Hier eine Ausarbeitung zu 1.Kor.13 zu das Vollkommene
Teil.1 von B
.Peters
Was ist »das Vollkommene« in
1. Korinther 13 ?
Ich gebe zuerst eine sachliche und inhaltliche, dann eine sprachliche Erklärung zum Begriff.
a) Eine sachliche und inhaltliche Untersuchung
In 1Kor 13,8-10 schreibt Paulus, dass die Zeichen- und Offenbarungsgaben Prophezeiungen, Sprachenreden und Erkenntnis
aufhören werden bzw. weggetan werden, »wenn das Vollkommene
gekommen sein wird«. Damit stellt sich die Frage: Was ist dieses Vollkommene? Es gibt dazu zwei verbreitete Ansichten:
1.) »das Vollkommene« ist der zukünftige Vollkommenheitszustand
der neuen Schöpfung,
2.)»das Vollkommene« ist der vollständige biblische Kanon,
also das im 1. Jahrhundert zum Abschluss gebrachte und
vollkommene Wort Gottes.
Zur Abfassungszeit des 1. Korintherbriefes war die Heilsgeschichte
noch nicht vollendet, aber auch die geschriebene Offenbarung Gottes war noch nicht abgeschlossen. Wenn die zweite Bedeutung die richtige ist, ist damit klar, dass heute diese Zeichen- und Offenbarungsgaben nicht mehr von Gott ausgeteilt werden. Im Folgenden sind sechs Hinweis
aufgeführt,die belegen, dass mit dem »Vollkommenen« tatsächlichdie vollendete Offenbarung Gottes in der Bibel gemeint ist.
1. Der Begriff
to teleion (τελειον) kann auch »das Vollendete, Erwachsene«bedeuten. Dieser Ausdruck wird im 1. Korintherbrief noch zwei weitere Male gebraucht: einmal im Sinne von »sittlich vollkommen« (2,6), das andere Mal im Sinvon »ausgewachsen= erwachsen« (14,20). Im Kapitel 13 spricht Paulus von Dingen, die nur vorläufi g, vorbereitend sind, die eben nur Teile des Ganzen bilden. to teleion bildet den logischen Gegensatz
zu den vorläufi gen und vorbereitenden Teilen und bezeichnet das Bleibende, das Ganze, das aufs Vollmaß Gebrachte. Vgl. auch die Verwendung in Hebr 5,14. Nirgends in der Schrift ist mit diesem Begriff der Herr Jesus oder Seine Wiederkunft bezeichnet. Der Begriff ist sächlich; nirgends in der Schrift wird er für die Vollendung der Heilsgeschichte oder für den Vollkommenheitszustand in der ewigen Herrlichkeit verwendet. Der gleiche Ausdruck findet sich jedoch z. B. in Jak 1,25, wovom »vollkommenen Gesetz der Freiheit« die Rede ist.
2. Das Vollkommene steht hier als Gegensatz zu dem
Teilweisen (13,9)
»Jetzt«, sagt der Apostel, erkennen wir teilweise, oder stückweise
(Luther: »Stückwerk«). Er meint natürlich die Zeit, inder er seinen Brief an die Korinther schrieb, d. h. die Mitte des1. Jahrhunderts. Dieses stückweise Erkennen geschah durchdie übernatürlichen Gaben der Erkenntnis, der Prophetie und des Sprachenredens. Das sind insgesamt Offenbarungsgaben, denn auch in Sprachen wurden Geheimnisse Gottes offenbart (1Kor 14,2). Durch diese Mittel offenbarte Gott jeweils in Teilstücken Seine Gedanken. Es war keine vollständige Sache; es ergab sich keine geschlossene Schau der Ratschlüsse Gottes. Das Wort Gottes lag noch nich vollständig vor. Erst als dieses ganz geoffenbart und von den Schriftpropheten niedergeschrieben worden war, war Gottes Heilsrat vollkommen enthüllt.Nun lag das Vollkommene vor, nun konnte die Gemeinde durch das Wort Gottes einen Überblick über Gottes ganzen
Ratschluss (vgl. Apg 20,27) bekommen.
