Regelmäßige Lesung aus der Schatzkammer Davids von Spurgeon

Lehrfragen in Theorie und Praxis - also alles von Bibelverständnis über Heilslehre und Gemeindelehre bis Zukunftslehre

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Jörg
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Regelmäßige Lesung aus der Schatzkammer David Ps71

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PSALM 71(Auslegung & Kommentar)


Überschrift

Eine Überschrift finden wir nicht. Dem Inhalt nach erweist sich der Psalm als das Gebet eines betagten Glaubensmannes, der in heiliger, durch lange und reiche Erfahrung zu besonderer Kraft herangereifter Glaubenszuversicht Gott wider seine Feinde anruft, aber auch für sich weitere Segnungen erfleht. In der gewissen Erwartung der gnädigen Erhörung gelobt er sodann, den HERRN hoch zu preisen.

Einteilung

Die ersten vier Vers sind ein Hilferuf des Glaubens, die nächsten vier ein Zeugnis der Erfahrung. V. 9-13 ruft der Dichter wider seine Feinde zu Gott; dann getröstet er sich in Hoffnung, V. 14-16. Er legt sich wieder aufs Bitten, V. 17, und gibt V. 19-21 abermals der zuversichtlichen Hoffnung Ausdruck, deren sich seine Seele erfreut. Dann schließt er mit dem Versprechen, Gott überströmend zu danken. In dem ganzen Psalm sehen wir einen zwar heiß ringenden, aber durch nichts zu erschütternden Glauben.

Auslegung

1. HERR, ich traue auf dich;
lass mich nimmermehr zuschanden werden.
2. Errette mich durch deine Gerechtigkeit und hilf mir aus;
neige deine Ohren zu mir und hilf mir!
3. Sei mir ein starker Hort, dahin ich immer fliehen möge,
der du zugesagt hast, mir zu helfen;denn Du bist mein Fels und meine Burg.
4. Mein Gott, hilf mir aus der Hand des Gottlosen,
aus der Hand des Ungerechten und Tyrannen.



1. HERR, ich traue auf dich. Jehova hat Anspruch auf unser Vertrauen; lasst es uns ganz und allein auf ihn setzen. Jeden Tag haben wir vor jeder Art des Vertrauens auf Fleisch auf der Hut zu sein, und Stunde um Stunde müssen wir uns an den ewig treuen Gott klammern. Auf ihn sollen wir uns stützen wie jemand, der auf einem Felsen Stand nimmt; aber nicht nur das: wir müssen uns auch bei ihm bergen (wörtl.), wie jemand, der in einer Höhle oder Felskluft Zuflucht sucht. Je besser wir mit dem HERRN bekannt werden, desto fester wird unser Zutrauen zu ihm sein. Gott weiß um unseren Glauben, und doch hört er es gern, dass wir denselben bekennen; darum traut der Psalmdichter nicht nur auf den HERRN, sondern spricht es auch vor ihm aus. - Lass mich nimmermehr zuschanden werden. Solange die Welt steht steh du mir zur Seite; ja immer und ewiglich sei du deinem Knechte treu. Ließest du mich im Stich, so würden die Menschen über meinen Glauben spotten, und was sollte ich ihnen antworten? Meine Verwirrung würde mich verstummen lassen und deine Sache dadurch mit Schmach bedeckt werden. Der Vers ist ein guter Gebetsanfang. Wer so im Glauben zu beten beginnt, der wird sicher mit Frohlocken schließen dürfen.

2. Errette mich durch deine Gerechtigkeit und hilf mir aus. Steh zu deinem Worte, o Gott. Das ist ja ein Stück deiner Gerechtigkeit, dass du die Verheißungen hältst, die du deinen Knechten gegeben hast. Ich habe dir vertraut, und du wirst nicht ungerecht sein, dass du meinen Glauben vergäßest. Ich bin gefangen wie in einem Netz; aber befreie du mich von der Bosheit meiner Verfolger. Neige deine Ohren zu mir und hilf mir. Lass dich zu meiner Schwachheit herab und höre meine matten Seufzer; sei gnädig meinen Gebrechen und siehe freundlich auf mich. Ich suche ja Hilfe bei dir, dem Heiland; so lausche auf mein Flehen und errette mich. Wie jemand, der von den Feinden schwer verwundet und für tot liegen gelassen ist, bedarf ich es, dass du dich über mich neigst und meine Wunden verbindest. Die Bitte um diese Gnadenerweisungen stützt sich auf den Glauben; darum kann Gott sie nicht abschlagen.

3. Sei mir ein Hort der Wohnstatt (Grundtext nach dem masoret. Texte1, in den ich eingehen und wo ich daheim sein kann, wie ein Mann in seinem eigenen Hause; und dann lass mich da in dir als meinem festen Wohnsitz allezeit bleiben. Da Feinde mich belästigen, bedarf ich einer festen, wohlverschanzten Wohnstatt, wo ich eine Belagerung aushalten und dem Ansturm feindlicher Heere Trotz bieten kann; so lass denn deine Allmacht mich schützen und mir zur Festung dienen. Wir sehen hier einen schwachen Mann, der aber in einer unbezwingbaren Burg wohnt; seine Sicherheit gründet sich auf den Turm, in dem er sich birgt, und wird durch seine eigene Schwachheit nicht aufs Spiel gesetzt. Dahin ich immer fliehen möge. Fest verschlossen und verrammelt ist diese Burg gegen alle Feinde. Umsonst würden sie es versuchen, die Tore aufzusprengen; die Zugbrücke ist aufgezogen, das Fallgatter heruntergelassen, die Riegel sind fest in ihren Orten. Aber es gibt ein geheimes Pförtlein, durch welches die Freunde des Burgherrn zu allen Tages- und Nachtzeiten, wann immer sie es wünschen, eingehen können. Es gibt keine Stunde, in der es nicht gestattet wäre zu beten. Die Gnadenpforte steht weit offen und wird offen bleiben, bis zuletzt der Herr des Hauses aufstehen und selber die Tür verschließen wird. Den Gläubigen erweist sich der HERR, ihr Gott, als starker und jederzeit zugänglicher Zufluchtsort, und darin haben sie ein wirksames Schutzmittel gegen alle Übel und Gefahren des irdischen Lebens. Der du zugesagt (wörtl.: verordnet) hast, mir zu helfen. Die Natur ist beauftragt, sich Gottes Knechten freundlich zu erweisen, der Vorsehung ist befohlen, alles zu ihrem Besten zusammenwirken zu lassen, und die Mächte der unsichtbaren Welt sind ihnen zu schützenden Wächtern bestellt. David befahl seinen Feldherren im Beisein des ganzen Heeres, mit dem Knaben Absalom fein säuberlich zu fahren; dennoch fiel dieser. Gottes Befehle haben eine ganz andere Kraft; denn sie erzwingen sich Gehorsam und führen unabänderlich seine Absichten aus. Kein Verderben kann uns verderben, keine Hungersnot uns dem Verhungern preisgeben; wir können ihrer beider lachen, solange uns Gottes Verordnung schützt. Kein Stein auf dem Wege kann uns zu Fall bringen, während Engel uns auf den Händen tragen; und ebenso wenig können die wilden Tiere uns zerreißen, wenn Davids Gott uns von ihrer Blutgier errettet oder Daniels Gott sie vor uns in Scheu hält. (Vergl. Hiob 5,22.23; Ps. 91,11-13.) Denn Du bist mein Fels und meine Burg. In Gott haben wir all die Sicherheit, welche die Natur, die die Felsklüfte, und die Kunst, die die Festungen baut, uns bieten könnten; er ist der allgenügsame, vollkommene Erhalter der Seinen. Er ist unveränderlich wie ein Fels, unüberwindlich wie eine Feste. Wohl dem, der da das Wörtlein mein brauchen darf, und nicht nur einmal, sondern so oft, wie die Betrachtung der verschiedenen Seiten der göttlichen Vollkommenheiten es wünschbar macht. Ist er ein Hort der Wohnstatt? So will ich ihn meinen Wohnhort nennen. Er soll mein Fels, meine Burg, mein Gott (V. 4), meine Zuversicht, meine Hoffnung (V. 5), mein Ruhm (V. 6) sein. Alles, was mein ist, sei sein, alles, was sein ist, mein. Das war der Grund, weshalb der Psalmdichter überzeugt war, dass Gott ihm Heil verordnet habe, weil er ihm Gnade gegeben hatte, sich in stillem, heiterem Glauben alles, was in Gott ist, zu Eigen zu machen.

4. Mein Gott, hilf mir aus der Hand des Gottlosen. Gott ist auf unserer Seite, und diejenigen, welche uns feindlich gegenüberstehen, sind auch seine Feinde, denn sie sind Gottlose; darum wird der HERR gewiss seine Bundesgenossen herausreißen und nicht zugeben, dass die Bösen über die Gerechten triumphieren. Wer solch ein Gebet zum Himmel sendet, tut seinen Widersachern mehr Schaden, als wenn er ganze Batterien Krupp’scher Gussstahlgeschütze auf sie richtete. Aus der Hand (der Faust) des Ungerechten und Tyrannen. Da sie (die Einzahl ist wohl kollektivisch gebraucht) Gott nicht vor Augen haben, entbehren sie des sittlichen Halts und werden daher ungerecht und frevelhaft gegen die Menschen und gewalttätig im Bedrücken und Verfolgen der Gottesfürchtigen. Mit der Hand greifen sie, mit der Faust schlagen sie, und sie würden alle Heiligen ausrotten, wenn Gott es nicht verhütete. Aber der Finger des Allmächtigen ist mehr als ihre Hand und Faust.


Fußnote
1. Luther folgt den LXX, welche mit einigen hebr. Handschriften zO(mf lesen: diese Lesart wird von vielen Neueren mit Berufung auf die Lehnstelle Ps. 31,3 angenommen.
Wer sich nur nach dem, was er fühlt, richtet, der verliert Christus. (Martin Luther)

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5. Denn Du bist meine Zuversicht,
Herr, HERR, meine Hoffnung von meiner Jugend an.
6. Auf dich hab ich mich verlassen von Mutterleibe an;
Du hast mich aus meiner Mutter Leibe gezogen.Mein Ruhm ist immer von dir.
7. Ich bin vor vielen wie ein Wunder;
aber Du bist meine starke Zuversicht.
8. Lass meinen Mund deines Ruhmes
und deines Preises voll sein täglich.


5. Denn Du bist meine Zuversicht, Herr, HERR, meine Hoffnung von meiner Jugend an. Gott, der uns Gnade gibt, auf ihn zu hoffen, wird gewiss unsere Hoffnung erfüllen; darum können wir es im Gebet vor ihm geltend machen, dass wir auf ihn hoffen. Sein Name ist: Jehova, die Hoffnung Israels (Jer. 17,13, vergl. Jer. 50,7; 1. Tim. 1,1; Kol. 1,27), und da er nicht eine falsche, täuschende Hoffnung sein kann, haben wir Grund zu erwarten, dass unsere Zuversicht gerechtfertigt werde. David2 hatte seinen Glauben schon durch denkwürdige Heldentaten erprobt, als er noch ein Knabe war, bräunlich und schön, und das sind ihm in seinem jetzigen gereiften Alter liebe Erinnerungen, die ihm auch die Gewissheit geben, dass der Gott seiner Jugend ihn in seinem Alter nicht im Stich lassen werde. Das sind hochbevorzugte Leute, die wie ein David, Samuel, Josia, Timotheus und andere sagen können: Du bist meine Zuversicht von meiner Jugend an.

6. Auf dich hab ich mich verlassen oder (bei passivischer Auffassung, welche auf Grund der Lehnstelle Ps. 22,11 von manchen vorgezogen wird): Auf dich war ich gestützt von Mutterleibe an. Ehe er fähig war, die Macht zu verstehen, die ihn stützte, ward er von derselben getragen. Gott kennt uns, ehe wir irgendetwas kennen, und erhält uns, ehe wir eine Ahnung davon haben. Die Auserwählten der Vorzeit lagen in Gottes Schoß, ehe sie auf ihrer Mutter Schoß gelegt wurden; und als ihre kindliche Schwachheit noch so groß war, dass ihre Füße sie nicht tragen konnten, trug und stützte der HERR sie samt ihrer Schwachheit. Wir tun wohl daran, über die Güte, welche Gott uns schon in unserer Kindheit erwiesen hat, nachzudenken; es bietet uns das viel Grund zur Dankbarkeit. Du hast mich aus meiner Mutter Leibe gezogen.3 Gottes Obhut waltet über seinen Auserwählten, noch ehe diese zu bewusstem Leben erwachen. Jede Geburt ist ein Mysterium der Barmherzigkeit; Gott waltet über Mutter und Kind, sonst wäre ein jedes Wochenbett ein Doppelsarg. Werden die Ehen im Himmel geschlossen, so dürfen wir sicherlich von den Geburten ähnlich sprechen. Unsere Frauen tun wohl daran, Gott für die Gnade zu preisen, die er ihnen je und je in der Stunde ihrer Not erwiesen hat; aber auch jeder, der vom Weibe geboren ist, hat gleichen Grund zur Dankbarkeit. Sie, deren Leben erhalten worden ist, sollte Dank opfern, und ebenso der, dem da das Leben gegeben worden. Mein Ruhm ist immer von dir. Wo Güte ohne Aufhören empfangen worden ist, sollte auch Lobpreis ohne Aufhören dargebracht werden. Gott ist der Kreis, in dem unsere Loblieder beginnen, fortfahren und sich endlos bewegen sollten, da Er es ist, in dem wir leben, weben und sind.

7. Ich bin vor vielen wie ein Wunder. Die Heiligen Gottes sind in der Tat wunderbare Leute; ihre Schattenseite ist oft erstaunlich düster, ihre Lichtseite dagegen von blendender Herrlichkeit. Die Gläubigen sind ein Rätsel, das den ungeistlichen Leuten viel Kopfzerbrechens verursacht; sie sind Sonderlinge, bei denen es den andern Menschen nicht recht geheuer ist, führen sie doch Krieg auf Leben und Tod mit den Lüsten des Fleisches, welche den andern alles in allem sind; wunderliche Leute, aus denen die Weltmenschen nicht klug werden; ein Wunder, das man anstaunt, vor dem man sich anfänglich scheut, für das man aber nach und nach nur noch ein verächtliches Lächeln hat. Wenige verstehen uns, viele schütteln den Kopf über uns. Aber Du bist meine starke Zuversicht, wörtl.: Zuflucht. Das ist die Antwort auf das Rätsel. Sind wir stark, so sind wir es in Gott; sind wir sicher, so ist es der Fall, weil unsere Zuflucht uns birgt; können wir mitten im Sturm heiter blicken, so liegt das daran, dass unsere Seele in Gott als ihren Ruheport eingegangen ist. Wer versteht, was der Glaube eigentlich ist, und die Gründe sieht, auf denen dessen Zuversicht ruht, dem sind die Gläubigen nicht mehr ein Wunder, der wundert sich vielmehr darüber, dass noch so viel Unglaube unter den Menschenkindern vorhanden ist.

8. Lass meinen Mund deines Ruhmes und deines Preises voll sein täglich. Wollte Gott, unser Mund wäre wirklich allezeit dessen voll! Niemand wird dieser Speise überdrüssig. Gottes Brot ist allezeit in unserm Munde, so sei es auch sein Preis. Er füllt uns mit Gutem; so lasst uns auch mit Dankbarkeit erfüllt sein. Dann wäre auch kein Raum fürs Murren oder Afterreden; darum mögen wir wohl mit dem Psalmisten in diesen heiligen Wunsch einstimmen. Übrigens legt der Zusammenhang es näher, den Vers als Bekenntnis zu fassen: Mein Mund ist voll deines Ruhmes, (voll) immerdar deiner Herrlichkeit. Können wir dies in Wahrheit mitsprechen?

9. Verwirf mich nicht in meinem Alter;
verlass mich nicht, wenn ich schwach werde.
10. Denn meine Feinde reden wider mich,
und die auf meine Seele lauern, beraten sich miteinander
11. und sprechen: Gott hat ihn verlassen;
jaget nach und ergreift ihn, denn da ist kein Erretter.
12. Gott, sei nicht ferne von mir;
mein Gott, eile mir zu helfen!
13. Schämen müssen sich und umkommen, die meiner Seele zuwider sind;
mit Schande und Hohn müssen sie überschüttet werden,die mein Unglück suchen.


9. Verwirf mich nicht in meinem Alter. Der Knecht Gottes war seines Herrn nicht müde; seine einzige Sorge war, sein Meister könnte sein müde werden. Jener Amalekiter überließ seinen ägyptischen Knecht dem Verschmachten, als dieser schwach und krank wurde (1. Samuel 30,11 ff.); aber so handelt der Herr der Gläubigen nicht. Er trägt uns bis ins Alter und bis wir grau werden (Jes. 46,4). Wehe uns, wenn Gott sich unser entledigen würde, wie schon so mancher ehedem hoch begünstigte Höfling es von seinem Fürsten erlebt hat. Das Alter beraubt uns der Schönheit und nimmt uns die Kraft zum tätigen Dienst; aber es lässt uns nicht sinken in Gottes Liebe und Gunst. Ein undankbares Land mag seinen invaliden Verteidigern karge Bissen zumessen; aber wer von Gott das Gnadenbrot bekommt, wird mit Gutem gesättigt. Verlass mich nicht, wenn ich schwach werde. Hab Geduld mit mir und trage meine Schwächen. Von Gott verlassen werden ist das größte denkbare Übel, und wenn der Gläubige nur von dieser schrecklichen Befürchtung frei sein darf, ist er ein glücklicher Mensch. Kein Gott liebendes Herz braucht in dieser Beziehung argwöhnischer Besorgnis Raum zu geben.

10. Denn meine Feinde reden wider mich. Um einen sterbenden Löwen heulen die Hunde. Selbst als Davids Arm Kraft genug hatte, um seine Widersacher zu züchtigen, waren sie frech genug, ihn zu schmähen, und er fürchtet, dass sie sich jetzt, in der Zeit seiner Schwachheit, einen neuen Freibrief, ihn zu lästern, nehmen würden. Eigentlich heißt es: sie reden von mir, und was sie sprechen, folgt im nächsten Vers: Gott hat ihn verlassen; deshalb ist es ihm umso mehr ernst mit der Bitte, dass Gottes Verhalten sie Lügen strafen möge. Und die auf meine Seele lauern, beraten sich miteinander. Die Feinde des Psalmdichters waren sehr heimtückisch. Da sie gewillt waren, ihn gänzlich zu vernichten, hielten sie mit der größten Ausdauer Wacht; dazu fügten sie List, denn sie legten sich in den Hinterhalt, um ihn zu überraschen und in einem Augenblick, da ihm das Glück nicht günstig sei, über ihn herzufallen. Und dies alles taten sie mit der größten Einmütigkeit und Überlegung; sie vereitelten ihre Absichten nicht durch Mangel an Klugheit, noch verhinderten sie deren Ausführung dadurch, dass sie es an Einigkeit hätten fehlen lassen. Der HERR, unser Gott, ist unsere einzige, aber auch allgenügsame Zuflucht vor Nachstellungen allerart.

11. Und sprechen: Gott hat ihn verlassen. Welch empfindlicher Stich! Es gibt in allen Köchern der Hölle keinen giftigeren Pfeil. Unser Erlöser fühlte seine Widerhaken im Herzen festsitzen, und es braucht uns nicht zu wundern, wenn seine Jünger die gleiche Erfahrung machen. Wenn dieser Hohn der Feinde die Wahrheit sagte, so wäre es schlimm um uns bestellt; aber Gott sei Dank, es ist eine freche Lüge. Jaget nach und ergreift ihn, lasst die Hunde auf ihn los, packt ihn, zerreißt ihn; denn da ist kein Erretter. Nieder mit ihm, denn er hat keinen Freund. Man kann ihm ohne Scheu allen Schimpf antun; denn niemand wird ihm zu Hilfe kommen. O ihr Maulhelden, wie verwundet ihr mit euren feigen Prahlereien die Seele des Gläubigen! Nur dadurch, dass sein Glaube zu Gott schreit, wird es ihm möglich, euren grausamen Hohn zu ertragen.

12. Gott, sei nicht ferne von mir. Wissen wir, dass Gott uns nahe ist, so fühlen wir uns sicher, und das mit gutem Recht. Es ist dem Kind im Dunkeln ein Trost, wenn es des Vaters Hand fassen kann. Mein Gott, eile mir zu helfen. Es gibt unserm Beten große Kraft und unserm Glauben einen starken Halt, wenn wir Gott unsern Gott nennen und ihn so an das Bundesverhältnis erinnern, in das er zu uns getreten ist. Der Ruf "Eile " ist uns in diesem Teil des Psalters schon oft vorgekommen; er wird den Betern durch den schweren Druck der Drangsal ausgepresst. Heftige Anfechtungen machen dem lauen, zögernden Beten ein Ende.

13. Schämen müssen sich und umkommen, die meine Seele zuwider sind. Dass dies geschehe, dazu wird es schon genügen, wenn sie sehen müssen, dass du deinen Knecht bewahrst; ihr Neid und ihre Bosheit werden sie, wenn sie solche Enttäuschung erleben müssen, schon von selbst mit verzehrendem Gram erfüllen. Die Vereitelung ihrer Pläne wird sie so in die Enge treiben, dass sie sich nicht mehr zu helfen wissen; sie werden ganz verwirrt werden, wenn sie nach der Ursache ihrer Niederlage forschen. Die Leute, deren Verderben sie suchen, sind so schwach, und ihre Sache ist so verächtlich, dass sie ganz außer Fassung geraten werden, wenn sie sehen, dass jene nicht nur alle Anfeindungen überleben, sondern sogar als Sieger aus dem Kampfe hervorgehen. Wie bestürzt muss Pharao geworden sein, als Israel sich trotz all seiner Bemühungen, das verhasste Volk auszurotten, so stark vermehrte! Und wie müssen die Schriftgelehrten und Pharisäer von Wut verzehrt worden sein, als sie wahrnahmen, wie das Evangelium sich durch eben die Mittel, welche sie anwandten, um es zu vernichten, von Land zu Land verbreitete! Mit Schande und Hohn müssen sie überschüttet werden, die mein Unglück suchen. Der Gottesknecht wünscht, ihre Schmach und Schande möge vor aller Augen sichtbar werden, indem sie errötend dieselbe als einen Mantel um sich hüllen. Sie würden den Gläubigen zur Zielscheibe des Spottes gemacht haben, wenn Gott ihn verlassen hätte; darum mögen nun in ihnen der Unglaube und die Gottvergessenheit vor aller Welt an den Pranger gestellt werden.

Fußnoten
2. Spurgeon hält mit vielen älteren Auslegern David für den Verfasser des vorliegenden Psalms. Diese Annahme ist sehr unwahrscheinlich, zunächst deshalb, weil der Psalm sich der Hauptsache nach als eine (allerdings sehr schöne) Zusammenstellung aus anderen Psalmen (bes. Ps. 22; 31; 35; 40) erweist und wir eine solche Kompilation einem so originalen Dichter wie David doch kaum zuschreiben dürfen. Ferner halten wir das Fehlen der Überschrift für ein sicheres Zeichen, dass die Sammler den Psalm nicht als davidischen Ursprungs angesehen haben. In den LXX wird er allerdings David zugeschrieben; aber daneben wird dort eine andere Überlieferung angegeben, wonach derselbe ein Lied der Rechabiten und der ersten Verbannten gewesen sein soll. - Die Vorliebe Spurgeons und anderer Ausleger, möglichst alle Psalmen David zuzuweisen, streitet nicht nur hie und da gegen den augenscheinlichen Tatbestand, sondern scheint uns auch Gottes Wirken zu verkleinern, als ob der HERR nicht noch gar manche andere Männer dazu berufen und durch seinen Geist erleuchtet hätte, Israel heilige Psalmen zu geben. Übrigens steht dieser Annahme, als hätten wir in David den Verfasser fast aller Psalmen zu suchen, die gegenteilige, bei andern beliebte, welche dem David alle oder doch fast alle Psalmen abspricht, an Grundlosigkeit jedenfalls um nichts nach. - James Millard

3. Wie Luther übersetzt schon das Targum. Ähnlich versteht Delitzsch das Wort vom Loslösen der Frucht aus dem mütterlichen Schoße. Andere übersetzen nach den LXX und Hieronymus: mein Versorger. Doch haben offenbar schon die alten Übersetzer die Bedeutung nur geraten. Sehr leicht kann man bei Berücksichtigung der Grundstelle Ps. 22,10 das hebr. yzrg als Schreibfehler für das dortige yxg erklären, ebenso da skepasth/j der LXX für e)kspasth/j (vergl. o(e)kspasaj me 22,9); ebensogut kann aber sowohl im Hebr. als in den LXX ein absichtliches Wortspiel vorliegen.
Wer sich nur nach dem, was er fühlt, richtet, der verliert Christus. (Martin Luther)

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14. Ich aber will immer harren
und will immer deines Ruhmes mehr machen.
15. Mein Mund soll verkündigen deine Gerechtigkeit, täglich dein Heil,
die ich nicht alle zählen kann.
16. Ich gehe einher in der Kraft des Herrn, HERRN;
ich preise deine Gerechtigkeit allein.


