiegelt worden mit dem Heiligen Geist der Verheißung“ (Eph. 1,13). Der Heilige Geist ist nach diesem Wort der inwendige Lehrer, durch dessen Wirken die Verheißung des Heils in unser Gemüt eindringt – sonst würde sie allein die Luft oder das Ohr treffen! Wenn Paulus von den Thessalonichern sagt, Gott habe sie erwählt „in der Heiligung des Geistes und im Glauben der Wahrheit“ (2. Thess. 2,13), so macht er uns in diesem Textzusammenhang darauf aufmerksam, daß der Glaube selbst allein durch den Geist gewirkt wird. Deutlicher finden wir das bei Johannes ausgesprochen: „Und daran erkennen wir, daß er in uns bleibt, an dem Geist, den er uns gegeben hat“ (1. Joh. 3,24), und dementsprechend: „Daran erkennen wir, daß wir in ihm bleiben und er in uns, daß er uns von seinem Geist gegeben hat“ (1. Joh. 4,13). Deshalb hat Christus seinen Jüngern, damit sie die himmlische Weisheit zu fassen vermöchten, den „Geist der Wahrheit“ verheißen, „welchen die Welt nicht kann empfangen“ (Joh. 14,17). Und er schreibt dem Geiste als sein eigentliches Amt dies zu, den Jüngern das einzugeben, was er sie selbst mit seinem Munde gelehrt hatte. Denn sie wären ja blind, und das Licht würde ihnen vergebens scheinen, wenn nicht dieser Geist der Erkenntnis die Augen ihres Gemüts auftäte; man kann ihn deshalb sehr wohl einen Schlüssel nennen, der uns die Schätze des Himmelreichs erschließt (vgl. Offb. Joh. 3,7), seine erleuchtende Wirkung kann man durchaus als die Sehkraft unseres Gemüts bezeichnen. Aus diesem Grunde rühmt Paulus das „Amt des Geistes“ so hoch (2. Kor. 3,6); denn alle Lehrer würden umsonst ihren Ruf erschallen lassen, wenn nicht Christus selbst als inwendiger Lehrmeister durch seinen Geist die Menschen zu sich zöge, die ihm der Vater gegeben hat! (Joh. 6,44; 12,32; 17,6). Wie wir sagten, daß sich in Christi Person die vollkommene Gerechtigkeit findet, so „tauft“ er uns also auch „mit dem Heiligen Geiste und mit Feuer“, damit wir seiner teilhaftig werden (Luk. 3,16); er erleuchtet uns, daß wir seinem Evangelium glauben, er schenkt uns die Wiedergeburt zu neuem Leben, so daß wir neue Kreaturen werden (vgl. 2. Kor. 5,17); er reinigt uns von allem unheiligen Schmutz und weiht uns Gott zu heiligen Tempeln! (vgl. 1. Kor. 3,16.17; 2. Kor. 6,16; Eph. 2,21).

Verfasst: 14.05.2011 00:01
von Der Pilgrim
Zweites Kapitel: Vom Glauben, seinem Wesen und seinen Eigenschaften


III,2,1

Dies alles aber ist leichter zu erkennen, sobald wir eine klarere Bestimmung des Glaubens aufgestellt haben, damit die Leser von dessen Kraft und Wesen eine deutliche Vorstellung haben. Es ist aber dienlich, dabei ins Gedächtnis zurückzurufen, was bereits zuvor ausgeführt wurde: (1) Gott schreibt uns durch das Gesetz vor, was wir zu tun haben; sind wir also in irgendeinem Stück gefallen, so ruht jenes furchtbare Urteil des ewigen Todes auf uns, das es ausspricht. (2) Nun ist es aber auf der anderen Seite für uns nicht bloß hart, sondern es geht ganz und gar über unsere Kraft und liegt völlig außer all unserem Vermögen, das Gesetz so zu erfüllen, wie er es fordert; schauen wir also allein auf uns selbst und bedenken wir, welcher Zustand unseren Verdiensten entsprechen würde, so bleibt nichts von guter Hoffnung mehr bestehen, sondern wir sind von Gott verworfen und unterliegen dem ewigen Verderben. (3) Drittens wurde dann dies auseinandergesetzt, daß es nur ein einziges Mittel gibt, das uns aus so jämmerlichem Elende zu befreien vermag, nämlich wenn Christus als unser Erlöser erscheint, durch dessen Hand der himmlische Vater, der sich unser in seiner unermeßlichen Güte und Freundlichkeit erbarmt hat, uns allen hat Hilfe bringen wollen, sofern wir solche Barmherzigkeit in festem Glauben annehmen und uns auf sie in beständiger Hoffnung verlassen. Jetzt ist es aber erforderlich zu erwägen, wie denn jener Glaube beschaffen sein soll, durch den alle, die von Gott zu Kindern angenommen sind, in den Besitz des Himmelreichs gelangen; denn es steht doch fest, daß nicht irgendeine Meinung oder auch Überzeugung imstande ist, solch eine Sache zu bewirken! Die Betrachtung und Untersuchung der wahren Eigenart des Glaubens müssen wir nun mit um so größerer Sorgfalt und um so größerem Nachdruck betreiben, je gefährlicher der Wahn ist, von dem in diesem Stück heutzutage viele Menschen befallen sind. Bei einem guten Teil der Menschheit steht es nämlich so: wenn man das Wort „Glaube“ hört, so versteht man darunter nichts Höheres als eine gewöhnliche Bejahung der evangelischen Geschichte. Ja, wenn man in den (päpstlichen) Schulen Erörterungen über den Glauben anstellt, so bezeichnet man ohne weiteres Gott als dessen „Objekt“ und führt dabei in eitlem Gedankenspiel – wie ich an anderer Stelle bereits ausführte – die armen Seelen eher vom rechten Wege ab, als daß man sie zum Ziel leitete. Denn Gott wohnt doch „in einem Lichte, da niemand zukommen kann“ (1. Tim. 6,16), und deshalb ist es nötig, daß Christus ins Mittel tritt! Daher nennt er sich doch auch „das Licht der Welt“ (Joh. 8,12) oder den „Weg, die Wahrheit und das Leben“! (Joh. 14,6). Denn zum Vater, der die „Quelle des Lebens“ ist (Ps. 36,10), kommt eben niemand, als durch ihn! (Joh. 14,6). Denn er allein kennt den Vater, und von da aus dann die Gläubigen, denen er ihn hat offenbaren wollen (Luk. 10,22). Aus diesem Grunde beteuert auch Paulus, daß er nichts kennt, von dem er meinte, es sei vornehmlich zu wissen nötig, als allein Christus! (1. Kor. 2,2). Und was er nach seiner eigenen Rückschau im zwanzigsten Kapitel der Apostelgeschichte gepredigt hat, das ist „der Glaube an … Christus“: (Apg. 20,21). An anderer Stelle berichtet er, wie Christus selbst zu ihm gesagt habe: „Ich sende dich zu den Heiden …, daß sie empfangen Vergebung der Sünden und das Erbe samt denen, die geheiligt werden durch den Glauben an mich“ (Apg. 26,17.18; nicht ganz Luthertext). Paulus bezeugt, daß an seiner (Christi) Person Gottes Herrlichkeit für uns sichtbar ist oder – was dasselbe bedeutet – daß an seinem Angesicht „die Erleuchtung von der Erkenntnis der Klarheit Gottes“ erglänzt (2. Kor. 4,6). Es ist freilich wahr: der Glaube schaut auf den einigen Gott; aber es muß dann noch zugefügt werden, daß er den erkennen soll, den Gott gesandt hat, Jesum Christum! (Joh. 17,3). Denn Gott selbst wäre uns fern und verborgen, wenn uns Christus nicht mit seinem Glanz umstrahlte. Der Vater hat alles, was er hatte, dem Eingeborenen gegeben, um sich uns in ihm zu offenbaren, und das zu dem Zweck, daß eben diese Gemeinschaft der Güter das wahre Ebenbild seiner Herrlichkeit (an Christus) zum Ausdruck brächte. Wenn es oben hieß, der Geist müsse uns ziehen, damit wir angetrieben werden, Christus zu suchen, so müssen wir uns auf der anderen Seite vergegenwärtigen, daß der unsichtbare Vater nur in diesem seinem Ebenbilde zu suchen ist! Besonders feinsinnig redet Augustin über diesen Tatbestand: er spricht vom Zielpunkt des Glaubens und sagt dann, wir müßten wissen, wohin wir zu gehen hätten und auf welchem Wege wir dahin kämen; dann kommt er gleich zu dem Ergebnis, der Weg, der gänzlich gegen alle Irrtümer gesichert sei, wäre der, der Gott und Mensch ist. Denn Gott sei es ja, zu dem wir gehen sollten, und ein Mensch sei der Weg, um dahin zu gelangen: beides aber fänden wir nur in Christus! (Vom Gottesstaat XI,2). Wenn Paulus den Glauben an Gott Predigt, so hat er damit nicht im Sinn, die Aussagen vom Glauben umzustoßen, die er so oft einschärft, nämlich daß der Glaube seinen festen Grund allein in Christus hat. Sehr klar verbindet Petrus beides miteinander: „Durch ihn glaubet ihr an Gott“ (1. Petr. 1,21).


III,2,2

Dieses Übel (nämlich die Verkehrung des Glaubensbegriffs) haben wir, wie unendlich vieles andere, billig den Scholastikern zu verdanken. Sie haben vor Christus sozusagen einen Vorhang gezogen und ihn so verdeckt. Schauen wir aber nicht stracks auf ihn, so müssen wir ja immerzu auf allerlei Irrwegen hin- und herlaufen. Abgesehen aber davon, daß sie mit ihrer finsteren Beschreibung vom Wesen des Glaubens dessen ganze Kraft schwächen, ja zunichte machen, haben sie sich auch das Gerede von dem „eingewickelten“ Glauben (fides implicita) ersonnen. Mit diesem Namen zieren sie die gröbste Unwissenheit und täuschen so das arme Volk auf die verderblichste Weise. Ja, dieses Gerede – ich will richtiger und offener aussprechen, um was es sich handelt! – begräbt nicht allein den wahren Glauben, sondern zerstört ihn von Grund auf. Heißt das denn noch glauben, wenn man keinerlei Erkenntnis hat und seinen Sinn bloß gehorsam der Kirche unterwirft? Nein, der Glaube ruht nicht auf Unwissenheit, sondern auf Erkenntnis; und zwar handelt es sich dabei nicht bloß um die Erkenntnis Gottes, sondern auch um die des göttlichen Willens. Wir erlangen nämlich das Heil nicht dadurch, daß wir bereit sind, alles, was die Kirche uns zu glauben vorschreibt, als wahr anzunehmen, oder ihr die Aufgabe zuschieben, zu forschen und kennenzulernen, sondern nur dann, wenn wir erkennen, daß Gott um der Versöhnung willen, die durch Christus geschehen ist, unser gnädiger Vater ist, und daß Christus uns zur Gerechtigkeit, zur Heiligung und zum Leben gegeben ist. Durch diese Erkenntnis, sage ich, und nicht durch Unterwerfung unseres Sinnes, erlangen wir den Zutritt zum Himmelreich. Denn wenn der Apostel sagt: „Denn so man von Herzen glaubt, so wird man gerecht; und so man mit dem Munde bekennt, so wird man selig“ (Röm. 10,10), so zeigt er damit deutlich: es ist nicht genug, wenn einer im Sinne des „eingewickelten“ Glaubens glaubt, was er gar nicht versteht und was er auch nicht untersucht; nein, er fordert eine „entwickelte“ (explicita) Erkenntnis der göttlichen Güte, auf der unsere Gerechtigkeit ruht.


