Ich habe mich noch nie intensiv mit Bonhoeffers Theologie beschäftigt, allerdings hatten wir ihn in der 12. oder 13. Klasse im Zuge des "Theodizee-Problems" mal kurz behandelt. Dazu lasen wir einen kurzen Text, der mit Bonhoeffers Theologie sehr suspekt machte:
Dietrich Bonhoeffer hat geschrieben:Der Gott, der uns in der Welt leben läßt ohne die Arbeitshypothese Gott, ist der Gott, vor dem wir dauernd stehen. Vor und mit Gott leben wir ohne Gott. Gott läßt sich aus der Welt herausdrängen ans Kreuz, Gott ist ohnmächtig und schwach in der Welt und gerade und nur so ist er bei uns und hilft uns. Es ist Matth. 8,17 ganz deutlich, daß Christus nicht hilft kraft seiner Allmacht, sondern kraft seiner Schwachheit, seines Leidens! (aus dem Brief vom 16. 7. 1944)
Ich will nicht ausschließen, dass meine damalige Lehrerin ihren Teil dazu beigetragen hat, dass mir das häretisch vorkam. Ich erinnere mich noch, wie ich mich über die einseitige Zentrierung auf die angebliche Ohnmacht Gottes beschwerte und unter anderem auf Matthäus 26,53 verwies, mit der Frage, wie Bonhoeffer solche Stellen mit seinen Thesen vereinbaren könnte, wenn er doch, wie die zitierten Verse bei ihm vermuten ließen, schon irgendwie den Anspruch hatte, bibelorientiert vorzugehen.
Meine Lehrerin erinnerte mich dann an die historisch-kritische Vorstellung, dass sich ja auch innerhalb eines Evangeliums (in diesem Falle Matthäus) unterschiedliche Traditionsstränge ausmachen ließen, und es letztendlich darauf ankäme, welche von den sich "widersprechenden Aussagen" man mehr gewichte. So wäre es dann auch möglich zu solchen Schlüssen wie Bonhoeffer zu kommen. Da ich keine Grundsatzdiskussion über die historisch-kritische Bibelauslegung beginnen wollte, ließ ich dann einfach davon ab, aber diese Stunde führte dann dazu, dass die Erinnerung an Bonhoeffer für mich nicht durchweg positiver Natur ist. Es tut mir leid, sollte ich ihm unrecht tun, ich weiß nicht, in wiefern er selber Verfechter der historisch-kritischen Theologie war, vielleicht hatte ihm das meine Lehrerin auch nur "in die Schuhe geschoben"... Seinen Widerstand gegen das NS-Regime werde ich jedoch nichts destotrotz weiterhin schätzen und würdigen.