14. In den nun folgenden drei Versen tritt der Glaube des angefochtenen Heiligen hervor. Ich aber will immer harren. Wenn ich mich des Gegenwärtigen nicht freuen kann, so will ich vorwärtsblicken auf das, was in Zukunft mein sein wird, und mich so dennoch freuen. Der Glaube fristet sein Leben auch da, wo andere nichts zu essen sehen, und singt sein Lied auf schneebedeckten Zweigen. Es gibt keine Zeit und keinen Ort, wo es unschicklich und unnütz wäre, Gottes zu harren. Die Hoffnung wohnt in allen Landen, die Hölle ausgenommen. Wir dürfen allezeit in stillem Hoffen auf Gott harren; denn wir haben allezeit Grund dazu. Wir wollen allezeit die Hoffnung festhalten; denn sie ist ein Trost, der niemals trügt. Und will immer deines Ruhmes mehr machen. Der Psalmsänger war nicht lässig im Danken; wohl niemand hat darin größeren Fleiß bewiesen. Doch war er mit all dem Lobpreis, den er dem HERRN bisher dargebracht hatte, nicht zufrieden, sondern gelobte, noch immer mehr Gottes Ruhm zu verkündigen. Wenn wir im Guten ohne Aufhören fortfahren und zunehmen, dann sind wir im rechten Fahrwasser. Das ist eine löbliche Art Habsucht, wenn wir in Bezug auf Gottes Verherrlichung immer rufen: Mehr! mehr! Gern lassen wir das eigene Tun und ruhen an Gottes Herzen aus; aber eins können wir nicht lassen, von einem können wir nicht ruhen: Gott zu preisen. "Höher, höher" ist der Ruf des Adlers, während er der Sonne entgegenfliegt; höher, immer höher hinan ist auch unser Streben bei Dienst und Anbetung. Das ist unsre große, beständige Hoffnung, dass wir mehr und mehr den HERRN zu verherrlichen imstande sein werden.

15. Mein Mund soll verkündigen deine Gerechtigkeit, täglich dein Heil. Es ist unsere Pflicht, in dem Maße Zeugnis abzulegen, wie unsere Erfahrung uns dazu befähigt, und andern das nicht vorzuenthalten, was wir geschmeckt und unsre Hände betastet haben. Von allen, die es in ihrer eigenen Geschichte erlebt haben, soll es überall verkündigt werden, wie treu Gott ist im Retten, im Befreien aus der Hand der Feinde und im Erfüllen seiner Verheißungen. Wie wunderbar leuchtet Gottes Gerechtigkeit in seinem Plan des Heils durch. Unser Mund sollte stets davon überfließen. Der Teufel wütet gegen das stellvertretende Opfer Christi, und Irrlehrer allerart machen dasselbe zum Hauptzielpunkt ihrer Angriffe; so sei es denn unsere Sache, diese Schriftwahrheit hochzuhalten und die Freudenbotschaft, welche sie enthält, allerorten und zu allen Zeiten auszubreiten. Wir können den Mund, den Gott uns gegeben hat, auf keine Weise so nützlich brauchen, als wenn wir die Gerechtigkeit Gottes, wie sie sich in der Errettung der an Jesus Glaubenden enthüllt, verkündigen. Der Prediger, welcher auf dies eine Thema beschränkt wäre, würde kein anderes zu suchen brauchen; es ist die medulla theologiae, das Mark und der Kern der geoffenbarten Wahrheit. Hast du etwa, lieber Leser, von diesem herrlichen Schatz bisher geschwiegen? Dann möchte ich in dich dringen, doch das zu verkündigen, dessen du dich in deiner Seele erfreust; wer solch frohe Botschaft für sich behält, tut wahrlich nicht wohl. Die ich nicht alle zählen kann, wörtl.: denn ich weiß (ihrer) keine Zahl. Er wusste, wie köstlich, wie gewiss, wie erhaben und wie wahr Gottes Heil ist; aber was die genaue Berechnung seiner Weite, Mannigfaltigkeit und Allgenügsamkeit betrifft, so fühlte er, dass ihm das Rechenexempel zu hoch sei. HERR, wo mein Rechnen aufhört, will ich glauben, und wenn eine Wahrheit mein Denken übersteigt, so kann ich doch noch danken. Wenn David von seinen Feinden redet, so sagt er wohl, dass ihrer mehr seien denn Haare auf seinem Haupt; da findet er also doch noch ein Bild, das ihre Zahl veranschaulichen kann. Wenn er aber auf die Bundesgnaden des HERRN zu sprechen kommt, erklärt er: "Ich weiß ihrer keine Zahl ", verzichtet also auf jeden Versuch, sie auch nur vergleichsweise abzuschätzen. Zahl und Schranken sind Sache des Geschöpfes; bei Gott und seiner Gnade ist beides ausgeschlossen. Eben darum dürfen wir auch getrost täglich und den ganzen Tag fortfahren, sein herrliches Heil und die wunderbare Gerechtigkeit, die sich in demselben offenbart, zu verkündigen; denn das Thema ist ganz unerschöpflich.

16. Ich gehe einher in der Kraft des Herrn, HERRN. Diese Übersetzung gibt einen schönen Sinn, aber nicht den von dem Dichter beabsichtigten. Der Grundtext lautet: Ich will mit den Großtaten des Herrn, HERRN kommen, d. h. ich will sie beibringen, also anführen, preisen. Der sei uns stets ein hochwillkommener Gast, wer uns von den machtvollen Taten Gottes erzählen kann und uns dadurch ermutigt, auf diesen Gott unser Vertrauen zu setzen. Ich will allein deiner Gerechtigkeit denken. (Luther 1524.) Der Menschen Gerechtigkeit ist es nicht wert, dass man ihrer gedenkt - schmutzige Lumpen verbirgt man am besten; auch gibt es weder unter noch in dem Himmel irgendeine Gerechtigkeit, die der göttlichen vergleichbar wäre. Wie Gott das ganze Weltall erfüllt und darum allein Gott ist und für keinen anderen Raum lässt, so erfüllt auch Gottes in Christus Jesus uns mitgeteilte Gerechtigkeit die Seele des Gläubigen ganz, so dass dieser alles andere für Schaden und Kot achtet, auf dass er Christum gewinne und in ihm erfunden werde, dass er nicht habe seine Gerechtigkeit, die aus dem Gesetz, sondern die durch den Glauben an Christus kommt, nämlich die Gerechtigkeit, welche von Gott dem Glauben zugerechnet wird. (Phil. 3,8 f.) Was hätte es für Nutzen, einem Sterbenden von irgendeiner anderen Gerechtigkeit zu reden? Und doch sind wir alle am Sterben. Mag, wer will, des Menschen natürliche Unschuld, die Würde unseres Geschlechts, die Reinheit unserer Philosophen, die Liebenswürdigkeit der von keiner Kultur verdorbenen Naturvölker, die selig machende Kraft der Sakramente und die Unfehlbarkeit des Papstes rühmen; - wessen Glaube auf Gottes untrüglichem Worte ruht, dessen unabänderlicher Entschluss ist: Ich will allein deine Gerechtigkeit preisen. Immerdar sei dir, mein HERR und Gott, diese arme, unwürdige Zunge geweiht, deren Ehre es sein soll, dich zu ehren.

17. Gott, du hast mich von Jugend auf gelehret,
und bis hierher verkündige ich deine Wunder.
18. Auch verlass mich nicht, Gott, im Alter, wenn ich grau werde,
bis ich deinen Arm verkündige Kindeskindernund deine Kraft allen, die noch kommen sollen.


17. Gott, du hast mich von Jugend auf gelehret. Es war dem Verfasser des Psalms tröstlich, daran zu gedenken, dass er von seinen frühesten Jahren an ein Schüler des HERRN gewesen war. Niemand ist zu jung, um von Gott gelehrt zu werden, und die gefördertsten Schüler werden die werden, die beizeiten anfangen. Und bis hierher verkündige ich deine Wunder. Er hatte gelernt, andern das, was er wusste, mitzuteilen; er war Schüler und Lehrer zugleich. Er fuhr bis zur Stunde mit beidem fort, mit dem Lernen und dem Verkündigen, und sagte nicht etwa deshalb, weil er schon selber andere lehrte, seinem ersten Lehrer ab. Auch dies war ihm ein Trost; den können solche, die die Schülerstellung dem Evangelium gegenüber verlassen und sich auf die mancherlei falsch berühmten Hochschulen der Weltweisheit und des Unglaubens verlocken lassen, nicht genießen. In unseren Tagen, da so manche wieder das alte helle Licht der geoffenbarten Wahrheit gegen schlechte neue Erfindungen aufgeben, tut ein heiliger Konservatismus dringend Not. Wir gedenken, die Wunder der erlösenden Liebe so lange zu lernen und auch zu lehren, bis wir etwas Besseres oder das Herz mehr Befriedigendes entdecken; aus dem Grunde hoffen wir, dass wir als Silbergreise noch auf demselben Wege erfunden werden, den wir seit den Tagen gewandelt sind, da noch der Flaum der Jugend unsere Wangen zierte.

18. Auch verlass mich nicht, Gott, im Alter, wenn ich grau werde. Es ist etwas Rührendes um den Anblick eines Hauptes, dessen Haar vom Schnee vieler Winter gebleicht ist. Einen alten, treuen Krieger ehrt sein König, ein im Dienst ergrauter Diener wird von seinem Herrn geliebt. Wenn sich unsere Gebrechen mehren, dürfen wir mit Zuversicht eine Vermehrung unserer Vorrechte aus dem Reich der Gnade erwarten, zur Ausgleichung der Beschränkungen, die uns im Gebiet der Natur auferlegt werden. Nichts wird Gott dazu bringen, solche zu verlassen, die ihn nicht verlassen haben. Es ficht uns wohl etwa die Sorge an, er könnte das tun; aber die Küsse seiner Verheißungen schließen solchen Befürchtungen den Mund. Bis ich deinen Arm verkündige Kindeskindern (wörtl.: dem Geschlecht, worunter entweder die Zeitgenossen oder das heranwachsende Geschlecht verstanden werden können). Es verlangte ihn, sein Zeugnis fortzusetzen und zu vollenden; er dachte an die jungen Leute und die kleinen Kinder um ihn her, und da er wusste, von welch weittragender Bedeutung es ist, dass sie in der Furcht des HERRN auferzogen werden, war es sein heißer Wunsch, sie alle damit bekannt zu machen, wie machtvoll Gott sein Volk erhalte, damit auch sie angeleitet würden, im Glauben zu wandeln. Er selber hatte sich auf den allmächtigen Arm Gottes gestützt und konnte darum aus Erfahrung von dessen Allgenügsamkeit reden, und es war ihm ein ernstes Anliegen dies zu tun, ehe sein Leben zu Ende gehe. Und deine Kraft allen, die noch kommen sollen. Er wünschte einen Bericht zu hinterlassen, der auf die noch nicht geborenen Geschlechter übergehe. Er erachtete die Kraft des HERRN für so preiswürdig, dass er alle Zeitalter von ihrem Lobe erklingen lassen wollte, bis keine Zeiten mehr seien. Das ist der eigentliche Zweck, zu dem die Gläubigen leben, und es sollte ihrer aller Sorge sein, sich diesem ihrem angemessensten und nötigsten Lebenswerk mit allem Eifer hinzugeben. Das sind glückliche Menschen, die in der Jugend schon anfangen, den Namen des HERRN zu verkündigen, und nicht damit aufhören, bis ihr letztes Stündlein ihr letztes Wort für ihren guten Herrn und Meister gebiert.
Wer sich nur nach dem, was er fühlt, richtet, der verliert Christus. (Martin Luther)

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Regelmäßige Lesung aus der Schatzkammer David Ps71

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19. Gott, deine Gerechtigkeit ist hoch,
der du große Dinge tust.Gott, wer ist dir gleich?
20. Denn du lässest mich erfahren viel und große Angst
und machst mich wieder lebendig und holest mich wieder aus der Tiefe der Erde herauf.
21. Du machest mich sehr groß
Und tröstest mich wieder.


19. Gott deine Gerechtigkeit ist hoch, genauer: reicht bis zur Himmelshöhe. Hoch erhaben, unausforschlich, unermesslich herrlich ist Gottes heiliges Wesen selbst, wie auch der Weg, auf dem er den Menschen seine Gerechtigkeit mitteilt. Sein Heilsplan erhebt die Menschen von den Pforten der Hölle zu den himmlischen Wohnungen. Der du große Dinge tust, Grundtext: getan hast. Die Heldentaten anderer sind reines Kinderspiel gegen die deinen und nicht wert, von den Zeitgenossen genannt zu werden; die Schöpfung, die Vorsehung, die Erlösung aber sind ganz einzig in ihrer Art. Gott, wer ist dir gleich? Wie deine Werke, so bist auch du selbst über alles erhaben. Dir kommt niemand gleich, und dir macht’s niemand nach, und so fehlt es auch deinen Werken, wie an originalen Seitenstücken, so auch an Kopien. Darum beugen wir uns tief und beten dich im Staube an. Das ist die rechte Stimmung und Stellung des Gläubigen. Wenn er Gott naht, tritt er in ein Gebiet ein, wo alles unendlich erhaben ist; Wunder der Liebe blühen auf allen Seiten, und auf Schritt und Tritt muss er staunen über das, was Gerechtigkeit und Gnade, zu treuem Bunde vereint, miteinander hervorgebracht haben. Wer in den Hochalpen wandert, fühlt sich oft von heiliger Scheu erfasst ob der erstaunlichen Erhabenheit, die sein Blick ringsum wahrnimmt; viel mehr noch ist dies der Fall, wenn wir die Höhen und Tiefen der Gnade und der Heiligkeit des HERRN überblicken. Gott, wer ist dir gleich!

20. Der du uns viel Not und Unglück erfahren ließest, du wirst uns wieder lebendig machen. (Grundtext) Der plötzliche Übergang aus dem Persönlichen zum Nationalen ist auffallend; daher hat man denn schon frühe mich statt uns lesen zu müssen geglaubt, aber wahrscheinlich mit Unrecht. Die Erlebnisse und die Hoffnungen des Psalmdichters sind mit denen seines Volkes innig verflochten. - Wir sehen hier den Glauben aus der unendlichen Größe des HERRN Schlüsse ziehen. Er, der mit solcher Macht schlägt und verwundet, wird sich auch im Retten und Heilen mächtig erweisen. Er hat uns viel schwere Drangsal erleben lassen; er wird uns auch viel herrliche Gnade zu schmecken geben. Er hat uns beinahe getötet; er wird uns auch seine lebendig machende Kraft erfahren lassen. Und ob wir auch schon fast tot und begraben wären, er wird uns auferwecken und aus den Tiefen der Erde wieder heraufholen. So tief der HERR uns sinken lassen mag, er wird dem Hinabgleiten eine Schranke setzen und uns zu guter Zeit wieder emporziehen. Selbst wenn wir ins Grab versenkt werden, haben wir den Trost, dass es tiefer mit uns nun nicht mehr gehen kann, sondern dass wir wieder emporsteigen und zu einem besseren Lande auffahren werden; und dies alles, weil der HERR ein so mächtiger Heiland ist. Ein kleiner Gott würde uns im Stich lassen, aber nicht so Jehova, der Allmächtige. Man kann sich sicher auf ihn stützen, da er die Säulen des Himmels und der Erde trägt.

21. Du wirst meine Hoheit mehren. (Grundtext) Der Psalmist kehrt wieder zu seiner eigenen Person zurück. Als König nahm David an Ansehen, Macht und Einfluss zu. Gott tat große Dinge für ihn und durch ihn, und das ist die ganze Größe, welche Knechte Gottes brauchen und wünschen. Mögen wir solchen Glauben an Gott haben, wie ihn diese Worte erweisen. Und mich wieder trösten. Die engl. Bibel fasst den Sinn anders: und mich allerseits4 trösten oder erquicken. Wie wir von Trübsalen eingeschlossen waren, so werden wir auch von Tröstungen umringt werden. Von oben und von allen Seiten wird sich Licht ergießen und die frühere Düsternis vertreiben. Es wird in der Tat eine große Wandlung vor sich gehen, wenn der HERR wiederkehrt, um uns zu trösten und zu erquicken und alles wiederherzustellen.

22. So danke ich auch dir mit Psalterspiel für deine Treue, mein Gott;
ich lobsinge dir auf der Harfe, du Heiliger in Israel.
23. Meine Lippen und meine Seele, die du erlöset hast,
sind fröhlich und lobsingen dir.
24. Auch dichtet meine Zunge täglich von deiner Gerechtigkeit.
Denn schämen müssen sich und zuschanden werden,
die mein Unglück suchen.


Nun kommt das Schlussgelübde, den HERRN zu preisen.

22. So danke ich auch dir, oder besser: So will ich dich auch preisen mit Psalterspiel. Eine so wunderbare, erstaunliche Liebe erheischt feines Lob. David wollte dem besten aller Meister auch die beste Musik weihen. Seine Harfe sollte nicht schweigen, und ebensowenig seine Stimme. (Für) deine Treue, mein Gott. Die Treue ist eine der köstlichsten Eigenschaften unseres Bundesgottes. Auf sie bauen wir und von ihr fließen uns reiche Ströme des Trostes zu. Seine Verheißungen sind gewiss, seine Liebe ist unwandelbar, seine Wahrhaftigkeit unantastbar. Welcher Gläubige wollte ihn nicht preisen, wenn er dessen gedenkt? Ich lobsinge dir auf der Harfe (genauer: will dir auf der Zither spielen), du Heiliger in Israel. Ein neuer Name und ein neues Lied. Der Heilige Israels, das ist ein sehr erhabener und zugleich teuerwerter Name von reichem Lehrgehalt. Es sei unser Entschluss, ihn aus allen Kräften zu verherrlichen.

23. Meine Lippen sollen jubeln, wenn ich dir lobsinge. (Wörtl.) Es soll mir keine Mühe und Arbeit sein, dich zu preisen, sondern eine Erquickung, ein Labsal, eine Wonne. Die Macht und der Wert des Gesanges liegen in der heiligen Freude des Sängers. Und meine Seele, die du erlöset hast. Dass die Seele, das Herz, singe, ist die Seele des Gesangs. Solange die Menschen noch nicht erlöst sind, gleichen sie verstimmten Instrumenten; wenn aber das kostbare Blut sie frei gemacht hat, dann sind sie imstande, dem HERRN, der sie erkauft hat, recht zu lobsingen. Dass wir mit einem so teuren Preise erkauft sind, ist uns ein mehr denn genügender Grund, uns dem eifrigen Dienst Gottes unseres Heilandes zu weihen.

24. Auch soll meine Zunge den ganzen Tag (d. i. immerfort) reden (oder dichten, singen) von deiner Gerechtigkeit. (Wörtl.) Ich will zu mir selbst, zu dir, mein Gott, und zu meinen Mitmenschen reden, und mein Thema soll sein deine Gerechtigkeit. Als Kinder des neuen Bundes fügen wir hinzu: vornehmlich auch die wunderbare Erweisung deiner Gerechtigkeit in der Rechtfertigung des Sünders durch das heilige Opfer deines lieben Sohnes; und dieses allezeit neue und nie zu erschöpfende Thema soll mich den ganzen Tag begleiten, von der Morgendämmerung bis zum Abenddunkel. Andre haben ihre Lieblingsgesprächsgegenstände; so sollen sie auch von dem hören, was mir das Liebste ist. Ich will nimmer aufhören davon zu reden, denn es liegt mir am Herzen und wird zu allen Zeiten zeitgemäß sein. Denn beschämt worden, zuschanden geworden sind, die mein Unglück suchten. (Wörtl.) Wie in vielen andern Psalmen sprechen die Schlußworte von dem als einer vollendeten Tatsache, was in den vorhergehenden Versen nur erbeten worden war. Der Glaube weiß, dass er hat, was er erbittet, und er hat es auch wirklich. Er erfasst die Dinge, die er erhofft, in ihrer Realität (man vergl. Hebr. 11,1 im Grundtext), einer so wahrhaftigen und greifbaren Realität, dass die Seele schließlich nicht anders kann als ein Jubellied anstimmen. Schon sind auch unsere Feinde, die Sünde, Satan, die Welt, überwunden; der Sieg gehört uns!

Erläuterungen und Kernworte

V. 1. Es ist vor allem nötig, dass wir zu denen gehören, welche auf den HERRN trauen; dann aber auch, dass sich diese Herzensfrömmigkeit nicht in unserm Innern verschließe, sondern allen kundwerde, mit denen wir in Berührung kommen, sogar unseren Gegnern und Feinden. Andernfalls, wenn niemand weiß, dass wir unsere Hoffnung auf Gott setzen, ist es gar nicht möglich, dass wir die Art von Beschämung fürchten, vor welcher sich der Psalmdichter so scheute. Ein Künstler kann nicht zuschanden werden, wenn er bei seinen Mitmenschen gar nicht den Ruf eines Künstlers genossen hat. Man kann einem Kranken nicht sagen: "Arzt, hilf dir selber", es sei denn, er habe wegen seiner Heilkunst in gutem Ansehen gestanden. So wird es auch niemand einfallen, über einen Mann, bei dem man nie gemerkt hat, dass er seine Hoffnung auf Gott setze, zu spotten: "Er hat Gott vertraut, der erlöse ihn nun, hat er Lust zu ihm" (Mt. 27,43). Die Sorge, welche der Psalmdichter hier ausspricht, befällt demnach nur solche, deren Vertrauen auf dem HERRN steht; andere werden von ihr nicht gequält. Wolfgang Musculus † 1563.

V. 2. Errette mich durch deine Gerechtigkeit. Neige deine Ohren zu mir. Lass meine Errettung die Frucht deiner Treue und meines Flehens sein, so wird sie umso köstlicher sein. John Trapp † 1669.

V. 3. Dahin ich immer fliehen möge. Es gibt einen Weg zu unserm starken Wohnhort; und wir kennen diesen Weg. Es ist eine Tür da, und wir haben den Schlüssel dazu. Kein Wachtposten hält uns zurück: der Hort ist unser Wohnhort; wer dürfte uns hindern, uns in ihm niederzulassen und uns alles, was er enthält, anzueignen? Könige können, so leutselig sie gegen ihre Untertanen gesinnt sein mögen, nicht immer jedermann zu sich lassen. Infolge der vielen Ansprüche, die an sie gestellt werden, und der Beschränktheit ihres Vermögens zu helfen, vor allem aber auch wegen der Notwendigkeit, das Gefühl für ihre Würde aufrecht zu erhalten, können sie den Zutritt zu sich nur zu gewissen Zeiten und unter Beobachtung steifer Förmlichkeiten gestatten. Der König aller Könige hingegen erlaubt uns, freimütig zu seinem Gnadenthron zu kommen, und befiehlt uns, in allen Dingen unsere Bitten im Gebet und Flehen mit Danksagung vor ihm kund werden zu lassen (Phil. 4,6). Wir können nicht zu kühn in ihn dringen und brauchen nie zu fürchten, dass wir ihm durch unablässiges Kommen lästig fallen. William Jay † 1853.

V. 5. Denn Du bist meine Hoffnung. Nicht nur steht unsere Hoffnung auf Gott, sondern er selbst ist unsere Hoffnung. "Gott, unser Heiland, und der Herr Jesus Christus, der unsere Hoffnung ist," sagt Paulus 1. Tim. 1,1. Und ein anderes ähnliches Wort des Paulus (Kol. 1,27) zeigt uns noch einen tieferen Sinn: "Christus in euch, die Hoffnung der Herrlichkeit." Christus selbst ist unsere Hoffnung als der einzige Urheber derselben; Christus ist unsere Hoffnung als das Ziel derselben; und Christus, das A und das O, ist unsere Hoffnung auch als derjenige, welcher sie in uns wirkt, wie da steht: Christus in euch, die Hoffnung der Herrlichkeit. Jedes Sehnen unsers Herzens, jeder Hoffnungsstrahl, der in uns aufleuchtet, jede Ahnung der Herrlichkeit, die uns durchdringt, jede Stimme, die uns im innersten Herzen verheißungsvoll von dem Guten zuflüstert, das für uns in Bereitschaft sei, wenn wir Gott lieben wollen, ist ein Licht von Christus, das uns leuchtet, ist eine Berührung Christi, die uns zu neuem Leben weckt, ist die Stimme Christi, welche spricht: "Wer zu mir kommt, den werde ich nicht hinausstoßen", kurz, ist Christus in uns, die Hoffnung der Herrlichkeit, Christus, der uns durch seinen uns innewohnenden Geist zu ihm selbst, unserer Hoffnung, zieht. Denn der Inhalt unserer Hoffnung ist nicht die Herrlichkeit des Himmels, nicht die Freude, nicht der Friede, nicht die Ruhe von der Arbeit, nicht die Erfüllung aller unserer Wünsche, sondern unsere Hoffnung ist Christus, unser Gott. Nichts, was Gott etwa schaffen könnte, ist das, was wir erhoffen; nichts, was Gott uns geben könnte außer sich selbst, keine erschaffene Herrlichkeit oder Schönheit oder Hoheit oder Glück oder Reichtümer. Worauf wir hoffen, ist Gott unser Heiland selber, dass seine Liebe, seine Seligkeit, die Freude unsers Herrn selber, der uns also geliebt hat, auf ewig unsre Freude und unser Teil sei. E. B. Pusey † 1882.

Fußnote
4. So schon Symmachus. Aber wahrscheinlich hat bbs hier doch die Bedeutung umkehren wie das vorhergehende bw# und ist ausnahmsweise wie dieses zur Umschreibung des Adverbialbegriffs wieder gebraucht.
Wer sich nur nach dem, was er fühlt, richtet, der verliert Christus. (Martin Luther)

Jörg
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Erläuterungen und Kernworte

V. 5 Von meiner Jugend an. Welche Freude wird es uns im Alter gewähren, wenn wir in der Jugend unseres Schöpfers gedacht und ihn als unseren Meister anerkannt haben. Hat doch selbst der Heide Seneka († 65) gesagt, eine gut verlebte Jugend sei der größte Trost des Alters. David konnte Gott zuversichtlich um Errettung aus der Hand der Gottlosen anflehen, weil Gott seine Zuversicht war von seiner Jugend an. Darauf gründete er die Hoffnung, dass der HERR ihn auch im Alter nicht verlassen werde. Vergl. V. 5 f. mit V. 9 und V. 17 mit V. 18. Ein treugesinnter Meister wird einen ausgedienten Knecht nicht davonjagen. Als der römische Prokonsul dem Polykarp († um 156) befahl, Christus zu verleugnen und beim Kaiser zu schwören, antwortete dieser: "Sechsundachtzig Jahre diene ich ihm, und er hat mir nie Übels getan; wie könnte ich ihm fluchen, meinem König und Heiland?" Jakob konnte sagen: "Gott ist mein Hirt gewesen mein Leben lang bis auf diesen Tag" (1. Mose 48,15). Wohin sollte ich gehen, um einen besseren Meister zu finden? "Du allein hast Worte ewigen Lebens." Er, der der Halt meiner Jugend gewesen ist, wird die Stütze meines Alters sein. Ich darf mich ganz auf die Verheißungen dessen werfen, der mich bisher durch seine gnädige Vorsehung erhalten hat. In den vorigen Tagen behütete Gott mich, da schien seine Leuchte über meinem Haupte, und ich ging bei seinem Lichte in der Dunkelheit (Hiob 29,3 f.), und wiewohl jetzt die Sonne und das Licht, Mond und Sterne finster geworden sind an meinem natürlichen Horizont (Pred. 12,2), so ist doch der HERR mein Licht und mein Heil; vor wem sollte ich mich fürchten? (Ps. 27,1) Ja, ob ich schon wanderte im Tal der Todesschatten, fürchte ich kein Unglück, denn Du bist bei mir, dein Stecken und Stab trösten mich (Ps. 23,4). Ich habe überschwengliche Erfahrung von seiner Gnade und seinem Nahesein. Ein frommer Mann hat einmal gesagt: "Ich habe in meiner Jugend das gewonnen, was ich um alles in der Welt nicht jetzt erst zu gewinnen haben möchte." Oliver Heywood † 1702.