III,2,3

Da wir freilich von viel Unwissenheit umgeben sind, so will ich gewiß nicht abstreiten, daß uns jetzt noch viele Dinge „eingewickelt“ sind, ja, daß sie es auch in Zukunft noch sein werden, bis wir die Last unseres Fleisches abgelegt haben und Gottes Gegenwart näher gekommen sind. In eben diesen Dingen können wir nichts Nützlicheres tun, als das Urteil in der Schwebe zu lassen und uns kräftig Mühe zu geben, die Einheit mit der Kirche aufrechtzuerhalten. Aber es ist doch rein widersinnig, unter diesem Vorwande eine mit Demut untermischte Unwissenheit mit dem Namen „Glauben“ auszuzeichnen. Denn der Glaube besteht in der Erkenntnis Gottes und Christi (Joh. 17,3), nicht aber in der Ehrfurcht gegenüber der Kirche! Wir sehen ja auch, was für einen Irrgarten die Scholastiker sich mit ihrem Begriff vom „eingewickelten“ Glauben geschaffen haben: so wird alles ohne Unterschied, wenn es sich bloß unter Berufung auf die Kirche aufdrängt, von den Unerfahrenen wie ein Orakel angenommen, zuweilen auch der abergläubischste Irrtum! Diese unbedachte Leichtfertigkeit, die doch die Menschen notwendig ins sichere Verderben stürzen muß, wird trotzdem von den Scholastikern verteidigt, weil sie nichts ausdrücklich glaube, sondern alles nur unter der Bedingung: „Sofern die Kirche das glaubt“! Auf diese Weise, geben sie vor, hätte der Mensch mitten im Irrtum doch die Wahrheit, in der Blindheit das Licht, in der Unwissenheit das rechte Wissen inne! Ich will mich nicht lange damit aufhalten, diese Irrtümer zu widerlegen, und möchte den Leser nur bitten, sie mit unserer Lehre zu vergleichen; denn die klare Durchsichtigkeit der Wahrheit wird uns eine hinreichend deutliche Widerlegung des Irrtums von selbst eingeben. Die Frage ist bei den Papisten ja nicht so gestellt, ob der Glaube noch in viele Überbleibsel der Unwissenheit „eingewickelt“ sei, sondern sie behaupten ausdrücklich, daß ein Mensch, der in stumpfer Unwissenheit dahinlebt, sich womöglich gar noch darin gefällt, rechtmäßig glaube, sofern er nur der Autorität und dem Urteil der Kirche über die Dinge, die er nicht kennt, zustimmt! Als ob die Schrift nicht immer wieder lehrte, daß mit dem Glauben die Einsicht verbunden ist!


III,2,4

Ich gebe aber zu, daß unser Glaube, solange wir in der Welt Pilgrime sind, „eingewickelt“ ist, und zwar nicht nur, weil uns noch viele Dinge verborgen sind, sondern weil wir auch in dem vielen Nebel des Irrtums, der uns umgibt, nicht alles begreifen können. Denn auch für den Vollkommensten besteht die höchste Weisheit darin, fortzuschreiten und in stiller Gelehrigkeit weiterzustreben. Deshalb ermahnt Paulus die Gläubigen, auf Gottes Offenbarung zu warten, wenn sie in einer Sache untereinander verschiedener Ansicht sind (Phil. 3,15). Die Erfahrung lehrt uns wahrlich, daß wir, solange wir unser Fleisch noch an uns tragen, weniger begreifen, als wir wünschen möchten; und tagtäglich begegnen wir, wenn wir in der Schrift lesen, vielen unverständlichen Stellen, die uns davon überführen, wie unkundig wir noch sind. Durch diesen Zügel hält uns Gott bei der Bescheidenheit; er mißt jedem Einzelnen das „Maß des Glaubens“ (Röm. 12,3) zu, damit auch der beste Lehrer zum Lernen bereit sei. Besonders deutliche Beispiele dieses „eingewickelten“ Glaubens kann man bei den Jüngern Christi wahrnehmen, ehe sie die volle Erleuchtung empfangen hatten. Da sehen wir, wie schwer sie selbst von den elementarsten Dingen einen Geschmack bekommen, so daß sie gar bei den einfachsten unsicher sind und, obwohl sie am Munde ihres Meisters hängen, doch nicht eben viel Fortschritte machen! Sogar noch, als sie auf die Mahnung der Frauen zum Grabe eilen, erscheint ihnen die Auferstehung ihres Meisters wie ein Traum! Und dabei hatte ihnen Christus vorher bezeugt, daß sie tatsächlich glaubten, so daß wir also nicht sagen dürfen, sie hätten gar keinen Glauben gehabt; ja, wenn sie nicht die Überzeugung gehabt hätten, daß Christus auferstehen würde, so wäre ja aller Eifer in ihnen erloschen. Es war aber auch gewiß nicht Aberglaube, was die Frauen dazu trieb, Christi Leichnam als den eines verstorbenen Menschen, auf dessen Leben man nicht mehr hoffen konnte, mit wohlriechenden Kräutern zu salben. Nein, obwohl sie seinen Worten glaubten – sie wußten doch, daß er wahrhaftig war! – so hatte doch die Stumpfheit, die ihr Gemüt noch umstrickte, in ihnen den Glauben dermaßen mit Finsternis verhüllt, daß sie ganz verwirrt waren! Deshalb heißt es auch von ihnen, sie hätten erst da geglaubt, als ihnen durch die Ereignisse selber die Wahrheit der Reden Jesu zur Gewißheit wurde; nicht, als ob sie erst da angefangen hätten zu glauben, sondern weil das Samenkorn eines verborgenen Glaubens, das in ihrem Herzen wie erstorben war, jetzt erst Kraft erhielt und hervorbrach. Es lebte in ihnen also der wahre Glaube, aber er war noch „eingewickelt“. Denn sie hatten ja Christus in Ehrerbietung als ihren einzigen Lehrer angenommen. Dann kamen sie durch seine Unterweisung auch zu der Gewißheit, er sei der Wirker ihres Heils. Schließlich glaubten sie auch, daß er vom Himmel gekommen war, um durch die Gnade des Vaters auch seine Jünger dahin zu versammeln. Für diesen Zustand (der Jünger und der Frauen) kann man aber keine bekanntere Begründung finden als die, daß in allen Gläubigen der Glaube stets mit Unglauben vermischt ist.

Verfasst: 14.05.2011 23:31
von Der Pilgrim
III,2,5

Auch da mag man von einem „eingewickelten“ Glauben sprechen, wo es sich eigentlich bloß um eine Vorbereitung zum Glauben handelt. Die Evangelisten berichten, daß sehr viele Leute „geglaubt“ hätten, die doch bloß von den Wundern zur Bewunderung hingerissen waren und keine weitere Erkenntnis erlangt hatten, als daß Christus der verheißene Messias sei; (so wird berichtet,) obwohl diese Leute doch von der wirklichen Lehre des Evangeliums noch gar keinen Schimmer hatten. Diese Ehrerbietung, die sie dazu brachte, daß sie sich Christus freiwillig und gern unterwarfen, wird mit dem Namen „Glaube“ geschmückt, obwohl sie doch in Wirklichkeit erst der Anfang dazu war. So hat der Königische zunächst der Verheißung Christi geglaubt, sein Sohn sollte gesund werden (Joh. 4,50), und dann, als er nach Hause zurückgekehrt war, hat er nach dem Zeugnis des Evangelisten aufs neue geglaubt (Joh. 4,53). Im ersten Fall hat er eben das, was er aus Christi Munde hörte, als einen Gottesspruch angesehen; beim zweiten Male unterwarf er sich seiner Autorität und nahm seine Lehre an. Doch müssen wir uns vergegenwärtigen: so gelehrig und lernbereit er auch war, so bezeichnet das Wort „Glauben“ im ersten Fall bloß einen „besonderen“ Glauben (particularis fides), während es im zweiten Falle diesen Königischen zu den Jüngern zählt, die sich zu Christus bekannten. Ein ähnliches Beispiel berichtet uns Johannes auch von den Samaritern: sie glaubten zunächst den Worten der Frau und eilten daraufhin eifrig zu Christus hin; nachdem sie ihn aber gehört hatten, sagten sie: „Wir glauben nun hinfort nicht um deiner Rede willen; wir haben selber gehört und erkannt, daß dieser ist wahrlich Christus, der Welt Heiland“ (Joh. 4,42). Wir sehen hier, wie Leute, die noch nicht einmal den ersten Unterricht empfangen haben, wenn sie nur zum Gehorsam bereit sind, schon als Gläubige bezeichnet werden, zwar nicht im eigentlichen Sinne, sondern sofern Gott in seiner Güte diese fromme Regung solcher Ehre würdigt. Aber diese Gelehrigkeit, der das Begehren innewohnt, weiter fortzuschreiten, ist doch etwas ganz anderes, als die grobe Unwissenheit, in der solche Menschen stumpfsinnig dahinleben, die sich mit jenem „eingewickelten“ Glauben im Sinne der papistischen Phantasterei zufrieden geben! Wenn Paulus ein hartes Verdammungswort gegen die schleudert, die da „lernen immerdar, und können nimmer zu Erkenntnis der Wahrheit kommen“ (2. Tim. 3,7) – wieviel schlimmere Schmach verdienen dann Leute, die sich mit voller Absicht vornehmen, nichts zu wissen!


