Fortsetzung in der „Kritik“ Schirrmachers:
Alle in einen Topf?
Was ist der Kritikpunkt Schirrmachers? Erdmann wirft alle unterschiedslos in den Topf, der da heißt: „die Gemeinde Jesu weg vom Evangelium hin zur Beeinflussung durch die Welt zu locken“.
Dazu zitiert er wieder aus den für ihn so zentral scheinenden Seiten (28 – 31). Er zitiert die Passage auf Seite 29:
„Indem sich viele Christen auf neue, weit gefächerte Allianzen mit Dominionisten einlassen, geben sie ihre Aufgabe als Zeugen des Evangeliums preis. Das Vermögen, als unabhängige Menschen zu leben, die sich in direkter Verantwortung gegenüber Gott einzig an der Bibel orientieren, wird deutlich eingeschränkt.“
Nach der Lektüre von Erdmanns Buch sehe ich das so: Für Christen, die das schon lange genug getan haben, ist dieses Zitat eine Zustandsbeschreibung. Für Christen, die es noch nicht lange genug tun, ist dieses Zitat zu erwartende Prognose. Für Christen, die es noch nicht in Erwägung zogen, ist es eine Warnung. Für alle drei Gruppen ist es aber die Hoffnung dem ein oder anderen doch noch die Augen zu öffnen. Für eine letztgültige „Verdammung“ ist hier kein Platz (weil Schirrmacher meinte: Erdmann verdammt sie alle.).
Dabei ist freilich zu beachten, dass Erdmann „Dominionismus“ definiert.
Wenn bspw. „Transformation“ (also die Umgestaltung der „Welt“ oder die „Verbesserung“ der Welt) da rein fällt, ist es doch nicht weit hergeholt, dass man dazu „Allianzen“ eingehen muss. „Allianzen“ eingehen um Einfluss zu gewinnen ist doch für eine solche „Transformation“ nötig.
Grundlage ist doch eben nicht die Bekehrung Einzelner, die dann „würdig dem Evangelium leben wollen“, sondern bspw. die „äußerliche ethische (moralische) Anpassung“ Unbekehrter. Eine solche Anpassung muss zur „Verwässerung“ des Evangeliums führen. Nach der Schrift dient das Gesetz zur Überführung von Sünde – hier wird biblisches Gesetz zur Segenserfüllung. … Was wird dem Unbekehrten hier eigentlich für Hoffnung gemacht? Kann sich der Unbekehrte überhaupt noch als „Sünder“ wahrnehmen unter den zuversichtlichen Prognosen derer, die „transformieren“? …
Also ich finde das Zitat von Erdmann keineswegs abwegig – muss aber sagen, dass es durchaus sein kann, dass Vertreter solcher von Erdmann kritisierten Positionen, mit Eifer das Ganze anders sehen.
Das Buch liefert Belegbeispiele, auch wenn der europäische Kontext jetzt nicht die Berücksichtigung findet, die doch wünschenswert wäre. (Aber ein anderes Buch ist ja nicht ausgeschlossen.)
Erdmann unterscheidet in seinem Buch zwischen Initiatoren (von „Mega-initiativen“ bspw.) und „Mitläufern“. Die Zielsetzungen solcher Initiatoren werden vielfach belegt. Es ist also nicht so, dass jemand aus Versehen mal was gesagt hat und dann mir nichts dir nichts in irgendeinem „Topf“ landet.
Ist es nach biblischem Maßstab wirklich ein Kritikpunkt, wenn jemand behauptet: Gehe mit der Welt eine Allianz ein und du wirst weg vom Evangelium gezogen?
Ist es wirklich ein Kritikpunkt, wenn jemand behauptet: die Welt verbessern zu wollen, ist bereits eine Verlockung, die dich vom Evangelium wegzieht?
Also ich denke darüber kann jeder Christ anhand seiner Bibel selbst nachdenken.
Schirrmacher hat sich selbst zwei Beispiele herausgegriffen.
