ich mache hier ein neues Thema auf, angeregt durch eine Diskussion mit dem Titel "6000 Punkte für den Himmel" unter Bücher und Medien. Ich will hier auf die dort anfangs gestellte Frage eingehen, die weit über die dort analysierte Website hinausgeht:
Deutschland ist ja in der Spitzenmannschaft, wenn es um audiovisuelle Verkündigung geht. Wir haben christliche Medienwerke mit jährlichen Millionenbudgets. Mehrere. Und da liegt schon das erste Problem. Um diese Mittel dauerhaft sicherzustellen, muß die Botschaft dem Geschmack der "Spenderbasis" angepaßt werden. Jürgen Werth hat sich klar von uns Kreationisten distanziert, Parzany und andere vermeiden harte Worte wo sie nötig wären, und ganz allgemein fangen die meiste Werke als missionarische Werke an, bis der riesige finanzielle Aufwand es dann erforderlich macht, am Ende praktisch nur noch Inhalte für die Geldgeber, d.h. für eine christliche Zielgruppe zu produzieren. Ich kenne keine Ausnahme, abgesehen von den Studios in Altensteig, bei denen das damalige Konsortium namhafter Investoren schon vorher nach massiven Geldverlusten das Handtuch warf.Leo_Sibbing hat geschrieben:Was haltet ihr im allgemeinen von Evangelisation per Medien (Internet/DVD)?
Im Internet und bei den Video-/DVD-Produktionen gibt es noch mehr Projekte, die sich konsequent an Nichtchristen richten. Dort stören mich jedoch andere Dinge:
"Storytelling", also das Erzählen einer Geschichte, wird als wirkungsvoller gesehen als die Vermittlung von Fakten. Fakten werden um der rührenden Geschichte willen mal abgeändert, mal übertrieben dargestellt, und oft sagt das Bild mehr als 1000 Worte: Selbst wenn die "Fakten" stimmen, stellt die Präsentation diese Fakten in einen völlig anderen Kontext, in dem auch die Bedeutung dieser Fakten eine andere wird.
Gerade audiovisuelle Medien (TV/Video/DVD) haben ein Problem: Die Aufmerksamkeitsspanne der Zuschauer ist begrenzt. Und: Viele schalten (innerlich oder am Gerät) ab, sobald sie wittern, daß sie "missioniert" werden. Daher verfolgen unzählige christliche Produktionen den Ansatz, möglichst lange eine spannende/rührende oder anderweitig emotional wirksame Geschichte zu erzählen, um dann kurz vor Schluß die eigentliche Botschaft zu präsentieren.
Kurz: Erst einen Köder fürs Fleisch (Augen, Ohren, Emotionen) auswerfen, durch den beim Betrachter die innere Zurückhaltung zu entspanntem Zurücklehnen oder gar zur Neugier wird. Dann die geistliche Botschaft reindrücken. Das funktioniert nie, auch wenn manche anführen, daß Jesus ja auch erst die 4000 gespeist hätte, bevor er ihnen predigte.
Die audiovisuellen Medien sind eine Wissenschaft der Manipulation. Der Durchschnittszuschauer merkt davon praktisch nichts, da er sich auf den Inhalt konzentriert, doch die Macher überlassen jedoch nichts dem Zufall. Die plötzlichen Veränderungen in der Dynamik der Hintergrundmusik, bestimmte dominierende Farbschemata und Tricks in der Lichtsetzung, schnelle Schnitte oder langgezogene Blenden, der Wechsel zwischen Totale und Naheinstellungen abhängig vom emotionalen Potential der Szene: Jeder Schweißausbruch, jedes Herzklopfen, jede Träne des Zuschauers wird letztendlich gezielt geplant.
Auch wenn es für manche etwas weit hergeholt scheint: In meinem eigenen Berufsleben bin ich zu dem Schluß gekommen, daß der biblische Begriff des "Zaubers" dieser emotionalen Steuerung sehr nahe kommt. Die Reaktion des Zuschauers ist selten von den Fakten bestimmt und ist eher ein Resultat emotionaler Vorgänge. Auf dieser Basis kann Verkündigung nicht stattfinden.
Die audiovisuellen Medien sind wohl die teuerste mehrwertfreie Methode zum Erreichen Unerreichter. (Die Kosten zum Erreichen jedes einzelnen Zuschauers sind teilweise so hoch, daß man jedem der wenigen Zuschauer ein gutes Buch und eine Bibel schicken könnte!) Beim "Fundraising" wird nicht selten gemogelt: Allein die "Freundesbriefe" der etablierten Teilnehmer am christlichen Medienmarkt sagen schon viel: Die theoretische (technische) Reichweite wird meist als tatsächliche Reichweite propagiert, d.h. es wird z.B. der Eindruck erweckt, eine Sendung erreiche "bis zu 150000 Haushalte". (Diese Zahl ist jeweils die Gesamtzahl der Haushalte, die vom entsprechenden Kabelnetz versorgt werden.) Oder noch schlimmer, "bis zu 375000 Menschen". (Anzahl der Haushalte im Versorgungsgebiet multipliziert mit der Durchschnittsanzahl der in einem Haushalt lebenden Personen... auch wenn es selbst in Berlin schon schwer ist, mit einer christlichen Sendung einmal auf 1000 Zuschauer zu kommen.) Irreführende Zahlen finden man übrigens auch bei führenden "Internet-Missionen", wo man ebenfalls dieselben Besucher gern mehrmals zählt, um dann in Bettelbriefen davon zu sprechen, wie man hunderttausende Menschen "erreicht". (Dabei sind 98% der Besucher bereits gerettet!) Und so wird nie wirklich "gelogen", aber eben oft gezielt nur die halbe Wahrheit verbreitet. Und natürlich gibt es in allen bekannten Portalen dieser Art einen Online-Shop, wo man allen möglichen Kitsch und Quatsch erwerben kann...
Dauerhafte Abhängigkeit von hohen finanziellen Einnahmen hat in diesem Bereich wohl noch nie für mehr Gottvertrauen, sondern immer für mehr Kompromisse gesorgt.
Ansonsten kann ich nur ein Buch von Wolfgang Zöller empfehlen: "Wenn das Bild das Wort erschlägt". Ich sehe nicht alles so wie er, aber er schildert viel wahres und hat mich in einigen Punkten sehr nachdenklich gemacht. Link hier: Wenn das Bild das Wort erschlägt (PDF) (Buch zur Zeit vergriffen, daher verlinke ich direkt auf die PDF-Datei.)
Liebe Grüße,
Andy