III,2,6

Die wahre Erkenntnis Christi besteht also darin, daß wir ihn annehmen, wie ihn uns der Vater darbietet, nämlich umkleidet mit seinem Evangelium. Denn wie er dazu bestimmt ist, der Ziel- und Richtpunkt unseres Glaubens zu sein, so können wir nur dann den rechten Weg zu ihm einschlagen, wenn uns das Evangelium vorangeht. Dort eröffnen sich dann alle Schätze der Gnade; wären uns diese nicht erschlossen, so nützte uns Christus gar wenig! So gibt Paulus der Lehre zum unabtrennlichen Gefährten den Glauben: „Ihr aber habt Christum nicht also gelernt, so ihr anders … in ihm gelehrt seid, wie in Christo ein rechtschaffenes Wesen ist“ (Eph. 4,20f.). Jedoch beschränke ich den Glauben nicht in dem Sinne auf das Evangelium, daß ich etwa leugnen wollte, daß auch Mose und die Propheten uns Hinreichendes gelehrt haben, um den Glauben aufzuerbauen. Aber die klarere Offenbarung Christi tritt uns doch im Evangelium entgegen, und deshalb nennt es Paulus mit Recht die „Lehre des Glaubens“ (vgl. 1. Tim. 4,6). In diesem Sinne erklärt er auch an anderer Stelle, daß mit dem Kommen des Glaubens das Gesetz abgetan ist (Röm. 10,4). Hier versteht Paulus das Evangelium als eine neue und (bisher) ungewohnte Weise der Lehre, durch die Christus, seit er als unser Lehrmeister erschienen ist, des Vaters Barmherzigkeit in ein helleres Licht gesetzt und von unserem Heil ein gewisseres Zeugnis gegeben hat. Zur Behandlung der Lehre vom Glauben wird es indessen ein leichterer und angemessenerer Weg sein, wenn wir vom Allgemeinen zum Besonderen gehen. Da müssen wir uns nun zunächst deutlich machen, daß der Glaube in steter Verbindung mit dem Wort steht: er kann von ihm ebensowenig getrennt werden, wie die Strahlen von der Sonne, von der sie ihren Ausgang nehmen. Deshalb ruft Gott bei Jesaja aus: „Höret mich, so wird eure Seele leben!“ (Jes. 55,3; nicht Luthertext). Auf den gleichen Quell des Glaubens weist uns Johannes mit den Worten: „Diese aber sind geschrieben, daß ihr glaubet“ (Joh. 20,31). Auch der Prophet ruft dem Volke, um es zum Glauben zu ermuntern, zu: „Heute, so ihr seine Stimme höret.“ (Ps. 95,7). Immer wieder wird das Wort „Hören“ im Sinne von „Glauben“ gebraucht. Es ist schließlich auch nicht umsonst, wenn Gott bei Jesaja die Kinder der Kirche durch das Merkzeichen von den Fremden unterscheidet, daß er sie alle unterweist, damit sie „gelehrt“ sind „vom Herrn“ (Jes. 54,13); wäre nämlich diese Wohltat unterschiedslos allen Menschen gemein, so wäre kein Grund einzusehen, warum er sich mit seiner Rede bloß an wenige wendet. Dem entspricht es auch, daß die Evangelisten „Gläubige“ und „Jünger“ durchgehend als gleichbedeutende Worte behandeln; das geschieht besonders oft bei Lukas in der Apostelgeschichte (Apg. 6,1.2.7; 9,1.10.19.25.26.38; 11,26.29; 13,52; 14,20.28; 15,10 usw.); da bezieht er diesen Titel im 9. Kapitel (9,36) sogar auf eine Frau! Wenn also der Glaube von diesem Ziel- und Richtpunkt, nach dem er sich richten soll, auch nur im geringsten abweicht, so kann er seine Natur nicht behalten, sondern wird zu einer ungewissen Gläubigkeit oder gar zu einem unklaren Irrtum unseres Sinnes. Denn das Wort ist das Fundament, auf das der Glaube sich stützt und das ihn trägt; wendet er sich von ihm weg, so bricht er zusammen. Nimm also das Wort weg und kein Glaube wird mehr übrigbleiben! Ich erörtere hier nicht, ob zur Aussaat des Wortes Gottes, damit der Glaube aus ihm aufkeimt, der Dienst eines Menschen in allen Fällen unentbehrlich ist; davon muß an anderer Stelle noch die Rede sein. Ich sage nur dies: das Wort selbst – mag es nun zu uns kommen, wie es will! – ist für uns wie ein Spiegel, in dem der Glaube Gott anschaut. Ob also Gott dazu nun den Dienst von Menschen verwendet, oder ob er durch seine Kraft allein wirkt, stets stellt er sich denen, die er zu sich ziehen will, durch sein Wort vor Augen. Deshalb versteht auch Paulus unter dem Glauben den Gehorsam, den man dem Evangelium leistet (Röm. 1,5), und an anderer Stelle lobt er den Glaubensgehorsam, den er bei den Philippern hat kennenlernen dürfen (Phil. 1,3-5). Die Einsicht des Glaubens hat es nämlich nicht bloß damit zu tun, daß wir anerkennen: Es ist ein Gott; sondern es handelt sich auch, ja vornehmlich darum, daß wir begreifen, wie sein Wille uns gegenüber beschaffen ist. Denn es liegt für uns nicht nur daran, zu wissen, wer er in sich selber ist, sondern wie er sich uns gegenüber verhalten will. Jetzt können wir also bereits folgendes feststellen: der Glaube ist die aus dem Worte Gottes geschöpfte Erkenntnis des Willens Gottes uns gegenüber. Seine Grundlage aber ist eine feste Überzeugung von Gottes Wahrheit. Solange unser Herz über die Gewißheit dieser Wahrheit mit sich selber im Streite liegt, wird das Wort eine bloß zweifelhafte und schwache, ja eigentlich gar keine Autorität haben. Denn es ist nicht genug, wenn man glaubt, daß Gott wahrhaftig ist und weder trügen noch lügen kann; nein, es muß auch ohne allen Zweifel feststehen, daß alles, was von ihm ausgeht, heilige und unverletzliche Wahrheit ist.


III,2,7

Nun vermag aber nicht jedes Wort Gottes das Menschenherz zum Glauben zu bewegen. Wir müssen also jetzt noch untersuchen, worauf der Glaube im Wort eigentlich schaut. Es war Gottes Wort, wenn zu dem Adam gesagt wurde: „Du wirst des Todes sterben!“ (Gen. 2,17). Es war Gottes Wort, wenn Kain hören mußte: „Die Stimme des Bluts deines Bruders schreit zu mir von der Erde“ (Gen. 4,10). Aber beide Worte vermögen aus sich nichts anderes, als den Glauben zu erschüttern; ihn zu begründen sind sie jedenfalls gänzlich ungeeignet. Ich will indessen gewiß nicht abstreiten, daß es das Amt des Glaubens ist, Gottes Wahrheit zu unterschreiben, wie oft er auch redet, was er redet und auf welcherlei Weise er es tut. Es ist nur die Frage, was denn der Glaube im Worte des Herrn findet, auf das er sich stützen und gründen kann. Wie soll unser Gewissen nicht zittern und erschrecken, wo es bloß Zorn und Rache vernimmt? Wie soll es aber nicht vor einem Gott die Flucht ergreifen, vor dem es erschrickt? Der Glaube aber soll doch Gott suchen und nicht vor ihm fliehen! Unsere obige Beschreibung vom Wesen des Glaubens ist also noch nicht vollständig; denn es ist noch nicht als Glaube anzusehen, wenn man den Willen Gottes in irgendwelcher Gestalt kennt. Wie wird es aber, wenn wir an die Stelle des Willens Gottes, dessen Kundmachung oft traurig, dessen Bezeugung oft schrecklich ist, – sein Wohlwollen und seine Barmherzigkeit setzten? So kommen wir sicher an das wahre Wesen des Glaubens näher heran; denn wir werden erst dann angelockt, Gott zu suchen, wenn wir gelernt haben, daß bei ihm unser Heil liegt, und das wird uns zur Gewißheit, wenn er erklärt, daß er um unser Heil sorgt und eifert. Es bedarf also der Verheißung der Gnade, durch die er uns bezeugt, daß er unser gnädiger Vater ist; denn nur dann können wir zu ihm nahen, und auf ihr allein kann das Menschenherz sicher ruhen. Aus diesem Grunde finden wir in den Psalmen immer wieder zwei Worte zusammengestellt, die auch tatsächlich zusammengehören: Barmherzigkeit und Wahrheit. Denn es würde uns nichts helfen, wenn wir wüßten, daß Gott wahrhaftig ist, sofern er uns nicht zugleich freundlich zu sich lockte, und anderseits könnten wir seine Barmherzigkeit nicht ergreifen, wenn er sie uns nicht in seinem Worte anböte! So lesen wir es: „von deiner Wahrheit und von deinem Heil rede ich; ich verhehle deine Güte und Wahrheit nicht; … laß deine Güte und Wahrheit allewege mich behüten“ (Ps. 40,11.12; nicht Luthertext). Oder wir hören an anderer Stelle: „Deine Güte reicht, soweit der Himmel ist, und deine Wahrheit, soweit die Wolken gehen!“ (Ps. 36,6). Oder auch: „Die Wege des Herrn sind eitel Güte und Wahrheit denen, die seinen Bund … halten“ (Ps. 25,10). Ebenso: „Vielfältig ist seine Barmherzigkeit über uns, und seine Wahrheit waltet über uns in Ewigkeit“ (Ps. 117,2; Luthertext kürzer). Oder ebenso: „Ich will deinem Namen danken für deine Güte und Wahrheit“ (Ps. 138,2). Ich übergehe die entsprechenden Aussagen der Propheten, die ja auch bezeugen, daß Gott barmherzig und treu ist in seinen Verheißungen. Es wäre vermessene Kühnheit, wollten wir behaupten, Gott sei uns gnädig – wenn er es nicht selbst von sich bezeugte, uns mit seiner Einladung zuvorkäme, damit sein Wille nicht zweifelhaft und dunkel sei! Wir haben aber schon gesehen, daß das einzige Unterpfand der Liebe Gottes Christus ist; ohne ihn erscheinen allenthalben bloß Zeichen des Hasses und des Zorns! Weil nun aber die Erkenntnis der göttlichen Güte wenig Belang hätte, wenn sie uns nicht dazu brächte, uns sicher auf sie zu verlassen, so muß vom Glauben jene mit dem Zweifel vermischte Erkenntnis ausgeschlossen bleiben, die ihrer Sache nicht sicher ist, sondern mit sich selber im Streite liegt. Aber unser Menschenverstand ist doch blind und verfinstert, und er kann gar nicht so weit vordringen und so hoch emporsteigen, um Gottes Willen zu erfassen, unser Herz wogt ja in stetem Zweifel auf und nieder, und es ist ebenfalls weit davon entfernt, in solcher Überzeugung sicher zu bestehen. Soll also Gottes Wort bei uns vollen Glauben finden, so muß von einer anderen Seite her unser Verstand erleuchtet, unser Herz gestärkt werden. Jetzt sind wir soweit, daß wir eine richtige Beschreibung vom Wesen des Glaubens geben können; wir müssen sagen: er ist die feste und gewisse Erkenntnis des göttlichen Wohlwollens gegen uns, die sich auf die Wahrheit der in Christus uns dargebotenen Gnadenverheißung stützt und durch den Heiligen Geist unserem Verstand geoffenbart und in unserem Herzen versiegelt wird.