1. Beispiel (John Stott - S. 74–75): Schirrmacher betont, dass es falsch ist, einem Stott vorzuwerfen, er habe die Evangelisation verraten. Wo hat Schirrmacher denn diesen Vorwurf gelesen? Im Zusammenhang mit Stott wird belegt, dass er zuerst
in drei Plenarsitzungen den Missionsbefehl biblisch beleuchtet. Damals hielt er noch an der klassischen Definition der Mission fest. Er argumentierte, dass „der kirchliche Missionsbefehl nicht die Umgestaltung der Gesellschaft einschloss, sondern die Verkündigung des Evangeliums bedeutete“. Stott bestätigte 1975 in einem seiner Bücher selbst, dass er 1966 so dachte. (S. 74)
Wenn es hier was zu fragen gäbe, dann wohl: Wieso hat sich diese Auffassung geändert? An der Bibel kann es doch wohl nicht liegen – die ändert sich bekanntlich nicht mehr.
Wenn zur einfachen Verkündigung des Evangeliums noch die Komponente „Umgestaltung der Gesellschaft“ hinzutritt, bedeutet dies keineswegs, dass Verkündigung sofort aufhört. Erdmann zeigt doch eben gerade mit seinem Buch auf, dass sich im Zuge des Vorwärtsschreitens sowohl Prioritäten als auch Art und Weise der Verkündigung als auch Inhalte von Verkündigung verändern (unter Beibehaltung so mancher „biblischer Begriffshülse“).
Am Ende von Seite 75 heißt es:
Dieser historische Hintergrund gibt Antwort auf die Frage, warum C. Peter Wagner neue Lehren in die Welt setzen konnte, ohne unter den Evangelikalen auf großen Widerstand zu stoßen. … Es erklärt auch, warum Rick Warren … In der Tat ist dies eine Umkehrung dessen, was man traditionell unter christlicher Mission verstanden hat.
2. Beispiel (Arbeitsgemeinschaft Evangelikaler Missionen – Seite 183 – 184): Schirrmacher stellt fest, nach Erdmann stehen sie im Verdacht die Weltmission verraten zu haben. Nach Schirrmacher macht Erdmann Unterstützern einer Initiative den Vorwurf damit das Evangelium zu verraten.
Das sind erst einmal Schlussfolgerungen, die Schirrmacher für sich selbst aus dem Buch zieht. Dass Erdmann hier „wild“ mit Vorwürfen des Verrats um sich „schmeißt“, ist für jemand der das Buch genau liest nicht nachvollziehbar.
Die Fußnote von der Schirrmacher spricht, steht am Ende folgender Sätze:
Im deutschsprachigen Raum treten Befürworter der „Micha-Initiative“ mit großem Eifer an die Öffentlichkeit. Zahlreiche christliche Werke und Verbände in Deutschland unterstützen die Initiative.
Also ich sehe die Fußnote als nichts Anderes an als einen Beleg für den Erfolg des großen Eifers. Es ist aber auch zu bemerken, dass es Thema im Buch von Erdmann ist: Gehört der Kampf gegen Armut zur Mission? Es gibt nicht mehr nur eine Definition des Begriffs „Mission“. Nicht planlos stehen die Seiten 183 und 184 unter der Kapitelüberschrift: „Sozialevangelium und Kommunitarismus“.
Als Laie: Wann liegt Verrat an der „Weltmission“ vor? – wenn der „Welt“ das Evangelium nicht mehr oder verändert gebracht wird, denke ich. Ist es aber nicht gerade das, was Erdmann in seinem Buch zeigen will? Wie sich das Evangelium verändert bis es sich sozusagen „ganz auflöst“? Aber es gibt kein Vakuum. Die Umgestaltung der Gesellschaft nimmt den Platz ein, der vorher anders besetzt war. Genau das ist die Tendenz, die Erdmann historisch belegt und forciert für die Zukunft prognostiziert (wenn es so geradlinig weitergeht). Ich kann bisher keine ernstzunehmende Kritik erkennen, die Erdmann hier widerlegen würde.
Lutz