3.
Der Ausdruck »von Angesicht zu Angesicht« (Vers 12b)
steht als Gegensatz zu »mittels eines Spiegels« (Vers 12a)
»Mittels eines Spiegels« ist natürlich nicht buchstäblich, sondern imübertragenen Sinn zu verstehen. Als Paulus den Korinthern schrieb, erkannten die Gläubigen Gottes Heilsrat nur wie durch einen Spiegel, d.h gebrochen, nicht unmittelbar. Das bedeutet,dass der Ausdruck »von Angesicht zu Angesicht« auch nicht buchstäblich, sondern bildlich zu verstehen ist. Manche denken, dieser Ausdruck könne sich nur auf das Jenseits beziehen. Dabei ist es ein Ausdruck, der häufi g verwendet wird für die persönliche und tiefe Erkenntnis des Herrn, die schon hier
auf der Erde geschehen kann. Das erfuhr bereits ein Mose:
Der HERR redete mit Mose von Angesicht zu Angesicht, wie ein
Mann mit seinem Freund redet (2Mo 33,11).
Hört denn meine Worte! Wenn ein Prophet unter euch ist, dem
will ich, der HERR, in einem Gesicht mich kundtun, in einem
Traum will ich mit ihm reden. Nicht also mein Knecht Mose. Er
ist treu in meinem ganzen Haus; mit ihm rede ich von Mund zu
Mund, und deutlich und nicht in Rätseln (4Mo 12,6-8).
Ein Gesicht oder ein Traum ist nur ein Spiegel. Es ist eine mittelbare,eine durch ein Medium gebrochene Erkenntnis Gottes.Mose hatte aber unmittelbare Erkenntnis Gottes. Gott redete zu ihm. Vielleicht dachte Paulus in 1. Korinther 13 an diese Stelle aus 4. Mose, weil er den genau gleichen Gegensatz bezeichnet.Mose begegnete dem Herrn von Angesicht und nicht undeutlich und in Rätseln. Der Ausdruck »vonAngesicht zu Angesicht« bezog sich bei Mose nicht auf die Herrlichkeit; das ist bei der Gemeinde auch nicht der Fall. Siehe auch 5Mo 5,4:
Von Angesicht zu Angesicht hat der HERR auf dem Berge, mitten
aus dem Feuer, mit euch geredet.
Und schließlich 5Mo 34,10:
Und es stand in Israel kein Prophet mehr auf wie Mose, welchen
der HERR gekannt hätte von Angesicht zu Angesicht.
In der Urgemeinde redete Gott durch prophetische Teiloffenbarungen,
die mündlich und vergänglich waren; heute redet
Er durch das unvergängliche, ewige (Mt 24,35) Wort. Darin
haben wir eine klare Schau von Gott und von Seinen Werken.
In ihm sehen wir die Herrlichkeit Gottes im Angesicht Christi
(2Kor 4,6; siehe auch Joh 16,13).
4
. Der Gegensatz zwischen kindlicher Teilerkenntnis (einem
Stadium der Unreife und Unsicherheit) und dem vollen
Erkennen eines Erwachsenen
Paulus vergleicht die Gemeinde mit einem Menschen, der zuerst ein Kind ist und redet und sich gebärdet wie ein Kind, das dann aber erwachsen wird und ablegt, was kindlich ist. Davon spricht Paulus auch im Epheserbrief. Die Gemeinde ist »aufgebaut auf der Grundlage der Apostel und Propheten« (Eph 2,20). Die Apostel und Propheten haben durch ihre
besonderen Gaben Geheimnisse (Eph 3,5) geoffenbart und aufgeschrieben, damit wir nun »nicht mehr Unmündige seien …«, sondern zur vollen Mannesreife gelangen (Eph 4,14).
Diese »volle Mannesreife« zeichnet sich eben aus durch die »Erkenntnis des Sohnes Gottes« (Vers 13), die wir jetzt anstreben sollen und auch tatsächlich erreichen können. Die Kindheitsphase der Gemeinde endet nicht erst, wenn die Ewigkeit anbricht.
