Doppelte Prädestination im Heidelberger Katechismus?
geschrieben von Sebastian Heckam 18.05.08in Allgemein. | 31 Ansichten
Themen: Bekenntnisse, Heidelberger Katechismus, Vorherbestimmung.
Ich liebe den Heidelberger Katechismus! Ich kenne kein Bekenntnis, das in seinem Ton pastoraler und irenischer wäre als der Heidelberger Katechismus, das aber zugleich so klar und explizit reformiert ist in seinen Glaubensaussagen. Doch gerade letztere Aussage wurde und wird immer wieder bestritten. Manche sagen dem “Heidelberger “nach, er sei philippistisch (geprägt von Melanchthon also), andere er sei lutherisch, und es ermangle ihm einiger der so genanten reformierten Kardinallehren.
Nun bin ich gar kein Vertreter der so genannten reformierten Kardinallehren, d.h. ich bin nicht überzeugt, dass es in der Geschichte der reformierten Theologie von Huldrych Zwingli bis zu Herman Bavinck jemals wirklich reformierte Zentraldogmen, oder gar ein reformiertes Zentraldogma gegeben hat, von dem aus die gesamte reformierte Dogmatik bestimmt und abgeleitet wurde.1
Eine dieser für die reformierte Dogmatik charakteristischen Lehren, die man im Heidelberger Katechismus vergeblich sucht, ist die Lehre von der Prädestination. Wohl finden wir Aussagen zur Erwählung der Heiligen (z.B. Fragen 52 und 54). Nicht aber die klassisch reformierte Gegenüberstellung von Erwählung und Verwerfung, die so genannte “doppelte Prädestination” (gemina praedestinatio).
Philipp Schaff schreibt in seinem Kompendium christlicher Bekenntnisschriften The Creeds of Christendom,2 einem Standardwerk von 1919, dass Erwählung, “der positive und erbauliche Teil des Prädestinationdogmas” im Heidelberger Katechismus Fragen 1, 31, 53 und 54 besprochen werde, nicht aber die doppelte Prädination, der Ratschluss zur Verwerfung oder ein begrenztes Sühnopfer. Dies wird dem “persönlichen Urteil” des einzelnen Christen sowie “den theologischen Wissenschaften” überlassen!
Soviel zu den Fakten. Doch welchen Schluss ziehen wir aus diesem Mangel, dem Mangel einer detailiert entfalteten Prädestinationslehre? Ziehen wir daraus den Schluss, wie es viele tun, dass wir hier nunmehr eine reformierte Bekenntnisschrift haben3, die sich gegen die doppelte Prädestination stellt? Manche argumentieren so und meinen damit eine Nische gefunden zu haben, wo sie “reformiert” sein können, ohne an das decretum horribile, die “Schreckenslehre” der doppelten Prädestination glauben zu müssen.
Was ist also zu diesem Mangel im Katechismus zu sagen?
Zunächst einmal müssen wir den historischen Hintergrund der Entstehung des Katechismus betrachten. Der HK war eine Auftragsarbeit des Kurfürsten Friedrichs, des III., wahrscheinlich an eine Gruppe von Pastoren und Theologen, zu denen auch Caspar Olevianus gehörte, federführend war allerdings sicherlich der Heidelberger Hoftheologe Zacharias Ursinus. Ziel des Katechismus war von vornherein die Einigung der verschiedenen reformierten (philippistischen und calvinistischen) Flügel des Protestantismus in der Kurpfalz und darüber hinaus. Mit dieser Zielvorgabe musste der HK natürlich einen irenischen Charakter haben. Manche Dinge werden ausgeklammert oder nicht so stark hervorgehoben, um konfessionelle Einheit möglich zu machen, ohne dabei wirkliche theologische Kompromisse eingehen zu müssen.
Doch bedeutet das Schweigen in Bezug auf die doppelte Prädestination wirklich, dass man nicht von der Wahrheit dieser Lehre überzeugt war? Oder dass man sie nicht für bedeutsam hielt?
Das wäre sehr verwunderlich angesichts der Tatsache, dass die anderen reformierten Bekenntnisschriften, die im Dunstkreis des HK, d.h. kurz zu vor oder danach, entstanden, zunehmend explizit von der doppelten Prädestination reden.