Verfasst: 15.05.2011 23:41
von Der Pilgrim
III,2,8

Bevor ich weitergehe, sind aber noch einige Vorbemerkungen vonnöten, um Knoten aufzulösen, die sonst dem Leser einen Anstoß bereiten könnten. Zunächst muß ich die in den papistischen Schulen umgehende unsinnige Unterscheidung zwischen „gestaltetem“ und „ungestaltetem“ Glauben (fides formata und fides informis) widerlegen. Sie bilden sich nämlich ein, auch solche Leute „glaubten“ alles, was zum Heil notwendig ist, die von keinerlei Furcht Gottes, keinerlei Regung der Frömmigkeit irgend etwas verspüren. Als ob aber der Heilige Geist, wenn er unser Herz mit seinem Glanz erleuchtet, so daß wir glauben, nicht auch zugleich der Zeuge für unsere Aufnahme in die Kindschaft wäre! Trotzdem erkennen sie jener Überzeugung (persuasio), der jede Gottesfurcht abgeht, gegen den Widerspruch der ganzen Schrift stolz den Namen „Glaube“ zu! Eine weitläufige Auseinandersetzung mit dieser Wesensbestimmung ist nicht erforderlich; es genügt, wenn wir die Natur des Glaubens schlicht umschreiben, wie sie uns aus dem Worte Gottes überliefert ist. Daraus wird völlig klar werden, wie ungeschickt und töricht die Papisten von diesen Dingen reden, ja vielmehr schnattern. Einen Teil habe ich oben schon berührt, das übrige wird an seinem Platze unten folgen. Jetzt will ich nur dies aussprechen, daß man sich nichts Widersinnigeres erdenken kann, als diese Erfindung der Scholastiker. Sie sind also der Meinung, der Glaube sei eine (bloße) Zustimmung, kraft deren sich selbst jeder Gottesverächter zu eigen machen kann, was man ihm aus der Schrift vorträgt. Dabei hätte man nun aber zuerst zusehen sollen, ob sich denn jeder Mensch aus eigener Kraft und Entschließung den Glauben aneignen kann, oder ob es nicht der Heilige Geist ist, der uns durch den Glauben unsere Kindschaft bezeugt! Es ist deshalb kindisch und närrisch, wenn sie fragen, ob denn der Glaube, wenn ihn die hinzukommende Wesenheit (nämlich die Liebe) zu einem „gestalteten“ gemacht habe, noch derselbe Glaube sei oder ein anderer, neuer. Daraus geht sicherlich schon klar hervor, daß sie sich bei ihrem Geschwätz niemals über die besondere Gabe des Heiligen Geistes Gedanken gemacht haben; denn schon der Anfang des Glaubens schließt die Versöhnung ein, durch die der Mensch zu Gott den Zugang hat! Würden sie das Wort des Paulus in Betracht ziehen: „So man von Herzen glaubt, so wird man gerecht“ (Röm. 10,10), so würden sie ganz von selbst aufhören, solch einen frostigen Begriff wie jene (zum Glauben „hinzukommende“, ihn „gestaltende“) Wesenheit (nämlich die Liebe) zu erfinden! Hätten wir auch nur dieses eine Beweisstück, so wäre das schon genug, um dem Kampf ein Ende zu machen: jene Zustimmung nämlich ist, wie ich bereits berührt habe und bald ausführlicher wiederholen werde, schon selbst mehr Sache des Herzens als des Hirns, mehr Sache innerer Bewegung als des Verstandes. Deshalb wird sie auch „Glaubensgehorsam“ genannt (Röm. 1,5); kein anderer Gehorsam ist dem Herrn lieber, und zwar mit Recht: nichts ist ihm ja köstlicher als seine Wahrheit, und eben diese wird – dafür ist Johannes der Täufer Zeuge! (Joh. 3,33) – von den Gläubigen gewissermaßen durch Unterschrift „versiegelt“. Die Sache ist tatsächlich ganz klar, und ich will deshalb mit einem Wort feststellen: es ist ein törichtes Gerede, wenn sie sagen, der Glaube werde dadurch „gestaltet“, daß zu der „Zustimmung“ (assensus) eine innere, fromme Regung träte; denn auch diese „Zustimmung“ besteht, wenigstens, wie die Schrift von ihr lehrt, selbst in solch frommer Regung! Es bietet sich aber noch ein zweiter, viel klarerer Beweis. Der Glaube erfaßt Christus, wie er uns vom Vater gegeben ist; er wird uns aber nicht allein zur Gerechtigkeit, zur Vergebung der Sünden und zum Frieden dargegeben, sondern auch zur Heiligung und als Quelle lebendigen Wassers: der Glaube kann ihn also ohne Zweifel niemals recht erkennen, ohne zugleich die Heiligung des Geistes mit zu ergreifen. Will einer das noch deutlicher hören, so will ich so sagen: Der Glaube ruht auf der Erkenntnis Christi. Christus aber kann man nur zusammen mit der Heiligung seines Geistes erkennen. Der Glaube läßt sich also von der frommen Regung des Herzens auf keine Weise abtrennen.


III,2,9

Dagegen pflegen nun die Papisten mit dem Wort des Paulus Einspruch zu erheben: „Und hätte ich allen Glauben, also daß ich Berge versetze, und hätte der Liebe nicht, so wäre ich nichts“ (1. Kor. 13,2). Daraus möchten sie nun entnehmen, der Glaube sei, wenn er ohne Liebe wäre, „ungestaltet“. Aber sie begreifen nicht, was der Apostel an dieser Stelle unter „Glauben“ versteht. Er hat doch im voraufgehenden Kapitel (12) von den verschiedenen Geistesgaben gesprochen, zu denen er „mancherlei Sprachen“ (1. Kor. 12,10), allerlei Kräfte, auch die Gabe der Weissagung rechnet (vgl. 1. Kor. 12,4-10). Er ermahnt dann die Korinther, nach den „besten Gaben“ zu streben (1. Kor. 12,31), das heißt also nach denen, die dem ganzen Leib der Kirche am meisten Frucht und Segen bringen. Und zum Schluß setzt er hinzu: „Und ich will euch noch einen köstlicheren Weg zeigen“ (1. Kor. 12,31). Er will ihnen nämlich zeigen, daß alle diese Gaben, so großartig und hervorragend sie auch an sich sind, doch für nichts zu gelten haben, wenn sie nicht der Liebe dienen. Denn sie sind – das will er weiter zeigen – zur Auferbauung der Kirche gegeben, und sie verlieren ihre Gnade, wenn sie dazu nicht dienen. Um das nun zu beweisen, wendet er eine Teilung an: er wiederholt jetzt (1. Kor. 13,1-3) die gleichen Geistesgaben, die er im vorausgehenden Kapitel behandelt hat, aber unter anderen Namen. Unter „Kräften“ und „Glauben“ versteht er hierbei aber das Gleiche, nämlich die Fähigkeit, Wunder zu tun. Diese „Kräfte“, bzw. dieser „Glaube“ sind eine besondere Gabe Gottes, die auch irgendein beliebiger Gottloser innehaben und – mißbrauchen kann, genau wie die Zungenrede, die Weissagung oder die anderen Geistesgaben; es ist also nicht verwunderlich, wenn sie von der Liebe geschieden werden! Der ganze Irrtum der Papisten besteht nun aber darin, daß sie die tatsächlich vorliegende Mehrdeutigkeit des Wortes „Glaube“ nicht beachten und ihren Streit führen, als ob das Wort immer die gleiche Bedeutung hätte. – Von der Jakobusstelle (Jak. 2,21), die sie sich auch zum Schutz für ihren Irrtum heranholen, wird an anderer Stelle die Rede sein. Zum Zweck der Unterweisung, nämlich um zu zeigen, wie die Erkenntnis Gottes bei den Gottlosen beschaffen ist, geben wir also freilich zu, daß es mehrere Gestaltungen des Glaubens gibt. Trotzdem erkennen und predigen wir auf Grund der Lehre der Schrift, daß bei den Frommen stets einerlei Glaube sich findet. Ganz sicher glauben viele Leute, daß ein Gott sei, viele halten die evangelische Geschichte und auch die übrigen Stücke der Schrift für wahr – so wie man etwa über die Berichte vergangener Ereignisse oder auch über selbsterlebte Gegenwart zu urteilen pflegt. Es gibt auch Leute, die noch weiter gehen: sie halten Gottes Wort für ein untrügliches Orakel, verachten seine Gebote keineswegs durchaus, lassen sich auch von den Drohungen und Verheißungen immerhin bewegen. Solchen Leuten wird wohl bezeugt, daß sie „glauben“, aber dabei wird das Wort „Glauben“ im uneigentlichen Sinne gebraucht: sie bestreiten, verachten und verwerfen Gottes Wort eben nicht in offenbarer Unfrömmigkeit, sondern legen vielmehr einen gewissen Schein des Gehorsams an den Tag.


III,2,10

Aber dieser Schatten, dieses Scheinbild von Glauben ist ohne jeden Belang und verdient deshalb die Bezeichnung „Glaube“ nicht. Wie weit es von dem wahren Wesen des Glaubens entfernt bleibt, das wird sich bald eingehender zeigen, aber es spricht nichts dagegen, es auch hier im Vorbeigehen deutlich zu machen. Es heißt z.B. von dem Zauberer Simon, er habe „geglaubt“ (Apg. 8,13), und doch ließ er seinen Unglauben nach kurzer Zeit ans Licht treten (Apg. 8,18). Daß von ihm bezeugt wird, er habe geglaubt, das verstehe ich nicht mit einigen Auslegern so, er habe mit Worten einen Glauben erheuchelt, den er gar nicht im Herzen getragen hätte. Ich stelle es mir vielmehr so vor: er war von der Majestät des Evangeliums überwunden und hat ihm in einem gewissen Sinne auch Glauben beigemessen, hat auf diese Weise Christus als den Geber des Lebens und des Heils verstanden und ihn daraufhin als Herrn anerkannt. In derselben Weise heißt es auch im Evangelium des Lukas von den Menschen, bei denen der Same des Wortes erstickt wird, ehe er fruchtbringend aufgehen kann, oder bei denen er verdorrt und verdirbt, bevor er Wurzel geschlagen, sie „glaubten eine Zeitlang“ (Luk. 8,8.7.13). Unzweifelhaft haben diese Leute einen gewissen Geschmack von dem Wort in sich empfunden und ergreifen es begierig, auch fühlen sie seine göttliche Kraft, so daß sie nun mit dem trügerischen Schein des Glaubens nicht bloß das Auge anderer Menschen, sondern auch ihr eigenes Herz täuschen. Denn sie reden sich ein, diese Ehrerbietung, die sie dem Worte Gottes erweisen, sei die Frömmigkeit selber; unter Unfrömmigkeit können sie nämlich bloß dies verstehen, daß einer offenbar und zugestandenermaßen Gottes Wort schmäht und verachtet. Mag nun jene Zustimmung aussehen, wie sie will, sie dringt jedenfalls nicht bis ins Herz hinein, um nun da fest eingewurzelt zu bleiben; mag sie gar zuweilen den Eindruck erwecken, als habe sie Wurzeln geschlagen, so sind diese doch nicht lebendig. Das Menschenherz enthält soviel Verstecke für die Eitelkeit, soviel Schlupfwinkel der Lüge, es ist in derart betrügerischer Heuchelei verkappt, daß es sich gar oft selber täuscht! Wer sich aber solch eines Trugbildes von Glauben rühmen will, der soll wissen, daß er in diesem Stück selbst vor den Teufeln keinen Vorrang hat! Ja, die erste Gruppe, von der wir redeten, also die Menschen, die da hören und verstehen und doch stumpf bleiben, stehen noch weit unter den Teufeln, denn diese zittern doch wenigstens über solcher Erkenntnis! (Jak. 2,19). Andere aber sind den Teufeln darin gleich, daß alles Empfinden, das sie berührt, von welcher Art es auch sei, schließlich doch in Schrecken und Entsetzen endet.