5.
Wir werden erkennen, wie wir erkannt worden sind
Manche meinen, das sei der endgültige Beweis dafür, dass Paulus mit dem Vollkommenen die Ewigkeit meint. Das ist keineswegs zwingend, nicht einmal wahrscheinlich. Wir müssen uns fragen, in welchem Sinn wir so erkennen, wie wir erkannt werden. Das kann sich auf den Umfang oder die Tiefe der Erkenntnis beziehen. Das kann Paulus hier nicht meinen, denn wir werden nie allwissend sein, so wie Gott allwissend
ist. Allwissenheit ist eine jener Eigenschaften Gottes, die Er
mit keinem Geschöpf teilt. Beziehen wir das Wie hingegen auf die Art und Weise des Erkennens, ist das Anstößige aus dem Weg geräumt. Wenn
die vollendete Heilsoffenbarung gekommen ist, wird die Gemeinde in der gleichen Weise erkennen, wie Gott immer erkannt hat und erkennt. Durch das geschriebene Wort und durch den Geist wird sie rein geistlich erkennen und nicht mehr sinnlich wie in der Anfangsphase, nämlich vermittels Zeichengaben. Gott ist Geist und Sein Erkennen geschieht geistlich: Der Geist Gottes erforscht die Tiefen der Gottheit (1Kor 2,10). So erkennt Gott sich selbst, so erkennt Er alles, was Er erkennt. Wir werden durch Gottes Wort und Gottes Geist dazu gebracht, in der gleichen Weise ausschließlich geistlich zu erkennen.
6.
Beim Wiederkommen des Herrn werden Glauben und
Hoffen aufhören
Der Glaube hört auf, denn der Glaube bezieht sich auf »Dinge, die man nicht sieht« (Hebr 11,1). Und das Hoffen hört auf – denn »eine Hoffnung die gesehen wird, ist keine Hoffnung « (Röm 8,24). Wir werden vom Glauben und Hoffen zum Schauen übergehen. Was dann bleibt, ist die Liebe, denn diese »vergeht nie« (1Kor 13,8). Deshalb ist sie auch die größte Gabe von allen (Vers 13).
Für das richtige Verstehen von 1Kor 13 ist der letzte Vers von ausschlaggebender Bedeutung: »Nun aber bleibt Glaube,Hoffnung,Liebe.« Das sind Eigenschaften und Tugenden, die den Christen auszeichnen. Glaube und Hoffnung bleiben also auch noch, nachdem das Vollkommene gekommen ist. Damit kann folglich mit dem Kommen des Vollkommenen
nicht der Übergang vom Glauben zum Schauen gemeint sein, sondern eindeutig etwas, das vorher geschehen muss. Bevor der biblische Kanon abgeschlossen war, verwendete Gott noch Prophezeiungen und Sprachen, um Sein Volk zu lehren und zu führen. Nachdem diese aufgehört hatten, blieben nur noch Glauben, Hoffen und Lieben. Wenn der Herr kommt,
werden Glauben und Hoffen auch aufhören und nur noch Liebe bleiben.
7
. Seit der Abfassung des 1. Korintherbriefes ist tatsächlich
einiges geschehen
Es ist etwas Vollkommenes gekommen, der vollkommene Kanon der Bibel, abgeschlossen mit Gottes Enthüllungen über die letzten Dinge und die Ewigkeit (das Buch der Offenbarung). Dem letzten Buch der Bibel und damit der gesamten Bibel darf kein Wort mehr hinzugefügt werden (Offb 22,18-19). Gäbe es heute noch gültige, neue Offenbarungen, müssten sie
dem Wort hinzugefügt werden. Aber gerade das ist uns verboten worden. Neuoffenbarungen sind darum ein wesentliches Merkmal von Irrlehren und Sekten. Die Gemeinde, die auf dem Felsen des Wortes Gottes gegründet ist, braucht nicht mehr von jedem Wind der Lehre hin- und hergeworfen zu werden (vgl. Mt 7,24-27 mit Eph 4,14!).
