
I. TEIL: Theologie
ERSTE ABTEILUNG.
Vom Dasein Gottes
§ 1. Von der Erkennbarkeit Gottes und seines Daseins
Die Theologie, in dem beschränkten Sinne von „Lehre von Gott“, hat es mit der Art und Weise der Erkenntnis Gottes zu tun, oder mit dem „modus Deum cognoscendi“. Es fragt sich zunächst, auf welchem Wege wir zur Erkenntnis Gottes überhaupt gelangen können: ob Gott und inwiefern er erkennbar ist. Die Erkennbarkeit ist es, die uns vor allen Dingen beschäftigt; dann erst können wir von der Erkenntnis selber reden. Vom Dasein eines Wesens außer ihm, kann sich der Mensch als ein im Leibe Lebender auch nur vermittelst seiner leiblichen Sinne überzeugen. Es ist eine unbewiesene Annahme, daß das innere Gefühl oder der Verstand ausreichte, um uns das Dasein einer Person außer uns zu entdecken und zu garantieren; vielmehr lehrt uns die Erfahrung, daß wir, als an den Leib gebundene Wesen, auch nur vermittelst der leiblichen Sinne von dem Vorhandensein eines Wesens außer uns überzeugt werden können. Dies gilt von allen Wesen, die außer uns ihr Dasein haben, und so auch von Gott. Genaue und richtige Erkenntnis haben wir dadurch allein von Gottes Dasein, daß es uns jemand gesagt hat; allgemeiner ausgedrückt: durch die Offenbarung. In grundlegender Weise sagt Johannes im Evangelium 1,18: „Niemand hat Gott jemals gesehen“. Aber Johannes gibt sofort den richtigen Weg an, auf dem man zur Erkenntnis Gottes gelangt, wenn er fortfährt: „der eingeborene Sohn, der an dem Busen des Vaters gelagert ist, der hat es uns ausgelegt“. Das will also sagen: Gott ist nie in seinem eigentlichen, rein göttlichen Wesen an den Menschen direkt und unmittelbar herangetreten; kein Erfahrungsbeweis läßt sich dafür liefern. Niemand kennt Gott, wie er eigentlich ist; nur der eingeborene Sohn hat uns Gott geoffenbart. Daß der Sohn solches vermochte, wird dadurch erläutert, daß er an demBusen des Vaters, mithin in dessen unmittelbarer Nähe, seinen Platz hat, und das eben gilt von keinem sonst. Alle anderen außer dem Sohne haben nur eine durch das Wort oder, nach dem Griechischen, durch die Exegese des Sohnes vermittelte Erkenntnis Gottes und seines Daseins. Mt 11,27. Ohne dieses Wort oder diese Offenbarung des Sohnes Gottes weiß der sinnliche Mensch vom Dasein Gottes nichts Gewisses. Nur das Wort der Offenbarung vermittelt ein direktes und umfassendes Wissen vom Dasein Gottes. Wir sagen demnach: Gott, wie er wirklich ist, ist nur darum erkennbar, weil er sich im Wege der Offenbarung bekannt gemacht hat. Hebr 1,1.2. Neben diesem geoffenbarten Wissen von Gott gibt es aber erfahrungsgemäß in der Menschheit noch ein anderes Wissen von Gott.38 Neben dem vollständigen gibt es ein relatives Wissen, das wir ein angeborenes nennen dürfen. Dieses Wissen läßt die Menschen zur Religion überhaupt kommen; ohne dieses Wissen würde nicht einmal die Offenbarung uns ansprechen und verständlich sein. Denn mit einer „tabula rasa“ weiß auch die Offenbarung nichts anzufangen. Es gibt Notizen von Gott, es gibt Begriffe von ihm, die so ursprünglich sind, daß man sie als dem Menschen angeboren zu betrachten hat, gerade so angeboren wie z.B. die Vorstellung von gut und böse, die Vorstellung von Raum, Zeit und Zahlen. Aber dieses ursprüngliche Wissen von Gott beschränkt sich auf vereinzelte Notizen, und es erhebt sich nicht über den sporadischen Charakter, den besonders die heidnischen Religionen uns zeigen. Immerhin hat der Mensch kraft dieser angeborenen Gotteserkenntnis (notitia Dei nobis insita) irgend ein Wissen von Gott. Die Gottesidee, oder die Fähigkeit, Gott als einen Begriff zu denken, ist ein unverlierbares Gut des menschlichen Geistes. Aber aus jenen vereinzelten Notizen läßt sich ein umfassendes Bild Gottes nicht entnehmen. Wie alle angeborenen Begriffe, hat auch der Gottesbegriff bloß den Wert eines Axioms, aus dem wir erst unsere