V. 5-8. Er hat einen festen Boden, darauf er treten kann - die Erfahrungen eines langen Menschenlebens. Er hat aber auch wiederum seinerseits ein Menschenleben lang Hoffnung und Glauben gehalten, schon von der Jugend an, wo der Leichtsinn am schwersten dazu kommen lässt. Er hat Außerordentliches erfahren, so dass er vor vielen als ein Wunder erscheint - so schöne Erfahrungen hat er gemacht, weil er bei niemand anderm als bei Gott die Zuflucht gesucht hat. Er hat indes auch nicht, wie die meisten, Gottes Hand bloß da erkannt, wo sie ungewöhnlicherweise in das Leben eingreift; selbst die gewöhnlichen Taten Gottes werden ja vor dem Auge des Glaubens zu Wundern. Schon das ist ihm ein Gegenstand des Preises, dass er aus dem dunkeln Mutterschoße ans Tageslicht gebracht worden. Und ist nicht die Erhaltung des Embryo (der Leibesfrucht) in dem dunkeln, engen Raum eine Wundertat? Ist sie nicht gleich beim Entstehen des Menschen ein Unterpfand für das, was man nachher immer aufs Neue wieder im Leben erfährt, dass wir einen Gott haben, der auch aus dem Tode wieder ans Licht bringt? (Ps. 68,21.) Wenn wir so wenig zu loben finden, was anders ist der Grund, als weil wir für die tagtäglichen Wunder keine Augen haben? Der Sänger aber, der für die tagtäglichen Wunder Gottes Augen hat - sein Mund ist auch tagtäglich Gottes Ehre voll. Prof. August Tholuck 1843.

V. 6. Gott sei gelobt, dass ich je geboren ward. Thomas Halyburton †1712.

V. 7. Ich bin vor vielen wie ein Wunder oder ein wunderbares Zeichen. Das hebräische Wort hat (wie auch unser deutsches Wort Wunder) Doppelsinn. Manche Ausleger sind der Meinung, es sei hier im günstigsten Sinn genommen: der Psalmist sei in vieler Augen ein Wunderzeichen der göttlichen Güte. Aber der ganze Ton des Psalms spricht gegen diese Auffassung. Hieronymus übersetzt wohl richtig portentum ein abschreckendes Zeichen. Alexander Geddes † 1802.

Wer ist der Braut des Lammes gleich?
Wer ist so arm und wer so reich?
Wer ist so hässlich und so schon?
Wem kann’s so wohl und übel gehn?
Lamm Gottes, du und deine sel’ge Schar
Sind Menschen und auch Engeln wunderbar!

Aus Gnaden weiß ich auch davon;
Ich bin ein Teil an deinem Lohn,
So elend, als man’s kaum erblickt,
So herrlich, dass der Feind erschrickt,
So gottlos, dass wohl alle besser sind,
Und so gerecht wie du, des Vaters Kind.

Ein Wurm, bis in den Staub gebeugt,
Der auf den Thron des Königs steigt,
Bekümmert, trübe, bloß und krank,
Und doch voll lauter Lobgesang;
So schwach, dass meine Kunst in nichts besteht,
So stark, dass Satan aus dem Wege geht.

Verfolgt, verlassen und verflucht,
Doch von dem Herrn hervorgesucht,
Ein Narr vor aller klugen Welt,
Bei dem die Weisheit Lager hält.
Verdrängt, verjagt, besiegt und ausgefegt,
Und doch ein Held, der ew’ge Palmen tragt! usw.

E. G. Woltersdorf † 1761.

Man vergleiche auch die bekannte Stelle in dem 5. Kapitel des Briefes an Diognet (aus dem 2. Jahrhundert): "Zwar sind die Christen weder dem Lande, noch der Sprache, noch den bürgerlichen Lebenseinrichtungen nach von den übrigen Menschen verschieden; denn sie bewohnen weder eigene Städte noch reden sie eine besondere Sprache, noch führen sie ein sonderliches Leben. Aber wiewohl sie sich in Bezug auf Kleidung, Speise und andere Dinge des äußerlichen Lebens den Sitten des Landes anschließen, zeigen sie doch eine Eigentümlichkeit des Verhaltens, die allen verwunderlich ist. Sie bewohnen ihr Vaterland, aber als Gäste. Sie haben als Mitbürger alles mit den andern gemein und leiden doch alles, als wären sie Fremde. Sie sind im Fleische, aber sie leben nicht nach dem Fleische. Auf der Erde wandeln sie, aber im Himmel sind sie Bürger. Sie gehorchen den Gesetzen, aber sie übertreffen die Gesetze durch ihr Leben. Sie lieben alle, und alle verfolgen sie; sie verzeihen und werden verurteilt; sie werden getötet und leben doch; sie sind Bettler und machen viele reich; sie haben an allem Mangel und haben doch alles im Überfluss; sie werden geschmäht, und die Schmach gereicht ihnen zur Ehre; man flucht ihnen, sie segnen; man schilt sie, sie geben jedem seine Ehre; sie tun Gutes und werden als Übeltäter bestraft; wenn sie bestraft werden, freuen sie sich. Wie Fremde bekriegen die Juden sie, und die Griechen verfolgen sie, und doch vermögen, die sie hassen, keine Ursache ihres Hasses anzugeben." - Dazu das Lied: "Es glänzet der Christen inwendiges Leben" von Christ. Friedr. Richter † 1711.

Der Messias zog nicht die bewundernden Blicke der Menschheit auf sich. Er fesselte wohl die Aufmerksamkeit und erregte Verwunderung. Aber je länger, je weniger eigentliche, tiefere Bewunderung. Einige wenige, deren Augen Gott geöffnet hatte, sahen allerdings in einem gewissen Maße die wahre Größe, welche bei all der äußeren Niedrigkeit und scheinbaren Geringheit an ihm war. Sie sahen seine Herrlichkeit, eine Herrlichkeit als des eingebornen Sohnes vom Vater voller Gnade und Wahrheit, eine Herrlichkeit, welche allen kreatürlichen Glanz verdunkelt. Aber die große Masse derer, welche ihn sahen, verwunderte und entsetzte sich wohl über ihn, schaute jedoch nicht in seine verborgene Herrlichkeit. Seine äußere Erscheinung war ihnen, zumal im Gegensatz dazu, dass er die Messiaswürde beanspruchte, anstößig. Der galiläische Mann vom Lande, der Zimmermann aus Nazareth, der "Sohn Josephs", der dennoch Gott als seinen Vater in Anspruch nahm, der von sich erklärte, er sei das Brot des Lebens und das Licht der Welt, und behauptete, dass das ewige Schicksal eines jeden von dem Annehmen oder Verwerfen seiner Person und seiner Botschaft abhinge - alles dies erregte in den Herzen der großen Mehrzahl seiner Landsleute aus Staunen und Unwillen, Verachtung und Schrecken gar seltsam gemischte Gefühlsbewegungen. Er war vielen in der Tat ein Wunder. So auch dem römischen Landpfleger. Selbst die Freunde Jesu traf der Ausgang, welchen er nahm, trotz der uns so deutlich scheinenden Vorherverkündigungen desselben, offenbar wie ein Donnerschlag. Sie wurden von Verwirrung und Entsetzen ebenso überwältigt wie von Gram. Welch maßloses Erstaunen mag sich auf ihren Angesichtern abgespiegelt haben, als Jesus ihnen ankündigte: "Wahrlich, wahrlich, ich sage euch, einer unter euch wird mich verraten!" Wie muss erst ihre Bestürzung zugenommen haben bei den aufeinanderfolgenden Auftritten in Gethsemane, in dem Palast des Hohenpriesters und dem Richthause des Landpflegers, bis sie zuletzt ihn, von dem sie gehofft hatten, er würde Israel erlösen, gleich einem schwerer Verbrechen überführten Sklaven ans Kreuz genagelt sahen, von den Menschen verflucht und von Gott verlassen! Da erreichte ihre Verwunderung den höchsten Grad - sie entsetzten sich über ihn und ärgerten sich an ihm. John Brown 1853.

V. 7-9. Über diese Verse predigte Joh. Kaspar Lavater, als er Ende des Jahres 1799 zum ersten Mal nach seiner Verwundung durch Mörderhand wieder vor seiner Gemeinde auftreten konnte. Er sagte in dieser Predigt u. a.: "Noch durch nichts bin ich so sehr im Vertrauen auf Gott aufs Neue gestärkt worden, wie durch das, was mir im Lauf dieses Jahres von Anfang an bis auf diese Stunde Angenehmes und Unangenehmes widerfuhr. Ich kann sagen, ich trage Momente der gefühlten göttlichen Langmut auf meiner Brust. Jeder wiederkehrende Schmerz meiner Wunden soll mir ein Ruf der Erweckung ein, mit neuem Mute, neuer Geduld und Demut, mit neuer Treue und Liebe in die Fußtapfen dessen zu treten, an dessen unnennbare Liebe und unbeschreibliche Wundenschmerzen für uns meine tausendmal leidlicheren Wunden mich täglich erinnern sollten." - Nach F. W. Bodemann 1877.

V. 9. Verwirf mich nicht in meinem Alter; denn jetzt bedarf ich dein am dringendsten. Saepe nigrum cor est, caput album: oft findet sich bei einem weißen Haupt ein schwarzes Herz. Salomo, Asa, Lot und viele andere hat Satan in ihrem Alter sich zur Beute gemacht, die er, als sie jung waren, von fern nicht so leicht überlisten konnte. Sogar heidnische Weise mahnen uns, für unser Alter Sorge zu tragen, da es nicht allein komme, sondern mit vielen Gebrechen Leibes und der Seele behaftet sei. Das wusste auch David; darum betete er so, wie wir es hier finden. Die alten Leute sind selten, die auf ihr geistliches Leben anwenden können, was Kaleb Josua 14,11 von sich bezeugen konnte. John Trapp † 1669.

Es ist für einen Menschen, der das Alter über sich kommen sieht, weder unnatürlich noch unpassend, um besondere Gnade und Kraft zu bitten, damit er durch sie befähigt werde, dem zu begegnen, was er nicht abwenden und dem er doch nicht anders als mit Furcht entgegensehen kann; denn wer könnte die Gebrechen des Alters ohne schwere Gedanken nahen sehen? Wer wünschte wohl, ein alter Mann zu sein? Wer kann einen Mann betrachten, der vor Alter wankt und vor mannigfachen Gebrechen zusammenbricht, einen Mann, dem Gesicht und Gehör geschwunden sind, einen Mann, der allein steht inmitten der Gräber aller seiner Jugendfreunde; einen Mann, der sich selber und der Welt zur Last ist; einen Mann, der am Ende des letzten Aktes des seltsamen, ereignisvollen Lebensdramas steht und wohl gar sagen muss:

Ich habe lang gelebt, und ich bin müde -
Ein welkes Blatt, das zitternd hängt am Zweige, -
Und was das Alter fröhlich könnt gestalten,
Gehorsam, Liebe, Ehre von den Meinen.
Ist mir versagt. -

Und wer kann an dies alles denken, ohne sich besondere Gnade für den Fall zu erbitten, dass er so lange leben sollte, diese Tage der Schwachheit und Gebrechlichkeit aus eigener Erfahrung kennen zu lernen? Und wer sollte wohl nicht einsehen, wie wohlangebracht es im Blick auf solche Gebrechen ist, die Huld Gottes in frühen Jahren zu suchen? Albert Barnes † 1870.

28. Juni 1770. Heute trete ich in mein 68. Jahr ein. Ich fühle, dass ich alt werde. Mein Augenlicht ist sehr geschwächt, so dass ich kleine Schrift nur bei sehr hellem Lichte lesen kann. Meine Kraft hat stark abgenommen, so dass ich viel langsamer gehe als noch vor etlichen Jahren. Auch mein Gedächtnis, sowohl für Personen, als für Namen, ist schwach geworden, so dass ich mich oft einen Augenblick besinnen muss, um sie mir in Erinnerung zu rufen. Wollte ich für den andern Morgen sorgen, so müsste ich, befürchten, dass mein Leib meinen Geist niederdrücken und entweder, infolge der Abnahme meiner Verstandeskräfte, Eigensinn oder, infolge der Zunahme der körperlichen Gebrechen, mürrisches Wesen erzeugen werde. Aber du, HERR, mein Gott, wirst es wohl machen. John Wesley † 1791.

Auch die Kirche hat jetzt, da sie an Jahren hochgekommen ist, Anlass genug, sich diese Bitte anzueignen, da der Glaube ermattet, die Liebe erkaltet und die Gebrechen eines geistlichen Greisenalters mit Macht über sie kommen. Bischof George Horne † 1792.
Wer sich nur nach dem, was er fühlt, richtet, der verliert Christus. (Martin Luther)

Jörg
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Erläuterungen und Kernworte

V. 11. Die Leiden Christi riefen den Hohn heraus: "Gott errette ihn, hat er Lust zu ihm." Davids Widerwärtigkeiten verleiteten seine Feinde gar schnell zu dem Schluss: "Gott hat ihn verlassen - da ist kein Erretter." Alle Arten von Trübsalen unterwerfen uns leicht den schlimmsten falschen Beurteilungen böswilliger Menschen; aber bei Drangsalen solcher Art, wo es an schweren Selbstanklagen des Leidenden nicht fehlt, werden die Leute besonders leicht verleitet, unbarmherzig absprechende Urteile zu fällen, weil die Not selbst seltener Art ist und geeignet, schlechte Eindrücke hervorzurufen, und weil vor allem auch die Seufzer, mit denen die Betrübten ihren inneren Gefühlen, in der Hoffnung, sich dadurch zu erleichtern, Luft machen, als Zeugnis gegen sie verwendet und als der wahre Ausdruck ihres Gemütszustandes betrachtet werden. Richard Gilpin † 1700.

V. 14. Ich aber will immer harren. Siehe, HERR, ich habe zu dir gefleht und bin getröstet. Die Hoffnung hat mich’s also gelehrt. Ich bin froh; weil ich auf dich vertraut habe, werde ich nimmermehr zuschanden werden. Der Kummer drang auf mich ein mit gewaltiger Heeresmacht, schrecklich gerüstet, und belagerte mit großem Geschrei meine Festung. Das Getöse seiner Reisige schreckte mich. Am Tor stehend, gebot er Schweigen und sprach mit lauter Stimme: "Siehe da den Mann, der auf Gott traute, der sprach: Ich werde nimmermehr zuschanden werden, und sich der Hoffnung vertröstete!" Und als er bemerkte dass ich ob dieser Worte errötete, trat er noch näher auf mich zu und sprach: "Wo sind die Verheißungen, auf welche du bautest? Wo die Befreiung? Was haben dir deine Tränen genützt? Welche Hilfe haben dir deine Gebete vom Himmel gebracht? Du hast gerufen: niemand hat dir geantwortet; du hast geweint: wer ist von Mitleid für dich bewegt worden? Du hast zu deinem Gott geschrien, er aber schweigt. Du hast zu ihm gebetet, und er hat sich vor dir verborgen; es war da keine Stimme noch Antwort noch Aufmerken ... Darum auf, fleh zum Menschen um Hilfe, dass er dich aus dem Gefängnis befreie!" Bei diesen Worten erhob sich solch ein Waffengeklirr im Lager, solch ein Geschrei von Menschen und Lärm von Trompeten, dass ich kaum den Mut aufrecht halten konnte; und wenn meine liebe Hoffnung mir nicht Hilfe gebracht hätte, würde der Kummer mich gepackt und gefesselt in sein Gefängnis gebracht haben. Da aber kam Hoffnung glänzend in himmlischer Klarheit, und sagte mit süßem Lächeln: "O Streiter Christi, wo ist dein Mut? Was bedeutet dieser Kampf in deinem Gemüt?" Bei diesen Worten schämte ich mich. "Fürchte dich nicht," sprach sie darauf, "das Übel wird dich nicht übermögen; du sollst nimmermehr umkommen. Siehe, ich bin mit dir, dich zu erretten. Weißt du nicht, was geschrieben steht: Der Tor spricht in seinem Herzen: Es ist kein Gott? Die Verzweiflung hat zu dir geredet, wie die närrischen Weiber reden; niemals wird der Kummer dich überreden können, dass es keinen Gott gebe oder dass Gott nicht auf den einzelnen achthabe." Girolamo Savonarola † 1498.

V. 15. Die ich nicht alle zählen kann. David versucht sich V. 14 im Rechnen mit Hinzuzählen: Ich will immer deines Ruhmes mehr machen. Aber schon in dieser ersten Hauptart der heiligen Rechenkunst wird er gründlich zuschanden. Seine Kunst ist bald zu Ende, die bloße Aufzählung der Gnaden des HERRN erdrückt sein Gemüt; er muss sein Unvermögen eingestehen. Ob man den Ursprung und die Dauer, den Wert, den Reichtum oder die Mannigfaltigkeit des göttlichen Heils in Betracht ziehe, immer ist es weit über alle Schätzung erhaben. C. H. Spurgeon 1872.

V. 17. Gott, du hast mich von Jugend auf gelehret. Fragt ihr mich, wie David von Gott belehrt worden sei, so möchte ich dagegen fragen, was ihm nicht zur Lehre gedient habe? Gott lehrte ihn durch den Hirtenstab und lehrte ihn durch das Königszepter. Er lehrte ihn durch den begeisterten Ruf der Menge: "Saul hat Tausend geschlagen, aber David Zehntausend," und er lehrte ihn ebenso viel, wenn nicht mehr, durch die Verachtung, mit der man ihm am philistäischen Hofe begegnete. Er lehrte ihn durch die Pfeile, welche Jonathan aus Freundschaft für ihn abschoss, und er lehrte ihn durch den Wurfspeer, mit welchem Saul auf sein Leben zielte. Er lehrte ihn durch die Treulosigkeit Ahitophels und sogar seines sonst so treuen Joab, und er lehrte ihn durch die Treue Abisais und Mephiboseths und ebenso, lasst es mich gleich hinzufügen, durch den Aufruhr Absaloms und die Selbstsucht Adonias; das alles waren Mittel und Wege, durch welche der HERR seinen Knecht David lehrte. Und auch ihr, die ihr in Gottes Lehre seid, seid versichert, dass es in eurem Leben nichts gibt, wodurch er euch nicht lehren könnte: durch Tröstungen und Trübsale, durch Wunden und durch deren Heilung, durch das, was er gibt, und durch das, was er nimmt, will er euch unterweisen. Er lässt seine Schüler vieles verlernen, um sie etwas Rechtes lehren zu können; er zeigt ihnen ihre Torheit, um sie weise zu machen; er nimmt ihnen ihre falschen Vertrauensstützen, um sie mit Kraft zu erfüllen; er lässt sie innewerden, dass sie nichts sind, um ihnen zu zeigen, dass sie alles in Ihm, in Jesus, seinem geliebten Sohne, haben. James Harrington Evans † 1849.

Die Jugend bedarf eines Lehrers, um Tugend anzunehmen. Darum haben sich denn auch alle gebildeten Völker um gute und weise Lehrer für die Jugend bemüht. Bei den Spartanern ward von dem Magistrat und den Senatoren einer zum Aufseher über die Erziehung und die Sitten der Knaben ernannt. In Athen wurden zwölf Männer durch Volkswahl ernannt, welche die Sitten der Jugend veredeln sollten. Gott aber ist selbst der Erzieher seiner Knechte. Plato sagt einmal, es gebe nichts Göttlicheres als das Erziehen der Kinder, und Sokrates, Gott sei der Verstand des Weltalls. So sind denn alle ohne Gott ohne Verstand, mit ihm und durch ihn aber werden sie in einem Augenblick weise. Philo bemerkt in seiner Abhandlung über Kain und Abel: "Irdische Lehrmeister können das Gemüt ihrer Schüler nicht füllen, wie man Wasser in ein Gefäß gießt; wenn aber Gott, der Quell aller Weisheit, dem menschlichen Geschlecht Erkenntnis mitteilt, tut er es ohne Verzug, in einem Augenblick." Die Salbung, die ihr von ihm empfangen habt, lehrt euch alles (1. Joh. 2,27). Thomas Le Blanc †1669.

V. 17.18.

Durch viele Not und Plagen
Hat mich der HERR getragen
Von meiner Jugend auf;
Ich sah auf meinen Wegen
Des Höchsten Hand und Segen:
Er lenkte meines Lebens Lauf.

Sein Weg war oft verborgen;
Doch wie der helle Morgen
Aus dunkeln Nächten bricht,
So hab ich stets gespüret:
Der Weg, den Gott mich führet,
Bringt mich durchs finstre Tal zum Licht.

War Menschenkraft vergebens,
So kam der Herr des Lebens
Und half und machte Bahn.
Wusst’ ich mir nicht zu raten,
So tat Gott große Taten.
Und nahm sich mächtig meiner an.

Bis zu des Alters Tagen
Will Er mich heben, tragen
Und mein Erretter sein.
Dies hat Er mir versprochen,
Der nie sein Wort gebrochen;
Ich werde sein mich ewig freun.

Er wird mir schwachem Alten,
Was Er versprochen, halten,
Denn Er ist fromm und treu;
Bin ich gleich matt und müde:
Er gibt mir Trost und Friede
Und steht mit Mut und Kraft mir bei.

Nach wenig bangen Stunden
Hab ich ganz überwunden;
Ich bin vom Ziel nicht weit.
Triumph! o welche Freuden
Sind nach dem letzten Leiden
Vor Gottes Thron für mich bereit.

Ich warte froh und stille,
Bis meines Gottes Wille
Mich nach dem Kampfe krönt;
An meiner Laufbahn Ende
Sink’ ich in Jesu Hände,
Der mit dem Richter mich versöhnt.

V. 18. Melanchthon schreibt im Jahr 1558, zwei Jahre nach dem Tode seiner Frau, ein Jahr vor seinem Abscheiden: In dem Greise erlischt die Sehnsucht nach der verstorbenen Frau nicht, wie wohl in Jüngeren. Wenn ich täglich meine Enkel ansehe, so gedenke ich nicht ohne Seufzen ihrer Großmutter; mein Schmerz erneut sich beim Anblick der Verwaisten. Sorgte sie doch für die ganze Familie; sie erzog die Kleinen, pflegte die Kranken, linderte durch ihre Zusprache meine Schmerzen, lehrte die Kinder beten. Darum vermisse ich sie allenthalben. Ich gedenke, wie sie fast täglich die Worte des Psalmisten wiederholte: Verlass mich nicht, Gott, im Alter. Das will ich fortan ohne Unterlass für mich beten. Rudolf Kögel 1895.

Wie werden Schiffe, die lange Reisen zurückgelegt haben und drei oder vier Jahre dem heimatlichen Hafen fern gewesen sind, durch heiße und kalte Himmelsstriche gefahren sind, den Äquator wieder und wieder gekreuzt, viele Schwierigkeiten und schwere Stürme durchlebt haben und doch über Wasser geblieben sind, ich sage, wie werden solche Schiffe, wenn sie auf dem Meer nahe dem Hafen zusammentreffen, sich gegenseitig beglückwünschen! Und alte Jünger des Herrn sollten auch miteinander Gott preisen, dass er die Gnade in ihren Seelen lebendig erhalten hat. Ich möchte euch fragen, wie viele Schiffe ihr nicht schon vor euren Augen habt verunglücken sehen, wie viele, die, wie sich der Apostel ausdrückt, am Glauben Schiffbruch gelitten haben? Dieser und jener ist in verdammliche Irrtümmer oder doch in falsche Ansichten und Lehren verfallen, andere sind auf den Sandbänken weltlicher Vorteile festgefahren oder an Klippen zerschellt, ihr aber seid erhalten geblieben! Das sollte euch bewegen, diesen euren Gott, den Gott aller Gnade, desto mehr zu preisen. Lasst mich euch noch stärker ans Herz dringen. Sind keine unter euch, die ihr euch schon lang zu Christus bekennt, den alten, hohlen Eichen zu vergleichen, die im Walde mitten unter gesunden stehen und bei oberflächlicher Betrachtung diesen gleichen, denen aber der Regen, den sie trinken, nur dazu dient, ihr Verfaulen zu vollenden? Solche sind dem Fluche nah. Oder wachsen noch an euch lebendige Früchte, wie Liebe und Glaube, gleichwie in der ersten Zeit und reichlicher als damals? O dann preiset Gott und hebt eure Häupter empor, denn eure Erlösung naht, und werdet stark im Vertrauen, dass der Gott aller Gnade, der euch zu seiner ewigen Herrlichkeit in Christo Jesu berufen hat, euch auch für diese bewahren und binnen kurzem in ihren Besitz setzen wird. Thomas Goodwin † 1679.
Wer sich nur nach dem, was er fühlt, richtet, der verliert Christus. (Martin Luther)

Jörg
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Erläuterungen und Kernworte

Abfall im Alter ist schrecklich. Wer fast bis auf die Spitze eines Turms geklettert ist und dann hinunterstürzt, tut einen umso schwereren Fall. Ein fast Genesener wird, wenn er einen Rückfall bekommt, umso gefährlicher krank. In der Offenbarung 12,4 lesen wir von Sternen, die vom Himmel auf die Erde geworfen werden durch den Schwanz des Drachen: es wäre ihnen besser gewesen, sich nie so hoch gesetzt zu haben. Der Ort, wo die Israeliten sich mit den Töchtern Moabs so törlich versündigten, war Jericho gegenüber, nur drei Stunden östlich vom Jordan; sie sahen ihr Erbteil vor ihren Augen liegen und gingen sein dennoch verlustig. Wie erbärmlich ist es doch, wenn alte Leute so nahe dem Eingang in den Himmel der Sünde verfallen, wie Eli im Alter seine Söhne verzärtelte, Juda in Blutschande fiel, David in Ehebruch, Asa in seiner Krankheit die Ärzte suchte, aber nicht den HERRN, und Salomo die Höhen und Götzenaltäre baute. So durchschifft mancher Seemann das weite Meer und leidet beim Hafen Schiffbruch. Das Getreide verspricht oft reiche Frucht, wenn es noch im Halm steht, und bringt doch keine Ernte. Wie mancher Baum, der mit Blüten beladen war und doch zur Zeit, da man Früchte erwartet, nichts trägt! Gedenket an Lots Weib; lasst diese Salzsäule euch zur Würze dienen. Thomas Adams 1614.