III,2,11

Ich weiß nun, daß es einigen hart vorkommt, wenn auch von den Verworfenen zuweilen gesagt wird, sie glaubten. Man denkt daran, daß doch der Glaube nach Paulus eine Frucht der Erwählung ist (1. Thess. 1,4f.). Diese Schwierigkeit ist indessen unschwer zu lösen. Die Erleuchtung zum Glauben und das wahre Empfinden der Kraftwirkung des Evangeliums wird allerdings nur denen zuteil, die zur Seligkeit verordnet sind; aber die Erfahrung beweist trotzdem, daß die Verworfenen zuweilen fast von der gleichen inneren Regung erfaßt werden wie die Erwählten, so daß sie sich auch nach ihrem eigenen Urteil in nichts von den Erwählten unterscheiden. Es ist deshalb gar nicht widersinnig, wenn ihnen der Apostel einen Geschmack von den himmlischen Gütern oder Christus einen zeitweiligen Glauben beimißt. Das geschieht nicht etwa, weil sie wirklich die Kraft der geistlichen Gnade oder das untrügliche Licht des Glaubens voll in sich aufnähmen, sondern deshalb, weil der Herr, um sie noch mehr zu überführen und unentschuldbar zu machen, in ihr Inneres eindringt, soweit man seine Güte ohne den Geist der Kindschaft zu schmecken vermag! Es könnte nun aber jemand einwerfen, unter diesen Umständen bliebe den Gläubigen ja gar nichts mehr, an dem sie ihre Aufnahme in Kindschaft mit Sicherheit merken könnten. Darauf gebe ich die Antwort: So groß die Ähnlichkeit und Verwandtschaft zwischen Gottes Auserwählten und denen, die bloß einen vergänglichen Glauben auf Zeit zum Geschenk erhalten haben, auch sein mag, es lebt doch allein in den Erwählten jene Zuversicht, die Paulus so hoch rühmt, jene Zuversicht, die sie mit fröhlichem Munde schreien läßt: „Abba, lieber Vater!“ (Gal. 4,6). Gott hat ja allein die Erwählten „wiedergeboren … aus unvergänglichem Samen …, (der) da ewiglich bleibt“ (1. Petr. 1,23), so daß also der Same des Lebens, der in ihr Herz gesät ist, nie ganz vergehen kann; und ebenso versiegelt er in ihnen auch kräftig diese Gnade der Kindschaft, damit sie fest und gültig sei! Aber das hindert in keiner Weise, daß jene geringere Wirkung des Heiligen Geistes auch in den Verworfenen ihren Lauf geht. Indes werden die Gläubigen gemahnt, sich gründlich und demütig selbst zu prüfen, damit nicht etwa an Stelle der Gewißheit des Glaubens die fleischliche Sicherheit in ihnen aufkomme! Auch wird den Verworfenen stets bloß ein verworrenes Empfinden der Gnade zuteil: sie erfassen also eher einen Schatten als den wirklichen Körper; denn die Vergebung der Sünden versiegelt der Heilige Geist im eigentlichen Sinne allein in den Erwählten, damit sie sie sich im besonderen Glauben zu ihrem Nutzen zueignen. Trotzdem kann man von den Verworfenen mit Recht sagen, daß sie glauben, Gott sei ihnen gnädig; denn auch sie empfinden die Gabe der Versöhnung, freilich verworren und nicht klar genug. Das bedeutet nicht, daß sie mit den Kindern Gottes einerlei Glauben haben oder gleich ihnen der Wiedergeburt teilhaftig geworden sind; aber sie scheinen unter der Decke der Heuchelei doch mit ihnen den Anfang (principium) des Glaubens gemeinsam zu haben. Ich kann auch nicht leugnen, daß Gott ihr Inneres derart erhellt, daß sie seine Gnade erkennen; aber dieses Empfinden unterscheidet er doch dadurch von dem besonderen Zeugnis, das er seinen Erwählten zuteil werden läßt, daß den Verworfenen die kräftige Wirkung und der Genuß (der Gnade) unbekannt bleibt. Denn ihnen erzeigt sich Gott nicht in dem Sinne gnädig, daß er sie wirklich aus dem Tod herausreißt und sie in seinen Schutz nimmt, sondern er läßt sie allein seine (zeitlich) gegenwärtige Barmherzigkeit erfahren. Allein den Gläubigen aber schenkt er, damit sie bis ans Ende beharren, die lebendige Wurzel des Glaubens. So löst sich der Einwand, wenn Gott einem Menschen wirklich seine Gnade erzeige, dann sei solche Tat von beständiger Festigkeit: es spricht doch nichts dagegen, daß Gott gewisse Menschen mit einem augenblicklichen Empfinden seiner Gnade erleuchtet, das hernach wieder vergeht.

Verfasst: 17.05.2011 00:01
von Der Pilgrim
III,2,12

Obwohl nun dementsprechend der Glaube die Erkenntnis des göttlichen Wohlwollens gegen uns ist und die gewisse Überzeugung von seiner Wahrheit, so ist es doch kein Wunder, daß in den zeitweilig Glaubenden das Empfinden der göttlichen Liebe wieder verschwindet: es ist eben zwar mit dem Glauben verwandt, aber doch grundverschieden von ihm. Gottes Wille ist – das gebe ich zu – unveränderlich, und seine Wahrheit bleibt sich stets gleich; aber ich bestreite, daß die Verworfenen bis zu jener verborgenen Offenbarung vordringen, wie sie die Schrift allein den Erwählten vorbehält. Ich leugne also, daß sie den Willen Gottes in seiner Unwandelbarkeit begreifen oder seine Wahrheit mit Beständigkeit erfassen. Denn sie bleiben ja bei einer flüchtigen Empfindung hängen; sie gleichen einem Baum, der nicht tief genug gepflanzt ist, um lebendige Wurzeln zu treiben, und der deshalb mit der Zeit verdorrt, obwohl er vielleicht einige Jahre lang nicht nur Blüten und Blätter, sondern gar Frucht getragen hat. Kurzum, wie das Ebenbild Gottes aus Gemüt und Seele des ersten Menschen infolge seines Abfalls von Gott verschwinden konnte, so ist es auch nicht verwunderlich, wenn Gott den Verworfenen in einigen Strahlen seiner Gnade erscheint, die er doch später wieder verlöschen läßt. Es spricht nichts dagegen, daß er die einen mit der Erkenntnis seines Evangeliums bloß leicht benetzt, andere aber in der Tiefe durchtränkt! Wir müssen dabei indessen dies eine festhalten: der Glaube mag in den Erwählten noch so gering, noch so schwach sein, so kann doch sein eingegrabenes Zeugnis nie mehr aus ihrem Herzen herausgegriffen werden, da für sie der Heilige Geist das sichere Unterpfand und Siegel ihrer Kindschaft ist; die Gottlosen werden dagegen von den Strahlen eines Lichtes berührt, das nachher wieder vergeht. Und doch ist dabei der Heilige Geist ohne Trug; denn der Same, den er in Herz der Gottlosen sät, macht ja nicht lebendig und kann darum nicht immer unvergänglich bei ihnen bleiben, wie das bei den Erwählten der Fall ist. Ich gehe sogar noch weiter: da aus der Lehre der Schrift wie auch aus der alltäglichen Erfahrung hervorgeht, daß auch die Verworfenen zuweilen von einem Empfinden der göttlichen Gnade innerlich berührt werden, so muß in ihren Herzen auch notwendig ein gewisses Begehren aufkommen, Gott wiederzulieben. So war in Saul eine Zeitlang eine fromme Regung am Werk, Gott zu lieben, der ihn nach seinem eigenen Erkennen väterlich behandelte, so daß er gewissermaßen von der Süßigkeit solcher göttlichen Güte ergriffen wurde. Aber wie diese Überzeugung von Gottes Liebe bei den Verworfenen nicht bis in die Wurzeln geht, so lieben sie ihn auch nicht wirklich wieder, wie die Kinder, sondern sie lassen sich vielmehr von einer Art Zuneigung leiten, wie sie ein Tagelöhner haben mag! Denn der Geist der Liebe ist allein Christus gegeben, damit er ihn auch in seine Glieder einsenke; nicht über die Schar der Erwählten hinaus gilt auch das Wort des Paulus: „Denn die Liebe Gottes ist ausgegossen in unser Herz durch den Heiligen Geist, welcher uns gegeben ist“ (Röm. 5,5). Das ist die Liebe, die in uns jene obenerwähnte freudige Zuversicht weckt, Gott anzurufen (Gal. 4,6). Wir sehen ja auf der anderen Seite, wie Gott auf wunderbare Weise seinen Kindern zürnt, obwohl er unterdessen nicht aufhört, sie zu lieben: das geschieht nicht, weil er sie etwa bei sich selber haßte, nein, er will sie nur durch das Empfinden seines Zorns schrecken, um die Hoffart des Fleisches zu demütigen, um sie aus ihrer Faulheit aufzustören und so zur Buße anzuspornen. Darum erfassen sie ihn zu gleicher Zeit als den, der ihnen oder ihrer Sünde zürnt – und als den, der ihnen gnädig ist; denn es ist keine Heuchelei, wenn sie ihn bitten, seinen Zorn abzuwenden – und doch fliehen sie gerade zu ihm mit ruhiger Zuversicht! Hieraus ergibt sich nun: es braucht nicht Heuchelei zu sein, wenn Menschen, die keinen wahren Glauben haben, doch zu glauben scheinen; nein, weil sie sich von urplötzlichem Eifer treiben lassen, so täuschen sie sich mit falscher Meinung selber! Unzweifelhaft hat dabei die Trägheit von ihnen Besitz ergriffen, so daß sie ihr Herz nicht so gründlich prüfen, wie es billig wäre. Von dieser Art sind wahrscheinlich jene Menschen gewesen, von denen Johannes bezeugt, daß sie zwar an Christus „glaubten“ (Joh. 2,23), aber doch weiter mitteilt: „Aber Jesus vertraute sich ihnen nicht an; denn er kannte sie alle; … denn er wußte wohl, was im Menschen ist“ (Joh. 2,24f.). Es sind ihrer viele vom „allgemeinen“ Glauben abgefallen – „allgemein“ nenne ich diesen Glauben, weil der zeitweilige Glaube mit dem lebendigen, bleibenden viel Ähnliches und Verwandtes hat! -; sonst hätte Christus nicht zu seinen Jüngern gesagt: „So ihr bleiben werdet an meiner Rede, so seid ihr meine rechten Jünger und werdet die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch frei machen“ (Joh. 8,31. 32). Er redet hier nämlich die an, die seine Lehre angenommen haben, und ermahnt sie zum Fortschreiten im Glauben, damit sie nicht in Faulheit das Licht auslöschen, das ihnen gegeben ist. Deshalb eignet Paulus (Tit. 1,1) den Glauben allein den Auserwählten zu; er zeigt damit, daß viele in Eitelkeit vergehen, weil sie keine lebendige Wurzel getrieben haben. Dementsprechend sagt auch Christus nach dem Bericht des Matthäus: „Alle Pflanzen, die mein himmlischer Vater nicht pflanzte, die werden ausgereutet“ (Matth. 15,13). Es gibt aber andere, die von gröberer Unwahrhaftigkeit erfüllt sind: sie schämen sich nicht, Gott und Menschen etwas vorzumachen! Gegen diese Art Menschen, die unter einem trügerischen Deckmantel den Glauben gottlos gemein machen, geht Jakobus scharf vor (Jak. 2,14ff.). Auch Paulus würde von den Kindern Gottes nicht „ungefärbten Glauben“ verlangen (1. Tim. 1,5), wenn sich eben nicht viele Leute vermessen beilegen wollten, was gar nicht ihr eigen ist, und wenn sie nicht mit solchem eitlen Schein andere und zuweilen auch sich selber täuschten! Er vergleicht deshalb auch das gute Gewissen mit einem Behältnis, in dem der Glaube geborgen ist; denn es hatten eben viele das gute Gewissen verloren, und darüber hatten sie am Glauben Schiffbruch erlitten (1. Tim. 1,19; vgl. 3,9).


