1.H.W.Deppe hat geschrieben:Wenn sie die *Erlösung*, hier "das erlösende Leiden", in der Gegenwart noch irgendwie fortsetzen sollte … Dann wäre auch die Vollkommenheit des (ein für allemal der Vergangenheit angehörenden) Sühnopfers Christi in Frage gestellt.
Wir sind ja seit dem Geschichtsunterricht an ein lineares Zeitverständnis (Zeitstrahl) gewöhnt. Ich bin mir aber nicht ganz sicher, ob das zur Beurteilung aller geistlichen Gegebenheiten ausreichend ist oder ob wir nicht vielmehr zugestehn müssen, daß Gottes Zeitsystem komplexer ist.
Vgl. hierzu Jes. 55, 8f:
Denn meine Gedanken sind nicht eure Gedanken, und eure Wege sind nicht meine Wege, spricht

und zur Vierdimensionalität des Denkens Gottes Eph. 3, 18:
…auf daß ihr völlig zu erfassen vermöget mit allen Heiligen, welches die Breite und Länge und Tiefe und Höhe sei…
und natürlich auch 2, Petr. 3, 9:
Dies eine aber sei euch nicht verborgen, Geliebte, daß ein Tag bei dem Herrn ist wie tausend Jahre, und tausend Jahre wie ein Tag.
Ich will damit nicht sagen, daß es keinen Sinn hätte, darüber nachzudenken, weil wir Gottes Gedanken ohnehin nicht verstehen können, schließlich werden wir ja aufgefordert, Breite, Länge, Tiefe und Höhe »völlig zu erfassen«. Das bedeutet doch aber, daß wir über die maximal dreidimensionalen Denkschemata unserer Schulbildung hinausdenken sollen. Analoges wäre dann auch für das lineare Zeitverständnis der Welt anzunehmen.
2.
Unstrittig ist doch unter uns, daß das Sühneopfer des Christus endgültig und vollkommen ist. Offensichtlich ist aber auch, daß weiterhin Menschen errettet werden, daß also das Erlösungswerk noch im Gange ist und das Erlösungshandeln Gottes andauert. Dies findet natürlich auf der Grundlage des endgültig Vollbrachten statt. Daß Christus weiterhin unter der Unerlöstheit des größten Teiles der Menschheit leidet, halte ich auch für unstrittig – ich glaube nicht, daß irgendjemand hier behaupten will, daß ihm diese gegenwärtig gleichgültig ist. Wenn also die Herausgerufene (Gemeinde) Leib des Christus ist, dann kann sie gar nicht anders, als dieses (gegenwärtige) Leiden mit ihm zu teilen.
3.
Das Kreuz (korrekt: der Pfahl*) und die Herausgerufenen:
Mt. 10, 38: …und wer nicht sein Kreuz aufnimmt und mir nachfolgt, ist meiner nicht würdig.
Mk. 8, 34: Wer irgend mir nachkommen will, verleugne sich selbst und nehme sein Kreuz auf und folge mir nach.
Lk. 14, 27: …und wer nicht sein Kreuz trägt und mir nachkommt, kann nicht mein Jünger sein.
Gal. 6, 14: Von mir aber sei es ferne, mich zu rühmen, als nur des Kreuzes unseres Herrn Jesus Christus, durch welchen mir die Welt gekreuzigt ist, und ich der Welt.
Gal. 2, 20: ich bin zusammen mit Christus gekreuzigt, und nicht mehr lebe ich, sondern Christus lebt in mir…
Röm. 6, 5: Denn wenn wir mit ihm einsgemacht worden sind in der Gleichheit seines Todes, so werden wir es auch in der seiner Auferstehung sein.
Wenn wir diese Aussagen ernstnehmen, und wenn wir den Kern des Evangeliums, der ja lautet »ich bin mit Christus gestorben und auferstanden« nicht zu einer leeren Worthülse herunterstufen wollen, dann heißt das doch: An diesem Kreuz (Pfahl*) hing der gesamte Christus – Haupt und Leib – und damit auch die gesamte Herausgerufene (Gemeinde). Sie ist mit ihm angepfahlt, sie leidet mit ihm, wird mit ihm verherrlicht, ist Bestandteil des Erlösungswerkes. Wenn wir mal für einen Augenblich unser lineares Zeitverständnis vergessen (bzw. zugestehen, daß das, was historisch nacheinender geschieht, geistlich zusammengehört – nämlich das Leiden des Hauptes, Christus und das Leiden des Leibes, der Gemeinde), dann fügt sich das relativ unproblematisch zusammen.
Ums philosophieren geht es ja nicht, sondern darum, die eingangs angeführten Bibelstellen verständlicher zu machen.H.W.Deppe hat geschrieben:Außerdem ist die Lehre der Schrift, was das Leiden der Gemeinde betrifft, ja klar genug und es besteht kein Anlass, noch darüber hinaus zu philosophieren.
Gruß, Hans-Werner
* vgl. http://www.betanien.de/forum/viewtopic.php?t=237