Bis ich deinen Arm verkündige Kindeskindern. Er sieht es als die Hauptaufgabe seines Lebens an, Gottes Wunder zu verkündigen: wenn er noch länger auf Erden erhalten wird, so ist dies das Geschäft, für das er leben will. Gibt es auch bessere Prediger von Gottes Taten, als greise Eltern im Kreise ihrer Kinder, als Großeltern im Kreise ihrer Enkel? Prof. August Tholuck 1843.

V. 19. Gott, wer ist dir gleich - sei es an Größe oder an Güte, an Macht oder an Barmherzigkeit, an Gerechtigkeit, Wahrheit oder Treue, an Vollkommenheit seines Wesens oder der Werke seiner Hände? Und wer ist zu preisen, zu fürchten und anzubeten wie er? John Gill † 1771.

V. 22. Du Heiliger in Israel. Dieser Name Gottes kommt im Psalter nur noch an zwei anderen Stellen (Ps. 78,41; 89,19) vor. In Jesaja dagegen z. B. finden wir ihn dreißigmal. J. J. Stewart Perowne 1864.

V. 23. Meine Lippen und meine Seele. Heuchler preisen Gott mit den Lippen allein; David mit Seele und Lippen zugleich. William Nicholson † 1671.

Homiletische Winke

V. 1-7. Die mancherlei Gründe, welche der Psalmist anführt, um den HERRN zum Erhören zu bewegen. Er beruft sich 1) auf die Gerechtigkeit und Unparteilichkeit Gottes: Errette mich nach deiner Gerechtigkeit; 2) auf Gottes Zusage: der du zugesagt hast usw.; 3) auf Gottes Macht: mein Fels, meine Burg; 4) auf die enge Verbindung, in welcher er mit Gott steht: mein Gott, meine Zuversicht usw.; 5) auf die sittliche Beschaffenheit seiner Widersacher: sie sind Gottlose, Ungerechte, Tyrannen; 6) auf sein Gottvertrauen: denn Du bist meine Zuversicht usw.; 7) auf Gottes bisherige gnädige Fürsorge: auf dich bin ich gestützt von Mutterleibe an; 8) auf seine Dankbarkeit: mein Ruhm ist immer von dir; 9) auf den Umstand, dass er niemand anders hat, auf den er sich verlassen könnte: Du bist meine starke Zuversicht. Adam Clarke † 1832.
V. 1. Der Glaube ist eine gegenwärtige Handlung, eine persönliche Handlung, hat es nur mit Gott zu tun, weiß, was er will, und ertötet seine Befürchtungen mit der Waffe des Gebets.
V. 2. Eine Berufung 1) auf die Macht Gottes: Errette mich; 2) auf die Treue Gottes: nach deiner Gerechtigkeit; 3) auf die Vorsehung Gottes: Hilf mir aus; 4) auf die Herablassung Gottes: Neige deine Ohren zu mir; 5) auf die Barmherzigkeit Gottes: Hilf mir.
Hilf mir aus, das ist, befreie mich: von wem, wovon, wie, durch welche Macht, zu welchem Zweck?
V. 3. Des Gläubigen sicherer Wohnort und sein beständiges Zufluchtsuchen bei demselben.
V. 4. 1) Wenn Gott für uns ist, sind die Gottlosen wider uns. 2) Wenn die Gottlosen wider uns sind, ist Gott für uns.
V. 5. Gott der Mittelpunkt unsers Glaubens und Hoffens.
V. 7a. angewandt 1) auf den Heiland; 2) auf den Gläubigen: dieser ein Wunder in Bezug auf das, a) was er war, b) was er jetzt ist, c) was er hernach sein wird; 3) auf den Sünder: dieser ein Wunder dreien Welten: a) den Engeln, b) den Gottseligen, c) den Teufeln und den Verdammten. Marwell Fenn 1830.
Man betrachte den Text mit Bezug auf David, auf Christus und auf den Christen. 1) David war ein Wunder a) als Mensch, b) als König, c) als Knecht Gottes, 2) Christus ein Wunder a) in seiner Person, b) in seinem Leben, c) in seinen Wundertaten, d) in seinem Lehren, e) in seinem Leiden, f) in seiner Himmelfahrt und der himmlischen Herrlichkeit, welche er jetzt als unser Mittler genießt. 3) Der Christ ein Wunder a) sich selbst, b) der Welt, c) den höllischen Geistern, d) den Engeln im Himmel. John Cawood 1830.
V. 8. 1) Wessen voll? Voll Murrens, voller Zweifel, voller Befürchtungen? Nein, voll Ruhmes. Wessen Ruhmes? Menschenruhmes? Selbstruhms? Nein, Deines Ruhmes, Deines Preises. Wann? Täglich, das ist immerdar, den ganzen Tag und jeden Tag.
V. 9. Das Alter hat mancherlei an sich, was die huldreiche Nähe Gottes dringend nötig macht. 1) Im Alter genießt man nur wenig natürliches Vergnügen, wie z. B. Barsillai anerkannte (2. Samuel 19,35). 2) Im Alter nehmen die Trübsale des Lebens gemeiniglich zu. 3) Das Alter gebietet Achtung und findet sie auch bei Kindern, die sich ihrer Pflicht bewusst sind, und bei allen ernsten Christen; aber man weiß auch, wie oft alte Leute mit Geringschätzung behandelt und vernachlässigt werden. Dies ist besonders der Fall, wenn sie wegen Armut oder Gebrechen von andern abhängig sind. Ebenso widerfährt derartiges Leid nicht selten solchen, die im öffentlichen Leben gestanden haben, wenn sie ihre jugendliche Lebhaftigkeit und den Glanz ihrer reichen Begabung verloren haben. A. Fuller † 1815.
Wir sehen hier 1) Furcht dem Glauben beigemischt. Das ist a) dem Alter natürlich, b) ihm nahegelegt durch die Art, wie die Welt alten Leuten gegenüber zu handeln pflegt. 2) Glauben der Furcht beigemischt. a) Alt sein ist keine Sünde, kann vielmehr b) eine Krone der Ehren sein (Spr. 16,31).
V. 11.12. Zwei große Lügen und zwei treffliche Bitten.
V. 13.14. 1) Was die Gottlosen mit ihrer Feindschaft gegen die Gerechten gewinnen: Schämen müssen sich usw. V. 13. 2) Was die Gerechten durch jener Feindschaft gewinnen: Ich aber usw.
V. 15. 1) Der Entschluss, den der Psalmsänger fasst: a) zu verkündigen, wie Gottes Treue (Gerechtigkeit) sich in seinen Heilserweisungen bezeugt hat; b) dies öffentlich zu tun: "mein Mund;" c) beständig: täglich, d. i. immerdar. 2) Der Grund, den er dafür angibt: "denn ich weiß deiner Heilserweisungen keine Zahl." Die Ewigkeit ist zu kurz, all deinen Ruhm zu erzählen; darum will ich jetzt schon damit beginnen und unablässig damit fortfahren.
V. 17. Nur Gott kann uns so lehren, dass die Dinge durch Erfahrung unser Eigentum werden, und die Lektionen, welche er uns gibt, sind stets nützlich und wichtig. Er lehrt alle seine Schüler, sich selbst, ihre Verderbtheit, Armut und Knechtschaft erkennen. Er lehrt sie sein Gesetz, dessen Reinheit, dessen Forderungen und Drohungen. Er lehrt sie sein Evangelium, dessen Reichtum, Gnadencharakter und Vernunftgemäßheit. Er lehrt sie ihn selber erkennen als versöhnten Gott, als ihren Vater und treuen Freund. Sein Lehren geschieht mit Kraft und Autorität. Wir können das Lehren dieses göttlichen Meisters an seinen Wirkungen erkennen; es erzeugt stets Demut - die Schüler sitzen zu seinen Füßen; es erzeugt das Gefühl der Abhängigkeit von diesem Meister, Abscheu vor der Sünde, Liebe zu Gott als Lehrer, Gehorsam gegen das Gelernte, Verlangen nach weiterer Vervollkommnung, und endlich führt es uns täglich zu Jesus. James Smith † 1862.
V. 17.18. Eine Predigt eines alten Mannes. Predigt von C. H. Spurgeon, Botschaft des Heils, 2. Jahrg. S. 33, 1876. Baptist. Verlag, Kassel.
V. 18. Das besondere Zeugnis des gottseligen Alters; worauf es beruht, an wen es sich richten sollte und was für Erfolg wir von ihm erhoffen dürfen.
V. 19. Man könnte eine sehr lehrreiche Predigt ausarbeiten über den Gegenstand: Die großen Dinge Gottes.
V. 20. . 1) Der zukünftige Nutzen gegenwärtiger Trübsale. "Hernach," sagte Äneas zu den Genossen seines Schiffbruchs, "wird es uns eine Freude sein, an diese Erlebnisse zu denken." 2) Der gegenwärtige Nutzen zukünftiger Gnadenerfahrungen.
V. 22. Ein auserlesener Gegenstand für die Lobgesänge der Gläubigen: Gottes Treue, wie sie sich in der Geschichte des Volkes Gottes und in unserer eigenen Erfahrung erweist.
V. 23. 1) Die Seele der Musik: Sie liegt nicht im Instrument oder in der Stimme, sondern in der Seele des Spielers oder Sängers. 2) Die Musik der Seele: Die Seele, die du erlöset hast. Die Erlösung ist der Gegenstand der Musik einst verlorener, jetzt geretteter Seelen; sie ist der eine große Gegenstand der Lobgesänge der Begnadigten im Himmel.
V. 24a. (Grundtext). Wie können wir unsere Familiengespräche erbaulich und nützlich gestalten?
Wer sich nur nach dem, was er fühlt, richtet, der verliert Christus. (Martin Luther)

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PSALM 72 (Auslegung & Kommentar)

Überschrift

Des Salomo. Diese Überschrift gibt Salomo als Verfasser an, und doch steht der Psalm unter den davidischen, wie V. 20 zeigt. Wir möchten uns der Vermutung Calvins anschließen, dass die Gedanken des herrlichen Liedes von David, und zwar aus dessen letzten Zeiten, stammen, Salomo aber diese Gedanken seines betagten Vaters in poetische Form gebracht habe.1 Unser Augenmerk richtet sich bei der Betrachtung des Psalms auf Jesus, dessen Königsherrlichkeit wir in demselben abgebildet sehen.

Einteilung

Der Psalm schildert, wie Alexander (1850) sagt, in glühenden Farben das Regiment des Messias als gerecht V. 1-7, weltumfassend V. 8-11, segensreich V. 12-14 und immerwährend V. 15-17. Beigefügt ist eine Lobpreisung V. 18.19 und eine literarische Bemerkung V. 20.

Auslegung

1. Gott, gib dein Gericht dem Könige
und deine Gerechtigkeit des Königs Sohne,
2. dass er dein Volk richte mit Gerechtigkeit
und deine Elenden rette.
3. Lass die Berge den Frieden bringen unter das Volk
und die Hügel die Gerechtigkeit.
4. Er wird das elende Volk bei Recht erhalten
und den Armen helfen und die Lästerer zermalmen.
5. Man wird dich fürchten, solange die Sonne
und der Mond währet, von Kind zu Kindeskindern.
6. Er wird herabfahren wie der Regen auf die Aue,
wie die Tropfen, die das Land feuchten.
7. Zu seinen Zeiten wird blühen der Gerechte
und großer Friede, bis dass der Mond nimmer sei.


1. Gott, gib dein Gericht dem Könige. Das Recht zu regieren kam auf Salomo vermittelst seiner Abstammung von David; aber doch nicht dadurch allein: Israel bildete eine Gottesherrschaft, und die Könige waren demnach nur Statthalter des unsichtbaren großen Königs. Daher die Bitte, der neue König möge durch göttliche Vollmachterteilung in sein Amt eingesetzt und sodann mit göttlicher Weisheit für dies Amt ausgerüstet werden. Unserm herrlichen Zionskönig ist alles Gericht übergeben. Er herrscht im Namen Gottes über alle Lande. Er ist im vollsten Sinne des Wortes "von Gottes Gnaden" König, wie auch nach dem Recht der Erbfolge. Und deine Gerechtigkeit des Königs Sohne. Salomo war beides, König und des Königs Sohn; das gleiche gilt von unserm Herrn. Dieser hat in sich selbst Macht und Autorität, und es ist ihm von seinem Vater königliche Würde gegeben. Er ist der gerechteste aller Könige, ja die Gerechtigkeit selbst. Wir warten darauf, dass er als der allezeit gerechte Richter unter den Menschen offenbar werde. Möge des HERRN Stunde bald kommen, da dieser langersehnte Tag anbrechen wird! Jetzt ist des Streites und Krieges so viel selbst in Israel; aber bald wird eine neue Zeit beginnen; an die Stelle Davids, des Vorbildes Jesu in dessen Kämpfen mit unseren Feinden, wird Salomo, der Friedensfürst, treten.

2. Dass er dein Volk richte mit Gerechtigkeit. Er wird die göttliche Vollmacht, mit der er bekleidet ist, zum Besten des bevorzugten Volkes brauchen, dessen König er ist. Ihnen zu gut wird er sich stark erweisen, dass sie nicht mehr falsch beurteilt und verurteilt, beschimpft und misshandelt werden. Sein Urteil wird ihre Ankläger zum Schweigen bringen und den Auserwählten Gottes die ihnen als solchen gebührende Stellung zuerkennen. Wie tröstlich ist die Gewissheit, dass in Christi Reich niemand Unrecht leidet: unser erhabener König sitzt auf dem großen weißen Thron, der auch nicht durch eine einzige ungerechte Tat oder auch nur einen Rechtsirrtum befleckt ist. Es ist ganz sicher, dass wir bei ihm zu unserm Recht und zu unserer Ehre kommen. Und deine Elenden mit Recht. (Grundtext) In allen Entscheidungen des Zionskönigs enthüllt sich wahre Weisheit. Wir verstehen sein Tun nicht immer; doch ist es stets richtig. In den Reichen dieser Welt hat allzu oft die Voreingenommenheit zugunsten der Reichen und Vornehmen das Recht gebeugt; aber der König der letzten und besten Monarchie richtet unparteiisch, zur Freude der Armen und Verachteten. Die Elenden werden hier als dem König innigst verbunden dargestellt: Deine Elenden. Dass Gott das Zepter in Händen hat, ist der Gebeugten Trost und Wonne; es freut sie, dass ihr Herr erhöht ist, und sie haben mit ihm darüber keinen Streit, dass er seine Kronrechte ausübt. Der Scheinreichtum, womit die Menschen ihre tatsächliche Armut zu verbergen suchen, mag wohl an der Regierung des HERRN viel zu bekritteln finden; eine tiefe Überzeugung von der geistlichen Armut dagegen macht die Herzen willig, dem gekrönten Erlöser treu zu huldigen. Andererseits hat der König seine besondere Freude an dem gebeugten Sinn seiner Elenden und verwendet alle seine Macht und Weisheit zu ihrem Besten, gerade wie Joseph in Ägypten zur Wohlfahrt seiner Brüder regierte.

3. Lass die Berge den Frieden bringen unter das Volk. Aus den Bergen stürzten ehedem die Räuberhorden hervor, welche das Land verheerten; jetzt aber sind die dort im Gebirge errichteten Festen Hüter des Landes, und die Wächter verkündigen weit und breit, dass kein Feind zu sehen sei. Wo Jesus ist, da ist Friede, tiefer, dauernder, ja ewiger Friede. Selbst die Dinge, welche uns einst mit Entsetzen erfüllten, verlieren alles Schreckhafte, wenn Jesus als Beherrscher des Herzens anerkannt ist. Sogar der Tod, dieses schaurig dunkle Gebirge, verliert seine Düsternis. Wenn der HERR mit uns ist, bringen uns auch Prüfungen und Trübsale nicht eine Verminderung, sondern eine Vermehrung des Friedens. Auch die Hügel, in Gerechtigkeit. (Wörtl.) Infolge des gerechten Regiments des Königs scheint jeder kleine Hügel mit Gerechtigkeit bekleidet. Die Ungerechtigkeit hat Palästina zu einer Wüste gemacht; wären die Türken und die räuberischen Beduinen weg, so würde das Land bald wieder ein Lustgarten werden. Denn die Gerechtigkeit macht wirklich auch im buchstäblichsten Sinn des Worts ein Land fruchtbar; die Menschen geben sich mit Fleiß dem Pflügen und Bauen des Landes hin, wenn sie Aussicht haben, die Frucht ihrer Arbeit zu genießen. Im geistlichen Sinn kommt der Friede dem Herzen zu durch die Gerechtigkeit Christi, und alle Kräfte und Triebe der Seele werden mit einer heiligen Stille und Ruhe erfüllt, wenn uns dieses aus Gottes Gerechtigkeit ersprießende Heil enthüllt wird. Dann ziehen wir in Freuden aus und werden in Frieden geleitet, und Berge und Hügel frohlocken vor uns her mit Ruhm (Jes. 55,12).

4. Er wird das elende Volk bei Recht erhalten. Er wird den Elenden Recht schaffen, ja mehr als das; denn es wird seine Lust sein, ihnen Gutes zu tun. Und den Armen helfen. Welcher Wandel für diese Hilflosen, die die Packesel anderer sein mussten und auf die Gnade ihrer herzlosen Treiber angewiesen waren; nun aber ist ihr König ihr Beschützer. Wie wohl ist ihnen unter dem Schirm des Friedensfürsten! Da sind sie gut geborgen, denn er wird ihnen helfen von allen ihren Feinden. Und den Bedrücker zermalmen. (Grundtext) Er hat Kraft genug, die Feinde seines Volkes zu zerschmettern. Gewalttätige Bedrücker haben viel verbrochen auf Erden; aber die Zeit der Vergeltung kommt, wo sie selber werden zerbrochen werden. Die Sünde, der Satan und alle unsere Feinde werden durch das eiserne Zepter des Messias zermalmt und zerschmissen. Darum haben wir keine Ursache uns zu fürchten, vielmehr allen Grund, unserm Befreier ein Loblied zu singen. Es ist viel, viel besser, arm zu sein und im Elend zu gehen, als ein stolzer Unterdrücker zu sein; denn die Elenden und Hilfsbedürftigen finden in dem himmlischen Salomo einen Verteidiger, dessen wuchtige Streiche auf die Übermütigen niedersausen. und der nicht ruht, bis diese alle gänzlich vernichtet sind.

5. Man wird dich fürchten, solange die Sonne und der Mond währe. Und mit Recht. Solche Gerechtigkeit gewinnt die freudige Huldigung der gottseligen Armen und erfüllt die Seelen der ungerechten Bedrücker mit Schrecken, so dass in allen Landen beide, Gute und Böse, mit Ehrfurcht vor diesem allgewaltigen Herrscher erfüllt werden. Wo Jesus mit Macht regiert, müssen die Menschen sich auf irgendeine Weise vor ihm beugen. Sein Königtum ist kein Kartenhaus, seine Herrschaft ist keine solche, die nur nach Tagen zählt, sondern ist so dauernd wie die Lichter, die am Himmel stehen; Tag und Nacht werden aufhören, ehe er dem Thron entsagt. Weder die Sonne noch der Mond zeigen bis jetzt irgendwelche Abnahme des Glanzes, und ebenso wenig sind am Reiche Jesu irgendwelche Zeichen des Niedergangs wahrnehmbar; im Gegenteil, es steht erst im jugendlichen Anfang und ist offenbar die Macht, welcher die Zukunft gehört; seine Sonne ist erst am Emporsteigen. O dass allen Bürgern dieses Reiches frische Kraft von oben und zwiefacher Eifer gegeben würden, die siegreiche Fahne Immanuels alsbald bis an die äußersten Enden der Erde zu tragen! Von Kind zu Kindeskindern wird der Thron des Erlösers Bestand haben. Die Menschheit wird die Religion von dem fleischgewordenen Gott nie zu Grabe tragen. Kein System des Unglaubens wird ihr die Kraft nehmen noch der Aberglaube sie ersticken; sie wird sich aus dem, was ihr Grab zu sein schien, unsterblich erheben und als der wahre Phönix aus der Asche erstehen. Solange es Menschen auf Erden gibt, wird auch Christus unter ihnen einen Thron haben. An der Väter Statt werden die Kinder ihm dienen. Jede Generation wird eine Regeneration in ihrer Mitte erleben, mögen Papst und Teufel tun, was sie wollen. Auch zu dieser Stunde haben wir die Erweise seiner ewigen Macht vor Augen. Seit er vor mehr denn bald neunzehnhundert Jahren den Thron bestiegen hat, ist seine Herrschaft nicht gestürzt worden, wiewohl die mächtigsten Reiche wie Träume der Nacht vergangen sind. Wir sehen am Strande der Zeiten die Wracke der Cäsarenreiche, die bleichenden Gebeine der Großmogulen, die letzten Überreste der Osmanen. Karl der Große, Maximilian, Napoleon, wie fliehen sie gleich Schatten vor uns! Sie waren einst, sie sind nicht mehr; aber Jesus ist in Ewigkeit. Ja, auch unsere gegenwärtigen mächtigen Regentenhäuser haben ihre Zeit; dem Davidssohne aber gehören alle Zeiten.

6. Er wird herabfahren wie der Regen auf die (frischgemähte) Aue. Heil seinem sanften Zepter! Die gewaltigen Eroberer, welche die Geißeln der Menschen waren, sind über die Lande hereingebrochen wie der Feuerhagel über Sodom und haben fruchtbare Länder in Wüsten verwandelt; Er aber erquickt mit mildem Wohltun die ermattete, aus tausend Wunden blutende Menschheit, dass ganz neue Lebenskräfte in ihr wirksam werden. Auf Wiesen, die soeben mit der Sense gemäht oder von den Zähnen des Weideviehs geschoren worden sind, blutet gleichsam jedes Grasstenglein; wenn aber der Regen fällt, träufelt er wie Balsam auf alle diese Wunden und erneuert das frische Grün und die Schönheit des Feldes: ein gar liebliches und treffendes Bild der Gnadenheimsuchungen und Segnungen dessen, der zu seinem Volke sagt: "Ich, ich bin euer Tröster." Liebe Seele, wie gut ist es für dich, wenn du erniedrigt wirst und wohl gar der Wiese gleich wirst, die vom Vieh kahl geweidet und zertreten ist; denn dann wird der HERR auf dich Acht haben. Er wird dein Elend ansehen und dich in seiner Leben spendenden Liebe zu größerer Herrlichkeit erblühen lassen, als du früher hattest. Heil dir, Jesus, hochgelobt und hochgeliebt in Ewigkeit; dir gebührt es mehr denn Titus, als der Liebling der Menschheit2 gefeiert zu werden. Wie die Tropfen (besser: Schauer), die das Land feuchten. Jeder der kristallenen Regentropfen kündet die himmlische Barmherzigkeit, welche die ausgedörrten Fluren nicht vergisst. Jesus ist lauter Gnade; alles, was er tut, ist Liebe, und seine Gegenwart unter den Menschen bedeutet Freude. Wir sollten ihn noch weit mehr den Menschen verkündigen; denn kein Regen kann so die Nationen erquicken und mit neuer Lebenskraft erfüllen. Predigten, deren Inhalt den niederen Regionen der Weltweisheit entstammt, sind wie ein vom Wind der Erde aufgewirbelter Staubregen, der mit der lechzenden Kreatur Spott treibt. Das Evangelium dagegen bringt das, was der gefallenen Menschheit Not tut; darum sprosst unter seiner belebenden Kraft überall Glück und Freude. Komm, HERR, auch auf meine Seele als ein milder, befruchtender Regen, so wird mein Herz zu deinem Preis erblühen.

7. Zu seinen Zeiten wird blühen der Gerechte. Solange ungerechtes Regiment seine tödlichen Giftpfeile schießt, vermögen sich die Grundsätze der Rechtschaffenheit nicht allgemeine Geltung zu verschaffen können doch die Gerechten kaum das Leben fristen; wo aber Wahrheit und Redlichkeit auf dem Thron sitzen, gedeihen die besten Menschen am besten. Ein gerechter König ist nicht nur ein Schutzherr der gerechten Untertanen, sondern er erzeugt solche. Unter einem Nero kann niemand blühen als solche, die Ungeheuer sind wie er selbst: gleich und gleich gesellt sich gern. Unter dem sanftmütigen Jesus aber finden die Gottseligen ein stilles und ruhiges Leben. Und großer Friede, bis dass der Mond nimmer sei. Wo Jesus herrscht, ist er als der wahre Melchisedek bekannt, als der König der Gerechtigkeit und des Friedens. Friede, der sich aufs Recht gründet, erweist sich als dauerhaft; solcher und kein anderer. Manches mit hohen und frommen Namen genannte politische Treubündnis ist zunichte geworden, ehe viele Monde ihr Horn gefüllt hatten, weil List den Bund schloss, Meineid ihn bestätigte und Unterdrückung sein Zweck war; wenn aber Jesus den großen Gottesfrieden verkünden wird, wird ewige Ruhe sein, und die Völker werden hinfort nicht mehr kriegen lernen. Der Friede, welchen Jesus bringt, ist nicht oberflächlicher, kurzlebiger Art; er ist tief und dauerhaft. Mögen alle Herzen und Stimmen den König der Nationen willkommen heißen, Jesus den Guten, den Großen, den Gerechten, den ewig Hochgelobten.