Schlüsse ziehen müssen. Durch Reflexion müssen wir das Axiom zur Entfaltung bringen. Wodurch aber ist diese Reflexion geleitet; wie kann man aus den vereinzelten Fäden der Reflexion ein Gewebe spinnen, um zu einer Wissenschaft von Gott zu gelangen? Jene Begriffe oder jene Notizen sind wohl Wegweiser, aber sie helfen uns nicht, um das Ziel auch zu erreichen. Es ist keine Garantie vorhanden, daß wir kraft des angeborenen Gottesbegriffes Gott auch wirklich erkennen, wie er ist, also z.B. als Vater und Herr über alles. Die angeborenen Begriffe sind gleichsam lahm, so daß sie der Unterstützung bedürfen, um zum Ziele zu kommen. Ich kann mir zwar allerlei Gedanken über Gott und die göttlichen Dinge machen, aber bringt das Denken mich denn schon in den Besitz des Gedachten, oder in wirklichen Kontakt z.B. mit Gott? Gewiß nicht. Mein Wissen um ein Objekt bewirkt noch nicht, daß ich von dem Gewußten auch Besitz ergreife, zumal hier, wo es sich um ein Wesen handelt, welches freie Selbstbestimmung hat. Das Wissen tut weder den Dingen noch den Personen Gewalt an; Gott aber ist eine Person, über die der Mensch sich wohl allerlei Gedanken machen kann, über die zu disponieren aber ihm keineswegs zusteht.
Anders urteilen freilich zwei Schulen der Neuzeit: die Schleiermacherische einerseits, die rationalistische andrerseits. Schleiermacher und seine Nachfolger wünschen die Notwendigkeit einer Offenbarung gleich in diesem Hauptstücke, in der Lehre von Gott, zu umgehen; sie schreiben daher dem Menschen ein unmittelbares Innewerden Gottes im Bewußtsein zu, welches dann an die Stelle der mittelbar an uns gelangenden Erkenntnis Gottes treten soll. Zu dem Ende hat Schleiermacher Gott zu dem allgemeinen Hintergrund und dem Woher unseres Daseins verflüchtigt, und er findet in der dunklen Wahrnehmung, daß wir Menschen von einem Etwas außer uns abhängig sind, einen Beweis für das Dasein Gottes. Religion ist ihm Abhängigkeitsgefühl; Glaube an Gott identisch mit Gefühl der Abhängigkeit von einem Etwas über uns und außer uns. Dieses Abhängigkeitsgefühl überhebt ihn einer grundlegenden Offenbarung des Daseins Gottes vermittelst der Schrift. (vgl. Schleiermacher: „Der christliche Glaube“, § 4 und 33.) Wir bemerken dagegen, daß jenes Gefühl der Abhängigkeit im wahrhaft christlichen Sinne dieses Wortes (und so will Schleiermacher es doch verstanden wissen) eine Erfahrung von Gottes Dasein schon voraussetzt und also den Beweis für das Dasein Gottes nicht liefern kann. Um mich an etwas anzulehnen, muß ich wenigstens schon zum voraus wissen, daß das Ding Halt gewährt; ich muß die Erfahrung von einem Gott, welcher lebt, in mir tragen, sonst verlasse ich mich eben nicht
darauf. Solche Erfahrung von einem Gott, welcher wirklich lebt, vermittelt uns aber allein die Offenbarung Gottes, und dann erst fühle ich mich wahrhaft abhängig. Das Gefühl der Abhängigkeit, wie Schleiermacher es faßt, oder das Gottesbewußtsein, das er also herausbekommt, ist ebenso wenig beweisend für das wirklich lebendige Dasein Gottes, wie der Hunger beweisend ist dafür, daß Speise auf dem Tische steht. Die Speise muß wirklich von Fall zu Fall herbeigeschafft werden; ebenso muß Gott der Allerhöchste wirklich sich offenbaren, er muß der schwachen,
hinfälligen Gottesidee die Flügel ansetzen, daß sie sich erhebt zu ihm; sonst drehen wir uns im Kreise herum und setzen voraus, was zu beweisen war. Wir operieren mittels angeborener Ideen von Gott und behaupten, diese Ideen seien genügend, um Gott zu erkennen, wie er ist, sein Dasein für den hilfsbedürftigen Menschen zu dokumentieren. Die Furcht vor Dieben ist aber kein Beweis, daß Diebe in der Nähe sind; die allgemeine Vorstellung, daß es Diebe gibt, konstatiert noch nicht das Dasein von Dieben selber. Auf dem Wege, den Schleiermacher eingeschlagen hat, könnte man ebenso gut die Realität der Gespenster