Das Zweite Helvetische Bekenntnis von 1566, also nur drei Jahre nach der Veröffentlichung des HK, spricht von den “Verworfenen”.
Das Niederländische Bekenntnis von 1561, zwei Jahre vor Veröffentlichung des HK, spricht in Artikel 16 folgendermaßen von der doppelten Prädestination:
“Wir glauben, dass Gott, nachdem die ganze Nachkommenschaft Adams so durch die Schuld des ersten Menschen in Verderben und Untergang gestürzt war, sich so gezeigt und bewährt habe, wie er wahrhaft ist, nämlich barmherzig und gerecht. Barmherzig nämlich, indem er von der Verdammnis und dem Untergange diejenigen befreite und erlöste, welche er in seinem ewigen und unveränderlichen Ratschlusse aus reiner und unverdienter Güte durch Jesum Christum, unsern Herrn, erwählte, ohne irgendeine Rücksicht auf gute Werke derselben. Gerecht aber, indem er andere in ihrem Falle und ihrer Verderbnis ließ, wohinein sie sich selbst gestürzt haben.”
Und schließlich sprechen die so genannten Dordrechter Lehrregeln oder Beschlüsse der Dordrechter Synode 1619 eindeutig von doppelter Prädestination. Das ist von daher aufschlussreich, da bei dieser Synode der Heidelberger Katechismus, zusammen mit dem Niederländischen Bekenntnis und den Lehrregeln als kirchliche Bekenntnisgrundlage adoptiert wurde. Und eine “prädestinatianische” Synode wie es die Dordrechter war, hätte sicherlich keine Bekenntnisschrift adoptiert, die auch nur die geringste Kritik gegenüber der Prädestinationslehre aufkommen lässt.
Es stellt sich also die Frage: könnte ein Bekenntnis, das von denselben Reformatoren (Calvin, Bullinger, etc.) beeinflusst war und für gut befunden wurde, wie die eben genannten, Akzeptanz finden, das eine solche “klassisch reformierte” Lehre wie die doppelte Prädestination leugnet?
Sicherlich nicht. Viel wahrscheinlicher ist, dass wie oben angedeutet, diese Lehre größtenteils ausgeklammert wurde und zwar aus praktischen Gründen, um die Einheit der Reformierten zu fördern. Auf gar keinen Fall kann man behaupten, der Heidelberger Katechismus sei gegen die doppelte Prädestination. Es findet sich hier keinerlei Polemik, keine Aussage, die dieser Lehre widerspräche.
Wie Philipp Schaff in dem oben zitierten Werk selbst sagt, ist das Schweigen des HK in puncto doppelter Prädestination umso verwunderlicher, als die Verfasser des HK, “sowie all die anderen Reformatoren, mit Ausnahme des späten Melanchthons, strikte Prädestinatianer waren.” (S. 540)
Es ist also davon auszugehen, dass die Verfasser des HK sehr wohl an die doppelte Prädestination glaubten, aber aus praktischen Gründen darauf verzichteten, diese in das Bekenntnis auszunehmen.
Dieser Schluss ist nicht nur meine Behauptung, sondern wird gestützt von den Aussagen Zacharias Ursinus selbst. In seinem Kommentar zum Heidelberger Katechismus4 bespricht Ursinus Frage 54 des Katechismus, die lautet:
“Frage 54: Was glaubst du von der heiligen, allgemeinen, christlichen Kirche? Dass der Sohn Gottes aus dem ganzen menschlichen Geschlecht sich eine auserwählte Gemeinde zum ewigen Leben, durch seinen Geist und Wort, in Einigkeit des wahren Glaubens von Anbeginn der Welt bis ans Ende versammle, schütze und erhalte, und dass ich derselben ein lebendiges Glied bin und ewig bleiben werde.”
Und schließlich kommt der zur Definition der ewigen Prädestination Gottes.
Er sagt dazu:
“Der theologische Ort der ewigen Prädestination Gottes oder von der Erwählung und Verwerfung ergibt sich ganz natürlich aus der Lehre der Kirche, und deshalb ist er auch rechtmäßig damit verbunden.”
Ursinus diskutiert dan die Definition von Kirche. Die reformierte Ekklesiologie ist stets eng verknüpft mit der Prädestinationslehre, da die Kirche als Versammlung der Erwählten, des Bundesvolkes Gottes, verstanden wird.