Fußnoten
1. Spurgeon sucht diesen Ausweg, um V. 20 mit dem Psalm zu verbinden. Offenbar gehört aber weder die Doxologie V. 18 f. noch die Bemerkung V. 20 unmittelbar zu dem Psalm. Die Doxologie bezeichnet den Schluss des zweiten Psalmbuchs; die Bemerkung V. 20 ist wohl die Unterschrift der ersten Grundsammlung des Psalters, die der Hauptsache nach aus Liedern Davids bestand.

2. Der milde und gerechte römische Kaiser Titus ward bekanntlich seiner vortrefflichen Charaktereigenschaften wegen amor et deliciae generis humani genannt.
Wer sich nur nach dem, was er fühlt, richtet, der verliert Christus. (Martin Luther)

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9
8. Er wird herrschen von einem Meer bis ans andere
und von dem Strom an bis zu der Welt Enden.
9. Vor ihm werden sich neigen die in der Wüste;
und seine Feinde werden Staub lecken.
10. Die Könige zu Tharsis und in den Inseln werden Geschenke bringen;
die Könige aus Reicharabien und Seba werden Gaben zuführen.
11. Alle Könige werden ihn anbeten;
alle Heiden werden ihm dienen.


8. Er wird herrschen von einem Meer bis ans andere. Weit soll sich die Herrschaft des Messias ausdehnen; nur wo alles Land überhaupt aufhört, soll sein Reich enden. Bis zu der Ultima Thule soll sein Zepter reichen. Vom Mittelländischen bis zum Indischen Meer, oder, wie wir sagen würden, vom Atlantischen bis zum Stillen und wieder vom Stillen bis zum Atlantischen Ozean soll Er Herr sein, und auch die Meere, welche die Pole umgeben, werden unter seinem Zepter stehen. Alle andre Macht wird der seinen untertan sein; er wird keinen Nebenbuhler oder Gegenkönig kennen. Man spricht wohl von einem Selbstherrscher aller Russen, Jesus aber wird der unumschränkte Beherrscher der ganzen Menschheit sein. Und von dem (Euphrat-) Strom an bis zu der Welt Enden. Setze an bei welchem Strom du willst, immer erstreckt sich das Königreich des Messias bis zu den äußersten Grenzen des Erdballs. Wie Salomos Herrschaft das ganze verheißene Land umfasste, dass kein uneroberter Grenzstrich übrigblieb, so wird der große Davidssohn alle die Lande beherrschen, welche ihm in der größeren ihm gewordenen Bundeszusage gegeben sind, und er wird keine Nation unter der Tyrannei des Fürsten der Finsternis schmachten lassen. Solche Stellen wie die vorliegende ermutigen uns, nach der allumfassenden Herrschaft des Erlösers auszuschauen. Ob diese vor oder nach seiner persönlichen Wiederkunft in Erscheinung treten wird, das zu erörtern überlassen wir andern. In diesem Psalm wenigstens sehen wir einen persönlich gegenwärtigen Monarchen, und zwar dreht sich alles um ihn; er ist der Mittelpunkt all der Herrlichkeit, die hier beschrieben wird. Nicht einen Knecht, sondern ihn selbst sehen wir im Besitz und in der Ausübung der Herrschaft. Immer wieder weist der Psalm auf unseren erhabenen König hin: Er herrscht, die Könige fallen vor Ihm nieder und dienen Ihm; denn Er errettet und behütet, Er lebt, und Er wird täglich gepriesen.

9. Vor ihm werden sich neigen die in der Wüste. Sogar die Söhne der Wüste, welche die Freiheit über alles lieben und noch von keiner Waffe besiegt worden sind, werden durch Liebe bezwungen werden. So wild und gesetzlos sie gewesen sind, werden sie das sanfte Joch dieses Herrschers doch gern tragen; dann wird ihre Wüste kein dürres Land mehr sein, sondern fröhlich stehen und blühen wie die Lilien (Jes. 35,1). Und seine Feinde werden Staub lecken. Wollen sie nicht seine Freunde werden, so sollen sie gänzlich zermalmt und aufs tiefste erniedrigt werden. Staub zu fressen ward der Schlange beschieden (1. Mose 3,14); so soll denn auch der Schlangensame sich mit dieser Speise den Bauch füllen. Bei den morgenländischen Völkern ist es üblich, die Unterwürfigkeit in der kriechendsten Weise zum Ausdruck zu bringen, und in der Tat kann keine Gebärde zu demütigend sein, um die völlige Niederwerfung und Unterjochung der Feinde des Messias anzuzeigen. Für Zungen, die den Erlöser schmähen, ist es ganz passend, wenn sie den Staub lecken müssen. Wer sich vor einem solchen Fürsten nicht mit Freuden beugt, verdient es reichlich, zu Boden geschleudert und in den Kot gestreckt zu werden; der Staub ist noch zu gut für sie, die den Sohn Gottes mit Füßen getreten und das Blut des Bundes unrein geachtet haben.

10. Die Könige zu Tharsis und in den Inseln werden Geschenke bringen. Auch der Handel wird den Zwecken des Gottesreichs dienstbar gemacht werden; die Fürsten der Kaufmannschaft werden von nah und fern freudig von ihrem Reichtum seinem Throne Huldigungsgeschenke darbringen. Die großen Seeplätze sind treffliche Mittelpunkte zur Ausbreitung des Evangeliums, und schon mancher biedere Seemann ist ein eifriger Herold des Evangeliums geworden. Tharsis, die silberreiche phönizische Kolonie am Guadalquivir in Spanien, war nach den Begriffen des Altertums für die Morgenländer so weit entfernt, dass es sich für ihr Denken im Nebel der Unendlichkeit verlor und sie jedenfalls am Rand des Weltalls gelegen deuchte: so weit die Fantasie nur wandern kann, soll der Davidssohn regieren. Über den blauen Ozean soll sein Zepter reichen; die weißen Klippen Großbritanniens erkennen ihn schon an, die Perlen der Südsee erglänzen für ihn, sogar Islands3 Herz ist warm von seiner Liebe, Madagaskar eilt, ihn willkommen zu heißen, und wenn es in den Meeren der heißen Zone noch Inseln gibt, deren Gewürze ihm noch nicht dargebracht worden sind, so wird er auch dort noch köstlichen Tribut empfangen. Er hat schon manches Eiland zu einer heiligen Insel und damit zu einem rechten Formosa4 gemacht. Die Könige aus Reicharabien und Seba werden Gaben zuführen. Auch der Landbau und die Viehzucht sollen ihr Teil an Gaben herzubringen. Ausländische Fürsten von noch unerforschten Binnenländern werden die weltumspannende Monarchie des Königs aller Könige anerkennen; bereitwilligst und ehrfurchtsvoll werden sie ihren Tribut darbringen. Was sie bringen werden Opfergaben sein; denn ihr König ist ihr Gott. Dann wird Arabia felix, das glückliche Arabien, ein wahrhaft glückliches Land sein, und die Insulae fortunatae5 werden ihren Namen mit mehr Recht tragen als heute. Man beachte, dass wahre Frömmigkeit zu Freigebigkeit führt. In dem Reiche Christi gibt es keine Steuern; aber wir achten es für unsre Lust, diesem Herrscher unsre Gaben freiwillig darbringen zu dürfen. Das wird ein großer Tag sein, wenn die Könige solche Gesinnung betätigen werden; die arme Witwe ist ihnen schon lang voraus gekommen. Es ist an der Zeit, dass sie ihr nachfolgen; die Untertanen würden gewiss das königliche Beispiel nachahmen. Solch freiwillige Opfer sind alles, was Christus und seine Kirche begehren; sie wollen keine mit Zwang und Pfändung eingetriebenen Auflagen, sondern dass jedermann gebe nach seinem eigenen freien Willen, sowohl Fürsten als auch gemeine Leute. Es ist bei den Königen - Gott sei’s geklagt - Sitte gewesen, das Eigentum ihrer Untertanen der Kirche zu geben, und eine verkommene Kirche hat diesen Raub als ein Brandopfer angenommen; so wird es aber nicht mehr sein, wenn Jesus seinen Thron sichtbar einnimmt.

11. Alle Könige werden ihn anbeten. Persönlich werden sie ihm, so mächtig sie auch seien, ihre Huldigung ausdrücken, indem sie sich vor ihm niederwerfen. Wie hoch ihre Würde, wie alt ihre Dynastie oder wie fern ihr Reich auch sein möge, sie werden ihn willig als Oberherrn anerkennen. Alle Heiden werden ihm dienen. Die Völker werden so untertänig sein wie die Gebieter. Die weite Ausdehnung der Herrschaft unseres Heilands wird durch das zweimalige alle (alle Könige, alle Völker) bezeichnet. Wir sehen zwar jetzt noch nicht, dass ihm alles untertan sei; aber da wir Jesus im Himmel mit Preis und Ehre gekrönt sehen, haben wir keinerlei Zweifel, dass er einst auch auf Erden unumschränkt herrschen wird. Es ist undenkbar, dass das Reich eines Alexander oder Cäsar weiter reichen sollte als das des Sohnes Gottes. Im Namen Jesu müssen sich beugen aller Knie, und alle Zungen sollen bekennen, dass Jesus Christus der Herr sei, zur Ehre Gottes, des Vaters. HERR, lass es zu deiner Zeit eilend geschehen!

12. Denn er wird den Armen erretten, der da schreiet,
und den Elenden, der keinen Helfer hat.
13. Er wird gnädig sein den Geringen und Armen,
und den Seelen der Armen wird er helfen.
14. Er wird ihre Seele aus dem Trug und Frevel erlösen,
und ihr Blut wird teuer geachtet werden vor ihm.


12. Denn er wird den Armen erretten. Ein trefflicher Grund wird hier geltend gemacht, um deswillen alle Menschen sich dem Herrn Christus unterwerfen werden: nicht weil sie seine überwältigende Macht fürchten, sondern weil sie sich durch sein gerechtes und leutseliges Regiment zu ihm hingezogen fühlen werden. Wer wollte nicht einem so trefflichen Fürsten huldigen, der den Dürftigen seine besondere Sorgfalt zuwendet und sich verbürgt, in der Zeit der Not ihr Helfer zu sein? Der da schreiet. Er lässt sie wohl in solche Not geraten, dass sie gedrängt werden, ungestüm zu ihm um Rettung zu rufen; aber dann erhört er sie und kommt ihnen zu Hilfe. Das Schreien des Kindes rührt des Vaters Herz, und unser König ist seinem Volk ein rechter Vater. Wenn wir nicht mehr tun können als um Hilfe rufen, so wird dies doch die Allmacht herbeiziehen. Zu Gott schreien ist die natürliche Sprache einer von geistlicher Not bedrängten Seele. Eine solche ist fertig mit allen feinen Redensarten und langen Salbadereien; sie verlegt sich aufs Seufzen und Flehen und ergreift damit die mächtigste aller Waffen; denn vor solchem Beten neigt sich der Himmel. Und den Elenden, der keinen Helfer hat. Das Sprichwort sagt: "Hilf dir selbst, so hilft dir Gott", aber wahrer noch ist, dass Jesus denen hilft, die sich selber nicht helfen können und bei niemand anders Hilfe finden. Alle Hilflosen stehen unter der besonderen Fürsorge des mitleidigen Zionskönigs; mögen sie eilen, sich mit ihm in Verbindung zu setzen. Mögen sie zu ihm aufschauen, denn er schaut nach ihnen aus.

13. Er wird gnädig sein den Geringen und Armen. Er wird ihnen sein Mitleid und Erbarmen tatkräftig kundtun; er wird es nicht zulassen, dass die Trübsale sie ganz zu Boden drücken. Seine Zuchtrute wird sie sanft heimsuchen; er wird sparsam sein im Schelten, nicht aber im Trösten. Und den Seelen der Armen wird er helfen. Er ist Herrscher über die Seelen, sein Reich ist kein weltliches, sondern ein geistliches, und die rechten Armen, das will sagen, diejenigen, welche sich ihrer Dürftigkeit, Schwäche und Unwürdigkeit bewusst sind, werden bei ihm die beste Hilfe, das ewige Heil, finden. Jesus unternimmt nicht das überflüssige Werk, stolzen Pharisäern dazu zu helfen, sich in ihrem Eigendünkel zu sonnen; aber er achtet sorgfältig auf arme Zöllner, welche ihre Augen nicht gen Himmel aufzuheben wagen vor Erkenntnis ihrer Sündhaftigkeit. Lasst uns besorgt sein, ja zu diesen Armen zu gehören, welche der erhabene König so hoch bevorzugt.

14. Er wird ihre Seele aus dem Trug und Frevel erlösen. Diese zwei Stücke sind die Waffen, womit die Armen bedrängt werden: man wendet die Gesetze gewalttätig an oder man verdreht sie, um die Geringen zu rupfen. Fuchs und Löwe machen gemeinsame Sache wider die Herde Christi; aber der gute Hirt wird seine Schafe verteidigen und die Wehrlosen aus den Zähnen ihrer Räuber erretten. Eine Seele, welche durch Versuchungen satanischer List und Angriffe teuflischer Bosheit bedrängt wird, tut wohl. bei dem Throne Jesu Zuflucht zu suchen. Und ihr Blut wird teuer geachtet werden vor ihm. Dieser König wird seine Untertanen nicht in unnötigen Kriegen hinopfern, wie es Tyrannen je und je getan haben, sondern wird alle Sorgfalt anwenden, auch die Geringsten unter ihnen wohl zu bewahren. Es hat nicht wenige Eroberer gegeben, die Tausende von Menschenleben für nichts gerechnet haben; sie haben die Äcker mit Blut getränkt, als wäre Blut nichts als Wasser und Fleisch nur Dung des Feldes. Jesus aber ist, wiewohl er sein eigenes Blut so reichlich hat fließen lassen, mit dem Blute seiner Knechte äußerst sparsam, und wenn sie für ihn als Märtyrer sterben müssen, so hält er ihr Gedächtnis hoch und achtet ihre Blutstropfen als köstliche Rubine.

Fußnoten
3. Island = Eisland, hat seinen Namen von dem Treibeis. Bekanntlich hat es viele warme Quellen (Geiser).

4. Formosa = die Schöne, bekannte Insel an der südöstlichen Küste Chinas.

5. Beglückte Inseln, alter Name der Kanarischen Inseln.
Wer sich nur nach dem, was er fühlt, richtet, der verliert Christus. (Martin Luther)

Jörg
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Regelmäßige Lesung aus der Schatzkammer David Ps72

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15. Er wird leben, und man wird ihm vom Gold aus Reicharabien geben.
Und man wird immerdar für ihn beten,
täglich wird man ihn segnen.
16. Auf Erden, oben auf den Bergen, wird das Getreide dick stehen;
seine Frucht wird rauschen wie der Libanon,
und sie werden grünen in den Städten wie das Gras auf Erden.
17. Sein Name wird ewiglich bleiben;
solange die Sonne währet, wird sein Name auf die Nachkommen reichen,
und sie werden durch denselben gesegnet sein;
alle Heiden werden ihn preisen.


15. Er wird leben. Vive le Roi! Es lebe der König! Er ward getötet. Aber er ist auferstanden und lebt immerdar. Und man wird ihm vom Gold aus Reicharabien geben. Krönungsgaben der reichsten Art wird man mit Freuden zu seines Thrones Stufen niederlegen. Wie gern würden wir ihm alles geben, was wir haben, und würden die Gaben doch noch viel zu geringachten. Wir dürfen uns freuen, dass die Reichssache Christi niemals aus Mangel an Mitteln stillstehen wird; sein ist beides, Silber und Gold, und wenn die Heimat sie nicht darbietet, so werden ferne Länder sich beeilen, den Mangel zu erstatten. Wollte Gott, wir hätten mehr Glauben und mehr Willigkeit zum Geben. Und man wird immerdar für ihn beten. Mögen alle Segnungen sich auf sein Haupt ergießen. Alle die Seinen wünschen, dass seine Reichssache gedeihe, und rufen darum zu allen Stunden: Dein Reich komme. Für Jesus beten, das ist ein gar lieblicher Gedanke, der stets mit ganzer Inbrunst der Liebe ausgeführt werden sollte; und da die Gemeinde der Leib Christi und die Wahrheit sein Zepter ist, so beten wir in Wirklichkeit für ihn, wenn wir für diese flehen. Haltet an am Gebet ist eine stehende Vorschrift in dem Reich des Messias, und sie schließt die Verheißung in sich, dass der HERR auch anhalten wird zu segnen. Täglich wird man ihn segnen. Da er sich täglich des Preisens wert erzeigen wird, so wird er auch Tag für Tag und immerdar gepriesen werden.

16. Auf Erden, oben auf den Bergen, wird das Getreide dick stehen. Außerordentliche Fruchtbarkeit wird der Segen einer solchen Herrschaft nach Gottes Herzen sein. Bis an die Gipfel der Berge sollen die wogenden Kornfelder reichen. Seine Frucht wird rauschen wie der Libanon. Das Getreide soll so hoch und üppig stehen, dass die Felder, vom Wind bewegt, wogen und rauschen wie der hohe, dichte Wald des Libanon. Wir dürfen diese Bilder auch auf die geistliche Fruchtbarkeit der Gemeinde des HERRN anwenden. Und sie werden grünen in den Städten wie das Gras auf Erden. Ein anderes Bild. Die Untertanen Christi sollen so zahlreich sein wie Grashalme und so schnell hervorsprossen, wie das junge Grün im Morgenlande nach einem ausgiebigen Regen aus der Erde aufschießt. Wann werden diese Worte, die einen so herrlichen Ausblick eröffnen, in Erfüllung gehen?

17. Sein Name wird ewiglich bleiben. Nie wird Jesu Name untergehen oder seine Kraft verlieren; ewiglich wird er sich heilvoll erweisen, immerdar wird er der Sammelpunkt sein, um den sich alle Gläubigen scharen, nie wird sein Ruhm und seine Herrlichkeit erbleichen. Solange die Sonne währet, wird sein Name auf die Nachkommen reichen (wörtl.: sprossen, sich fortpflanzen). Solange man die Zeit nach Tagen messen wird, wird Jesus unter den Menschen herrlich sein. Und werden durch denselben gesegnet sein oder sich mit ihm segnen. Zu all der Ehre, welche dem Namen Jesu widerfährt, wird Grund genug vorhanden sein; denn er wird in Wahrheit der Wohltäter des menschlichen Geschlechts sein. Er selber wird der größte Segen sein, der je über die Erde gekommen, und wenn die Menschen einander segnen wollen, so werden sie es mit seinem Namen tun. Alle Heiden werden ihn preisen. Die Nationen werden dankerfüllt ihn segnen und selig preisen, der sie also gesegnet und mit Glück und Seligkeit beschenkt hat. Nicht nur einige, sondern alle werden ihn preisen; kein Land wird im Heidentum verbleiben, alle Völker der Erde werden ihm mit Freuden huldigen.

18. Gelobet sei Gott, der Herr, der Gott Israels,
der allein Wunder tut;
19. und gelobet sei sein herrlicher Name ewiglich;
und alle Lande müssen seiner Ehre voll werden!
Amen Amen.


Diese Worte erklären sich selbst und fordern mehr zu anbetender Danksagung und inniger Herzensbewegung heraus als zur Anwendung des zerlegenden Verstandes.6 Es ist und wird bleiben der höchste Gipfel unserer Wünsche und die Spitze unserer Gebete, Jesus als den König aller Könige und den Herrn aller Herren erhöht zu sehen. Er hat große Wunder getan, wie sie niemand sonst tun kann, Wunder, die alle anderen großen Taten so weit hinter sich zurücklassen, dass Er der einzige Wundertäter bleibt; aber gleiche Wunder seiner Hand stehen noch bevor, und wir schauen mit froher Erwartung nach ihnen aus. Er ist Gott, hochgelobt in Ewigkeit, und der Ruhm seines Namens wird die ganze Erde füllen. Dieser herrlichen Vollendung sehen unsere Herzen mit täglich stärkerem Verlangen entgegen, so dass auch wir rufen: Amen, Amen - so geschehe es, ja, so geschehe es!

20. Ein Ende haben die Gebete Davids,
des Sohns Isais.


[Dies ist offenbar die Unterschrift der ersten Psalmensammlung, welche ihrem Grundstock nach aus davidischen Liedern bestand, denen aber dann noch etliche andere hinzugefügt wurden.]

Erläuterungen und Kernworte

Zum ganzen Psalm. Der zweiundsiebzigste Psalm enthält die Schilderung eines hocherhöhten Königs und der Segnungen seiner Herrschaft. Diese Segnungen sind solcherart, dass sie beweisen, derjenige, von welchem der Psalm redet, müsse eine göttliche Person sein. Sein Königtum soll erstens ewig währen, zweitens soll es die ganze Welt umfassen, drittens sichert es vollkommenen Frieden mit Gott und unter den Menschen, viertens sollen alle Menschen durch Liebe bewogen werden, sich diesem König zu unterwerfen, fünftens sollen in ihm alle Geschlechter auf Erden gesegnet werden, d. h., wie wir Gal. 3,16 belehrt werden, durch ihn sollen alle Segnungen der Erlösung über die Welt kommen. Der Psalm redet demnach von keinem andern als von dem Welterlöser. Charles Hodge 187l.

Zwei Psalmen tragen in der Überschrift Salomos Namen. Der eine derselben ist der 127., der andere dieser 72., und in dem letzteren scheinen uns Salomos Schriftzüge unverkennbar. Wenn sich der Psalm überhaupt auf Salomo und seine Friedensherrschaft bezieht, dann jedenfalls nur so weit, wie sie vorbildlich auf die Person und das Königtum des wahren Friedensfürsten hinweisen. Man kann den Psalm nicht nur von Anfang bis zu Ende auf Christus anwenden, sondern zum großen Teil ist es unmöglich, ihn vernünftigerweise auf irgendjemand anders zu beziehen. William Binnie 1870.

V. 1. Dem Könige, des Königs Sohne. So finden wir auch auf den türkischen Münzen die Inschrift: Sultan, Sohn des Sultans. George Philipps 1846.

Deine Gerichte oder Gerichtssprüche. Von wem sucht er diese zu erlangen? Gib du sie, o Gott, sagt er. Es ist demnach Gottes Gabe, wenn Könige recht richten und über Gerechtigkeit halten. Auch sagt er nicht nur einfach: "Gott, gib dem König Rechtssprüche und Gerechtigkeit des Königs Sohne," sondern: deine Rechtssprüche und deine Gerechtigkeit. Verleih ihnen diese Gnade, dass, wenn sie Recht sprechen, es ganz in deinem Sinn geschehe. Die Welt hat ihre eigenen Anschauungen über Recht und Gerechtigkeit und behandelt das Gericht oft so, dass die Gerechtigkeit nicht unterstützt, sondern unterdrückt wird. Nicht solcherart sind die Gerichtsentscheidungen und die Gerechtigkeit Gottes. Wolfgang Musculus † 1563.

V. 3. Lass die Berge den Frieden bringen unter das Volk. Es war und ist noch heute im Morgenland Sitte, gute und schlimme Nachrichten von den Berggipfeln oder andern erhöhten Punkten auszurufen. Auf diese Weise wurden auch wohl Gerichtsurteile schnell bis in die entlegensten Teile des Landes kundgetan. So ward, als Salomo den Streit zwischen den beiden Huren entschieden hatte, der weise Spruch alsbald im ganzen Lande bekannt. Siehe 1. Könige 3,28. Alexander Geddes † 1802.

Dann ist’s gewiss Friede im Land, wenn selbst die Berge Frieden bringen; wenn diese Berge, welche bisher die Schlupfwinkel der Räuber waren und viele köstliche Beute bargen, friedliche Wohnstätten sind; wenn der Friede nicht in festen Städten eingeschlossen oder in Bollwerke eingehegt ist, sondern das offene Feld und die Landstraßen, die Berge und die Hügel des Friedens voll sind; wenn die Bewohner der einsamen Gehöfte und der Berghütten sich sein erfreuen; wenn alle essen und satt werden, sich in Ruhe niederlegen und niemand sie stört; dann herrscht der Segen überall, und das ist das Werk der Gerechtigkeit. Joseph Caryl † 1673.

Die Berge und Hügel werden V. 3 nicht etwa genannt als die unfruchtbarsten Örter des Landes, was sie in Palästina nicht waren, vergl. dagegen 5. Mose 33,15; Ps. 147,8; 65,13, auch nicht, weil das, was auf ihnen ist, überall und von allen Seiten hergeschaut werden kann (Tholuck), vergl. dagegen Joel 4,18; Jes. 55,12, sondern als die hervorstechendsten Punkte und die Zierden des Landes und also zu seiner Repräsentation geeignet, um den Gedanken auszudrücken, dass dies überall mit Frieden erfüllt sein wird. Der Friede erscheint überall als charakteristisches Merkmal der messianischen Zeit, vergl. z. B. Jes. 2,4; 9,5; 11,9; 65,25; Micha 4,3; Sach. 9,10. Prof. E. W. Hengstenberg 1844.

V.4. Die Redensart "die Kinder der Armen " (wörtl.) steht für "die Armen", nach ganz gewöhnlicher hebräischer Ausdrucksweise. Eine ähnliche Weise, sich auszudrücken, finden wir manchmal bei den Griechen, so wenn sie ui(ou`j i)atrwn, Söhne der Ärzte, für Ärzte sagen. Jean Calvin † 1564.