b)
Eine sprachliche Untersuchung zur Bedeutung
von to teleion und verwandten Wörtern
Das Vorkommen von teleios
Das Wort kommt an 17 Stellen des NT vor: Mt 5,48; 19,21; Röm 12,2; 1Kor 2,6; 13,10; 14,20; Eph 4,13; Phil 3,15; Kol 1,28; 4,12; Hebr 5,14; 9,11; Jak 1,4.17.25; 3,2; 1Jo 4,18.
Die verschiedenen Bedeutungen
teleios kann im NT folgende Bedeutungen haben:
• sittlich vollkommen (von Personen): Mt 5,48; 1Kor 2,6;
Kol 1,28
• perfekt, vollkommen (von Dingen): Röm 12,2; Jak 1,17; 1Jo
4,18
• erwachsen: 1Kor 14,20; Eph 4,13; Hebr 5,14
• vollständig: Jak 1,4
• endgültig (im Gegensatz zu vorläufi g): Hebr 9,11
Die Syntax
teleios wird syntaktisch auf drei verschiedene Arten gebraucht:
•
als attributives Adjektiv: Röm 12,2; Hebr 9,11; Jak 1,4.17;
3,2; 1Jo 4,18
• als prädikatives Adjektiv: Mt 5,48; 19,21
• als substantivisches Adjektiv: 1Kor 2,6; 13,10; 14,20; Hebr 5,14 teleios wird nie als absolut dastehendes Abstraktum –wie Vollendung,Vollkommenheit etc. – gebraucht, sondern es hat immer ein genanntes oder ausgelassenes Bezugswort. Sollte daher to teleion in 1Kor 13,10 wirklich »die Vollendung« bedeuten, wäre es ein Sonderfall. Das wäre theoretisch zwar nicht ganz ausgeschlossen, aber bereits jetzt als unwahrscheinlich erkennbar. Zwei weitere Fragen sollen uns weiterbringen: Wie wird nun teleios in der übrigen griechischen Literatur gebraucht? Und wie sehen Abstrakta – wie Vollendung, Vollkommenheit
u.a. – im Griechischen normalerweise aus?
Der Gebrauch von teleios in vorklassischer und in klassischer
Literatur
Dieser deckt sich sowohl in der Wortbedeutung als auch in der Verwendung innerhalb des Satzbaus (in der Syntax) weitgehend mit dem NT. Es wird teleios ebenfalls nie als Abstraktum gebraucht. Dafür stehen andere Wörter zur Verfügung wie telos (das Ende), teleuté (Ende, oft (Ende, oft auch für das Lebensende, den Tod), teleiotes (Vollständigkeit). Wie im NT kann teleios auch im außerbiblischen Griechisch beides sein: attributives oder prädikatives Adjektiv, oder substantiviertes Adjektiv mit
einem nicht genannten, weil selbstverständlichen Bezugswort. Der Inhalt von teleios ist:
• vollendet, vollkommen
• volljährig, erwachsen
• tadellos (von Opfertieren)
• untrüglich (von einem Vogel, dessen Flug man deutet)
• vollzählig, voll
Zur Wortbildung von Abstrakta
Im Griechischen werden Abstrakta häufig durch die weibliche Endung -ia gebildet. kakos, »schlecht«, wird zu kakia, »Schlechtigkeit «;adikos, »ungerecht«, wird zu adikia, »Ungerechtigkeit«. teleios würde dann zu teleia, das im NT so nicht vorkommt; es findet sich aber das um die Vorsilbe syn verstärkte Abstraktum »Vollendung«, und das wird eben verwendet, wenn es um die Vollendung des Zeitalters geht (Mt 13,39.43; 24,3; 28,20).
