Joschie hat geschrieben:Was ist mit Off. 18 mit Babylon gemeint?
In der Offenbarung ist es allgemein so, dass Johannes durchweg auf den Propheten Daniel zurückgreift, insbesondere Dan 2 und 7, wo das Gericht über die Weltreiche beschrieben wird. In der Offenbarung wird dieses Gerichtsszenario typologisch ausgeweitet (typologische Ausweitung ist ein durchgängiges Prinzip neutestamentlicher Prophetie) auf das Gericht über alle Völker und Nationen und die sie beherrschenden Mächte. Gegen die von Markus angeführten Sicht, dem (vollen?) Präterismus, ist daher u.a. einzuwenden, dass es in der Offb – insbesondere auch beim Gericht über „Babylon“ - nicht um ein eingeschränktes Gericht über Israel (oder Rom) geht, sondern um ein weltweites Gericht.
„Babylon, die Große“ ist angelehnt an Dan 4,27 und in der Offb ein symbolischer Name. Das buchstäbliche Babylon kann nicht gemeint sein, da es nicht nur bereits zerstört worden war, sondern Gott auch gesagt hatte, dass es nie wieder aufstehen wird (Jer 28,29; 50,39-40; 51,24-26.62-64; Jes 13,19-22).
So wie das alte Babylon den ersten Tempel zerstörte und Israel in Gefangenschaft führte, so wurde auch Rom in der jüdischen Literatur bisweilen „Babylon“ genannt, weil es den Tempel in Jerusalem zerstört und die Juden ins Exil verschleppt hatte. Rom ist hier mit Babylon sicher angedeutet und inbegriffen, vieles in Offb 17-18 trifft speziell auf Rom zu, z.B. alle 28 Handelswaren aus 18,12-13 oder auch die sieben Berge. Auch auf die römische Kirche passen erstaunlich viele Details dieser Prophezeiung. Der symbolische Name „Babylon“ scheint in der Offb für Rom und alle götzendienerischen, synkretistischen Weltmachtsysteme zu stehen.
„Babylon“ ist in der Offb. eine Macht mit globaler Dimension, denn es hat „mit dem Wein seiner leidenschaftlichen Unzucht alle Nationen getränkt“ (14,8). D.h. die Menschheit im Allgemeinen gibt den religiös-kultisch-kulturellen und götzendienerischen (auch Mammon ist ein Götze) Forderungen des babylonischen Systems nach.
Die Sünder lieben Babylon, weil es ihnen Wohlstand und Sinneslust verspricht („Üppigkeit“ oder „Luxus“ in 18,3.7.9), besonders die Reichen und Mächtigen. Deshalb „weinen und wehklagen“ (18,9) die Nationen und ihre Könige über Babylons wirtschaftlichen Niedergang. Doch mehr noch als ein bloß wirtschaftlicher Zusammenbruch wird prophezeit: Jene, die einen wirtschaftlichen Sturz erfahren, sollen dies als warnenden Vorläufer verstehen für einen letztendlichen Weltenkollaps und ein globales Gericht Gottes, wenn sein Grimm (16,19) und seine Gewalt (18,21) Babylon vollends vernichten wird.
Mag man bei Versen wie 18,17-19 nicht auch an die Anschläge auf das WTC am 11.9.2001 denken? Gewiss ist in diesen Versen nicht ausschließlich dieses Ereignis gemeint, das nur eines von vielen vergleichbaren im Laufe der Weltgeschichte ist. Aber der Sinn dessen, was am 11.9.2001 geschah, ist in diesen Versen enthalten, aber letztlich kündigen sie ein endgültiges Gericht Gottes an.
Vern S. Poythress schreibt in Bezug auf die typologische Ausweitung der Bedeutung von Rom:
[Rom und] die Städte des 1. Jhdts. waren nicht die einzigen Zentren von Götzendienst, Habgier, Materialismus und sexueller Unmoral. Unsere heutigen Städte sind mit ihrem Reichtum, ihrer falschen Religion und sexuellen Ausschweifung moderne Formen von Babylon. Die Medien und ihre Werbung importieren die Verführung von Geld, Sex, Macht, Luxus und Vergnügen in unsere Häuser und Gedanken … Somit beinhaltet der Symbolismus von Babylon viele Manifestationen, einschließlich einer letztendlichen Verkörperung unmittelbar vor der Wiederkunft Christi (The Returning King, S. 161)
Der Gläubige steht immer im Konflikt mit der ihn umgebenden "Kultur". Insofern sich die damaligen Juden mit der griechischen und römischen Götzenkultur (Weltanschauung und Lebensweise) eingelassen hatten, waren auch sie "Babylon" - aber das ist sicher nicht die einzige Bedeutung.
Das Gericht über Babylon gehört thematisch zum Gericht über die anderen Verführer zur Gottlosigkeit: über das Tier und den falschen Propheten in Kap 19 und über Satan in Kap. 20 (diese Kapitel scheinen eher thematisch geordnet zu sein als chronologisch). Als „Hure“ steht Babylon natürlich im Gegensatz zur „Braut“, der wahren Gemeinde, und bildet somit eine „Anti-Gemeinde“.
Grüße, Werner