V. 6. Anwendung auf Christus. 1) Wie der Regen die freie Gabe Gottes für das ausgetrocknete Erdreich ist, wie er Armen und Reichen, Hohen und Niedrigen frei und umsonst geschenkt wird, so ist Christus mit all seinen Segnungen Gottes freie Gabe an die verschmachtende und verderbende Welt, und dafür sollten wir ohne Aufhören danken. 2) Wie nichts das Niederträufeln des Regens aufhalten kann, so vermag auch nichts die Gnadenwirkungen Christi zu hindern, wenn er beschließt, ein hartes Herz zu erwecken, zu überzeugen und zu erweichen. Wenn sich solch gnädige Schauer auf Sünder ergießen, dann muss sich auch der widerspenstigste Wille ergeben und rufen: "Herr, was willst du, dass ich tun soll?" 3) Wie der Regen für das Erdreich, wenn es ausgetrocknet ist, und für die mancherlei Gewächse, welche es hervorbringt, ja auch für all die verschiedenen Teile jeder Pflanze und jeden Baumes, als Wurzel, Stamm, Zweige, Blätter, Blüten und Früchte, höchst notwendig und angemessen ist, so ist Christus für all die Seinen und für jede ihrer Fähigkeiten und Kräfte, als da sind der Verstand, der Wille, das Gedächtnis und die Gemütsbewegungen, und für ihre mancherlei Tugenden, Glaube, Liebe, Reue usw., unbedingt notwendig, und seine Gnadenwirkungen entsprechen genau ihren Bedürfnissen, dass sie gewurzelt und gegründet, gestärkt und befestigt, belebt und gefördert, erquickt und bewahrt werden. 4) Wie der Regen auf gar verschiedene Weise niederkommt, manchmal mit kalten Winden und Stürmen, unter Donner und Blitz, und zu andern Zeiten still und warm, so kommt auch Christus zu den Sündern manchmal mit einschneidender Gewissensbestrafung und. mit den Schrecken des Gesetzes, manchmal mit lieblich lockenden Einladungen und Verheißungen. 5) Wie kostbar ist doch die Wirkung des Regens auf die schmachtenden Pflanzen. Er stärkt sie zu neuer Lebenskraft, gibt ihnen frisches Grün, macht, dass sie blühen und duften. So sind auch die Gnadenwirkungen Christi höchst begehrenswert für geistlich trauernde Seelen; denn sie erleuchten und beleben, trösten und stärken sie, machen sie voll geistlichen Verlangens und stillen ihr Sehnen, gestalten sie um und verklären sie. Ein gnädiger Schauer von Christus würde die Kirche, ob sie auch einer dürren Pflanze gliche, bald lustig in jungem Leben emporsprießen lassen, dass sie duften würde wie ein Feld, das der HERR gesegnet hat. John Willison † 1750.

V. 8. Er wird herrschen von Meer zu Meer, d. i. über den ganzen von Meeren umspülten Erdkreis. Einige Ausleger der heutigen Zeit wollen zwar den Vers, weil im zweiten Gliede der Strom, d. i. der Euphrat (vergl. 1. Mose 15,18; 31,21), erwähnt wird, von den Grenzen Palästinas verstanden wissen, so dass dieses Land beschrieben würde als sich erstreckend von dem Roten Meer bis zu dem Syrischen, das sonst auch das Meer der Philister oder das Große Meer genannt wird, und von dem Euphrat bis zu der großen Wüste, welche hinter Palästina und Ägypten liegt. Dies sind ja die Grenzen des israelitischen Landes, von Süden nach Westen und von Norden nach Osten (1. Mose 15,18). An unserer Stelle kann kaum ein Zweifel sein, dass mit dem Strom, d. i. dem Euphrat, die äußerste Ostgrenze der Erde bezeichnet sein will. Es ist doch allzu nüchtern und dürftig, bei einer so hochdichterischen Schilderung, wie dieses Lied sie gibt von einem König, der über alle andern erhöht ist (siehe V. 9 ff.), daran zu denken, dass gesagt sein solle, das Reich eines solchen Königs werde in die Grenzen Palästinas gebannt sein. Prof. E. F. Rosenmüller 1831.

Fußnote
6. Sie gehören als Schluss des zweiten Psalmbuchs nicht ursprünglich zu dem Psalm, schließen sich aber sehr wohl mit diesem zusammen, wie sie denn auch bei der gottesdienstlichen Vorlesung mitgelesen wurden.
Wer sich nur nach dem, was er fühlt, richtet, der verliert Christus. (Martin Luther)

Jörg
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Erläuterungen und Kernworte

V. 9. Staub lecken. Man erinnere sich, dass es bei vielen Völkern Sitte war, dass jedermann, der sich dem König nahte, die Erde küsste und sich der Länge nach auf den Boden warf. Das war namentlich in ganz Asien feststehender Brauch. Niemand durfte z. B., wie Xenophon berichtet, den persischen König anreden, ohne sich auf den Boden niederzuwerfen und die Fußspuren des Königs zu küssen. Thomas Le Blanc † 1669.

V. 9-11. Ihm werden die ungezähmtesten, ihm werden die fernsten und die reichsten Bewohner Huldigung leisten; die ungezähmten Bewohner der Wüste, die fernen Inseln des Westlandes und die Könige des reichen Arabien und Äthiopien. Prof. August Tholuck 1843.

V. 10. Das Wort, welches mit Inseln übersetzt ist, bezeichnet alles bewohnbare Land im Gegensatz zum Wasser (siehe 1. Mose 10,5, wo es zuerst vorkommt, und Jes. 42,15), also am Meer gelegenes Land, sei es nun die Seeküste eines Festlandes oder eine Insel. Insonderheit bezeichnet es die vom Mittelländischen Meer bespülten Länder und die von Palästina aus im fernen Westen gelegenen Küsten und Inseln. So in den ähnlichen Weissagungen Jes. 60,9; 11,11; 41,1; 42,10-12; 49,1 usw. Daher wird die Verheißung Jes. 42,4: "Die Inseln werden auf sein Gesetz warten," in Mt. 12,21 so ausgelegt: Die Heiden werden auf seinen Namen hoffen. William De Burgh 1860.

Reicharabien (d. i. das reiche Arabien) oder Saba, hebräisch Scheba, und Seba werden oft verwechselt, wie denn auch in der deutschen Bibel (auch der berichtigten) ihre Namen nicht immer auseinandergehalten werden. Saba lag aber auf der Hochterrasse der Südwestspitze der Arabischen Halbinsel, während wir unter Seba wahrscheinlich, wie schon Josephus behauptet, das altberühmte Priesterreich Meroe im südlichen Äthiopien zu verstehen haben. Die Herrlichkeit dieses Priesterreichs nahm schon im 1. Jahrhundert vor Christus ein Ende. Das erstgenannte Saba oder Reicharabien war ein hochkultiviertes, überaus reiches Handelsvolk, das dem Norden Gold, Edelsteine, Weihrauch und Kassia zuführte. - James Millard

Über den Reichtum Sabas berichtet der griechische Geschichtschreiber Agatharchidas: "Die Sabäer haben in ihren Häusern eine unglaubliche Menge von goldenen und silbernen Schmuckgefäßen und Geräten aller Art, silbernen Betten und Dreifüßen, und aller Hausrat ist von erstaunlicher Kostbarkeit. Ihre Gebäude haben Säulenhallen, deren Säulen mit Gold überzogen oder von silbernen Kapitälen gekrönt sind. Die Friese, die Verzierungen und die Rahmen der Türen belegen sie mit Goldplatten, welche mit Edelsteinen verziert sind. Sie wenden auf den Schmuck der Bauten ungeheure Summen, indem sie Gold, Silber, Elfenbein, Edelsteine und andere Stoffe vom höchsten Wert benutzen." Sie müssen sich auch in der Tat durch ihren Handel mit Indien und Afrika, zwischen welchen beiden Ländern ihre Halbinsel ja lag, großen Reichtum erworben haben. Reiche Gaben lassen sich von ihnen erwarten, wenn die Beschreibung, welche Lenormant und Chevallier (1869) von ihrem Handel geben, richtig ist. "Die hauptsächlichsten Waren, welche sie von Indien einführten, waren Gold, Zinn, Edelsteine, Elfenbein, Sandelholz, Gewürze und Baumwolle. Außer diesen empfingen die Warenhäuser Südarabiens auch die Erzeugnisse der gegenüberliegenden afrikanischen Küste, mit welchem nicht weit entfernten Lande, dessen bedeutendster Hafen Mosyton (jetzt Ras Aburgabeh genannt) war, sie einen lebhaften Küstenhandel trieben. Von dort holten sie außer den Gewürzen, welchen jene Küste ihren Namen zu verdanken hatte, Ebenholz, Straußfedern, sowie abermals Gold und Elfenbein. Wenn wir dazu noch die Erzeugnisse Südarabiens selber nennen, nämlich Weihrauch, Myrrhen, Opium, kostbare Steine wie Onyx - und Achatsteine, endlich Aloeharz von der ostafrikanischen Insel Sokotra und Perlen aus dem Golf von Ormus, so haben wir wohl die Liste der Gegenstände, welche der Handel dieses Landes mit Ägypten und den am Mittelländischen Meer gelegenen Ländern Asiens umfasste. Zugleich können wir uns aus dieser Aufzählung davon einen Begriff machen, wie bedeutend und lebhaft dieser Handel gewesen sein muss." - So arm Gottes Volk für gewöhnlich ist, so wird die Zeit doch gewiss kommen, wo es die Reichsten für ihre höchste Freude achten werden, ihre Schätze zu Jesu Füßen zu legen. C. H. Spurgeon 1872.

V. 11. Als Papst Leo X. die fünfte Lateransynode in Rom mit großem Pomp am 27. April 1513 eröffnete, ließ er sich durch den Mund des päpstlichen Kämmerers Puccius mit folgenden Worten anreden: "An dir, dem wahren und rechtmäßigen Statthalter Christi und Gottes, hat dieser Spruch sich wieder erfüllen müssen: Alle Könige werden ihn anbeten, alle Heiden werden ihm dienen!" - Die Schrift sagt: Du sollst anbeten Gott deinen Herrn und ihm allein dienen! Th. Zink im Freimund 1887.

V. 12. Es bedarf keiner Mittelsperson zwischen diesem König und seinen Untertanen: Er hört den Armen, der um Hilfe schreit, und errettet ihn. David Dickson †1662.

V. 13. Und den Seelen der Armen wird er helfen. Scipio pflegte zu sagen, er wollte lieber einem einzigen Bürger das Leben retten als tausend Feinde töten. Diese Gesinnung sollten alle Fürsten gegen ihre Untertanen hegen; zum höchsten Grad stieg aber diese Zuneigung und Liebe in dem Herzen Christi. So brünstig ist seine Liebe zu den Seinen, dass er nicht eins von ihnen umkommen lässt, sondern sie zum vollen Heil führt und sich ihren Feinden, Teufeln und Tyrannen, entgegenwirft und ihre Wut bezwingt. H. Moller 1639.

V. 15. Er wird leben. Alexander der Große erkannte bei seinem Tode an, dass er ein schwacher, sterblicher Mensch sei. "Ach, ich liege im Sterben, den ihr fälschlich einen Gott genannt habt!" sagte er. Christus aber erwies, dass er Gott war, als er durch seinen Tod den Tod überwand. Th. Le Blanc † 1669.

Man wird immerdar für ihn beten. In allen unterworfenen Ländern bezeichnete zweierlei die Untertanenstellung der Einwohner: Erstens wurde auf die Münzen der Name des Eroberers geprägt, und zweitens mussten die Leute bei den öffentlichen gottesdienstlichen Feiern für ihren Besieger beten. Adam Clarke † 1832.

V.17. Ernest Renan dachte von fern nicht daran, einen Beitrag zur Auslegung dieses Verses zu geben, als er von dem Herrn Jesus sagte: "Son culte se rajeunira sans cesse." Doch würde es schwer sein, das hier im zweiten Versglied gebrauchte hebräische Wort, welches Sprossen treiben bedeutet, kräftiger zu illustrieren. William Kay 1871.

Und werden (nämlich alle Geschlechter der Erde, wie die griechische Bibel ergänzt) durch denselben gesegnet sein. Es wird manchmal unbedachtsamerweise gesagt, das Alte Testament sei eng und ausschließend, und nur das Neue Testament sei weiten, echt ökumenischen Geistes. Das ist aber, so allgemein gesagt, ein Irrtum. Das alte und das Neue Testament sind in dieser Hinsicht eines Sinnes. Viele sind berufen und wenige auserwählt, das ist die gemeinsame Lehre sowohl des alten wie des neuen Testaments. Sie sind beide gleich katholisch, indem sie das Heil für alle verkündigen. Der Bund mit Adam und der mit Noah sind noch in Kraft und allen sicher, die zu Gott zurückkehren, und die Berufung Abrams wird ausdrücklich als ein Mittel bezeichnet, allen Geschlechtern der Menschen Segen zu bringen. Das Neue Testament zielt auf nicht mehr als eben dieses; es begrüßt nur die nahende Vollendung jenes herrlichen Ratschlusses. James G. Murphy 1863.

V. 20. Ein Ende haben die Gebete Davids, des Sohns Isais. Solange man die Fünfteilung des Psalters nicht beachtete, diente diese Bemerkung den Auslegern nur zur Verwirrung. Augustinus und sein Lehrmeister Ambrosius von Mailand nahmen diese Worte, welche sie in ihren Psaltern zwischen dem 72. und 73. Psalm fanden, als einen Teil der Überschrift zu dem letzteren und zermarterten ihren Scharfsinn, um die Bedeutung derselben zu erraten. Calvin erkannte, dass die Bemerkung auf das Vorhergehende Bezug habe, und da er nicht beachtete, dass sie am Ende eines Psalmbuchs steht, meinte er, sie gehöre ausschließlich zu dem unmittelbar vorhergehenden Psalm, und mutmaßte, sie wolle besagen, dass dieser Psalm die letzten Gebete des hochbetagten Königs enthalte. Er war aber nicht imstande, dies mit den zwei entgegenstehenden Tatsachen zu versöhnen, dass die Überschrift den Psalm dem Salomo zuschreibt und dass anderwärts ein ganz anderer Psalm als "die letzten Worte Davids" aufbehalten ist (2. Samuel 23,1). Und diese Verlegenheit des großen Reformators wird von den älteren Auslegern allgemein geteilt. Wir kommen sofort aus ihr heraus, wenn wir einfach den Platz der in Frage stehenden Bemerkung beachten. Sie hat ihre Stelle hinter einer Doxologie, welche das Ende des zweiten Psalmbuchs bezeichnet. Sie hat daher keinen unmittelbaren Bezug auf den 72. Psalm, sondern bezieht sich entweder auf das zweite Psalmbuch oder wahrscheinlicher auf das erste und zweite zusammen. William Binnie 1870.

Homiletische Winke

Zum ganzen Psalm. 1) Er wird ... 2) Man wird (sie werden) ...
Man lasse diese beiden Töne im Wechsel erklingen, wie es der Psalm tut.

V. 1. Die Bitte der alten Gemeinde nun erfüllt. 1) Die Titel unseres Herrschers: a) König, kraft seiner göttlichen Natur; b) des Königs Sohn, nach seinen beiden Naturen. Seine Macht ist ihm sowohl angeboren als übertragen. 2) Die Vollmacht unseres Herrschers ("Gerichte "): a) sein Volk zu regieren, b) die Welt zu regieren zu seines Volkes Bestem, c) die Menschheit zu richten, d) die gefallene Geisterwelt zu richten. 3) Der Charakter unseres Herrschers: Er ist gerecht im Belohnen und Strafen, gerecht gegen Gott und Menschen. 4) Unser königstreues Gebet, dass dieser Herrscher sein Regiment ausübe über uns und das Weltall.
V. 2. Die Herrschaft Christi in seiner Gemeinde 1) Die Untertanen: a) dein Volk, die Erwählten, Berufenen usw.; b) deine Elenden, Bedrückten, Leidtragenden. 2) Der Herrscher: Er regiert allein, in Wahrheit, beständig. 3) Die Regierungsweise: gerecht, unparteiisch, mild, weise usw. Was lehrt uns dies alles? Diese Herrschaft herbeiwünschen.
V. 3. Die Berge des göttlichen Ratschlusses, der unveränderlichen Wahrheit, der allmächtigen Kraft, der ewigen Gnade usw. Diese Berge Gottes sind die Festen des Friedens.
V. 4. Der armen Leute König, oder die Segnungen, welche den Armen und Elenden durch die Herrschaft Christi zuteilwerden.
V. 5. Die immerwährende Dauer des Evangeliums, Gründe für dieselbe. Dinge, welche sie bedrohen, und Lehren, die sich daraus ergeben.
V. 6. Die Aue, der Regen und seine Wirkung. Dieser Vers lässt sich leicht auf mannigfaltige Weise fruchtbar behandeln.
V. 7. 1) Die Gerechten blühen zu einer Zeit mehr als zur andern. 2) Sie blühen am reichsten, wenn Jesus bei ihnen ist, "zu seinen Zeiten". 3) Eben danach richtet sich auch die Fülle ihres Fruchttragens. George Rogers 1871.
Überschwang oder Fülle des Friedens. (Wörtl.) Eine reiche Zusage, und zwar eine Zusage des Friedens, eine überschwängliche Erlösung, die den Frieden zustande bringt, eine reiche Vergebung, die den Frieden ins Herz gießt; mächtige Wirkungen des göttlichen Geistes, der den Frieden versiegelt, überschwängliche Verheißungen, die den Frieden gewährleisten, überreiche Liebe, die den Frieden ausbreitet usw.
V. 8. Das Reich Christi wird noch die ganze Welt umfassen. Man widerlege andere Anschauungen über die Zukunft und lege ihren schlimmen Einfluss dar, stelle dagegen fest, wie gewiss und wie segensreich diese Wahrheit ist.
V. 9b. Das schimpfliche Ende der Feinde Christi.
V. 10. Die Reichseinkünfte Christi: freiwillige und doch überreiche Gaben.
V. 12. Die besondere Fürsorge Christi für die Armen. 1) Bemitleidenswerte Leute. 2) Eine elende Lage: schreien - keinen Helfer haben. 3) Das natürliche Zufluchtsmittel: schreien. 4) Herrliche Hilfe.
V. 14. Die Hoffnung der Märtyrer im Leben und ihr Trost im Sterben. George Rogers 1871.
V. 14b. Das Blut der Märtyrer. 1) Gott sieht es, wenn es vergossen wird. 2) Er gedenkt desselben. 3) Es erlangt die Ehre, der Gemeinde ein Nutzen zu sein. 4) Es wird im Himmel besonders belohnt.
V. 15. Ein lebendiger Heiland, ein gebendes Volk; der Zusammenhang zwischen beiden. Oder: Lebt Christus in der Gemeinde, so füllen sich die Opferstöcke, die Gebetsversammlungen beleben sich und der Lobpreis wird geheiligt.
Man wird immerdar für ihn beten. Wir sollen für Jesus Christus beten. Bei dem Interesse, das er an gewissen Dingen hat, geschieht, was für diese geschieht, für ihn; und er selbst sieht es so an. Wir beten daher für ihn, wenn wir für seine Diener, seine Verordnungen, sein Evangelium, seine Gemeinde, kurz, für seine Sache beten. Aber was sollen wir denn für ihn erbitten? 1) Dass stets eine genügende Anzahl fähiger Werkzeuge da sei, sein Werk zu treiben. 2) Dass alles, was den Fortschritt seiner Sache hindert oder zu hindern sucht, hinweggetan werde. 3) Dass sich die Grundsätze seines Reichs allgemein ausbreiten mögen. 4) Dass sich die Herrlichkeit seines Reichs wie dessen Ausdehnung mehre. William Jay † 1853.
Gebet für Jesus, ein inhaltreiches Thema. - Täglicher Lobpreis eine Christenpflicht.
V. 16. Die Segensfrucht der Königsherrschaft Jesu auf Erden.
V. 17. Christus verherrlicht a) in der Gemeinde ("durch denselben gesegnet"), b) in der Welt ("alle Heiden"), c) in zukünftigen Zeiten ("bleiben", "sprossen"), d) in Ewigkeit. George Rogers 1871.
V. 18 f. 1) Wer soll gelobt werden? 2) Wer soll loben? 3) Wie lange und 4) wie weit soll dies Lob erschallen? 5) Welches Echo soll dies Lob finden? Amen, Amen.
V. 18b. Die Wunder des HERRN im Reich der Vorsehung und im Reich der Gnade.
Wer sich nur nach dem, was er fühlt, richtet, der verliert Christus. (Martin Luther)

Jörg
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PSALM 73 (Auslegung & Kommentar)


Überschrift

Ein Psalm Asaphs. Dieser Psalm ist der zweite, der dem Asaph zugeschrieben ist, und der erste in einer Reihe von elfen, welche den Namen dieses berühmten Sängers tragen. Man vergleiche die Vorbemerkungen zu dem 50. Psalm. David, die Sonne der Psalmdichtung, hat in dem Monde Asaph einen Trabanten.

Inhalt

Merkwürdigerweise ist der vorliegende 73. Psalm seinem Inhalt nach mit dem 37. nahe verwandt; es wird dem Gedächtnis junger Leute eine gute Hilfe sein, wenn sie auf die umgekehrten Zahlen achten. - Das Thema ist jener alte Stein des Anstoßens, über welchen auch die Freunde Hiobs, wie so viele brave Leute, nicht hinwegkommen konnten, nämlich das gegenwärtige Glück so vieler Gottlosen und die Leiden der Gottesfürchtigen. Heidnische Philosophen haben sich schon an diesem Rätsel zerarbeitet, das auch Glaubensmännern nur zu oft eine harte Anfechtung geworden ist.

Einteilung

Im 1. Vers bezeugt der Psalmdichter sein Gottvertrauen und stellt sich damit auf festen Grund, ehe er sich anschickt, seinen inneren Kampf zu erzählen. V. 2-14 legt er seine Anfechtung dar; V. 15-17 sehen wir ihn in großer Verlegenheit, wie er handeln solle; doch findet er zuletzt einen Ausweg aus der gefährlichen Klemme. Er beschreibt V. 18-20 mit Schaudern das Schicksal der Gottlosen, verurteilt sodann seine eigene Torheit und betet die Gnade Gottes an, V. 21-24; er schließt V. 25-28, indem er seinem Gott die Huldigung erneuert, den er mit frisch erglühender Liebe als sein Teil und seine Wonne umfasst.

Auslegung

1. Israel hat dennoch Gott zum Trost,
wer nur reines Herzens ist.


Ja wahrlich oder, wie andere ebenfalls richtig übersetzen, nur gut ist Gott gegen Israel. (Grundtext) Er ist nur gut, nichts als Güte gegen diejenigen, mit welchen er den Bund geschlossen hat. Er kann gegen sie nicht ungerecht oder unfreundlich handeln; seine Güte gegen sie ist unbestreitbar und ist ohne jede fremde Beimischung, ist rein und völlig. Gegen die, so reines Herzens sind. Diese sind das wahre Israel; nicht diejenigen, welche eine äußerliche, levitische Reinheit haben, sondern die, welche wirklich rein sind, rein im Innersten, im Mittelpunkt und Herd der ganzen Lebenstätigkeit. Für solche ist Gott die Güte selbst und muss es seinem Wesen nach sein. Der Verfasser des Psalms stellt dies als seine feste Überzeugung hin. Wir tun wohl, uns das, was uns gewiss ist, vor Augen zu stellen; denn das wird uns ein guter Ankergrund sein, wenn wir von den unheimlichen Stürmen bedrängt werden, die aus der Region dessen, was wir nicht verstehen, herausziehen. Was immer wahr oder nicht wahr sein mag in Bezug auf so manche geheimnisvolle und unerforschliche Dinge, so gibt es doch anderes, das ganz sicher ist. Die Erfahrung hat uns gewisse handgreifliche Tatsachen erfassen lassen; so wollen wir uns denn an diese fest anklammern. Das wird uns davor bewahren, von den Windstößen des Unglaubens hinweggefegt zu werden, die sich auch heute noch aus der Wüste erheben und wie Wirbelwinde an die vier Ecken unseres Hauses stoßen, um es womöglich über den Haufen zu werfen. Hilf mir, o Gott, dass ich, in wie große Unruhe und Verwirrung ich auch geraten mag, doch von Dir nie schlecht denke! Auch wenn ich dich nicht verstehen kann, lass doch meinen Glauben an dich nicht aufhören. Es muss dennoch so sein und kann sich nicht anders verhalten: du bist gut gegen die, welche du in deiner Gnade gut gemacht hast, und wirst das Herz, das du erneuert hast, nicht seinen Feinden in die Hände fallen lassen.

2. Ich aber hätte schier gestrauchelt mit meinen Füßen,
mein Tritt wäre beinahe geglitten.
3. Denn es verdross mich der Ruhmredigen,
da ich sah, dass es den Gottlosen so wohl ging.
4. Denn sie sind in keiner Gefahr des Todes,
sondern stehen fest wie ein Palast.
5. Sie sind nicht in Unglück wie andere Leute
und werden nicht wie andre Menschen geplagt.
6. Darum muss ihr Trotzen köstlich Ding sein,
und ihr Frevel muss wohlgetan heißen.
7. Ihre Person brüstet sich wie ein fetter Wanst;
sie tun, was sie nur gedenken.
8. Sie achten alles für nichts und reden übel davon
und reden und lästern hoch her.
9. Was sie reden, das muss vom Himmel herab geredet sein;
was sie sagen, das muss gelten auf Erden.
10. Darum fällt ihnen ihr Pöbel zu
und laufen ihnen zu mit Haufen wie Wasser;
11. und sprechen: Was sollte Gott nach jenen fragen?
Was sollte der Höchste ihrer achten?
12. Siehe, das sind die Gottlosen;
die sind glückselig in der Welt und werden reich.
13. Soll es denn umsonst sein, dass mein Herz unsträflich lebt
und ich meine Hände in Unschuld wasche?
14. Und bin geplagt täglich,
und meine Strafe ist alle Morgen da.