III,2,13

Wir müssen auch bedenken, daß das Wort „Glaube“ verschiedene Bedeutung haben kann. Oft bedeutet es nämlich soviel wie „die gesunde Lehre der Frömmigkeit“. So an der bereits kürzlich angeführten Stelle (1. Tim. 4,6). In dem gleichen Briefe will der Apostel Paulus an einer Stelle solche Leute zu Diakonen haben, „die das Geheimnis des Glaubens in reinem Gewissen haben“ (1. Tim. 3,9). Ebenso ist das Wort 1. Tim. 4,1 gebraucht, wo Paulus ankündigt, es würden (in den letzten Zeiten) „etliche vom Glauben abtreten“. Auf der anderen Seite aber sagt er von Timotheus, er sei „auferzogen in den Worten des Glaubens“ (1. Tim. 4,6). Hierher gehört auch die Stelle, wo er von den „ungeistlichen, losen Geschwätzen und dem Gezänke der falsch berühmten Kunst“ redet, die viele zum Abfall vom Glauben verführt haben (1. Tim. 6,20. 21); solche Leute nennt er an anderer Stelle „untüchtig zum Glauben“ (2. Tim. 3, 8). Wenn er ebenso dem Titus aufträgt, die Glieder der Gemeinde zu ermahnen, „daß sie gesund seien im Glauben“ (Tit. 1,13; 2,2), so versteht er unter „Gesundheit“ des Glaubens nichts anderes als Reinheit der Lehre, die ja durch den Leichtsinn der Menschen leicht in Verfall gerät und entartet. Weil nämlich in Christus, den der Glaube doch in Besitz hat, „verborgen liegen alle Schätze der Weisheit und der Erkenntnis“ (Kol. 2,3), so wird der Glaube billigerweise auf den gesamten Umfang der himmlischen Lehre bezogen, von der er eben nicht zu trennen ist! Dagegen beschränkt sich der Glaube zuweilen auch auf einen einzelnen, besonderen Fall, so z.B. wenn Matthäus berichtet, Christus habe den „Glauben“ der Männer gesehen, die den Gichtbrüchigen durch das Dach herunterließen (Matth. 9,2), oder wenn Christus selber ausruft, er habe in Israel nicht solchen Glauben gefunden, wie der Hauptmann zu Kapernaum ihn an den Tag gelegt hatte (Matth. 8,10). Dabei ist wohl anzunehmen, daß er ausschließlich an die Heilung seines Sohnes (Calvin bezieht sich hier auf Joh. 4,47ff.) gedacht hat: die Sorge um ihn hatte eben sein Herz ganz mit Beschlag belegt. Aber weil er sich allein an Christi Wink und Antwort genügen läßt und nicht noch seine leibliche Gegenwart erbittet, deshalb rühmt Christus seinen Glauben so gewaltig. Oben habe ich auch bereits dargelegt, wie bei Paulus „Glaube“ soviel bedeuten kann wie die Gabe, Wunder zu tun (vgl. Sekt. 9); die kann aber auch Leuten zuteil werden, die nicht durch den Geist Gottes wiedergeboren sind und Gott auch nicht im Ernste fürchten. An anderer Stelle ist „Glaube“ bei Paulus auch gleichbedeutend mit der Unterweisung, durch die wir im Glauben unterrichtet werden. Wenn er nämlich schreibt, der Glaube werde einst aufhören (1. Kor. 13,10; wörtlich sagt das die Stelle nicht!), so müssen wir das ohne Zweifel auf das Predigtamt der Kirche beziehen, das ja heute unserer Schwachheit noch von Nutzen ist. In all diesen (bisher genannten) Ausdrucksformen besteht offenbar eine Entsprechung. Wenn dann aber weiterhin das Wort „Glaube“ im uneigentlichen Sinne auch da angewandt wird, wo falsche Aussagen und trügerische Ansprüche gemacht werden, so ist das eine Namensübertragung, die nicht härter ist, als die Verwendung des Ausdrucks „Gottesfurcht“ zur Bezeichnung des verkehrten und verderbten Gottesdienstes! So hören wir in der heiligen Geschichte mehrfach, die ausländischen Völker, die man in Samaria und den umliegenden Gegenden angesiedelt hatte, hätten erdichtete Götter und den Gott Israels „gefürchtet“! (2. Kön. 17,24ff.). Und dabei bedeutet doch das, was sie taten, nichts Geringeres, als daß sie Himmel und Erde miteinander vermischten! Wir fragen aber hier, was das für ein Glaube ist, der Gottes Kinder von den Ungläubigen unterscheidet, der uns Gott als Vater anrufen läßt, durch den wir vom Tode zum Leben dringen, durch den Christus, das ewige Heil und Leben, in uns wohnt. Kraft und Wesen dieses Glaubens hoffe ich nun kurz und klar dargelegt zu haben.

Verfasst: 18.05.2011 01:05
von Der Pilgrim
III,2,14

Jetzt wollen wir die Stücke der oben gegebenen Wesensbestimmung des Glaubens von neuem einzeln durchgehen (vgl. Sekt. 7 Schluß, Seite 347). Wenn wir sie gründlich erörtert haben, so wird, meine ich, kein Zweifel mehr bleiben. Wir bezeichneten den Glauben als Erkenntnis (cognitio). Darunter verstehen wir nun nicht ein solches Begreifen, wie es bei Gegenständen stattfindet, die unserem menschlichen Wahrnehmungsvermögen (sensus) unterworfen sind. Diese Erkenntnis ist höher, und deshalb muß der Menschengeist über sich selbst hinaus steigen, sich selber hinter sich lassen, um zu ihr zu gelangen. Aber auch wenn er dahin gelangt ist, so ergreift er doch nicht, was er empfindet. Er gewinnt vielmehr eine feste Überzeugung von etwas, das er nicht zu fassen vermag, aber dabei ist diese Überzeugung solcher Art, daß er eben durch ihre Gewißheit mehr versteht, als er durchschauen könnte, wenn er menschliche Dinge mit seinem Begriffsvermögen ergreift. Sehr schön nennt das deshalb Paulus: „daß ihr begreifen möget …, welches da sei die Breite und die Länge und die Tiefe und die Höhe, auch erkennen die Liebe Christi, die doch alle Erkenntnis übertrifft“ (Eph. 3,18f.). Er wollte mit diesen Worten zeigen, daß die Wirklichkeit, die unser Verstand (mens) im Glauben erfaßt, in jeder Richtung unendlich ist, und daß diese Erkenntnisweise weit erhabener ist als alles Verstehen (intelligentia). Weil aber der Herr seinen Heiligen das Geheimnis seines Willens, „das verborgen gewesen ist von der Welt her und von den Zeiten her“, offenbart hat (Kol. 1,26; 2,2), so ist es sehr wohl begründet, wenn der Glaube in der Schrift immer wieder als Erkenntnis (agnitio) bezeichnet wird. Johannes nennt ihn gar ein Wissen: nach seinem Zeugnis wissen die Gläubigen, daß sie Gottes Kinder sind (1. Joh. 3,2). In der Tat, es ist wirklich ein Wissen, aber es beruht darauf, daß sie durch die Überzeugung von der göttlichen Wahrheit Gewißheit erlangt haben, nicht jedoch eigentlich auf der Belehrung durch Verstandesgründe. Das zeigen auch die Worte des Paulus: „Dieweil wir im Leibe wallen, so wallen wir ferne von dem Herrn; denn wir wandeln im Glauben und nicht im Schauen“ (2. Kor. 5,6f.). Hier macht er uns klar, wie das, was wir durch den Glauben erfassen, dennoch fern von uns und unserem Schauen verborgen ist. Wir stellen also fest, daß die Erkenntnis des Glaubens in der Gewißheit, nicht aber eigentlich im Begreifen besteht.


III,2,15

Wir nennen ferner die Erkenntnis des Glaubens „fest und gewiß“, um damit die Beständigkeit der Überzeugung kräftiger zum Ausdruck zu bringen. Denn der Glaube begnügt sich nicht mit einer ungewissen, schwankenden Meinung und ebensowenig mit einer dunklen, verworrenen Anschauung, sondern er erfordert eine volle und feste Gewißheit, wie man sie über festgestellte und erprobte Dinge zu haben pflegt. Denn der Unglaube sitzt uns so tief im Herzen und ist dermaßen verwurzelt darin, auch ist unsere Neigung zu ihm so groß, – daß zwar alle mit dem Munde bekennen, Gott sei treu, aber keiner ohne harten Kampf die Überzeugung davon gewinnt. Besonders, wenn’s zum Treffen kommt, dann schwanken wir alle und machen damit den Schaden offenbar, der im Herzen verborgen lag. Nicht umsonst jedoch betont der Heilige Geist die Autorität des Wortes Gottes mit so herrlichen Lobesworten: er will damit aber jene Krankheit heilen, die ich eben beschrieb, damit Gott in seinen Verheißungen bei uns vollen Glauben finde. „Die Rede des Herrn“, sagt David, „ist lauter wie durchläutert Silber im irdenen Tiegel, bewähret siebenmal“ (Ps. 12,7). Ebenso: „Die Reden des Herrn sind durchläutert; er ist ein Schild allen, die ihm vertrauen“ (Ps. 18,31). Mit fast den gleichen Worten bekräftigt das auch Salomo: „Alle Worte Gottes sind durchläutert …“ (Spr. 30,5). Aber weil sich der 119. Psalm fast ausschließlich mit diesem Thema beschäftigt, darum wäre es überflüssig, hier noch weitere Stellen wiederzugeben. Sooft uns Gott in dieser Weise sein Wort preist, tadelt er wahrlich nebenher auch unseren Unglauben; denn er will ja nichts anderes erreichen, als den verkehrten Zweifel aus unserem Herzen mit der Wurzel auszureißen. Sehr viele ergreifen zwar Gottes Barmherzigkeit, aber doch so, daß sie nur ganz wenig Trost aus ihr empfangen. Das kommt daher, daß sie sich zugleich in jämmerliche Angst verstricken lassen und zweifeln, ob Gott ihnen auch in Zukunft barmherzig bleiben werde: sie ziehen eben der Güte Gottes, von der sie so völlig überzeugt zu sein meinen, gar enge Grenzen. Sie halten zwar dafür, daß diese Güte groß und reich ist, daß sie auf viele sich ergossen hat und für alle offensteht und bereitliegt, aber sie meinen doch, es sei ungewiß, ob sie auch zu ihnen dringen würde, oder besser: ob sie auch zu ihr zu dringen vermöchten! Ein solcher Gedanke, der mitten auf dem Wege stehen bleibt, ist eine Halbheit. Deshalb stärkt er auch unseren Geist nur wenig mit zuversichtlicher Ruhe, sondern er wirkt vielmehr beunruhigend durch seinen schwankenden Zweifel. Ganz etwas anderes ist es um die „volle Zuversicht“, die dem Glauben in der Schrift stets beigelegt wird: sie stellt nämlich Gottes Güte, die uns so deutlich vor Augen gehalten wird, außerhalb alles Zweifels. Das kann aber gar nicht geschehen, ohne daß wir (dann auch) die Süßigkeit der Güte Gottes wahrhaft in uns empfinden und erfahren. Deshalb leitet der Apostel aus dem Glauben die Zuversicht (fiducia; Vertrauen) ab und aus ihr wiederum die kühne Freudigkeit (audacia). Denn er sagt: „Durch welchen wir haben Freudigkeit und Zugang in aller Zuversicht durch den Glauben an ihn“ (Eph. 3,12). Mit diesen Worten zeigt er wahrhaftig, daß rechter Glaube nur da ist, wo wir mit ruhigem Herzen vor Gottes Angesicht zu treten wagen. Diese kühne Freudigkeit kommt allein aus der gewissen Zuversicht auf Gottes Wohlwollen und das Heil. Das ist so wahr, daß das Wort „Glaube“ öfters für „Zuversicht“ gesetzt wird.