erweisen. Man kommt in der Neuzeit wirklich auch davon zurück. Schleiermacher war ein Pantheist, d.h. er verzichtete auf ein persönliches, aktuelles Dasein Gottes; oder wenn das nicht, dann ein schlechter Denker. Ebenso, wie Schleiermacher, irren diejenigen, welche mittels der Vernunft auf das Dasein Gottes in genügender Weise schließen wollen. Also verfahren die Vertreter des Rationalismus, welche die Gottesidee zu einer Vernunftwahrheit machen. Hier tritt an die Stelle des persönlichen Gottes ein bloßer Begriff. Die angeborene Idee, daß ein Gott sei, wird zu einer Himmelsleiter, die uns zu Gott führen soll; aber daß wir diesen persönlichen Gott nun auch erreichen und nicht etwa bloß ein Phantom, eine moralisch aufgeputzte Idee unseres Gehirns, anbeten, wer
verbürgt uns das? Es hat jedoch die Vernunftidee nicht die Kraft in sich, um uns zu erheben in das Gebiet, wo derjenige lebt, dem wir alle Leben und Dasein verdanken. Mittels der Vernunft und des Gefühls kommen wir nicht weiter, als die Heiden mit ihrer angeborenen Gottesidee. Schleiermacher und die Rationalisten putzen die notitia Dei naturalis nur künstlich auf. Man macht sich allerlei Bilder und Vorstellungen von Gott, man bekleidet dieselben mit allerlei selbstersonnenen Namen, man nennt ihn Jupiter, Zeus, Baal, Allvater; aber ein Name, der sich mit dem Wesen deckt, kommt auf diesem Wege nicht heraus. Der Grund liegt einfach darin, daß Gott ein persönliches Wesen ist, nicht aber ein Prinzip, ein Gedanke, eine Idee, die man erschließen müßte, und die man als Schlußstein zuletzt dem ganzen Gebäude einfügt. Gott ist ein persönliches Wesen, und als solcher bedient er sich des Vorrechts der vernünftigen Geister. Er offenbart sich, er redet von Mund zu Munde (4.Mose 12,8), überläßt es aber nicht dem Menschen, das beste Teil der Arbeit zu vollbringen, nämlich von unten her die Leiter anzustellen, um zu ihm zu kommen; vielmehr streckt er seine Hand von oben herab und hilft den hinfälligen, schwachen Ideen des Menschen, so daß sie in den Stand gesetzt werden, zu ihm sich aufzuschwingen. Auf die Frage des Weisen in den Sprüchen Salomos (30,4): „Wer ist hinaufgefahren zum Himmel und wieder herab?“… auf diese Frage gibt allein die göttliche Offenbarung eine Antwort. Ohne diese Offenbarung bleiben wir die Antwort auf jene Frage schuldig. Mit Hilfe des Systems Schleiermachers oder der Rationalisten läßt sich keine Himmelfahrt unternehmen, nur eine Erdenfahrt wird uns ermöglicht, und wir gehen von einer Ungewißheit in die andere, wogegen uns auf dem Weg der Offenbarung die volle Gewißheit erschlossen wird. Wollen wir Gott kennen lernen, so sind wir gewiesen an seine Offenbarung, speziell an die hier mitgeteilten Namen. Wir halten uns streng an die göttliche Initiative und lernen sein Wesen kennen aus dessen Äußerungen, die uns die heilige Geschichte durch Jahrtausende hindurch aufbewahrt hat, und welche die Propheten und Apostel schriftlich aufgezeichnet haben. Schleiermacher und die Rationalisten mißbrauchen lediglich die angeborene Gotteserkenntnis. Ihnen soll dieses Wissen von Gott die Offenbarung gleich in dem ersten Hauptstücke ersetzen; es soll die Überzeugung von Gottes Dasein auf keinem anderen Wege als durch den menschlichen Kanal, durch das menschliche fromme Bewußtsein oder die Vernunft uns zugekommen sein. Das ist verkehrt. – Sollen wir darum aber die angeborene Gotteserkenntnis verwerfen? Hat sie gar keinen Wert ? Gewiß, sie hat einen solchen. Sie ist die Mitgift an den Menschen, ohne welche er nicht einmal der höheren Offenbarung teilhaftig werden könnte; nur freilich kann sie keineswegs die Offenbarung des Sohnes Gottes ersetzen. Denn diese angeborene Gotteserkenntnis besteht selbst nur aus vereinzelten Ideen, die der Stütze und der Anleitung von oben bedürfen. Betrachten wir nun diese natürliche Gotteserkenntnis.