2. Nun beginnt die Erzählung von einem großen Seelenkampf, einem geistlichen Marathon, einer heißen, tapfer ausgefochtenen Schlacht, aus welcher der schon halb Unterlegene schließlich als vollkommener Sieger hervorging. Ich aber: Er stellt sich seinem allezeit guten Gott gegenüber; er gibt zu, dass er selber der Güte ermangle, und vergleicht sich dann auch mit denen, die reinen Herzes sind, und bekennt, dass er befleckt sei. Der HERR ist gut gegen seine Heiligen; ich aber - bin ich denn einer von diesen? Darf ich erwarten, an seiner Huld teilzuhaben? Doch ja, Anteil habe ich wohl an Gottes Liebe; aber ich habe mich ihrer nicht würdig betragen, bin in meinem Verhalten einem wirklich von Herzen Reinen sehr unähnlich gewesen. Ich hätte schier gestrauchelt mit meinen Füßen. Irrtümer, an denen Herz und Verstand zugleich beteiligt sind, beeinflussen bald auch den Wandel. Es besteht eine enge Verbindung zwischen dem Herzen und den Füßen. Asaph vermochte kaum zu stehen; mit seiner aufrechten Stellung war es vorbei, seine Knie knickten ein wie eine einstürzende Mauer. Wenn Menschen die Gerechtigkeit Gottes in Zweifel ziehen, kommt ihre eigene Unsträflichkeit bald ins Wanken. Mein Tritt wäre beinahe (um ein Haar) geglitten. Asaph kam keinen Schritt mehr vorwärts auf dem guten Wege; seine Füße gingen unter ihm durch, wie wenn er sich auf Glatteis befunden hätte. Er war zu aller nützlichen Tätigkeit unfähig und in großer Gefahr tatsächlicher Sünde; er war somit ganz nahe daran, einen schmählichen Fall zu tun. Wie sollten wir doch über dem wachen, was in unserem Herzen vorgeht, da es eine so mächtige Wirkung auf unseren Wandel ausübt! Das Geständnis, welches der Psalmdichter in unserm Vers ablegt, ist, wie es sich auch gebührt, sehr bestimmt und unumwunden.

3. Denn es verdross mich der Ruhmredigen. Diese fordern durch ihr übermütiges, prahlerisches Benehmen allerdings sehr die Unzufriedenheit heraus, und mancher, der innerlich nicht mehr gut auf dem Zeug ist, wird durch das Gebaren solcher Leute von der zehrenden Krankheit des Neides angesteckt. Andere übersetzen: Ich ereiferte mich über die Toren,1 und Toren sind ja in der Tat alle Gottlosen, sonderlich aber diejenigen, welche mit ihrer Gottlosigkeit prahlen und von dem Scheinglück, das sie genießen, so viel Geschrei machen. Es ist aber doch ein traurig Ding, wenn ein Erbe des Himmels wie Asaph hier bekennen muss: "Ich war neidisch;" schlimmer noch, wenn sein Geständnis so lauten muss: "Ich war neidisch auf die Toren." Und doch sind die meisten von uns, fürchte ich, dies Geständnis schuldig. Da ich sah, dass es den Gottlosen so wohl ging. Sein Blick war zu sehr nur auf eins gerichtet: er sah, wie es den Gottlosen in der Gegenwart ging, und vergaß darüber, welche Zukunft ihnen bevorsteht; er betrachtete den äußeren Schein und Glanz, der sie umgibt, und übersah den trostlosen Zustand ihrer Seele. Wer beneidet den Ochsen um sein Fett, wenn er an die Schlachtbank denkt? Dennoch ist mancher Gläubige in Zeiten der Trübsal schwer versucht gewesen, den Gottlosen ihren irdischen Überfluss zu missgönnen. Alles in allem hatte aber der reiche Mann wahrlich mehr Grund, den Lazarus zu beneiden, als dieser, auf jenen neidisch zu sein.

4. Denn sie haben keine Qualen bei ihrem Sterben. (And. Übers.2 Dies erwähnt der Psalmist an erster Stelle als besonders verwunderlich; denn wir erwarten in der Regel, dass sich in der ernsten Stunde des Todes zwischen den Frommen und den Gottlosen ein Unterschied zeigen wird und die letzteren augenscheinlich in Not geraten werden. Es herrscht auch heute noch bei einer Menge von Leuten die Anschauung, dass ein ruhiges Sterben ein glückliches Leben im Jenseits bedeute. Der Psalmdichter hatte aber beobachtet, dass vielfach das gerade Gegenteil wahr ist. Sorglose Menschen werden verhärtet und verharren sogar bis zum Ende in vermessener Sicherheit. Manche erschrecken wohl vor dem nahenden Gericht; aber noch zahlreicher sind die Leute, welche in Verblendung dahingegeben sind, dass sie der Lüge glauben. Mit Hilfe einer guten Dosis Morphium und ihres Unglaubens oder falschen Friedens gleiten sie ohne Kampf in die Ewigkeit. Wir haben manche gottseligen Menschen schwer von Zweifel und Seelenangst, die ihrem heiligen Ernst entsprangen, angefochten gesehen; aber die Gottlosen wissen nichts von solchen Nöten; sie kümmern sich weder um Gott noch um den Teufel. Sondern stehen fest wie ein Palast.3 Was kümmert sie der Tod? Sie haben eine eherne Stirn; ihre Frechheit hält den ernstesten Mahnungen gegenüberstand, sie bringen es fertig, sogar noch auf dem Sterbekissen Lästerungen auszustoßen. Das mag die Gottseligen mit Staunen und Schmerz erfüllen, sollte aber doch gewiss in ihnen keinen Neid erregen; denn in diesem Falle ist der schrecklichste innere Kampf der tiefsten Ruhe, welche die freche Vermessenheit erzeugen kann, unendlich vorzuziehen. Mögen die Gerechten sterben wie immer, mein Ende sei doch wie ihr Ende!

5. Sie sind nicht in Unglück wie andere Leute. Sie entrinnen all der langsam tötenden Mühsal, mit welcher die anderen Sterblichen sich quälen müssen, und scheinen gegen alles Unglück gefeit zu sein: "Dem Volk kann weder Wasser bei noch Feuer." (Schiller.) Sie brauchen sich nicht ums liebe Brot zu plagen, und der Wein läuft bei ihnen wie das Wasser aus dem Brunnen. Sie brauchen nicht zu fragen: Woher sollen wir Brot nehmen für unsere Kinder und Kleider für unsere Kleinen? Das sonst allen Menschen gemeine häusliche und persönliche Ungemach scheint sie ganz zu verschonen. Und werden nicht wie andre Menschen geplagt. Keine schweren Trübsalsstürme erheben sich wider sie; sie brauchen sich nicht unter Gottes Zuchtrute zu winden. Während viele Fromme in Armut und Leiden sind, weiß mancher Gottlose von beiden nichts. Er ist schlechter als andere Menschen und hat es doch besser als sie. Er pflügt am wenigsten und hat das meiste Futter. Er verdient die heißeste Hölle und hat das behaglichste Nest. Dies alles ist dem Auge des Glaubens durchsichtig, denn der Glaube löst das Rätsel; aber dem trüben Blick des natürlichen Verstandes scheint es ein unlösbares Gewirr von Widersprüchen. Doch - es ist ja das Los der Gottlosen, hernach nichts zu haben; so lasst sie hienieden genießen, soviel immer möglich; was sie besitzen, sind ja doch nur Dinge untergeordneten Wertes, und dass eben solche Leute sie besitzen, soll uns gerade lehren, die vergänglichen Dinge nur gering einzuschätzen. Wenn das irdische Gut von hohem Wert wäre, würde der HERR nicht ein so großes Maß davon solchen geben, die an seiner Liebe am wenigsten teilhaben.

Fußnoten
1. In dem ersten deutschen Psalter (aus dem Jahre 1524) übersetzte Luther das Wort: die Tollen, und diese Übersetzung entspricht der Grundbedeutung. Es ist von Leuten die Rede, die sich durch lautes, lärmendes, unsinniges Gebaren hervortun. Wir sind ihnen schon Ps. 5,6 begegnet und werden sie bald wieder treffen, Ps. 75,5.

2. So ist wohl mit den LXX der überlieferte Text zu deuten. Doch spricht V. 19 dagegen, und es wäre überdies auffallend, wenn der Dichter die Schilderung des Glückes der Gottlosen mit der Schmerzlosigkeit ihres Todes begänne und dann erst (V. 4b Grundtext) auf ihre Gesundheit zu sprechen käme. Daher folgen die meisten neueren Ausleger der Mutmaßung Mörls (1737), es sei Mtf Omlf zu lesen und MtIf zu der zweiten Vershälfte zu ziehen; Sie haben keine Qualen, vollkräftig (MtIf, vergl. Hiob 21,23) und wohlgenährt ist ihr Leib.

3. Die meisten Neueren übersetzen das fragliche MlfW): ihr Leib oder besser ihr Wanst. Zum Sinn des Ganzen vergl. man die vorhergehende Anm. Luther denkt, nach dem Vorgang des Symm. und Hieronymus, irrtümlich an MlW) Säulenhalle.
Wer sich nur nach dem, was er fühlt, richtet, der verliert Christus. (Martin Luther)

Jörg
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6. Darum ist Hochmut ihr Halsgeschmeide. (Wörtl.) Sie halten sich selber für so große Leute, als ob sie Ratsherren im neuen Jerusalem wären; sie bedürfen keines andern Schmucks als ihrer eigenen Hoffart. Kein Juwelier könnte sie geziemend schmücken; sie tragen ihren Stolz als einen Halsschmuck, der die schwerste goldene Kette an prunkendem Glanz übertrifft. Gewalttat umhüllt sie als Gewand. (Grundtext) Statt sich der Unbill, die sie den Geringen antun, zu schämen, putzen sie sich damit heraus. Sie tragen die Livree des Teufels und finden sie schön. Sowie man sie sieht, merkt man, dass man ihnen Platz machen muss; denn sie sind fest entschlossen, ohne Rücksicht auf die Gefühle und Rechte ihrer Mitmenschen ihren Willen durchzusetzen und ihre Zwecke zu erreichen. Sie prahlen und poltern, wüten und wettern, als ob sie einen Freibrief hätten, auf scharf beschlagenen Rossen über die ganze Menschheit hinzureiten.

7. Ihre Augen glotzen aus dem Fett hervor. (Grundtext) Bei übermäßig korpulenten Leuten werden die Augen gewöhnlich durch das sie einschließende Fett dem Anschein nach kleiner, hie und da treten sie aber auch glotzend aus dem Schmergesicht hervor; in beiden Fällen verliert das Antlitz seine menschliche Form und nähert sich dem eines fetten Schweins. Das Angesicht zeigt in solchem Fall deutlich, wie der Mensch beschaffen ist, dem es gehört: er hat mehr als genug, er ist mit Wohlleben übersättigt und gehört doch zu den Gottlosen, die Gott ein Gräuel sind. Es wallen über die Gedanken ihres Herzens. (Grundtext) Was sie im Herzen denken und planen, bricht wie eine durch nichts zurückzuhaltende Flut in frechen Reden und Taten hervor. Nichts hält sie in Schranken. Sie tun, was sie nur gedenken, und kennen keinen Zaum noch Zügel ihrer bösen Begierden und ihres stolzen Selbstgefühls. Die englische Bibel hat die Worte mit mehreren Rabbinern und Calvin anders verstanden: Ihre Erfolge gehen über die Gedanken ihres Herzens hinaus; sie haben mehr, als das Herz wünschen kann. Alle ihre Wünsche werden erfüllt, und mehr als das: ihre Gier wird noch übertroffen von dem, was ihnen zufällt. Sie begehren einen Trunk Wassers, und die Welt reicht ihnen Milch; sie verlangen Hunderte, und Tausende werden ihnen zu Füßen gelegt. Das Herz ist gierig ohne Maß, und doch scheint es bei manchen gottlosen Millionären, die mit einem Sardanapal (ein assyrischer König) an Üppigkeit und Verschwendung wetteifern, als würden ihre Wünsche noch überboten und übersteige die Fülle ihrer Krippe noch ihre Fressgier.

8. Sie achten alles für nichts. Ihr loser Mund höhnt und spottet über alles; nichts ist ihnen heilig oder ehrwürdig, frech setzen sie sich über alle Autoritäten hinweg. Und reden boshaft Unterdrückung. (Grundtext4) Ihr Inneres ist voller Bosheit; das wird an dem, was sie reden, offenbar: sie reden Unterdrückung, verteidigen die Gewalttätigkeit, als hätte diese das größte Recht, rühmen sich ihrer und möchten sie zur allgemeinen, unter allen Völkern herrschenden Regel machen. "Was sind die Armen? Wozu sind sie auf der Welt? Wozu anders, als sich zu plagen und zu schinden, damit die Leute von Bildung und Stand sich amüsieren können? Zum Henker mit dem Pack, das von seinen Rechten schwatzt! Eine Bande betrügerischer Volksverführer reizt sie aus, um sich mit der Wühlerei ein leichtes Brot zu verschaffen. Lasst die Leute arbeiten wie Pferde und füttert sie wie Hunde, und wenn sie es wagen sich zu beschweren, so werft sie ins Loch oder lasst sie im Arbeitshaus sterben!" Es gibt auch heute noch nur zu viel solcher ruchlosen Reden, und wiewohl die arbeitenden Klassen ihre Fehler und zum Teil sehr große und bedenkliche Fehler haben, so gibt es doch eine Sorte Menschen, die von jenen sprechen, als ob sie eine niedrige Art Tiere wären. Gott vergebe den Elenden, die solche Reden führen. Und reden und lästern hoch her, wörtl.: sie reden von oben herab. Hoch wie ein Schornstein blicken sie ins Land hinaus, und wie bei einem solchen ist, was aus ihnen kommt, schwarz und schmutzig. Sie haben ein großes Maul wie Goliath, ihre Sprache ist an Kraftausdrücken überreich, ihre Prahlerei großartig. Sie haben die Weisheit gepachtet und wissen in allem Bescheid; sie sprechen als vom Richterstuhl und erwarten, dass alle Welt sich vor ihnen bücke.

9. Sie richten ihren Mund gegen den Himmel.5 Gegen Gott selbst schleudern sie ihre Lästerungen. Hört man sie, so sollte man meinen, sie wären selber Halbgötter und reichten mit ihrem Haupt bis über die Wolken; denn sie sprechen von oben herab auf die anderen Menschen nieder, als ob sie eine unvergleichlich erhabene Stellung einnähmen. Doch dürften sie Gott füglich in Ruhe lassen; denn ihr Hochmut macht sie Gott schon genug zu Feinden, ohne dass sie ihn noch durch Lästerreden herausfordern müssten. Und ihre Zunge ergeht sich auf Erden. (Wörtl.) In vielgeschäftigem Müßiggang durchziehen sie alle Lande, um Opfer für ihre Verleumdungen und Ohrenbläsereien zu finden. Ihre Zunge lauert in jedem Winkel fern und nah und schont niemandes. Gleich den Schlangen lassen sie überall, wo sie gehen, ihren Schleim zurück; wäre noch ein Paradies auf Erden zu finden, so würde seine Unschuld und Schönheit es nicht vor ihrem Unflat schützen. Sie selber sind ungemessener Ehren wert, alle übrigen Menschen aber, mit Ausnahme einiger weniger, die ihnen als Schmarotzer ankleben, sind Schurken, Narren, Heuchler oder noch etwas Schlimmeres. Wenn diese Großmäuler sich auf Erden ergehen, dann wehe denen, die ihnen begegnen; denn sie stoßen alle, die ihren Weg kreuzen, in die Gossen und Pfützen. Leider ist es unmöglich, ihnen allezeit zu entgehen, denn sie wandeln in der alten und in der neuen Welt umher und machen ihre Reisen zu Wasser und zu Land. Die Städte sind von ihnen nicht frei, und die Dörfer wissen ebenfalls von ihnen. Sie wegelagern auf den Reichsstraßen, aber sie jagen auch in Feld und Busch. Ihre Peitsche hat einen langen Schweif und trifft beides, Hohe und Niedere.

10. Darum wendet sich sein Volk hierher.6 (Wörtl.) Die Worte sind dunkel. Manche Ausleger beziehen das "sein" auf Gott: so groß ist die Anziehungskraft dieser von Geld und Glück strotzenden Frevler, dass Gottes auserwähltes Volk abtrünnig wird und sich ihrem gottlosen Wesen zukehrt. Näher liegt es, trotz des plötzlichen Übergangs in die Einzahl als Attribut zu Volk die Frevler zu denken, von denen ja im ganzen Psalm die Rede ist. Der plötzliche Übergang in die Einzahl erklärt sich wohl daraus, dass der Psalmdichter hier einen der Rädelsführer vor andern ins Auge fasst. Und Wasser in Fülle wird von ihnen geschlürft. (Wörtl.) Gierig saugen die Betörten die verderblichen Lehren jener Volksverführer ein. Armes Volk, das den edlen Wein der göttlichen Wahrheit verschmäht und stattdessen die wässerigen Irrlehren frecher Gottesleugner schlürft!

11. Und sprechen: Wie weiß denn Gott (wörtl.), d. h.: Wie kann Gott es wissen? So wagen die Gottlosen zu reden. Sie. schwatzen sich vor, der Himmel beachte es nicht, dass sie die Frommen und Elenden unterdrücken und verfolgen. Wenn es überhaupt einen Gott gibt, so ist er doch gewiss viel zu sehr mit andere Dingen beschäftigt, als dass er wissen sollte, was auf dieser Welt vorgeht. Mit solch törichten Gedanken trösten sie sich, wenn ihnen Gerichte angedroht werden. Wiewohl sie von ihrem eigenen Wissen so viel halten, haben sie doch die Stirn zu fragen: Und wie gäbe es ein Wissen (um solches) beim Höchsten? Heißen sie nicht mit Recht Toren? Gott und nicht wissen -.wer anders als ein Narr kann diese beiden Begriffe verbinden? Solcherart ist aber gerade die tatsächliche Torheit der gottvergessenen Deisten der neueren Zeit, die sich zwar Deisten oder Gottesbekenner nennen, weil es nicht zum guten Ton gehört, ausgesprochen ungläubig zu sein, die aber ohne allen Zweifel in Wirklichkeit Atheisten sind; leugnen sie doch entschieden den Gott der Offenbarung.7

12. Siehe, das (oder, vergl. Hiob 18,21: so beschaffen) sind die Gottlosen, die sind glückselig in der Welt. Siehe! Schaut her und verwundert euch; denn hier ist das stehende Rätsel, der gordische Knoten der Vorsehung, der Stein, an dem schon so mancher redliche. Gläubige sich empfindlich gestoßen hat. Die Ungerechten werden belohnt, ihnen werden alle Wünsche erfüllt. Von Jugend auf schwimmen diese Menschen im Glück, sie, die es wert wären, im schrecklichsten Elend zu ertrinken. Sie verdienten es, in Ketten aufgehängt zu werden, und man hängt ihnen goldene Ketten um den Hals; sie wären es wert, aus der Welt herausgejagt zu werden, und doch fällt die ganze Welt ihnen als Besitz zu. Sie sollten von Rechts wegen Tag und Nacht keinen Augenblick Ruhe haben, und doch sind sie, wie der Grundtext wörtlich lautet, in steter Ruhe, erfreuen sich immerdar ungestört ihres Wohllebens. Die arme, kurzsichtige Vernunft ruft: "Seht nur! Verwundert euch und staunet und bringt das mit der Gerechtigkeit der Vorsehung in Einklang, wenn ihr könnt!" Und werden reich, wörtlich (mit dem Vorhergehenden): und häufen in steter Ruhe Reichtum (oder Macht) an. Vermögen und Einfluss sind ihre Aussteuer. Sie haben nicht den Schuldturm zu fürchten, sie erliegen nicht dem Bankrott, sondern Raub und Wucher häufen ihr Vermögen. Geld kommt zu Geld, die Dukaten fliegen in Haufen herzu, dass die Reichen noch reicher, die Stolzen noch stolzer werden. HERR, wie soll man das begreifen? Deine elenden Knechte, die nur immer ärmer werden und unter ihren Bürden seufzen, müssen sich wundern über deine geheimnisvollen Wege.

13. Soll es denn umsonst sein, dass mein Herz unsträflich lebt? Oder, wie die meisten mit der engl. Bibel in noch schärferem Ton übersetzen: Fürwahr, umsonst habe ich mein Herz rein erhalten! Der arme Asaph! Er zieht den Wert der Heiligkeit in Frage, weil ihr Lohn in der Münze der Trübsal ausbezahlt wird. Ohne irgendwelchen Nutzen hat er sich der Unsträflichkeit beflissen, keinerlei Vorteil hat er von der Reinheit seiner Gesinnung geerntet; denn diejenigen, deren Herz im Schmutz lebt, sind erhöht und weiden sich an dem Mark des Landes. Solch törichte Schlüsse machen die weisesten Menschen, wenn ihr Glaube einschläft. Asaph war ein Seher (2. Chr. 29,30), aber er konnte nichts sehen, als ihn die Vernunft im Dunkeln stecken ließ; selbst die heiligen Seher bedürfen zum Sehen des Sonnenlichtes der geoffenbarten Wahrheit, sonst tasten sie umher wie die Blinden. Nach der Gegenwart der zeitlichen Umstände mag der Schluss allerdings berechtigt scheinen, dass die Gerechten sich ganz umsonst einer unsträflichen Gesinnung beflissen hätten; aber wir sollen ja nicht nach dem Augenschein urteilen. Und ich meine Hände in Unschuld wasche. Asaph hatte auf seine Hände so sorgsam achtgehabt wie auf sein Herz, hatte seinen äußeren Wandel so reingehalten wie seine innere Gesinnung, und es war ein peinlicher Gedanke, dass ihm dies alles ohne Nutzen gewesen sei und ihn sogar in einer schlimmeren Lage gelassen habe als Weltleute mit schmutzigen Händen und einem schwarzen Herzen. Gewiss muss gerade dies, dass der Schluss, den Asaph zog, so schrecklich war, dazu geholfen haben, ihn in seinem Herzen als unhaltbar zu beweisen; es konnte nicht wirklich so sein, solange Gott Gott ist. Der Schluss roch doch zu stark nach einer Lüge, als dass er in dem Herzen dieses redlichen Mannes lange hätte geduldet werden können. So sehen wir denn auch bald, schon nach wenigen Versen, dass Asaphs Sinn sich einer anderen Richtung zukehrt.

14. Und bin geplagt täglich, wörtl.: den ganzen Tag, d. i. immerfort. Er wurde gezüchtigt von dem Augenblick, da er aufwachte, bis zu der Zeit, da er sich zu Bett legte. Und seine Leiden zogen sich nicht nur in die Länge, sondern erneuerten sich mit jedem anbrechenden Tag: und meine Strafe ist alle Morgen da. Welch greller Gegensatz zu dem Lose der Gottlosen! Für die Verworfenen gibt es Kränze, für die Auserwählten Kreuze. Wie seltsam: die Heiligen müssen seufzen und die Sünder können singen. Den Friedensstörern wird Ruhe gegönnt, während den Friedensstiftern die Ruhe verweigert wird. Der niedergeschlagene Prophet grübelte über diese Rätsel der Vorsehung und konnte aus dem Labyrinth seiner Gedanken nicht herausfinden. Die Lebensführungen der Menschen schienen ihm ein dicht verworrener Knäuel zu sein. Wie konnte der gerechte Richter es zulassen, dass die Dinge so auf den Kopf gestellt wurden und der ganze Lauf der Gerechtigkeit auf so schiefe Bahn geriet?
Die Sache wird hier sehr deutlich zur Sprache gebracht, und gar mancher Christ wird in dem entworfenen Bilde seine eigenen Erfahrungen wiedererkennen. Auch wir haben solche Knoten zu lösen versucht und uns dabei die Finger wund gerieben und die Zähne zerbrochen. Wir haben unsere Weisheit teuer erkauft, aber erlangt haben wir sie, und seither erhitzen wir uns nicht mehr über die Bösewichter (Ps. 37,1); denn der HERR hat uns gezeigt, was ihr Ende sein wird.

Fußnoten
4. Nach der Satzteilung der Masora. Doch ist es ansprechender, mit Luther nach den LXX q#(, Unterdrückung, zum zweiten Versglied zu ziehen.

5. So die engl. Bibel nach den LXX, ebenso Bäthgen, Delitzsch usw. Andere stimmen Luthers Übersetzung zu.

6. Oder nach anderer Lesart: wendet er sein Volk hierher. Bei diesem Vers haben wir, wie auch sonst hie und da in ähnlichen Fällen, Spurgeons Auslegung als gar zu gewaltsam streichen zu müssen geglaubt. Spurgeon deutet nämlich das hierher seltsamerweise: zu Gott, so dass sich der Sinn ergibt: Darum wendet sich sein (Jehovas) Volk (betend) zu Gott, und versteht die zweite Vershälfte (wie schon Kimchi) an der Hand der engl. Übers. (und Wasser eines vollen Bechers wird ihnen ausgepresst) von dem Tränenkelch der Frommen.

7. Der englische Deismus, der von der Mitte des 17. bis in die Mitte des 18. Jahrhunderts herrschte, wollte zwar zunächst einen Kern des Christentums aus der Schale der Überlieferung herausschälen, entwickelte sich aber immer mehr zur Opposition gegen den wesentlichen Inhalt der göttlichen Offenbarung.
Wer sich nur nach dem, was er fühlt, richtet, der verliert Christus. (Martin Luther)

Jörg
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15. Ich hätte auch schier so gesagt wie sie;
aber siehe, damit hätte ich verdammt alle deine Kinder, die je gewesen sind.
16. Ich gedachte ihm nach, dass ich’s begreifen möchte;
aber es war mir zu schwer,
17. bis dass ich ging in das Heiligtum Gottes
und merkte auf ihr Ende.


