Hallo miteinander,
in der Tat steht
thélô im griechischen Text von 1Kor 14,5 nicht im Konjunktiv. Kann es auch gar nicht, weil dieser bei Ausdrücken des Wünschens oder Wollens im Nebensatz steht.
thélô steht aber im Hauptsatz.
Und das, was in den deutschen und englischen Übersetzungen als Nebensatz wiedergegeben wird, ist hier im Griechischen nicht als Nebensatz, sondern als AcI formuliert (Akkusativ mit Infinitiv). Dies ist eine Konstruktion, die es im Griechischen und Lateinischen, aber nicht im Deutschen oder Englischen gibt; in diesen Sprachen benutzt man dafür eben einen Nebensatz.
Ein Infinitiv ist nun mal, wie sein Name schon sagt, nicht finit, kann also weder im Indikativ, Konjunktiv oder Spekulativ

stehen. Und ob nun der Infinitiv im Deutschen als Indikativ oder Konjunktiv zu übersetzen ist, bestimmt der Kontext.
Was sagt nun der Kontext?
A. Der Nebensatz wird durch das Wort
thélô dominiert. Und dieses drückt laut Wörterbuch von Bauer/Aland 1. einen Wunsch oder ein Begehren, 2. ein Wollen, die Absicht, etwas tun zu wollen aus. (Es werden noch drei weitere Nebenbedeutungen genannt, die für die hier im Raum stehende Frage irrelevant sind.)
B. Wie ist
thélô nun gemeint: als Wunsch oder als Befehl? Hier verweise ich auf 1Kor 12,29f:
Sind alle Apostel? Sind alle Propheten? Sind alle Lehrer? Sind alle Wundertäter? Haben alle die Gabe, gesund zu machen? Reden alle in Zungen? Können alle auslegen?
Die implizite Antwort:
Nein. Weder haben alle dieselben Gaben, noch will Gott oder Paulus, daß dem so sei. Bitte den Kontext von 1Kor 12 beachten: Gott hat, wie ein Leib aus verschiedenen Gliedern mit verschiedenen Aufgaben und Fähigkeiten besteht, verschiedenen Christen verschiedene Gaben gegeben, damit sie einander erbauen. Und nicht sich selbst. Und das führt Paulus nahtlos in 1Kor 13 weiter. Die Liebe übersteigt alle Gaben (von denen viele aufhören, davon manche noch vor der Wiederkunft Christi; vgl. V. 8). Wer seine Gaben nicht aus Liebe zum Mitchristen benutzt, mißbraucht sie. Und genau das ist beim sog. Zungenreden der Fall, wenn niemand anwesend ist, der die dabei verwendete Sprache versteht und übersetzt (1Kor 14,2ff). In diesem Fall, sagt Paulus in V. 28, möge der Zungenredner bitte die Klappe halten (pardon, das sind meine ungehobelten Worte, nicht die des Apostels; aber da er sich hier sehr höflich ausdrückt, mißbrauchen manche dies, um seine Aussage ins Gegenteil zu verkehren).
Das heißt also: Paulus drückt hier weder einen Wunsch noch einen Befehl aus, daß alle Christen in Zungen reden mögen, sondern er sagt schlicht: Es wäre schön, wenn alle diese Gabe hätten (die nicht alle haben noch je alle haben werden),
aber besser wäre, wenn alle die Gabe der Weissagung hätten (die ebenfalls nicht alle haben noch je alle haben werden).
Denn durch diese wird die Gemeinde erbaut, durchs Zungenreden hingegen nicht. Und das drückt man auf gut Deutsch eben mit dem Konjunktiv aus, so wie die Lutherübersetzung und andere.
Von "übernatürlicher Kraftausrüstung" durchs Zungenreden ist übrigens nirgends die Rede (weder hier noch in Apg 1-2; die Tatsache, daß etwas in einem
zeitlichen Zusammenhang erwähnt wird, bedeutet noch lange nicht, daß es
ursächlich zusammenhängt!

Siehe
Carson, Stolpersteine). Wollte man dies mit dem "erbauen" begründen, dann müßte es bei allen anderen Gaben "erfahrbar" sein, und zwar noch viel mehr als beim Zungenreden! Denn dieses stellt Paulus hier ganz eindeutig als die geringste aller Gaben dar.
Was das Wirken des Geistes betrifft, so möchte ich das Buch
Das Schwert des Geistes empfehlen. Vielleicht etwas umfangreich und teilweise anspruchsvoll zu lesen, aber als gesundes Antidot für schwarmgeistige Evangelikale genau das richtige.
Mit freundlichen Grüßen
Joachim