Dann diskutiert Ursinus die Merkmale eienr biblischen Kirche sowie die Unterscheidung zwischen Kirche und Staat.
Dann gibt Ursinus folgende Definition von Prädestination:
“Prädestination ist daher der ewige, völlig gerechte und unwandelbare Ratschluss Gottes betreffend der Erschaffung der Menschheit, der Zulassung des Sündenfalls und des ewigen Todes, der Sendung des Sohnes im Fleische, damit er ein Opfer sei, der Erlösung Einiger durch wahren Glaubend und Bekehrung durch den Heiligen Geist und durch das Wort um des Mittlers willen, durch den und umdessentwillen sie gerechtfertigt, zur Verherrlichung auferweckt und mit dem ewigen Leben belohnt werden; während der Rest in Sünden und Tod belassen wird, zum Gericht auferweckt und in ewige Pein gestoßen wird.”
Ganz explizit spricht Ursinus dann weiter in seinem Kommentar von der doppelten Prädestination:
“Die zwei Teile der Prädestination werden zusammengefasst in Erwählung und Verwerfung. Erwählung ist der ewige und unwandelbare Ratschluss Gottes, durch den er gnädigerweise beschlossen hat einige zu Christus zu bekehren, sie im Glauben und in der Buße zu erhalten und ihnen durch ihn das ewige Leben zu geben. Verwerfung ist die ewige und unwandelbare Absicht Gottes, nach der er kraft seines völlig gerechten Urteils beschlossen hat, einige in ihren Sünden zu belassen, sie mit Blindheit zu strafen, sie auf ewig zu verdammen, sie nicht zu Teilhabern Christi und seiner Segnungen zu machen. Dass sowohl Erwählung als auch Verwerfung zum Ratschluss Gottes gehören, belegen folgende und ähnliche Aussagen der Schrift: “Ich weiß, welche ich erwählt habe” (Joh 13,18) “…nach seinem eigenen Vorsatz und der Gnade, die uns in Christus Jesus vor ewigen Zeiten gegeben…” (2. Tim 1,9) “So erbarmt er sich nun, wessen er will, und verstockt, wen er will” (Röm 9,18). Erwählung und Verwerfung entspringen somit dem Ratschluss Gottes und gehören beide dem Vorsatz Gottes an und sind damit ewig, denn es gibt nichts Neues in Gott, sondern alles ist in Ewigkeit, ja war vor Grundlegung der Welt. Insofern er nun uns erwählt hat, muss er den Rest verworfen haben, was auch schon durch das Wort ‘Erwählung’ oder ‘Wahl’ ausgedrückt wird, denn etwas zu wählen bedeutet, etwas anderes zurückzuweisen.”
Es ist folglich völlig undenkbar, dass der Autor, der federführend mit der Abfassung des Heidelberger Katechismus betraut war und der seinerseits so fest von der Richtigkeit der biblischen Lehre von der doppelten Prädestination überzeugt war, ein Dokument verfasst und ihm zugestimmt hätte, das diese Lehre auf irgendeine Weise unterwandert oder diskreditiert.
Somit ist der Heidelberger Katechismus keine Nische, in die sich all die zurückziehen können, die reformiert sein wollen, ohne an die “schreckliche Lehre” der doppelten Prädestination gauben zu müssen. Nein, der Heidelberger Katechismus ist im Zusammenhang mit anderen reformierten Bekenntnisschriften zu sehen, sowie mit anderen Schriften und Kommentaren (zum HK), die eindeutig ein großes Gesamtbild entstehen lassen – und in diesem Gesamtbild ist die doppelte Prädestination eindeutig Konsens reformierter Theologie! Historisch führt kein Weg hier vorbei.
Vgl. dazu Richard Muller, ”The Problem of Protestant Scholasticism: A Review and Definition”, in Reformation and Scholasticism: An Ecumenical Enterprise, ed. Willem J. van Asselt and Eef Decker (Grand Rapids, MI: Baker Academic, 2001) sowie sein Opus Magnus Post-Reformation Reformed Dogmatics. ↩
Vol 1, S. 540 ↩
denn der HK war von vornherein beides, ein Katechismus und eine Bekenntnisschrift ↩
den es wohl leider nicht auf deutsch gibt; ich konnte ihn jedenfalls nicht lokalisieren. ↩