15. Der Versanfang lautet wörtlich: Wenn ich (bei mir) gesprochen hätte: "Ich will demgemäß erzählen", was wir etwas freier wiedergeben: Wenn ich mir vorgenommen hätte, mich also auszusprechen. Es ist nicht immer klug, dem, was man denkt, Ausdruck zu geben. Wenn unsere törichten oder argen Gedanken in uns verschlossen bleiben, schaden sie wenigstens nur uns selber; sind sie aber einmal ausgesprochen, so kann das Unheil, das sie anrichten, groß sein. Von den Lippen eines solchen Mannes kommend, wie der Dichter unseres Psalms einer war, wären die Äußerungen, welche sein Unmut ihm nahelegte, für die ganze Brüderschaft der Frommen ein schwerer Schlag gewesen und hätten sie tief entmutigt. Er durfte sich daher nicht entschließen, diese Gedanken, solange er sich noch nicht zur Klarheit durchgerungen hatte, vor anderer Ohren zu äußern; so hielt er sie denn zurück, und er tat daran wohl, denn in seinem Fall waren die Nachgedanken weitaus die besseren. Siehe, so hätte ich treulos gehandelt am Geschlecht deiner Kinder. (Wörtl.) Er hätte sie geärgert und betrübt und wohl gar verführt, selber auch an Gott irre zu werden. Wir müssen stets bedenken, welche Wirkung unser Reden auf die andern, insonderheit auch auf die Gemeinde Gottes haben kann. Wehe dem Menschen, durch welchen Ärgernis kommt! Übereilte, innerlich nicht verarbeitete, schlecht überlegte Äußerungen haben viel von dem Groll der Herzen und der Verwirrung in den Gemeinden zu verantworten. Wollte Gott, dass die Leute ihre Zunge wie Asaph im Zaum hielten! Wo wir irgendwie Verdacht schöpfen, wir könnten Unrecht haben, ist es besser, still zu sein. In solchen Dingen den Mund zu halten kann nicht schaden; dagegen kann es das größte Unheil anrichten, wenn wir in Hast und Unruhe gefasste Meinungen ausbreiten. Gottes Kindern durch treuloses Handeln und Verrat an der Wahrheit Verdruss und Versuchungen zu bereiten ist eine so abscheuliche Sünde, dass die Verkäufer von Irrlehren ihre Waren nicht mit so geläufiger Zunge ausrufen würden, wenn ihr Gewissen nicht wie mit einem glühenden Eisen gebrannt wäre. Redeweisen, welche den Eindruck hinterlassen, als handle der HERR ungerecht oder unfreundlich, sind, besonders wenn sie dem Munde solcher entschlüpfen, die wegen ihrer Ehrenhaftigkeit und Erfahrung allgemein geschätzt sind, so gefährlich wie Feuerbrände unter der Spreu. Von den Schlechtgesinnten werden sie zu lästerlichen Zwecken benutzt, und die furchtsamen, zaghaften Seelen werden sicher durch sie noch tiefer zu Boden gedrückt.

16. Ich gedachte ihm nach, dass ich’s begreifen möchte; aber es war mir zu schwer. Äußerlich konnte er wohl still sein, um ja keinem Gliede der Gottesfamilie zu schaden; aber in seinem Innern, da goren und kochten seine Gedanken und erfüllten ihn mit unerträglicher Pein. Das Reden hätte ihm vielleicht in einer Hinsicht Erleichterung verschafft; aber da es ein anderes, größeres Übel verursacht hätte, verschmähte er ein so gefährliches Hilfsmittel. Doch wühlten dabei noch immer die von Anfang empfundenen Schmerzen in seinem Busen und wurden sogar immer schlimmer, bis sie ihn ganz zu überwältigen drohten. Heimlicher Gram ist schwer zu ertragen. Die Gewissenhaftigkeit gegen andere nötigt uns, den Wolf unter unserm Gewand verborgen zu halten; aber dieser Sieg des Gewissens wird teuer erkauft, denn das Untier nagt da im Verborgenen an unserm Leben. Feuer, das heimlich in den Gebeinen brennt, wütet ärger, als wenn es sich durch den Mund Luft machen kann. Wer Asaphs verzweifelte Lage aus Erfahrung kennt, wird ihn bemitleiden, wie es andere nicht vermögen.

17. Bis dass ich ging in das Heiligtum Gottes. Sein innerer Sinn drang in die Ewigkeit ein, wo Gott als in seinem Heiligtum thront; er trat aus dem Kreis des sinnlich Wahrnehmbaren ein in die Grenzen des Unsichtbaren. Sein Herz schaute hinter den Vorhang; er nahm seinen Stand da, wo der dreimal heilige Gott steht. Und wunderbar: bei dieser Veränderung des Standpunktes, von dem aus er die Dinge betrachtete, löste sich die augenscheinlichste Unordnung in Harmonie auf! Die Planeten laufen, von unserer Erde aus betrachtet, die selber auch nur ein Wandelstern ist, wirr durcheinander: die einen scheinen vorwärts, die andern rückwärts zu gehen, noch andere stillzustehen; könnten wir aber unsere Sternwarte auf der Sonne errichten, die der Mittelpunkt des ganzen Systems ist, so würden wir wahrnehmen, dass die Wandelsterne alle in vollkommener Ordnung um das Haupt der großen Weltenfamilie kreisen. Und merkte auf ihr Ende. Bisher hatte sein Blick nur an der Gegenwart gehaftet; das war ein zu enger Gesichtskreis, als dass Asaph sich ein richtiges Urteil zu bilden vermocht hätte. Sobald aber sein Blick erweitert ward, änderte sich auch sein Urteil: in Gottes Heiligtum ward ihm das Auge geöffnet, dass er die Zukunft der Gottlosen sah, und die unmittelbare Folge davon war, dass seine Seele sich nicht mehr über ihr gegenwärtiges Glück ereiferte. Nicht mehr nagt jetzt der Neid an seinem Herzen, sondern ein heiliger Schrecken erfüllt seine Seele, sowohl vor dem über ihnen schwebenden Schicksal als vor ihrer gegenwärtigen Schuld. Er schaudert davor zurück, in derselben Weise behandelt zu werden wie die stolzen Sünder, deren Glück er eben noch mit Bewunderung betrachtet hatte.

18. Ja, du setzest sie aufs Schlüpfrige
und stürzest sie zu Boden.
19. Wie werden sie so plötzlich zunichte.
Sie gehen unter und nehmen ein Ende mit Schrecken.
20. Wie ein Traum, wenn einer erwacht,
so machst du, Herr, ihr Bild in der Stadt verschmäht.


18. Was den Psalmdichter so tief gegrämt hatte, war nicht so sehr die Tatsache, dass es den Gottlosen so wohl geht, als dass Gott es so geordnet hat. Wäre es von ungefähr, dann hätte er sich wohl darüber gewundert, aber keinen Grund zum Klagen gefunden; wie aber der allweise Lenker der Geschicke seine zeitlichen Gunstbeweise so verteilen könne, das war die den Psalmdichter quälende Frage. Da sieht er nun auf einmal, dass Gott diese Menschen absichtlich in wohlhäbige und glänzende Umstände versetzt, nicht um sie zu segnen, sondern zum geraden Gegenteil. Ja, du setzest sie aufs Schlüpfrige. Ihre Stellung ist voller Gefahren; darum setzt der HERR nicht seine Freunde, sondern nur seine Feinde auf solches Glatteis. Für seine Auserkorenen wählt er in seiner weisen Liebe einen raueren, aber sichereren Stand. Und stürzest sie zu Boden, wörtl.: zu Trümmern. Die gleiche Hand, die sie den Tarpejischen Felsen hinaufgeführt hatte, schleuderte sie von dannen hinab. Nicht aus Gunst, sondern kraft richterlicher Verfügung wurden sie erhöht, damit das Urteil in um so schaurigerer Weise an ihnen vollstreckt werde. Die Gerichte der Ewigkeit werden im Gegensatz zu der früheren Wohlfahrt derjenigen, welche ihnen entgegenreifen, um so furchtbarer sein. Im Ganzen genommen ist die Lage der gottfeindlichen Menschen durch und durch schrecklich, und ihre zeitliche Freude macht in Wirklichkeit, statt das Schaurige zu mindern, die Sache nur umso entsetzlicher, gerade wie bei einem Unwetter das Leuchten des Blitzes die dicke Finsternis, welche ringsum herrscht, nicht aufheitert, sondern desto schwärzer erscheinen lässt. Dass Haman so hoch hinaufsteigen musste an den unseligen, fünfzig Ellen hohen Galgen, diente wesentlich dazu, den Schrecken des Urteils: "Hängt ihn daran!" zu vermehren. Würden die Gottlosen nicht so hoch erhöht, so könnten sie nicht so tief fallen.

19. Wie werden sie so plötzlich zunichte, wörtl.: zur Wüste. Ein Ausruf gottseliger Verwunderung darüber, dass das Verderben so unvermutet und mit so vernichtender Gewalt über die sicheren Sünder hereinbricht. Hals über Kopf stürzen sie hin; ohne Vorwarnung, ohne eine Möglichkeit des Entrinnens, ohne die Hoffnung, sich je wieder zu erheben. Trotz ihrer goldenen Ketten und Ehrenzeichen, trotz ihrer prächtigen Gewandung macht der Tod mit ihnen keine Umstände, sondern jagt sie vor sich her, und die strenge Gerechtigkeit stößt sie, von ihrem Reichtum unbestochen, ins Verderben. Sie gehen unter und nehmen ein Ende mit Schrecken. Es bleibt ihnen weder Wurzel noch Zweig. Unter den Menschenkindern dieser Welt existieren sie nicht mehr, und in der jenseitigen Welt ist nichts mehr übrig von all ihrer Herrlichkeit. Gleich Bäumen, die vom Blitz getroffen sind und nun ihre dürren Äste in die Lust strecken, sind sie Denkmale der rächenden Gerechtigkeit; wie die Ruinen von Babel enthüllen sie durch die Schrecklichkeit ihrer Verwüstung, wie furchtbar der HERR Gericht übt an allen, die sich ungebührlich selbst erhöhen. Die Augenblicksherrlichkeit profaner Menschen ist in einem Augenblick ausgelöscht, ihre Hoheit in einem Nu dahin für immer.

20. Wie einen Traum nach dem Erwachen, so verschmähst du, Herr, wenn du erwachst,8 ihr (Schatten-) Bild. (Grundtext) Dass sie noch leben und wohlgedeihen, verdanken sie der Langmut Gottes, welche der Psalmdichter einem Schlummer vergleicht; wie aber ein Traum, sobald der Mensch erwacht, verschwindet, so wird auch in dem Augenblick, da der HERR seine Gerechtigkeit auszuüben und die Menschen vor sich zu rufen beginnt, der Prunk und die Wohlfahrt der stolzen Übertreter in ein Nichts zusammenschmelzen. Wenn Gott zum Gericht erwacht, werden diejenigen, welche ihn verachten, wieder verachtet werden. Schon jetzt sind sie ihrem nichtigen Wesen nach den Träumen gleich; dann aber wird das fundamentlose Gebäude so zusammenbrechen, dass nicht einmal eine Ruine zurückbleibt. Lasst sie doch die kleine Zeit, welche sie haben, sich aufblähen, die armen, hohlen Schaumgebilde, sie werden bald dahin sein; wenn der Tag anbricht und der HERR wie ein Starker aus seinem Schlaf erwacht, werden sie vergehen. Wer kehrt sich an den Reichtum des Fabellandes? Wer anders als Narren? HERR, überlass uns nicht dem Wahnsinn, der nach nichtigen Gütern trachtet, sondern lehre uns allezeit deine wahre Weisheit!

Fußnote
8. ry(ibbIf für ry(ihfbI:.
Wer sich nur nach dem, was er fühlt, richtet, der verliert Christus. (Martin Luther)

Jörg
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21. Da es mir wehe tat im Herzen
und mich stach in meinen Nieren,
22. da war ich ein Narr und wusste nichts,
ich war wie ein Tier vor dir.
23. Dennoch bleibe ich stets an dir;
denn du hältst mich bei meiner rechten Hand,
24. du leitest mich nach deinem Rat
und nimmst mich endlich mit Ehren an.


21. Der heilige Dichter schaut hier abermals auf seinen inneren Kampf zurück und erteilt sich selber eine Rüge wegen seiner Torheit. Seine Seelenpein war äußerst heftig gewesen. Er sagt: Da es mir wehe tat in meinem Herzen. Sein Kummer saß tief und war derart, dass sein Innerstes davon durchbohrt ward. Sein Herz war verbittert worden; das ist wohl die Meinung des Grundtextes. Er hatte sich zu herben, finstern Urteilen hinreißen lassen. Er war voll bitterer Galle geworden, melancholisch und cholerisch; er hatte sein eigenes Leben an seiner Quelle vergiftet, so dass alles, was daraus hervorströmte, bitter wie Galle war. Und mich stach in meinen Nieren. Er war so voller Schmerzen wie jemand, der von einem Nierenleiden heimgesucht ist; seine harten Gedanken saßen wie so viele Gallensteine in seinen Eingeweiden. Er war jämmerlich elend und ganz in Traurigkeit versenkt, und das alles durch eigene Schuld, infolge der Betrachtungen, welche er angestellt hatte. Welch jämmerliche Philosophie, die das Gemüt auf die Folter spannt und rädert! Aber gesegnet sei der Glaube, der die Inquisitoren davontreibt und den Gefangenen in Freiheit setzt!

22. Da war ich ein Narr. Wiewohl er ein Heiliger Gottes war, hatte er doch gehandelt, als ob er einer der Toren wäre, welche Gott verabscheut. Hatte er diese nicht sogar beneidet? Und was ist das anders, als zu wünschen, ihnen gleich zu sein? Die weisesten Menschen haben Torheit genug in sich, dass diese sie verderben würde, wenn die Gnade dem nicht vorbeugte. Und wusste nichts. Er hatte gehandelt, als ob er gänzlich unwissend wäre, hatte gebabbelt wie ein Blödsinniger, hatte albernes Zeug geschwatzt wie ein Fieberkranker. Er weiß nicht, wie den rechten Ausdruck finden für das lebhafte Gefühl, wie albern er gewesen war. Ich war wie ein Tier vor dir. Sogar in Gottes Gegenwart9 hatte er sich unmenschlich dumm und sinnlich benommen. Wie der Ochse, der Gras frisst, nur ein irdisches Leben hat und daher auch die Dinge nur nach dem Wert, den sie für dies zeitliche Dasein haben, und nach dem sinnlichen Vergnügen, das sie gewähren, beurteilt, geradeso hatte der Psalmdichter das Glück nach dem Maßstab dieses sterblichen Lebens geschätzt, nach dem äußeren Schein und in Hinsicht auf das Ergötzen des Fleisches. So hatte er sich zu der Zeit der Würde eines mit einem unsterblichen Geist begabten Wesens begeben und, als ob er ein Tier wäre, nur nach dem, was seine Augen sahen, geurteilt. Wir verspüren keine Neigung, einen von Gott als Propheten gebrauchten Mann ein Vieh zu nennen; diesen selber aber führte die Buße dazu, sich also zu bezeichnen, ja er braucht wohl des Nachdruckshalber die Form der Mehrzahl. Manche Erklärer fassen das Wort (behemoth) sogar als Namen des Nilpferdes auf, in welcher Bedeutung es bei Hiob 40,15; vorkommt, so dass Asaph sich wenig schmeichelhaft ein Rhinozeros nennen würde! Wie dem auch sei, es ist ein Erweis seiner Weisheit, dass er sich so tief bewusst war, töricht gewesen zu sein. Wir sehen, wie schmerzlich gute Menschen es beklagen, wenn sie geistige Irrwege gegangen sind; sie suchen sich nicht zu entschuldigen, sondern stellen ihre Sünden an den Pranger und überhäufen sie mit den verächtlichsten Schmähworten. O dass uns Gnade gegeben werde, das Böse in jeglicher Gestalt zu verabscheuen!

23. Dennoch bleibe ich stets an dir, wörtl.: mit dir (verbunden). Er lässt seinen Glauben nicht fahren, wiewohl er die Torheit seines Herzens bekennt. Die Sünde mag uns viel Not machen, und wir mögen dabei dennoch mit Gott in Gemeinschaft stehen. Die Sünde freilich, die wir lieben und hegen, die scheidet uns von Gott; wenn wir das Böse aber von Herzen beklagen, so wird der HERR sich uns nicht entziehen. Welchen Gegensatz finden wir hier zwischen diesem und dem vorhergehenden Vers. Asaph ist wie ein Tier, und doch bleibt er stets an Gott! Wie unsere Doppelnatur stets Streit heraufbeschwört, so ist sie auch selbst ein fortwährendes Paradoxon (ein scheinbar widersinniges Ineinander von Widersprüchen): das Fleisch macht uns den Tieren, der Geist Gott verwandt. Denn du hältst mich bei meiner rechten Hand. Wörtl.: Du hast mich erfasst bei der Hand meiner rechten Seite. Wie später ein Paulus darin reiche Stärkung seines Glaubens und Eifers fand, dass er sich von Christus Jesus ergriffen wusste (Phil. 3,12), so gründete Asaph die Gewissheit seiner dauernden Verbindung mit Gott darauf, dass dieser ihn bei seiner Rechten erfasst hatte. Du umfängst mich mit Liebe, begrüßest mich mit Ehren, hältst mich aufrecht mit deiner Macht. Beinahe war er gefallen und doch allezeit aufrecht geblieben. Er war sich selber ein Rätsel, wie er vielen ein Wunder gewesen war. Dieser Vers redet von zwei kostbaren Gnadengütern: der Gemeinschaft mit Gott und der Aufrechterhaltung durch Gott, und da sie beide jemand gegeben waren, der sich selber als einen Toren bekennen musste, dürfen auch wir hoffen, uns ihrer zu erfreuen.

24. Du leitest mich nach deinem Rat. Ich habe es aufgegeben, mir meinen Weg selber zu wählen und einen Pfad durchs Dickicht der Vernunft zu hauen. Er lässt nicht nur den in Frage stehenden Gegenstand fallen, sondern entschlägt sich überhaupt alles Grübelns und Streitens über Gottes Wege und legt seine Hand in die seines himmlischen Vaters mit dem Wunsche, von ihm geleitet zu werden, und mit dem Gelübde, willig zu folgen, welche Wege immer diese Hand ihn führe. Unsere früheren Fehler wandeln sich in einen Segen, wenn sie uns zu solchen Entschlüssen treiben. Wenn wir mit unserer Weisheit zu Ende sind, dann ist Hoffnung, dass die wahre Weisheit bei uns anfange. Bei Ihm ist Rat (Hiob 12,13), und wenn wir uns von ihm leiten lassen, werden wir gewiss recht geführt. Und nimmst mich endlich (wörtl.: hernach) mit Ehren an. Hernach! Ein herrliches Wort. Wir können getrost mit dem uns gegenwärtig beschiedenen Lose für lieb nehmen, wenn wir auf die Zukunft blicken und sie im Glauben vorausschauen. Was jetzt gerade unsere Umstände sein mögen, ist von geringer Bedeutung im Vergleich zu dem, was zukünftig unser Teil sein wird. Gern will ich mich für die gegenwärtige kurze Zeit mit Niedrigkeit, ja mit Schmach und Leiden bescheiden, wenn du mich hernach mit Ehren annimmst, ja, wie andere noch kräftiger übersetzen, zu Herrlichkeit oder in die Herrlichkeit aufnimmst. Ich soll noch der vollen, ungetrübten Gemeinschaft mit dem allein seligen, herrlichen Gott teilhaftig werden! Deine Leitung wird mich auf diesen unvergleichlichen Gipfel führen, vor dem alle Erdenhöhen zu Maulwurfshügeln werden. Herrlichkeit soll ich haben, und du selber wirst mich in sie einführen. Henoch ward einst nicht mehr gesehen, weil Gott ihn hinweggenommen hatte zu sich, und im Grunde werden alle Heiligen gleichermaßen in die Herrlichkeit aufgenommen werden.

25. Wenn ich nur dich habe,
so frage ich nichts nach Himmel und Erde.
26. Wenn mir gleich Leib und Seele verschmachtet,
so bist du doch, Gott, allezeit meines Herzens Trost und mein Teil.
27. Denn, siehe, die von dir weichen, werden umkommen;
du bringest um alle, die wider dich huren.
28. Aber das ist meine Freude, dass ich mich zu Gott halte
und meine Zuversicht setze auf den Herrn HERRN, dass ich verkündige all dein Tun.


25. Wen habe ich (sonst) im Himmel? (Wörtl.10 So wendet er sich ganz hinweg von dem Flitter, der ihn betört hatte, zu dem echten Golde, das sein wahrer Schatz ist. Er fühlt, dass sein Gott ihm besser ist als all der Reichtum an Gütern, Gesundheit, Ansehen und Gemächlichkeit, um den er die Weltleute so beneidet hatte; ja, Gott ist nicht nur besser als alles auf Erden, sondern auch köstlicher als alles, was der ganze Himmel ihm bieten könnte. Er sagt allem andern ab, um ganz von seinem Gott erfüllt zu werden. Und außer dir11 begehre ich nichts auf Erden. (Wörtl.) Nicht mehr soll sein Blick begehrlich auf Erden umherschweifen, kein irdischer Magnet sein Herz mehr anziehen; hinfort soll der Ewige allein sein alles sein.

26. Wenn mir gleich Leib und Seele verschmachtet. Diese waren in der Stunde der Anfechtung schon fast verschmachtet, es wäre beinahe mit ihm aus gewesen; und jedenfalls kam die Stunde des Todes, in der ihm Fleisch und Herz dahinschwinden würden, und wenn er sich auf sie verließe, so würden sie ihn unzweifelhaft alsbald im Stich lassen. So bist du doch, Gott, allezeit meines Herzens Trost (wörtl.: Fels) und mein Teil. Sein Gott wird nie versagen, weder als sein Schutz noch als die Quelle der Freude. Sein Herz wird durch Gottes Liebe aufrechterhalten und ewig mit himmlischer Wonne erfüllt werden. Asaph war weit hinausgetrieben worden aufs sturmbewegte Meer; aber jetzt wirft er im wohlbekannten heimatlichen Hafen Anker. Wir tun gut, seinem Beispiel zu folgen. Nichts ist begehrenswert außer Gott; so lasst uns denn auch nur Ihn begehren. Alles andere muss über kurz oder lang vergehen; mögen unsere Herzen denn in ihm bleiben, der allein ewig bleibt.

27. Denn siehe, die von dir weichen, werden umkommen. Um zu leben, müssen wir der Lebensquelle nahe bleiben; Gott fern sein durch böse Werke ist der Tod. Du bringest um alle, die wider dich huren. Wenn wir darauf Anspruch machen, des HERRN Knechte zu sein, dann müssen wir stets des eingedenk sein, dass er ein eifriger Gott ist und von allen, die ihm angehören wollen, geistliche Keuschheit verlangt. Vergehungen gegen die gelobte eheliche Treue sind besonders anstößig, und alle Sünden gegen Gott haben dasselbe Gepräge an sich und werden wie jene mit den schwersten Strafen heimgesucht. Die Heiden, die von Gott fern sind, verfallen dem Untergang, wenn ihre Stunde da ist; diejenigen Menschen jedoch, welche sich als zu Gottes Volk gehörig bekennen, gegen ihr Bekenntnis aber untreu handeln, werden unter das ausdrückliche Verdammungsurteil kommen und von Gottes Zorn zermalmt werden. Wir lesen davon Beispiele in Israels Geschichte; mögen wir niemals in unserer eigenen Person ein neuer Beleg dieser Wahrheit werden.

28. Aber das ist meine Freude, dass ich mich zu Gott halte. Hätte er das ehedem allezeit getan, so würde er nicht in solche Bekümmernis versunken sein; als er es tat, entrann er der gefährlichen Klemme, in welcher er war, und wenn er fortfährt, in der Nähe Gottes zu bleiben, so wird er nie wieder in das gleiche Unglück geraten. Je näher wir uns zu Gott halten, desto weniger werden wir von den Reizen und Leiden der Erde angefochten. Der Zugang zu dem Allerheiligsten ist ein hohes Vorrecht und ein bewährtes Heilmittel für zahlreiche Übel. Die Nähe Gottes ist allen Heiligen gut und köstlich, sie ist es auch mir insonderheit; es ist mir unter allen Umständen gut und wird es stets sein, dem größten Gut, dem Urquell alles Guten, Gott selber, zu nahen. Und meine Zuversicht setze auf den Herrn HERRN. Er nennt mit Nachdruck den glorreichen Namen des Allherrn Jehova und bekennt mit Freuden, dass dieser die Grundfeste seines Glaubens ist. Gott vertrauen ist Weisheit; der Glaube ist der Schlüssel zu den Rätseln des Lebens, der Faden durch das Labyrinth der göttlichen Führungen, der Polarstern, der uns aus dem pfadlosen Ozean des Lebens den Weg zeigt. Der Glaube führt zur Erkenntnis. Glaube, so wirst du erkennen. Dass ich verkündige alle dein Tun. Wer Gott vertraut, wird dazu geleitet, Gottes Tun zu verstehen, und wird dadurch befähigt, es zu verkündigen. Asaph hatte gezögert, seine bösen, argwöhnischen Gedanken auszusprechen; aber er hält nicht zurück, wo es nun gilt, Gutes auszubreiten. Gottes Wege und Werke bewundert man je mehr, je genauer man sie kennt. Wer bereit ist, zu glauben, dass Gott gut ist, wird stets neue Güte sehen, an die er glauben kann, und wer willig ist, Gottes Tun zu verkündigen, wird niemals deshalb schweigen müssen, weil es ihm an Wundern, die er erzählen könnte, fehlt.

Fußnoten
9. Das vor dir, eigentlich bei dir, bedeutet hier wohl eher: in deinen Augen, nach deinem Urteil, oder: dir gegenüber.

10. In diesem Vers übertrifft die freie Übersetzung Luthers noch die Schönheit des Grundtextes und gibt den Sinn desselben doch getreu wieder.

11. Andere übersetzen noch kräftiger: Und bin ich mit dir oder bei dir, d. i. genieße ich deiner Gemeinschaft, so begehre usw.
Wer sich nur nach dem, was er fühlt, richtet, der verliert Christus. (Martin Luther)

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