Ein Text, der wahrscheinlich mehr als alle andere als die Belegstelle dafür benutzt wird, dass Christen wieder verloren gehen oder vom Glauben abfallen können ist Hebräer, Kap. 6, vor allem die Verse 4-6.
“Denn es ist unmöglich, die, welche einmal erleuchtet worden sind und die himmlische Gabe geschmeckt haben und des heiligen Geistes teilhaftig geworden sind und das gute Wort Gottes, dazu Kräfte der zukünftigen Welt geschmeckt haben, wenn sie dann abgefallen sind, wieder zu erneuern zur Buße, während sie sich selbst den Sohn Gottes wiederum kreuzigen und zum Gespött machen!”
Man sagt, diese Liste von Begriffen sei ohne jeden Zweifel die Beschreibung eines wiedergeborenen Christen. Aber ist das notwendigerweise so? Oder ist das überhaupt die beste Interpretation dieser Verse? Schauen wir uns die Begriffe einmal kurz der Reihe nach an.
* „erleuchtet“: die Vokabel wird im Griechischen manchmal gebraucht für die physische Erleuchtung durch Licht (Lk 11,36; Offb 18,1; 21,23; 22,5); manchmal für rein intellektuelle Erleuchtung, also einfach ein intellektuelles Verständnis der Hauptpunkte des Evangeliums; manchmal auch für den Vorgang, wenn Verborgenes ans Licht gebracht wird (1Kor 4,5; Eph 3,9). Dieser Begriff beschreibt also keineswegs notwendigerweise einen wiedergeborenen Menschen. Im Gegenteil – nur an wenigen Stellen (Eph 1,18; Heb 10,32; evtl. noch Eph 3,9 und Joh 1,9) ist der Begriff eine Umschreibung eines wiedergeborenen, „erleuchteten“ Menschen.
* „die himmlische Gabe geschmeckt“: das Wörtchen für „geschmeckt“ ist im Griechischen eins, das gerade den Gegensatz zu dem vollen Essen beschreibt. Die Menschen, von denen hier die Rede ist, haben also eben nicht die himmlische Gabe voll in sich aufgenommen, sondern nur „geschmeckt.“(z.B. Mt 27,34, wo Jesus am Kreuz Essig zu Trinken angeboten bekommt und es „schmeckt“, aber eben nicht trinkt!)
* „des hl. Geistes teilhaftig geworden“: das Wort beschreibt im NT oft einfach Genossen, also Menschen, die etwas gemeinsam tun. Es kannalso hier bedeuteten, dass jemand Erfahrungen mit dem Heiligen Geist gemacht hat. Wir bezweifeln ja keineswegs, dass auch Nicht-wiedergeborene unter den Einfluss des Heiligen Geistes kommen können, dass sie sein Wirken an bestimmten Stellen erleben können. (Immerhin ist hier die Rede im Text vom „Wort Gottes“ , also der Verkündigung. Unter der Verkündigung des Wortes Gottes können Menschen das Wirken des Heiligen Geistes verspüren, ohne jedoch notwendigerweise wiedergeboren zu sein.
* Die Aussage, dass es „unmöglich die, die abgefallen sind, wieder zu erneuern zur Buße“ beschreibt wohl eher nicht Christen, die tatsächlich vom Glauben abgefallen sind, denn wieso sollten solche nicht mehr „erneuert werden können“? Kann man nach solch einer (arminanistischen, semipelagianischen) Theologie nur einmal vom Glauben abfallen? Vielmehr wird hier einfach gesagt, dass für jemanden, der all diese genannten Privilegien hatte und sich selbst angesichts dieser Vorzüge nicht bekehrt, keine Erneuerung, keine zweite Buße oder weitere Kreuzigung Christi vorhanden ist. Wenn ihm die eine Kreuzigung nicht reicht, wird er niemals Buße tun.
Um was für Menschen handelt es sich nun in Hebräer 6?
Es handelt sich um Menschen, die intim mit dem Volk Gottes, der Kirche Jesu Christi verbunden sind, dort vielleicht ein und ausgingen; Menschen, die in diesem Zusammenhang die Verkündigung des Evangeliums genossen haben, die dabei vielleicht Reuegefühle über ihre Sünde empfunden haben. In vielen Predigten haben sie das Evangelium gehört und kognitiv auch verstanden. Sie haben gelebtes Christsein beobachten können und dessen Kraft. Vielleicht haben sie selbst Geistesgaben ausgeübt oder zumindest das Wirken des Geistes erlebt. Doch trotz all dieser Privilegien wenden sich diese Menschen irgendwann ab und sagen: „Dankeschön und auf Wiedersehn!“ Sie „fallen ab“! (Das griechische Wort kommt nur hier vor, was uns stutzig machen sollte, wenn manche Theologen hier eine ganze „Lehre des Abfalls von Gläubigen“ aufstellen wollen.)
Der Verfasser des Hebräerbriefs will diejenigen warnen, die ein Bekenntnis zu Christus (im Rahmen der Gemeinde oder des AT-Gottesvolkes) abgelegt haben, das in Gefahr steht zu einem Lippenbekenntnis zu werden; Menschen, die sich unter das Schutzschild der Gemeinde stellen und meinen, das würde für ihr Heil schon reichen. Für solche Menschen gibt es am Ende keine Erneuerung zur Buße, genauso wenig wie es eine zweite Kreuzigung gibt.
Diese Interpretation wird gestützt von den Versen danach. Dort heißt es:
“Denn ein Erdreich, welches den Regen trinkt, der sich öfters darüber ergießt und nützliches Gewächs hervorbringt denen, für die es bebaut wird, empfängt Segen von Gott; welches aber Dornen und Disteln trägt, ist untauglich und dem Fluche nahe, es wird zuletzt verbrannt.“ (Hebr 6,7-8)
Diese Menschen werden hier verglichen mit einem Boden, der absolut keine Frucht bringt und keinerlei echtes Leben zeigt. Nur Dornen und Disteln. (Das erinnert an andere Stellen im NT, an denen von Dornen und Gestrüpp die Rede ist – aber niemals in Bezug auf Christen!)
Und dann schließt der Autor in V.9 damit, dass er zu den Adressaten sagt:
„Obwohl wir aber so reden, ihr Lieben, sind wir doch überzeugt, dass es besser mit euch steht und ihr gerettet werdet.”
Also genau das, wovor er warnt, das – so ist er überzeugt - wird den wahren Christen, mit denen er spricht nicht passieren, sondern nur den Heuchlern, den Etikettenschwindlern, denen, die Zuflucht nehmen in der Kirche ohne sich tatsächlich um ihr Heil zu kümmern.
Quelle: http://www.lebensquellen.de/?p=426