Nun endlich noch zu der Tempelfrage aus 2Thes 2,3. Ich war vor geraumer Zeit bereits unter
http://www.bifo.de/viewtopic.php?p=5243 darauf eingegangen, jetzt will ich Beales Kommenatar noch ausführlicher wiedergeben:
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2Thes 2,3-4 steht in klarer Parallele zu Daniel 11,31.36. Der endzeitliche Feind greift das Volk Gottes in zwei Formen an. Erstens verführt er sie mit "glatten Worten" (Dan 11,32, der "Abfall" aus 2Thes 2,3) und zweitens verfolgt er die treuen Gläubigen mit Gewalt (Dan 11,33-35.44). Er erhöht sich selbst über Gott (Dan 11,36) und wird schließlich gerichtet (Dan 11,45).
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Die Probleme bei dieser Sicht [dass sich der Antichrist in einen wiederaufgebauten Steintempel in Israel setzt] sind mannigfaltig. Erstens spricht 2,3 offenbar nicht von einem Glaubensabfall in Israel in einem geografischen Sinne. Die Mehrheit des nationalen Israel glaubt nicht an Christus und kann somit gar nicht "abfallen". Es ist ebenfalls schwierig, den Abfall aus 2,3 als "Abfall" unter ungläubigen heidnischen Nationen zu verstehen, die nicht zur sichtbaren Gemeinde gehören. Denn sie haben ja keinen Glauben, von dem sie abfallen können. Vielmehr spricht 2,3 offenbar von einem massiven Abfall in der weltweiten Gemeinschaft des Glaubens, der Gemeinde.
Dass 2,3 von einer massiven Abfallbewegung nicht in Israel, sondern in der Gemeinde spricht, wird auch aus dem Ausdruck "Tempel Gottes" deutlich. Dieser Begriff zeigt, dass die Gemeinschaft der Gemeinde der Ort ist, an dem sich die Endzeitprophezeiungen über Israel und seinen Tempel erfüllen. Derselbe Ausdruck "Tempel Gottes" findet sich neun weitere Mal im NT außerhalb von 2Thes und meint fast immer entweder Christus oder die Gemeinde. Bei Paulus (fünf Vorkommen außerhalb von 2Thes) bedeutet dieser Ausdruck kein einziges Mal einen buchstäblichen Tempel in Israel, weder in Vergangenheit noch Zukunft. Es stimmt, dass in Mt 26,61 eine Zerstörung des irdischen Tempels Gottes gemeint ist und ein Wiederaufbau in drei Tagen, dann aber als geistlicher Tempel. Somit repräsentiert Matthäus einen Übergang zu einem geistlichen Tempel, welcher der einzige Fokus bei Paulus und auch im Buch der Offenbarung ist (3,12; 11,1.19 u.v.a.). Nach Joh 2,21 meinte Jesus seinen Auferstehungsleib, als er vom wiederaufgebauten Tempel sprach. Jesu Auferstehung war der Beginn des Wiederaufbaus des Tempels Gottes. Israels früherer Steintempel war lediglich eine irdische Vorschattung Christi und seines Volkes als Tempel. Weil Jesus der Tempel ist, bezeichnet Paulus an anderer Stelle die GLäubigen als den Tempel Gottes, weil sie an Jesus glauben und mit ihm als Teil seines Leibes identifiziert werden (1Kor 3,16-17; 2Kor 6,16; vgl. Eph 2,19-21; 1Petr 2,4-7; Offb 3,12; 21,22).
Dass der Ausdruck "Tempel Gottes" in 2,4 die Gemeinde meint, wird auch dadurch verdeutlicht, dass Paulus die Gemeinde von Thessalonich bereits zuvor in 1THes 4,3-8 beschrieben hat mit einer Bildersprache und Ausdrücken, die Paralleln aufweisen zum Tempelthema in 1Kor 6,18-19. Ein besonders erhellender Vergleich ist der mit Offb 13,6, wo die vom Antichristen angegriffenen Gläubigen als "Zelt" (Stiftshütte, "Tabernakel") beschrieben werden. In Offb 11,1-7 findet sich dasselbe Bild (wenngleich Gläubige dort als ein Heiligtum und Lampenständer darin beschrieben werden). Was die Abschnitte aus 2Thes und Offb noch näher zusammenbringt ist die Tatsache, dass beide apokalyptischer Natur sind und beide auf Daniels entsprechende Endzeitprophetien anspielen und diese erklären. Wie wir unten bei 2,6 noch sehen werden, hat zudem die Erfüllung von Daniel 11 (aus Sicht des alttestamentlichen Lesers) unerwartet innerhalb der Gemeinde begonnen und identifiziert daher die Gemeinde noch weiter mit dem Tempel, da Daniel diese Ereignisse als untrennbar mit dem Tempel verbunden vorausgesehen hat.