Hätte nun Paulus in 1Kor 13 von der Vollendung der Heilsgeschichte beim Kommen des Herrn sprechen wollen, hätte sich dieses Wort geradezu aufgedrängt. Es wäre noch ein anderes Wort in Frage gekommen, das anderweitig für das heilsgeschichtliche Ende gebraucht wird: to telos
wie in Mt 10,22; 24,6; Mk 13,7; Lk 21,9; 1Kor 15,24; 1Petr 4,7.
Hingegen wäre to teleion, das Paulus das Paulus in 1Kor 13,10 verwendet,
für die Vollendung absolut einmalig. Paulus hätte sich dann äusserst missverständlich, um nicht zu sagen irreführend ausgedrückt.
Was meinte Paulus mit to teleion?
Wir müssen zwei Dingeberücksichtigen: erstens den Textzusammenhang;
zweitens den Gebrauch des Wortes im übrigen NT.Im 1. Korintherbrief selbst wird teleios einmal gebraucht im Sinne von »sittlich vollkommen« (2,6), das andere Mal im Sinne von »ausgewachsen = erwachsen« (14,20). Im Kapitel 13 spricht Paulus von Dingen, die nur vorläufi g, vorbereitend sind, die eben nur Teile des Ganzen bilden. to teleion bildet den logischen Gegensatz zu den vorläufi gen und vorbereitenden
Teilen und bezeichnet das Bleibende, das Ganze, das aufs Vollmaß
Gebrachte. Es scheint mir auch offenkundig, dass Paulus auf die gängige Bedeutung des Wortes teleios = »erwachsen« in assoziativer Weise anspielt. Wenn er nämlich vom verschiedenartigen Gebaren des Kindes und des Mannes spricht, wird man unweigerlich an diese Bedeutung des Wortes erinnert, und bekommt so den Eindruck, dass Paulus hier die Richtung weise, in der wir das semantisch recht weite teleios zu deuten haben: »ausgewachsen, komplett, vollständig«. Auch in 1Kor 14,20,
wo teleios verwendet wird, begegnen wir dieser Gegenüberstellung
von Kindern und Erwachsenen. Es bleibt noch die Frage, welches zum Neutrum to teleion passende Bezugswort in der Wendung des Paulus ausgelassen wurde. Vom direkten Textzusammenhang her bleibt nur to gignoskein (das Erkennen) und to propheteuein (das Weissagen): das vollkommene Erkennen und Weissagen der göttlichen Ratschlüsse.
Es ließe sich mit Blick auf Kol 1,25-28 auch an das Bezugswort to mysterion (das Geheimnis) denken. Dort spricht Paulus davon, dass das Wort Gottes durch ihn noch auf sein Vollmaß gebracht werden solle (1,25), und dass durch seinen Dienst jeder Mensch »teleios, vollkommen in Christus« (1,28) dargestellt werde. Zum Vergleich bietet sich auch Röm 12,2 an, wo Paulus davon spricht, dass wir durch Erneuerung unseres Sinnes zur Erkenntnis des vollkommenen oder vollständigen Willens Gottes, to telema to teleion gelangen sollen. to teleion bezieht sich
somit auf das vollständige Erkennen und Weissagen, sei es des
Geheimnisses, sei es des Willens Gottes. Nehmen wir nun alles bisher Erkannte in Betracht, ist der Schluss unausweichlich, dass Paulus in 1Kor 13 von etwas spricht, das aufs Vollmaß gebracht, zum Abschluss gekommen ist und nun vollständig, komplett dasteht. Etwas freiformuliert,
sagt Paulus also in 13,9.10: »Denn wir erkennen vorläufig nur in Teilstücken, und wir weissagen nur in Teilstücken; wenn aber das vollständige Erkennen und Weissagen da sein wird, dann wird das Erkennen und Weissagen in Teilstücken abgeschafft werden.«
Das vorläufige Erkennen und Weissagen ist das durch direkte Inspiration gewirkte. Das vollkommene Erkennen und Weissagen hingegen ist das auf Gottes inzwischen vollständig abgeschlossenem Wort beruhende. Das vorläufi ge Erkennen und Weissagen geschah ek merous, stückweise; stückweise; dem steht das Erkennen es voll geoffenbarten und niedergeschriebenen Ratschlusses Gottes, to teleion, gegenüber.