III,2,16

Vornehmlich geht es beim Glauben darum, daß wir die Verheißungen, die uns der Herr zuteil werden läßt, nicht etwa bloß außer uns für wahr halten, in uns aber gar nicht, sondern daß wir sie vielmehr innerlich ergreifen und uns so zu eigen machen. Daraus erwächst erst jene Zuversicht, die Paulus an anderer Stelle „Friede“ nennt (Röm. 5,1) – wofern nicht jemand lieber diesen Frieden aus der Zuversicht herleiten will. Dieser Friede ist eine Sicherheit, die unser Gewissen im Angesicht des göttlichen Gerichtes ruhig und fröhlich macht. Ohne diese Sicherheit muß unser Gewissen notwendig von ungestümen Schrecken gequält, ja schier zerrissen werden, es sei denn, daß es vielleicht Gott und sich selber vergißt und so für einen Augenblick einschläft. Das gelingt nun aber wirklich nur für einen Augenblick, lange läßt sich dieses elende Vergessen nicht auskosten – sehr schnell wird im Gegenteil der Gedanke an Gottes Gericht wieder hochkommen und es heftig quälen. Alles in allem: wahrhaft gläubig ist nur ein Mensch, der mit fester Gewißheit überzeugt ist, daß Gott sein gnädiger und wohlgesinnter Vater ist, und der von seiner Güte alles erwartet, nur ein Mensch, der auf die Verheißungen des göttlichen Wohlwollens gegen ihn vertraut und deshalb die Seligkeit, frei vom Zweifel, kühnlich erwartet. Solche Menschen beschreibt der Apostel mit den Worten: „So wir anders die Zuversicht und das Rühmen in der Hoffnung bis zum Ende festhalten“ (Hebr. 3,14; nicht Luthertext). Nur da sieht er wahre Hoffnung auf den Herrn, wo man sich zuversichtlich dessen rühmt, ein Erbe des Himmelreichs zu sein. Ein Gläubiger, sage ich, ist nur der, der in der sicheren Gewißheit seines Heils getrost dasteht und des Teufels und Todes fröhlich spottet, wie wir es aus dem herrlichen Ausruf des Paulus lernen: „Ich bin gewiß, daß weder Tod noch Leben, weder Engel noch Fürstentümer noch Gewalten, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges … mag uns scheiden von der Liebe Gottes, die in Christo Jesu ist …“ (Röm. 8,37.38). So sind nach Paulus auch nur dann die Augen unseres Gemüts recht erleuchtet, wenn wir erkennen, welches da sei die Hoffnung des ewigen Erbes, zu dem wir berufen sind (Eph. 1,18). So lehrt er allenthalben, und er will damit zu verstehen geben, daß wir Gottes Güte nicht recht erfassen können, ohne daraus die Frucht großer Gewißheit zu ziehen.


III,2,17

Aber es wird vielleicht jemand sagen: was die Gläubigen erfahren, das ist etwas ganz anderes; oft widerfährt es ihnen, daß sie beim Überdenken der göttlichen Gnade gegen sie von Unruhe angefochten werden, ja, mitunter werden sie von fürchterlichstem Schrecken erschüttert; gewaltig ist die Wucht der Anfechtungen, die ihr Inneres zu verwirren trachten – und das alles scheint sich mit der Gewißheit des Glaubens nicht wohl zu reimen! Wenn wir also wollen, daß die Lehre, wie wir sie oben entwickelten, Bestand haben soll, so müssen wir diesen Knoten auflösen. Wenn wir lehren, daß der Glaube gewiß und sicher sein soll, so verstehen wir darunter ganz gewiß nicht eine Gewißheit, die kein Zweifel mehr berührte, keine Sicherheit, die keine Sorge und Angst mehr bedrängte; nein, wir sagen, daß die Gläubigen immerfort im Kampfe liegen gegen ihren eigenen Mangel an Vertrauen. Wir denken nicht daran, daß ihr Gewissen etwa in friedlicher Ruhe dahinlebte, die keine Erschütterung mehr in Frage stellen könnte. Aber wie vielfältig sie auch geängstigt werden, so bestreiten wir doch andererseits, daß sie je von der gewissen Zuversicht, die sie von der Barmherzigkeit Gottes gewonnen haben, abfallen oder abweichen! Das herrlichste und denkwürdigste Beispiel des Glaubens läßt uns die Schrift an David sehen – vor allem, wenn wir seinen Lebenslauf im Zusammenhang betrachten. Aber auch er ist gewiß nicht immer ruhigen Gemütes gewesen; das ergibt sich aus so vielen Klagen, von denen wir nur wenige anzuführen brauchen. Er schilt die heftige Unruhe seiner Seele und tut damit nichts anderes, als daß er seinem eigenen Unglauben zürnt: „Was betrübst du dich, meine Seele, und bist so unruhig in mir; Harre auf Gott …“ (Ps. 42,6.12; 43,5). Jene innere Erschütterung, in der er sich von Gott verlassen glaubte, war sicherlich ein deutliches Zeichen von Mangel an Vertrauen. Noch ein offeneres Bekenntnis lesen wir im 31. Psalm: „Ich sprach in meinem Zagen: Ich bin vor deinen Augen verstoßen …“ (Ps. 31,23). Auch an anderer Stelle streitet er in ängstlicher und jammervoller Verworrenheit mit sich selber, ja, er hadert selbst über Gottes Wesen: „Hat Gott vergessen, gnädig zu sein? Will er denn ewig verstoßen?“ (Ps. 77,10; zweite Hälfte nicht Luthertext). Noch härter ist die Fortsetzung: „Aber ich habe gesagt: ich muß nun verderben; denn die Rechte des Höchsten hat sich gewandelt!“ (Ps. 77,11; nicht Luthertext, aber dem Grundtext eher nahekommend). Hier ist er nämlich einem Verzweifelten gleich, und er spricht sich selber dem Verderben zu; er bekennt auch nicht bloß, daß ihn der Zweifel hin und her treibt, sondern daß ihm, als sei er im Kampfe unterlegen, gar nichts mehr übrigbleibt; denn Gott hat ihn ja – so meint er – verlassen, und er hat seine Hand, die ihm sonst so hilfreich war, gewendet, um ihn zu verderben! Es ist nicht ohne Grund, wenn er seine Seele aufruft: „Sei nun wieder zufrieden, meine Seele!“ (Ps. 116,7); denn er hatte es ja erfahren, wie er inmitten ungestümer Wogen hin- und hergerissen wurde. Und doch geschieht das Wunderbare: mitten in all solchen Erschütterungen hält der Glaube das Herz der Frommen aufrecht; er ist wahrhaftig wie ein Palmbaum: gegen alle Lasten richtet er sich auf und reckt sich in die Höhe! So hat sich auch David, als er ganz erdrückt scheinen konnte, doch nur selber getadelt und nicht aufgehört, sich zu Gott zu erheben. Wer aber über allem Streit mit der eigenen Schwachheit in seinen Ängsten zum Glauben die Zuflucht nimmt, der hat den Sieg schon zum guten Teil erfochten! Das kann man unter anderem etwa aus einem Spruch wie diesem entnehmen: „Harre des Herrn! Sei getrost, er wird dein Herz stärken! Harre des Herrn!“ (Ps. 27,14; nicht Luthertext). Da zeiht er sich selber der Furchtsamkeit, und durch die Wiederholung der Selbstaufmunterung (Harre des Herrn!) bekennt er selbst, daß er zuzeiten mancherlei Drang unterworfen ist! Aber unterdessen ist er unter solchen Gebrechen keineswegs mit sich einverstanden und bemüht sich vor allem angespannt um Besserung. Vielleicht mag man solch einen Gläubigen einmal in gerechter Prüfung näher mit dem Könige Ahas vergleichen: da ergibt sich wahrlich ein großer Unterschied. Jesaja wurde ausgesandt, um diesem gottlosen, heuchlerischen König eine Arznei zuzutragen; er redete ihn an: „Hüte dich und sei stille und fürchte dich nicht …“ (Jes. 7,4). Und was tat Ahas? Er blieb genau, wie er vorher beschrieben wird: „da bebte ihm sein Herz, wie die Bäume im Walde beben vom Winde!“ (Jes. 7,2). Er ließ sich eben durch die Verheißung, die er gehört hatte, in keiner Weise von seiner Angst abbringen. Das ist also der eigentliche Lohn, die eigentliche Strafe für den Unglauben: Wer sich nicht im Glauben die Tür auftut, der erzittert dermaßen, daß er sich in der Anfechtung von Gott abwendet! Die Gläubigen dagegen, die von der Last der Anfechtung gebeugt und fast zu Boden gedrückt werden, richten sich doch, wenn auch nicht ohne Mühsal und Schwierigkeit, immer wieder auf! Und weil sie um die eigene Schwachheit wissen, so beten sie mit dem Propheten: „Und nimm ja nicht von meinem Munde das Wort der Wahrheit …“ (Ps. 119,43). Da lernen wir, daß sie wohl zuweilen verstummen, als ob ihr Glaube zu Boden gestoßen wäre; aber trotzdem lassen sie nicht ab und geben nicht die Flucht, sondern sie treiben ihren Kampf immer weiter, gehen mit ihren Gebeten scharf gegen ihre Trägheit an, damit sie nicht etwa durch Nachsicht gegen sich selbst stumpf werden!

Verfasst: 18.05.2011 23:53
von Der Pilgrim
III,2,18

Wollen wir das recht verstehen, so müssen wir noch einmal auf jene Verschiedenheit von Fleisch und Geist zurückkommen, die wir bereits erwähnten; denn in diesem Stück zeigt sie sich ganz besonders klar. Das fromme Herz empfindet also in sich eine Verschiedenheit: einerseits fühlt es sich in der Erkenntnis der göttlichen Güte mit Süßigkeit durchströmt, anderseits sieht es sich durch das Empfinden der eigenen Not bitter geängstigt, – einerseits ruht es sicher auf der Verheißung, die ihm das Evangelium zuteil werden läßt, anderseits erzittert es über dem Zeugnis der eigenen Ungerechtigkeit, – einerseits freut es sich hoch, weil es das Leben ergreifen darf, und anderseits erschrickt es vor dem Tod! Diese Verschiedenheit kommt daher, daß der Glaube unvollkommen ist; denn im Lauf dieses Lebens ist es um uns nie so gut bestellt, daß wir von der Krankheit unseres Mangels an Vertrauen gänzlich geheilt und völlig vom Glauben erfüllt und in Besitz genommen sind. All dieser Widerstreit entsteht so, daß sich der Mangel an Vertrauen, der in den Überbleibseln des Fleisches hängenbleibt, zum Kampf gegen den Glauben erhebt, der in unserem Inneren Wurzel geschlagen hat. Wenn nun aber in einem gläubigen Gemüt die Gewißheit immer mit dem Zweifel untermischt ist – müssen wir dann nicht stets dahin kommen, daß der Glaube eben nicht sicher und klar ist, sondern bloß in einer dunklen, verworrenen Erkenntnis des göttlichen Willens gegen uns besteht; Keineswegs! Denn wenn wir auch von den verschiedensten Gedanken umgetrieben werden, so werden wir deshalb doch nicht gleich vom Glauben losgerissen; und wenn uns allenthalben der Mangel an Vertrauen mit seinem Hin und Her quält, so werden wir deshalb doch nicht von seinem Abgrund verschlungen. Werden wir auch erschüttert, so fallen wir trotzdem nicht aus unserem Stand! Solcher Kampf geht doch immer so aus, daß der Glaube jene Bedrängnisse, die ihn ringsum belagern und in Gefahr zu bringen scheinen, schließlich siegreich überwindet.