Einwände gegen diese Sicht versagen im Allgemeinen darin, mehrere wichtige Punkte in Betracht zu ziehen: 1.) Der Schauplatz des wahren Israel ist bereits von der theokratischen Nation verlagert worden zu Christus und seinen Nachfolgern (insbesondere gemäß dem Zeugnis der Evangelien),
2.) das nationale Israel als erwähltes Volk Gottes (und Israels Tempel) sind zu einem Ende gekommen (siehe Lk 21,6; Hebr 7,11 - 10,22; Mt 21,43; 1Thes 2,16),
3.) damit Menschen "abfallen" können, müssen sie zur wahren Bundesgemeinschaft gehören, in welche der Gesetzlose eindringt. Daher ist die kleine junge Gemeinde in Palästina, Griechenland und Kleinasien ein ebenso guter Kandidat für die Identifikation des "Tempels" wie ein örtlicher Steintempel in nur einer kleinen Nation der Welt.
4.) Die antichristliche Gestalt in 2,3-4 steht in Parallele zu Christus, daher ist es wahrscheinlicher, dass seine falschen messianischen Ansprüche, mit denen er Christen verführen will, eher in der Gemeinschaft des Neuen Bundes unter Christen erhoben werden, und nicht im kultischen Zentrum der Gemeinschaft des Alten Bundes.
5.) Jesus selbst hat vorausgesagt, dass viele vom Glauben abfallen werden ... und viele falsche Propheten werden aufstehen und viele verführen. Und weil die Gesetzlosigkeit überhand nimmt, wird die [Bundes-] Liebe der meisten erkalten (Mt 24,10-12; vgl. 24,38 - 25,46); Lk 17,26-37).
Wie bereits bemerkt, findet der Abfall aus 2,3 tatsächlich exakt in der Gemeinde statt, weil dazu ein abfallen aus einem vorherigen Zustand der Nähe zu Gott gehört (zumindest nach dem äußerlichen Bekenntnis). Wenn Paulus den Abfall als Möglichkeit für die Thessalonicher darstellt, warum sollte er dann nicht diesen Abfall auch als Möglichkeit für die gesamte Gemeinde der Endzeit verstanden haben? Wenn Paulus sogar vor seinem Tod sagen kann, dass alle [aus den Gemeinden] aus Kleinasien ihn verlassen haben (2Tim 1,15), wie viel mehr könnte sich dies am Ende der Zeit bewahrheiten? So wie die Gemeinde von Sardes den Namen hatte, dass sie lebt, aber in Wirklichkeit geistlich tot war (Offb 3,1), so wird dieser Zustand für einen Großteil der Gemeinde der Endzeit gelten.
Was bedeutet es also, dass der Antichrist sich in den Tempel Gottes setzen wird? Damit ist kein künftiger wiederaufgebauter Steintempel in Israel gemeint, noch eine bereits vergangene Entweihung des alten Tempels in Jerusalem. Wahrscheinlich ist der Tempel ein metaphorisches Bild für die Gemeinde in ihrer äußeren Gestalt als Fortführung des wahren Gottesdienstes. Oben haben wir bereits gezeigt: 1.) Paulus' anderweitiger Gebrauch des Ausdrucks "Tempel Gottes" meint ausnamslos die Gemeinde, 2.) Die Erfüllung von Daniel 11 (zunächst durch Antiochus Epiphanes IV und dann durch die Römer) ereignete sich innerhalb der Bundesgemeinschaft im Umfeld deren Tempels, und 3.) der "Abfall" und sein Gebrauch in der Bibel meint stets eine Abkehr jener, die sich in der Glaubensgemeinschaft befinden weg von ihrer zuvor bekannten Treue zu Gott.
Demnach bedeutet das "Sitzen" im Tempel Gottes nicht ein buchstäbliches Inthronisieren des Antichristen in einem Steintempel, sondern ein bildhaftes Sitzen, ein Herrschen (vgl. z.B. Mt 23,2; 26,64; APg 2,30-36; Hebr 1,3; 8,1; 10,12; 12,2; Offb 3,21). Dass wird auch durch die Beobachtung gestützt, dass die Offb den Ausdruck "auf einem Thron sitzen" etwa 15 Mal für Gott; Jesus oder Gläubige in einer Autoritätsposistion verwendet (kathizo odrer kathemai, s.a. Offb 14,14-15). Ebenfalls eine Parallele ist die Hure Babylon, die "an vielen Wassern sitzt" (Offb 17,1), priesterlich gekleidet (17,4; 18,16). Das wird gedeutet als herrschen über "Völker, Volksmengen, Nationen und Sprachen" (Offb 17,15.18; 18,7).
Folglich lehrt 2,3-4, dass der endzeitliche Feind inmitten der Gemeinde auftreten und sie weitgehend zum Abfall und Unglauben verführen wird. [...]
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"Der Prophet, der einen Traum hat, erzähle den Traum! Wer aber mein Wort hat, rede mein Wort in Wahrheit! Was hat das Stroh mit dem Korn gemeinsam? spricht der HERR." (Jer 23,28)
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