Wie gebraucht das NT den Ausdruck ek merous?
Das Hauptwort meros bedeutet »Teil«, die Präposition ek »aus«.
Beides sind häufi ge Wörter, die Fügung ek merous kommt hingegen
im NT nur fünf Mal vor, nämlich in 1Kor 12,27 und vier Mal im hier untersuchten Kapitel (13,9.10.12). In 12,27 lesen wir, dass die einzelnen Gläubigen ek merous Glieder Christi sind, das heißt, »jedes Glied für sich, je ein- zeln«. Jedes Glied ist lediglich ein Teilstück des Ganzen, als solches aber vollkommen, keineswegs ein »Stückwerk«, also etwas nur halbwegs Vollkommenes, etwas Halbfertiges. Genau so verwendet Paulus ek merous auch in 13,9. Er meint damit in sich völlig zuverlässige und an Klarheit nichts ermangelnde einzelne Teile der noch nicht komplett vorliegenden Gesamtoffenbarung, des teleion. Wenn wir uns die restlichen Fügungen mit meros im NT ansehen, wird das noch deutlicher. Am häufi gsten ist apo merous (Röm 11,25; 15,15.24; 2Kor 1,14; 2,5). Es meint nun genau das, was viele (durch Luthers unglückliche Übersetzung gefördert) in 1Kor 13 unter »Stückwerk« verstehen:
• Röm 11,25: Den Juden ist nicht vollständig, sondern nur
apo merous Blindheit widerfahren; denn nicht alle sind davon
befallen.
• Röm 15,15: Paulus hat den Römern apo merous, »ein Stückweit
«, freimütiger geschrieben, und er möchte sich apo merous,
»einigermaßen« (Röm 15,24) an ihnen sättigen.
• 2Kor 1,14: Die Korinther kennen Paulus apo merous, »zum
Teil«, und er ist von ihnen apo merous, »ein Stückweit«, betrübt
worden (2Kor 2,5). Hätte Paulus sagen wollen, dass wir nur »ein Stückweit«, also unvollkommen erkennen, so wie beispielsweise die Korinther Paulus nur »zum Teil« kannten, dann hätte Paulus in 1Kor 13 niemals ek merous verwendet, sondern eben apo merous. Eine andere Möglichkeit, etwas zu bezeichnen, das unvollkommen ist, finden wir in 1Kor 11,18: merosti, »(irgend) ein Stück, ein Stückweit«, glaubte Paulus an die schlechten Meldungen, die ihm aus Korinth zu Ohren gekommen sind.
Die weiteren präpositionalen Fügungen mit meros sind:
• ana meros (1Kor 14,27), was wörtlich »Teil um Teil«, oder
»Stück um Stück«, an dieser Stelle also »einer nach dem
andern« bedeutet.
• en merei (Kol 2,16), wörtl. »in Teil«, das ungefähr dem
Deutschen »in Sachen …« entspricht.
• kata meros (Hebr 9,5), wörtl. »dem Einzelteil nach«, d. h.
»detailliert«, »im Einzelnen«.
An allen übrigen Stellen im NT bedeutet meros konkret das Teil oder das Stück. Damit ist rein sprachlich die Deutung von ek merous Erkennen
als nur stückwerkhaftes Erkennen, welches welches die Gemeindezeit
auf Erden charakterisieren soll, ausgeschlossen. Nein, Paulus will den Korinthern sagen, dass alles Erkennen und Weissagen noch in Einzelteilen (ek merous) geschehe, bis das Vollständige (to teleion), die Gesamtoffenbarung Gottes gekommen und niedergeschrieben sei. So spricht Paulus in 1Kor 13 nicht vom Gegensatz gegenwärtige Zeit –kommende Herrlichkeit, sondern vom Gegensatz einleitende Offenbarungsstufe – abgeschlossene Offenbarungsstufe.
Quelle.B.Peters
hier