III,2,19

Die Hauptsache ist folgendes. Sobald einmal auch nur das mindeste Tröpflein Glaube in unser Herz gesprengt ist, da fangen wir auch schon an, Gottes Angesicht als sanftmütig und freundlich und uns gnädig anzuschauen, freilich vielleicht weitab, in großer Ferne, aber doch mit solch sicherem Blick, daß wir wissen: wir sind keineswegs einer Täuschung verfallen! Schreiten wir dann fort – und wir müssen ja stets fortschreiten! -, so kommen wir, gewissermaßen im Weitergehen, mehr und mehr zu einem näheren und deshalb auch gewisseren Schauen seines Angesichts: so wird es uns gerade im Vorwärtsschreiten immer vertrauter. Ist also unser Sinn durch die Erkenntnis Gottes erleuchtet, so sehen wir ihn im Anfang noch von allerlei Unwissenheit umhüllt, die langsam entweicht. Dadurch jedoch, daß er vieles nicht weiß und auch das, was er sieht, noch dunkel erschaut, wird er doch nicht gehindert, die klare Erkenntnis des göttlichen Willens ihm gegenüber zu genießen – und das ist doch das Erste und Wichtigste im Glauben! Wenn einer gefangen liegt und in seinem Kerker die Strahlen der Sonne bloß durch ein enges Fenster schief und gleichsam halbiert schimmern sieht, so ist es ihm zwar verwehrt, die Sonne frei zu schauen – und doch ist es ein wirklicher Glanz, den er mit seinen Augen erfaßt und sich zunutze macht! Ganz ebenso sind auch wir von den Fesseln des irdischen Leibes umschlossen, und ringsum liegen wir zwar in Dunkel und Schatten; aber wenn uns auch nur ein wenig vom Lichte Gottes bestrahlt und uns seine Barmherzigkeit offenbart, so empfangen wir doch genug Erleuchtung, um zu fester Gewißheit zu kommen.


III,2,20

Beides (nämlich die Kraft und die Schwachheit des Glaubens!) lehrt der Apostel an verschiedenen Stellen sehr fein. Er erklärt: „Unser Wissen ist Stückwerk, und unser Weissagen ist Stückwerk, … wir sehen jetzt durch einen Spiegel in einem dunklen Wort …“ (1. Kor. 13,9.12); da zeigt er uns, was für ein geringes Stücklein jener göttlichen Weisheit uns in diesem gegenwärtigen Leben wirklich zuteil wird. Er gibt uns nun zwar in diesen Worten nicht unumwunden zu verstehen, daß unser Glaube unvollkommen ist, solange wir unter der Last des Fleisches seufzen, sondern zeigt uns, daß unsere Unvollkommenheit der Grund ist, weshalb wir uns immer neu mit Lernen üben müssen; aber er gibt uns doch zu erkennen, daß wir mit unserem Maß und in unserer Enge nicht begreifen können, was doch unermeßlich ist. Und das verkündigt Paulus von der ganzen Kirche: uns allen ist unsere Unkundigkeit ein Anstoß und ein Hindernis, daß wir nicht so nahe herzutreten können, wie es zu wünschen wäre. Aber wie uns Gott auch durch das geringste Tröpflein Glaube einen sicheren und ganz untrüglichen Geschmack von ihm zu spüren gibt, das bezeugt Paulus an einer anderen Stelle, indem er betont: durch das Evangelium schauen wir Gottes Herrlichkeit mit aufgedecktem Angesicht, ohne jede Decke, mit solcher Kraft, daß wir „verklärt werden in dasselbe Bild!“ (2. Kor. 3,18). Umgibt uns soviel Unwissenheit, so ist auch notwendig sehr viel Zweifel und Zagen dabei, vor allem, weil unser Herz nach seinem natürlichen Trieb zum Unglauben geneigt ist. Dann kommen die Anfechtungen hinzu und fallen uns, unendlich an Zahl, vielgestaltig in ihrer Art, immer wieder mit großem Ungestüm an. Vor allem wird unser Gewissen selber von der auf ihm liegenden Last der Sünden niedergedrückt, und bald klagt und seufzt es bei sich selbst, bald beschuldigt es sich, bald murrt es im Stillen, bald wütet es öffentlich! Wenn uns nun Widerwärtigkeit den Zorn Gottes anzeigt, wenn unser Gewissen Beweis und Ursache dieses Zorns bei sich selber findet, so nimmt der Unglaube daraus immer Geschosse und Sturmwerkzeuge, um unseren Glauben zu Boden zu werfen; all solche Anläufe aber haben das eine Ziel, daß wir meinen, Gott sei uns feind, er sei zornig gegen uns, so daß wir also von ihm keinerlei Hilfe mehr erhoffen und uns vor ihm fürchten sollten wie vor unserem Todfeind!


III,2,21

Um solchen Anläufen widerstehen zu können, wappnet und schützt sich der Glaube mit dem Wort des Herrn. Und wenn dann solche Anfechtung ihn bestürmt, die ihm vormachen will, Gott sei ein Feind, denn er sei erzürnt, – so hält der Glaube dem vor, daß er barmherzig ist, auch wo er uns züchtigt, daß die Züchtigung aus der Liebe und nicht aus dem Zorn herfließt, wenn ihn der Gedanke schlagen will, Gott sei der Rächer für unsere Ungerechtigkeit, so hält er dem entgegen, daß für alle vergehen Vergebung bereit ist, sooft ein Sünder sich zu Gottes Güte flüchtet. Mag also ein frommer Sinn noch so wunderlich umgetrieben und geplagt werden, so erhebt er sich doch schließlich über alle Schwierigkeiten und läßt sich die Zuversicht auf Gottes Erbarmen nicht aus der Hand schlagen. Nein, alle Kämpfe, die ihn plagen und ermüden, müssen doch vielmehr schließlich in zuversichtliche Gewißheit auslaufen. Der Beweis dafür ist die Tatsache, daß die Heiligen gerade, wenn sie meinen, von Gottes Rache am heftigsten bedrängt zu werden, bei ihm ihre Klagen anbringen, und wenn es ihnen so vorkommt, als wolle er sie durchaus nicht erhören, trotzdem ihn anrufen! Was sollte es denn helfen, vor einem zu klagen, von dem sie gar keinen Trost erwarten könnten? Sie würden sich gewiß nie in den Sinn kommen lassen, ihn anzurufen, wenn sie nicht glaubten, daß irgendeine Hilfe doch bei ihm bereit läge! So klagten die Jünger, deren Kleinglauben Christus tadelt, zwar: „Wir verderben“ – aber sie flehten ihn doch um Hilfe an! (Matth. 8,25). Wenn sie der Herr daraufhin um ihres Kleinglaubens willen schilt, so verstößt er sie damit doch nicht aus der Schar der Seinen und rechnet sie auch nicht den Ungläubigen zu, sondern er treibt sie an, dieses Gebrechen abzutun! Wir müssen also aufs neue behaupten, was wir schon oben aussprachen: die Wurzel des Glaubens wird nie aus einem frommen Herzen ausgerissen, sondern sie bleibt ganz in der Tiefe doch fest hängen, wie sehr sie auch abgeschlagen zu sein und sich hin und her zu neigen scheint; das Licht des Glaubens wird nie dermaßen verdunkelt oder ausgelöscht, daß es nicht wenigstens unter der Asche noch glimmte. Das ist ein offenbarer Beweis dafür, daß das Wort, welches ja ein unvergänglicher Same ist, eine Frucht seinesgleichen hervorbringt, deren Sproß niemals gänzlich verdorrt und verdirbt. Gewiß ist es für die Heiligen ein schrecklicher Anlaß zur Verzweiflung, wenn sie nach dem gegenwärtigen Augenschein Gottes Hand zu ihrem Verderben ausgereckt fühlen; aber dennoch geht Hiobs Hoffnung nach seiner Bekundung so weit, daß er selbst dann nicht aufhören würde auf den Herrn zu hoffen, wenn er ihn – töten würde! (Hiob 13,15; nicht Luthertext). Es ist wirklich so: der Unglaube regiert nicht drinnen, im Herzen der Frommen, sondern er berennt sie von außen; er kann gegen sie anstürmen, aber er verwundet sie mit seinen Pfeilen nicht zu Tode; verletzt er sie, so ist die Wunde wenigstens nicht unheilbar! Denn der Glaube ist, wie Paulus lehrt, für uns ein Schild (Eph. 6,16): halten wir ihn den feindlichen Geschossen entgegen, so fängt er ihre Gewalt auf, so daß sie gänzlich abgeschlagen oder wenigstens so sehr gebrochen werden, daß sie nicht ans Leben gehen. Wird also der Glaube erschüttert, so ist das, wie wenn ein sonst standfester Krieger unter der Wucht eines heftigen Schlages die feste Haltung verliert und ein wenig weichen muß; wird aber solcher Glaube selbst verwundet, so ist es, wie wenn ein Schild unter der Wucht (eines Geschosses) einen Bruch abbekommt, aber doch nicht durchstoßen wird! Der fromme Sinn reckt sich nämlich immer soweit empor, daß er mit David sagen kann: „Und ob ich schon wanderte im Schatten des Todes, so fürchte ich mich doch nicht, denn du bist bei mir …!“ (Ps. 23,4; nicht Luthertext). Es ist gewiß entsetzlich, mitten in der Finsternis des Todes zu wandern, und es kann nicht anders sein, als daß die Gläubigen, so gefestigt sie auch sein mögen, davor erschrecken. Aber die Oberhand behält doch der Gedanke, daß sie Gott gegenwärtig bei sich haben und er für ihr Heil sorgt; und so wird die Furcht sogleich von der festen Gewißheit besiegt. Augustin sagt: „Mag der Teufel an Geschütz gegen uns auffahren, was er auch will, er wird doch hinausgeworfen, weil er das Herz nicht in Besitz hat, in dem der Glaube wohnt!“ Urteilt man also nach dem Ausgang, so gehen die Gläubigen aus jedem Kampfe unversehrt hervor, so daß sie bald darauf wieder bereit sind, mit neuer Kraft den Kampfplatz zu betreten; ja, es erfüllt sich auch, was Johannes in seinem ersten Briefe sagt: „Unser Glaube ist der Sieg, der die Welt überwunden hat!“ (1. Joh. 5,4). Der Glaube soll nämlich nicht nur in einem einzigen Treffen oder nur in wenigen oder nur gegen einen einzigen Angriff Sieger bleiben, sondern gegen die ganze Welt die Oberhand behalten, mag er auch tausendfach angegriffen werden!